Die archäologische und frühgeschichtliche Forschung in Bezug auf die Wikinger hat in den letzten Jahren wieder vermehrt Interesse geweckt. Nach langer Zeit der Stigmatisierung des Themas durch dessen politischen Missbrauch unter den Nazis kann endlich wieder f reier, sachlicher und unbefangener über diese Thematik diskutiert werden. Gerade das Stigma der „nordischen Kultur“ im i nhaltlichen Unterschied zur Kultur der Wikinger machte es schwierig kulturspezifische Forschung vorurteilsfrei und politisch neutral zu artikulieren. In dieser Arbeit soll nun der Versuch unternommen werden die typischen Charakteristika der urbanen Siedlungen der Wikinger in ihren Ursprungsländern aufzuzeigen und sie in einen anthropogeographischen Kontext zu setzen. Zur herkömmlichen Definition der Anthropogeographie gehören üblicherweise die Teilbereiche der Bevölkerungs-, Siedlungs-, Verkehrs-, Wirtschafts-, und politischen Geographie. Neuere Ansätze im Fachbereich aus den späten 1960er Jahren richten sich eher nach den Daseinsgrundfunktionen der Sozialgeographie: Wohnen und Arbeiten 1 . Im Folgenden sollen beide Standpunkte gemeinsam Beachtung finden. Das prominenteste Problem dabei ist die unzureichende Nachweisbarkeit. So ist zum Beispiel keiner der in der Arbeit angeführten Orte zu mehr als 5% ausgegraben 2 . Ebenso sind die Funde an sich nur stumme Zeugen, deren Zuordnung einiger Interpretation bedarf. Auch Prozesse sind nur sehr schwer zu erkennen. Stattdessen erhält man nur lückenhafte und statische Eindrücke dieser Epoche. Vielleicht ist das der Grund, dass es bis 1991 nahezu keine wissenschaftlichen Betrachtungen der urbanen Siedlungen der Wikinger gab 3 . So muss gesagt werden, dass diese Arbeit trotz aller Mühen lediglich im Bereich der Vermutung und Hypothese bleiben kann und muss, zumindest bis quantitativ und qualitativ Stichhaltigeres bewiesen werden kann. [...]
Inhaltsverzeichnis
0. Einführung
1. Definition
1.1 Umfang dieser Arbeit
1.1.1 örtlich
1.1.2 zeitlich
1.2 die Stadt als Lebensraum
1.3 Urbanität der Wikinger
2. Beispielhafte Städte
2.1 Haithabu
2.2 Ribe
2.3 Birka
3. Siedlungsformen
3.1 Stadt
3.2 Köpingeorter
3.3 Ländliche Siedlungen
3.4 Zweckgebundene Siedlungen
3.4.1 Heilige Stetten der alten Religion
3.4.2 Kirchliche Zentren
3.4.3 Militärische Zentren
3.4.4 Verkehrszentren
4. bestimmende Faktoren
4.1 Topographie
4.2 Wirtschaft
4.2.1 Intern
4.2.2 Extern
4.3 Regierungsform
4.4 Religion
4.5 Verkehrswege
4.5.1 Wasserwege
4.5.2 Landwege
5. Hervorgerufene Prozesse
5.1 Stadtgründung
5.2 Kontinuität und Verlagerung
6. Aktuelle Theorien im Vergleich
6.1 Christallers Zentralitätstheorie
6.2 Push und Pull Faktoren
6.3 Verstädterung vs. Urbanisierung
7. Abschließende Betrachtung
8. Literaturnachweise
0. Einführung
Die archäologische und frühgeschichtliche Forschung in Bezug auf die Wikinger hat in den letzten Jahren wieder vermehrt Interesse geweckt. Nach langer Zeit der Stigmatisierung des Themas durch dessen politischen Missbrauch unter den Nazis kann endlich wieder freier, sachlicher und unbefangener über diese Thematik diskutiert werden. Gerade das Stigma der „nordischen Kultur“ im inhaltlichen Unterschied zur Kultur der Wikinger machte es schwierig kulturspezifische Forschung vorurteilsfrei und politisch neutral zu artikulieren.
