In dieser Arbeit wird kurz und übersichtlich dargestellt, was in der Latinistik unter dem Begriff "Nullmorphem" verstanden wird.
Nullmorphem oder Morphem mit Nullsignifikant
Definition:
Der Begriff „Nullmorphem“ bezeichnet in der Morphologie das Fehlen eines morphologischen Segments; hierbei ist das fehlende Element der Signifikant des Signifikats. Anstatt des weitverbreiteten Begriffs „Nullmorphem“ beschreibt die Bezeichnung „Morphem mit Nullsignifikant“ dieses Phänomen genauer, weshalb im Folgenden dieser Begriff überwiegend Verwendung findet.
Das Morphem mit Nullsignifikant im Lateinischen:
Ein gutes Beispiel zur Veranschaulichung dieses Phänomens ist das Wort vir, welches hier im Vergleich mit dem Wort dominus betrachtet werden soll:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hieraus wird ersichtlich, dass vir der gleichen Deklination wie dominus folgt. Nur im Nominativ steht anstatt des „–us“ ein Nullsignifikant. Dieser Nullsignifikant kann dabei auch als Nullallomorph bezeichnet werden, weil das Ø hier als Allomorph zu –us aufzufassen ist.
Gibt es überhaupt Nullmorpheme?:
Auf Grundlage des obigen Beispiels stellt sich nun aber die Frage, ob Nullmorpheme im eigentlichen Sinn, also Morpheme, die immer den Signifikanten Ø haben, überhaupt möglich sind. Zur Veranschaulichung sollen diesmal die Imperative von amare betrachtet werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das Morphem mit Nullsignifikant steht hierbei in der 2. Person Singular des Imperativs. Unter der Annahme, dass der Plural nur eine Variante des Morphems im Singular ist und kein Amalgam des Morphems der 2. Person Plural, scheint die Erklärung des Imperativs mithilfe des Morphems mit Nullsignifikant die beste zu sein.
Nicht alles ist ein „Nullmorphem“:
Die obigen Exempla konnten bisher sehr gut mithilfe des Morphems mit Nullsignifikant beschrieben werden, doch stellt sich dabei die Frage, ob die Erklärung auch bei anderen Paradigmen sinnvoll ist. Hierzu soll wiederum amare betrachtet werden, und zwar nun im Infectum:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auf den ersten Blick würde man annehmen, dass das Präsensmorphem ein Morphem mit Nullsignifikant darstellt, doch dabei lässt man sich von der traditionellen grammatischen Bezeichnung „Präsens“ leiten. Die Schwierigkeit liegt nämlich darin, dass man für das ama-t mit angeblichen Nullsignifikant (ama- Ø-t) gegenüber dem Imperfekt und Futur I kein einziges Signifikat zuweisen kann, das sowohl die Gegenwart, als auch die Vergangenheit und Zukunft sowie Zeitlosigkeit, Ewigkeit und Allgemeingültigkeit ausdrückt, weil sich die temporalen Bedeutungen gegenseitig komplett ausschließen. Daraus wird ersichtlich, dass es für das sogenannte „Präsens“ weder Signifikat noch Signifikant gibt. Demzufolge handelt es sich auch nicht um ein Morphem mit Nullsignifikant, sondern um das generelle Nichtvorhandensein eines Morphems, wodurch das „Präsens“ in Äußerungen mit Bezug zur Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft erst stehen kann. Anstatt des Begriffs „Präsens“ beschreibt daher die Bezeichnung „bloßes Infectum“ besser den zeitstufenlosen „Charakter“ von amat.
Doch nicht nur bei den Verben kann es zu Definitionsschwierigkeiten kommen, sondern auch bei Substantiven. So ist der Singular kein Morphem mit Nullsignifikant, sondern wieder das Nichtvorhandensein eines Pluralmorphems. Beispielsweise kann das Lexem „homo“ im Singular einen einzigen Menschen, in einem anderen Kontext aber auch die Gesamtheit der Menschen bezeichnen.
Zusammenfassung:
Insgesamt spielt das Morphem mit Nullsignifikant als Nullallomorph im Nominativ Singular und als bloßes Nullmorphem beim Imperativ eine entscheidende Rolle, um die grammatische Struktur aufzuzeigen. Dagegen eignet sich eine Anwendung auf Paradigmen des Infectums sowie auf den Numerus der Substantive als nicht zielführend, weil es sich dabei um das Nichtvorhandensein eines Morphems handelt, was klar von Morphemen mit Nullsignifikant abzugrenzen ist.
Literaturverweis:
- Touratier, Lateinische Grammatik. Linguistische Einführung in die lateinische Sprache, übers. und bearb. von B. Liebermann, Darmstadt 2013.
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- Arbeit zitieren
- B. Ed. Marwin-Domingo Gorczak (Autor:in), 2014, Das Nullmorphem oder Morphem mit Nullsignifikant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/356490