Emer de Vattels großes Lebenswerk „Le droit des gens ou principes de la loi naturelle“, welches in vielen Auflagen und Übersetzungen erschienen ist, ist ein Handbuch über das Völkerrecht, dessen Ausarbeitung unter den schwierigsten äußeren Umständen und Entbehrungen sich auf viele Jahre erstreckte und nach seinem Erscheinen im Jahre 1758 Anlass zu verschiedensten Beurteilungen gegeben hat.
Schon kurz nach Vattels Tod 1767 hat das 1785 erschienene Werk des Freiherrn Ludwig von Ompteda über die „Literatur des gesamten sowohl natürlichen als positiven Völkerrechts“ die in der ferneren Beurteilung immer wiederholte Behauptung aufgestellt, Vattel sei lediglich ein getreuer Gefolgsmann seines großen Vorgängers Christian Wolff gewesen. Er sei ihm nicht allein in der Disposition, „sondern auch in der Gedankenreihe…sorgfältig gefolgt.“
Auf der anderen Seite wird Vattel lediglich angerechnet, er kleide auch, welches „ohnstreitig“…sein „größter Verdienst um die Völkerrechtswissenschaft ist“, die von Wolff in „dürrer, mathematischer Leseart vorgetragenen Sätze in einen angenehmen natürlichen Vortrag ein, sodass sein Buch in der Tat noch zur Zeit das einzige vom natürlichen Völkerrecht handelnde Buch ist, dass sich zum Gebrauch für Staatsmänner und Personen schickt, die sich nicht eigentlich der Gelehrsamkeit widmen.“
Schon in dieser Kritik gegen Vattels Werk kommt jene Einwendung zum Ausdruck, die bis in die Gegenwart die Durchschnittsmeinung der Völkerrechtsliteratur vorwegnimmt, nämlich dass Vattel „manchmal zu sehr bei der Oberfläche stehen bleibt und nicht tief und gründlich genug in die Materien eindringt.“
INHALTSVERZEICHNIS
Literaturverzeichnis
Thesenpapier
I. Einführung: Emer de Vattel und das Völkerrecht
II. Der völkerrechtliche Standort
a) Die naturrechtliche Richtung
b) Die positivistische Richtung
c) Die grotianische Richtung
III. Biographie von Emer de Vattel
IV. Die gerechten Gründe des Krieges
V. Die Rechte im Krieg
a. Die Kriegshandlungen, die berechtigt sind und die Kriegshandlungen, die nur erlaubt und straflos sind
b. Das Recht, den Feind mit allen an sich zulässigen Mitteln zu schwächen
c. Das Recht über die Person des Feindes
d. Die Repressalien
e. Die Bestimmungen über Überläufer und Deserteure
f. Die Bestimmungen über Frauen, Kinder, Greise und Kranke
g. Die Bestimmungen über Religionsdiener und Gelehrte
h. Die Bauern und das allgemein unbewaffnete Volk
i. Das Recht, Kriegsgefangene zu machen
j. Das Verbot, Kriegsgefangene zu töten
k. Die Behandlung der Kriegsgefangenen
l. Erörterung der Frage, ob es erlaubt ist, Kriegsgefangene, die man nicht bewachen, oder ernähren kann, zu töten
m. Die Frage, ob Kriegsgefangene zu Sklaven gemacht werden dürfen
n. Der Austausch und der Rückkauf der Gefangenen
o. Das grundsätzliche Verbot, einen Feind zu ermorden oder vergiften zu lassen
p. Das Verbot, Wasser zu vergiften
q. Die Rechtsgrundsätze das feindliche Eigentum betreffend
r. Das Recht, sich der Sachen zu bemächtigen
s. Die Beute
t. Die Beschießung der Städte
u. Das Schleifen der Festungen
v. Die Schutzwachen
w. Die allgemeine Regel für das Maßhalten bei der Schädigung des Feindes
VI. Die Einordnung Vattels Werk „Droit des gens ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains“
VII. Die Verbreitung und der Einfluss Vattels’ Werk
VIII. Das Besondere an Vattels „droit des gens“
IX. Vattels Absicht bei der Abfassung seines „Droit des gens“
Literaturverzeichnis
I. Quellen
Vattel, Emer de, Le droit des gens, ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite des nations et des souverains, Das Völkerrecht oder Grundsätze des Naturrechts, Band III., deutsche Übersetzung, 1959, Mohrverlag, Tübingen.
