Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 und die deutsche Wiedervereinigung im Oktober des darauffolgenden Jahres führten zu einem grundlegenden Wandel in der Struktur der Stadt Berlin und seiner Bezirke. Infolge dieses Prozesses wurden in Berlin Entwicklungen nachgeholt, die andere deutsche Städte bereits hinter sich hatten. Aufgrund der politischen und geographischen „Insellage“ hatten diese Prozesse nicht stattgefunden bzw. sich verzögert. Die neue weltpolitische Situation und letztendlich die 1994 getroffene Entscheidung, daß Berlin neben der Funktion der Hauptstadt auch wieder als Regierungssitz fungieren sollte, hatten auf die Sozialstruktur und die Entwicklung der Stadt ebenfalls einen erheblichen Einfluß. Besonders stark von der veränderten Lage war im ehemaligen Westberlin der Bezirk Kreuzberg betroffen, der, während der Teilung Berlins, ein Schattendasein als Randbezirk, abgetrennt vom ehemaligen Zentrum, fristete. Die veränderte Situation des Bezirkes führte in den Jahren nach der Wiedervereinigung zu starken sozialstrukturellen Veränderungen und einer sozialen Aufwertung von Teilen des Bezirkes. Die Schattenseite dieses Gentrificationprozesses war die Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung und ein Auflösungsprozeß der legendären „bunten Mischung“ in diesem Bezirk. Aus dem ehemaligen Problembezirk wurde ein gefragter, an das Regierungsviertel und das neue Zentrum angrenzender Innenstadtbezirk. So schien es zumindest und so wurde es von den Medien aufgegriffen. Eine Folge von den veränderten Rahmenbedingungen hätte sein müssen, daß sich ein neuer Gentrificationprozeß in Kreuzberg in Gang setzte bzw. ein bereits eingesetzter Prozeß an Tempo gewann. Der Nachweis dieser Veränderungen steht im Mittelpunkt der vorliegenden Hausarbeit. Ausgehend von der Fragestellung, wie schnell und in welchen Schritten der Prozeß der Gentrification zwischen 1989 und 2000 verlief. Dafür werde ich das Zahlenmaterial über die Sozialstruktur des Bezirkes interpretieren. Auf eine eigene, ergänzende Erhebung mußte ich verzichten. Die Fragestellung basiert auf der Prämisse, daß es – wie in den Medien immer wieder verkündet wurde – zu einer Gentrification in Kreuzberg kam. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Methodische und theoretische Grundlagen
2.1 Forschungsstandanalyse
2.2 Gentrification
2.3 Operationalisierung
3. Kreuzberg – ein Bezirk im Wandel
3.1 Kreuzberg vor der Wiedervereinigung
3.2 Kreuzbergs Entwicklung seit der Wiedervereinigung
3.3 Kreuzberg und die Gentrification
4. Untersuchung der Gentrification
4.1 Anteil der Minoritäten
4.2 Erwerbsstruktur
4.3 Bildungsstand
4.4 Quellen des Lebensunterhaltung
4.5 Monatliches Nettoeinkommen
5. Fazit
6. Literatur- und Quellen
1. Einleitung
Der Fall der Berliner Mauer im November 1989 und die deutsche Wiedervereinigung im Oktober des darauffolgenden Jahres führten zu einem grundlegenden Wandel in der Struktur der Stadt Berlin und seiner Bezirke. Infolge dieses Prozesses wurden in Berlin Entwicklungen nachgeholt, die andere deutsche Städte bereits hinter sich hatten. Aufgrund der politischen und geographischen „Insellage“ hatten diese Prozesse nicht stattgefunden bzw. sich verzögert. Die neue weltpolitische Situation und letztendlich die 1994 getroffene Entscheidung, daß Berlin neben der Funktion der Hauptstadt auch wieder als Regierungssitz fungieren sollte, hatten auf die Sozialstruktur und die Entwicklung der Stadt ebenfalls einen erheblichen Einfluß. Besonders stark von der veränderten Lage war im ehemaligen Westberlin der Bezirk Kreuzberg betroffen, der, während der Teilung Berlins, ein Schattendasein als Randbezirk, abgetrennt vom ehemaligen Zentrum, fristete. Die veränderte Situation des Bezirkes führte in den Jahren nach der Wiedervereinigung