Eine literarische Erörterung des Stückes "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert inklusive Einleitung über das Thema der Trümmerliteratur sowie einer Auseinandersetzung mit dem Autor.
In der Aufschlüsselung einzelner Szenen werden viele exzellent ausgewählte Zitate eingebracht. Dieser Text enthält eine persönliche Reflexion zu den gesellschaftlichen und emotionalen Aspekten der Geschichte.
Literarische Erörterung – Draußen vor der Tür
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Borchert, Wolfgang. “Draußen vor der Tür“ „94 Auflage, April 2012 // Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag“.
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Nach einer Zeit von Krieg, Zerstörung und Verlust fiel den Menschen während Nachkriegszeit der Glaube an Hoffnung und den Schriftstellern das Finden von Inspiration für fröhliche Werke, schwer. Die Werke die in dieser tristen Zeit entstanden, nennt man „Trümmerliteratur“. Diese behandeln vorwiegend tiefgreifende Themen wie den damals vorherrschenden allgegenwärtigen Hunger und den Umgang mit dem Tod.
Wolfgang Borchert, einer der berühmtesten deutschen Schriftsteller, wagte sich mit seinem schmalen Werk von Kurzgeschichten, Gedichten und einem Theaterstück an genau diese Themen und berührte so im deutschen Raum ein großes Publikum.
Auch in seinem Werk „Draußen vor der Tür“ verarbeitet er seine eigenen Eindrücke vom Zweiten Weltkrieg. Das Drama handelt von dem Schicksal des Kriegsheimkehrers Beckmann und seinen Schwierigkeiten, sich nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft wieder in ein normales Leben einzugliedern.
Im Vorspiel unterhalten sich ein Beerdigungsunternehmer und ein alter Mann, bei denen es sich im Endeffekt um den Tod und Gott selbst handelt, über eine Mann der durch den Sprung in den Fluss Elbe Suizid begeht. Der alte Mann, beziehungsweise Gott, ist besorgt und bekümmert über das Versterben seiner Kinder, während der Tod durchgehend vergnügt und überfressen rülpsen muss und die Situation nicht so angespannt sieht.
„Du heulst dich zugrunde. Das war nur einer von denen, die nicht mehr können, einer von der großen grauen Zahl...einer... nur...“ – TOD ; S.11
„Kinder, Kinder. Und ich kann es nicht ändern! Kinder, meine Kinder!“ – GOTT ; S.11
Der Protagonist Beckmann möchte sein Leben auf die gleiche Art beenden und begibt sich zur Elbe, die ihm in Form einer alten Frau erscheint. Doch obwohl er humpelt, hungert und das Bett seiner Frau von einem anderen besetzt ist, lässt ihn die Elbe nicht sterben. Sein junges Leben sei ihr zu armselig und sie rät ihm erst einmal richtig zu leben, bevor er sich zu ihr zurückbegeben darf.
„Deine kleine Handvoll Leben ist mir verdammt zu wenig. (...) Ich scheiß auf deinen Selbstmord!“ – ELBE ; S.12
So kommt es, dass Beckmann zurück ins Leben geschickt wird. Er wacht am Strand Blankenese auf, wo ihm „der Andere“, sein positiv-gesinntes Alter-Ego, und ein Mädchen begegnen. Aus Mitleid, der jämmerlichen Gestalt gegenüber, nimmt das Mädchen Beckmann zu sich nach Hause. Das Mädchen kümmert sich zwar um ihn, doch es macht sich auch über sein Aussehen lustig. Es nennt ihn „Fisch“ und wundert sich über seine skurrile Gasmaskenbrille, derer sich Beckmann aufgrund von Verlust seiner eigentlichen Brille seit dem Krieg bedienen muss.
Um erneut einen Suizidversuch zu starten, flieht Beckmann von dem Mädchen, doch der Andere hält ihn davon ab, wiederum den Weg zur Elbe zu suchen. Beckmann erklärt, dass ihn jede Nacht Schuldgefühle plagen und, dass er seit Ewigkeiten nicht mehr schlafen kann. Ihm erscheinen jeden Abend die verstörenden Bilder von elf Soldaten die ihm Krieg neben ihm verstorben seien und ihm jetzt vom Schlafen abhalten. Er sieht in seinem Tod die einzige Möglichkeit einmal wieder ein Auge zuzubekommen.
„Pennen will ich. Tot sein. Mein ganzes Leben lang tot sein. Und pennen. Endlich in Ruhe pennen.“ – BECKMANN ; S.11
Der Andere schlägt vor, dem Mann, dem „Oberst“, die Verantwortung zurückzugeben, der die eigentliche Schuld an dem Tod der elf Soldaten trägt. Die Szene, die auf diesen Vorschlag folgt, könnte man als die Schlüsselszene des Werkes beschreiben. Wolfgang Borchert spricht hier viele problematische Themen an. Vor allem Verantwortung, Pflicht und Gehorsam im Rahmen des Kriegs werden kritisch hinterfragt. Der Autor stellt die Sinnhaftigkeit des Krieges in Frage und beleuchtet, dass die die tatsächlich Schuld an dem Tod vieler Menschen haben, sich stets vor ihrer Verantwortung drücken.
