Einleitung
In aktuellen Diskussionen geht es darum, ob Demokratie in der Schule gelehrt werden sollte und welchen Stellenwert demokratisches Lernen haben muss.
Die Diskussionen rühren unter anderem daher, dass wir in einer Zeit leben, in der zunehmende Gewalt, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität, Rechtsextremismus und Orientierungslosigkeit Alltag geworden sind. Man muss sich zunächst fragen, welche möglichen Ursachen dafür existieren und weiterhin überlegen, wie man diesen entgegenwirken bzw. vorbeugen kann.
Mögliche Gründe für solche Verhaltensweisen sind zum einen familiäre Umstände: Während die Eltern früher die wichtigsten Träger der Erziehung für ihre Kinder waren, Kontakte zur Schule hatten und sich für ihre schulischen Probleme verantwortlich fühlten, können viele Familien diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden (vgl. STOTZ 1999, 106).1 Viele Kinder wachsen in so genannten „Patchwork – Familien“ auf oder in Familien, in welchen die Eltern wenig Zeit für ihre Kinder haben, so dass Kinder wenig Liebe und Zuwendung erhalten. Nicht selten erfahren Kinder im eigenen Elternhaus sogar Gewalt, bekommen keine Möglichkeit gezeigt Konflikte sachlich zu lösen und in Gemeinschaften zu handeln oder wachsen mit fehlenden Grundlagen der Allgemeinbildung auf. Weiterhin besteht eine verstärkte Medien- und Konsumorientierung, bei der der Fernseher und der Computer die Freizeit der Kinder bestimmen (ebd., 107).
Zum anderen leben wir in einer Gesellschaft, die stark von Unsicherheiten geprägt ist, in der es kaum möglich ist, verlässliche Zukunftspläne, z.B. in beruflicher Hinsicht, zu machen. Mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitslosigkeit verhindern die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben.
Seit PISA2 wissen wir, dass die Menschen, die in unserer Gesellschaft eine gute (Aus-) Bildung genießen und damit die besten Chancen auf einen Beruf (ihrer Wahl) haben, meist aus Familien kommen, in denen die Eltern selber einen akademischen Werdegang absolviert haben bzw. aus guten finanziellen Verhältnissen stammen.
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1 Im Folgenden wird sich meine Zitierweise an den Vorschlägen von ROST orientieren (vgl. ROST 1999, 207, 217, 230, 234, 238).
2 PISA=Program for international student assisment (Programm für internationale Schülerleistungsbewertung)
Inhaltsverzeichnis
1. Teil
1 Einleitung
2 Grundlagen der Demokratie
2.1 Begriffsbestimmung
2.2 Verschiedene Ansätze von Demokratieverständnis
2.3 DEWEYS Gedanken zum Demokratieverständnis
3 Der Stellenwert der Schule in der Demokratie
3.1 Das Schulgesetz
3.2 Die Aufgaben der Institution Schule
3.3 Politische Bildung in der Demokratie – von der Vergangenheit bis heute
4 Erziehung zur Demokratie – was ist politische Bildung?
4.1 Erziehung
4.1.1 Warum zur Demokratie erziehen?
4.1.2 Erläuterung des Erziehungsbegriffs
4.1.3 Ziele demokratischer Erziehung
4.1.4 Der Erziehungsauftrag der Schule
4.2 Bildung
4.2.1 Was ist Bildung und welche Aufgabe kommt dabei der Schule zu?
4.2.2 Was heißt politische Bildung insbesondere in Bezug auf die Demokratie?
4.2.2.1 Warum politische Bildung in der Grundschule wichtig ist
4.2.2.2 Die Ziele der politischen Bildung
4.2.2.3 Die Inhalte des politischen Unterrichts
4.2.3 Was sind Werte, welche Werte soll die Schule vermitteln?
2. Teil
5 Schule als Abbild des Staats – Ein Beispiel für das Lernen von Demokratie in der Schule
6 Demokratie in der Schule leben lernen
6.1 Die Ausgangslage
6.2 Wie Lernen demokratisiert werden kann
6.2.1 Der Konstruktivismus anstelle von Wissensvermittlung
6.2.2 Der offene Unterricht
6.2.2.1 Selbstständiges, selbstbestimmtes und handlungsorientiertes Lernen
6.2.2.2 Interdisziplinäres Lernen
6.2.2.3 Methodenkompetenz
6.2.2.4 Intrinsisch motiviert lernen/ Leistungsbewertung
6.3 Das Lehrer-Schülerverhältnis
6.3.1 Die Rolle des Lehrers
6.3.2 Die Rolle des Schülers
6.4 Die Gestaltung des demokratischen Schulalltags an konkreten Beispielen zur Erlernung demokratischer Verhaltensweisen
6.4.1 Partizipation
6.4.2 Regeln entwickeln und einhalten
6.4.3 Autonomie
6.4.4 Verantwortung übernehmen lernen am Beispiel des Klassenrats
6.5 Der Projektunterricht als Beispiel für demokratischen Unterricht
7 Die demokratische Lebensform als Beitrag zur zivilen Gesellschaft
7.1 Was ist die Zivilgesellschaft?
7.2 Was kann die Schule zur zivilen Gesellschaft beitragen?
7.3 Was kann der Einzelne zur zivilen Gesellschaft beitragen?
8 Fazit
9 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
In aktuellen Diskussionen geht es darum, ob Demokratie in der Schule gelehrt werden sollte und welchen Stellenwert demokratisches Lernen haben muss.
Die Diskussionen rühren unter anderem daher, dass wir in einer Zeit leben, in der zunehmende Gewalt, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität, Rechtsextremismus und Orientierungslosigkeit Alltag geworden sind. Man muss sich zunächst fragen, welche möglichen Ursachen dafür existieren und weiterhin überlegen, wie man diesen entgegenwirken bzw. vorbeugen kann.
Mögliche Gründe für solche Verhaltensweisen sind zum einen familiäre Umstände: Während die Eltern früher die wichtigsten Träger der Erziehung für ihre Kinder waren, Kontakte zur Schule hatten und sich für ihre schulischen Probleme verantwortlich fühlten, können viele Familien diesem Anspruch nicht mehr gerecht werden (vgl. STOTZ 1999, 106).[1] Viele Kinder wachsen in sogenannten „Patchwork – Familien“ auf oder in Familien, in welchen die Eltern wenig Zeit für ihre Kinder haben, so dass Kinder wenig Liebe und Zuwendung erhalten. Nicht selten erfahren Kinder im eigenen Elternhaus sogar Gewalt, bekommen keine Möglichkeit gezeigt Konflikte sachlich zu lösen und in Gemeinschaften zu handeln oder wachsen mit fehlenden Grundlagen der Allgemeinbildung auf. Weiterhin besteht eine verstärkte Medien- und Konsumorientierung, bei der der Fernseher und der Computer die Freizeit der Kinder bestimmen (ebd., 107).