In dieser Arbeit soll nun der Versuch unternommen werden die typischen Charakteristika der urbanen Siedlungen der Wikinger in ihren Ursprungsländern aufzuzeigen und sie in einen anthropogeographischen Kontext zu setzen. Zur herkömmlichen Definition der Anthropogeographie gehören üblicherweise die Teilbereiche der Bevölkerungs-, Siedlungs-, Verkehrs-, Wirtschafts-, und politischen Geographie. Neuere Ansätze im Fachbereich aus den späten 1960er Jahren richten sich eher nach den Daseinsgrundfunktionen der Sozialgeographie: Wohnen und Arbeiten[1]. Im Folgenden sollen beide Standpunkte gemeinsam Beachtung finden.
Das prominenteste Problem dabei ist die unzureichende Nachweisbarkeit. So ist zum Beispiel keiner der in der Arbeit angeführten Orte zu mehr als 5% ausgegraben[2]. Ebenso sind die Funde an sich nur stumme Zeugen, deren Zuordnung einiger Interpretation bedarf. Auch Prozesse sind nur sehr schwer zu erkennen. Stattdessen erhält man nur lückenhafte und statische Eindrücke dieser Epoche. Vielleicht ist das der Grund, dass es bis 1991 nahezu keine wissenschaftlichen Betrachtungen der urbanen Siedlungen der Wikinger gab[3]. So muss gesagt werden, dass diese Arbeit trotz aller Mühen lediglich im Bereich der Vermutung und Hypothese bleiben kann und muss, zumindest bis quantitativ und qualitativ Stichhaltigeres bewiesen werden kann.
1. Definition
Als erster Schritt soll hier eine Definition der Begrifflichkeiten stattfinden sowie eine Eingrenzung der Thematik.
1.1 Umfang dieser Arbeit
Die Ausbreitung der Wikinger und ihrer Kultur ist auch vom heutigen Standpunkt aus durchaus faszinierend umfangreich. Eben aus diesem Grund ist es wichtig bei jeglicher Betrachtung gewisse räumliche und zeitliche Eingrenzungen vorzunehmen.
1.1.1 örtlich
Das erste Problem, dass sich stellt ist die Identifizierung einer reinen „wikingischen Stadt“, da viele nördlichen Städte des kontinentalen Europas, wie z.B. Dorestad am niederländischen Rhein, in ihrer Physiognomie und ihren Funden eine sehr enge Verknüpfung und Beeinflussung durch die Wikinger vermuten lassen. Ihr Umfeld und ihre Gründung jedoch sind klar von den Wikingern zu trennen[4]. So unterschieden sich auch die frühmittelalterlichen Städte der britischen Inseln (z.B. York und Hamwic) in ihrer komplexeren Organisation und Struktur wesentlich von den skandinavischen und den baltischen Städten[5], trotzdem die Wikinger durchaus eine bedeutende Rolle in der Entwicklung dieser Städte spielten.
Um ein möglichst interferenzfreies Bild einer urbanen Siedlung wikingischen Ursprungs zu bekommen ist es also nötig sich in die wikingischen Heimatländer zu begeben, also nach Dänemark, Schweden und Norwegen. Dort bildeten sich die frühesten urbanen Zentren des Kulturkreises. Der nebenstehende Planausschnitt zeigt sowohl die relevante Region wie auch ein Großteil der in Betracht kommenden Siedlungen. Zwar hatten auch Dänen, Norweger und Schweden unterschiedliche kulturelle Aspekte[6], jedoch bewegten diese sich immer noch innerhalb eines kulturell homogenen Bereichs.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: das wikingische Kerngebiet (Sawyer 2002 S.413).
1.1.2 zeitlich
Der zeitliche Bezug dieser Arbeit ist offensichtlich an den Zeitraum der Existenz der wikingischen Kultur geknüpft. Der allgemein angenommene Beginn des Zeitalters der Wikinger wird gerne mit dem Überfall auf Lindisfarne 793 gleichgesetzt. Durch dendrochronologische Untersuchungen an wikingischen Schiffen und Artefakten allerdings ist eine Datierung auf 760 und früher möglich. So datieren sich früheste Einzelfunde des Danewerks auf 737, des Kanhave-Kanal auf Samsø auf 726 und einige Dendrodaten im Hafen von Haithabu deuten sogar auf die Jahre 725-750[7]. Der Ausgang der Wikingerzeit wird üblicherweise über König Canutes (Knut der Große) Herrschaft und die Schlacht von Hastings 1066 definiert[8].
