Thema dieser Arbeit ist die Analyse österreichischer VWL-Lehrbücher, mit besonderer Berücksichtigung der kompetenzorientierten, kritischen, mehrperspektivischen und altersadäquaten Darstellung von Inhalten. Wesentlichen Input dafür, welche Faktoren zur allgemeinen Lehrbuchanalyse herangezogen werden, bieten Erkenntnisse der Lehrbuchforschung. Besonders beliebt sind hierbei Lehrbuchraster, die eine Fülle dieser Faktoren zusammenfassen (unter anderem Reutlinger Raster, Salzburger Raster, Wiener Kriterienkatalog etc.).
Nachteile von Analyserastern – wie auch der dieser Arbeit zu Grunde gelegten Raster – bestehen oft darin, dass die Raster entweder wenig objektiv, eher subjektiv sind, sowie kaum Anleitung zum Einsatz des Rasters angeboten werden oder, weil sie zu umfassen sind, nicht wirklich praktikabel sind. Aus diesem Grund besteht ein Kernthema dieser Arbeit darin, sich eingehend mit Methoden, Herangehensweisen und Ergebnissen der Schulbuchforschung zu beschäftigen.
Ziel der Arbeit ist einerseits eine methodisch-quantitative Vergleichsbasis für die Lehrbuchanalyse zu schaffen sowie die interessierenden Untersuchungskategorien so zu spezifizieren, dass diese nachvollziehbar überprüft werden können und andererseits diese Ergebnisse konkret auf ein österreichisches Lehrwerk anzuwenden. Zur Untersuchung wird ein Methodenmix aus Analyserastern, sowie qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse gewählt, wobei die Untersuchungskategorien aus der Gegenüberstellungen wesentlicher Analyseraster zur Lehrbuchforschung stammen.
Die Verwendung des entwickelten Rasters wird auf ein österreichisches VWL-Lehrbuch angewendet. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass das untersuchte Lehrwerk allgemein gute Werte aufweist bei speziellen Aspekten jedoch noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Schulbuch und Schulbuchforschung - ein Überblick
2.1. DasSchulbuch
2.1.1. Versuch einer Abgrenzung
2.1.2. Funktionen & Rollen
2.1.3. Erwartung an Lehrmittel
2.1.4. Schulbücher im Kontext neuer Medien
2.1.5. Zwischenfazit
2.2. Geschichte der Schulbuchforschung und ihre Institutionalisierung
2.2.1. Vermeidung von Vorurteilen und Rollenzuschreibungen
2.2.2. Die Schulbuchschelte der 70-er
2.2.3. Entwicklung theoretischer Grundlagen
2.2.4. Kommentare zur Schulbuchentwicklung Anfang des 21. Jahrhunderts
2.2.5. Institutionalisierung der Schulbuchforschung in Österreich und Deutschland
2.2.6. Zwischenfazit
2.3. Forschungsfelder & -methoden
2.3.1. Forschungsschwerpunkte
2.3.2. Systematisierung anhand von Vorgangsweise und Startpunkt der Analyse
2.3.3. Methodenüberblick
2.3.4. Methodeneinsatz nach Forschungsschwerpunkt im Überblick
2.3.5. Zwischenfazit
2.4. Schulbuchraster
2.4.1. Bielefelder Raster und Reutlinger Raster
2.4.2. Wichtige Weiterentwicklungen
2.4.3. Allgemeine Forderungen
2.5. Die Inhaltsanalyse als Leitmethode der Schulbuchforschung
2.5.1. Die Quantitativ-Qualitativ-Debatte
2.5.2. Quantitative Inhaltsanalyse
2.5.3. Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
2.5.4. Zwischenfazit
3. Methode
3.1. Vorgangsweise
3.1.1. Bestimmung des Ausgangsmaterials
3.1.2. Fragestellung der Analyse
3.1.3. Definition der Analyseeinheiten
3.1.4. Ergebnisdarstellung und Auswertung
3.2. Darstellung der Analyseraster
3.2.1. Analyseraster 0: Allgemeines
3.2.2. Analyseraster 1: Ausstattung, Handhabbarkeit und Autorinnenmotivation
3.2.3. Analyseraster 2: Kompetenzen
3.2.4. Analyseraster 3: Inhalte
3.2.5. Analyseraster 4: Grafiken, Bilder, Tabellen
3.3. Darstellung des Bewertungsrasters
3.3.1. Zur Verwendung des Bewertungsrasters
3.3.2. Der Bewertungsraster im Detail
4. Ergebnisse Teil I: Beschreibung derAnalyseergebnisse
4.1. Allgemeines(Dimension 0)
4.1.1. Autorinnen, weitere Mitarbeiterinnen, Titel, Ort, Verlag, Jahr und Auflage (Kategorie 0.1)
4.1.2. Akkreditierung (Kategorie 0.2)
4.1.3. Bestandteile (Kategorie 0.3)
4.1.4. Konzeption (Kategorie 0.4)
4.1.5. Format und Seitenanzahl (Kategorie 0.5)
4.1.6. Inhalte (Kategorie 0.6)
4.1.7. Aufbau (Kategorie 0.7)
4.1.8. Ordnendes Prinzip (Kategorie 0.8)
4.1.9. Verteilung der Inhalte nach Inhaltstypen (Kategorie 0.9)
4.1.10. Neuer Input in Zusammenfassungen (Kategorie 0.9.1)
4.2. Ausstattung, Handhabbarkeit, Autorinnenmotivation (Dimension 1)
4.2.1. Ausstattung des Lehrwerks (Kategorie 1.1)
4.2.2. Handhabbarkeit des Lehrwerks (Kategorie 1.2)
4.2.3. Motivenbericht (Kategorie 1.3)
4.3. Kompetenzen(Dimension 2)
4.3.1. Explizite Kompetenzformulierungen und Kompetenzniveaueinstufungen (Kategorie 2.1)
4.3.2. Berücksichtigung unterschiedlicher Kompetenzbereiche (Kategorie 2.2)
4.3.3. Berücksichtigung unterschiedlicher Kompetenzniveaus (Kategorie 2.3)
4.3.4. Überprüfung der geforderten Kompetenzniveaus (Kategorie 2.4)
4.4. Inhalte (Dimension 3)
4.4.1. Explikation von Problemen und Zielen (Kategorie 3.1)
4.4.2. Politische Lösungsansätze und Kennzahlen (Kategorie 3.2)
4.4.3. kritische und mehrperspektivische Betrachtungsweisen (Kategorie 3.3)
4.4.4. Motivation und angemessene Inhalte (Kategorie 3.4)
4.4.5. Aktualität der Kennzahlen (Kategorie 3.5)
4.5. Grafiken, Bilder, Tabellen (Dimension 4)
4.5.1. Flächenmäßiger Einsatz von Abbildungen und Auswahl der Bildtypen (Kategorie 4.1)
4.5.2. Funktionen der Abbildungen (Kategorie 4.2)
4.5.3. Berücksichtigung der Lebenswelt (Kategorie 4.3)
4.5.4. Abbildungsbeschriftungen (Kategorie 4.4)
4.5.5. Darstellungsqualität (Kategorie 4.5)
5. Ergebnisse Teil II: Bewertung der Ergebnisse
6. Fazit
Verzeichnisse
Anhang
Abstract
Thema der vorliegenden Arbeit ist die Analyse österreichischer VWL-Lehrbücher, mit besonderer Berücksichtigung der kompetenzorientierten, kritischen, mehrperspektivischen und altersadäquaten Darstellung von Inhalten. Ziel der Arbeit ist einerseits eine methodischquantitative Vergleichsbasis für die Lehrbuchanalyse zu schaffen, sowie die interessierenden Untersuchungskategorien so zu spezifizieren, dass diese nachvollziehbar überprüft werden können und andererseits diese Ergebnisse konkret auf ein österreichisches Lehrwerk anzuwenden. Zur Untersuchung wird ein Methodenmix aus Analyserastern, sowie qualitativer und quantitativer Inhaltsanalyse gewählt, wobei die Untersuchungskategorien aus der Gegenüberstellungen wesentlicher Analyseraster zur Lehrbuchforschung stammen. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass das untersuchte Lehrwerk allgemein gute Werte aufweist bei speziellen Aspekten jedoch noch deutlicher Verbesserungsbedarf besteht.
1. Einleitung
Lehrmittel sind - neben anderen - ein bedeutender Faktor für Lernerfolg (vgl. Niehaus et al. 2011). Das Schulbuch wird „als didaktisches Medium in Buchform zur Planung, Initiierung, Unterstützung und Evaluation schulischer Informations- und Kommunikationsprozesse (Lernprozesse)" (Wiater 2003a: 2) eingesetzt. Es spielt eine Rolle dabei, didaktische Grundfragen zu klären, also dabei, zu bestimmen, wie und was gelernt werden sollte (vgl. Heitzmann/Niggli 2010: 6, zit. nach Niehaus et al. 2011).
Verwendet werden dürfen nur jene Bücher, die das amtliche Zulassungsverfahren durchlaufen haben. Für das Fach Volkswirtschaftslehre in der 5. HAK sind das für das Schuljahr 2015/16 in Österreich derzeit 5 Bücher von 4 Verlagen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Überblick approbierter Schulbücher in Österreich für VWL (Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an BMFJ/BMBF2014: 51f)
Die Auswahl der Schulbücher an Schulen findet in Form von Schulbuchkonferenzen statt. Hier bestimmen Vertreter der wichtigsten Nutzergruppen von Lehrbüchern (Direktion, Lehrer, Schüler ab der 9. Schulstufe, Eltern), welche Schulbücher im nächsten Schuljahr verwendet werden sollen (vgl. BMBF 2016: 3).
Die Erwartungen an Schulbücher haben sich angesichts der neuen Kompetenz- und somit OutputOrientierung, zusammen mit verstärkt konstruktivistisch ausgerichtetem Unterricht geändert (vgl. Niehaus et al. 2011: 6). Auch auf die Schulbuchgestaltung hat dies Auswirkungen.
