Einleitung (gekürzt)
Ein wichtiges Ziel in der Begleitung Jugendlicher mit besonderen Bedürfnissen in einer geschützten Institution ist der erfolgreiche Ausbildungsabschluss. Jugendliche befinden sich in diesem Alter in einer unangenehmen Zwickmühle, da sie einerseits auf eine wenig erfolgreiche Schulkarriere - in der Regel mit Sonderbeschulung – zurückblicken, und da sie andrerseits wegen mangelnder schulischer Qualifikationen sehr beschränkte Berufsaussichten haben.
Das Ziel dieser Arbeit ist geeignete "Positiv Psychologische Interventionen" aufbauend auf theoretischen Grundlagen und empirischen Erkenntnissen für einzelne Fälle derselben Zielgruppe ("schlechte Schul-Performer") zu finden und in den Coaching-Prozess einzubauen. Idealerweise sollen so die Ressourcen besser ausgeschöpft, die Kompetenzen erhöht und nicht zuletzt die Zufriedenheit und das Wohlbefinden von betroffenen Jugendlichen verbessert werden.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Beeinträchtigungen bei Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen
2.1 Intellektuelle Beeinträchtigungen
2.2 Lernbehinderung
3 Positive Psychologie und Coaching
4 Coaching und Integration
5 Positive Psychologie und Positiv Psychologische Interventionen (PPI)
5.1 Wann ist eine Intervention "Positiv Psychologisch"?
5.2 Der Nachweis der Wirksamkeit
5.2.1 Lebenszufriedenheit
5.2.2 Wohlbefinden
6 Methodisches
6.1 Die Coachees
6.2 Vorgehen und Instrumente
6.2.1 Ergänzungen zur Anwendung Fragebogen FLZ
6.2.2 Ergänzungen zur Anwendung Fragebogen MDBF
6.2.3 Weitere Ergänzungen zu den verwendeten Methoden
6.3 Anwendung der PPI im Coaching-Prozess
6.4 Weiterführende Ansätze von Interventionen
7 Kriterien und Anwendung "valider" Interventionen aus der Literatur
7.1 Verhaltensauffälligkeiten
7.2 Intellektuelle & entwicklungsbedingte Einschränkungen
8. Die Fallstudien
8.1 Fallstudie 1
8.1.1 Ausgangslage
8.1.2 Umsetzung der PPI
8.1.3 Zusammenfassender Coaching-Verlauf
8.2 Fallstudie 2
8.2.1 Ausgangslage
8.2.2 Umsetzung der PPI
8.2.3 Zusammenfassender Coaching-Verlauf
8.3 Fallstudie 3
8.3.1 Ausgangslage
8.3.2 Umsetzung der PPI
8.3.3 Zusammenfassender Coaching-Verlauf
8.4 Fallstudie 4
8.4.1 Ausgangslage
8.4.2 Umsetzung der PPI
8.4.3 Zusammenfassender Coaching-Verlauf
8.5 Fallstudie 5
8.5.1 Ausgangslage
8.5.2 Umsetzung der PPI
8.5.3 Zusammenfassender Coaching-Verlauf
8.6 Fallstudie 6
8.6.1 Ausgangslage
8.6.2 Umsetzung der PPI
8.6.3 Zusammenfassender Coaching-Verlauf
9 Der PPI "Umsetzungserfolg" im Coaching-Prozess
10 Ergebnisse
11 Diskussion und Interpretation
11.1 FLZ-Ergebnisse
11.2 MDBF-Ergebnisse
11.3 Coaching-Verlauf
12 Schlussfolgerungen
12.1 Anpassungsempfehlungen evidenzbasierter PPI
12.2 Anwendungsempfehlungen
13 Ausblick
14 Danksagung
15 Literaturverzeichnis
Anhang 1
Anhang 2
Anhang 3A
Anhang 3B
Zusammenfassung
Diese Projektarbeit befasst sich mit der praktischen Anwendung von Positiv Psychologischen Interventionen im Coachingprozess von jungen Menschen mit einschränkungsbedingt besonderen Bedürfnissen während der Berufsausbildung. Es werden sechs Fallstudien und deren Coaching-Verlauf ausführlich beschrieben. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die individuelle, spezifische und fallbezogene Anwendung geprüfter evidenzbasierter Interventionen und eine geeignete Protokollierung sowohl der Ausgangssituation als auch der Veränderungsschritte gerichtet. Der Coaching-Verlauf zeigt Chancen und Schwierigkeiten auf, mit denen während der Implementierung gerechnet werden muss. Etwa 20% der Interventionen der ursprünglichen Interventionspläne konnten umgesetzt werden, und die Veränderungen der Positiv Psychologischen Zielvariablen waren mit Einschränkungen dokumentierbar. Anwendung und Dokumentation setzen eine verhältnismässig grosse Kenntnis und methodische Flexibilität auf Seiten des Coaches voraus. Die praktische Anwendung evidenzbasierter RCT-Studien und die Erfassung unabhängiger Positiv Psychologischer Zielvariablen im Coaching-Prozess sind empfehlenswert. Sie setzen aber voraus, dass fallbedingt beträchtliche Anpassungen vorgenommen werden, und ihre Anwendung kann bedeuten, dass die angepassten Positiv Psychologischen Interventionen unter Umständen hohen Standards wissenschaftlicher Prüfkriterien nicht Stand zu halten vermögen. Mit dem gezielten Einsatz von Positiv Psychologischen Interventionen im Coaching-Prozess von beeinträchtigten Jugendlichen im Sinne von einer best practice-Methode stellt sich eine Reihe von Nebeneffekten ein, die dem Coachee und dem Unterstützersystem zuträglich ist: die Planung gewinnt an Struktur, Klarheit und Nachvollziehbarkeit. Aus Coaching-Perspektive kristallisierten sich durch die Anwendung Positiv Psychologischer Interventionen im hier vorgestellten Kontext zwei Aspekte heraus, die in zukünftigen Projekten grössere Beachtung verdienen: eine geeignete Unterstützung des Bezugspersonensystems und die Stärkung der Selbstwirksamkeit der Coachees.