Ein typisches Problem bei Ausgrabungen an wikingischen Städten ist allerdings der fehlende Materialfund. Da diese Städte, ganz gleich wie groß ihre Bedeutung war, nahezu komplett aus Holz erbaut wurden. So wurde z.B. von Odense, das tatsächlich schon 988 zum Bischofssitz erhoben wurde, so gut wie kein archäologisches Material gefunden, das sich nicht erst in die Zeit weit nach dem Jahre 1000 einordnen ließe[9]. So ist auch die These von Sawyer (2002, S.279) zu verstehen, die einen Beginn der Urbanisierung zum ausgehenden 10. Jahrhundert annimmt. Dieser Ansicht muss vom Standpunkt dieser Arbeit jedoch klar widersprochen werden. Sogar Müller-Wille spricht von einer „…frühen Phase der Urbanisierung des Nordens, im 8. Jahrhundert und um 800“[10]. Vielmehr ist das von Sawyer Erwähnte also der Beginn einer zweiten Urbanisierungswelle die nicht mehr kommerziell sondern klerikal-royal motiviert war. Zu dieser zweiten Art gehören unter Anderem die Gründung von Sigtuna 980 als Herrschaftssitz, Skara 1050 als Bischofssitz und Lödöse und Göta Älv als militärische Grenzpunkte.
Folglich muss der Zeitliche Betreff dieser Arbeit zweigeteilt gesehen werden: Eine erste Urbanisierungswelle kommerzieller Art vom beginnenden 8. Jahrhundert bis um das Jahr 950-1000, je nach Region, sowie eine zweite Welle bis zum Niedergang der Wikinger und darüber hinaus. Da hier ein möglichst ursprüngliches Bild wikingischer Städte aufgezeigt werden soll ist natürlich die erste Urbanisierungswelle, die für diese Arbeit relevantere.
1.2 die Stadt als Lebensraum
Die Stadtgeographie wird immer mehr Teil einer integrierten, interdisziplinären Stadtforschung. Dabei tritt die „Stadt als Baukörper“ immer weiter in den Schatten der „Stadt als gesellschaftliche Einheit“[11]. Leider ist eine soziologische Untersuchung der wikingischen Bevölkerung nur noch rein pathologisch. So muss wohl oder übel das größere Gewicht auf die bauliche Betrachtung der Stadt gelegt werden. Wo es jedoch möglich ist Rückschlüsse auf den „Lebensraum Stadt“ zu ziehen, soll dies natürlich geschehen. Doch welche der vielen ausgegrabenen Siedlungen sind überhaupt als Städte titulierbar, oder besser was ist eine „Stadt“?
Die Frage der Stadtdefinition ist schon an sich eine Kontroverse, so plädierte der Soziologe Friedrichs 1977 für den Verzicht einer Definition des Begriffes „Stadt“ mit der Begründung das „Stadt“ nur ein Element des Begriffes „Gemeinde“ ist und für die Gesellschaftsanalyse keinen soziologisch abgrenzbaren Objektbereich darstelle[12]. Andererseits muss klar festgestellt werden, dass das urbane Leben sich doch deutlich vom ruralen unterscheidet, so stellt sich also eher die Frage wo die Grenze zwischen urbanem und ländlichem Raum zu setzen ist. Eine Stadt-Definition im archäologischen Kontext, die auf quantitativen Daten basiert ist aufgrund der unvollständigen Sichtweise wohl eher problematisch, hier sollte eher nach qualitativen Faktoren gesucht werden. So definiert Reynolds den Begriff „Town“ als “A permanent human settlement…in which a significant proportion lives off trade, industry, administration and other non-agriculural occupations… It forms a social unit more or less distinct from the surrounding countryside.”[13] Hierbei orientiert er sich klar an der „Stadt als gesellschaftliche Einheit”. Boockmann (1987) hingegen sucht bei seiner Definition einer mittelalterlichen Stadt eher nach Charakteristika die sich auf den Baukörper beziehen:
„1. sie steht unter einem Herren oder Heiligen;
2. Sie ist durch Mauern und Pflaster gekennzeichnet;
3. Sie ist durch Technik und Modernität vom Lande abgehoben;
4. Sie ist ein Ort für Muße und Bildung“[14].
Leider ist diese Definition wenig tauglich da sie sich offensichtlich auf einen christlichen orientierten Kontext und eine Architektur, die sich auf Steinbauten stützt abzielt. Beides ist für die Städte der frühen Wikingerzeit unzutreffend und nicht relevant.
