Ursprünglich war der Begriff „Straßenkind“ geprägt durch die Lebensbedingungen vieler Kinder, vor allem in Ländern der Dritten Welt oder Ost-Europa, welche zu einem Leben auf der Straße gezwungen sind und keinen Zugang zu Jugendhilfemaßnahmen oder dergleichen haben. Die Jugendlichen, welche hierzulande auf der Straße leben, werden seitens der Medien oftmals als „Straßenkinder“ bezeichnet, wobei ihre Lebenssituation sich durchaus von der der ursprünglichen Straßenkinder unterscheidet.
Kinder und Jugendliche, welche in Deutschland die Straße als ihren Lebensmittelpunkt gewählt haben, haben teilweise nach wie vor eine Anbindung an schulische Bildung, Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie und verbringen nicht zwingenderweise ihre gesamte Zeit auf der Straße. Der Terminus „Straßenkind“ ist dennoch sowohl seitens der Medien als auch der Pädagogik der momentan Gebräuchlichste und wird deswegen im Zusammenhang dieser Arbeit so verwendet werden. Welche Kinder und Jugendliche unter diesem Begriff gemeint sind, wie es zahlenmäßig um sie bestellt ist, was die sozialen Hintergründe und die Lebensbedingungen der Straßenkinder sind, soll in dieser Arbeit geklärt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Definition Straßenkind
2. Zahlen und Fakten
3. Ursachen
3.1 Familiäre Ursachen
3.2 Sozioökonomische Ursachen
4. Lebenssituation
4.1 Lebensbedingungen und Alltag von Straßenkindern
4.2 Lebensbedingungen und Alltag obdachloser Erwachsener
5. Quellenverzeichnis
1. Definition Straßenkind
Ursprünglich war der Begriff „Straßenkind“ geprägt durch die Lebensbedingungen vieler Kinder, vor allem in Ländern der Dritten Welt oder Ost- Europa, welche zu einem Leben auf der Straße gezwungen sind und keinen Zugang zu Jugendhilfemaßnahmen oder dergleichen haben. Die Jugendlichen, welche hierzulande auf der Straße leben, werden seitens der Medien oftmals als „Straßenkinder“ bezeichnet, wobei ihre Lebenssituation sich durchaus von der der ursprünglichen Straßenkinder unterscheidet. Kinder und Jugendliche, welche in Deutschland die Straße als ihren Lebensmittelpunkt gewählt haben, haben teilweise nach wie vor eine Anbindung an schulische Bildung, Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie und verbringen nicht zwingenderweise ihre gesamte Zeit auf der Straße. Der Terminus „Straßenkind“ ist dennoch sowohl seitens der Medien, als auch der Pädagogik der momentan Gebräuchlichste und wird deswegen im Zusammenhang dieser Arbeit so verwendet werden. Welche Kinder und Jugendliche unter diesem Begriff gemeint sind, soll im folgenden Abschnitt geklärt werden (vgl. ROMAHN 2000, S. 9).
Früher wurden differenzierte Einzelbegriffe wie „Ausreißer“, „Trebegänger“ oder „Aussteiger“ verwendet, welche einen bestimmten Grad der Zuwendung zur Straße bereits implizierten. Der Begriff „Straßenkind“ ist der inzwischen gebräuchliche Oberbegriff. „Straßenkinder sind also Kinder und Jugendliche, für die das Leben auf der Straße eine ‚wichtige‘ Rolle spielt“ (ROMAHN 2000, S. 10). Dabei ist die Definition von „wichtig“ entscheidend, da es einer subjektiven Empfindung unterliegt. Was eine Person als wichtig empfindet, wurde in drei Gruppen von Kindern und Jugendlichen kategorisiert, für welche die Straße eine bedeutungsvolle Rolle in ihrem Leben einnimmt. Zum einen sind das die Kinder, die sozusagen „halb“ auf der Straße leben, das heißt (d.h.) sie wohnen noch bei ihren Eltern oder Personen-sorgeberechtigen, nutzen dies aber primär als Schlafplatz und verbringen ihre Tage auf der Straße, besuchen beispielsweise Freunde dort statt in die Schule zu gehen. Zum anderen gibt es die Kinder, die keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie pflegen, aber durch Freunde aus dem gleichen Milieu eine Unterkunft gefunden haben. Diese Situation ist oftmals ein Provisorium, da die Beziehungen innerhalb der Szene eher als instabil zu bezeichnen sind. Das Kind oder der/die Jugendliche lebt aber nicht gänzlich auf der Straße, so wie es in der dritten Kategorie der Fall ist. Das sind die Kinder, für die der Begriff Straßenkind als am besten geeignet scheint, da sie nach vielen gescheiterten Versuchen der Integration auf der Straße angekommen sind. Zwar finden sie nächteweise eine Unterkunft in Heimen oder bei Freunden, gelangen aber immer wieder auf die Straße zurück (vgl. ROMAHN 2000, S. 10).
