4,047 Millionen Erwerbslose in Deutschland – diese Zahl grassierte unlängst in allen Medien und kehrte damit ins Bewusstsein der Bevölkerung ein. Damit stieg die Arbeitslosigkeit im Monat Juli 2002 auf den höchsten Juli- Stand seit drei Jahren. Eine deutliche Verringerung der Zahl der Arbeitslosen werde nach Einschätzung der Bundesanstalt für Arbeit erst Ende des Jahres erfolgen.1 Dies war leider wieder einmal eine traurige Bestätigung für das herausragende ökonomische und soziale Problem der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der siebziger Jahre: Die Arbeitslosigkeit. Über die Notwendigkeit der Bekämpfung und Vermeidung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit herrscht Einigkeit unter Wissenschaftlern und Politikern, was Letztere besonders im Rahmen des derzeitigen Wahlkampfes immer wieder explizit hervorheben, nicht zuletzt, um Stimmenanteile zu gewinnen. Dabei ist Arbeitslosigkeit in Deutschland kein wirklich neues Phänomen. Es ist sicherlich unbestritten, dass die Ölpreisschocks 1973/74 und 1979/80 erheblich dazu beitrugen, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sprunghaft anstiegen.2 Die Vermutung, dass ein Wegfall der Entstehungsursache auch die Wirkung, d.h. das Niveau der Arbeitslosenzahlen, beeinflusst, ließ sich nicht bestätigen. Ungeachtet einer substantiellen Rückbildung der Ölpreise, relativ hoher Wachstumsraten des Sozialprodukts sowie günstiger Entwicklung anderer Faktoren verharrten die Arbeitslosenzahlen nahezu unbeweglich auf dem jeweils erreichten hohen Niveau. Dieses Verhalten der Arbeitsmärkte wird in den letzten Jahren in der Literatur zunehmend mit dem sog. Hysteresis- Phänomen erklärt.3 Die Bedeutung dieses Phänomens sowie dessen Anwendbarkeit auf die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird im Folgenden detailliert herausgestellt. 1 vgl. Westfalen-Blatt, Nr. 182 vom 08. August 2002, S. 2 2 vgl. Berthold/ Fehn (1995), S. 110 3 vgl. Grassinger (1993), S. 1
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Problemstellung
2. Arbeitslosigkeit in Deutschland
2.1 Entwicklung
2.2 Traditionelle Theorien und ihre Defizite
3. Hysteresis- Ansatz
3.1 Definition und Herkunft des Begriffes
3.2 Analogie zur Entwicklung des Arbeitsmarktes
4. Ökonomische Mechanismen zur Erklärung hysteretischer Effekte auf dem deutschen Arbeitsmarkt
4.1 Humankapitalentwertung und Dauer der Arbeitslosigkeit
4.2 Die Insider- Outsider- Theorie
4.3 Kapitalknappheitstheorie
5. Fundierende Indikatoren des Arbeitsmarktes
5.1 Die Phillips- Kurve
5.2 Die Beveridge- Kurve
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Versicherung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Entwicklung der Arbeitslosenquote in der BRD
Abb. 2: Hysteretische Entwicklung der Arbeitslosigkeit
1. Problemstellung
4,047 Millionen Erwerbslose in Deutschland – diese Zahl grassierte unlängst in allen Medien und kehrte damit ins Bewusstsein der Bevölkerung ein. Damit stieg die Arbeitslosigkeit im Monat Juli 2002 auf den höchsten Juli- Stand seit drei Jahren. Eine deutliche Verringerung der Zahl der Arbeitslosen werde nach Einschätzung der Bundesanstalt für Arbeit erst Ende des Jahres erfolgen.[1]
Dies war leider wieder einmal eine traurige Bestätigung für das herausragende ökonomische und soziale Problem der Bundesrepublik Deutschland seit Beginn der siebziger Jahre: Die Arbeitslosigkeit.
Über die Notwendigkeit der Bekämpfung und Vermeidung der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit herrscht Einigkeit unter Wissenschaftlern und Politikern, was Letztere besonders im Rahmen des derzeitigen Wahlkampfes immer wieder explizit hervorheben, nicht zuletzt, um Stimmenanteile zu gewinnen. Dabei ist Arbeitslosigkeit in Deutschland kein wirklich neues Phänomen.
Es ist sicherlich unbestritten, dass die Ölpreisschocks 1973/74 und 1979/80 erheblich dazu beitrugen, dass die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sprunghaft anstiegen.[2] Die Vermutung, dass ein Wegfall der Entstehungsursache auch die Wirkung, d.h. das Niveau der Arbeitslosenzahlen, beeinflusst, ließ sich nicht bestätigen. Ungeachtet einer substantiellen Rückbildung der Ölpreise, relativ hoher Wachstumsraten des Sozialprodukts sowie günstiger Entwicklung anderer Faktoren verharrten die Arbeitslosenzahlen nahezu unbeweglich auf dem jeweils erreichten hohen Niveau.
