„Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein“. Eine Kernaussage der Genfer Deklaration des Weltärztebundes beschreibt als zeitgemäße Version des Hippokratischen Eids die offenkundige ethische Kontroverse bezüglich der Teilgebiete ästhetischer Chirurgie: Ab wann ist ein ästhetischer Eingriff wirklich notwendig? Ab wann steht nicht mehr das Patientenwohl für den Arzt im Vordergrund, sondern fungiert der Arzt als Dienstleister für den persönlichen Schönheitswunsch, welcher möglicherweise das Patientenwohl beeinträchtigt? Diese Fragen sollen ebenso wie die generelle Kontroverse zum Thema „Ästhetische Eingriffe und Ethik“ im Folgenden untersucht werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Rekonstruktive Chirurgie
2.1 Vier-Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress
2.2 Das Vier-Prinzipien-Modell als ethisch-moralische Grundlage
2.3 Ethische Problematik bei Rekonstruktiver Chirurgie
3. Ästhetische Chirurgie
4. Ethische Beurteilung eines ästhetisch-chirurgischen Eingriffs
5. Fazit und kritische Diskussion
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein“. (1 ) Eine Kernaussage der Genfer Deklaration des Weltärztebundes beschreibt als zeitgemäße Version des Hippokratischen Eids die offenkundige ethische Kontroverse bezüglich der Teilgebiete ästhetischer Chirurgie: Ab wann ist ein ästhetischer Eingriff wirklich notwendig? Ab wann steht nicht mehr das Patientenwohl für den Arzt im Vordergrund, sondern fungiert der Arzt als Dienstleister für den persönlichen Schönheitswunsch, welcher möglicherweise das Patientenwohl beeinträchtigt? Diese Fragen sollen ebenso wie die generelle Kontroverse zum Thema „Ästhetische Eingriffe und Ethik“ im Folgenden untersucht werden.
Obwohl die vier Säulen der Chirurgie des Weiteren die Verbrennungs- und Handchirurgie umfassenden, liegt hier der Fokus besonders auf der Kontroverse zwischen rekonstruktiver und ästhetischer Chirurgie.
2. Rekonstruktive Chirurgie
Während ästhetische Eingriffe, deren Intention in der reinen Veränderung des körperlichen Erscheinungsbildes besteht, durchaus eine ethische Gratwanderung für den behandelnden Arzt darstellen können, existieren in der Wiederherstellungschirurgie wenig ethische Reibungspunkte. Diese operative Disziplin und Säule der Chirurgie umfasst die funktionale und ästhetische Wiederherstellung sichtbar betroffener Körperbereiche, welche durch Krankheit, Unfall oder Fehlbildungen beeinträchtigt wurden. Rekonstruktive Chirurgie ist seit über 1.500 Jahren (2 ) bekannt und beschäftigt sich mit dem schon im Hippokratischen Eid festgehaltenen ursprünglichen Bestreben des Arztes: Nach dem Wohle des Patienten zu streben und dieses zu erhalten.
Typische Operationen wie Gewebe- und Nervenverpflanzungen dienen dazu, den Ausgangszustand des Menschen wiederherzustellen, oder sein äußeres Erscheinungsbild (beispielsweise in Fall einer genetisch bedingten Missbildung) an das geltende soziokulturell geprägte Verständnis von einem „durchschnittlichem“ Äußeren anzupassen. Da die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem von der Umwelt als „normal“ verstandenem Äußeren und Fehlbildungen bestimmter Körperregionen die Betroffenen sehr belasten können, stehen invasive Eingriffe kaum im ethischen Widerspruch mit geltenden Richtlinien, an denen sich Chirurgen orientieren.
2.1 Vier-Prinzipien-Modell von Beauchamp und Childress
Seit 1977 gilt das von Beauchamp und Childress formulierte Vier-Prinzipien-Modell als ethisch-moralische Grundlage für die Entscheidung des behandelnden Chirurgen, ob ein invasiver Eingriff gerechtfertigt ist oder nicht. Zwar stehen sich die Prinzipien grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber, werden jedoch im Einzelfall unterschiedlich gewichtet.