Es existiert zudem eine Definition des Deutschen Jugendinstituts, welches Straßen-kinder als die Kinder und Jugendlichen bezeichnet, die sich von gesellschaftlich vorgesehenen Sozialisationsinstanzen wie Schule oder Familie abwenden, hin zur Straße als Lebensmittelpunkt, was somit die alternative Sozialisationsinstanz darstellt. Der Gelderwerb findet auf der Straße durch teilweise delinquentes Verhalten statt. Zudem ist die faktische Obdachlosigkeit bezeichnend, sie bedeutet ein notwendiger häufiger Wechsel der Schlafstätten. Eine weitere Definition hält das Institut für Soziale Arbeit bereit, diese bezeichnet Straßenkinder als Kinder und Jugendliche in besonderen Problemlagen. Diese Begriffsdefinition nennt Kinder und Jugendliche und lässt mehr Spielraum, da viele Kinder und Jugendliche nicht tatsächlich auf der Straße wohnen, sondern beispielsweise in verlassenen Gebäuden. Der Begriff Straßenkind an sich wird deswegen als problematisch gesehen, da die reine Wortbedeutung auf falsche Tatsachen schließen lassen kann (vgl. ebd., S. 11).
Zusammenfassend wird deutlich, dass eine einheitliche Definition des Begriffs Straßenkind nahezu unmöglich ist, oder teilweise bereits daran scheitern kann, dass der Begriff nicht als treffend erachtet wird. Im Zusammenhang dieser Arbeit wird der Begriff Straßenkind so verwendet werden, dass er Kinder ebenso wie Jugendliche einschließt und die Kinder und Jugendlichen meint, welche ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben und gänzlich außerhalb ihrer Familie ohne festen Wohnsitz leben.
2. Zahlen und Fakten
Die Zahl der Straßenkinder in Deutschland kann nicht anhand von Statistiken belegt werden. Es liegen lediglich Schätzungen zugrunde, die nicht repräsentativ sind, aber einer groben Skizze dienen. Erhebungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosigkeit (BAG W) aus dem Jahre 2010 zufolge liegt die Gesamtzahl der Wohnungslosen bei 248000 Personen. Rund 22000 Personen leben zu dieser Zeit schätzungsweise tatsächlich auf der Straße, d.h. sie haben gar keine Unterkunft beispielsweise in Form von Heimen, Einrichtungen des Justizvollzugs oder Frauen-häusern. Der Anteil der Wohnungslosen unter 25 Jahren ist bei circa 21 Prozent der Gesamtzahl zu verorten, das macht etwa 52080 Personen. Anhand dessen ist aller-dings nicht zu verzeichnen, wie viele junge Menschen tatsächlich ohne Unterkunft leben (vgl. BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES 2013, S. 392ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(BUNDESMINISTERIUM FÜR ARBEIT UND SOZIALES 2013, S. 396).
2014 wurden insgesamt ungefähr 335000 wohnungslose Menschen ermittelt, davon leben rund 39000 Menschen ohne jegliche Unterkunft, so die BAG W. Ein Anstieg in dieser Hinsicht ist demnach zu beobachten. Schätzungsweise liegt die Zahl der wohnungslosen Kinder und Jugendlichen im Jahre 2014 bei 29000. Wieder fehlt eine Einschätzung, wie viele Kinder und Jugendliche tatsächlich auf der Straße leben (vgl. http://www.bagw.de, 2016).