Dieses Verhalten der Arbeitsmärkte wird in den letzten Jahren in der Literatur zunehmend mit dem sog. Hysteresis- Phänomen erklärt.[3]
Die Bedeutung dieses Phänomens sowie dessen Anwendbarkeit auf die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird im Folgenden detailliert herausgestellt.
2. Arbeitslosigkeit in Deutschland
2.1 Entwicklung
Das Phänomen der Unterbeschäftigung ist in Deutschland erstmalig im Anschluss an den ersten Ölpreisschock 1973 aufgetreten. Die erhöhten Importpreise für Rohstoffe führten zu einer Verteuerung der Produktion und somit zu einem Rückgang der Arbeitsnachfrage. In den achtziger Jahren haben vergleichsweise hohe Realzinsen die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen für Neuinvestitionen verschlechtert.[4] Ein weiterer negativer Impuls kam von der eher restriktiven Geld- und Fiskalpolitik. Die daraus folgende Verschiebung der Arbeitsnachfragekurve benötigt allerdings ein gerütteltes Maß an Lohnstarrheit, um einen dauerhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit erklären zu können. Denn nur, wenn der Reallohn - also der Preis für die Arbeit, gemessen in der Kaufkraft der Geldlöhne - sich nicht anpasst, bleibt die Nachfrage nach Arbeitskräften auf Dauer geringer als das Arbeitsangebot.[5]
Viele Erklärungen stellen auf die sog. Pfadabhängigkeit von Arbeitslosigkeit ab. Damit lässt sich ein Zusammenhang zwischen Konjunktureinbrüchen in der Vergangenheit und der heutigen Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt herstellen. Es deutet nämlich darauf hin, als ob die derzeitigen Arbeitslosigkeitsquoten erheblich durch die hohen Arbeitslosigkeitsquoten der Vergangenheit bestimmt würden. Einmal auf einem höheren Niveau angelangt, fielen die Arbeitslosenquoten nur sehr langsam.[6] Gleichzeitig waren die Preissteigerungen nahezu stabil bzw. sind nur leicht gefallen. Insofern liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die NAIRU (Non Accelerating Inflation Rate of Unemployment), also jene Arbeitslosenquote, die gleichbleibende Preissteigerungsraten garantiert, in Deutschland angestiegen ist.[7]
Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in den letzten 25 Jahren ist also vor allem durch ihren treppenförmigen Anstieg um jeweils etwa 800.000 Personen nach jeder Rezession zu charakterisieren, ohne dass dieser Anstieg bis zur folgenden konjunkturellen Schwächephase wieder abgebaut worden wäre, im Gegensatz zur USA, wo zwar auch ein vergleichbarer Anstieg der Arbeitslosigkeit nach einem Schock stattfindet, allerdings während der Erholungsphase wieder ein Rückgang auf das Ausgangsniveau erfolgt.[8] Entscheidend für die Entwicklung der deutschen Arbeitslosigkeit ist die Dynamik nach einem Schock. Im zeitlichen Verlauf ergibt sich somit also eine zunehmende Sockelarbeitslosigkeit.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Entwicklung der Arbeitslosenquote in der BRD[9]
2.2 Traditionelle Theorien und ihre Defizite
Im klassischen (angebotsseitigen) Modell hängt die Nachfrage der Unternehmen nach Arbeitskräften von der Höhe des Reallohnsatzes ab, je höher der Reallohnsatz, desto geringer die Arbeitsnachfrage, da die Arbeit als Kostenfaktor den Gewinn beeinflusst. Das Angebot der Haushalte an Arbeit hängt ebenfalls vom Reallohnsatz ab, je höher der Reallohnsatz, desto höher das Arbeitsangebot, weil sich die Haushalte zwischen Arbeit und Freizeit entscheiden müssen.[10] Im Arbeitsmarktgleichgewicht entspricht das Arbeitsangebot der Arbeitsnachfrage. Beim zugehörigen Gleichgewichtsreallohnsatz ist zugleich Vollbeschäftigung gegeben, da sämtliche zu diesem Lohnsatz angebotene Arbeit auch nachgefragt wird, so dass keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit existiert. Das mit Hilfe dieses Arbeitseinsatzes erstellte Sozialprodukt nennt man Vollbeschäftigungssozialprodukt.[11] Liegt der Reallohnsatz über dem Gleichgewichtsreallohnsatz, so ergibt sich ein Angebotsüberhang am Arbeitsmarkt, dies nennt die Klassik Arbeitsmarktungleichgewicht. Diese (unfreiwillige) Arbeitslosigkeit nennt man klassische Arbeitslosigkeit. Ein Beispiel hierfür wäre, wenn die Gewerkschaften einen hohen Nominallohnsatz als Mindestlohnsatz durchsetzen würden und sich das Preisniveau nicht so weit erhöhen würde, dass der Gleichgewichtsreallohnsatz erreicht werden würde.[12]