1 Einleitung
Ein wichtiges Ziel in der Begleitung Jugendlicher mit besonderen Bedürfnissen in einer geschützten Institution ist der erfolgreiche Ausbildungsabschluss. Jugendliche befinden sich in diesem Alter in einer unangenehmen Zwickmühle, da sie einerseits auf eine wenig erfolgreiche Schulkarriere - in der Regel mit Sonderbeschulung – zurückblicken, und da sie andrerseits wegen mangelnder schulischer Qualifikationen sehr beschränkte Berufsaussichten haben. Im schweizerischen Bildungssystem führt dies standardmässig zu einem "Berufsfindungsjahr", in dem aus einer Palette von Berufen des handwerklichen und des Dienstleistungs-Sektors eine Berufsausbildung gewählt wird.
Die Berufsorientierung hat während der Schulzeit oder während des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung statt zu finden und ist ein äusserst heikler Prozess (z.B. Schellenberg & Hofmann, 2012; Stein, 2004) insb. für Jugendliche mit schul- und ausbildungsrelevanten Beeinträchtigungen. In einer internen Befragung in einer geschützten Institution im Kanton Zürich im Jahr 2015 wurde die Berufsausbildung mit ihrer Schlussprüfung durch die Jugendlichen selbst als ein wesentlicher Stressfaktor bezeichnet.
Im schweizerischen Rechtssystem gibt es keine gesetzliche Regelung für die Integration von "Minderleistungsfähigen" in den allgemeinen Arbeitsmarkt oder einen Rechtsanspruch für "Supported Employment" (SE, zusammenfassend Schaufelberger, 2013, S. 50-61), was bedeutet, dass die Integrationsarbeit betreffend Finanzierung, Betreuungsdauer, Betreuungsintensität und realisierbarer Anschlusslösung individuell festzulegen und zu koordinieren ist.
Die Beschäftigung in Form eines Arbeitsplatzes ist allgemein als Ziel jedes Arbeitswilligen anerkannt (Gerhardt, Garcia & Foglia, 2014, S. 170). Im Zuge des Bestrebens der verstärkten Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in ihrer Lebensgemeinschaft in den letzten Jahrzehnten wuchs auch der Integrationsversuch in den allgemeinen Arbeitsmarkt mit individuellem Leistungslohn: in ihrer bisher ausgereiftesten Form sind diese Bemühungen als SE bereits fester Bestandteil der Ausbildung in zahlreichen Industrienationen (Rückschau und Übersicht in Wehman, Brooke, Lau & Targett, 2014, S. 338ff.). Es liegen allerdings verhältnismässig wenige Studien vor, die sich mit dem längerfristigen vermeintlich positiven Effekt der Integration beschäftigen (s. etwa Gold, Macias & Rodican, 2014; Wehman et al., 2012; Wehman et al., 2016). Aus volkswirtschaftlicher Perspektive wird eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt jedenfalls als erstrebenswert betrachtet und aus sozialversicherungspolitischer Perspektive ist eine rententangierende oder sogar -befreite Integration anzustreben. Da eine Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt mit einer Erhöhung der finanziellen Unabhängigkeit und daher der Selbständigkeit des Individuums innerhalb der Gesellschaft praktisch gleichgesetzt wird (vgl. etwa Schaufelberger, 2013), sollte aus gesellschaftspolitischer Perspektive ein beträchtliches Interesse bestehen, geeignete konstruktive Mittel zur Stärkung Selbständigkeit fördernder Methoden einzusetzen. Das Fundament der Positiven Psychologie mit seinen drei Säulen (s. 6 Methodisches) baut im Wesentlichen auf dieser "Selbständigkeitserklärung" des Individuums auf und scheint daher grundsätzlich geeignet um die individuelle Selbständigkeit zu fördern. Es wird sozusagen implizit vorausgesetzt, dass eine Erhöhung der Selbständigkeit mit einer Erhöhung der beruflichen und lebenspraktischen Wahlmöglichkeiten, und diese wiederum beispielsweise mit einer Erhöhung der Lebenszufriedenheit einhergehen kann.
Das Ziel dieser Arbeit ist folglich geeignete "Positiv Psychologische Interventionen" aufbauend auf theoretischen Grundlagen und empirischen Erkenntnissen für einzelne Fälle derselben Zielgruppe ("schlechte Schul-Performer") zu finden und in den Coaching-Prozess einzubauen. Idealerweise sollen so die Ressourcen besser ausgeschöpft, die Kompetenzen erhöht und nicht zuletzt die Zufriedenheit und das Wohlbefinden der Jugendlichen verbessert werden.
2 Beeinträchtigungen bei Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen
2.1 Intellektuelle Beeinträchtigungen
Auf eine eingehende Diskussion der Literatur von Beeinträchtigungsdefinitionen wird verzichtet, da die Definitionen und Unterscheidungen der einzelnen Beeinträchtigungen im Rahmen dieses Projekts nicht relevant sind: alle Probanden ("Coachees") sind in ihrer "schulischen Funktionalität" stark bis schwach beeinträchtigt und ihre spezifischen Schwächen werden im 4-Fronten-Ansatz (s. 6.) zusammengefasst vorgestellt.
Die Geschichte der Entwicklung von Definitionen und ihre heutigen "Definitions-Perspektiven" werden von Harris und Greenspan (2016) zusammengefasst - insb. vor dem Hintergrund der International Classification of Functioning (ICF), der International Classification of Diseases (ICD) und des Diagnostic and Statistical Manual of Disorders (DSM). Es ist in diesem Kontext lediglich hervorzuheben, dass im Gegensatz zu früheren Definitionsansätzen heute die Schwere der Beeinträchtigung nicht mehr nur auf dem gemessenen IQ-Wert basiert (Fuchs, Mock, Morgan & Young, 2003), sondern auf der "severity of adaptive functioning in conceptual, social, and practical domains as noted in Table 1 in DSM-5" (Harris & Greenspan, 2016, S. 19). Das "adaptive Funktionieren" ist also in den Fokus gerückt. In der Praxis bestehen bestehen bereits Bestrebungen Kinder und Jugendliche mit "Lern- und Verhaltensschwierigkeiten" beispielsweise mit einem "response to intervention"-Test (s. Grosche & Volpe, 2013) zu screenen und so ihren Anspruch auf Abklärung zu prüfen. Die entscheidende Frage für die Praxis bleibt, ob eine integrierte oder eine nicht-integrierte Schulförderung im Einzelfall angezeigt ist.
