Mein Besuch der Aufführung von Anouk van Dijks und Falk Richters Tanztheater „Protect me“ liegt bereits etwas mehr als vier Monate zurück. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt nicht die Möglichkeit, mir das Stück ein weiteres Mal anzuschauen. Allerdings ist es mir lebhaft im Gedächtnis geblieben. Nichtsdestotrotz weisen meine Erinnerungen Lücken auf, die ich mir durch einmalig verwendetes Videomaterial, sowie ein Erinnerungsprotokoll zu füllen gesucht habe.
Immer wieder hatte ich während der Aufführung das Gefühl, kaum Zeit zu haben, um Luft zu holen. Es handelt von Figuren, die alle eines gemein haben. Permanent geplagt von dem Gefühl, irgendetwas stimme nicht, suchen sie nach Halt, Sinn und Substanz. Sie sind einsam und rastlos, überarbeiten sich, brechen zusammen, machen weiter wie zuvor und jeder scheint auf seine Art, sich selbst verloren zu haben. Für ein Innehalten, so scheint es, bleibt ihnen keine Zeit, zu groß die Angst, den Anschluss zu verlieren, zu gering das Vertrauen in sich selbst. Der Aufbau des Stückes ist collagenhaft und skizziert Teilbereiche unserer Gesellschaft. Aktuell diskutierte Themen wie die Wirtschaftskrise, Individualisierung, Demenz, Burnout, Orientierungslosigkeit, Coaching für alles und jeden und übersättigte Märkte werden aufgegriffen. Inhalte also, die Großteils mit einem Gefühl des Unbehagens in Verbindung gebracht werden.
Was aber genau ruft beim Zuschauer, zumindest mir selbst, häufig das Gefühl von Atemlosigkeit, Unbehagen und Enge hervor? Wodurch ist bei mir der Eindruck entstanden, dass jede der dargestellten Figuren der Hilfe bedarf, überfordert und alleine ist? Welcher Mittel wird sich in „Protect me“ bedient, welche Elemente geschaffen, um eben dies zu bewirken? Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung werde ich im Folgenden die Bewegungen und die Gesten untersuchen. Auf Inhalt und Sprache werde ich nur im Ansatz eingehen, wenn dies zum Verständnis notwendig ist. Zwar werde ich chronologisch vorgehen, in Anbetracht des Umfangs jedoch nicht jede einzelne Szene analysieren, sondern nur diejenigen, die mir von besonderer Bedeutung für genannte Fragestellung erscheinen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Auftakt, 1. Szene
3. Die Darstellung des eigenen Körpers als fremdes Objekt
3.1 Ein Solo
3.2 Der Körper als eigenes Forschungsobjekt
4. Erhard Marggraf als seniler Vater
5. Glaskästen als isolierendes Element im Kontext der Bewegung
6. Ein Duett zwischen Nähe und Distanz
7. Schlussbetrachtung
Besetzung
1. Einleitung
Mein Besuch der Aufführung von Anouk van Dijks und Falk Richters Tanztheater „Protect me“ liegt bereits etwas mehr als vier Monate zurück. Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt nicht die Möglichkeit, mir das Stück ein weiteres Mal anzuschauen. Allerdings ist es mir lebhaft im Gedächtnis geblieben. Nichtsdestotrotz weisen meine Erinnerungen Lücken auf, die ich mir durch einmalig verwendetes Videomaterial, sowie ein Erinnerungsprotokoll zu füllen gesucht habe.
Immer wieder hatte ich während der Aufführung das Gefühl, kaum Zeit zu haben, um Luft zu holen. Es handelt von Figuren, die alle eines gemein haben. Permanent geplagt von dem Gefühl, irgendetwas stimme nicht, suchen sie nach Halt, Sinn und Substanz. Sie sind einsam und rastlos, überarbeiten sich, brechen zusammen, machen weiter wie zuvor und jeder scheint auf seine Art, sich selbst verloren zu haben. Für ein Innehalten, so scheint es, bleibt ihnen keine Zeit, zu groß die Angst, den Anschluss zu verlieren, zu gering das Vertrauen in sich selbst. Der Aufbau des Stückes ist collagenhaft und skizziert Teilbereiche unserer Gesellschaft. Aktuell diskutierte Themen wie die Wirtschaftskrise, Individualisierung, Demenz, Burnout, Orientierungslosigkeit, Coaching für alles und jeden und übersättigte Märkte werden aufgegriffen. Inhalte also, die Großteils mit einem Gefühl des Unbehagens in Verbindung gebracht werden.