Vattel, Emer de, Le droit des gens, ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite des nations et des souverains, Originaltext, Band II und III, herausgegeben durch die Carnegie Institutuin of Washington, 1916, Washington.
II. Sekundärliteratur
Anzilotti, Dionisio, Corso di dirittio internazionale, Bd. I 1912, 3. Auflage 1928.
Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosopie, 1892, Auvermannverlag, Glashütten im Taunus.
Cicero, Marcus Tullius, Pro P. Sextio,1877, Teubnerverlag, Leipzig.
Dickinson, Edwin D., Changing concepts and the doctrine of incorporation, in AJIL, Volume 26, 1932.
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McNair, International Law Opinions, 1956.
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Nussbaum, Arthur, A concise history of the law of nations, 1947, McMillanverlag, New York.
Ompteda, Dietrich Heinrich Ludwig Freiherr von, Literatur des gesamten sowohl natürlichen, als positiven Völkerrechts, 1785, Scientiaverlag, Aalen.
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Plutarch, Leben des Publicola.
Prof. Dickinson, Edwin, Changing Conception and the Doctrine of Incorporation, American Journal of International Law, 1932.
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Tacitus, P. Cornelius, Annales, Libre II, Freytagverlag, Leipzig.
Thévenaz, Vattel, ou la destinée d’un livre, Schweiz. Jahrbuch f. internationales Recht, Bd. 14, 1957.
Vattel, Emer de, Défense du système leibnitzien, Leiden 1741.
Vattel, Emer de, Questions de droit naturel, et observations sur le traité du droit de la nature de M. le baron de Wolf, Bern 1762.
Vollenhoven, Cornelis van, Die drei Stufen des Völkerrechts, 1919, Brillverlag, Lugduni Batavorum.
Wolff, Christian, Jus gentium methodo scientificia pertractum, in der Reihe “The classics of international law”, herausgegeben durch die Carnegie institution of Washington, Washington 1935.
Thesenpapier
Emer de Vattel- „Le droit des gens, ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite des nations et des souverains“ – ius in bello.
I. Emer de Vattel und das Völkerrecht
- Kritik an Vattels Hauptwerk „Droit des Gens“
- Vorwurf, lediglich die Ideen Wolffs in seinem Werk übernommen zu haben
- Dennoch: Anhänger Vattels unter den Schiedsrichtern, Staatsmännern und Diplomaten
II. Der völkerrechtliche Standort
- Existenz drei verschiedener Richtungen auf dem Gebiet des Völkerrechts
a) Die naturrechtliche Richtung
b) Die positivistische Richtung
c) Die grotianische Richtung
III. Biographie von Emer de Vattel
- 1714, 25. April, geboren in Couvet (Neuenburg)
- 1728 Beginn mit den Studien in Basel
- 1731 Zulassungsprüfung zum Theologiestudium
- 1733 Beginn der Studien in Genf; befasst sich hauptsächlich mit Philosophie, Naturrecht und Völkerrecht
- 1742 Begibt sich nach Berlin an den Hof Friedrichs II. Wohnt bei seinem späteren Freund Formey
- 1743 Begibt sich, auf Einladung des Grafen Henri de Brühl, nach Dresden. Rückkehr nach Neuenburg
- 1746 Begibt sich erneut nach Dresden
- 1747 Wird als Ministerpräsident des Königs von Polen und Kriegsfürsten von Sachsen, Friedrich August, nach Bern gesandt; Verbringt die meiste Zeit in Neuenburg; fruchtbarste Zeit für seine literarische Tätigkeit
- 1760 Abreise von Neuenburg nach Bern. Aufenthalt in Prag und Warschau
- 1763 Ankunft in Dresden. Geheimer Rat Friedrich Augusts, betraut mit den auswärtigen Angelegenheiten
- 1764 Heirat mit Arie-Anne, Baronne du Chêne de Ramelot
- 1765, 30. Januar, Geburt seines Sohnes Charles Adolphe Maurice
- 1766 Erholungsurlaub in der Schweiz, Rückkehr nach Dresden
- 1767 Erneuter Erholungsurlaub in der Schweiz; 28. Dezember, gestorben in Neuenburg
IV. Die gerechten Gründe des Krieges
- Gewalt als letztes Mittel, wenn alles andere nicht mehr denkbar ist
- Rechtfertigende Gründe und Motive
- Erlittenes Unrecht als gerechter Grund für einen Krieg?