Im Kontext dieses Projekt ist letzterer Ansatz deswegen interessant, weil er eine "Praxis-Perspektive" annimmt und die Unterschiede zwischen Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten nicht berücksichtigt, sondern auf das adaptive Funktionieren im Schulsetting abstellt: schlicht ausgedrückt bedarf "das Funktionieren des kognitiven Problemlösens" der Beachtung und Förderung – egal welchen defizitären Ursprungs. Eine Lernbeeinträchtigung (Lernbehinderung oder grenzwertige Intelligenz nach ICD-10) soll in diesem Sinne nicht als Diagnose verstanden werden, sondern als grobe Charakterisierung einer Zielgruppe, die sich dem schulisch-adaptiven Funktionieren teilweise widersetzt. Es ist daher angezeigt sich auch im Falle einer Verhaltensauffälligkeit mit dem zu Grunde liegenden kognitiven Defizit zu beschäftigen (s. auch 7.1).
2.2 Lernbehinderung
Die Störungen, die unter dem Begriff der "Lernbehinderung" zusammengefasst werden, sind vielfältiger Natur, von Lernschwierigkeiten zu unterscheiden und nur teils neurobiologisch erklärbar (s. z.B. Förstl, Hautzinger & Roth, 2006, S. 356). Der Begriff der Lernbehinderung unterliegt auch aus psychologischer Sicht nach Nestler (2007, S. 28) "definitorischen Schwächen" und entspricht nicht den "gängigen Klassifikationssystemen psychischer Störungen". Insofern kann diese sehr heterogene Gruppe Jugendlicher nur mit einer Aussensicht als homogen bezeichnet werden: diese jungen Menschen verbindet m.E. letztlich, dass sie am schulischen Massstab gemessen in Leistung und Belastbarkeit unterdurchschnittlich "performen" und so können sie im weitesten Sinne als "geistig beeinträchtigt" bezeichnet werden. Nestler (2007) hat sich intensiv mit dieser Zielgruppe beschäftigt und vertritt in ihrer empirischen Arbeit den Standpunkt, dass eine präventive Förderung psychosozialer Kompetenzen mit gezielter Intervention die Schwierigkeiten der Berufseingliederung verringern kann. Nestler (2007) sieht emotionale Probleme und Verhaltensauffälligkeiten als grundlegende Schwächen bei Lernbehinderungen.
3 Positive Psychologie und Coaching
Die Erkennung möglicher Defizite und vorhandener kognitiver Schwächen ist ein notwendiger Schritt auch im Prozess der Stärkenorientierung (Magyar-Moe, 2009, S. 15ff. und 36ff., s. 6.2: "4-Fronten-Ansatz"). Das Wirken der Positiven Psychologie setzt auf die Aktivierung individueller positiver Emotionen, den Aufbau individueller Charakterstärken und die Konsolidierung Positiver Institutionen ("3 Säulen", s. z.B. Peterson, 2006; Ruch & Proyer, 2011a), wenn auch negative Kräfte nachweislich einen "stärkeren Einfluss" ausüben ("schlecht ist stärker als gut", denn auf "schlecht" wird "heftiger reagiert" als auf "gut"; s. Anderson, 2015; Haidt, 2002; s. auch R. S. Lazarus in Peterson, 2006, S. 340; Rashid, 2008, S. 187ff.; insb. Sparks & Baumeister, 2008, S. 56ff. und 73f.). Positive Emotionen können aber selbst stressvolle Erlebnisse soz. modifizieren und einen konstruktiv-adaptiven Mechanismus anregen, der sich auf andere Lebensbereiche positiv auswirken kann (z.B. Fredrickson, 2004; Kok, Catalino & Fredrickson, 2008, S. 17). Aufbauend auf der Evaluation von Charakterstärken können Signaturstärken des Individuums und Tugenden ermittelt werden, deren "Kultivierung" ebenfalls einen aufbauenden Effekt haben können (Sin & Lyubomirksy, 2009). Cohn und Fredrickson (2010) berichten von einem erstaunlich langanhaltenden Effekt von 15 Monaten.
Analog zu diesen Erkenntnissen findet man, dass gerade bei Jugendlichen mit Einschränkungen sog. "soft skills" oder "Sozialkompetenzen" in der Berufsorientierung, -ausbildung und -ausübung zentrale Ressourcen darstellen (s. z.B. Schaufelberger, 2013, S. 89; Schellenberg & Hofmannn, 2012, S. 15), weshalb gerade der gezielte Aufbau von nicht-berufsspezifischen Kompetenzen mit geeigneten Methoden sinnvoll und sogar erfolgsentscheidend sein kann für Ausbildung und Integration. Dem gegenüber finden die "drei Säulen der Positiven Psychologie" bisher in der Integrationsplanung nur eine punktuelle Berücksichtigung und dies ohne explizite Referenz zur Positiven Psychologie.
Die Positive Psychologie hat also im Bereich der Berufsausbildung von Beeinträchtigten noch keine weitverbreitete Anwendung gefunden, und es existieren verhältnismässig wenige Studien (s. Shogren, Lopez, Wehmeyer, Little & Pressgrove, 2006; Shogren, 2014; Soresi, Notta, Ferrari & Sgaramella, 2014). Auf der einen Seite mag das daran liegen, dass "Einschränkungen" keine systematische Einheit bilden: wie soll auf Grund der Abwesenheit einer Funktion (z.B. Schulschwäche) eine sinnvolle Definition für eine Zielpopulation erfolgen? Auf der anderen Seite mag die Positive Psychologie den Nachweis schuldig geblieben sein, dass ihre Interventionen anderen Interventionsformen tatsächlich überlegen sind (s. Cummins, 2014, S. 523, "homeostasis defeat"). Definiert man aber mit Wehmeyer und Shogren (2014, S. 175) "Positive Psychologie" etwas allgemeiner als "Bestreben optimales menschliches Verhalten und Wohlbefinden zu erwirken" (übers.), und ist man gewillt Beeinträchtigung nicht bloss als "nichtgenügend" oder "disfunktional" zu verstehen, so löst sich der scheinbare Widerspruch insb. unter stärkerer Mitberücksichtigung des "learning environments" (i.S.v. Parmenter, Harman, Yazbeck & Riches, 2007, S. 720) auf. Wehmeyer und Shogren (2014, S. 184f.) finden aus positiv-psychologischer Perspektive neben dem SE-Ansatz Argumente für zwei weitere best practice- Ansätze: die positive Verhaltensunterstützung (insb. bei Verhaltensauffälligkeit, "Positive Behavior Support" (PBS), s. McClean & Grey, 2007) und das selbstregulierte Lernen (insb. bei geistiger Beeinträchtigung, "Self-Regulated Learning": z.B. die Erarbeitung von Problemlöse-Strategien oder Entscheidungsfindungen, s. Anderson & Kazantzis, 2008; Hickson & Khemka, 2014; Nestler & Goldbeck, 2011).