Zum anderen leben wir in einer Gesellschaft, die stark von Unsicherheiten geprägt ist, in der es kaum möglich ist, verlässliche Zukunftspläne, z.B. in beruflicher Hinsicht, zu machen. Mangelnde Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitslosigkeit verhindern die Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben.
Seit PISA[2] wissen wir, dass die Menschen, die in unserer Gesellschaft eine gute (Aus-) Bildung genießen und damit die besten Chancen auf einen Beruf (ihrer Wahl) haben, meist aus Familien kommen, in denen die Eltern selber einen akademischen Werdegang absolviert haben bzw. aus guten finanziellen Verhältnissen stammen.
Entscheidend hierbei ist besonders die Rolle der Schule, ein weiterer Ort, an dem Schüler nicht nur Wissen, sondern auch Werte vermittelt bekommen und in einer Gemeinschaft leben lernen sollen. Die veränderten Lebensbedingungen der Schüler[3] heute, müssen von der Schule berücksichtigt werden, sie muss Lösungen für die beschriebenen Probleme bieten können. Da die Antworten auf soziale Fragen eng mit den Erfahrungen der Umwelt verbunden sind, muss weit über den Lernbereich der Schule hinausgegangen werden und es sind neue Unterrichtsformen und Sichtweisen des Lernens erforderlich (ebd.).
Für viele Schüler ist Schule ein Ort, an dem sie Leistungsdruck und mangelndes Zugehörigkeitsgefühl erfahren und oftmals wenig lernen, da ihnen der Bezug zu ihrer Lebenswelt fehlt. Für die Lehrer ist es meist ähnlich unbefriedigend: Sie müssen sich mit lustlosen Schülern auseinandersetzen, die nicht gelernt haben, sich an bestimmte Regeln des Zusammenlebens zu halten. Sie bemühen sich oft vergebens, abstrakte Lehrinhalte den Schülern zu vermitteln. An dieser Stelle ist es nun interessant herauszufinden, ob und wie demokratisches Lernen dem entgegenwirken kann, denn auch wenn die Umstände sich als sehr schwierig erweisen, gibt es ein großes Potenzial in unserer Gesellschaft und unter den Schülern, die demokratische Lebensformen umsetzen könnten, wenn sie ausreichend gefördert würden. Ein Aspekt hierbei ist die Stärkung der Persönlichkeit und die Möglichkeit für den einzelnen sich an öffentlichen und schulischen Ereignissen zu beteiligen.
MERTES behauptet, je weniger eine Gesellschaft aus Menschen besteht, die sich für das Allgemeinwohl zuständig fühlen, um so mehr deligieren sie die Zuständigkeit für das Allgemeinwohl an öffentliche Institutionen, also auch an die Schule. Je weniger diese wiederum auf eine Gesellschaft zurückgreifen können, deren Glieder sich als Teil der Zivilgesellschaft begreifen, desto mehr geraten sie in einen Konflikt mit der Gesellschaft – mit partikulären Familieninteressen, Wirtschaftsinteressen etc. Weiterhin sagt er, wenn die Schule in dieser Situation versucht ihren Auftrag auf möglichst konfliktfreies Management der unterschiedlichen Eigeninteressen von gesellschaftlichen Gruppen und Sachzwängen aller Art zu reduzieren, gibt sie sich selbst als Schule auf. Sie wird zu einem bloßen Dienstleister. Der Blick der Schule wendet sich ab und richtet sich auf die Herren, die bedient werden sollen. Es gelten dann die Lehrer am besten, die am angepasstesten auf die jeweiligen gesellschaftlichen Erwartungen reagieren. Aus dieser Perspektive betrachtet sind Schüler Produkte, die am Ende der Bearbeitungsphase in der Schule auf den Markt gebracht werden. In dem Maße, in dem sich die Schule auf diese Selbstverständlichkeit einlässt und es auch im Schulalltag umsetzt, verliert sie ihre Fähigkeit, Schüler kompetent zu machen für die spätere Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft. Er sagt sogar, dass die Schüler als Schüler nicht mehr ernst genommen werden (vgl. MERTES 2004, 2).
Diese Stellungnahme von MERTES macht zum einen deutlich, wie facettenreich die Diskussion ist und zeigt zum anderen die Notwendigkeit Schüler soweit zu befähigen, dass sie in der Lage sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen und Interessen des Allgemeinwohls zu berücksichtigen. Insbesondere wird darauf eingegangen, welche Bedeutung der Schule bei der Vermittlung jener sozialen Kompetenzen zukommt.
Andererseits bietet Schule jedoch wegen ihrer Universalität, wegen der pädagogischen Verpflichtung, sich jedem Einzelnen zuzuwenden, schließlich wegen ihrer Aufgabe, Kompetenzen zur Lebensbewältigung und Sozialfähigkeit zu vermitteln, besondere Ressourcen und Chancen einer Erziehung zur Demokratie (EDELSTEIN, FAUSER 2001, 6).
Vor diesem Hintergrund ist die Handlungsorientierung nicht nur in der allgemeinen Pädagogik, sondern auch in der Didaktik der politischen Bildung ein zentrales Thema. Sie soll einer Politik- und Demokratieverdrossenheit entgegenwirken und Impulse für eine größere Partizipation im gesellschaftlichen, politischen und sozialen Bereich bieten. Weiterhin soll sie elementare Beiträge zum Erlernen der Spielregeln des demokratischen Zusammenlebens leisten, um somit u.a. rechtsradikalen Tendenzen vorzubeugen. Skeptiker dagegen meinen, dass Handlungsorientierung zu blindem Aktionismus führen könnte und die Reflexion über das eigene Tun in den Hintergrund drängt. Von daher stellt sich die Frage, ob Handlungsorientierung ein Konzept ist, dass zur Demokratieerziehung beitragen kann (vgl. WEDEL 2001, 11).
Dies soll innerhalb meiner Arbeit thematisiert werden. Nachdem verdeutlicht wurde, warum Demokratie in der Schule wichtig ist, möchte ich insbesondere dem Gedanken nachgehen, inwieweit Demokratie in der Schule erlernt werden kann, damit demokratische Lebensformen entwickelt werden. Wie kann also der Beitrag der Schule aussehen?
Zunächst einmal kann die Schule als Institution nur ihrem Auftrag gerecht werden, wenn sie selber zu einer demokratischen Einrichtung wird, in der Demokratie praktisch erfahrbar wird.