Entsprechend konzipiert, können Lehrmittel eine wichtige Hilfe, für den kompetenzorientierten Unterricht darstellen (vgl. Bölsterli et al. 2010: 140). Schülerinnen nutzen Lehrbücher vor allem als Nachschlagewerke, zur Vorbereitung auf Prüfungen und für Hausaufgaben, was jedoch davon abhängt, ob auch die Lehrerinnen die Schulbücher einsetzen (vgl. Niehaus et al. 2011: 41).
Für Lehrerinnen bilden Lehrbücher eine wesentliche Unterlage zur Vorbereitung des Unterrichts und dienen als Anker zur Bestimmung, wie viel im Schuljahr noch gelernt werden muss. Sie verwenden die Unterlagen jedoch nur, wenn sie von deren Qualität überzeugt sind (vgl. Niehaus et al. 2011: 41).
Angesichts des umfassenden Schulbuchangebots, haben Lehrerinnen das Problem, eine valide Auswahl zu treffen. Sie fühlen sich durch die große Anzahl an Lehrbüchern oftmals überfordert (vgl. Borck 2001: 10). Einhergehend mit der wachsenden Freiheit über die Inhalte, sind Lehrkräfte außerdem vermehrt dazu angehalten, diese Auswahl zu begründen und Inhalte einzuschränken (vgl. Bullinger et al. 2005: 68, zit. nach Niehaus et al. 2011: 6).
Vor allem durch die negativen Ergebnisse der PISA- und TIMSS-Test sind auch Schulbücher verstärkt in der Kritik. Die Anwendung der dargebotenen Information und das verstehende Wissen würden zu wenig gefördert (vgl. Wiater 2005: 56). Neben der derzeitig geforderten Kompetenz- und OutputOrientierung erscheinen jedoch weitere Faktoren wesentlich, die ein gutes Lehrbuch beinhalten sollte - sei es hinsichtlich allgemeiner Text und Bildgestaltung oder hinsichtlich inhaltlicher und didaktischer Aspekte.
Seit jeher ist es in der Tradition der Schulbuchforschung ein wichtiges Anliegen, Vorurteilsfreiheit in Lehrwerken zu fördern. Unter Betrachtung der zahlreichen unterschiedlichen Paradigmen - auch in der Disziplin Volkswirtschaftslehre - scheint es wesentlich, Schülerinnen auf einseitige Argumentationen zu sensibilisieren und Ihnen Methodik und Wissen an die Hand zu geben, um unreflektierte Ansätze entgegen zu treten.
Im Zentrum dieser Arbeit steht daher die kritische, mehrperspektivische und problemorientierte Darstellung von Inhalten. Die zentrale Forschungsfrage lautet:
Inwiefern sind österreichische VWL-Lehrbücher für den Einsatz im kompetenzorientierten, kritischen, mehrperspektivischen und altersadäquaten Unterricht geeignet?
Wesentlichen Input dafür, welche Faktoren zur allgemeinen Lehrbuchanalyse herangezogen werden, bieten Erkenntnisse der Lehrbuchforschung. Besonders beliebt sind hierbei Lehrbuchraster, die eine Fülle dieser Faktoren zusammenfassen (vgl. u.a. Reutlinger Raster, Salzburger Raster, Wiener Kriterienkatalog etc.).
Nachteile von Analyserastern - wie auch der dieser Arbeit zu Grunde gelegten Raster - bestehen oft darin, dass die Raster entweder wenig objektiv, eher subjektiv sind, sowie kaum Anleitung zum Einsatz des Rasters angeboten werden oder, weil sie zu umfassen sind, nicht wirklich praktikabel sind. Aus diesem Grund besteht ein Kernthema dieser Arbeit darin, sich eingehend mit Methoden, Herangehensweisen und Ergebnissen der Schulbuchforschung zu beschäftigen. Damit soll ein geeignetes Instrument entwickeln werden, mit dessen Hilfe die Beantwortung der Forschungsfrage möglich ist. Gleichzeitig soll ein Raster entwickelt werden, das sowohl objektiv als auch praktikabel ist.
Der Aufbau des Literaturteils ist demgemäß am Lehrmittel bzw. am Schulbuch als Forschungsgegenstand an und für sich orientiert, umfasst allgemein die Geschichte der Schulbuchforschung und ihre Institutionalisierung in Deutschland und Österreich und inkludiert insbesondere ihre Methoden. Besonders ausführlich werden dabei unterschiedliche Lehrbuchraster und Formen der Inhaltsanalyse besprochen, da diese für die Entwicklung des angepassten Rasters wichtige Grundlagen darstellen.
Aus den Ergebnissen dieser Analyse soll im Methodenteil ein eigenes und adaptiertes Raster entwickelt werden, der es erlaubt, verlässliche Ergebnisse zu erzielen und so den Gütekriterien von Sozialforschung näher zu kommen. Anschließend wird das Raster auf eines der akkreditierten Schulbücher angewandt, um so die Forschungsfrage zu beantworten. Die gewonnenen Daten und Auswertungen sollen zudem als quantitative Vergleichsbasis für weitere, vergleichende Forschung herangezogen werden können, die kaum vorhanden ist.
Folgende Arbeit gliedert sich somit in einen Theorieteil (vgl. Kapitel 2), der das Schulbuch als Untersuchungsgegenstand behandelt, allgemeines zur Schulbuchforschung und im speziellen zu Schulbuchrastern und die Methodik von Inhaltsanalysen behandelt. In Kapitel 3 wird ausführlich auf die dieser Arbeit zugrunde gelegte Methodik eingegangen. Hier wird auch die Auswahl und Abgrenzung der Untersuchungsdimensionen und -kategorien vorgenommen. Ergebnisse werden in Kapitel 4 und 5 dargestellt. Während sich Kapitel 4 einer umfassenden qualitativen und quantitativen Beschreibung der Ergebnisse widmet, werden diese in Kapitel 5 mithilfe des entwickelten Bewertungsrasters kurz und überblicksmäßig bewertend dargestellt. Ein abschließendes Fazit in Kapitel 6 soll die wichtigsten Erkenntnisse nochmals zusammenfassen, mögliche
Handlungsanleitungen zur allgemeinen, optischen, konzeptionellen, inhaltlichen und graphischen Gestaltung des Lehrwerks geben und weitere Forschungsarbeiten motivieren.
2. Schulbuch und Schulbuchforschung - ein Überblick
Wie bereits angedeutet, sollen dem empirischen Teil dieser Arbeit, ein kurzer Überblick zum Medium „Schulbuch", wesentliche Aspekte der aktuellen Schulbuchforschung, die wichtigsten Analyseraster als Grundlage für Analyseelemente und die Inhaltsanalyse als etabliertes inhaltsanalytisches Instrument vorangestellt werden.
Vorab gilt es abzugrenzen, was unter „Schulbuch" verstanden wird, welche Funktionen es einnimmt und was daraus für die vorliegende Arbeit abzuleiten ist. Wie sich zeigen wird, wird angesichts ergänzender, oft elektronischer Medien, unter Schulbuch heutzutage meist nicht mehr nur das Druckwerk verstanden (vgl. u.a. Wiater 2005; Niehaus et al. 2011). Wenn denn - wie es auch hier der Fall sein wird - die Schulbuchanalyse nur auf das Schülerbuch beschränkt wird, muss dies begründet werden.
Neben der Abgrenzung des Begriffs „Schulbuch" stellt sich außerdem die Frage, wie die vorliegende Arbeit an den wissenschaftlichen Diskurs anzuschließen ist und welches grundsätzliche methodische Vorgehen sich für welche Art von Fragestellung in der Schulbuchforschung bewährt hat. Die Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit ist zu einem großen Teil auf die Wahl der entsprechenden Methode zurückzuführen. Eine methodische und inhaltliche Reflexion muss Ausgangspunkt der Schulbuchanalyse sein, um so zu „wissenschaftlich verantwortbaren Ergebnissen" zu gelangen. An jeder Stelle muss für den Leser klar sein, wie der / die Autorin zu den Ergebnissen gekommen ist, sodass diese replizierbar werden (vgl. Borck 2001: 35).
Neben der allgemeinen Gegenüberstellung wesentlicher Forschungsinstrumente der Schulbuchforschung, wird im speziellen auf Schulbuchraster und die Inhaltsanalyse eingegangen. Erstere sollen einerseits Ansatzpunkte bieten, die Forschungsfrage zu operationalisieren, andererseits in Form einer Gegenüberstellung der bekanntesten Raster in Hinblick auf allgemeine Kriterien, eine Art Minimalkonsens an Beurteilungskriterien für Schulbüchern definieren. Dieser Minimalkonsens soll auch innerhalb dieser Arbeit seinen Einsatz finden.
Unausweichlich erscheint überdies die Auseinandersetzung mit inhaltsanalytischen Elementen, da dieser Arbeit klarerweise eine inhaltlich ausgerichtete Frage zu Grunde liegt. Zudem liegt der Nachteil einiger Raster darin, dass diese nur bedingt zu objektiven Ergebnissen führen, was durch die Anwendung inhaltsanalytischer Methoden überwunden werden soll.
Basis der folgenden Kapitel „Das Schulbuch", „Geschichte der Schulbuchforschung" und „Schulbuchraster" bilden vor allem die Werke von Wiater (2003a), Borck (2001) und Niehaus et al. (2011).
Wiater (2003a) behandelt in seinem Aufsatz „Das Schulbuch als Gegenstand pädagogischer Forschung" den Begriff und die Funktionen des Schulbuchs, sowie Schwerpunkte und die Methoden der Schulbuchforschung im deutschsprachigen Raum. Zudem gibt er einen kurzen Überblick über Institutionen der Schulbuchforschung. Seine Arbeit bietet vor allem für den Einstieg zur Schulbuchforschung eine geeignete Zusammenfassung.
Almut Stoletzki, Eckhart Fuchs und Johanna Ahlrichs führen unter der Leitung und Mitarbeit von Inga Niehaus und im Auftrag der Bildungsdirektion des Kantons Zürich 2011 eine Studie zum Thema „Gestaltung, Verwendung und Wirkung von Lehrmitteln" durch. Untersucht wurden dabei vor allem Ergebnisse der Lehrmittelforschung aus dem deutschen und anglo-amerikanischen Raum der letzten 20 Jahre, die auch neue Medien mit einbeziehen. Die Autoren konzentrieren sich auf die Primar- und Sekundarstufe. Die umfassende Literaturarbeit gibt vor allem einen klaren Überblick zu Funktionen und Erwartungen an Lehrbücher, außerdem werden die wesentlichen Analyseraster in anschaulicher Weise gegenübergestellt (vgl. Niehaus et al. 2011).