2.2 Das Vier-Prinzipien-Modell als ethisch-moralische Grundlage
Autonomie der Patientin/des Patienten
Laut dem Autonomie-Prinzip muss der behandelnde Arzt und Chirurg die Entscheidungsfreiheit seines Patienten achten, seine Wünsche berücksichtigen und vor einem invasiven Eingriff dessen informiertes Einverständnis einholen.
Prinzip der Schadensvermeidung
Das Prinzip der Schadensvermeidung beschreibt das Unterlassen schädigender Eingriffe. Hier zeigt sich deutlich der Widerspruch zu Operationen, deren Sinn einzig und allein in der ästhetischen Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes liegt: Dies wird später im Punkt „Ästhetische Chirurgie“ näher erläutert. Es steht oft im Konflikt bei eingreifenden Therapien mit dem Prinzip des Patientenwohls.
Prinzip des Patientenwohls
Das Prinzip des Patientenwohls setzt aktives Handel des Arztes voraus, welches das Wohl des Patienten fördert. Es steht insbesondere im Bereich der ästhetischen Chirurgie im Konflikt mit dem Autonomie-Prinzip und dem Prinzip der Schadensvermeidung.
Prinzip Gleichheit und Gerechtigkeit
Abschließend impliziert das Prinzip von Gleichheit und Gerechtigkeit, dass allen Patienten eine gleiche Behandlung ebenso wie die faire Aufteilung von Gesundheitsleistungen zu Teil werden sollte. (3 )
2.3 Ethische Problematik bei Rekonstruktiver Chirurgie
Obgleich die Rekonstruktive Chirurgie grundlegend als ethisch unbedenklich gehandelt wird, sind auch hier invasive Therapien nach dem Vier-Prinzipien-Modell rechtfertigungsbedürftig. Eine Schwierigkeit könnte sich zwischen dem Prinzip der Schadensvermeidung und dem soziokulturellen Hintergrund einer rekonstruktiven Maßnahme ergeben: Ein Arzt sieht erst dann eine Fehlbildungen als solche an, wenn sie von der soziokulturellen Norm abweicht. Eine globale Definition dieser Norm existiert jedoch nicht. (4 ) Somit könnte allein auf Grund einer nicht gesellschaftlich akzeptierten Fehlbildung zu einer Operation geraten wären, welche mögliche Risiken für den Patienten birgt. Ebenso unscharf ist der Krankheitsbegriff, der als Ursache einen rekonstruktiven Eingriff als solchen klassifiziert und rechtfertigt.
Eine Alternative zum unscharfen Krankheitsbegriff in Bezug auf die ethisch vertretbare rekonstruktive Chirurgie liefert die Definition von Wiesing (2009): Er operationalisiert den Entscheidungsprozess mit dem Konstrukt des Aufmerksamkeitsgeschehens und deren Ausprägungen Reduktion und Vermehrung. So gilt ein rekonstruktiver Eingriff als ethisch legitimiert, wenn er die „ungewollte, ausgrenzende, als negativ empfundene Aufmerksamkeit“ von anderen Menschen reduziere. Ein Eingriff mit der Intention zur Vermehrung gewollter Aufmerksamkeit wird als ästhetische Chirurgie klassifiziert und ist ethisch diskussionswürdig. (5 )
3. Ästhetische Chirurgie
Die Diskrepanz zwischen dem äußeren Erscheinungsbild, vermitteltem Schönheitsideal und persönlichem Altersempfinden beschert der ästhetischen Chirurgen einen rasanten Wachstum: Allein im letzten Jahr unterzogen sich in Deutschland nach einer Statistik von circa 345.000 einer Schönheitsoperation. (6 ) Dabei ist der Drang der Manipulation des eigenen Körpers keine Modeerscheinung der vergangenen Jahre: Schon im frühen 19. Jahrhundert wurden durch den Berliner Ordinarius für Chirurgie Johann Friedrich Dieffenbach (1792 – 1847), Eugen Holländer (1867 – 1932) in Berlin und Erich Lexer (1867 – 1937) Grundsteine für die moderne Entwicklung zur Schönheitsoperation gelegt. (7 )