Weiterhin sollen zwei Aspekte im Fordergrund stehen. Zum einen das demokratische Lernen, bei dem ich analysieren möchte inwiefern Schüler selbstständig und selbstbestimmt lernen können und zum anderen das Lernen von Demokratie, bei dem neben inhaltlichen Themen auch der Frage nachgegangen werden soll, wie jeder einzelne sein Leben demokratisch, im Kontext seines sozialen und politischen Umfelds, gestalten kann. Ich habe dieses Thema aus der Überzeugung heraus gewählt, dass die Umsetzung der Demokratie den oben genannten gesellschaftlichen Problemen vorbeugen bzw. entgegenwirken kann und aus der Überzeugung, dass die Schule eine Möglichkeit dafür bietet, um demokratische Lebensformen zu erlernen.
Meine Arbeit gliedert sich in zwei Teile, zum einen in einen theoretischen Teil und zum anderen in einen praxisbezogenen Teil. Ich werde mich vorwiegend auf DEWEY und KLAFKI beziehen.
Der theoretische Teil dient zunächst dazu, den Begriff der „Demokratie“ näher zu erläutern, um somit eine Basis zu schaffen, an der sich deutlich machen lässt, was vermittelt werden soll. Danach gehe ich darauf ein, was Schule in der Demokratie bedeutet und welchen Stellenwert sie in unserem demokratischen Staat hat. Des Weiteren soll erörtert werden, welchen Erziehungsauftrag die Schule vor dem Hintergrund eines demokratischen Staates hat, wie der Bildungsauftrag lauten könnte und welche Werte die Schule vermitteln soll. Dabei werden die Begriffe der „Erziehung“ und „Bildung“ genauer betrachtet, wobei hier die politische Bildung und deren Ziele, als Teil des demokratischen Unterrichts, von zentraler Bedeutung sind. An dieser Stelle möchte ich genauer ausführen, welche inhaltlichen Schwerpunkte politischer Unterricht setzen sollte.
Im zweiten Teil meiner Arbeit soll dann erläutert werden, was Demokratie in der Schule heißt. Hierbei gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen, wie Demokratie vermittelt werden sollte und welche methodischen Konzeptionen sich für die Vermittlung eignen. Während die einen dafür plädieren, den Schwerpunkt auf das soziale Lernen zu legen, fordern die anderen, mehr Inhalte zu vermitteln.
HENKENBORG hingegen versucht beides zu vereinen:
Kinder und Jugendliche sollen nicht nur darüber informiert werden, wie das Leben in einer parlamentarischen Demokratie funktioniert, sondern insbesondere lernen, den Prinzipien der westlichen Demokratie zuzustimmen, die Demokratie wirklich als ihre eigene Sache und sich selbst als Subjekte des politischen Prozesses zu begreifen (HENKENBORG 1997, 60).
Vor diesem Hintergrund soll Demokratie als Teil des schulischen Unterrichtens und des Lebens innerhalb der Schule betrachtet werden. Hierbei geht es um das demokratische Unterrichten und das Miteinander in der Schule. Zunächst möchte ich dafür ein Beispiel von einer Schule aufzeigen, die Demokratie in der Schule ganz praktisch umsetzt. Danach möchte ich schildern, wie Schule bisher organisiert wurde und immer noch wird und vor diesem Hintergrund betrachten, wie Lernen demokratisiert werden könnte. Dafür soll die Theorie des Konstruktivismus näher erläutert werden als Beispiel für demokratisches Lernen und Demokratielernen. Es sollen auf dieser Basis verschiedene Unterrichtsformen und Methoden vorgestellt werden. Im weiteren Verlauf soll die Rolle der Lehrer und Schüler genauer betrachtet werden. Danach möchte ich verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, wie demokratische Verhaltensweisen konkret gelernt und praktiziert werden können. Partizipation wird hierbei eine wichtige Rolle spielen und der Klassenrat als Beispiel für eine mögliche Umsetzung von demokratischen Verhaltensweisen; nicht zuletzt soll der Projektunterricht als eine geeignete Form für das Erlernen von Demokratie beschrieben werden.
Zum Schluss soll dann der gesellschaftliche Aspekt in den Vordergrund gerückt werden, indem ich die Konsequenzen aus dem bereits Erarbeiteten ziehe. Wie können sich demokratische Lebensformen so entwickeln, dass Schüler auch außerhalb der Schule in der Demokratie leben lernen und als mündige Bürger demokratische Verhaltensweisen ausüben? Welche Konsequenzen hat dies für jeden einzelnen Schüler, seine Mitmenschen und seine Lebensgestaltung? In diesem Zusammenhang soll erörtert werden, inwiefern dadurch ein Beitrag zur zivilen Gesellschaft geleistet wird. Was ist die zivile Gesellschaft und welchen Beitrag kann die Schule als Teil der zivilen Gesellschaft leisten?[4]
2 Grundlagen der Demokratie
Erst einmal halte ich es für erforderlich den Begriff der Demokratie zu erläutern und einzugrenzen, um eine Basis zu schaffen, auf der ich dann erläutern kann, welche Möglichkeiten der Umsetzung es für Demokratie in der Schule gibt. Dafür werde ich vorerst eine allgemeine Begriffsdefinition vornehmen und weiterhin Demokratie als Herrschaftsform und Lebensform gegenüberstellen, hierbei werde ich verschiedene Ansätze vorstellen. Bei dem zweiten Punkt sollen die Gedanken DEWEYS[5] besonders berücksichtigt werden.
2.1 Begriffsbestimmung
Demokratie [griech. „Volksherrschaft“] die, Lebens- und Staatsform, die von der Gleichheit und Freiheit aller Bürger ausgeht und daraus die Forderung ableitet, dass nach dem Willen des Volkes regiert werde […]. Die D. im herkömmlichen Sinn wird durch das Vorhandensein einer Verf. gekennzeichnet, die auf der Verteilung der Hauptaufgaben staatl. Machtausübung (Gesetzgebung = Legislative, Regierung = Exekutive, Rechtsprechung = Judikative) auf voneinander unabhängige Organe beruht (Gewaltenteilung), die die Grundrechte gewährleistet und das allg., gleiche, freie und geheime Wahlrecht sichert. Das Volk als eigentl. Träger der Staatsgewalt (Volkssouveränität) ist berufen, seinen Willen in Mehrheitsentscheidungen kundzutun, entweder unmittelbar (unmittelbare D.) oder durch Wahl der Volksvertretung (mittelbare, repräsentative D.) […] (MEYERS 2000, 178).
