Ein Blick auf Antonovskys Modell der Salutogenese lohnt sich unter der Sport-Perspektive besonders auch deswegen, weil er mit diesem Modell einen Schritt vollzogen hat, der für alle Aspekte von Gesundheit, so auch dem präventiven und rehabilitativen (Gesundheits-) Sport von großer Bedeutung ist: Er lenkt unseren Blick weg von der rein krankheitsbezogenen Betrachtung hin zu den Mechanismen der Gesunderhaltung bzw. der Gesundwerdung und plädiert somit indirekt für eine integrierende (oder integrierte) Perspektive auf die Gesunderhaltungsprozesse des Menschen, die besonders unter Berücksichtigung der Körper-Geist-Seele Einheit im Sport einen geeigneten Motor finden.
Inhalt
1 Einleitung
2 Aaron Antonovsky – eine biographische Skizze
3 Entstehungshintergrund
3.1 Kritik am System der Gesundheitsversorgung
3.2 Krankheit versus Gesundheit?
3.3 Entwicklung eines biopsychosozialen Krankheitsmodells
3.4 Veränderungen in Prävention und Gesundheitsförderung
4 Das Konzept der Salutogenese
4.1 Das Kohärenzgefühl
4.2 Generalisierte Widerstandsressourcen
4.3 Stressoren und Spannungszustände
4.4 Der Zusammenhang zwischen den Bausteinen
5 Einordnung des Salutogenese-Modells
6 Literatur
1 Einleitung
Es ist schwerlich zu übersehen, dass es allerorts Bemühungen gibt, „Gesundheit“ zu erlangen, zu erhalten oder dieses bei anderen zu erreichen. Gerade in einer Zeit, in der man den Eindruck haben mag, dass sich die „Krankheit“ in eben dem Maße, in dem die (Schul-) Medizin auf den einen Seite reihenweise Erfolge zu feiern meint, auf der anderen Seite wieder in neuen Formen „ihr“ Terrain zurückfordert. Nun mag jeder für sich definieren, was Gesundheit (für ihn selbst) bedeutet. Und in der Tat scheint es eine Vielzahl bisher noch nicht untersuchter oder „wissenschaftlich“ begründbarer Wege zu „Gesundheit“ zu geben. In dieser Arbeit soll ein kurzer Blick auf Aaron Antonovskys Modell der Salutogenese geworfen werden, um lediglich einen Versuch der Beschreibung solcher Wege herauszugreifen. Auch wenn in diesem Modell der Aspekt des Sports keine Rolle spielt, lohnt es dennoch, sich mit diesem Modell zu befassen, denn Antonovsky hat mit der Salutogenese, einen Schritt vollzogen, der für alle Aspekte von Gesundheit, so auch dem präventiven und rehabilitativen (Gesundheits-) Sport von großer Bedeutung sein kann. Er lenkt unseren Blick weg von der rein krankheitsbezogenen Betrachtung hin zu den Mechanismen der Gesunderhaltung bzw. der Gesundwerdung. Er beleuchtet die Salutogenese (Salus, lat.: Unverletztheit, Heil, Glück; Genese, griech.: Entstehung) zwar unter primär psychologischen Gesichtspunkten, der Ansatz jedoch lässt sich ebenso gut auf eine sportliche oder besser integrierende (oder integrierte) Perspektive übertragen. Eine umfassende Betrachtung lässt sich im Rahmen dieser Arbeit leider nicht realisieren, einen Überblick kann sie aber sehr wohl liefern.
Zunächst soll Aaron Antonovsky selbst in einem ersten Schritt kurz vorgestellt werden, bevor in einem zweiten, ebenfalls kurz, auf den Entstehungshintergrund eingegangen wird. Der nächste Schritt wird dann ein Abriss des Salutogenese-Konzepts sein, gefolgt von einer abschließenden Einordnung.