Beckmann konfrontiert den Oberst mit dem Traum, der ihm jede Nacht erscheint: ein erschreckendes Bild von einem fetten General, der auf einem Xylophon aus den Knochen der Soldaten einen Marsch spielt. Beckmann erzählt von den toten Soldaten, die immerfort seinen Namen rufen, weil er ja die Verantwortung an ihrem Schicksal tragen musste. Doch nun ist er bereit dem Oberst diese Verantwortung und zurückzugeben und will die Gestalten endlich loslassen:
„Herr Oberst, Herr Oberst, schlafen Sie nachts gut? (...) Dann macht es Ihnen ja nichts aus, dann kann ich wohl nun endlich pennen – wenn Sie so nett sind und sie wieder zurücknehmen, die Verantwortung. Dann kann ich wohl nun endlich in aller Seelenruhe pennen.“ – BECKMANN ; S.26
Als der Oberst Beckmann bloß auslacht, zieht Beckmann weiter zu einem Kabarett, wo er bei dem Direktor vorsprechen will, weil er anscheinend für so komisch gehalten wird. Doch der Direktor lehnt ihn ab und meint, die Wahrheit seiner Lieder sei zu tragisch. Auf der Suche nach etwas, was ihm am Leben halten könnte, kommt Beckmann zu dem ehemaligen Haus seiner Eltern. Die neue Inhaberin erklärt Beckmann, dass diese sich nach dem Krieg „endgültig entnazifiziert“ ( FRAU KRAMER ; S. 49), also selbst umgebracht hätten. Statt Beckmann hier zu bemitleiden, bedauert die Frau lediglich das Gas das bei dem Tod der Eltern verschwendet wurde.
„So was Dummes, sagt mein Alter, von dem Gas hätten wir einen ganzen Monat kochen können.“ – FRAU KRAMER ; S.49
Nachdem Beckmann nun endgültig nichts mehr bleibt, woran er sich festhalten könnte, werden seine Todeswünsche wieder stärker. Immerzu versucht der Andere ihn zwar mit gutem Zureden zum Leben zu bekehren, doch Beckmann bleibt stur.
„Ich soll leben, sagst du! Dieses Leben leben? Dann sag mir auch: Wozu? Für wen? Für was?“ – BECKMANN ; S.52
Am Ende des Werkes verkommt Beckmann auf der Straße. Sein Leben zieht an ihm in Form der Charaktere des Stückes, die ihm allesamt nicht aufhelfen und ihm so metaphorisch ins Leben zurückhelfen wollen, vorüber. Er ruft nach Gott, dem Anderen, oder irgendjemandem, der ihm den Sinn des Lebens verraten kann. Dass ihm keiner antwortet, macht deutlich, dass er nur an einem Menschen selbst liegt, sich einen Lebenssinn zu finden:
„Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner eine Antwort? Gibt keiner Antwort??? „ – BECKMANN ; S.73
Draußen vor der Tür ist ein Stück, das das Leben von einer sehr pessimistischen Perspektive präsentiert. Dieser Pessimismus wird bereits mit dem Titel angedeutet. Das Gefühl draußen vor einer Tür zu stehen ist eine sehr bildliche Metapher für emotionale Kälte und Einsamkeit und wird in einer Szene besonders wörtlich genommen, in der Beckmann dem Mädchen erzählt, dass er einen fremden Mann in dem Bett seiner Frau vorgefunden hat:
„Was tust du hier, du? hab ich gefragt. Da hat er die Schultern hochgehoben und wieder fallen lassen und hat gesagt: Ja, was tu ich hier. Das hat er geantwortet. Da habe ich die Schlafzimmertür wieder zugemacht, nein, erst noch das Licht wieder ausgemacht. Und dann stand ich draußen.“ – BECKMANN ; S. 23
Doch er steht nicht nur vor der Tür seines früheren Hauses – er steht vor der Tür seines alten Lebens, die für immer verschlossen ist, vor der Tür der Gesellschaft, deren Schlüssel er nicht hat um sie zu öffnen und sich einzufügen. Zwischen den Welten findet sich Beckmann auf einem endlosen Korridor von fest verschlossenen Türen wieder.
Der Einzige, der bereit ist, ihm die Tür zu öffnen, ist der Tod. Nur durch ihn kann sich Beckmann wieder irgendwo zugehörig und willkommen fühlen:
„Meine Tür steht immer offen. Immer. Morgens. Nachmittags. Nachts. Im Licht und im Nebel. Immer ist meine Tür offen. Immer. Überall.“ – STRASSENFEGER (TOD) ; S. 59/60
Draußen vor der Tür hat mich schwer beeindruckt und eindeutig nicht kalt gelassen. Die behandelten Thematiken sind schwer verdaulich, aber werden von Borchert tiefgründig aufgearbeitet. Für mich war es anfangs schwer mich einzulesen und mit dem Stück anzufreunden, doch als ich mich an die symbolischen Darstellungen, derer sich der Autor in großer Zahl bedient, gewöhnt hatte, ging das Lesen schnell voran. Beckmanns Kampf mit dem Leben – und weniger mit dem Tod – ist tragischerweise sehr realistisch und sein Charakter durchaus glaubwürdig dargestellt. Das Werk ist packend und enthält viele Weisheiten über das Leben und Sterben, sollte aber nicht gelesen werden, wenn man selbst mit Selbstmordgedanken spielt. Es ist empfehlenswert, sich vor dem Lesen der Lektüre mit dem Elend der Nachkriegszeit zu befassen. Nur so kann man das tiefschürfende Verlangen des Hauptcharakters nach dem Tod vollkommen nachvollziehen.
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- Citation du texte
- Raffaela Pfaff (Auteur), 2012, "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert. Eine literarische Erörterung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/358340