Borck (2001) schreibt Ihre Dissertation zum Thema Prophetenbilder in Religionsbüchern der Sekundartstufe 1. Bevor Sie zur Analyse der Bücher kommt, nimmt sie eine Definition des SchulbuchBegriffs vor und geht vergleichsweise ausführlich auf Geschichtliches und Methoden zur Schulbuchanalyse ein, weshalb diese Vorarbeit auch hier als Grundlage dient.
Grundlage des Kapitels zur Inhaltsanalyse bildet vor allem das aktualisierte Standardwerk von Mayring (2015). Noch immer dient es vielen empirischen Arbeiten und auch Schulbuchanalysen als Ausgangspunkt. Mayring (2015) integriert in seiner Beschreibung der typischen Vorgangsweise qualitativer Inhaltsanalyse sowohl qualitative als auch quantitative Aspekte, was angesichts des in der Schulbuchforschung geforderten Methodenmix' als ein sehr wertvoller Beitrag gesehen werden kann.
Folgende Kapitel befassen sich somit mit dem Schulbuch an und für sich (vgl. Kapitel 2.1), der Geschichte und aktuellen Institutionalisierung der Schulbuchforschung in deutschsprachigen Raum (vgl. Kapitel 2.2), Methoden und Vorgangsweisen der Schulbuchforschung allgemein (vgl. Kapitel 2.3), den bedeutendsten und einigen aktuellen Schulbuchrastern (vgl. Kapitel 2.4), sowie Formen der Inhaltsanalyse (vgl. Kapitel 2.5).
2.1. DasSchulbuch
Die Geschichte des Schulbuchs reicht weit zurück. Bereits in der Palastschule von Mair (Mesopotamien um 1800 v.Chr.) wurden Schrifttafeln gefunden, deren Funktion denen eines Schulbuchs ähneln. Auch J.A. Comenius (1592 - 1670), Autor des „Orbis sensualium pictus" und der „Janua linguarum reserata", hat sich über die Gestaltung von Schulbüchern Gedanken gemacht (vgl. Nezel 1996). Wiater (2003a) fasst seine Vorschläge in Form von 12 Punkten zusammen:
„1. Jedes Schulbuch soll für mehrere Unterrichtszwecke und -bereiche verwendbar sein.
2. Jede neue Sprache soll an einem bereits bekannten Stoff erlernt werden.
3. Da in der Natur die Anordnung der Dinge unverrückbar ist, sollen die Sachen in ihren gewachsenen Zusammenhängen dargestellt werden.
4. Der Stoff kann besser begriffen und behalten werden, wenn er in sachlogische Zusammenhänge gebracht wird.
5. Ein Schulbuch muss seine Teile in eine Anordnung bringen, die der realen Weltordnung entspricht (z.B. anthropologisch anordnen).
6. Das Schulbuch muss so aufgebaut sein, dass ein abgestuftes Lernen vom Konkreten zum Abstrakten, vom Einfachen zum Komplexen ermöglicht wird.
7. Schulbücher müssen durch ihre Auswahl attraktiver Lehrgegenstände Neugier und Freude am Erkennen wecken.
8. Der Stoff des Schulbuchs muss nach dem Prinzip des Baumes angeordnet werden: Das relativ stabile Grundwissen bildet den Stamm, das Aufbauwissen bilden die Äste, das sich schneller wandelnde Spezialwissen die Zweige.
9. Ein gutes Schulbuch ist gleichzeitig eine „Landkarte" für das Begehen des Lerngeländes.
10. Schulbuch-Bilder sind sowohl Visualisierungsmittel des Textes als auch eigenständige Informationsträger, die den Betrachter zu weiterem Erkennen/Lernen anregen.
11. Um ein leichteres Lernen zu ermöglichen, hat jedes Schulbuchkapitel (in der Regel eine Doppelseite) das gleiche Erscheinungsbild.
12. Wichtige Schulbücher sollten durch Dramatisierungen ihres Stoffes im Sinne von Schulspielen ergänzt werden" (vgl. Wiater 2003a: 1).
Trotz dieser recht klaren Vorstellung davon, wodurch sich gute Schulbücher auszeichnen, beginnt die Geschichte des Schulbuchs erst richtig ab der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg (1397 - 1468) (vgl. Wiater 2003a: 1).
Was unter Schulbüchern verstanden wird, ist nicht eindeutig geklärt. Je nach Autorin wird der Begriff unterschiedlich weit oder eng gefasst (vgl. Wiater 2003a: lf). Die Definitionen reichen von der Beschränkung des Begriffs auf das reine Druckwerk „Schulbuch", bis hin zum Einschluss ergänzender, auch elektronischen Medien. Die Definition von „Schulbuch" im Zuge einer Schulbuchanalyse ist wesentlich dafür, welche Elemente Teil der Analyse werden sollen und welche nicht. Bevor eine Schulbuchanalyse durchgeführt werden kann, gilt es deshalb, erst den Gegenstand der Forschung näher zu bestimmen bzw. einzugrenzen.
Bei der Untersuchung von Schulbüchern sind nicht nur Interessen von Schülerinnen und Lehrerinnen, sondern vor allem auch jene der Eltern, der Fachwissenschaft und Politik relevant (vgl. Niehaus et al. 20ll). Demensprechend müssen Schulbücher verschiedenen Erwartungen gerecht werden und unterschiedliche Funktionen erfüllen. Je nach Bezugsgruppe werden andere Ausprägungen, die ein Schulbuch enthalten oder entbehren sollte, argumentiert, was sich auf die Analyse und Analysekategorien von Schulbüchern auswirken muss. Vor allem seitdem die technischen Möglichkeiten bestehen, wird auch hinterfragt, inwiefern nicht auch neue Medien diese Funktionen übernehmen und dem klassischen Schulbuch den Rang ablaufen.
Um die Untersuchung des Schulbuchs an und für sich zu begründen scheint es deshalb wichtig, eine grundlegenden Konzeption von „Schulbuch" zu argumentieren (vgl. Kapitel 2.l.l), sich mit dessen Funktionen (vgl. Kapitel 2.l.2) auseinander zu setzen und Erwartungen an das Schulbuch von Seiten unterschiedlicher gesellschaftlicher Bezugsgruppen (vgl. Kapitel 2.l.3) darzulegen. Interessant scheint es auch, wie sich die Bedeutung von Schulbüchern angesichts alternativer Medien wandelt (vgl. Kapitel 2.l.4). Daraus kann eine entsprechend begründete Auswahl und Eingrenzungen der vorliegenden Arbeit und der Untersuchungskategorien vorgenommen werden (vgl. Kapitel 2.l.5).
2.1.1. Versuch einer Abgrenzung
Pöggeler (2003: 33) geht davon aus, dass sich das „Phänomen ,Schulbuch' [...] a priori [nicht] normieren" lässt. Die Autorin sieht dies nicht so, auch angesichts der Aussage, die Pöggeler anschließt: Mit „Schulbuch" könne prinzipiell jedes Buch gemeint sein, das seinen Einsatz in der Schule findet. Hierdurch ergibt sich bereits eine erste Abgrenzung: Schulbücher sind zu aller erst Bücher, die in der Schule ihren Einsatz finden/
Von Schulbuch abzugrenzen sind jedenfalls die Begriffe „Unterrichtsmedien", „Lehrbuch", „Lehrwerk" und „Lehrmittel", „Lernmittel" und „Unterrichtsmittel". Borck (200l: ll) etwa bezeichnet Schulbücher für allgemeinbildende Fächer und die Berufsbildung, sowie Schulwörterbücher,[1]
Quellensammlungen, Themenhefte und Aufgabensammlungen als „Lernmittel", während sie unter „Lehrmittel" auch technische Geräte wie Modelle etc. versteht. Im Schulunterrichtsgesetzt werden „Unterrichtsmittel" als „Hilfsmittel, die der Unterstützung oder der Bewältigung von Teilaufgaben des Unterrichts und zur Sicherung des Unterrichtsertrags dienen" (§ 14 Abs. 1 SchUG) definiert.
Bölsterli Bardy (2015: 5f) nimmt in ihrer Dissertation zum Thema „Kompetenzorientierung in Schulbüchern für die Naturwissenschaften" eine kurze Gegenüberstellung einiger, dem „Schulbuch" verwandter Begriffe vor (vgl. Bölsterli Bardy 2015: 5f). Dabei stellt sie fest:
„Der einzige klar abgrenzbare Begriff zum ,Schulbuch' sind die ,Unterrichtsmedien'. Sie sind dem ,Schulbuch' übergeordnet und schließen es mit ein. Die Begriffe ,Lehrbuch', ,Lehrwerk' und ,Lehrmittel' enthalten alle auch Aspekte des ,Schulbuchbegriffs'" (Bölsterli Bardy 2015: 6).
Hinsichtlich verschiedenen Textarten, ist das Schulbuch zwischen Sachbuch und wissenschaftlichem Fachbuch einzuordnen (vgl. Wiater 2003a: 2). Dabei sind Schulbücher für eine spezielle Schulstufe und Schulart konzipiert (vgl. Borck 2001:13).
Borck (2001: 13) unterscheidet unterschiedliche Schulbuchtypen, wobei die einstigen „Arbeitsbücher mit enzyklopädischem Charakter" nicht mehr so verbreitet sind. Stattdessen wird mehr Wert auf abwechslungsreiche Darbietung des Lehrstoffes gelegt, wodurch sich Lehrbücher in Seitenaufteilung, Farbgebung, Schriftart, Text- und Bildaufteilung deutlich voneinander unterscheiden können und auch unterschiedliche didaktische Konzepte in ihnen verarbeitet sind (vgl. Borck 2001:13).