Besser ist die von Hofmeister zusammengefasste Definition, die sich eigentlich auf moderne Städte bezieht, jedoch Baukörper genauso beachtet wie Bewohner. Sie soll auch dieser Arbeit zugrunde liegen:
„Sie [die Stadt] ist kompakter Siedlungskörper von hoher Wohn- und Arbeitsplatzdichte, mit vor allem durch Wanderungsgewinn wachsender Bevölkerung mit breitem Berufsfächer bei überwiegend tertiär- und sekundärwirtschaftlichen Tätigkeiten, mit deutlicher innerer Differenzierung, relativ hoher Verkehrswertigkeit, mit einem Bedeutungsüberschuss an Waren und Dienstleistungen für einen erweiterten Versorgungsbereich bei weitgehend künstlicher Umweltgestaltung mit deren Folgen für ihre Bevölkerung.“[15]
Ohne der Arbeit vorgreifen zu wollen soll gesagt sein, dass die frühmittelalterliche Stadt in ihrer Funktion der modernen Stadt sehr nahe steht. Es bestehen jedoch durchaus Unterschiede: zwar sind Städte früher wie heute Nahmarkt für ein ländliches Gebiet und Kulturstätte, doch eine Bedeutung als militärischer Zufluchtsort[16] ist heutzutage klar obsolet. Wie wichtig eine solche Schutzfunktion auch in Skandinavien war sieht man an einigen Beispielen: so befand sich nördlich von Haithabu eine Hochburg, deren Bedeutung erst abnahm als Haithabu mit einem Stadtwall befestigt wurde[17]. Eine solche Verteidigung der Siedlungen im Heimatland war nötig, da auch dort eine Art Danegeld eingefordert wurde, das so genannte brandskattning. Meist war es jedoch ausreichend sichere Rückzugspunkte für die Bevölkerung einzurichten. Gerade in Norwegen war es durch die bergige Topographie recht einfach solche Fluchtburgen einzurichten. Im flachen Schonen oder Dänemark gestaltete sich das schon schwieriger. Stadtwälle jedoch wurden erst typisch für Städte deren Gründung und Existenz sich auf die Zeit nach 900 datiert. Kaupang ist hier als Beispiel zu nennen: aufgegeben noch vor diesem Zeitpunkt, besaß die Stadt keinen Stadtwall. Scheinbar ist diese Art Einrichtung von den Wikingern nach englischem Vorbild kopiert worden[18].
Gegenüberstehend zu den Stadtfunktionsorten finden sich die Titularstädte[19]. Diese spielen jedoch wiederum keine Rolle in der definierten Zeitspanne, da das Stadtrecht in Skandinavien erst wesentlich später legislative Beachtung fand. Interessant ist dennoch, dass im 14. Jahrhundert die Bezeichnung für das skandinavische Stadtgesetz etymologisch mit dem Namen der Stadt Birka in Verbindung gebracht werden kann: nannte man es in Schweden „Bjärköarätt“, wurde im norwegischen und dänischen daraus „Bjerkerätt“[20].
Als Orientierungspunkte dieser Arbeit sollen schließlich die drei Phasen der stadtgeographischen Betrachtung einer urbanen Siedlung dienen:
1. Phase der Stadtgeographie : Die „Raumqualität“ oder die Frage nach der Lage einer Stadt.
2. Phase: die physiognomische Betrachtung der Stadt als Baukörper.
3. Phase: die funktionale Erfassung der Stadt.[21]
1.3 Urbanität der Wikinger
Natürlich ist Urbanität an sich ein und das Selbe auf der ganzen Welt. Dies hat auch der Archäologe Childe anhand seiner 6 Merkmale festgelegt, die die Funktion einer Siedlung als Stadt belegen: 1. große Dichte; 2. vielfältige Bevölkerungszusammensetzung durch Einwanderung von Einwohnern unterschiedlicher Herkunft; 3. Nicht-agrarischer Charakter der Siedlung und die Ernährung der Bewohner durch Überschuss des Landes; 4. Handelsbeziehungen nach außen; 5. Beschäftigung der Bevölkerung mit Kunst, Wissenschaft und anderen nicht produktiven Betätigungen; 6. Abgabe für Gemeinschaftsausgaben[22]. Im wikingischen Kulturkreis allerdings, ähnlich wie anderen Ortes auch, müssen diese Aussagen angepasst werden. Können die Punkte 1-4 noch relativ problemlos nachgewiesen werden, stoßen wir bei Punkt 5 und 6 doch auf Probleme: „nicht produktive“ Tätigkeiten hinterlassen nun mal weniger deutliche Spuren als produktive, wobei Flechtbandornamentik und Dichtkunst uns hier als Beleg für das Vorhandensein solcher kulturellen Tätigkeiten genügen sollen. Was die Abgaben angeht so kann man nur wage, anhand der gleichförmig eingeteilten Besitzparzellen der wikingischen Städte (s. 2.1) eine Pacht- oder Mietabgabe vermuten und als nachweisbarer Gemeinschaftsnutzen bleiben lediglich einige Stadtwälle und Hafenanlagen.
Klarer wird das Bild der wikingischen Urbanität allerdings in der Gegenüberstellung mit spätantiken römischen oder frühmittelalterlichen deutschen Städten: frühe wikingische Städte waren in aller erster Linie Seehandelszentren deren geordnetes lineares Stadtbild gänzlich aus Holzbauten bestand. In ihrer Architektur waren sie sehr einfach gehalten und in ihrer Organisation deutet alles auf einzelne Herrscher hin, die Stadtgründungen mit gezielten kommerziellen Absichten tätigten. Darauf deuten auch andere Indizien, so fehlen in den frühen wikingischen Städten, sieht man von Hafen und eventuellen Schutzburgen ab oder Wällen ab, vollkommen die gemeinnützigen Einrichtungen: kein Forum, keine Plätze, keine Krankenhäuser, Schulen oder Heiligtümer, lediglich eine breite Hauptstraße als Leitlinie der Stadtplanung und Sitz der einzelnen Betriebe. Dies in Zusammenhang gebracht mit dem völligen Fehlen von Nachweisen über ein Bürgertum oder Geldadel lässt die Hypothese zu, dass es in der wikingischen Stadt kaum horizontale Mobilität gab und auch eine Stadt-Land-Dichotomie allenfalls im Lebens- und Arbeitsstil, jedoch nicht im Sozialen existierte. Es ist sogar nahe liegend einen sozialen abstieg in den Städten zu vermuten, ganz ähnlich zu den Städten der industriellen Revolution. Zum Beispiel beschrieb ein arabischer Besucher Haithabu als eine Siedlung, die arm an Gütern und Reichtum war, und deren Einwohner in kleinen und nassen Behausungen lebten. Diese stellte er in starken Kontrast mit den ländlichen Siedlungen dieser Zeit[23].
All dies ist sehr wahrscheinlich auf den Umstand zurückzuführen, dass die vorwikingische Kultur von einem der prägendsten europäischen Kulturen, den Römern, förmlich isoliert war, was zur Ausbildung dieser vollkommen selbständigen, andersartigen und sehr zweckgebundenen Form der Urbanisierung geführt hat[24].
Allerdings ist zu ersehen, dass in fortlaufender Entwicklung auch die wikingischen Städte mehr und mehr außerskandinavische Einflüsse angenommen haben[25]. So wurden zum Beispiel ab dem frühen 10. Jahrhundert Stadtmauern populär, deren Idee mutmaßlicher Weise aus England importiert wurden, wo sie wiederum von den Römern eingeführt worden sind.
2.Beispielhafte Städte
Als nächster Schritt sollen drei repräsentative Beispiele wikingischer Stadtgründungen gezeigt werden: Haithabu und Ribe in Dänemark sowie Birka in Schweden.
2.1 Haithabu
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Das Danewerk und seine Lage (Sawyer 2002 S.412).
Die Stadt hat politisch sowie verkehrsgeographisch eine höchst interessante Lage, denn Haithabu entstand an der Ostküste der jütländischen Landenge, die zwischen der Schlei und der heutigen Heverstrom-Bucht gelegen ist und gerade mal 7km lang ist. Diese stellte auch die damalige dänisch-deutsche Grenze dar[26].