V. Die Rechte im Krieg
- Rechte und Befugnisse gegen die Person des Feindes in einem gerechten Krieg
- „Rechte im Krieg“ als diejenigen Regeln, die die Nationen untereinander beachten müssen, nachdem sie die Waffen ergriffen haben, um ihre Streitigkeiten zu beenden
a) Der Unterschied zwischen den Kriegshandlungen, die berechtigt sind und den Kriegshandlungen, die nur erlaubt und straflos sind
b) Das Recht, den Feind mit allen an sich zulässigen Mitteln zu schwächen
c) Das Recht über die Person des Feindes
d) Die Repressalien
e) Die Bestimmungen über Überläufer und Deserteure
f) Die Bestimmungen über Frauen, Kinder, Greise und Kranke
g) Die Bestimmungen über Religionsdiener und Gelehrte
h) Die Bauern und das allgemein unbewaffnete Volk
i) Das Recht, Kriegsgefangene zu machen
j) Das Verbot, Kriegsgefangene zu töten
k) Die Behandlung der Kriegsgefangenen
l) Erörterung der Frage, ob es erlaubt ist, Kriegsgefangene, die man
nicht bewachen, oder ernähren kann, zu töten
m) Die Frage, ob Kriegsgefangene zu Sklaven gemacht werden dürfen
n) Der Austausch und der Rückkauf der Gefangenen
o) Das grundsätzliche Verbot, einen Feind zu ermorden oder vergiften zu lassen
p) Das Verbot, Wasser zu vergiften
q) Die Rechtsgrundsätze das feindliche Eigentum betreffend
r) Das Recht, sich der Sachen zu bemächtigen
s) Die Beute
t) Die Beschießung der Städte
u) Das Schleifen der Festungen
v) Die Schutzwachen
w) Die allgemeine Regel für das Maßhalten bei der Schädigung des Feindes
VI. Einordnung Vattels Werk „Droit des gens ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains“
- Vattels Werk inmitten der geistesgeschichtlichen Bewegung
- Naturrecht steht bei Vattel kaum im Gegensatz zum positiven Recht
- Vattel als Vertreter der konservativen Richtung des Naturrechts
- Wirklichkeitsnähe uns Realismus
VII. Verbreitung und Einfluss Vattels’ Werk
- Die Engländer entdeckten Vattels Werk als erste Nation
- In den USA wurde sein „Droit des Gens“ ein großer Erfolg, vor allem weil die Amerikaner von der Freiheit beseelt waren
- In Frankreich und Deutschland war Vattels Erfolg eher mäßig
- In der Schweiz dagegen jedoch um so größer
- Weitere Erfolge in ganz Europa
VIII. Das Besondere an Vattels „droit des gens“
- Große Anzahl an Auflagen und Übersetzungen
- Photomechanische Reproduktion
- Vattels Inspiration durch C. Wolff
- Vattel brachte eine völlig neue Perspektive, nämlich die der absoluten Unabhängigkeit und Neutralität in die Betrachtung mit ein
- Recht einer Nation, sich gegen unberechtigte Einwirkungen zu schützen
- Allianzen sind für Vattel die beste Möglichkeit, die Machbalance und Freiheit der Staaten zu erhalten
- Vattel schreibt jedoch nur über Rechte der Nationen, nicht aber über ihre Pflichten
IX. Vattels Absicht bei der Abfassung seines „Droit des gens“
- Notwendigkeit von der Gesamtdarstellung des Völkerrechts