In Bezug auf vorhandene Anweisungen zur inhaltlichen Gestaltung von Schulbüchern werden offenere und geschlossener Bücher unterschieden (vgl. Miller 1986. 524f, zit. nach Borck 2001: 13). Erstere bieten mehr oder weniger Texte, Bilder und Aufgabenstellungen themenspezifisch an, überlassen es aber dem Lehrer oder der Lehrerin, die Inhalte zu erarbeiten. Letztere geben zur Erarbeitung der Stoffe mehr Hinweise.[2]
Vor allem dahingehend, aus welchen Bestandteilen sich ein „Schulbuch" zusammensetzt, werden engere und weitere Definitionen unterschieden. Nach Laubig/Peters/Weinbrenner (1986: 7, zit. nach Wiater 2003a: 1) versteht man unter einem Schulbuch im engeren Sinne
„ein überwiegend für den Unterricht verfasstes Lehr-, Lern- und Arbeitsmittel in Buch- oder Broschürenform sowie Loseblattsammlungen, sofern diese einen systematischen Aufbau des Jahresstoffes eines Schulbuchs enthalten."
Niehaus et al. (2011: 6) sehen diese Abgrenzung ähnlich. Heute sei ein Lehrbuch ein „kombiniertes Lehr- und Arbeitsbuch, das verschiedene Quellengattungen beinhaltet, entlang von Kompetenzentwicklung strukturiert ist" (vgl. Niehaus et al. 2011: 6) und sich aus mehreren Medien zusammensetzt. Zur Gattung „Schulbuch" werden neben Büchern für allgemeinbildende Fächer, auch Exemplare für die berufliche Bildung, sowie „Schulwörterbücher, Quellensammlungen, Themenhefte, Aufgabensammlungen" (Borck 2001:11) gezählt.
Fasst man den Begriff „Schulbuch" weiter, so fallen darunter auch Lesebücher, Liederbücher, die Bibel, Atlanten und Formelsammlungen, die „bloß zusammengestellte Inhalte" fassen (vgl. Wiater 2003a: 1f). Ergänzt wird das klassische Lehrbuch durch begleitende Lehrerhandbücher, Wandbilder, die Tafel, Arbeitsblätter, Overheadfolien, Filme / Videos, die immer mehr mit e-learning-Angeboten konkurrieren (vgl. Wiater 2003a: 2).
Klar wird an dieser Auflistung, dass unter Schulbuch einerseits nur das tatsächliche Buch, das auch Schülern und Schülerinnen zur Verfügung steht, verstanden wird, andererseits auch weitere Medien in dem Begriff enthalten sind. Auch Bölsterli Bardy (2015: 5f) fasst dies ähnlich zusammen. Teilweise würde unter „Schulbuch" nur das Druckwerk verstanden, teilweise würden auch multimediale Ergänzungen dazu gezählt. Sie kommt zu folgender Definition von „Schulbuch":
,„Schulbücher' sind Unterrichtsmaterialien, die aus Schülermaterialien, Lehrpersonenmaterialien, zusätzlichen Unterrichtsmaterialien und ggf. weiteren Medien wie Filmen oder Experimentiermaterialien bestehen" (vgl. Bölsterli Bardy 2015: 7).
Diese Definition scheint auch hier begründet und soll Grundlage der folgenden Untersuchung sein.
Insgesamt lässt sich demnach feststellen, dass Schulbücher Unterrichtsmittel sind, die für die Schule, ein spezielles Schulfach konzipiert sind und aus Arbeitsbüchern, Lehrerbüchern, aber auch Begleitmedien bestehen. Angesiedelt sind sie zwischen Sachbuch und wissenschaftlicher Lektüre und dienen der Strukturierung des Unterrichts.
2.1.2. Funktionen & Rollen
ln der Fachliteratur werden hinsichtlich Funktionen des Schulbuchs zumeist grundsätzlich die gesellschaftliche und pädagogisch-didaktische bzw. instrumentelle Funktion unterschieden (vgl. Wiater 2003a: 3; Niehaus et al. 2011: 11). Erstere bezieht sich auf die Interessen und Ziele der Gesellschaft, die sich im Schulbuch widerspiegeln und durch das Schulbuch Verbreitung finden, wie etwa die Gewährung von Chancengleichheit im Bildungswesen, die Konformität der Inhalte mit allgemeinen Bildungszielen, die Benennung der Lerninhalte entsprechend der Verfassung, die Sicherung der im Lehrplan verfolgten Bildungsinhalte und in gewisser Weise auch die Bestimmung dessen, was zur „Kultur" eines Landes zählt (vgl. Wiater 2003a: 3; Niehaus et al. 2011:11).
Das Schulbuch beinhaltet demnach stets auch politische und pädagogische Konzeptionen, neben den didaktischen und speziell methodisch-medialen Überlegungen zum Schulunterricht. Deutlich wird dies an der Auswahl der Inhalte,[3] den Schwerpunktsetzungen und Akzentuierungen, vor allem beim Schulbuchvergleich.
Außerdem fungiert das Schulbuch als „Medium im Sinne von Mittel und Mittler" (Miller 1986: 524, zit. nach Borck 2001:11). Zum einen ist es als Buch selbst ein Medium, zum anderen führt es die Leserinnen an fachliche Information und didaktische Interessen der Schulbuch-Autorinnen heran.
In den heutigen Schulbuchtheorien wird das Schulbuch deshalb „erstens als Produkt und Faktor gesellschaftlicher Prozesse, zweitens als Arbeitsmittel, Lernhilfe und Gegenstand des schulischen Lernprozesses und drittens als Element in einer Multimedialen Lernumgebung " (vgl. Wiater 2003a: 2) betrachtet. Nach Laubig/Peters/Weinbrenner (1986: 33, zit. nach Wiater 2003a: 2) muss auch eine Schulbuchtheorie versuchen diese Aspekte anhand von unterschiedlicher Stadien des Lebenszyklus eines Schulbuches zu integrieren.
Häufig zitiert ist hierzu folgende Forderung von Stein (1977), dass das Schulbuch demgemäß als „Politikum, Informatorium und Paedagogicum" betrachtet werden muss. Schulbücher sind eingebettet in einen politischen, pädagogisch-didaktischen und gesellschaftlich-ökonomischen Kontext (vgl. Wiater 2003a: 2). Auf die dreifache Funktion bzw. Rolle von Schulbüchern, die politische, pädagogische und informative, soll im Weiteren kurz eingegangen werden.
2.1.2.1. Das Schulbuch als Politikum
Stein (2003) formuliert zur politischen Rolle: „Nach wie vor gilt: Schule ist ein Politicum ersten Ranges; das Schulbuch ist es nicht minder." Schulbuchfragen hängen laut Stein (2003: 25) immer auch mit politischen Fragen zusammen, auch wenn „nur" didaktische Reflexionen über das Schulbuch als Mittler zwischen erzieherischen und schulischen Prozessen untersucht werden sollen. Immer ist der Zusammenhang zu Curriculum und Schulreformen präsent.[4]
Das Schulbuch gilt als „Spiegel der gesamtgesellschaftlichen Verfassung und Bewußtseinslage" (vgl. Weinbrenner 1992: 50), das heißt, in Schulbüchern findet sich nur das, was auch die Gesellschaft durch diejeweiligen Vorschriften zugelassen hat.
„Die politische Relevanz von Schulbüchern wurde besonders bei politischen Systemwechseln jedermann deutlich [...]" (vgl. Plöggeler 2003: 33).[5]
Im Schulbuch kommt das kulturelle Selbstverständnis einer Gesellschaft zum Ausdruck (Kahlert 2010: 41, zit. nach Niehaus et al 2011: 9).
„Sowohl bezogen auf Wissensinhalte als auch Werteorientierungen dokumentieren sie, was jeder, der eine öffentliche Schule eines bestimmten Jahrgangs besucht, erfahren, lernen und können sollte - erarbeitet, ausgewählt und genehmigt nach Maßgabe besten fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Wissens und bildungspolitischen Gewissens" (vgl. Kahlert 2010: 42, zit. nach Niehaus et al 2011: 9).
Dabei wird eine gewisse Selektion und Normierung der Inhalte vorgenommen (vgl. Wiater 2003a: 2f; Niehaus et al. 2011: 11).
Als Ursache für die politischen Komponenten von Schulbüchern sieht Stein sowohl das Schulbuch als Ware, als auch seinen instrumentellen Charakter (vgl. Stein 2003: 25). Offenkundig wird die politische Dimension vor allem dort, wo die Inhalte von Lehrbüchern parteipolitischweltanschaulichen Normierungen unterworfen werden, indem „Verleger mit der Schulbuchwerbung ,Gesellschaftspolitik' oder Politiker mit der Lernmittelfreiheit ,Staat zu machen' suchen" (Stein 2003: 25f).
Deutlich wird die politische Komponente zudem beim Zulassungsverfahren. Bevor ein Schulbuch zugelassen wird, muss es in Österreich vom Ministerium für Bildung und Frauen approbiert werden (vgl. SchUG § 14 Abs. (2)). Auch durch das Prüfverfahren hat das Schulbuch unverkennbar eine politische Funktion (vgl. Wiater 2003a: 3).
„Schulbücher sind amtliche, kulturell bedeutsame Dokumente, die Auskunft über Bildung und Erziehung, Unterricht und Lernen in der gesellschaftlichen Institution Schule zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten regionalen Raum geben" (Wiater 2003a: 5).
Damit sind sie auch bedeutendes Zeugnis und Mittler für politische und gesellschaftliche Überzeugungen.
2.1.2.2. Das Schulbuch als Pädagogikum
Die pädagogisch-didaktische Funktion des Schulbuchs bezieht sich auf die Unterstützung und Entlastung von Lernprozessen in der Schule (vgl. Wiater 2003a: 3). Das Lehrbuch tritt als „Mittler und Mittel, Lernhilfe, Arbeitsmittel, Werkzeug und Gegenstand des Lernens" auf, das durch exemplarische Lerninhalte Schulwissen repräsentiert, strukturiert und steuert (vgl. Wiater 2003a: 3). Diese Rolle als Mittler und Mittel bezieht sich sowohl auf den Beziehungs-, als auch auf den Inhaltsaspekt von Lernen und Lehren (vgl. Stein 2003: 26).
„In diesem doppelten Sinne wird das Schulbuch als pädagogisches Hilfsmittel bezeichnet und als ein Medium zur Unterstützung bzw. Entlastung schulischer Informations- und Kommunikationsprozesse definiert" (Stein 2003: 26).