Was aber genau ruft beim Zuschauer, zumindest mir selbst, häufig das Gefühl von Atemlosigkeit, Unbehagen und Enge hervor? Wodurch ist bei mir der Eindruck entstanden, dass jede der dargestellten Figuren der Hilfe bedarf, überfordert und alleine ist? Welcher Mittel wird sich in „Protect me“ bedient, welche Elemente geschaffen, um eben dies zu bewirken? Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung werde ich im Folgenden die Bewegungen und die Gesten untersuchen. Auf Inhalt und Sprache werde ich nur im Ansatz eingehen, wenn dies zum Verständnis notwendig ist. Zwar werde ich chronologisch vorgehen, in Anbetracht des Umfangs jedoch nicht jede einzelne Szene analysieren, sondern nur diejenigen, die mir von besonderer Bedeutung für genannte Fragestellung erscheinen.
2. Auftakt, 1. Szene
Wie nicht anders zu erwarten spielt der Körper und die Bewegung in „Protect me“ eine ebenso zentrale Rolle wie der Text. Noch bevor ein Wort gesprochen wurde und die Darsteller beginnen, sich zu bewegen, erfahre ich durch ihn, was für eine Stimmung in diesem Stück vorherrschend ist. Es beginnt mit langsam an- und ausgehendem Licht. Sieben Darsteller sind im hinteren Teil der Bühne verteilt. Sie wirkt ansonsten recht leer. Vorne rechts stehen etliche Mikrofone, ein paar Hocker sind am hinteren Bühnenrand verteilt und links steht ein nach vorne verglaster Kasten, der an ein Schaufenster erinnert und in den von beiden Seiten eine Tür führt, wie sich später herausstellen wird. Sie sitzen, stehen oder liegen mit verschränkten Armen, gesenktem oder in die Hände gestütztem Kopf, mit aufgezogener Kapuze oder einander stützend, zum Publikum hin- als auch abgewandt. Ihre Haltungen rufen Assoziationen der Schwere, Überforderung und Einsamkeit hervor. Alle verändern ihre Position zunächst nur, wenn das Licht aus ist, für das Publikum also nicht sichtbar. Dazu ist langsame Musik eines Streichinstruments zu hören, welche die Stimmung ebenfalls unterstreicht. Kaum erkennbar beginnen sich die Schauspieler auch in Momenten, in denen das Licht an ist, zu bewegen. Sie werden langsam schneller bis sie schließlich hektisch durch den Raum laufen. Einzelne gehen gezielt zum Mikrofon, halten inne, heben an, etwas zu sagen, um sich sogleich wieder abrupt abzuwenden. Es kommt zu einer Begegnung zweier Schauspieler, die sich in ähnlicher Form noch etliche Male wiederholt. In diesem Fall stehen sie zunächst nah beieinander, die Köpfe dicht beisammen. Sie fassen sich langsam bei jeweils einer Hand und lassen sich nach außen hängen. Die Schauspielerin, die das Mikrofon in der anderen mitgeführt hat, spricht die Worte „there is really noone responsible for anything anymore“, woraufhin sie sich loslassen, alleine zu Boden fallen und das Licht ausgeht. Gewiss verstärken sowohl Licht und der Ton eines EKG’s, als auch ihre Worte die Wirkung dieser kurzen Begegnung, und doch ist es für mich die Bewegung, die ihr Intensität verleiht und sie mir in Erinnerung bleiben lässt.
3. Die Darstellung des eigenen Körpers als fremdes Objekt
3.1 Ein Solo
In einem mir Minuten lang erscheinenden Tanzsolo zu einem unangenehmen Rauschen rennt Franz Rogowski in einem ihm folgenden Spotlight kreuz und quer über die Bühne, kehrt mittendrin um, stürzt, richtet sich wieder auf ohne innezuhalten und läuft weiter. Im nächsten Moment schlägt er um sich, dreht sich im Kreis, fällt wieder, rappelt sich erneut auf und rennt weiter. Er rutscht mit dem Bauch quer über die Bühne, steht auf und taumelt, ohne dass er ein Ziel zu verfolgen scheint. Dabei sieht es aus, als habe er jede Kontrolle über die Steuerung des eigenen Körpers verloren. Durch die plötzlichen Richtungswechsel und das scheinbar beliebige und willkürliche Umherschleudern der Arme wirkt es, als würde nicht er selbst, sondern eine Kraft von außen Impulse geben, die darüber bestimmen, welche Bewegungen als nächstes ausgeführt werden. Sein direktes Weiterrennen nach dem Fall erinnert mich an ein unkontrolliert ferngesteuertes Auto, welches sich überschlägt, um noch bevor es zum Stillstand kommt weiterzufahren. Dieser anfängliche Tanz verkörpert die Figur der/des Getriebenen ohne Ziel, die im weiteren Verlauf in Form unterschiedlicher Darsteller immer wieder auftaucht.