- Große Übereinstimmung mit C. Wolff, jedoch Überzeugung, dass sich dessen Werk nicht für die Praxis eignet
- Ziel, ein leicht fassliches, mit zeitgemäßen praktischen Beispielen belegtes Handbuch für den Praktiker, das heißt für Staatsmänner und Diplomaten zu erschaffen
- Vattel wollte auf der Grundlage des Werkes von Wolff ein klares, allgemein verständliches und praktisches Handbuch des Völkerrechts schreiben und es mit seinen eigenen Gedanken sowie zeitgemäßen praktischen Beispielen bereichern
Emer de Vattel und sein Werk „Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains“ – ius in bello
Juliane Weis
Seminararbeit zur Kriegsvölkerrechtsgeschichte im SS 2004
I. Einführung: Emer de Vattel und das Völkerrecht
Emer de Vattels großes Lebenswerk „Le droit des gens ou principes de la loi naturelle“[1], welches in vielen Auflagen und Übersetzungen erschienen ist, ist ein Handbuch über das Völkerrecht, dessen Ausarbeitung unter den schwierigsten äußeren Umständen und Entbehrungen sich auf viele Jahre erstreckte und nach seinem Erscheinen im Jahre 1758 Anlass zu verschiedensten Beurteilungen gegeben hat.
Schon kurz nach Vattels Tod 1767 hat das 1785 erschienene Werk des Freiherrn Died. Heinr. Ludwig von Ompteda über die
„Literatur des gesamten sowohl natürlichen als positiven Völkerrechts“
die in der ferneren Beurteilung immer wiederholte Behauptung aufgestellt, Vattel sei lediglich ein getreuer Gefolgsmann seines großen Vorgängers Christian Wolff gewesen. Er sei ihm nicht allein in der Disposition,
„sondern auch in der Gedankenreihe…sorgfältig gefolgt.“[2]
Auf der anderen Seite wird Vattel lediglich angerechnet, er kleide auch, welches
„ohnstreitig“…sein „größter Verdienst um die Völkerrechtswissenschaft ist“,
die von Wolff in
„dürrer, mathematischer Leseart vorgetragenen Sätze in einen angenehmen natürlichen Vortrag ein, sodass sein Buch in der Tat noch zur Zeit das einzige vom natürlichen Völkerrecht handelnde Buch ist, dass sich zum Gebrauch für Staatsmänner und Personen schickt, die sich nicht eigentlich der Gelehrsamkeit widmen.“.
Schon in dieser Kritik gegen Vattels Werk kommt jene Einwendung zum Ausdruck, die bis in die Gegenwart die Durchschnittsmeinung der Völkerrechtsliteratur vorwegnimmt, nämlich dass Vattel
„manchmal zu sehr bei der Oberfläche stehen bleibt und nicht tief und gründlich genug in die Materien eindringt.“[3]
Auch jener andere, häufig wiederkehrende Vorwurf der mangelnden Konkretheit seiner Ausführungen findet sich schon bei Ompteda:
„(…)und endlich ist es, besonders in der Rücksicht, da er hauptsächlich für Souveraine und Staatsmänner schreibt, gar sehr zu bedauern, dass er mehrenteils bei dem Vortrage der allgemeinen Sätze des Völkerrechts stehen bleibt und solche nicht durch Beispiele und Beweise aus der Geschichte, besonders der neueren, zu erläutern und zu unterstützen sucht…“[4].