Aus Coaching-Sicht ist die Ausgangssituation – ein Integrationsbestreben des jungen Menschen mit gesundheitlicher Einschränkung und Leistungsbeeinträchtigung in den geschützten oder offenen Arbeitsmarkt stets eine Herausforderung. Die Tatsache, dass jeweils je nach Ausmass der gesundheitlichen Einschränkung und Belastbarkeit ein passender Arbeitsplatz und je nach Leistungsgrad eine entsprechende Entlöhnung gefunden werden muss, bedeutet auch, dass eine relative hohe gegenseitige Abhängigkeit zwischen Coach und Coachee besteht. Durch eine gründliche Auseinandersetzung mit den Stärken (und Schwächen) des Coachees und der begleitenden Kommunikation mit dem Unterstützersystem kann so individuell gezielt begleitet werden. Vorausgesetzt, dass die Entwicklungsfortschritte auf der Beziehungsebene konstruktiv umgesetzt werden können, kann der Coach durch die Strukturierung des Umfeldes grossen Einfluss nehmen und einen wesentlichen Entwicklungsbeitrag gegenüber dem Coachee leisten – insbesondere durch Vermittlung massgeschneiderter Erfolgserlebnisse etwa in Form eines begleiteten Praktikumseinsatzes.
Aus heilpädagogischer Sicht ist die Förderplanung ein zentrales Instrument zur Begleitung beeinträchtigter Jugendlicher: die individuelle Förderplanung der Jugendlichen basiert auf einer interdisziplinären Evaluation der Lernfelder (Luder, Gschwend, Kunz & Diezi-Duplain, 2011). Sie ist daher im Ansatz eher schwächenorientiert, aber stützt sich letztlich natürlich auch auf die Nutzung aller verfügbaren Stärken und Ressourcen. Ein ebenfalls zu berücksichtigender Aspekt bei der Arbeit mit geistig und psychisch beeinträchtigten Jugendlichen in stationären Einrichtungen sind die sog. positiven Wirkfaktoren im sozialpädagogischen Umfeld, in der Motivation und in der Ressourcen-Aktivierung (Baierl, 2008, S. 319; Cassée & Spaanjard, 2009, 141f.; Schmid & Di Bella, 2012, S. 290). Das Verstärken der "Positivität" und des "Erfolgserlebens" (in der Sprache der Positiven Psychologie "P und A" - die Positiven Gedanken / Emotionen und das "PermA-Achievement") sind auch zentrale Themen der Ressourcen-Aktivierung im sozialpädogogischen Umfeld. Neben diesen Wirkfaktoren im sozialpädagogischen Umfeld ist es insb. die "Peer-Interaction", die auch aus positiv-psychologischer Sicht neuerdings vermehrt Beachtung erfahren hat (s. Ganz et al., 2012; Laugeson, Frankel, Gantman, Dillon & Mogil, 2012; Schaefer, Cannella-Malone & Carter, 2016; Watkins et al., 2015). Sie scheint ein wichtiger Erfolgsfaktor bei der Anwendung von Positiv Psychologischen Interventionen (PPI, s. 5) zu sein.
Durch die Orientierung an den Stärken des Coachees und seines Umfelds auch im Bereich der Beeinträchtigungen (s. Buntinx, 2014; Wehmeyer & Shogren, 2008, S. 91f.) liefert das Konzept der Positiven Psychologie durch ihre Interventionen also hervorragende Voraussetzungen (insb. in der Verbindung mit Coaching, s. 4 und Field, 2014) um zumindest massgeschneiderte Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.
4 Coaching und Integration
Es ist nützlich für den begleitenden Coach sich im Kontext des ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) zu vergegenwärtigen, wie tiefgreifend ein Eingriff mittels Interventionen zur individuellen Potenzialentfaltung überhaupt notwendig ist. Mit der absteigenden Schwere der Beeinträchtigung ist eine Begleitung mit folgenden Methoden sinnvoll und rechtfertigbar: medizinisch-psychotherapeutische Therapie (durch eine entsprechend ausgebildete Fachkraft - hierauf wird nicht näher eingegangen); verhaltensorientierte Methoden (s. Kanning, 2015, S. 88-113) und lösungsorientierte Beratung (z.B. Bamberger, 2001; Weber, 2012, S. 38-49). Es sind natürlich auch Kombinationen dieser Begleitformen denkbar (s. z.B. Schlippe & Schweitzer, 2002, S. 147, Schlippe & Schweitzer, 2010). Grundsätzlich hat sich auch bei der Begleitung leicht geistig oder psychisch beeinträchtigter Jugendlicher in der Praxis die methodische Vorgehensweise der Lösungsorientierung (i.S.v. De Shazer, 1997) früh bewährt und durchgesetzt (Fischer-Epe, 2011, S. 58-101). Im Hinblick auf die zu planenden Interventionen sollen auch die im Coaching verwendeten "Kommentarformen der Sozialberatung" eine kurze Erwähnung finden, da sie ein wichtiges Instrument des Coaching-Gesprächs darstellen. Es sind dies die Anmerkung, das Kompliment, die wertschätzende Konnotation, das Reframing (eine Neubewertung) und das Splitting (eine Abtrennung des "Problems" vom "funktionierenden Teil") (s. Bamberger, 2001; Schlippe & Schweitzer, 2002, S. 182, Schlippe & Schweitzer, 2010).
Das ultimative Mass für eine geglückte Integration in die Lebensgemeinschaft ist wie eingangs erwähnt nach heutigem Verständnis die erfolgreiche Ausübung einer Tätigkeit für den Arbeitsmarkt (z.B. Gerhardt et al., 2014, S. 170). Es zählt zu den Hauptaufgaben eines Integrationscoaches die Integration eines beeinträchtigten Arbeitswilligen zu begleiten und mit unterstützenden Massnahmen zu bewerkstelligen. Dabei ist an dieser Stelle zu betonen, dass bei diesem Prozess eine eigentliche "Passung" der Fähigkeiten des Coachees mit den Anforderungen der Arbeitsumgebung und des Jobprofils herzustellen ist (z.B. Schaufelberger, 2013; Schellenberg & Hofmann, 2012; Menchetti & Garcia, 2003; praktische Anleitungen zur Umsetzung in Leach, 2002 und Schaufelberger, 2013, S. 88ff.).
