Der Vorwurf, die Juden hätten die Thora "gefälscht", indem sie die Strafe der Steinigung unterschlagen hätten,
wird in verschiedenen polemischen Hadithen erhoben. Diese werden hier untersucht und mit Regeln der jüdischen
Halacha zum selben Thema verglichen. Dabei kommen überraschende Ergebnisse ans Licht.
Kurzform einer Hausarbeit von 2008 zum selben Thema.
Im Koran existiert keine Vorschrift der Steinigung. In der jüdischen Bibel existiert eine solche Vorschrift – die aber in der rabbinischen Zeit außer Kraft gesetzt und in der Praxis durch Geißelung (d.h. Auspeitschung) ersetzt worden war. Diese Regelung ist somit der koranischen Vorschrift in der 4. Sure (Vers 2) sehr ähnlich! Vorstellungen von der Art, die Steinigung im islamischen Recht wäre auf „jüdischen Einfluss“ zurückzuführen, haben also keine Grundlage. Ganz im Gegenteil: Die bekanntesten [1]Hadithe (auf Muhammad zurückgeführte Überlieferungen), mit denen die Steinigung begründet werden soll, machen der jüdischen Religion den Vorwurf der „Thorafälschung“, weil diese die Steinigung durch Geißelung ersetzt habe. Der antijüdische Charakter dieser Überlieferungen ist damit eindeutig. Dazu passt auch, dass im Judentum der rabbinischen Zeit verglichen mit den biblischen Vorschriften ein Fortschritt in der Rechtsentwicklung in Richtung auf humanere, mildere Strafen zu beobachten ist: Man hat den Eindruck, dass der Koran gleich an mehreren Stellen diese Entwicklung im Judentum ausdrücklich bestätigen will – außer in Sure 4,2 z.B. auch noch in Sure 4,5.
Das Unverständnis für diesen Prozess der jüdischen Rechtsentwicklung in den Kreisen, aus denen die Hadithe zum Thema der Steinigung bei Ehebruch sowie auch der außerkoranische „Vers der Steinigung“ stammen, ist offensichtlich.
Da der Koran mit hoher Wahrscheinlichkeit in seiner Vorschrift zur Bestrafung von Unzucht die milde talmudische Regelung (Geißelung) mehr oder weniger übernimmt [1], kann zumindest als wahrscheinlich angenommen werden, dass er den beschriebenen Prozess der Rechtsentwicklung verstanden hatte. (Dies hängt auch davon ab, ob man „Unzucht“ hier als Sammelbegriff für alle Arten von verbotenen Sexualbeziehungen zwischen Mann und Frau ansieht (Ehebruch inbegriffen), oder ob man den Begriff der „Unzucht“ – wie in der Argumentation der Befürworter der Steinigung – nur auf den Geschlechtsverkehr unter Unverheirateten beziehen will.) Da wir weiterhin doch wohl davon auszugehen haben, dass der Prophet ebenfalls – zumindest weitestgehend – den Sinn der ihm als Offenbarung zugekommenen Texte kannte, würde daraus die Folgerung zu ziehen sein, dass die entsprechenden Hadithe aufgrund des in ihnen widergespiegelten Unverständnisses für diesen Sachverhalt nicht von Muhammad selbst stammen können.
Nun ist dieses Unverständnis nichts Überraschendes oder etwas, hinter dem man eine böswillige Absicht vermuten müsste. Es ist vielmehr durch zeitbedingte Unwissenheit der betreffenden Personen – wahrscheinlich frühestens ungefähr aus der Zeit der zweiten Generation der „Salaf“ (Altvorderen) – zu erklären, die in gutem Glauben diese ihre eigene fehlerhafte Ansicht auf den Propheten projiziert haben. Dennoch ist eine Aufarbeitung dieses Themas heute nicht mehr vermeidbar – sowohl bezüglich der Frauen- und Menschenrechte als auch um die aggressive Polemik zwischen den Religionen zu überwinden, die ein wirklich friedliches Verhältnis zwischen ihnen bisher unmöglich macht.
Ähnliche Missverständnisse existieren auch zum Thema „Wiedervergeltung“ bei Mord und Körperverletzung. Im jüdischen Recht wird die Formulierung
[Formulierung ist nicht enthalten in dieser Leseprobe]
in Exodus 21,23 als Aufforderung zur Geldentschädigung an das Opfer der Tat gedeutet [2] – mit Ausnahme der Strafe für Mord, auf den die Todesstrafe steht. Die koranische Formulierung in Sure 5,45 gleicht stärker derjenigen in Deuteronomium 19,21 als der in Exodus 21,23.
[Formulierung ist nicht enthalten in dieser Leseprobe]
Die koranische Position ist in diesem Fall nicht vollkommen klar: Die Formulierung
[Formulierung ist nicht enthalten in dieser Leseprobe] (Und wer (aus Wohltätigkeit) davon absteht, für den ist es eine Sühne)
deutet zwar darauf hin, dass auch der Koran Geldentschädigung der Wiedervergeltung vorzieht. Ob aber das der jüdischen Rechtsprechung zugrunde liegende Prinzip verstanden worden ist, bleibt unklar, weil die späteren Muslime die darauffolgende Formulierung „Und wer nicht richtet nach dem, was Gott herabgesandt hat, das sind die Ungerechten“ in dem Sinne interpretiert haben, Juden, deren Recht nicht der Wiedervergeltung entspreche, seien vom göttlichen Recht abgewichen. Dies ist derselbe Vorwurf, wie er im Hadithe bezüglich der Geißelung anstatt der Steinigung erhoben wird.
Möglicherweise handelt es dabei zwar um eine Fehlinterpretation des Koran – es könnte durchaus sein, dass dieser ganz im Gegenteil meint, dass wer eben nicht bereit sei, die Entschädigung als bessere rechtliche Option als die Vergeltung anzusehen, als Ungerechter zu betrachten sei: Die Bedeutung des Wortes Zalim könnte darauf hindeuten, da es „Ungerechter“ im Sinne von „blutvergießender Tyrann“ oder „Unterdrücker“ bedeutet. Fest steht jedenfalls, dass das muslimische Recht vom jüdischen in punkto Wiedervergeltung bzw. Entschädigungszahlung abweicht:
Im jüdischen Recht ist die Entschädigungszahlung bei Körperverletzung Pflicht, während im Falle des Mordes die Todesstrafe nicht durch sie ersetzt werden kann. Im (nachkoranischen) islamischen Recht ist dagegen die Entschädigungszahlung nur eine ersatzweise Option, die bei Zustimmung der Angehörigen auch bei Mord möglich ist (Blutgeld). Dies deutet darauf hin, dass das Prinzip der Wiedergutmachung des Schadens nicht als Rechtsziel erkannt worden ist (im Fall des Mordes ist diese wegen der Unkorrigierbarkeit der Tötung nicht denkbar). Im jüdischen Recht ist bei einem Tötungsdelikt die Absicht des Täters entscheidend: Bei ungeplantem Totschlag wird von der Todesstrafe abgesehen (und der Täter in eine Asylstadt verbannt), bei Mord dagegen nicht.
[…]
[1] Die Zahl der vorgeschriebenen Hiebe ist höher als im jüdischen Recht (100 vs. 40; vgl. Sure 24.2).
[2] Aufgrund des Kontexts des Verses (Entschädigung für gewaltinduzierte Fehlgeburt und Verletzung eines Sklaven).
- Citar trabajo
- Magister Artium Matthias Stumpf (Autor), 2008, Hadithe zur Steinigung und die jüdische Halacha, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/357907
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