Dieser Ansatz wird durch keynesianische (nachfrageseitige) Erklärungsversuche kritisiert. Keynes kennt neben der klassischen Arbeitslosigkeit noch eine zweite Form, nämlich die konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Diese spielt bei Keynes eine große Rolle. Die Ursache dieser Art von Arbeitslosigkeit ist nicht ein zu hoher Reallohnsatz.[13] Vielmehr muss man Güter- und Geldmarkt betrachten: Kommt es auf dem Gütermarkt zu einem Rückgang der autonomen Konsum- oder Investitionsnachfrage oder auch der Staatsnachfrage oder der Exportnachfrage, oder kommt es auf dem Geldmarkt zu einem Rückgang des Geldangebots mit Rückwirkung auf den Gütermarkt, so entsteht kurzfristig ein Angebotsüberhang auf dem Gütermarkt bzw. einer Nachfragelücke. Die Unternehmen werden dann ihr zukünftiges Angebot der reduzierten Nachfrage anpassen, so dass sie deshalb weniger Arbeit nachfragen. Dies würde dann schließlich zu Kurzarbeit und Entlassungen führen und zur konjunkturellen Arbeitslosigkeit. Es käme zu Arbeitslosigkeit, auch wenn der Reallohnsatz nicht gestiegen ist.[14]
Diese traditionellen Theorien beinhalten mehrere Erklärungsdefizite. Mit ihnen lassen sich nämlich die aufgezeigten Merkmale der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland nur unzureichend abdecken.[15]
Sie liefern nur eine Erklärung für den Anstieg der Arbeitslosigkeit, nicht aber für das Aufrechterhalten des Niveaus nach Wegfall der Schocks. Sie erfassen lediglich einzelne Facetten des Gesamtphänomens, nicht aber Persistenz und andere wichtige Eigenschaften der Arbeitslosigkeit.
Außerdem dominiert bei diesen Theorien die Vorstellung, dass eine Volkswirtschaft nur ein Gleichgewicht habe, nämlich die natürliche Rate des Outputs und der Beschäftigung.
Der Hysteresis- Ansatz, auf den unter 3. im Detail eingegangen wird, ist hingegen komplexer und berücksichtigt den asymmetrischen Verlauf der Arbeitslosenquote, den mangelnden Druck, der auf Preise und Löhne ausgeht aufgrund der auf hohem Niveau stagnierenden Arbeitslosigkeit, sowie Implikationen des steigenden Anteils der Langzeitarbeitslosen für den Lohnbildungsprozess.[16] Außerdem lässt Hysteresis die Existenz einer Vielzahl von Gleichgewichten in makroökonomischer Sicht zu (multiple equilibria).
3. Hysteresis- Ansatz
3.1 Definition und Herkunft des Begriffes
Der Fachterminus, der sich in der Literatur für die exakte (unter Umständen zeitlich verzögerte) Übereinstimmung von tatsächlicher Arbeitslosenquote und inflationsstabilisierender Arbeitslosenquote (NAIRU) eingebürgert hat, lautet Hysteresis, bei einer partiellen Abhängigkeit der NAIRU von verzögerten Realisationen der Arbeitslosenquote spricht man von Persistenz.[17]
Allgemein beschreibt Hysteresis eine bestimmte Eigenschaft eines dynamischen Systems im Hinblick auf einen langfristigen Gleichgewichtswert. Der Begriff an sich stammt aus dem Griechischen und bedeutet „zurückbleiben“.[18] Seinen Ursprung findet der Begriff in der Physik im Rahmen von Untersuchungen zur magnetischen Feldstärke und er bezeichnet allgemein „das Zurückbleiben einer Wirkung hinter dem jeweiligen Stand der sie bedingenden veränderlichen Kraft“[19], die Persistenz eines zurückliegenden Zustands („verzögerte Dauerwirkungen“)[20] bzw. die persistente Wirkung von Schocks.
[...]
[1] vgl. Westfalen-Blatt, Nr. 182 vom 08. August 2002, S. 2
[2] vgl. Berthold/ Fehn (1995), S. 110
[3] vgl. Grassinger (1993), S. 1
[4] vgl. Schuster (1991), S. 1
[5] vgl. Borchert/ Schulz (2000), S. 722
[6] vgl. Landmann/ Jerger (1999), S. 13
[7] vgl. Stephan (1996), S. 240ff.
[8] vgl. Härtel (2002), S. 182f.
[9] Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit 2002
[10] vgl. Grassinger (1993), S. 3
[11] vgl. Berthold/ Fehn (1995), S. 111
[12] vgl. Cezanne (2002), S. 373f.
[13] vgl. Baßeler/ Heinrich (2001), S. 308ff.
[14] vgl. Grassinger (1993), S. 3
[15] vgl. Kösters/ Belke (1990), S. 277
[16] vgl. Kantzenbach/ Mayer/ Kösters/ Belke (1992), S. 14
[17] vgl. Landmann/ Jerger (2001), S. 248
[18] vgl. Franz (1989), S. 77
[19] vgl. Schuster (1991), S. 1
[20] vgl. Rothschild (1994), S. 123
- Quote paper
- Katja Krämer (Author), 2002, Die Arbeitslosigkeit in Deutschland: Ein Hysteresis-Phänomen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36915
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.