Für den Coach besteht in jedem Fall die Hauptarbeit in der konstruktiven Begleitung des für notwendig erachteten individuellen Veränderungsprozesses – sei es basierend auf einer Förderplanung oder hinsichtlich einem zu erreichenden zunächst abstrakten Teilziel oder Ziel (z.B. "erfolgreicher Lehrabschluss"). Dieser Prozess lässt sich stets in drei Phasen gliedern: Die Bewusst-Werdung einer Veränderung, die Veränderung und die Manifestation dieser Veränderung im Coachee. Besonderes Augenmerk gilt dabei der möglichen Wirkung auf drei Ebenen: der kognitiven Ebene, der Gefühlsebene und der Verhaltensebene (s. Cassée & Spanjaard, 2009). Ein Einbezug von notwendigen Interventionen zur Erreichung der nachhaltigen Veränderung schliesslich enthält idealerweise ein ausgewogenes Verhältnis von "Vertrautem und Neuem" und muss vom Coachee zumindest akzeptiert werden.
5 Positive Psychologie und Positiv Psychologische Interventionen (PPI)
Im Zusamenhang mit diesem Projekt, das PPI im Kontext der Berufsausbildung von Jugendlichen mit Beeinträchtigung einzubauen und anzuwenden sucht, ist es sinnvoll sich auch der Frage der Definition von PPI kurz zu zuwenden. Parks und Biswas-Diener (2013) haben die historische Entwicklung der Definitionen von PPI zusammenfassend dargestellt und sind zu einer neuen Definition gelangt, an die in der vorliegenden Arbeit angeknüpft werden soll. Es werden hier folgende Kriterien an Stelle einer Definition vorgeschlagen:
- primäres Ziel ist eine oder mehrere positive Variablen aufzubauen
- Vermeidung oder übermässige Ausbeutung eigener Ressourcen ohne Selbstentwicklung sind auszuschliessen: die Funktion der Intervention soll die Selbstentwicklung sein
- Empirische Evidenz stützt die erfolgreiche Manipulation der Zielvariablen
- Empirische Evidenz stützt, dass Verbesserung der Zielvariablen auch zu einem positiven Resultat in der Zielpopulation führt, auf welche die Intervention angewendet wird
- eine theoretische Begründbarkeit kann als Voraussetzung genügen
PPI sollen zudem folgende Funktionen erfüllen:
- Kontrollen
- das Wohlbefinden steigern
- Vor-Interventions-Fragebogen
- Aktivitäts-Praxis 1-6 Wochen
- Nach-Interventions-Fragebogen
Folgende Anwendungsbereiche werden im allgemeinen für PPI empfohlen:
Stärken, Dankbarkeit, Vergebung, Soziale Kontakte, Sinn, Genussgewinn und kombinierte Interventionen.
Die PPI, die im Rahmen dieser Arbeit zur Anwendung gelangen, sollen somit nach Möglichkeit folgenden Anforderungen genügen:
- Es soll mindestens eine der Positiv Psychologischen Zielvariablen - wenn möglich nachweislich - aufgebaut werden
- Mit Stärken resp. Ressourcen und Schwächen soll im "positiven" Verhältnis von etwa 5:1 gearbeitet werden, um eine Selbstentwicklung zu ermöglichen
- Falls möglich und sinnvoll, wird die Intervention in Anlehnung an empirisch gestützte Evidenz (in Bezug auf Interventionsart, Zielvariable und Zielpopulation) angelehnt, ansonsten theoretisch begründet
- Der Rahmen der Interventionen soll (sofern möglich) der Teilhabe an der Gesellschaft förderlich sein und/oder der Festigung sozialer Kontakte dienen
Aus diesen "Grundanforderungen" und dem "Screening" der Coachees lässt sich folgendes prinzipielles Vorgehen ableiten:
- Mit Unterstützung der PPI das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit steigern versuchen und mit Gesprächen / Fragebogen (vor, während, nach PPI) protokollieren
- Die PPI sollen je nach Setting einige Wochen oder wenige Monate dauern
- Anwendung von kombinierten Interventionen (unter der Verwendung insb. von Stärken, Charakterstärken und weiteren Ressourcen aus dem "4-Fronten-Ansatz") in den Bereichen Dankbarkeit, Genussgewinn, Engagement, Sinn und Sozialen Kontakten
5.1 Wann ist eine Intervention "Positiv Psychologisch"?
Auf Grund der obigen Ausführungen ist es sinnvoll sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sich PPI von anderen Interventionsformen unterscheiden. Die Definition des "Positiven" in der Positiven Psychologie ist nicht trivial (s. z.B. Pawelski, 2016), und wie bereits von Parks und Biswas-Diener (2013) angedacht, ist die Frage durchaus berechtigt, wann eine Intervention überhaupt als "Positiv Psychologisch" gelten darf. Der kritische Bestandteil dieser Gültigkeit dürfte daher m.E. die nachweislich positive Veränderung einer unabhängigen Positiv-Psychologischen Variablen sein. Da dies aber eine wissenschaftstheretische Fragestellung ist ohne Praxisbedeutung in diesem Projekt, wird hierauf nicht näher eingegangen.
Aus der Coaching-Perspektive ist allerdings unbedingt zu berücksichtigen, dass einerseits stets neuartige und verbesserte evidenzbasierte Interventionen im "Disability-Bereich" entwickelt werden und andrerseits aus dem Bereich der Positiven Psychologie neue evidenzbasierte Interventionsformen vorgeschlagen werden, die den "Disability-Bereich" bestenfalls am Rande im Fokus haben (Ivtzan & Lomas, 2016; s. insb. Singh, 2016). Der Coach ist also gefordert die Kernbereiche beider Ansätze fallbezogen kritisch zu prüfen und eventuell in neuen PPI zu verbinden.