Durch diese Definition wird deutlich, dass mit der Demokratie nicht nur eine bestimmte Regierungsform verbunden ist, sondern diese der Unterstützung durch den einzelnen Bürger bedarf. „Der Wille des Volkes“ soll für die Staatsform entscheidend sein. Das ist die Basis der Demokratie.
2.2 Verschiedene Ansätze von Demokratieverständnis
Die entscheidenden Elemente der Demokratie sind Rechtstaatlichkeit, Herrschaftssteuerung, Freiheit, Selbst- und Mitbestimmung (vgl. MÜLLER 1995, 123). Demokratie wird vor dem Hintergrund unterschiedlicher Denktraditionen thematisiert, die sich darin unterscheiden, worin denn Wert und Sinn der Demokratie besteht. BURK unterteilt diese Ansätze in Empirische Ansätze, Klassische Ansätze und Partizipatorische Ansätze. Diese werde ich jetzt kurz erläutern.
Der Empirische Ansatz meint, dass Demokratie im Kern nichts anderes ist, als die periodische Wahl, bei Vorhandensein von mindestens zwei Parteien unter der Bedingung, dass jeder Erwachsene mindestens eine Stimme hat. Demnach ist Demokratie eine institutionelle Ordnung, damit politische Entscheidungen gefällt werden können. Dabei wird um die Stimmen des Volkes geworben. Somit ist Demokratie eine Herrschaftsform, und politische Entscheidungen sind nicht Sache der Wähler, sondern die des Parlamentes; die Bürger dürfen sich nicht einmischen. So sieht die Arbeitsteilung zwischen Staat und Volk aus. Diese empirische Idee der Demokratie entstand in den 40er Jahren in den USA und kam dann nach Europa. Diesem Ansatz geht es weniger darum, wie Selbstbestimmung ermöglicht und wie Freiheit unter den Bedingungen von Herrschaft maximiert werden kann, sondern vor allem, wie der Einzelne und die Gesellschaft vor der (All-) Macht des Staates geschützt werden können (vgl. BURK 2003, 15f.).
Die klassischen Ansätze beziehen sich auf das 18./19. Jahrhundert. Damals stand bei den Klassikern (Rousseau, Kant, Locke, Mill) in Bezug auf die Demokratie die individuelle Freiheit im Mittelpunkt, gerade dort, wo kollektive Entscheidungen von Nöten waren. Gefordert wurde die Volksherrschaft anstelle der Fürstenherrschaft mit der Begründung, dass es im Naturzustand auch keine Unterwerfung und daher auch keine Regierung gibt. Hierfür machten die Klassiker folgende Lösungsansätze:
- Der Gesellschaftsvertrag, durch den eine Regierung geschlossen wird.
- Die Herrschaft der Vernunft. Statt Unterwerfung wird der eigene Verstand eingesetzt.
- Die Öffentlichkeit in Form von öffentlicher Diskussion und öffentlichem Wettbewerb der Ideen und Meinungen, so dass sich als Folge daraus die beste Lösung am Ende durchsetzt als gemeinsamer Konsens.
Diese Lösungsansätze zielen darauf ab, ein vernunftbestimmtes Wohl der Gesamtheit zu erlangen, dass die Herrschaft aufgehoben und der Mensch aus seiner Unmündigkeit befreit wird. Das Ziel, dass der freie Bürger in einer freien Republik lebt, stimmt mit den realen Verhältnissen der Demokratie nicht überein.
Bei den partizipatorischen Ansätzen wird Demokratie nicht vorrangig als Staatsform angesehen, sondern vielmehr als eine Lebensform, bei der es darum geht, dass sich möglichst viele politisch beteiligen, indem sie teilnehmen und ihren Teil geben. Demokratie geht über den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich hinaus auch in den privaten. Im Zentrum stehen hier die tätige Mitwirkung der Bürger und die diskursive Konfliktregelung. Die wichtigsten Ansätze sind hierbei:
- Möglichst viele Bürger sollen sich an den öffentlichen Entscheidungen beteiligen, wozu Formen entwickelt werden müssen, die diese Beteiligung ermöglichen.
- Gemeinschaftliche Belange sollen sachlich gelöst werden.
Auch hier sollen Mit- und Selbstbestimmung autoritäre Herrschaftsstrukturen ersetzen. Indem Demokratie als gesamtgesellschaftlicher Prozess verstanden wird, umfasst sie auch Erziehung, Familie und Schule (ebd., 15-18).
2.3 DEWEYS Gedanken zum Demokratieverständnis
Im Folgenden möchte ich nun die Gedanken DEWEYS und sein Ideal von Demokratie darstellen, indem ich mich dabei auf BOHNSACK beziehe.
Demokratie ist die Lebens- und Sozialform, in der Mitbestimmung und Mitverantwortung eines jeden und die Realisierung seiner selbst als sittlicher Person ermöglicht und gefordert wird. Demokratie gibt jedem Bürger Rechte und Pflichten, damit öffentliche Angelegenheiten kontrolliert werden können. Gleichzeitig wird die volle Selbstverwirklichung durch die Beseitigung von Schranken (des Status, des Geschlechts, der Rasse, etc.) eröffnet. Ihm ist dabei klar, dass solche gesellschaftlichen Verhältnisse nirgends existieren, doch er verwendet dieses Ideal als Urteilsmaßstab gegenüber den bestehenden Verhältnissen, indem er sie als Konsequenz der menschlichen Natur sieht.
Jedes sinnvolle und somit funktionale Tun sieht er als gelungene Verbindung von Pflicht und Freiheit. Hierbei bedeutet Pflicht, sich an den Bedingungen wachsender gesellschaftlicher Einheit zu orientieren und Freiheit die individuelle Selbstverwirklichung. Er spricht auch vom Verbessern der Einheit durch die Individualisierung des Einzelnen, denn das Individuum ist Motor der Kreativität und der Erneuerung. Der Einzelne leistet seinen spezifischen Beitrag zum Gemeinwohl und kann so von innen und nicht von außen Autorität empfangen. Die Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft besteht zum einen in der Freisetzung einer größeren Vielfalt persönlicher Fähigkeiten und zum anderen in der Ausweitung und Vertiefung der Interessengemeinschaft.
Weiterhin betont DEWEY die Einzigartigkeit, mit der Individuen nicht nur verschieden sind, sondern einmalig, unersetzbar und in dieser Unersetzbarkeit gleich. Diese Gleichheit schafft individuelle Eigenart und den Freiraum, zu sich selbst zu kommen und gleichzeitig gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen.