Zu all diesen kritischen Äußerungen kommt noch ein anderer, viel schwerwiegenderer Vorwurf, nämlich jener, dass Vattel die grotianische Tradition aufgegeben, Grotius den „Judaskuss“ gegeben habe. Diese vernichtende These, die mit der Anklage der Leugnung der Völkerrechtsordnung parallel geht, wurde insbesondere von holländischen Gelehrten aufgrund der zentralen Stellung, die Vattel dem Souveränitätsbegriff verleiht, begründet[5].
Auf der anderen Seite aber mangelte es Vattel dennoch nicht an begeisterten Anhängern und Verehrern seit Erscheinen seiner Völkerrechtslehre. Diese waren jedoch weitgehend, was bezeichnend war, unter den Staatsmännern, Diplomaten und Schiedsrichtern zu finden, nicht jedoch bei den Gelehrten. Dies erscheint um so merkwürdiger, als Vattels Bestreben aufgrund seiner naturrechtlichen Auffassung dahin ging, die theoretischen Grundlagen des Völkerrechts aufzuzeichnen und ihm immer wieder die Abstraktheit seines Systems, sowie der Mangel an aus der Staatenpraxis entnommenen Beispiele entgegengehalten wurde. So hat z.B. Benjamin Franklin einige Monate vor der Unabhängigkeitserklärung dem Überbringer der dritten, in Amsterdam 1775 erschienenen französischen Ausgabe, dem Schweizer C.W. F. Dumas geschrieben:
„It (the book) came to us in good season where the circumstances of a rising state make it necessary frequently to consult the law of nations.“[6]
Besonders reichhaltig aber war der Verweis auf Vattels Lehrmeinungen in den Schiedsurteilen und diplomatischen Noten, in jener Zeit, in der die Schiedsgerichtsbarkeit zu ihrer ersten Entfaltung gelangte. Auf Vattel beruft sich der amerikanische Kommissar Pinkney im englische- amerikanischen Streit um das Schiff Betsy, um den Unterschied der sesshaften und vorübergehend im Feindstaat befindlichen neutralen Staatsangehörigen vom eigenen Staatsangehörigen des kriegsführenden Staates klarzustellen. Mit seinem oft bewunderten bon sens gelangt Vattel dazu[7], diesen Unterschied vollkommen deutlich zu machen und legt so die theoretische Grundlage zu der noch heute zutreffenden Praxis, die den vorübergehend im Feindstaat sich aufhaltenden neutralen Ausländer nicht dem Wirtschaftskrieg unterstellt[8].
Dieser kleine und nur auszugsweise Überblick über die internationale Schiedsgerichtspraxis beweist schon die Bedeutsamkeit von Vattels Äußerungen, insbesondere im 19. Jahrhundert. So werden Vattels Äußerungen nicht nur aus Gefallen an der Gelehrsamkeit erwähnt, seine klugen und abgewogenen Darlegungen gewinnen den Wert gewichtiger Regeln, die dann in der Praxis vollzogen werden.
Besonderen Anklang fand Vattel in den amerikanischen Gerichtsentscheidungen. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass seine Auffassung vom Inhalt der zwischenstaatlichen Beziehungen, wie sein philosophischer Ausgangspunkt- Naturrecht der Aufklärung- den Auffassungen der jungen, auf ihre Souveränitätsrechte besonders bedachten amerikanischen Republik entsprachen[9].