5.2 Der Nachweis der Wirksamkeit
Um die Wirksamkeit einer Intervention belegen zu können, ist eine Protokollierung der Veränderung der "unabhängigen Positiv Psychologischen Variablen" notwendig. Als Positiv Psychologische Zielvariablen wurden die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden gewählt: Wohlbefinden (auch "subjective well-being", SWB) und (Lebens-)Zufriedenheit (auch "happiness") werden als ausserordentlich wichtige Indikatoren für mentale Gesundheit angesehen (z.B. Olympia et al., 2014). Evidenzbasierte PPI können nachweislich auf diese Zielvariablen auch einen ausserordentlich positiven Effekt haben (z.B. Giannopoulos & Vella-Brodrick, 2011).
5.2.1 Lebenszufriedenheit
Die Lebenszufriedenheit ist gewissermassen ein Abbild der Emotionalität und beinhaltet eine Bewertung von Zielen vor dem Hintergrund des eigenen Werte- und Bedürfnissystems (vgl. Kraak & Nord-Rüdiger, 1989, S. 5). Zufriedenheit ist nicht unbedingt mit "Happiness" gleichzusetzen. Letztere muss aber auch nicht zwingend kurzfristigerer Natur sein als die Lebenszufriedenheit (s. Rashid, 2008, S. 190f.), zumal die von Fordyce (1977, 1983) ursprünglich eingeführten "happiness Interventionen" immerhin einer 18-monatigen Follow-up-Beurteilung standhielten. Auf eine differenzierte Definition und Erörterung dieser Begriffe wird hier verzichtet und auf die Fachliteratur verwiesen: Layous und Lyubomirsky (2012; u.a.) haben gezeigt, dass evidenzbasierte PPI die "Happiness" erhöhen können.
Wichtig im Zusammenhang mit dem Begriff der Lebenszufriedenheit ist der Begriff der erlebten Lebensqualität ("quality of life": Cummins, 2016, S. 214f.; s. auch Keith, 2007, S. 155; Land, Michalos & Sirgy 2012; i.e. Schalock & Verdugo Alonso, 2014), denn die Lebensqualität ist auch ein zentraler Fokus der neueren Forschungsbemühungen betreffend intellektuell beeinträchtigter Jugendlicher im allgemeinen Arbeitsmarkt (Parmenter et al., 2007). Doch die Besprechung dieser Thematik sprengt ebenfalls den Rahmen dieses Projekts. Um das subjektive Wohlbefinden allgemeingültig zu erfassen, ist in diesem Kontext lediglich wichtig, dass offenbar bereits die nahe Umgebung, der Interview-Kontext oder gar geringe Formulierungs-Unterschiede (z.B. bei der Fragebogen-Erklärung) problematisch sein können (vgl. Keith, 2007, S. 158), worauf der Coach in der Planung der PPI Rücksicht zu nehmen hat.
5.2.2 Wohlbefinden
Das Wohlbefinden beschreibt eine ausgeglichene psychische Momentaufnahme (eine Befindlichkeit), die auf das innere Erleben und Empfinden gerichtet ist und nicht auf spezifische, kognitiv repräsentierte Objekte (vgl. Steyer, Schwenkmezger, Notz & Eid, 1997, S. 4). Eine Verbesserung des Wohlbefindens kann bereits mit relativ einfachen positiven Aktivitäten erreicht werden (z.B. Sin & Lyubomirsky, 2009; Lyubomirsky & Layous, 2013) und wurde überzeugend unter Verwendung des PERMA-Models (s. Seligman, 2011) getestet (Kern, Waters, Adler & White, 2015; Gander, Proyer & Ruch, 2016).
6 Methodisches
6.1 Die Coachees
Das Klientel (die Coachees) umfasst die Altersgruppe 17-21 Jahre und absolviert eine zweijährige praktische Ausbildung ("PrA" nach INSOS, dem nationalen Branchenverband der Institutionen für Menschen mit Behinderung) mit besonderen Bestimmungen und nach von INSOS empfohlenen Richtlinien im geschützten Rahmen. Die Coachees sind in ein hochstrukturiertes Unterstützersystem eingebettet. Dieses kann je nach Bedarf beinhalten: einen Internatsplatz mit sozialpädagogisch massgeschneiderter Begleitung resp. Betreuung, den Besuch der öffentlichen Schule mit Stützunterricht oder der internen Berufsfachschule mit Schulzielbefreiung und Förderunterricht und einen geschützten oder auch ungeschützten Ausbildungsplatz (SE) mit Coaching (zu den spezifischen Problemstellungen dort s. Zannol, Deuchert & Kauer, 2011). Je nach Herkunft, Situation und Fähigkeiten des Coachees ist auch ein vom geschützten Rahmen losgelöstes "reines" Coaching möglich, d.h., der Jugendliche wird im Elternhaus während des Besuchs der öffentlichen Schule in einem Betrieb des offenen Arbeitsmarktes gecoacht. Es ist also eine beliebige Kombination von Unterstützungselementen betreffend Wohnform, Beschulung und Ausbildung möglich.
Die Aufgabe des Coaches besteht im Wesentlichen darin, den Coachee und das Unterstützersystem während drei bis vier Jahren in dieser wichtigen Entwicklungsphase (zwischen Berufsfindung und Nachbetreuung am Arbeitsplatz) zu begleiten, so dass gemeinsam Ziele definiert, verfolgt und auch gemeinsam erreicht werden können. Die zu erreichenden Ziele sind stets (a) der erfolgreiche Abschluss der Berufsausbildung und (b) die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und (c) - falls angezeigt und möglich - in den "offenen" Arbeitsmarkt (Nischenarbeitsplatz mit Leistungslohn).