Auf diese Weise schafft er die Verbindung zu den drei klassischen Demokratiekriterien Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Der gesellschaftliche Rahmen stellt vor diesem Hintergrund eine organische Einheit da, welche sich durch die Verschiedenheit der Teile konstituiert. Somit sind die gesellschaftliche Einheit und die in diese eingebundene individuelle Vielfalt voneinander abhängig. DEWEY hat natürlich auch die andere Seite der Vielfalt erkannt, die Gefahr des Auseinanderstrebens. Doch die Intelligenz und Erkenntnis zielen bei ihm auf Einheit, so dass bei aller Individuation der Bezug auf das Ganze sichergestellt wird.
Mit dem Blick auf die Folgen des gemeinsamen Tuns werden gemeinsame Interessen geschaffen, so dass aus Ich und Mein das Wir und Unser entsteht. Mit ihren gemeinsamen Interessen teilen die Aktionspartner gleiche Gedanken und Gefühle. Das zwischenmenschliche Verstehen geschieht handelnd, der andere ist nicht ein statisches Gegenüber. Somit heißt Demokratie die Ausdehnung von Verbundenheit, als Vergrößerung der Zahl der Individuen, die unter gemeinsamen Interessen ihre Aktionen aufeinander abstimmen.
Die Vielfalt bewusst geleiteter Interessen innerhalb einer Gruppe und die Freiheit und Fülle des Austausches mit anderen Gruppen wird zum Werturteilskriterium für jegliche Form von Gesellung. Dieses zielt zum einen auf die Anerkennung gegenseitiger Interessen zur gesellschaftlichen Steuerung und zum anderen, durch die Transzendenz der eigenen Gruppengrenzen, auf soziale Veränderungen. Ein weiteres Ziel ist, dass die Aktionsgemeinschaft geführt wird von dem gegenseitigen Interesse an gemeinsamen Zielen und Wertsetzungen.
Der Kern der Freiheit besteht in der Kontrolle zukünftiger Möglichkeiten. Dies heißt einerseits, dass die Kontrolle anderer beseitigt wird und somit die äußere Behinderung für das eigene Handeln und andererseits, die eigene Kontrolle über Hilfsmittel zur Durchsetzung selbstgesetzter Ziele und die Fähigkeit zur Reflexion, die u.a. zur Umsichtigkeit führt (vgl. BOHNSACK 1976, 71-78).
3 Der Stellenwert der Schule in der Demokratie
In diesem Kapitel möchte ich vornehmlich aufzeigen, welche Rolle die Schule in der Demokratie hat, dazu möchte ich einen kurzen Abschnitt des Schulgesetzes darlegen, die Aufgaben der Schule betrachten und die Veränderungen der politischen Bildung von der Vergangenheit bis heute beleuchten.
3.1 Das Schulgesetz
Die Aufgabe der Schule ist im §1 des Schulgesetzes festgeschrieben:
Aufgabe der Schule ist es […] gründliches Wissen und Können zu vermitteln. Ziel muß die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde und der Gleichberechtigung der Geschlechter zu gestalten. Diese Persönlichkeiten müssen sich der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewusst sein, und ihre Haltung muß bestimmt werden von der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen […] (SENATSVERWALTUNG 1991, 3).
3.2 Die Aufgaben der Institution Schule
Das Bildungssystem leistet mit seinem Sozialisationsprozess einen entscheidenden Beitrag zur Reproduktion der herrschenden Kultur und Sozialstruktur einer Gesellschaft. Also liefert die Schule ein wichtiges und wachstumsfähiges Element zur Aufrechterhaltung der Identität der Gesellschaft und Sicherung ihrer Systemzwecke. Dabei geht es um die Reproduktion kultureller Systeme im Sinne von Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten an die nachfolgende Generation zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Weiterhin wirkt die Schule über ihre Prüfungen und Abschlüsse entscheidend mit an der ungleichen Verteilung von sozialen und beruflichen Positionen, womit der spätere gesellschaftliche Status des Einzelnen determiniert ist. Somit wird der soziale Aufbau durch entsprechende Selektion des Schulsystems reproduziert. Zuletzt ist Schule auch als Sozialisationsinstanz ein Mittel zur gesellschaftlich-politischen Integration.
Hierbei wird deutlich, dass Schule weit mehr ist als eine reine „Lernanstalt“, sondern ihr kommt eine grundlegende soziale, wirtschaftliche und politische Bedeutung zu (vgl. HENECKA 1999, 66-68).
3.3 Politische Bildung in der Demokratie – von der Vergangenheit bis heute
Es wurde schon vor vielen Jahren darüber diskutiert, welche Inhalte und Ziele politische Bildung haben sollte und die ersten Grundsätze zur politischen Bildung wurden 1950 von der Kultusministerkonferenz beschlossen. Durch die Pädagogik kamen die Begriffe Sozialerziehung, staatsbürgerliche Erziehung, mitbürgerliche Kooperation u.a. auf. Die Ziele der politischen Bildung waren Gemeinschaftserziehung und Gewissensbildung.
In den sechziger Jahren gab es einen Einzug sozialer und politischer Theorien in den Schulen und es wurde das Fach Gemeinschaftskunde/ Sozialkunde eingeführt. Konflikt, Kritik und Kritikfähigkeit sollten die neuen Inhalte der politischen Bildung sein. Ziel war, die Schüler zu befähigen politisch selbstständig zu denken, eigene Urteilskraft zu entwickeln und eigene Stellungnahmen abzugeben.
In den siebziger Jahren hieß das neue Erziehungsziel Emanzipation, dabei wurden die Demokratisierung der Gesellschaft und die Aufhebung von Herrschaft angestrebt. Politische Bildung sollte Kritik und Überwindung der gegebenen Verhältnisse bedeuten (vgl. VEEN 1990, 7f.).
Danach geriet Bildung erst mal wieder in den Hintergrund der politischen Diskussion. Trotz dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung wurden Reformideen erstickt. Es erfolgte die Anlehnung an tradierte westdeutsche Bildungsstrukturen. Bildungspolitik fand in der Bundesrepublik nicht mehr statt. Obwohl die Schule finanziellen Kürzungen ausgesetzt ist, wird in den letzten Jahren wieder neu über Bildungspolitik diskutiert (vgl. BREIT; MASSING 1997, 5).
Die heranwachsende Generation soll zu einer positiven Identifikation mit der politischen Ordnung erzogen werden. Diese Identifikation muss kritikfähig sein und soll sich zu einer emotionalen Bindung an das Gemeinwesen entwickeln. Weiterhin gehört zur politischen Bildung die Vermittlung von Informationen über die Bundesrepublik Deutschland und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien. Gesetzmäßige Verfahren der Willensbildung und Entscheidungsfindung werden durch die freiheitliche Demokratie gesichert. Den Institutionen kommt eine entscheidende Aufgabe bei ihrem Zusammenwirken im politischen Prozess zu. In ihnen sollen sich die Werte der Verfassungsordnung konkretisieren. Das heißt Schaffen von Verantwortungsklarheit und Handlungskompetenzen. Indem sie individuelle Freiheitsrechte und öffentliche Kritik sichern, begründen und begrenzen sie die politische Herrschaft in der Demokratie (vgl. VEEN 1990, 8f.).