Aber auch in der Literatur des Völkerrechts stieß Vattel von jeher bei einzelnen Autoren auf Verständnis – vor allem bei denjenigen, die unabhängig von den hinsichtlich der praktischen Kenntnis des Völkerrechts sehr überschätzten theoretischen Darlegungen Verständnis für die Bedürfnisse der Staatenpraxis aufweisen. So zum Beispiel Robert von Mohl, der Vattel in seiner berühmten Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften einige Zeilen widmete und auf die sonderbare Diskrepanz der theoretischen Ablehnung und der überragenden praktischen Bedeutung Vattels hinwies[10].Auch Vattels Landsmann Alfons Rivier- wohl der bedeutendste kontinentale Völkerrechtslehrer der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sagte über Vattel, dass dieser „ein wissenschaftlich gebildeter, edelgesinnter Weltmann“ war, „der trotz seiner übrigens sehr freien amtlichen Tätigkeit in Kursächsischen Diensten ein unabhängiger Schweizer geblieben ist“[11].
II. Der völkerrechtliche Standort
Für die vollständige Einordnung Vattels Werks ist nun noch der völkerrechtliche Standort bedeutend.
Drei verschiedene Richtungen können auf dem Gebiet des Völkerrechts unterschieden werden: die naturrechtliche, die positivistische und die grotianische.
a) Die naturrechtliche Richtung
Bei der philosophischen oder naturrechtlich-abstrakten Richtung müssen verschiedene Theorien unterschieden werden, die teilweise stark voneinander abweichen und deren Vertreter sich oft erbittert bekämpft haben. Allen gemeinsam ist jedoch die Ansicht, Völkerrecht und Naturrecht seien identisch, da die Staaten sich in ihrem ursprünglichen Naturzustand befänden und das Naturrecht für sie daher weitergelte. Zudem leugnen alle mehr oder weniger die Existenz eines weiteren, aus positiven Quellen hervorgehenden Völkerrechts[12]. Im Übrigen weichen die Naturalisten in dem Maße voneinander ab, als sich ihre Naturrechtsgrundlagen voneinander unterscheiden. Ob man nämlich das Naturrecht auf die „Volonté d’un supérieur“ aufbaut oder den vernunftbedingten Willen zur „Self-Preservation“ als Grundlage annimmt, ist sicher nicht ganz dasselbe.
b) Die positivistische Richtung
Wichtig ist hier die Feststellung, dass nicht alle Positivisten die Bedeutung des Naturrechts für das Völkerrecht rundweg bestreiten, sondern dass einzelne unter ihnen auf das Naturrecht als Geltungsgrundlage ihres Systems geradezu angewiesen sind.
Die gemäßigten Positivisten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts, wie Zouch, Bynkershoek, von Martens, anerkennen das Bestehen und die Geltung eines Naturrechts, legen aber das Hauptgewicht auf das gesetzte Recht, d.h. ihr Völkerrecht entstammt in erster Linie der Staatenpraxis. Das Naturrecht ist für sie eher eine Moralordnung als eine Rechtsordnung.
Für die strikten Positivisten, wie Moser, Anzilotti u.a., dagegen bedeutet Recht einzig und allein „Setzung des Willens“, d.h. das Recht ist unabhängig von irgendwelchen- frei vom Willen der Staaten bestehenden- metaphysischen, moralischen oder ethischen Prinzipien. Sie versuchen nicht nur, das Naturrecht al ein Teil der Moralordnung mit universeller Geltung und mit Einfluss auf das positive Recht gebe; dies gelte ganz besonders für das zwischen Staaten geltende Recht[13]. Für sie gibt es keine allgemeingültigen ethischen Grundsätze.
c) Die grotianische Richtung
Die Vertreter dieser Richtung werden als „Grotianer“ bezeichnet, weil sie- wie Grotius- nicht nur eine Völkerrechtsquelle anerkennen, sondern grundsätzlich deren zwei. Für sie besteht das Völkerrecht sowohl aus dem auf die Nationen angewandten Naturrecht als auch aus positiven, aus dem Willen der Beteiligten fließenden Rechtsnormen. Sie verbinden die Ansichten der Naturrechtler und der Positivisten miteinander und folgen somit Grotius, der von der Ergänzung der positiven Regelung zwischen Menschen und Nationen durch das Naturrecht sprach. Er selbst vereinigte in seinem System noch das naturrechtlich-abstrakte und das streng positive Element. Die bekanntesten Vertreter dieser Richtung, die im 18. Jahrhundert einen großen Einfluss auf das Völkerrecht ausgeübt haben, sind ohne jeden Zweifel Christian Wolff und Emer de Vattel. Beide anerkennen sowohl ein natürliches als auch ein positives Völkerrecht und können deshalb als „Grotianer“ bezeichnet werden.