Zugrunde gelegt wird dabei eine pädagogische Handlungstheorie, in der Unterricht nicht manipulativ verstanden wird. Unterricht ist hier eine kommunikative und kooperative Praxis, um Kinder und Jugendliche zu Selbstbestimmung und Verantwortungsbewusstsein hin zu erziehen (vgl. Stein 2003: 26). Stein (2003: 26) betont außerdem, dass das Schulbuch stets Hilfsmittel, nicht aber Ersatz für „didaktische Planung von Unterricht und Erziehung" dienen kann. Das Schulbuch dürfe sich nicht zu einer Form von heimlichem Lehrplan entwickeln, der als Maßstab für zu behandelnde Inhalte und didaktische Vorgangsweisen wird.
2.1.2.3. Das Schulbuch als Informatorium
Das Schulbuch ist Träger von Information und Auslöser von Diskussion. Durch seine Inhalte werden unterschiedliche, teils kontroverse Texte und Abbildungen präsentiert, Anstöße für neue Denkrichtungen gegeben, Inhalte, Themen und Probleme mehrperspektivisch und mitunter kritisch dargestellt (vgl. Stein 2003: 26).
Inhalte von Schulbüchern müssen sachlich richtig sein, und sprachlich so präsentiert werden, dass sie für die jeweilige Zielgruppe und Situation, in der sie eingesetzt werden sollen, passend sind. Das Lehrbuch muss Wissen vermitteln, sowie zur Entwicklung von Fertigkeiten und Handlungsentwürfen anregen. Darüber hinaus, hat ein Schulbuch auch „die Befangenheit, Ergänzungsbedürftigkeit und Überholbarkeit" von Schulbüchern klar zu machen (vgl. Stein 2003: 26). Schon Kästner schreibt:
"Mißtraut gelegentlich euren Schulbüchern! Sie sind nicht auf dem Berg Sinai entstanden, meistens nicht einmal auf verständige Art und Weise, sondern aus alten Schulbüchern, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind, die aus alten Schulbüchern entstanden sind. Man nennt das Tradition. Aber es ist etwas ganz anderes" (Kästner 1968: 55).
Das was Kästner anspricht gilt auch heute noch: ln Schulbüchern spiegelt sich auch Tradition, die es angesichts neuer Entwicklungen immer wieder kritisch zu reflektieren gilt. Schulbücher müssen neben „identifikatorischem Lesen" auch zur kritischen Auseinandersetzung mit Inhalten anregen (vgl. Stein 2003: 26).
„Vor dem Hintergrund neuer konstruktivistisch orientierter Ansätze, nach denen Lehrprozesse so gestaltet werden sollen, dass sie die kognitive Einständigkeit [Anmerkung: gemeint vermutlich Eigenständigkeit] der Lernenden fördern und zum Denken anregen, gewinnen Lehrmittel neue Beachtung" (vgl. Niehaus et al. 2011: 11).
Somit haben Schulbücher neben der Wissensvermittlung auch die Aufgabe, Denkprozesse anzuregen (vgl. Möller 2010: 98, zit. nach Niehaus et al. 2011: 11). Für die medientechnische Gestaltung muss dies eine curriculare Offenheit, Polyvalenz in funktionaler Hinsicht und Aufgeschlossenheit für einen Medienverbund bedeuten (vgl. Stein 2003: 26).
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass Schulbücher vor allem dreierlei Funktionen wahrnehmen: Zum einen sind sie Ausdruck des politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses zu einer bestimmten Zeit, zum nächsten pädagogischer Leitfaden und Hilfsmittel im Unterricht und schließlich auch Informationsträger und Diskussionsgrundlage. Welche Funktionen konkret im Unterricht zu tragen kommen, hängt nicht zuletzt vom Einsatz des Schulbuchs im Unterricht ab, was je nach Unterrichtsfach und Lehrerin ganz unterschiedlich ausfallen kann.[6]
2.1.3. Erwartung an Lehrmittel
Erwartungen, die an das „Paedagogicum, Informatorium und Politicum Schulbuch" gestellt werden, sind hoch und beziehen sich auf dessen Gestaltung, Aufbau, Inhalte und Anwendbarkeit (vgl. Niehaus et al. 2011: 9). Über Erwartungen an Lehrmittel existieren jedoch nur vereinzelt Studien. Dem gegenüber stehen einige Abhandlungen von Seiten der Wissenschaft und Fachdidaktik darüber, was Lehrbücher enthalten sollten, wie sie konzipiert sein sollten, was im Resultat zu mehreren Kriterien und Bewertungsrastern führte (vgl. auch Kapitel 2.4) (vgl. Niehaus et al 2011: 9).
Je nach Nutzergruppe (Lehrer, Schüler, Eltern, Politik, Wissenschaft) gestalten sich die Erwartungen an Lehrmittel anders. Schmid (1985: 17, zit. nach Borck 2001: 11) nennt fünf Bezugsfelder, die er hierarchisch ordnet:
1. Stelle: Pädagogik / Lernpsychologie
2. Stelle: Fachwissenschaft
3. Stelle: Fachdidaktik
4. Stelle: amtliche Lehrpläne
5. Stelle: Schule und Lernorganisation
Schmid (1985: 17, zit. nach Borck 2001: 11) argumentiert, dass eine Schulbuchanalyse demzufolge nicht nur Ansprüche der Fachwissenschaft mit einbeziehen darf, sondern auch die übrigen, genannten Bezugsgruppen berücksichtigen muss. Somit muss dies zwingend zu einer mehrperspektivischen Betrachtungsweise im Rahmen von Schulbuchanalysen führen.
Niehaus et al. (2011) stellen in „Gestaltung, Verwendung und Wirkung von Lehrmitteln" die Ergebnisse ihrer Literaturstudie hinsichtlich Erwartungen an Schulbüchern anhand der Bezugsgruppen Öffentlichkeit, Wissenschaft und Fachdidaktik, Bildungspolitik, Lehrende, Schülerinnen und Eltern dar. Sie beschäftigen sich dabei vornehmlich mit Lehrbuchforschung im Fach Geschichte, Politik und Sprachen. Vor allem da im Wirtschaftsunterricht auch politische und geschichtliche Aspekte eine Rolle spielen, werden die Erkenntnisse daraus hier verstärkt erwähnt und kurz dargelegt.
2.1.З.1. Öffentlichkeit
Dass auch die Öffentlichkeit bei der Frage, was Lehrbücher zu beinhalten haben eine Rolle spielt, wurde vor allem in den 1960er und -70er Jahren klar, als zunehmend öffentlich von Wissenschaft, Politik und Schulbuchproduzenten diskutiert wurde, wie Lehrmittel gestaltet sein sollten (vgl. u.a. Hacker 1980: 12, zit. nach Niehaus et al. 2011: 9). Die Debatte handelte primär von den Inhalten, den in Schulbüchern vermittelten Ideologien und der Verständlichkeit der Sprache. Gefordert wurde eine Modernisierung (vgl. Mayer 2001: 5, zit. nach Niehaus et al. 2011: 9f).
Erwartungen der Öffentlichkeit gegenüber Lehrmitteln beziehen sich auch heute hauptsächlich auf die in ihnen vermittelten Weltanschauungen und Normen.
„Im Allgemeinen hegt die Öffentlichkeit die Erwartung, dass Schulbücher das öffentliche Interesse widerspiegeln und den sozialen Zusammenhalt fördern" (vgl. Niehaus et al. 2011: 10).
Diese dürfen den gesellschaftlichen nicht zuwiderlaufen, weswegen aus Schulbuchkritik nicht selten politische Forderungen und Entscheidungen gefolgt sind (vgl. Bascio/Hoffmann-Ocon 2010: 23-27, zit. nach Niehaus et al. 2011: 9f).
2.1.З.2. Wissenschaft und Fachdidaktik
Aus fachdidaktischer und wissenschaftlicher Perspektive geht es bei Schulbüchern der Oberstufe darum, sachorientierte und fachwissenschaftlich richtige Inhalte zu vermitteln (vgl. Müller 2005: 116, zit. nach Niehaus et al. 2011: 10), wobei dies in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern noch mehr gefordert wird, als bei gesellschafts-wissenschaftlichen Fächern.
Ab dem Zeitpunkt der „Schulbuchschelte" in den 1960er und 70er Jahren (vgl. auch Kapitel 2.2), rückten etwa Forderungen dahingehend in den Mittelpunkt, die Unterrichtsqualität durch entsprechende Lehrbücher zu erhöhen (vgl. Schär/Sperisen 2011: 124, zit. nach Niehaus et al. 2011: 12). Im Geschichtsunterricht wurde vor allem eine Verständlichkeit der Texte, Vermittlung soliden Wissens und eine Erhöhung der Denk- und Erkenntnisfähigkeit der Schülerinnen gefordert (vgl. von Borries 2006: 31 und Rüsen 2008b: 177, zit. nach Niehaus et al. 2011: 12).
„Für den modernen, kompetenzorientierten Politikunterricht gilt, dass Schülerinnen und Schüler befähigt werden sollen, neben Texten auch Bilder, Werbespots, Grafiken und Karikaturen zu interpretieren" (vgl. Niehaus et al. 2011:13).
Neben diesen allgemeinen Forderungen haben Wissenschaftler seit dem zweiten Weltkrieg versucht, entsprechende Kriterien zu formulieren, um die Qualität von Schulbüchern zu bestimmen. In diesen Kriterien spiegeln sich demgemäß auch Erwartungen an die Schulbücher von Seiten der Fachwissenschaft und Fachdidaktik wieder.[7]
Erwartungen an neue Medien seitens der Wissenschaft beziehen sich auf Vorteile „a) zur Unterstützung innovativer Lehr-Lernmethoden wie dem problem- und fallbasierten Lernen, b) zur Steigerung der Lernintensität des selbst gesteuerten und kooperativen Lernens von Schülerinnen und Schülern und c) zur Erschließung alternativer Formen der Lernorganisation, etwa durch die Kopplung von Lernorten durch das Internet (vgl. Nattland und Kerres 2009: 323)" (Niehaus et al. 2011: 23f).