Die Organisation terre des hommes schätzt die Zahl der auf der Straße lebenden Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland auf etwa 9000 (vgl. http://www.tdh.de, 2016).
Verschiedene Erhebungen verraten, dass die Zahl zwischen 9000 und 20000 Kindern und Jugendlichen liegt. Diese große Differenz kann dadurch entstehen, da Kinder bis zum 18. Lebensjahr als obhutlos gelten und im Zweifel formal der Wohnadresse ihrer Herkunftsfamilie zugerechnet werden (vgl. http://www.t-online.de, 2016).
Bemerkenswert ist ein hoher Anteil obdachloser Mädchen. Dies gründet vermutlich darauf, dass Mädchen stärker häuslicher Gewalt ausgesetzt sind und demnach von Zuhause flüchten. Zudem kommen sie früher in die Pubertät als Jungen, wodurch sich angespannte Situationen im familiären Umfeld schneller zuspitzen können und eine Flucht auf die Straße naheliegt (vgl. http://www.zeit.de 2, 2016).
Die Initiative Off Road Kids vermutet etwa 300 minderjährige Straßenkinder pro Jahr. Die meisten Straßenkinder sind der Initiative zufolge 14 Jahre und älter. Viele der Betroffenen pendeln zwischen Städten, um sich vor der Entdeckung zu schützen oder vor Stresssituationen in der Szene zu flüchten (vgl. http://offroadkids.de 1, 2016).
Häufig halten Jungen länger auf der Straße durch als Mädchen. Zum einen kann eine abrupte Schwangerschaft dem Straßenleben der Mädchen ein Ende setzen, zum anderen sind Mädchen zielgerichteter und suchen nach Lösungen, dies berichtet ein Sozialpädagoge. Jungen hingegen ignorieren meist ihre Probleme, anstatt sie sich einzugestehen (vgl. http://www.zeit.de 2, 2016).
3. Ursachen
Es gibt vielfältige Ursachen, warum Kinder und Jugendliche zu Straßenkindern werden. Es wird unterteilt in Push- und Pull-Faktoren. Push ist das englische Wort für stoßen, in diesem Zusammenhang bedeutet das die Faktoren, welche Kinder oder Jugendliche von etwas wegstoßen. Pull steht für ziehen, damit ist die An-ziehungskraft der Straße gemeint. Die Straße birgt für die Kinder und Jugendlichen die Chance, frei und ohne Zwänge zu leben. Außerdem ist der Erlebnischarakter des Lebens auf der Straße offenbar nicht zu unterschätzen (vgl. ROMAHN 2000, S. 47).
Im folgenden Teilkapitel soll der Fokus jedoch mehr auf den Push-Faktoren im Sinne familiärer Ursachen liegen.
3.1 Familiäre Ursachen
Familiäre Beziehungen sind eine wesentliche Ursache für das Leben auf der Straße. Die klassische Familienform von Mutter, Vater und Kindern hat sich aufgelöst, sogenannte Patchworkfamilien werden zunehmend gängiger. Die typische Familie ist nicht mehr der Regelfall des Aufwachsens, andere Formen des Zusammen-lebens mit flexiblen Strukturen lösen dieses Modell ab. Zudem findet das Leben für Kinder und Jugendliche heutzutage deutlich sichtbar außerhalb der Familie statt, sei es durch Modelle wie die Ganztagsschule oder Freizeitaktivitäten. Werte der klassischen Familie gehen mehr und mehr verloren, wodurch die Familie zur Zweck-gemeinschaft für einen bestimmten Zeitraum werden kann, statt einem Ort, an dem Probleme thematisiert und gelöst werden oder Erfahrungen und Ideen ausgetauscht werden können. Ein großer Teil der Straßenkinder stammt aus familiären Strukturen, die durch physische oder psychische Gewalt geprägt waren. Miss-handlung und sexueller Missbrauch sind in diesem Zusammenhang ebenfalls entscheidende Faktoren. Manche Kinder wurden seitens der Eltern aktiv ab-geschoben, da diese sie aufgrund einer Überforderung vernachlässigt haben. Gewalt in Familien ist entscheidend für den Entwicklungsprozess von Kindern und Jugendlichen. Häufig werden jene Gewalterfahrungen in Stieffamiliensituationen gemacht, in denen die Beziehungen ungleich verteilt