Bis in die Antike geht die Entwicklung der plastischen Chirurgie zurück, wo bereits erste Rhinoplastiken durchgeführt wurden. Die ästhetische Chirurgie hat sich dabei im Laufe der Jahrhunderte weg von der vormodernen Beseitigung von „Schandmalen“, hin zur modernen Chirurgie entwickelt, in deren Vordergrund die Optimierung der Attraktivität steht. Dass diese soziokulturell geprägt ist, zeigen nicht zuletzt rassenkundliche Annahmen von Schönheitschirurgen im dritten Reich, als deren populärer Vertreter der Berlin Jacques Joseph (1865-1934) gesehen werden kann. Mit Josephs Auffassung vom „Wechselspiel des kranken Körpers und kranken Geistes“ wurde auch der Begriff der psychischen Gesundheit eingeführt, welcher heute noch als Grundlage für ethische Legitimierung von ästhetischen Eingriffen dient. (8 )
4. Ethische Beurteilung eines ästhetisch-chirurgischen Eingriffs
Da sich die Tragweite eines operativen Eingriffs für den Patienten auf Grund von fehlender medizinischer Kompetenz oft schwer überblicken lässt, steht der Arzt in vielerlei Hinsicht in besonderer Verantwortung: Er hat anhand verschiedener Paradigmen den Sinn, Ursprung und Folgen eines möglichen Eingriffs zu beurteilen. Er sollte den Operationswunsch des Patienten kritisch beleuchten und ihn nach dem Modell von Beauchamp und Childress (Autonomie-und Patientenwohl-Prinzip eingehend informieren. Der schiere Umfang eines solchen intensiven Gesprächs wirft allerdings die erste ethische Fragestellungen auf: Nach Untersuchungen des österreichischen Verbraucher-Magazins „Konsument“ variiert dieses zwischen 20 Minuten und 2 Stunden, weißt also hohe Unterschiede im Umfang und damit wahrscheinlich auch im Grad der Informierung der Patienten auf. Besonders fiel in dieser Untersuchung auf, dass bei einer möglichen Brust-Vergrößerung der Informationsbedarf selten umfassend gedeckt wurde. (9 )
Strafrechtlicher Hintergrund
Strafrechtlich gesehen hat der Patient – da weder der Hippokratische Eid noch die Genfer Deklaration des Ärzteverbundes rechtsverbindlich das Handeln eines Arztes reglementieren – ein Recht auf sinnlose, jedoch nicht kontraindizierte Handlungen. Als Beispiel für sinnlose Behandlungen können Therapien herangezogen werden, deren positive Wirkung empirisch nicht bewiesen sind, jedoch keine Negativ-Folgen auf den Patienten haben. Nimmt der Arzt eine kontraindizierte Handlung beim Patienten vor, wird er straffällig. (10 )
Für die finale ethische Beurteilung eines ästhetischen-chirurgischen Eingriffs dienen zwei Faktoren: Die Motivation des Patienten, welche den psychischen Hintergrund beschreibt und die Absicht, welche den tatsächlichen Umfang inkludiert. Als ethisch vertretbar wird ein ästhetisch-chirurgischer Eingriff angesehen, wenn der Umstand einer psychischen Belastung des Patienten gegeben ist.
[...]
1: 46. Generalversammlung des Weltärztebundes, Weltärztebund: Deklaration von Genf , 1994
2: Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen , 2014, http://www.dgpraec.de/
3: Tom L. Beauchamp und James F. Childress, Beauchamp & Childress: Principles of Biomedical Ethics, 2009
4: Barbara Diertl , Zur Vermittlung von Schönheitsnormen und deren Bedeutsamkeit für psychische Störungen , 2007
5: Prof. Dr. Lambert Wiesing, Das Mich der Wahrnehmung. Eine Autopsie, 2009
6: Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen, Pressemitteilung: "Schönheit ist nicht alles! DGPRÄC veröffentlicht Statistik zu ästhetischen Operationen", 2013
7: Prof. Dr. med. Rolf Rüdiger Olbrisch, Dieffenbach-Medaille, 2008
8: Stark G. B, Ästhetische Chirurgie. Ethische Aspekte aus Sicht des Facharztes für Plastische Chirurgie, 2006
9: Europäisches Verbraucher Zentrum , Schönheitschirurgen: Beratungstest, 2009
10: Strafgesetzbuch, § 223 Körperverletzung,
- Quote paper
- Daniel Gerlach (Author), 2014, Ästhetische Eingriffe und Ethik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355434
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