zu starken sozialstrukturellen Veränderungen und einer sozialen Aufwertung von Teilen des Bezirkes. Die Schattenseite dieses Gentrificationprozesses war die Verdrängung der ursprünglichen Bevölkerung und ein Auflösungsprozeß der legendären „bunten Mischung“ in diesem Bezirk. Aus dem ehemaligen Problembezirk wurde ein gefragter, an das Regierungsviertel und das neue Zentrum angrenzender Innenstadtbezirk. So schien es zumindest und so wurde es von den Medien aufgegriffen. Eine Folge von den veränderten Rahmenbedingungen hätte sein müssen, daß sich ein neuer Gentrificationprozeß in Kreuzberg in Gang setzte bzw. ein bereits eingesetzter Prozeß an Tempo gewann. Der Nachweis dieser Veränderungen steht im Mittelpunkt der vorliegenden Hausarbeit. Ausgehend von der Fragestellung, wie schnell und in welchen Schritten der Prozeß der Gentrification zwischen 1989 und 2000 verlief. Dafür werde ich das Zahlenmaterial über die Sozialstruktur des Bezirkes interpretieren. Auf eine eigene, ergänzende Erhebung mußte ich verzichten. Die Fragestellung basiert auf der Prämisse, daß es – wie in den Medien immer wieder verkündet wurde – zu einer Gentrification in Kreuzberg kam. Ich stelle mich mit diesem Vorgehen entgegen der Auffassung von Barbara Lang, die Kreuzberg unter dem Aspekt der kulturellen Gentrification untersuchte, und werde mich auf einige Aspekte der sozialen und ökonomischen Indikatoren stützen, die für einen Gentrificationprozeß herangezogen werden können. Barbara Lang schrieb in ihrer Dissertation zu diesem Thema:
„Doch der Blick auf Kreuzbergs Metamorphose alleine aus dieser Perspektive, welche die neue Dienstleistungsökonomie, genauer: die ökonomische Dimension von Gentrificationsprozessen, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung stellt, hieße, Kreuzberg als exemplarisch für viele andere gentrifizierte Innenstadtbezirke zu sehen. [...] dies würde dem „Fall“ Kreuzberg nicht gerecht.“ (Lang 1998: 25)
Einleitend werde ich den Bezirk und seine für den Prozeß besonders anfällige Struktur für Gentrification skizzieren. Diesen Abschnitt werde ich kurz halten, da es bereits zu dem Themenkomplex eine unübersehbare Menge an Literatur gibt, die die unterschiedlichen Aspekte abdeckt. Aufbauend auf diesen Hintergrund werde ich weitergehend in der Hausarbeit untersuchen, wie der Prozeß der Gentrification in Kreuzberg im Zuge des Zusammenwachsen Berlins und der neuen geographischen Lage von statten ging bzw. ob sich aus den für die Untersuchung herangezogenen Zahlen Schritte auf dem Weg der Gentrification des Bezirkes erkennen lassen. Als Untersuchungszeitraum habe ich die Jahre 1989 bis 2000 gewählt. Das Jahr 1989 als Anfangspunkt bietet sich an, weil damit ein Zeitpunkt vor der Vereinigung gewählt ist. Zu diesem Zeitpunkt war noch keine Wieder-vereinigung der beiden deutschen Staaten absehbar und das Interesse an Spekulationsobjekten war dementsprechend noch recht verhalten. Andererseits hatte die Gentrificationwelle der 80er Jahre, die in Zusammenhang mit der 750 Jahresfeier Berlins und der Internationalen Bauausstellung (IBA) im Jahre 1987 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, ihren Zenit überschritten.
Die Begrenzung auf den Zeitraum inklusive des Jahres 2000 bietet sich andererseits an, weil bis Dato Kreuzberg ein eigenständiger Berliner Bezirk war. Am 1. Januar 2001 fusionierte der Bezirk offiziell mit Friedrichshain im Zusammenhang mit der Berliner Bezirksreform. Eine Unterscheidung in die beiden Bereiche Kreuzberg 61 und SO 36, die in der Literatur häufig vorgenommen wird, kann ich im Rahmen dieser Hausarbeit nicht vornehmen, da das von mir verwendete Zahlenmaterial darüber keine Auskunft gibt. Zur Kontrastierung der Kreuzberger Daten verwende ich die Gesamtberliner Zahlen aus der Berliner Statistik.
