Schon seit vielen Jahrzehnten spielt die Erforschung der Ursachen eines Studienabbruchs eine wichtige Rolle. Mit der fortwährenden Veränderung des Hochschulsystems und der Einführung des neuen Bachelor- und Mastersystems wirken neue, besonders institutionelle Faktoren auf den Studienabbruch ein, welche in den Analysen Beachtung finden. In diesem Zusammenhang sollen die unterschiedlichen individuellen wie institutionellen Faktoren untersucht werden.
Essay 2:Soziale Herkunft und Studienabbruch – Empirische Ergebnisse
Schon seit vielen Jahrzehnten spielt die Erforschung der Ursachen eines Studienabbruchs eine wichtige Rolle. Mit der fortwährenden Veränderung des Hochschulsystems und der Einführung des neuen Bachelor- und Mastersystems wirken neue, besonders institutionelle Faktoren auf den Studienabbruch ein, welche in den Analysen Beachtung finden. In diesem Zusammenhang sollen die unterschiedlichen individuellen wie institutionellen Faktoren untersucht werden.
Georg (2008) setzt sich in seinem Artikel mit den individuellen und institutionellen Faktoren analytisch auseinander, welche einen Studienabbruch bedingen. Um den theoretischen Hintergrund darzustellen, führt er die Anomietheorie nach Durkheim auf, die sich mit Integrationsprozessen in das akademische und soziale System der Hochschule befasst (Georg, 2008, S. 192). Auch die Habitustheorie von Bourdieu wird genannt, in der es um die Vereinbarkeit der Herkunfts- und Studienfachkultur geht, wobei Studierende mit höherem sozialem Status dies eher gelingt.
Da eine „monokausalen Erklärung“ (ebd., S.194) aufgrund der verschiedenen Ursachenbündel die auf einen Studienabbruch einwirken wenig sinnvoll ist, führt Georg (2008) eine Mehrebenenanalyse durch, welche er anhand der Daten des Konstanzer Studierendensurveys mit dem Ziel durchführt, individuelle und institutionelle Ursachen der Studienabbruchsneigung gleichzeitig zu untersuchen (vgl. ebd., S. 197). In drei Modellen werden die Leistungsnormen, die Transparenz, die Beratungs- und didaktische Lehrqualität bezüglich der Studienabbruchsneigung untersucht. Auf individueller Seite ist es eine geringere Bindung (Commitment) an das Studium oder Studienfach, auf institutioneller Seite die didaktische Lehrqualität (vgl. ebd., S. 199), die begünstigend auf einen potentiellen Studienabbruch wirken. Außerdem wurde der Einfluss der Lehrqualität auf die soziale Herkunft untersucht, wobei nur ein geringer positiver Effekt der Lehrqualität erkannt werden konnte.
Müller und Schneider (2013) gehen in ihrer Studie besonders auf den Einfluss der Bildungsvorerfahrungen der Studierenden und der sozialen Herkunft ein. Des Weitern unterscheiden sie die Ursachen eines Studienabbruchs im Hinblick auf die Hochschulart. Auch auf die Veränderung des Einflusses der verschiedenen Faktoren in Bezug auf die Studiendauer wird eingegangen. In acht Hypothesen werden diese Hauptpunkte differenziert ausformuliert und überprüft. Die Bildungsvorerfahrungen haben nach Müller und Schneider (2013) einen signifikanten Einfluss auf die Abbruchneigung, wodurch Studierende die den üblichen Bildungsweg über das Gymnasium durchlaufen haben eine geringere Neigung aufweisen abzubrechen (vgl. Müller & Schneider, 2013, S. 230). Wurde vor Studienbeginn eine Ausbildung abgeschlossen, so erhöht sich die Abbruchneigung, vor allem aufgrund des fehlenden praktischen Bezugs (vgl. ebd.). Dieser ist an einer Fachhochschule eher geboten als an einer Universität was für Studierende, die nicht den üblichen Bildungsweg durchlaufen haben, einen besseren Anschluss ermöglicht, womit eine geringere Abbruchneigung einher geht (vgl. ebd.). Der Studienabbruch erweist sich für die Universität als sozial selektiv, jedoch gilt dies nicht für die Fachhochschule (vgl. ebd.). So hat der Bildungshintergrund der Eltern zwar direkt keinen Einfluss, jedoch beenden Studierende mit einem höheren sozialen Status ihr Studium häufiger, da sie auf elterliche Ressourcen zurückgreifen können oder bei Abbruch einen Statusverlust erleiden würden. Die Studiendauer wirkt sich positiv auf die Abbruchneigung aus, da sich besonders der Einfluss des vorausgehenden Bildungswegs mit zunehmender Studiendauer verringert.