DEWEY sagt, die Schule habe die Möglichkeit sich mit dem Leben der Schüler zu verbünden und Wohnstätte des Kindes zu werden. Das Kind lernt in der Schule, weil sie seinem Leben eine Richtung gibt und nicht nur eine Stätte ist, um Lektionen zu lernen, die einen abstrakten Bezug zu irgendeinem denkbaren Leben haben, das irgendwann in der Zukunft gelebt werden soll. Er sagt, es geht darum, dass Lernen ermöglichen muss in der Schule tätig zu sein. Das heißt in der Schule mit dem Lehrer leben und lernend leben und lebend lernen. Schule ist ein Subsystem der Gesellschaft, aber gleichzeitig ein selbstständiges. Die Aufgabe der Schule besteht darin, „[…] eine Transformation der Gesellschaft im intergenerationellen Prozess zu ermöglichen und nicht nur die Reproduktion bestehender Verhältnisse zu sichern“ (MEYER 1999, 30).
In der Erziehung soll die Differenz zwischen der arbeitenden Gesellschaft und der Bildungsgesellschaft aufgehoben werden. Ohne soziale Demokratie verliert das Leben der Bürger an Qualität und auch das der Regierenden verkümmert, deshalb muss Schule so organisiert werden, dass die Schüler ein Interesse daran entwickeln, soziale Beziehungen und Kontrollen aufzubauen. Ziel dabei ist es, die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenzubringen, um für eine bessere Gesellschaft zu lernen und das, was die Gesellschaft an Gutem produziert, zu genießen. Weiterhin muss eine Gesellschaft dafür sorgen, dass ihre Mitglieder gleichberechtigt an dem teilhaben können, was sie an Gütern und Gutem produziert. Wenn das sichergestellt ist, nennt man eine Gesellschaft demokratisch (ebd).
4 Erziehung zur Demokratie – was ist politische Bildung?
Das folgende Kapitel gliedert sich in zwei Teile, in denen ich mich zum einen mit dem Erziehungsbegriff näher befassen werde und zum anderen mit dem Bildungsbegriff.
Zuerst möchte ich die Notwendigkeit erläutern, warum es überhaupt wichtig ist zur Demokratie zu erziehen und dabei besonders den geschichtlichen Hintergrund Deutschlands berücksichtigen. Ich werde den Erziehungsbegriff erläutern und unter Zugrundelegung der Gedanken DEWEYS möchte ich dann die Ziele der demokratischen Erziehung näher erläutern. Danach soll überprüft werden, welchen Erziehungsauftrag die Schule hat.
Dann komme ich zu dem Bereich politische Bildung. Was ist unter Bildung zu verstehen, welche Aufgabe hat die Schule, wann sprechen wir von politischer Bildung in Bezug auf die Demokratie und warum ist politische Bildung so wichtig? Welche Ziele sollte die politische Bildung verfolgen und welche Inhalte sollten vermittelt werden?
Zur politischen Erziehung gehört auch die Frage nach den Werten. Deshalb soll zum Ende diesen Kapitels der Frage nachgegangen werden, welche Werte in unserer Gesellschaft von Bedeutung sind und daher vermittelt werden sollten?
4.1 Erziehung
4.1.1 Warum zur Demokratie erziehen?
Wie bereits in den vorherigen Kapiteln dargestellt wurde, lebt die Demokratie von ihrem Volk, das heißt von jedem einzelnen Bürger. Das setzt ein gemeinsames Demokratieverständnis voraus. CARR beschreibt den Zweck der Erziehung in der Demokratie wie folgt:
[…] dass Erziehung in einer demokratischen Gesellschaft immer auch einen anderen Zweck als den bloßer Sozialisation voraussetzt und dass dieser vorausgesetzte Zweck darin besteht, die Fähigkeit künftiger Bürger zu kultivieren, selbst zu denken: auf der Grundlage eigenen rationalen Überlegens nachzudenken, zu urteilen und zu entscheiden (CARR 1995, 35).
Es geht also einerseits darum, verantwortungsvolles, selbstständiges Handeln zu ermöglichen und andererseits das Bewusstsein für die Abhängigkeit voneinander zu stärken, so dass jeder in der Verantwortung für seine Mitmenschen lebt.
Die Bedeutung der Erziehung zur Demokratie ergibt sich insbesondere durch die Geschichte des Nationalsozialismus, der auch nicht einfach so über Deutschland hereingebrochen ist, sondern unter Mitwirkung eines großen Teils des deutschen Volkes geschehen ist. Auch die Demokratie ist immer wieder gefährdet und das Beispiel des Nationalsozialismus zeigt, wie wichtig es ist, dass jeder Bürger verantwortungsvolles, politisches Bewusstsein erlangt. „Keine Verfassung kann demokratische Politik garantieren oder demokratische Partizipation ersetzen“ (MÜLLER 1995, 161).
In meiner Einleitung habe ich bereits erwähnt, dass es trotz der grausamen Geschichte des Nationalsozialismus immer noch rechtsextremistische und antisemitische Haltungen insbesondere unter Jugendlichen gibt. Es scheint, als hätten immer noch nicht alle aus der Vergangenheit gelernt. Somit gilt es gerade diesen Gruppen mit der Vermittlung von demokratischen Lebensformen entgegenzuwirken. Nur wenn Demokratie begriffen, verinnerlicht und gelebt wird, kann dem Einhalt geboten werden.
Weiterhin kann man, unter anderem an den geringen Wahlbeteiligungen, erkennen, dass eine zunehmende Politikverdrossenheit vorherrscht. Sicherlich ist eine Ursache das Gefühl, als einzelner Bürger nichts bewirken zu können. Auch dem sollte Einhalt geboten werden, denn nur durch aktive Beteiligung seiner Bürger kann ein demokratisches System existieren. Hierfür ist eine Voraussetzung, den Jugendlichen Verantwortung zu übertragen und ihnen deutlich zu machen, dass sie ein entscheidender Teil des demokratischen Staates sind. Sie müssen sich mit der Idee der Demokratie identifizieren können und es selbst für sinnvoll erachten, dass ein Leben in der Demokratie für sie selber und ihre Mitmenschen vorteilhaft ist.