Aufbauend auf einen theoretischen Teil, in dem ich den Begriff der „Gentrification“ definieren und umreißen werde, erstelle ich im folgenden Abschnitt einen Kriterienkatalog, an dem ich die Gentrificationprozesse untersuchen werde. Da es sich bei der Gentrification um einen sehr komplexen Prozeß handelt, werde ich mich dabei auf einige Teilaspekte des Prozesses konzentrieren. Ich orientiere mich dabei an den Kriterien, die sich bei Untersuchungen über Gentrificationprozesse in anderen deutschen Städten oder Stadtteilen bewährt haben – vorrangig an der Studie von Holger Stark über Gentrification in Prenzlauer Berg.
Für die weitergehende Untersuchung werde ich auf Statistiken des Statistischen Landesamtes Berlins und von Mikrozensus zurückgreifen als auch auf bereits in Bezug auf meine Fragestellung veröffentlichten Texte aus der Fachpresse.
Das Ziel der Untersuchung ist es, anhand von Veränderungen der Sozialstruktur den Gentrificationprozeß in Kreuzberg zu belegen und dessen Tempo plastisch deutlich zu machen. Die Untersuchung meiner These, daß es in dem betreffenden Zeitraum zu einem verstärkenden Gentrificationprozeß gekommen ist, ist daher an der Entwicklung der Daten zu überprüfen. Der These entsprechend müßten sich deutliche Veränderungen in den zu untersuchenden Kategorien ergeben.
2. Methodische und theoretische Grundlage
2.1 Forschungsstandanalyse
Die erste Studie über die Gentrification in einer deutschen Stadt haben 1988 Jens Dangschat und Jürgen Friedrichs mit der Untersuchung „Gentrification in der inneren Stadt von Hamburg. Eine empirische Untersuchung des Wandels von drei Wohnviertels“ über die Stadt Hamburg vorgelegt. Seitdem ist eine Reihe von teilweise noch nicht veröffentlichten Studien über Gentrification bzw. dem häufig synonym verwendeten Begriff „Aufwertungs-prozessen“ in einzelnen Bezirken in deutschen Großstädten entstanden. Der Soziologe Jürgen Friedrichs hat im Rahmen seines Beitrages „Gentrification. Theorie und Forschungser-gebnisse“ in dem von ihm und Robert Keckses herausgegebenen Sammelband „Gentrification“ den bis dato vorherrschenden Forschungsstand dargestellt:
„Für die Bundesrepublik Deutschland liegen erst wenige detaillierte Beschreibungen der Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel vor. Daß es aber „Gentrifizierung“ auch in deutschen Großstädten gibt, kann anhand einiger neuerer Arbeiten belegt werden. Um die Bedeutung des Aufwertungsprozesses in Köln einordnen zu können, werden einige dieser Arbeiten kurz vorgestellt. Den bisherigen Studien zufolge sind Hamburg (vgl. Dangschat und Friedrichs 1988, Busse 1990), Frankfurt (vgl. Wingenfeld 1989, 1990) und München (vgl. Mayr 1989, Wießner 1989, Distler 1990, Gaiser und Müller 1990) am stärksten von der Wiederaufwertung innensadtnaher Teilgebiete betroffen, aber auch in Köln (vgl. Schulz 1990) und Hannover (vgl. Richter 1990) ist planerisches Handeln erforderlich, um preiswerten Wohnraum zu erhalten.“ (Blasius 1993: 48)
Neben diesen Studien liegen noch Studien über Mannheim (Krämer / Zapf 1990) und für die Berliner Bezirke Kreuzberg und Prenzlauer Berg (Lang 1994 / 1998, Stark 1997) vor.