6.2 Vorgehen und Instrumente
Die PPI werden auf der Grundlage einer "Bedarfsanalyse" mit Hilfe des "4-Fronten-Ansatzes" (Anlehnung an Magyar-Moe, 2009, S. 15ff.; Wright & Lopez, 2002) entwickelt. Dieser Ansatz beinhaltet im Prinzip eine Zusammenstellung, in der insb. individuelle Stärken und das Umfeld des Coachees so detailliert wie nötig aufgelistet sind, da sowohl das Umfeld mit seinen destruktiven und konstruktiven Kräften als auch die Stärken des Coachees neben seinen Schwächen in der Praxis oftmals übersehen werden (s. 6.3). Es wird mit Ressourcen-Orientierung (i.S.v. Flückiger, 2009) ein Interventionsplan erstellt unter Zuhilfenahme relevanter evidenzbasierter und neu entwickelter PPI, der mit dem 4-Fronten-Ansatz konsistent ist (s. 8). Die identifizierten "Entitäten" des Coachees im 4-Fronten-Ansatz werden dann unter besonderer Berücksichtigung der Stärken in den berufsausbildungsbegleitenden Coaching-Prozess (Gespräche und Aktivitäten) eingebaut, besprochen und ihre Anwendung wird protokolliert. Zur Stärken-Findung, zur strukturierten Erfassung der Informationen und zur Unterstützung der Protokollierung des Coaching-Verlaufs werden diverse Fragebogen verwendet (s. Tabelle 1 und 6.2).
Tabelle 1
Zusammenstellung der verwendeten Fragebogen
Abbildung in dieser eseprobe nicht enthalten
6.2.1 Ergänzungen zur Anwendung Fragebogen FLZ
Zur Messung der Positiv Psychologischen Zielvariablen wurde einerseits ein neuer Fragebogen zur Lebenszufriedenheit verwendet (FLZ, in Anlehnung an Kraak & Nord-Rüdiger, 1989, s. Anhang 3A).
Abweichend von Kraak & Nord-Rüdiger (1989, S. 11) werden alle Variablen addiert und durch die Anzahl Variablen in den jeweils mehrteiligen Fragen dividiert. Die allein stehenden Fragen zu Geld, Freizeit und selbstbestimmter Zukunft werden wie kodiert übernommen. Danach werden die Werte ihrer Wichtigkeit nach geordnet, auf 0.1 gerundet und interpretiert. Die Werte zu den Stärken und Schwächen werden separat geführt (ohne Quotienten zu bilden).
Es wurde nur ein Total (die Summe) errechnet als Mass für die allgemeine Lebenszufriedenheit. Es wurden keine Zielformeln entwickelt, und es existieren auch keine Ziel- oder Vergleichswerte, anhand derer die Ergebnisse im Sinne von "Wertorientierungen" (insb. Kraak & Nord-Rüdiger, 1989, S. 13) in einem erweiterten (gesellschaftlichen) Kontext Verwendung finden würden. Zum Vergleich des Verlaufs während des Projekts wurden aber die Mittelwerte in den drei Phasen "vor“, "während“ und "nach“ PPI verglichen, um einen überblickbaren Hinweis über die Beeinflussung der Zielvariablen durch die PPI zu erhalten. Niedrigste Werte sollen grösster Lebenszufriedenheit entsprechen.
Der Fragebogen ist der Mehrzahl der Coachees (evt. mit Unterstützung) gut zumutbar (Verständlichkeit, Länge). Der Fragebogen ist aber auch "detailliert" und "lang" genug, so dass nicht davon auszugehen ist, dass sich Probanden nach 2-4 Wochen an Fragen oder Antworten erinnern. Man kann davon ausgehen, dass die Werte als "Momentaufnahmen" (bei "ehrlicher" Beantwortung) eine gewisse Gültigkeit besitzen.
6.2.2 Ergänzungen zur Anwendung Fragebogen MDBF
Zur Messung der Positiv Psychologischen Zielvariablen wurde andrerseits der Fragebogen zum Wohlbefinden von Steyer et al. (1997) übernommen (s. Anhang 3B).
Die Auswertung und Interpretation folgt dem mehrdimensionalen Fragebogen (Steyer et al., 1997, S. 5, 7, 31 und mittels Auswertungsschablone zur Umkodierung der "negativen" Befindlichkeitspole):
Gute-schlechte Stimmung: Fragen 1/4/8/11/14/16/18/21 : Summe "GS"
Wachheit-Müdigkeit: Fragen 2/5/7/10/13/17/20/23 : Summe "WM"
Ruhe-Unruhe: Fragen 3/6/9/12/15/19/22/24 : Summe "RU"
Negative Befindlichkeitspole: Fragen 3/4/5/7/9/11/13/16/18/19/22/23.
Von jeder Summe wird der Mittelwert errechnet und in der Ergebnistabelle als GS/WM/RU wiedergegeben (auf 0.1 gerundet). Höchste Werte sollen grösstmöglicher guter Stimmung, Wachheit und Ruhe (Ausgeglichenheit) entsprechen.
Das Ausfüllen der Fragebogen ist der Mehrzahl der Coachees (Verständlichkeit, Länge) zumutbar und muss u.U. durch eine eingehende Besprechung resp. Fremdeinschätzung (WM und insb. RU) ergänzt werden, falls in der Selbst- und Fremd-Wahrnehmung eine grosse Diskrepanz besteht. Ein Kreuz zwischen den natürlichen Zahlen in der Skala (direkter Eintrag oder Addition mehrerer Einschätzungen) wird als Zwischenstufe (plus oder minus 0.5) kodiert.
6.2.3 Weitere Ergänzungen zu den verwendeten Methoden
Die übrigen Fragebogen werden wie urheblich beschrieben verwendet und die Erkenntnisse daraus in Form einer qualitativen Auswertung in den Coaching-Verlauf einbezogen (s. Fallstudien, 8.1-8.6). Der PANAS-Fragebogen wird nur in der Fallstudie 1 mehrmals verwendet.
Ferner werden fallbezogen zur Stärken-Findung und zur Werte-Erkennung entweder in Selbst- oder Fremdeinschätzung neben Fachberichten die in der Tabelle 1 aufgelisteten Fragebogen verwendet.
6.3 Anwendung der PPI im Coaching-Prozess
Um geplante PPI wirkungsvoll zu implementieren, müssen sie sich auf natürliche Weise und nach Möglichkeit "zwanglos" in den Coaching-Prozess einbringen lassen. Der wesentliche Effekt einer Intervention ist eine "Veränderung" beim Coachee, und nach Möglichkeit soll diese (konstruktive) Veränderung manifestiert werden: Im Rahmen dieses Projekts ist im Mittel eine Phase von wenigen Wochen bis wenigen Monaten gegeben, innerhalb derer eine oder mehrere Anwendungen stattfinden sollen und eine unabhängige Wirkung auf die zu untersuchenden Positiv Psychologischen Variablen protokolliert werden soll.