2.1.3.3. Bildungspolitik
Von Seiten der Bildungspolitik wird in Deutschland verstärkt eine empirische Erhebung über die Wirkung von Curricula und Lehrmittel gefordert. Aus neuen Unterrichtskonzepten, -methoden und -materialien verspricht man sich eine erhöhte Wirksamkeit des Unterrichts (vgl. Gräsel 2010: 138, zit. nach Niehaus et al. 2011: 20).
Laut Plöggeler (2005: 22, zit. nach Niehaus et al. 2011: 20) betreffen Erwartungen der Bildungspolitik vor allem die Forderung, dass sie aus politischen und ökonomischen Überlegungen, verbindlich im Unterricht eingesetzt werden. Es seien politische, juristische, pädagogische sowie normativ-ethische Erwartungen enthalten (Plöggeler 2005: 22, zit. nach Niehaus et al. 2011: 20).
Bezogen auf die politische Komponente bezeichnen Bascio/Hoffmann-Ocon (2010: 22, zit. nach Niehaus et al. 2011: 20) Lehrmittel dementsprechend als „Instrumente bildungspolitischer Streuung", da durch sie bildungspolitische Ziele an Schülerinnen herangetragen werden.
Die ökonomische Komponente wird am jährlichen Rundschreiben des BMBF ersichtlich, indem im ersten Punkt deutlich auf die Grundsätze der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit verwiesen wird (vgl. BMBF 2016: 2).
„Es dürfen daher nur solche Unterrichtsmaterialien ausgewählt werden, die tatsächlich benötigt und verwendet werden. Werden die Grundsätze der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit verletzt, hat der Schulerhalter dem Bund den Aufwand für solche Bücher zu ersetzen" (BMBF 2016: 2).
Zwischen Erwartungen an Schulbüchern von Seiten der Wissenschaft und der Bildungspolitik gibt es somit große Unterschiede. Der Wissenschaft geht es vor allem um die Wissensvermittlung, während es der Bildungspolitik um didaktische Effektivität geht (vgl. Bascio/Hoffmann-Ocon 2010: 28, zit. nach Niehaus et al. 2011: 20).
2.1.3.4. Lehrende
Der Einsatz von Lehrbüchern durch Lehrende kann sowohl Vorteile, als auch Nachteile mit sich bringen. Durch die stärkere didaktische Konzeption können Schulbücher dabei helfen, Unterrichtsinhalte zu strukturieren. Lehrerinnen erhalten mitunter Handlungsanweisungen und Vorschläge zur Gestaltung des Unterrichts (vgl. Hacker 1980: 28, zit. nach Niehaus et al. 2011: 21). Ein Nachteil könne darin bestehen, dass sich Lehrerinnen nur noch an Schulbuchinhalten orientieren, sie als „heimlichen und/oder offenen Lehrplan" betrachten und so der Unterricht an Flexibilität verliert (vgl. Hacker 1980: 28, zit. nach Niehaus et al. 2011: 21). Oftmals wird angenommen, dass sämtliche Lehrbuchinhalte besprochen werden müssen, was bei Lehrbüchern, die für einen großen geographischen Raum zugelassen sind, nicht machbar ist (vgl. Kahlert 2000: 126, zit. nach Niehaus et al. 2011: 21).[8] Auch Stein (2003: 26) warnt im Zusammenhang mit der pädagogischen Funktion von Schulbüchern vor diesem Punkt.
Pöggeler (2003: 49) beschreibt Schulbücher insofern als geheimen Lehrplan, als sich in ihnen oft alte Curricula finden, was sich nicht zu Letzt auf ökonomische Aspekte zurückführen lässt. Dementsprechend wird der Unterricht von einem „Gesetzt der Verspätung" regiert, wie Pöggeler es bezeichnet, weshalb manche auch fordern - wie in Fächern der Wirtschaft und Technik - lediglich auf aktuelle Fotokopien zurückzugreifen.
Wesentlich dabei, dass Lehrende auf den Einsatz von Schulbüchern zurückgreifen, ist nach Maier (1980: 138), dass diese sich mit dem Lehrwerk identifizieren können. Hinsichtlich Erwartungen an Lehrbücher spielt angesichts zunehmender Diversität in der Gesellschaft auch die Forderung nach verstärkter kultureller Vielfalt in Lehrmitteln eine Rolle. Darüber hinaus wird auch bemängelt, dass es an Materialien für individualisierten und integrativen Unterricht mangelt (vgl. Bildungsdirektion Kanton Zürich 2009, zit. nach Niehaus et al. 2011: 21).
Fächerspezifische Erwartungen an Lehrmittel durch Lehrende konnten durch Niehaus et al. (2011: 22) nur für den Fremdsprachenunterricht und den Geschichtsunterricht recherchiert werden. ln Hinblick auf den Geschichtsunterricht verweist Gautschi (2010: 132, zit. nach Niehaus et al. 2011: 22) auf Zielprobleme (keine Hilfestellungen für den kompetenzorientierten Unterricht), Auswahlprobleme (keine Hilfestellung bei der Auswahl von Inhalten angesichts des Überangebots), Differenzierungsprobleme (keine Hinweise auf unterschiedliche Kompetenzniveaus), Beurteilungsprobleme (keine Beurteilungsmaßstäbe zur Bewertung von Leistungen) und Artikulationsprobleme (mangelnde Strukturierung hinsichtlich Bearbeitungsdauer von Aufgaben, Reihenfolge von Themen).
2.1.З.5. Schülerinnen
Bezüglich Einstellungen zum und Erwartungen an das Schulbuch von Seiten der Schülerinnen, kommen Niehaus et al. (2011: 24f) zu unterschiedlich gerichteten Ergebnissen. Einerseits bewerten Schülerinnen vor allem Formen des „offenen Unterrichts" positiver als traditionelle, lehrerzentrierte Unterrichtskonstellationen. Niehaus et al. (2011: 24) schließen daraus, dass auch die darauf vorbereitenden Unterrichtsmaterialien dementsprechend positiver bewertet werden. Knecht/Najvarovà (2010, zit. nach Niehaus et al. 2011: 24) kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass Schülerinnen aus verschiedenen Ländern Schulbücher als verständlich und interessant bezeichnen. Sie fordern die Einbeziehung von Bewertungen von Schulbüchern durch Schülerinnen.
Andererseits formulieren Schülerinnen Kritik an Geschichtslehrbüchern in Hinblick auf ihre mangelnde Verständlichkeit (vgl. Borries 1995: 58, zit. nach Niehaus et al. 2001: 24), laut Schramm (2011, zit. nach Niehaus et al. 2011: 24) arbeitet über die Hälfte der Schülerinnen auch nicht gerne mit dem Schulbuch. Andere Medien, wie Filme, internet, Bilder, Hörbeispiele oder Lehrererzählungen werden bevorzugt (vgl. Schramm 2011, zit. nach Niehaus et al. 2011: 25).
2.1.З.6. Eltern
Nach Knecht/Najvoravà (2010: 4, zit. nach Niehaus et al. 2) sind vor allem Eltern eine unterschätzte Nutzergruppe von Schulbüchern. Je nachdem, ob Eltern die Zeit, die Kompetenzen und den Willen besitzen, ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen, sehen auch die Ansprüche an das Schulbuch anders aus.
Eltern wünschen vor allem unterstützende, klare strukturierte Inhalte und kurze Zusammenfassungen, sowie Lösungen zu den Übungsaufgaben. Kritisiert werden der Schwierigkeitsgrad, die Unübersichtlichkeit, die Nicht-Aktualität, die beschränkte Einsetzbarkeit und die Kosten von Lehrbüchern. Eltern bevorzugen den Einsatz von CD-Roms, DVDs und Aktualisierungen durch das Internet (vgl. Knecht/Najvoravà 2010: 4, zit. nach Niehaus et al. 2011: 26). Auch eine Bewertung von Schulbüchern wird von den Eltern gewünscht und ist etwa über das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung möglich (vgl. Niehaus et al. 2011: 26). Gewünscht ist auch eine verbindliche Nutzung der Lehrbücher über mehrere Jahre, vor allem dann, wenn die Eltern selbst für die Kosten der Schulbücher aufkommen müssen und so die Schulbücher auch für jüngere Geschwister nochmals verwendet werden können (vgl. Pöggeler 2005: 36, zit. nach Niehaus et al. 2011: 26).
Hinsichtlich des Problems unterschiedlicher Anspruchsgruppen (Lehrerinnen, Schülerinnen, Eltern, Politik, Wissenschaft) sieht Gautschi (2010: 134f, zit. nach Niehaus et al. 2011: 22) die Lösung darin, unterschiedliche Publikationsformen zu veröffentlichen, was in Form von Lehrerinnen- und Schülerinnenausgaben bereits umgesetzt wird.
insgesamt haben sich die Erwartungen an Schulbücher angesichts der neuen Kompetenz- und somit Output-Orientierung, zusammen mit verstärkt konstruktivistisch ausgerichtetem Unterricht geändert (vgl. Niehaus et al. 2011: 6). Entsprechend konzipiert, können Lehrmittel eine wichtige Hilfe, für den kompetenzorientierten Unterricht darstellen (vgl. Bölsterli et al. 2010: 140, zit. nach Niehaus et al. 2005).
Allgemein kann außerdem gesagt werden, dass sich Wünsche und Ansprüche doch sehr zwischen unterscheiden Anspruchsgruppen unterscheiden. Sie reichen von praktischen Dingen, wie dem sparsamen und effizienten Einsatz von Lehrmitteln, über Wünsche hinsichtlich der Handhabung hin zu konkreten gestalterischen und didaktischen Forderungen.
2.1.4. Schulbücher im Kontext neuer Medien
Hinsichtlich Lehrmitteleinsatz lässt sich feststellen, dass das Schulbuch angesichts des zunehmenden multimedialen Angebots, aber auch in Reaktion auf den kompetenz- und schülerzentrierten Unterricht und die Bildungsstandards, an Bedeutung verloren hat. Der Einsatz von alternativen Formen von Lehrmitteln gewinnt an Relevanz. Durch neue Informations- und Kommunikationsmedien (Computersoftware, Internet, Intranet) wird das Schulbuch zunehmend in Frage gestellt (vgl. Wiater 2003b: 219) und auch der Umgang mit Lehrmitteln hat sich geändert (vgl. Niehaus et al. 2011: 62).