III. Biographie von Emer de Vattel
Um die Zeit des 18 Jahrhunderts, die politischen Gegebenheiten, den
Einfluss Vattel’s Lebensumstände und seine Erfahrungen auf sein
Hauptwerk „Law of Nation“ zu verstehen und nachvollziehen zu können,
bedarf es einer näheren Betrachtung der Biographie Vattel’s, was im
Folgenden geschehen soll.
Emer (oder Emmerich) de Vattel wurde am 25.April 1714 in Couvet im
Fürstentum von Neuchâtel in der Schweiz geboren. Zu seiner Abstammung schreibt er in seinem „Droit des gens“:
“je suis né dans un pays, dont la liberté est l’ame, le trésor et la Loi fondamentale: je puis être encore, par ma naissance, l’ami de toutes les Nations“[14].
Sein Vater, David de Vattel war Geistlicher der reformierten Kirche. Seine Mutter, Marie de Montmollin war die Tochter eines Staatsratmitglieds und
Hauptkassenführers der Majestät dem König von Preußen im Fürstentum
Neuchâtel. Sein Onkel, Emer de Montmollin wurde nachdem er Frederick I. von Preußen das Fürstentum zugänglich machte Kanzler, war damit in einigen wichtigen politischen Verhandlungen involviert und stand im engen Kontakt zu Gelehrten in Deutschland, England und Frankreich.
Väterlicherseits erbte Vattel die Vorliebe für Philosophie, mütterlicherseits die Vorliebe für Politik und von beiden die Hingabe zur
Literatur. Vattel’s beiden älteren Brüder, waren beim Militär tätig. Emer
selbst dachte zu erst an seine Berufung für die Theologie. Nach dem Tod
seines Vaters 1730 erkannte und wandte er sich mit Vorliebe der
„Menschlichkeit“ in der Universität von Basel zu.
1733 ging Vattel nach Genf. Dort wandte er sich der Literatur und
Philosophie zu. Das Lesen der Werke von Leibnitz bestimmte seine
Berufung. 1741 publizierte Vattel „Défense du système leibnitzien“. 1742ging Vattel aufgrund einer Einladung des Marquis von Valory, dem Minister von Frankreich zu Preußen nach Berlin.
Seine persönlichen Vorlieben, seine vorherigen Studien, in Gedenken an
seinen Onkel und Großvater mütterlicherseits veranlassten ihn nach einer
diplomatischen Position zu fragen. Vattel berief sich dabei auf sein Werk
„Défense du système leibnitzien“ und der Tatsache, dass die von ihm
bearbeitete Materie zu dieser Zeit in Berlin von großem Interesse war.
Vattel ging 1743 ohne Erfolg nach Dresden, weil er annahm dort
erfolgreicher zu sein. Das Willkommen das ihm durch den Grafen von
Brühl, Premierminister des „Wahlmanns“ von Sachsen, entgegengebracht wurde, bestätigte seine Hoffnungen. Private Angelegenheiten waren dafür ausschlaggebend, dass er für eine kurze Zeit nach Neuchâtel zurückkehrte. Jedoch ging er 1746 zurück nach Dresden. Der dortige Finanzminister schoss ihm 100 Kronen als sein Gehalt vor. Er hatte jedoch noch keine neue Position inne. Dies konnte erst durch die Rückkehr des „Wahlmann“ von Sachsen und König von Polen, der sich zu dieser Zeit in Warschau aufhielt, entschieden werden. So wartete Vattel und verbrachte die Zeit mit lesen und träume von einer jungen Frau, an die er bereits seit 1742 dachte, Mademoiselle de Merveilleux. Er las Ciceros Werke über Moral. Im Februar 1747 erhielt er eine Pension über 100 „louis d’or“ pro Jahr, wobei ihm der Minister verspricht :
„Ce n´est qu´un commencement“.