Im Allgemeinen wird die Gründung der Stadt entsprechend schriftlicher Belege König Godfred zugeschrieben. Dieser hat 808 die Handelsstadt Reric aufgelöst und sämtliche, zum großen Teil slawische, Handwerker nach Haithabu umgesiedelt[27]. In diesem Zusammenhang erfolgte auch der bauliche Anschluss der Stadt an das Danewerk und die Anlage eines Stichweges zur Anbindung an den Ochsen- oder Heerweg[28].
Dendrodaten erzählen allerdings eine leicht veränderte Gründungsgeschichte. So wurden schon 725 in Haithabu Landungsbrücken gebaut, was die Vermutung unterstützt, dass Haithabu ein dänischer Südhafen war, der mit dem Bau des Danewerkes in Verbindung stand[29]. 836 erfolgte dann eine systematische Neuordnung der Siedlung und der Pachtbesitze. 885 wurde die Hafenanlage erneuert und befestigt[30]. 934 erfolgte die Eroberung Haithabus durch Heinrich und die Sachsen. Danach wurde die Stadt wieder von der dänischen Gorm-Dynastie übernommen. 983 erfolgte dann die Belagerung und Besetzung der Stadt durch Truppen des deutschen Reiches. Sven Gabelbart, Sohn Gorms, konnte aber eine schnelle Befreiung und Rückeroberung der Stadt erkämpfen[31]. Aus dieser Zeit stammt wahrscheinlich auch die rund 10m hohe Stadtmauer[32].
Die multikulturelle Bedeutung der Stadt Haithabu schlägt sich auch in ihren vielen Namen nieder: aus Ursprünglich Sliasthorp wurde Hedeby bzw. Haithabu. Ansgar nannte die Stadt Sliaswig, Adam von Bremen hingegen Sliaswich oder Heidiba. Aus dem Altenglischen ist auch der Name æt Hædum bekannt[33]. Auch eine verkehrsgeographisch hohe Bedeutung der Stadt ist ersichtlich. So war Haithabu von Nord- und Ostsee aus gut zu erreichen aber auch durch die Anknüpfung an den Heerweg auf dem Landwege leicht erreichbar. Außerdem als Grenzstadt und kommerzieller Knotenpunkt geplant, war eine derartige Lage Garant für eine florierende Wirtschaft.
Interessant ist, dass sowohl Haithabu als später auch Schleswig durch einen Stichweg an den „Heerweg“ angeschlossen waren[34]. Eigentlich wäre von einer typisch europäischen Stadtgründung zu erwarten gewesen, dass sie sich eher an dem Landweg orientiert. Doch für Haithabu wurde eine klare Küstenlage gewählt. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die Wikinger, im Gegensatz zu den anderen europäischen Kulturen dieser Zeit, eine Verkehrsgeographie verfolgten, die sich klar auf Wasserwege stützte.
[...]
[1] HOFMEISTER (1999): S.7
[2] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.176
[3] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.1
[4] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.25ff
[5] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.24
[6] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.3
[7] BRANDT et al. (2002) S.321
[8] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.3
[9] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.63
[10] BRANDT et al. (2002) S.321
[11] HOFMEISTER (1999): S.8
[12] HOFMEISTER (1999): S.220
[13] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.3
[14] HOFMEISTER (1999): S.225
[15] HOFMEISTER (1999): S.231
[16] HOFMEISTER (1999): S.225
[17] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.60
[18] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.152f
[19] HOFMEISTER (1999): S.220
[20] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.76
[21] HOFMEISTER (1999): S.9f
[22] HOFMEISTER (1999): S.222
[23] SAWYER (2002) S.271
[24] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.48
[25] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.1
[26] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.56
[27] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.58
[28] SAWYER (2002) S.110f
[29] BRANDT et al. (2002) S.331
[30] SAWYER (2000) S.206
[31] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.58
[32] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.59
[33] AMBROSIANI & CLARKE (1991) S.58
[34] BRANDT et al. (2002) S.83
- Arbeit zitieren
- Urs Noetzelmann (Autor:in), 2004, Eine anthropogeographische Betrachtung der wikingischen Stadtsituation in den skandinavischen Ursprungsländern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35868
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