Niehaus et al. (2011: 62) bezeichnen den derzeitigen Stand der Forschung zur Wirkung des Multimediabereichs als nicht zufriedenstellend. Vorliegende Arbeiten beziehen sich eher auf den Einsatz und die Veränderungen der Lehr-Lernkultur, nicht so sehr auf die Wirkung auf Lernerfolg und Motivation (vgl. Niehaus et al. 2011: 62). Feststellen lässt sich dennoch, dass der Lernerfolg nicht nur vom Lehrmittel abhängt, sondern klarerweise auch von anderen Faktoren, wie etwa der spezifischen Lernumgebung und konkreten Unterrichtsbedingungen. Der traditionelle Unterricht kann dabei auch dem multimedialen überlegen sein, da sich gezeigt hat, dass hier die Schülerinnen konzentrierter und aufmerksamer sind (vgl. Niehaus et al. 2011: 62).
„Das klassische Schulbuch wird jedoch nicht gänzlich aus der Unterrichtspraxis verdrängt, sondern sowohl von Lehrenden als auch von Lernenden weiterhin als unterstützend und motivierend für Lehr- und Lernprozesse eingeschätzt" (vgl. Niehaus et al. 2011: 62).
Wiater (2003b) stellt in seinem Aufsatz wesentliche Pro- und Kontraargumente von Schulbüchern und neuen Medien gegenüber. Als Vorteil von Schulbüchern werden unter anderen folgende Argumente angeführt:
- Schulbücher stellen eine Unterstützung des / der Lehrenden dar, die Jahresplanung des Schulstoffes (entsprechend den Ansprüchen von Lehrplänen für die jeweilige Schulform) durchzuführen und dienen auch Schülerinnen als Orientierungshilfe bei der Einteilung des Lernens.
- Schulbücher bilden ein Medium, mit dem didaktische Neuheiten, unterstützt durch Lehrerhandbücher in die Schule gelangen können.
- Durch Schulbücher ist individuelles, selbstständiges Lernen möglich.
- Inhalte des Schulbuchs sind durch Behörden legitimiert.
- Schülerinnen können zu Schulbüchern und dem Schulfach durch dessen „Körperlichkeit" auch eine emotionale Bindung aufbauen.
- Eltern dient das Schulbuch als wesentliche Grundlage zur Lernunterstützung.
- Schulbücher fördern die Konzentration (vgl. Wiater 2003b: 219).
Als Gegenargumente werden genannt, dass das Schulbuch Entscheidungen über die Auswahl und Anordnung des Schulstoffs trifft, ein indirektes Steuerungsinstrument von Seiten des Staates ist, tendenziell „veraltet", nicht aktuell ist, zum lehrerzentrierten Unterricht verleitet und mitunter ohnedies durch alternative Materialien ersetzt wird (vgl. Wiater 2003b: 220).
Argumente für neue Medien knüpfen hier teilweise an. Neue Medien
- sind motivierender, interessanter und abwechslungsreicher,
- können komplexe und komplizierte Sachverhalte besser vermitteln und abbilden,
- unterstützten das experimentelle Arbeiten durch Simulationen,
- fördern Selbstständigkeit und machen durch Anpassung des Lerntempos, der Schwierigkeitsgrade und der Interessen an die Schülerinnen, Differenzierung möglich,
- sprechen unterschiedliche Sinne an (sehen, hören, machen),
- greifen auf aktuelle Daten zurück und können auf Lerninhalte zurückgreifen, die im Lehrbuch nicht angeboten werden,
- fördern das vernetzte Denken und
- entsprechen dem außerschulischen Mediennutzungsverhalten von Schülerinnen (vgl. Wiater 2003b: 220).
Argumente gegen neue Medien beziehen sich auf Überforderung für leistungsschwächere Schülerinnen, zielloses „surfen im Internet" solange, bis Schülerinnen effektive Strategien zum Umgang mit zu sammelnden Wissen besitzen, Reduktion der kommunikativen Kompetenz, mangelnde Anpassung der neuen Medien an Lehrpläne, sowie mangelnde juristische Klarheit über Urheberrecht und Zulassungsbestimmungen (vgl. Wiater 2003b: 221).
Wiater (2003b: 221) erklärt die Debatte „Schulbuch vs. neue Medien" angesichts der Argumente als unentschieden, geht eher davon aus, dass in Zukunft verstärkt Medienverbunde angeboten werden. Auch für Stein (2003: 26) stellt sich nicht die Frage, ob das Schulbuch oder elektronische Lehrmittel zukünftig als „didaktisches Leitmedium" ihren Einsatz finden werden, sondern eher, wie das Schulbuch und weitere Medien vernünftig miteinander verbunden werden können.
Mittlerweile sind hier auch tatsächlich schon Angebote verfügbar. Vom BMBF bzw. Entwicklerinnen von Schulbüchern werden E-Books oder erweiterte, elektronische inhalte durch das SbX angeboten. Sie bieten für Lehrende und Lernende interaktive, und mit Hilfe neuer Medien aufbereitete Lerninhalte ergänzend zu Schulbüchern an. Die inhalte werden dabei inhaltlich und didaktisch aufdas Schulbuch abgestimmt (BMBF 2016: 4f). Entgegen der Kritik sind diese inhalte mittlerweile auch behördlich anerkannt und können im Rahmen der Schulbuchaktion von Lehrenden angefordert werden. Erstellt werden sie von Schulbuchautorinnen und Fachleuten von Schulbuchverlagen (BMBF 2016: 4f).
2.1.5. Zwischenfazit
Unter Schulbuch wird hier in dieser Arbeit vor allem ein gedrucktes Hilfsmittel für den Unterricht verstanden, das im Idealfall entlang von Kompetenzentwicklung und im Sinne des Lehrplans konzipiert ist. Zum Zeitpunkt der Analyse ist das elektronische Begleitmedium des Untersuchungsgegenstandes noch nicht verfügbar, weshalb dieser nicht für die Untersuchung herangezogen wurde. Auch das Lehrerhandbuch wird im Zuge dieser Arbeit nicht untersucht, da für die hier bestimmenden Kategorien vor allem Ausprägungen innerhalb des Schülerbuchs relevant sind.
Hinsichtlich Funktionen des Schulbuchs ist vor allem die politische und informative relevant. Stein (2003: 26) sieht es als wesentliche Aufgabe von Schulbüchern, kritisches Denken und die mehrperspektivische Betrachtung von Problemen anzuregen, was auch Schwerpunkt dieser Arbeit sein wird.
Gegenstand von Schulbuchanalysen sind vor allem Themen, die insbesondere von der Politik und der Wissenschaft bzw. Fachdidaktik als wichtig erachtet werden, weshalb hier auch klar dargelegt werden soll, aus welcher Überzeugung diese Analyse geschieht. Borck (2001: 35) warnt zur Vorsicht vor Schulbuchanalyse, bei denen die persönliche Meinung und Neigungen des Autors bzw. der Autorin im Vordergrund stehen. Sie fordert einen „durchdachten und begründeten Kriterienkatalog, der auch Aufschluss [...] über das erkenntnisleitende Interesse des Verfassers oder der Verfasserin" gibt. Nur so könne Subjektivität und eingeschränkte Betrachtungsweise vermieden werden, was auch Ziel dieser Arbeit sein wird. Die Auswahl und Begründung der Dimensionen und Kategorien wird dementsprechend in Kapitel 3 „Methode" ausführlich dargelegt.
Bezüglich unterschiedlicher Bezugsgruppen, soll hier auch versucht werden, Aspekte, die vor allem Eltern, Schülerinnen und Lehrende betreffen - wo nötig und sinnvoll - zu integrieren. Vor allem die genannten Kritikpunkte an Schulbüchern von Seiten der Lehrer (Zielprobleme, Auswahlproblemen, Differenzierungsprobleme und Artikulationsprobleme) erscheinen auch für kompetenzorientierte, kritische und mehrperspektivische VWL-Bücher relevant und notwendig.
Inwiefern auch ein sinnvoller Medienverbund vorliegt (z.B. in Form von Verweisen mit Internetlinks) soll dabei durchaus berücksichtigt werden. Neue Medien können in der heutigen Schulbuchforschung nicht ignoriert werden. Dennoch wird davon ausgegangen, dass das Schulbuch Großteiles weiterhin das Leitmedium im Unterricht darstellen wird und sei es nur, um nicht auch in der Schule noch mehr Zeit vor Bildschirmen zu verbringen.
„Textbooks and ancillary materials will remain an instrument of extraordinary power. They may, in fact, be the most effective of educational technologies yet invented, and there is no reason to imagine a modern educational system where textbooks do not play a central role. It is therefore fitting and proper to pay close attention to their role and function, their content, cost and finance." (Heyneman 2006: 36, zit. nach Niehaus et al. 2011: 6).