3.2 Der Körper als eigenes Forschungsobjekt
In der hierauf folgenden Szene stellt sich dem Publikum Kay Bartholomäus Schulze als die Figur eines Regisseurs vor, die ich im weiteren Verlauf auch als solchen bezeichnen werde, der auf der Suche nach einem passenden Titel für ein Stück ist. Er steht am linken Bühnenrand an einem Mikrofon. Nach einer Weile beginnt der ein paar Meter weiter rechts stehende Stefan Stern seine Gedanken und Sätze zu vervollständigen bzw. zu ergänzen. Sie sprechen von Ängsten, Krisen, von Erschöpfung und Einsamkeit. Währenddessen sitzen im hinteren Bühnenraum verteilt sechs Darsteller, jeder für sich allein und beginnen den eigenen Körper zu untersuchen. Eine Darstellerin hält ihren Arm waagerecht vor sich hin, zieht ihre eigene Haut nach oben und lässt sie wieder los. Ein weiterer zieht sein Hemd hoch und betrachtet sich selbst dabei, wie er sich in den Bauch kneift. Auch die restlichen vier beginnen nun unterschiedliche Stellen des eigenen Körpers zu erforschen, indem sie oder er sich selbst an verschiedenen Stellen anfasst. Durch das Beobachten der eigenen Handlung, als haben sie noch nie gesehen, wie ihr Körper sich verhält, was passiert wenn man die Haut hochzieht und loslässt, als wissen sie nicht wie er sich anfühlt, wirkt es, als gehöre er nicht zu ihnen, als sei es ein fremdes Objekt, das es gilt zu untersuchen. Dabei geht die Bewegung aller langsam in einen Tanz über. Immer wieder wird dabei von dem oben beschriebenen Element, das ich als Fremd- bzw. Fernsteuerung bezeichnet habe, Gebrauch gemacht und es fällt ein Darsteller scheinbar aus dem Nichts plötzlich zu Boden. Im Verlauf ergreifen weitere Darsteller das Wort. Als eine der Frauen bühnenmittig zum Mikrofon greift und zu sprechen beginnt, wird sie von einem Mitspieler zu Boden gezogen. Dieser kam ohne Vorankündigung von der linken Seite angerannt. Sie wehrt sich während er sich auf sie wirft und probiert sie bei sich zu halten. Ihre Körpersprache drückt Abweisung aus, indem sie die Beine wild hin und her bewegt, probiert, ihm den Rücken zuzukehren und durch viel Bewegung versucht, sich aus seinem Griff zu lösen. Unwillkürlich erinnert das Bild an eine Vergewaltigung, die ebenfalls einen Kontrollverlust darstellt. Währenddessen zieht sich Franz Rogowski, der zuvor das Solo getanzt hatte (s.o.) aus, bis er nackt dasteht und sein Glied von sich wegzieht und wieder loslässt. Diesen Vorgang wiederholt er viele Male. Auch hier entsteht der für mich befremdliche Eindruck, dass der eigene Körper nicht zu seiner Person gehört, ruft ein Unbehagen hervor und fühlt sich unstimmig an.
4. Erhard Marggraf als seniler Vater
Kurz darauf betritt der bald 90 Jahre alte Erhard Marggraf zum ersten Mal die Bühne, während die restlichen Darsteller abermals jeder für sich auf der Bühne verteilt herumstehen. Er spielt den Vater des Regisseurs und ich werde ihn fortan als solchen bezeichnen. Sein Erscheinungsbild hebt sich zunächst deutlich von dem der übrigen acht Darsteller ab. Ein in die Jahre gekommener Körper, der längst nicht mehr frei von Falten ist und für den jede einzelne Bewegung eine Anstrengung bedeutet.
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