Prinzipiell werden die Coaching-Sitzungen so konzipiert, dass das Augenmerk in den ersten Sitzungen auf das Erkennen und Besprechen von Stärken/Ressourcen, Werten und Zielen (inkl. Teilzielen) gerichtet wird. Dieser Ansatz ist nicht trivial, da besonders im Bereich der speziellen Bedürfnisse die Defizite des Coachee (und des Umfelds) oft bei weitem augenfälliger sind. Im sogenannten "4-Fronten-Ansatz" soll in freier Prosa passgenau ein Profil erarbeitet werden, so dass es beides, ein Bild des Coachee und eine Ausgangslage für einen Stärken-basierten Positiv Psychologischen Interventionsansatz liefert.
In den folgenden Sitzungen (und dazwischen durch interdisziplinären Austausch) werden die wichtigsten Fragen diskutiert. Eigentliche Hausaufgaben, wie sie normalerweise einem Coachee aufgegeben werden, spielen hier eine untergeordnete Rolle. Mit Ausnahme weniger Interventionen (z.B. Rollenspiel) wird der Coachee auf die PPI "vorbereitet" und es wird ihm soweit möglich ins Bewusstsein gerückt, dass "wir" zusammen versuchen, Wohlbefinden und Zufriedenheit zu beeinflussen durch die Anwendung und Konzentration auf eine "Übung". Interventionen müssen zudem in geeigneter Form für die individuelle Verwendung geprüft werden (vgl. etwa Schueller, 2012):
Im Vorfeld der Anwendung der Interventionen muss geklärt werden, ob die vorgestellte Intervention grundsätzlich und mehrheitlich folgenden Kriterien jeweils auf einer Skala von 1-7 genügt (gilt für Fragen 1-5):
0. Sind Sie motiviert etwas Neues zu versuchen?
→ Erklärung der Übung (der Intervention)
1. Fühlt sich diese Übung natürlich an?
2. Denken Sie, dass Sie die Übung gerne machen werden?
3. Denken Sie, dass die Übung für Sie wertvoll sein wird?
4. Wie schuldig würden Sie sich fühlen, wenn Sie die Übung nicht machen würden?
5. Gibt es irgendwelche Gründe oder Zwänge oder einen Druck, so dass Sie die Übung deshalb machen müssten? Wenn ja, welche und wie stufen Sie sie ein?
Dieser "Person-Activity-Fit" (PAF) (s. Schueller, 2012; Alberts, 2013) wird wann immer möglich in das einleitende Coaching-Gespräch aufgenommen oder die Fragen werden frei mit dem Coachee an Hand der Intervention diskutiert.
Auswertung: Frage 0 ist das "Killer-Kriterium": sie muss mit ja beantwortet werden. Die Werte der Fragen 1-3 werden addiert, die Werte der Fragen 4 und 5 subtrahiert. Der Wert (wünschenswert mindestens 10) gibt allenfalls einen Hinweis darauf wie engagiert sich der Coachee in die Intervention begibt.
Die Arbeit und der Erfolg des Coachings ist zu einem hohen Grad vom Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Coachee geprägt. Das Vertrauensverhältnis ist deshalb so entscheidend, weil es, falls es intakt ist, beidseitige Eingriffe zulässt und ihnen auch Stand hält. So kann der Coach einerseits beträchtlichen Einfluss nehmen auf die Entwicklung des Coachee, und andrerseits kann der Coachee weitreichende Kontrolle über das Gelingen "seiner" Interventionen bekommen.
6.4 Weiterführende Ansätze von Interventionen
Meditation und "mindfulness-based" Interventionen sind neuerdings im Bereich von Lernbeeinträchtigungen und Entwicklungsverzögerungen erfolgreich eingesetzt worden, jedoch ist gleichsam ein Mangel an RCT-Studien feststellbar (Beauchemin, Hutchins & Patterson, 2008; Harper, Webb & Rayner, 2013). Hwang und Singh (2016, S. 311ff.) diskutieren die vielversprechende Anwendung der "mindfulness" im Bereich der Positiven Psychologie (s. Ngoumen & Langer, 2016, S. 342, zum vorgeschlagenen Zusammenhang mit "happiness", "well-being" und "choice") durch die Überführung der Forschungsresultate in die Praxis, verdeutlichen aber auch, dass eine geeignete Anwendung für jüngere Jugendliche mit intellektuellen und entwicklungsbedingten Beeinträchtigungen noch nicht entwickelt und erprobt ist. Auch Singh, Lancioni, Karazsia und Myers (2016) und Singh, Lancioni, Manikam, Latham und Jackman (2016) berichten von erfolgreicher Implementation von "mindfulness-based" Interventionen zur positiven Verhaltensunterstützung. Sie räumen aber ebenfalls ein, dass ihr MBPBS-Modell noch nicht genügend wissenschaftlich untermauert ist, und eine "grundlegende" Akzeptanz in Wissenschaftskreisen notwendig ist. Die positive Verhaltensunterstützung soll dem Ansatz von Morris und Horner (2016, S. 420f.) folgend insb. Werte-basiert stattfinden, da die subjektiven Werte dem Interveenor veranschaulichen, was genau verändert werden soll. Auf jeden Fall ist PBS nach Ansicht von Dunlap, Kincaid und Jackson (2014) und Field (2014) eine ganz wesentliche Methode um letztlich gar die Lebensqualität zu erhöhen. Am besten untersucht in der "Zielgruppe beeinträchtigter Jugendlicher" (allerdings meist unter Anwendungen im Autismus-Spektrum) sind die "Social Skills Interventions" (Frederickson & Furnham, 2004; Ganz et al., 2012; Hughes et al., 2013; Kavale & Mostert, 2004; Laugeson et al., 2012; Nestler & Goldbeck, 2011; Watkins, Kuhn, O´Reilly, Lang, Sigafoos & Lancioni, 2016), bei denen die "Peer-Interaction", das "Performance-Feedback" und das Rollenspiel grossen Effekt zeigen und die in den PPI-Kontext relativ leicht transportiert werden können. Von herausragender Bedeutung scheinen auch die "Problem-Solving-Interventions" im SE-Setting zu sein (s. insb. O´Reilly, Lancioni & Kierans, 2000).
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- Arbeit zitieren
- Raoul Mutter (Autor:in), 2016, Positiv Psychologische Interventionen bei jungen Menschen mit besonderen Bedürfnissen in der Berufsausbildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/365337
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