2 Aaron Antonovsky – eine biographische Skizze
Geboren wurde Aaron Antonovsky in Brooklyn im Jahre 1923. Dort besuchte er auch das Brooklyn-College, um dann zum Wirtschafts- und Geschichtsstudium an die Yale-Universität zu wechseln. Nach einer Unterbrechung durch den Militärdienst im zweitem Weltkrieg kam er mit der Medizinsoziologie und der Stressforschung in Kontakt (Franke in Antonovsky, 1997). An der Abteilung für Soziologie der Yale-Universität schloss er 1955 sein Studium mit dem Grad des
Ph. D. (mit dem deutschen Doktortitel vergleichbar) ab. Nach etwa fünf Jahren Lehrtätigkeit u.a. am Brooklyn-College und der Universität Teheran emigrierte er gemeinsam mit seiner Frau nach Israel und nahm eine Stelle am Institut für Angewandte Sozialforschung in Jerusalem an (Bengel, Strittmatter & Willmann, 2001). Nach Bengel, Strittmatter und Willmann (2001) kam Antonovsky erst hier „eher zufällig“ mit der Medizinsoziologie in Kontakt. Dabei ist es von Interesse, dass er in Jerusalem „an verschiedenen Forschungsprojekten zum Zusammenhang von Stressfaktoren und Gesundheit bzw. Krankheit“ (Bengel et al., 2001) mitgearbeitet hat und hier sicherlich auch mit dem Stressmodell von Lazarus (1966) und anderen, ähnlichen Modellen (z.B. Bandura, 1977, 1982) in Berührung kam. Die Grundzüge dieses Stressmodells und die Ergebnisse einer Untersuchung an Frauen sind augenscheinlich zwei der wesentlichen Eckpunkte für die Überlegungen, die Antonovsky in der Folge anstellte und die schließlich in dem Konzept der Salutogenese mündeten. Diese „Untersuchung an Frauen verschiedener ethnischer Gruppen über die Auswirkungen der Wechseljahre“ (Bengel et al., 2001) zeigt ein wesentliches Moment auf. Und zwar waren einige der Frauen in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Sie zeigten auch, wie erwartet, eine stärkere gesundheitliche Belastung als die Gruppe von Frauen, die diese Erlebnisse nicht teilen mussten. Jedoch, und das war das Bemerkenswerte, berichteten 29% (!) der ehemalig Inhaftierten über eine relativ gute psychische Gesundheit. „Die Daten zur physischen Gesundheit erzählen dieselbe Geschichte“ (Antonovsky, 1997, S. 15). Und an dieser Stelle erfolgte der Perspektivwechsel, denn „dass sie es geschafft hatten, ihr leben neu aufzubauen, empfand er als Wunder – und der Erforschung dieses Wunders, des Wunders des Gesundbleibens, widmete er von da an seine Arbeit und sein Engagement“ (Franke in Antonovsky, 1997, S.13).
Neben dieser Forschungsarbeit half er beim Aufbau einer gemeindeorientierten medizinischen Fakultät an der Ben-Gurion-Universität in Israel; er übernahm noch zwei Gastprofessuren in den USA in den Jahren 1977/78 und 1983/84 und starb im Jahre 1994 71jährig in Beer-Sheba (Israel).
3 Entstehungshintergrund
Die folgende Darstellung lehnt sich u.a. aufgrund des Mangel an entsprechender Literatur stark an die Ausführungen von Bengel et al. (2001) an und fasst diese in den wesentliche Kernaussagen zusammen. So stellen Bengel et al. (2001, S. 14) fest, dass „das Modell der Salutogenese und die Thesen von Antonovsky nur zu verstehen sind, wenn man sie vor dem Hintergrund der Entwicklungen und Strömungen in der Gesundheitsversorgung und in den Gesundheitswissenschaften der letzten 50 Jahre betrachtet und interpretiert.“ Es werden dabei vier Aspekte herausgehoben, die nun folgend nacheinander skizziert werden sollen.