Insofern ist die Erziehung zur Demokratie in vielerlei Hinsicht unabdingbar: Zunächst einmal für den Einzelnen, der den Anspruch haben darf, in seiner individuellen Lebensweise voll anerkannt zu werden mit all seinen Bedürfnissen, unabhängig von Rasse, Religionszugehörigkeit und Geschlecht, der zugleich verantwortungsvoller Teil der Gesellschaft ist und das Recht hat, an Entscheidungen beteiligt zu sein und sein Leben in der Gemeinschaft selbst zu bestimmen und das der anderen mitzubestimmen. Zugleich wurde deutlich gemacht, dass die Demokratie für das gesellschaftliche Zusammenleben notwendig ist und auf jeden einzelnen Bürger als Bestandteil angewiesen ist, wobei hierbei Voraussetzung ist, dass dieser sich über seine Verantwortung im Klaren ist. Demokratie fängt bei der Freiheit für die individuelle Lebensentfaltung an und setzt sich im gesellschaftlichen Miteinander fort, um dann in politische Institutionen überzugehen, die dann die Regierung bilden. Wenn die demokratische Lebensform nicht bei dem einzelnen beginnt, dann scheitert das ganze System.
4.1.2 Erläuterung des Erziehungsbegriffs
Seit der Aufklärungsbewegung im 18. Jahrhundert ist ein tiefgreifender Wandel in der Gesellschaft, den politischen Verhältnissen und der Kultur in Gang gekommen. Geografische, wirtschaftliche und kulturelle Lebensräume lösen sich auf und bisher geltende religiöse und moralische Normen werden kritisch hinterfragt. Besondere Kritik übt die Aufklärung an den politisch-gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen und sozialen Hierarchien. Man beruft sich auf die Kraft der Vernunft, auf die Fähigkeit des selbstständigen Denkens und das eigene Urteil. Die Anerkennung der Menschenrechte wird gefordert. In diesem Prozess wird auch das Kind mit eigenem Anspruch entdeckt, das Recht auf die Entwicklung seiner menschlichen Möglichkeiten, insbesondere seiner Vernunftfähigkeit, hat. Dieser Gedanke ist besonders von Rousseau[6] vertreten. Die Kindheit muss als vollwertige Lebensphase mit eigenem Recht und eigenen Sichtweisen anerkannt werden. Dieses Recht wurde sogar in der GENEREALVERSAMMLUNG DER VEREINTEN NATIONEN festgeschrieben:
Das Kind hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ungeachtet der Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere vom Kind gewählte Mittel sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben (GENEREALVERSAMMLUNG DER VEREINTEN NATIONEN 1989, Art. 13).
Bei den pädagogischen Denkern entwickelt sich nun die Auffassung, dass Erziehung im gesellschaftlich-politischen und kulturellen Zusammenhang eine eigene Aufgabe hat und dafür verantwortlich ist, dass jungen Menschen die Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Interessen sowie ihrer Mündigkeit und Selbstbestimmung ermöglicht wird.
Diese Eigenständigkeit der Erziehung sieht sich nicht losgelöst von der Gesellschaft, Politik und Kultur, sondern ist eine besondere Form der selbstverantwortlichen Bezogenheit auf diese umgreifenden Zusammenhänge. Der junge Mensch muss also schrittweise zum Verstehen, zur Selbstbestimmung, zur Mitgestaltung der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung in eigener Verantwortung und nach seinem eigenen Urteil befähigt werden (vgl. KLAFKI 1998 a).
Erziehung: Unterstützung und Förderung des heranwachsenden Menschen, die ihn in seiner geistigen und charakterl. Entwicklung befähigen soll, sich sozial zu verhalten und als selbständiger Mensch eigenverantwortlich zu handeln (MEYERS 2000, 249).
Hier werden die beiden Aspekte sozial und selbstständig deutlich gemacht; das sollen die Ziele einer guten Erziehung sein und der Zusammenhang zur Demokratie wird erkennbar, die auch von selbständigen Menschen lebt und deren Grundlage soziales Verhalten ist. DURKHEIM drückt es noch ein wenig präziser aus:
Ihr Ziel ist es, im Kinde gewisse physische, intellektuelle und sittliche Zustände zu schaffen und zu entwickeln, die sowohl die politische Gesellschaft in ihrer Einheit als auch das spezielle Milieu, zu dem es in besonderer Weise bestimmt ist, von ihm verlangen (DURKHEIM 1980, 29).
Nach DOHM ist der erzogen, der „[…] die polare Spannung zwischen Freiheit und Bindung […] auf der Grundlage ethischer und religiöser Überzeugungen seinen Platz bestimmen und seine Persönlichkeit für die eigene Lebensgestaltung – wiederum im privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld – produktiv und verantwortungsbewusst einsetzen kann“ (DOHM 2000, 2).
Auch hier wird deutlich, dass es darum geht, das eigene Leben in Verantwortung und Rücksicht auf das gesellschaftliche Umfeld zu gestalten.
Bislang galten, laut einer Umfrage, die folgenden Erziehungsziele: Gehorsam und Unterordnung, Ordnungsliebe und Fleiß, Selbstständigkeit und freier Wille. Diese Werte blieben lange Jahre stabil bis zum Ende der sechziger Jahre, in denen dann Selbstständigkeit und freier Wille eindeutig zu den dominierenden Erziehungswerten gehörten.
Wichtig zu bemerken ist auch, dass die Erziehungsziele abhängig vom Bildungsgrad variieren. Mit steigendem Bildungsstand nimmt die Bedeutung von Werten wie z.B. gute Schulleistung oder Gehorsam ab, während Werte wie Kritikfähigkeit und Wissbegierde an Bedeutung zunehmen. Also autoritäre Erziehungsziele werden stärker abgelehnt, während individualistische stärker in den Vordergrund treten. Weiterhin ist zu erkennen, dass sich bestimmte gegensätzliche Erziehungswerte gar nicht ausschließen z.B. Selbstständigkeit und Gehorsam. Man kann die unterschiedlichen Erziehungswerte unterteilen in traditionell-konventionelle (z.B. gute Schulleistungen), kritisch-autonome / prosoziale (z.B. Kritikfähigkeit und Selbstvertraue und, auf konkurrierenden Individualismus gerichtete (z.B. Durchsetzungsfähigkeit) (vgl. TIPPELT 1990, 273-276).
DURKHEIM macht außerdem darauf aufmerksam, dass so viele Arten von Erziehung bestehen, wie es verschiedene Milieus in der Gesellschaft gibt. Erziehung unterscheidet sich nicht nur von Gegend zu Gegend, sondern insbesondere in den sozialen Klassen (vgl. DURKHEIM 1980, 27).
