In dem durchkomponierten Werk „Die Wahlverwandtschaften“ spielen mystische Systeme eine Rolle für die Art und Weise wie sich die Romanhandlung abspielt. Hier soll ein Versuch gemacht werden zu untersuchen, inwiefern dies tableaux vivants zugleich ein System oder einen Teil dieses Systems ausmachen. In der neueren Forschung wird betont, dass Medialität durch die tableaux vivants doppelt akzentuiert wird und dass somit ein Darstellungsprinzip in einer schriftlichen Form entsteht, bei dem die unterschiedlichen Medien der bildenden Kunst, Bühne und Schrift wechselseitig verhandelt werden. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist allerdings nicht eine semiotische Analyse der Medialität, sondern in erster Linie eine Untersuchung intertextueller Bezüge zur Handlungsebene der Wahlverwandtschaften. Anhand etlicher Forschungstexten sollen zudem die ästhetischen Implikationen der tableaux vivants in Bezug auf der Formebene des Romans betrachtet werden. Welche Sujets werden gewählt und wie spiegeln und verdichten sie die Romanhandlung? Welche Bedeutung hat die relativ späte Situierung im Roman? Wie werden diese Bühnenauftritte vom Erzähler präsentiert und bewertet?
Tableaux vivants heißt so viel wie „lebende Bilder“. Bei diesen lebenden Bildern handelt es sich um körperliche, szenische Bilddarstellungen, die durch lebende Personen stumm und still innerhalb eines kurzen Zeitraums ausgeführt werden. Der Begriff hat sich im Laufe des Jahrhunderts zum festen Ausdruck entwickelt und bezeichnet ein besonderes kulturgeschichtliches Phänomen, das sich in der Goethezeit zu einer Mode entwickelte. Die Komposition von lebenden Bildern ist eine Praxis, die seit der Antike existiert, aber die genaue Nachahmung von vorhandenen Kunstwerken kennt man erst seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Zunächst dienten die lebenden Bilder sowohl zur Verbreitung der kirchlichen Lehre, als auch zur Verherrlichung des Fürsten. Gemeinsam war dieses Genres allerdings, dass sie stets Teil einer Veranstaltung waren, d.h. eines Theaterstücks, einer Prozession oder ähnlicher Gelegenheiten. Sie wurden aber zum Ende des Jahrhundert vom Adel und dem bürgerlichen Stand übernommen und zu einer eigenständigen Kunstform gemacht, die sich nun mit der Nachahmung vorhandener Kunstwerke befasste. In dieser Zeit entwickelt sich „ein kunsthistorisches Bewußtsein“ und Diskussionen über das Verhältnis zwischen Kunst und Leben, Subjekt und Objekt sowie zwischen Illusion und Wirklichkeit werden geführt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Tableaux vivants
- Begriff und Geschichte
- Tableaux vivants in der geselligen Kultur
- Der ,,namenlose Gesetz“: Zum verhängnisvollen Charakter des Romans
- Bemerkungen zur Form und Aufbau
- Die aufgeführten Gemälden in Die Wahlverwandtschaften
- Positionierung in der Handlung
- Verblendung und Verschleierung: Der geblendete Belisar als Bettler
- Das Bild der Frau: Esther vor Ahasverus
- Ambivalente Beziehungen: Väterliche Ermahnung
- Kulmination der Todesprophezeiung: Weihnachts-Tableau
- Erstarrte Inszenierung
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Bedeutung von Tableaux vivants in Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“. Ziel ist es, die Funktion dieser lebenden Bilder im Kontext der Handlung und des Gesamtwerks zu untersuchen.
- Die Rolle von Tableaux vivants als Ausdruck des gesellschaftlichen Wandels und der neuen Sensibilität im 18. Jahrhundert
- Der Einfluss von Tableaux vivants auf die Handlungsstruktur und die Figurenzeichnung
- Die ästhetische Funktion von Tableaux vivants als Verbindung von Kunst, Leben und Theater
- Die Ambivalenz von Tableaux vivants als Ausdruck von Schönheit, Täuschung und Tod
- Die Bedeutung von Intertextualität und Medialität im Zusammenhang mit Tableaux vivants
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Bedeutung von Tableaux vivants im Kontext der Goethezeit und der literarischen Gattung des Romans vor.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Begriff und der Geschichte von Tableaux vivants, wobei die Entwicklung von der Aufklärung zum 19. Jahrhundert und die Funktion dieser „lebenden Bilder“ in der gesellschaftlichen Kultur beleuchtet werden.
Kapitel 3 behandelt die Bedeutung des „namenlosen Gesetzes“ im Roman und erklärt, wie dieses Gesetz die Handlung und die Figuren beeinflusst.
Das vierte Kapitel analysiert die verschiedenen Tableaux vivants, die im Roman vorkommen. Hierbei werden die Positionierung in der Handlung, die Funktion der Verblendung und Verschleierung, die Ambivalenz der dargestellten Beziehungen und die Rolle der Todesprophezeiung beleuchtet.
Schlüsselwörter
Tableaux vivants, Goethe, Wahlverwandtschaften, Medialität, Intertextualität, Ästhetik, Kunst, Leben, Theater, Täuschung, Tod, Gesellschaft, Kultur, Aufklärung, Sensibilität
- Citation du texte
- A. Mader (Auteur), 2016, Eine Analyse der "lebenden Bildern" in Goethes "Wahlverwandtschaften", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369157