[...]
[1] Was übersetzt so viel heißt, wie „Das Völkerrecht oder Grundsätze des Naturrechts, angewandt auf das Verhalten und die Angelegenheiten der Staaten und Staatsoberhäupter“.
[2] D. H. Ludwig Freiherr von Ompteda, Literatur des gesamten sowohl natürlichen, als positiven Völkerrechts, 1785, S. 345. Die Verflachung des Werkes von Wolff wird Vattel dauernd von der Kritik vorgehalten. So z.B. C.v. Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts, 1847, S.79: „Auch ist der abstrakte Charakter Wolffs etwas gemäßigt, indessen doch gerade hierin das Werk selbst sehr wach, indem sein eigener positiver, praktischer Charakter uns sehr zweifelhaft erscheint.“ Vgl. auch S. 81: „Die eigene Zutat besteht nur in der breiten Erörterung und Verarbeitung, sowie in der praktischen Färbung.“ Dies ist sicher unrichtig. Vattel selbst hat in einem Schreiben an seinen Freund Formey vom 14. April 1754 hinsichtlich seines Verhältnisses zu Wolff sich folgendermaßen geäußert, nachdem er feststellte, dass sein „droit des gens“ langsamer fortschreite, als wünschenswert: „Wolff n’a pas touchée toutes les matières, et je suis obligé de les aller chercher dans Grotius, Puffendorf, etc…. Au reste je ne charge point mon ouvrage d’autorité; je l’orne seulement d’exemples,et je dresse les décisions sur ce qui me paroît découler des principes…“.
[3] Thévenaz, Vattel, ou la destinée d’un livre, Schweiz. Jahrbuch f. internationales Recht, Bd. 14 (1957), S. 346.
[4] D. H. Ludwig Freiherr von Ompteda, Literatur des gesamten sowohl natürlichen, als positiven Völkerrechts, 1785, S. 346. Und Ompteda beschließt seine Würdigung Vattels mit den bezeichnenden Worten: „Hätte Vattel diesen Vorzug seinem Werke gegeben, und es dadurch praktischer gemacht, so würde er gewiss noch weit größeren Nutzen nach sich ziehen, und sich noch weit mehr in den Händen der Großen und überhaupt derjenigen befinden, von denen die praktische Ausübung des Völkerrechts abhängt.“
[5] Van Vollenhoven, Die drei Stufen des Völkerrechts, 1919, S. 27ff.
[6] Reeves, la communauté internationale, Recueil des cours, 1924, II, S. 37; Reeves, The influence of the law of nature upon international law, 1909, S. 547f. Nussbaum, A concise history of the law of nations, 1954, S. 364 u. S. 337.
[7] Lib. II, Cap. VIII, Par. 99.
[8] Vgl. Lapradelle Et Politis, Recueil des arbitrages internationaux , Bd. I, S. 74ff.
[9] Prof. Edwin Dickinson, Changing Conception and the Doctrine of Incorporation, American Journal of International Law, 1932, S. 259, Anm. 132. Weitere Beispiele für den Verweis aif Vattel bei McNair, International Law Opinions, 1956.
[10] Robert von Mohl, Bd. I, S. 386.
[11] Holtzendorffs Handbuch des Völkerrechts, Bd. I, S. 450.
[12] Remec, The position of the individual in international law according to Grotius and Vattel, S. 53.
[13] Remec, S. 21.
[14] Vgl. Vattel, Préface, S. XXVI.
- Arbeit zitieren
- Juliane Weis (Autor:in), 2004, Recht im Krieg. "Le Droit de gens " von Emer de Vattel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35542
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