Eine exemplarische Analyse für die Gentrification eines Berliner Bezirkes hat Holger Stark mit seiner Studie „Gentrification in Prenzlauer Berg? Stadträumliche Tendenzen in der Berliner Mitte“ vorgelegt. Er untersuchte anhand von sechs Indikatoren die Gentrification in Prenzlauer Berg nach der Wiedervereinigung. Als Basis benutzte er bereits erhobene Statistiken und Analysen von städtischen Ämtern und Verwaltungen als auch von privaten Investoren und vorangegangenen Forschungsarbeiten. Sein Fazit lautete, daß ein Aufwertungsprozeß in diesem Bezirk und ein zumindest partieller Gentrificationprozeß deutlich erkennbar sei.
Dem Gentrificationprozeß in Kreuzberg – in dem Bereich des ehemaligen Postzustellungsbereich SO36 - hat sich Barbara Lang in ihrem 1994 vorgelegten Beitrag dem „Mythos Kreuzberg“ in der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift „Leviathan“ angenommen und in ihrer gleichnamigen Dissertation weiter vertieft. Ihr Anliegen war es, eine Be-schreibung des Gentrificationprozesses mit Schwerpunkt auf der kulturellen Ebene der Gentrification zu liefern. Desweiteren kommt es ihr darauf an, „nach den Strategien und Bewertungen zu fragen, mit denen die Kreuzberger Bevölkerung auf die Veränderungen ihrer Lebenswelt reagiert.“ (Lang 1994: 498) Die Studie stützt sich vorrangig auf Interviews mit AnwohnerInnen und Pressebeiträge – weniger auf vorliegende Statistiken. Weitere Unter-suchungen über Gentrificationprozesse in Berlin sind mir nicht bekannt.
2.2 Gentrification
Seit Ende der 70er und verstärkt seit Mitte der 80er Jahre findet der Begriff Gentrification Eingang als eigenständiger Gegenstand sozial- und politikwissenschaftlicher Untersuchungen. (Vgl. Stark 1997: 18) Die Definition des Begriffes Gentrification variiert stark. Einen Überblick über die unterschiedlichen Definitionen bietet Holger Stark in seiner Studie über die Gentrificationprozesse in Prenzlauer Berg (vgl. Stark 1997: 18 - 29) und Jens Dangschat in seinem Text „Gentrification. Der Wandel innenstadtnaher Wohnviertel“. (vgl. Dangschat 1988) Ich werde mich daher auf die wichtigsten Merkmale beschränken, die für die weitere Untersuchung Relevanz besitzen.
Nach Definition von Jens Dangschat handelt es sich bei Gentrification um:
„die Verdrängung der ehemaligen Bewohner durch jüngere, besser ausgebildete und in der Regel mit höherem Einkommen versehende Haushalte in innenstadtnahen Wohngebieten. Mit Verdrängungen sind Auszüge aufgrund von Mietsteigerungen oder Umwandlungen ehemaliger Mietwohnungen in Eigentumswohnungen gemeint. Damit einher geht in einem Wechselwirkungsprozeß eine Veränderung des Wohnungsbestandes in Richtung überdurchschnittlicher Modernisierung, Mietpreissteigerung und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen resp. Eine Veränderung der Infrastruktur, die zunehmend den Bedürfnissen der neu Hinzuziehenden entspricht.“ (zitiert nach Blasius 1993: 14)
Der Soziologe Jürgen Friedrichs hingegen umschrieb Gentrification mit den Worten: „Gentrification ist der Austausch einer statusniedrigen Bevölkerung durch eine statushöhere Bevölkerung in einem Wohngebiet.“ (Friedrichs 1996: 14) An anderer Stelle bezeichnet er den Prozeß als „Nachbarschaftswandel“. (ebda.: 20) In seinem Beitrag über Gentrification in „Großstadt. Soziologische Grundbegriffe“ von Hartmut Häußermann führt er folgende Merk-male an, die in Kombination in von Gentrification betroffenen Gebieten anzutreffen sind:
„ - nahe dem Stadtzentrum gelegen
- um 1900 errichtete (...) attraktive Wohngebäude
- schlechter Zustand der Gebäude
- niedrige Bodenpreise und niedrige Mieten
- statusniedrige Bewohner
- in einigen Fällen ist das Wohngebiet für Sanierungsmaßnahmen vorgesehen oder bereits ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet.“ (Friedrichs 2000: 59)
[...]
- Quote paper
- Maurice Schuhmann (Author), 2004, Gentrification in Berlin Kreuzberg zwischen 1989 und 2000, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36686
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