3.1 Kritik am System der Gesundheitsversorgung
Die Gesundheitsversorgung oder besser: die Krankheitsbehandlung unseres Systems ist gekennzeichnet durch eine pathogenetische Betrachtungsweise. Wobei allerdings ergänzt werden muss, dass schon Anzeichen einer Veränderung hinsichtlich einer Hinwendung zu umfassenderen Betrachtungsweise zu erkennen sind. Gesundheit mutiert zu einem Thema von breitem, öffentlichen Interesse. Dennoch galt dies noch viel weniger in der Entstehungszeit der Salutogenese. Im Mittelpunkt der pathogenetischen Betrachtungsweise stehen die Krankheitssymptome, also allgemein die Beschwerden der Menschen bzw. Patienten. Die primäre Orientierung der Ziele des sog. Gesundheitssystems beziehen sich auf die Beseitigung der Symptome und Beschwerden, allgemein auf die Beseitigung von Krankheit. Dabei wird, und das ist der Kernpunkt fast jeder Kritik, der Mensch als Person und in seiner „Ganzheitlichkeit“ bei immer stärker fortschreitender Technisierung immer mehr vernachlässigt. Die Forderung, die hinter der Kritik steht, ist, dass ergänzend zu den notwendigen organmedizinischen Befunden den bedeutsamen psychosozialen Aspekten (wieder) besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Diese Forderung ist natürlich auch der viel umfassenderen Diskussion um die Begriffe Krankheit und Gesundheit geschuldet. Dieser Frage wird im nächsten Punkt nachgegangen.
3.2 Krankheit versus Gesundheit?
Bengel et al. (2001) weisen darauf hin, dass die Begriffe Gesundheit und Krankheit nur „auf den ersten Blick“ als eindeutig definiert erscheinen. Dies scheint um so selbstverständlicher, weil die Begriffe in der Regel vor den eigenen, subjektiven Wertungs- und Erfahrungshintergrund verwendet werden. Diese subjektiven Assoziationen sind auf der einen Seite für den Einzelnen relativ klar definierten Vorstellungen unterworfen, auf der anderen Seite differieren sie in der Regel aber nicht so stark, dass die Unterschiede in und Probleme mit den Begrifflichkeiten sofort zutage treten. Schaut man sich diese „subjektiven Vorstellungen“ (Bengel et al., 2001, S. 15) von bzw. über Gesundheit und Krankheit genauer an, so trifft man durchaus auf sehr große und vor allem auf die „subjektive Befindlichkeit und auf das gesundheitsbezogene Verhalten des Einzelnen“ (Bengel et al., 2001, S. 15) wirkende Differenzen.
Vor diesem Hintergrund wird Gesundheit bzw. Krankheit aber nicht nur individuell unterschiedlich definiert, sondern es gibt auch immer eine Art „gesellschaftlichen Konsens“. Einen Konsens dergestalt, dass sich in ihm das widerspiegelt, was allgemein „als Mittel angemessen und für die Wiederherstellung, für den Erhalt und die Förderung von Gesundheit als notwendig angesehen“ (Bengel et al., 2001, S. 15) wird. Dabei können drei Arten von Gesundheitsnormen unterschieden werden: (1) eine Idealnorm wie sie z.B. die WHO (1948) mit einem „Zustand des vollkommenen psychischen und physischen Gleichgewichts“ beschrieben hat, wobei solche „absoluten“ Zustände prinzipiell nicht zu erreichen sind; (2) die statistischen Normen von Gesundheit, welche durch die Auftretenswahrscheinlichkeit bestimmt wird, d.h. es wird das als gesund definiert, was auf die Mehrzahl der Menschen zutrifft; (3) die funktionale Gesundheitsnorm, welche sich daran orientiert, „ob eine Person in der Lage ist, die durch ihre sozialen Rollen gegebenen Rollen zu erfüllen“ (Bengel et al., 2001, S.16). Unter dem Strich bleibt, dass die individuelle Gesundheit immer an einem äußeren Maß gemessen wird, welches für den Einzelnen durchaus nicht passend sein muss.
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- Quote paper
- Sebastian Rosenkranz (Author), 2004, Ein außersportliches Modell der 80er Jahre: Salutogenese nach Antonovsky. Zur Geschichte eines integrativen Modells, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36537
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