sind, oder die durch lange vorangegangene Beziehungskrisen der Eltern geprägt waren. Nach dem Verlust dieser stabilen Beziehung folgen beispielsweise weitere Beziehungsabbrüche durch neue wechselnde Partner der Elternteile. Kinder, die solche wechselnden Bezugspersonen erleben, können ihre Situation dabei so erleben, dass sie das Gefühl haben, einen Elternteil an einen anderen Menschen verloren zu haben. Ihnen fehlt das Gefühl, geborgen zu sein und wahrgenommen zu werden. Neue Stiefgeschwister, die dann zur Welt kommen, können diese Problematik noch verstärken, dass es im Extremfall dazu kommt, dass das Kind die Familie verlässt. Emotionale Vernachlässigung der Eltern kann gegebenenfalls eine Ursache dafür sein, dass Kinder den Kontakt zu Randgruppen wie Punks suchen. Die Eltern sind möglicherweise zu sehr mit sich selbst und ihrer Arbeit beschäftigt. Das Kind ist materiell gut versorgt, die Zuwendung seitens der Eltern fehlt jedoch. Wenn es ausbricht, findet es beispielsweise Anschluss in Gruppen, die aus Kindern und Jugendlichen bestehen, welche ähnliche Hintergründe haben und bei denen es sich verstanden und aufgehoben fühlt. Dieses Phänomen zeigt, dass Kinder, die aus gesellschaftlich gut situierten Familien kommen, gleichermaßen zu Straßenkindern werden können, weil in diesem Modell der gutbürgerlichen Familie Probleme oft ignoriert und Auseinandersetzungen vermieden werden. Der Prozess, bis jene Kinder ihren Lebensmittelpunkt auf die Straße verlagern, geschieht meist schleichend, da sich die Vorstellungen der Eltern und Kinder zunehmend voneinander entfernen und irgendwann gänzlich nicht mehr miteinander vereinbar sind (vgl. ebd., S. 47ff.).
Der Großteil der Straßenkinder stammt aus instabilen und unvollständigen Familienverhältnissen, wie bereits beschrieben. Untersuchungen zeigen einen weiteren Risikofaktor, der gegebenenfalls zur Ursache dafür werden kann, dass junge Menschen ihre Familie verlassen. Besonders bei Mädchen kann es mit dem Beginn der Pubertät zu Krisen kommen. Der Auslöser hierfür sind meist das Aushandeln von gewissen Spielräumen, was entwicklungsgemäß ist, von Eltern dennoch nicht unbedingt geduldet oder gewährt wird. Deswegen entsteht eine Art Teufelskreis, in dem sich die immer gleichen Abläufe von Auflehnung seitens des Kindes und der darauffolgenden Sanktionierung der Eltern wiederholen, weil diese in ihrer Erziehung den Fokus mehr auf den eigenen Werten und Vorstellungen haben, als dass sie Möglichkeiten für Wünsche und eigene Vorstellungen ihres Kindes dulden würden. Wenn aus diesem Muster nicht ausgebrochen wird, spitzt sich die Situation möglicherweise im Verlauf so sehr zu, dass das Kind die Familie verlässt (vgl. HANSBAUER 1998, S. 43).
Diese Beispiele und möglichen Ursachen im familiären Umfeld machen zwar deutlich, was häufige Auslöser in Form von Push-Faktoren sind, um die Familie zu verlassen, dennoch gibt es weiterführende Ursachen, denn die meisten der Kinder, welche ihre Familien verlassen, sind im Verlauf zunächst an die Jugendhilfe angebunden und werden beispielsweise in Jugendhilfeeinrichtungen vollstationär untergebracht. Weshalb sie ihr Leben dann langfristig ebenfalls weg davon, hin zur Straße verlegen, kann noch weitere Ursachen als das familiäre Umfeld haben (vgl. ROMAHN 2000, S. 54).
Deswegen sollen im folgenden Teilkapitel weitere mögliche Ursachen beleuchtet werden.
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- Citation du texte
- Manuel Lemke (Auteur), 2017, Straßenkinder. Kinder und Jugendliche und das Leben auf der Straße in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/359069
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