Zusammenfassend lässt sich also erkennen, dass man von dem Erziehungsbegriff nicht sprechen kann, sondern dass die Vorstellungen von Erziehung sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändert haben. Es ist auch festzustellen, dass sie stark von unterschiedlichen Bedingungen, wie Bildung, Gesellschaftsform, etc. abhängt.
Dennoch lässt sich eine Tendenz, die auf die Selbstständigkeit des einzelnen Menschen abzielt, erkennen, das heißt, dass junge Menschen zu eigenständigen, kritikfähigen Personen herangezogen werden, die aktiv an der Gesellschaft teilnehmen.
Vor diesem Hintergrund, als das meines Erachtens nach entscheidende Erziehungsziel aufzeigen, möchte ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit das Erlernen von Demokratiefähigkeit.
4.1.3 Ziele demokratischer Erziehung
Im Hinblick auf das Thema meiner Arbeit, möchte ich nun den Erziehungsbegriff in Beziehung zu der Demokratie setzen. In einem demokratischen Staat sind die Erziehungsziele darauf gerichtet, demokratiefähige Bürger heranzuziehen. Demokratie zu leben muss gelernt werden. Das heißt eben nicht nur den Begriff Demokratie zu verstehen, sondern auch Verhaltensregeln, die für das Leben in sozialen Gemeinschaften unabdingbar sind, zu beherrschen. GIRMES spricht von der Demokratie als Lebensform:
So gesehen ist sie kein Zustand, sondern eine Lebensform, die ihren Anhängern Sachkundigkeit und Interesse für die öffentlichen Belange abverlangt. Allgemeine Sachkundigkeit und das Interesse an öffentlichen Belangen ist – zumal in den komplexen Gesellschaften der Neuzeit – ohne Unterricht und Erziehung für alle nicht zu denken (GIRMES 1995, 227).
Kinder müssen dazu erst einmal erfahren, wie wichtig es ist, für das Zusammenleben Regeln zu besitzen, damit man jedem gerecht werden kann (siehe 5.4.2). Sie müssen selber darauf stoßen, dass Demokratie sich als eine Form für das Leben in der Gemeinschaft eignet, nur dann kann Demokratie erfolgreich gelebt werden. Der oft negativ behaftete Begriff „Erziehung“ soll hierbei aber keine unbedeutende Rolle spielen. Kinder entwickeln oft nicht von alleine das notwendige Gespür für ihre Mitmenschen und Eigenschaften wie teilen lernen, Konflikte sachlich lösen, zuhören können etc.; diese müssen erst erlernt werden. Somit hat Erziehung nichts mit Zucht zu tun, sondern soll eine Anleitung sein, durch die für die Kinder Weichen gestellt werden, um miteinander umzugehen. Welchen Stellenwert die Erziehung in der Demokratie hat, möchte ich nun im Folgenden aufzeigen.
KERSCHENSTEINER behauptet, dass der Staat erst mal für den einzelnen wenig Wert hat und seine Wertschätzung in dem Maße steigt, indem er seine Lebensinteressen durch ihn gefördert sieht. Weiterhin wird laut KERSCHENSTEINER für jeden der Moment kommen, an dem er begreift, dass es kein freies unabhängiges Dasein gibt, sondern die Verfolgung der eigenen Interessen an die Interessen der anderen geknüpft ist. Die Entwicklung der Kultur und des Staatslebens gehen durch „Schlagen und Vertragen“ vor sich und von daher sollte das Ziel der staatsbürgerlichen Erziehung sein, dass „das Schlagen immer humaner“ und „das Vertragen immer freiwilliger“ wird. Ein weiteres Ziel ist die Verwirklichung der Idee des sittlichen Gemeinwesens in einem Ideal des nationalen Kultur- und Rechtsstaates.
Die Aufgabe der staatsbürgerlichen Erziehung ist also, die Bürger so zu erziehen, daß ihre Tätigkeit bewußt oder unbewußt, direkt oder indirekt dazu dient, den gegebenen Verfassungsstaat, den sie bilden, diesem unendlich fernen Ideale eines sittlichen Gemeinwesens, d.h. einer Gemeinschaft von Bürgern, in welcher die staatliche Rechtsordnung keiner Zwangsgewalt mehr bedarf, näher zu führen. Ziel und Aufgabe sind damit für alle Zeiten und Verhältnisse unveränderlich gegeben (KERSCHENSTEINER 1950, 42f.).
[...]
[1] Im Folgenden wird sich meine Zitierweise an den Vorschlägen von ROST orientieren (vgl. ROST 1999, 207, 217, 230, 234, 238).
[2] PISA=Program for international student assisment (Programm für internationale Schülerleistungsbewertung)
[3] Zur sprachlichen Vereinfachung werde ich im weiteren Verlauf meiner Arbeit die maskuline Form verwenden, meine aber damit immer beide Geschlechter.
[4] Ich möchte noch zu Beginn darauf aufmerksam machen, dass ich mich in meiner Arbeit ausschließlich auf Printmedien beschränke und keine Lehr- oder Schulbücher mit einbeziehe, da weitere Medien den Rahmen meiner Arbeit sprengen würden; zugleich erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit; ich habe mich um eine umfangreiche Literaturrecherche bemüht, doch auf Grund der Vielfalt an Literatur zu diesem Thema, ist es nicht möglich in der Kürze der Zeit alle zu erfassen.
[5] „DEWEY, John, (1859-1952), Philosoph, Pädagoge und Psychologe, war seit 1894 Professor an der Universität Chicago und gründete dort die „laboratory school“, eine Grundschule, in der er seine Erziehungsgrundsätze praktisch umsetzte. Von 1904 an lehrte er an der Universität von New York. Er gilt als der einflussreichste amerikanische Pädagoge im 20. Jhdt., dem auch der Slogan „learning by doing“ zugeschrieben wird“ (OELKERS 1993, Einführung).
[6] Rousseau, Jean-Jacques: frz. Schriftsteller und Philosoph (1712 - 1778); Vertreter und Überwinder der Aufklärung; konstruierte einen glücklichen naturhaften Urzustand der Menschheit. Die Frz. Revolution wurde von seinen staatstheoretischen Lehren entscheidend bestimmt; im Gesellschaftsvertrag verkündete er die Lehre von der Souveränität des Volkes (vgl. MEYERS 2000, 748).
- Quote paper
- Nicole Pekic (Author), 2004, Wie kann Demokratie in der Schule gelernt werden, so dass demokratische Lebensformen entwickelt werden und somit ein Beitrag zur zivilen Gesellschaft geleistet wird?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/36480
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