Die beiden behandelten Artikel unterscheiden sich gänzlich bezüglich der Ausgangslage wie auch der Untersuchungsansätze. Während sich die Studie nach Müller und Schneider (2013) auf die tatsächliche Studienabbruchsquote bezieht und sich auf Daten des NEPS beruft, baut Georg (2008) seine Studie auf den Daten des Konstanzer Studierendensurveys auf, wobei nicht die Daten des Studienabbruchs, sondern die der Abbruchsneigung der Studierenden erhoben werden. Wie Georg (2008) selbst betont, besteht dahingehend ein großer Unterschied, da zwischen der bloßen Neigung zu einer bestimmten Handlung und der tatsächlichen Ausführung dieser nicht zwangsläufig ein fester Zusammenhang zu bestehen hat (vgl. ebd., S. 202). Dies gilt besonders, wenn es sich, wie bei einem Studienabbruch um einen bedeutenden biografischen Einschnitt handelt. In Anbetracht dessen ist unklar, ob die Ergebnisse der Studie überhaupt Aufschluss über die tatsächlichen Gründe eines Studienabbruchs liefern können.
Der Fokus der beiden Artikel richtet sich ebenfalls auf unterschiedliche Aspekte. Müller und Schneider (2013) unterscheiden in ihrer Faktorenanalyse hauptsächlich zwischen der Universität und der Fachhochschule und untersuchen dahingehend vor allem die Wirkung der sozialen Herkunft und des vorherigen Bildungsweges. Diese Unterscheidung scheint aufgrund des so geteilten deutschen Hochschulsystems durchaus sinnvoll, jedoch werden viele Faktoren die auf unterschiedliche Weise zu einem Studienabbruch führen außer Acht gelassen. Es wird ausschließlich auf die soziale Herkunft eingegangen, die anhand des Bildungsstandes der Eltern ermittelt wurde. Andere Faktoren welche zu einer sozialen Ungleichheit des Studienabbruchs führen, wie zum Beispiel der Migrationshintergrund oder das Geschlecht werden missachtet. Des Weiteren wird nicht besonders auf die Unterscheidung von institutionellen und individuellen Faktoren eingegangen, sondern nur auf den kompensierenden Effekt der Studiendauer bezüglich der vorherigen Bildungserfahrung. Eine Unterscheidung in Fächergruppen und die Beachtung weiterer institutioneller Eigenschaften würde ein umfassenderes Ergebnis liefern.
Auch bei Georg (2008) wird die soziale Herkunft zwar in zwei von drei Modellen einbezogen, jedoch wird der sozialen Herkunft in der Ausführung der Ergebnisse keine besondere Beachtung mehr geschenkt. Diese besondere Behandlung der sozialen Herkunft lässt jedoch die Ausführung des theoretischen Hintergrundes vermuten, die sich auf die Theorien von Durkheim und Bourdieu stützt, in denen es um den Effekt der sozialen Herkunft geht. Ein Bezug des theoretischen Hintergrundes zu den Ergebnissen lässt sich dahingehend finden, als dass mangelndes Commitment bezüglich dem Studium oder Studienfach als Ursache möglichen Abbruchs betrachtet wird. Die Ergebnisse gehen somit mit der Theorie von Durkheim und Bourdieu einher. Während sich Durkheim aber auf die Integration in das akademische und soziale Hochschulsystem bezieht, findet bei Georg (2008) dahingehend keine Unterscheidung statt. Die fehlende Bindung an das Studium wird nur allgemein gefasst, wobei individuelle Faktoren neben Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit, die einen geringen Einfluss aufweisen nicht Teil des Modells sind.
Ein Vergleich der beiden Artikel lässt sich nur in Bezug auf die Unterschiede vollziehen, wobei beide Artikel sich auf unterschiedliche Datenlagen und unterschiedlichen Untersuchungsgegenstände beziehen. Die Studie von Georg (2008) umfasst vielfältigere Einflussfaktoren, besonders auf institutioneller Ebene, wodurch man sich bei Maßnahmen zur Senkung der Abbruchquote eher auf die Ergebnisse dieses Textes stützen kann.
Recherche
Blüthmann, I., Lepa, S. & Thiel, F. (2008). Studienabbruch und – wechsel in den neuen Bachelorstudiengängen. Untersuchung und Analyse von Abbruchgründen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 11, 406 – 429.
Dieser Artikel erscheint als Ergänzung des Essays sinnvoll, da differenziert auf die Eingangsvoraussetzungen und deren Einfluss auf das Studier- und Lernverhalten im Zusammenspiel mit den Studienbedingungen und weiteren Kontextfaktoren eingegangen wird. Bildungsvorerfahrungen und institutionelle Faktoren werden in ihrem Einfluss also in direkten Zusammenhang gestellt.
Literaturangaben
Georg,W. (2008). Individuelle und institutionelle Faktoren der Bereitschaft zum Studienabbruch – eine Mehrebenenanalyse mit Daten des Konstanzer Studierendensurveys . Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 28, 191 – 206.
Schneider, T. & Müller, S. (2013). Educational pathways and dropout from higher education in Germany. Longitudinal and Life Course Studies 4, 218 – 241.
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- Arbeit zitieren
- Neema Li (Autor:in), 2015, Soziale Herkunft und Studienabbruch. Empirische Ergebnisse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/366530