2.2. Geschichte der Schulbuchforschung und ihre Institutionalisierung
Folgender Abriss zur Entwicklung der Schulbuchforschung soll dabei helfen, die vorliegende Arbeit in den wissenschaftlichen Kontext einzuordnen, ln der Literatur werden erste Ansätze der Schulbuchforschung an das Ende des 19, Jahrhunderts datiert (vgl, Borck 2001: 23), Im Wesentlichen beginnt die Schulbuchforschung jedoch erst nach dem zweiten Weltkrieg, um Vorurteilen und Rollenzuschreibungen aus den Schulbüchern entgegen zu wirken (vgl, u,a, Hacker 1980: 71, zit, nach Niehaus et al, 2011: 11; Fuchs/Sammler 2015),
Nach anfänglich eher politisch motivierten Arbeiten wurde bis heute auch vieles an methodischer Arbeit geleistet, um die Schulbuchforschung auf eine solide wissenschaftliche Basis zu stellen (vgl, u,a, Wiater 2003a; Pöggeler 2003; Niehaus et al, 2011),
Einen guten Überblick über Geschichtliches und die Systematik der Schulbuchforschung geben Pöggeler (2003) und Wiater (2003a), aber auch Niehaus et al, (2011) oder Borck (2001) sind hier zu nennen, Pöggeler (2003) geht etwa in seinem Aufsatz „Schulbuchforschung in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945" insbesondere auf die historische Entwicklung der Schulbuchforschung in Deutschland, ihre Methodologie und Institutionalisierung in Deutschland und Österreich ein,
Vor allem diese Werke bilden die Grundlage des nachfolgenden Kapitels, in dem ein kurzer Rückblick über den Ursprung und wesentliche Etappen der Schulbuchforschung, sowie ihre derzeitige Institutionalisierung in Österreich und Deutschland gegeben wird,
Wichtige Etappen der Schulbuchforschung sind neben der intensiven Auseinandersetzung in Hinblick auf Vorurteile und Rollenzuschreibung (vgl, Kapitel 2,2,1), die Schulbuchschelte in den 70ern (vgl, Kapitel 2,2,2), sowie die Entwicklung theoretischer Grundlagen als Resultat dieses Diskurses (vgl, Kapitel 2,2,3), In Kapitel 2,2,4 werden Aussagen von Autorinnen zu der historischen Entwicklung gegenübergestellt, um schließlich in Kapitel 2,2,5 die derzeitige Institutionalisierung von Schulbuchforschung in Österreich und Deutschland zu erfassen, Kapitel 2,2,6 bildet ein kurzes Zwischenfazit ab,
2.2.1. Vermeidung von Vorurteilen und Rollenzuschreibungen
Schon Ende des 19, Jahrhunderts wurde bemängelt, dass Schulbücher fehlerhaft und einseitig wären, vor allem wurden andere Völker zumeist schlechter als das eigene dargestellt, das eigene Volk verherrlicht, Nach der Friedenskonferenz 1899 in Paris gingen erste Impulse in die Richtung, Schulbücher - und vor allem geschichtliche Schulbücher - von diesen Ansätzen zu befreien, Während des zweiten Weltkriegs sind Bestrebungen in Richtung kritischer Analyse von Schulbüchern wieder eingeschlafen, In den Büchern fanden sich vor allem kriegsverherrlichendes und intolerantes Gedankengut, „Sie [Die Nationalsozialisten] haben vor allem die Begeisterungsfähigkeit der Jugendlichen missbraucht, um die Schüler für den Krieg und die Verachtung Andersdenkender zu begeistern" (vgl. Borck 2001: 12).
Neuerlich initiiert wurde die Schulbuchforschung durch die UNESCO. Nach 1945 setze sie daran, den Friedensprozess in Europa auch durch die internationale Schulbucharbeit voranzutreiben. Zur selben Zeit fand die erste bilaterale Schulbuchkonferenz statt und auch die Gründung des Georg-EckertInstituts geht aufdiese Umstände zurück (vgl. Borck 2001: 23).
Es ging vor allem darum, mit ehemaligen Kriegsgegnern strittige Fragen der gemeinsamen Geschichte zu klären, sowie negative Darstellungen anderer Völker und Ethnien, sowie Stereotype aus den Geschichtsbüchern zu eliminieren (vgl. Borck 2001: 23). Insbesondere das Lese- und Geschichtsbuch sollte von „nationalistischen, pseudo-romantischen, geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen und antiquierten, nicht fortschrittsorientierten Darstellungen" (vgl. Hacker 1980: 71, zit. nach Niehaus et al. 2011: 11) befreit werden.
2.2.2. Die Schulbuchschelte der 70-er
Durch die Bildungsreform in den 70-ern fand der problemorientierte Unterricht Verbreitung. Bücher, die soziale Verhältnisse der Schülerinnen und ihre Probleme in den Unterricht integrierten, wurden populär (vgl. Borck 2001: 24), was von eher konservativen Kreisen kritisch gesehen wurde (vgl. Borck 2001: 24). Es beginnt die von Niehaus et al. (2011: 10) benannte erste von drei Phasen der Schulbuchforschung; die sogenannte „Schulbuchschelte"[9] wird begründet.
Bezüglich Lesebüchern bedeutete das, dass eine Wende vom „Gesinnungslesebuch" zum „kommunikationsorientierten Lesebuch" einsetzte, bei der es nunmehr darum ging, sich kritisch mit den Inhalten zu befassen (vgl. Hacker 1980: 76f, zit. nach Niehaus et al. 2011: 11). Durch die Schulkritik der APO-Bewegung, die antiautoritäre Pädagogik und die ,kritische Theorie' wurde der Öffentlichkeit bewusst gemacht, dass durch Schulbücher poltische Botschaften, Wertesysteme und Rollenbilder weitergegeben wurden. Es wurden alternative Rollen für Frauen und Männer angeboten, die in konservativen Kreisen auf Protest stießen.
„Den traditionellen Rollenbildern der Gesellschaft, wie sie durch Schulbücher transportiert wurden, stellten die kritischen Bewegungen neue, alternative Rollenbilder vom Kind, von Lehrer, Mutter und Vater, von der Familie, der Schule und dem Staat entgegen" (vgl. Pöggeler 2003: 45).
Mit großem Aufwand wurden Inhaltsanalysen von Schulbüchern durchgeführt und Schulbücher wurden mehr und mehr ein politisches Thema, an dem unterschiedliche Gesellschaftsgruppen teilhatten (vgl. Pöggeler 2003: 46).
Borck (2001: 24) kritisiert an dieser Zeit, dass die durchgeführten Analysen eindimensionale Fragestellungen, undifferenzierte Wertungen und polemische Ergebnisdarstellungen enthielten. Die Analysen der vermittelten Rolle hatte ursprünglich auch wenig mit „Schulbuchforschung" zu tun, kam etwa aus der Frauenbewegung, die versteckte Rollenbilder aufdecken wollte (vgl. Kinder/Lukesch 1994, zit. nach Pöggeler 2003: 45).
„Von Ärgernis konnte insofern die Rede sein, als Schulbücher jetzt von diversen Gruppen und Personen nur noch als Transporteure von Ideologie betrachtet wurden. Ärgerlich war aber auch, dass eine ideologische und nicht rein wissenschaftliche Kritik Sozialverhältnisse wie die von Eltern und Kindern, Lehrern und Schülern einseitig politisch zu interpretieren suchte [...]" (vgl. Pöggeler 2003: 46f).
2.2.3. Entwicklung theoretischer Grundlagen
ln der Zeit nach der öffentlich geführten „Schulbuchschelte" wurde besonders die mangelnde Ausrichtung der Forschung auf theoretische Fragestellungen kritisiert. Das Schulbuch, war trotz seiner Bedeutung kaum Gegenstand theoretischer Diskussionen (vgl. Niehaus et al. 2011: 10).
Die Ursache dafür wurde darin gesehen, dass die Abhängigkeit zwischen Schulbuchproduzenten, Interessen der Wirtschaft und organisatorischen Instanzen dafür sorgte, dass das Feld wenig attraktiv war (vgl. Hacker 1980: 8, zit. nach Niehaus et al. 2011: 10). Außerdem führte die Zeit der Schulbuchschelte dazu, dass Schulbuchforschung von nun an besonders leicht in Ideologieverdacht gezogen wurde und mit polemischen Aussagen in Verbindung gebracht wurde (vgl. Pöggeler 2003: 47; Fritsche 1992a). Dies änderte sich erst in den 1980ern, da hier der Schulbuchstreit angesichts abgelegter Ideologiegehalte in Schulbüchern als beendet erklärt wurde. Politische Institutionen waren sich der politischen Komponente von Schulbüchern von nun an deutlich bewusst (vgl. Pöggeler 2003: 47).
All dies war Anlass dafür, dass sich die Wissenschaft intensiv mit den Grundlagen der Schulbuchforschung auseinandersetze. Stein etwa fordert 1979 anhand der drei Themenbereiche „Methodenproblematik", „Ausweitung der Schulbuchforschung" und „Erstellung von verbindlichen Kriterienkatalogen", eine Weiterentwicklung der Schulbuchforschung (vgl. Stein 1979: 11, zit. nach Borck 2001: 25f).[10]
Auch die Wende hatte Auswirkungen auf die Schulbuchforschung. Durch die Beendung des kalten Krieges waren die traditionellen politischen Feindbilder der Blockkonfrontation verschwunden (vgl. Fuchs 2015: 10). Trotzdem war die Forschung in Richtung Aufdeckung von „Feindbilder" und „Vorurteile" in Schulbüchern nicht abgeschlossen. Alte Vorurteile wurden durch neue, nun bezogen auf ethnische und kulturelle Minderheiten, ersetzt.
„Nicht selten wurden von nationalen Eliten ethnozentrische Ressentiments geschürt" (vgl. Fuchs 2015: 10).
Durch diese Entwicklungen gewann die Schulbuchrevision laut Aussagen des Georg-Eckert-Instituts erneut an Bedeutung. Untersucht wurden nicht mehr nur „konfliktbehaftete nationale bzw. beziehungsgeschichtliche Perspektiven", sondern auch die angebotene Identität in Schulbüchern (vgl. Fuchs 2015: 10).
2.2.4. Kommentare zur Schulbuchentwicklung Anfang des 21. Jahrhunderts
Autoren, die um das Jahr 2000 Arbeiten zum Thema Schulbuchforschung verfassen, sind sich in ihrer Rezension der vergangenen Ergebnisse nicht einig. Borck (2001: 26) beurteilt die Weiterentwicklung der Schulbuchanalyse in den Achtzigern bis zum Zeitpunkt ihres Werks als positiv, da zunehmend Methodenprobleme angegangen und relevante Fragstellungen für die Neuzeit behandelt wurden. Es sind einige theoretische Arbeiten zur Schulbuchanalyse erschienen, die sich mit der Frage nach objektiven Ergebnissen beschäftigen. Sie erwähnt hier vor allem die Dokumentation des GeorgEckert-Instituts „Schulbücher auf dem Prüfstand" (1992), aber auch Rauch/Tomaschewski (1986) mit dem „Reutlinger Raster", Laubig/Peters/Weinbrenner (1986) mit dem „Bielefelder Raster" oder Marienfeld (1976) (vgl. Borck 2001: 35).
Im Zuge der theoretischen Diskussion zur Schulbuchanalyse wurden vor allem Methoden der empirischen Sozialforschung zur Datenerhebung und Auswertung entwickelt (vgl. z.B. Mayring 2015).
Die Methodendiskussion behandelte im Speziellen drei Fragenbereiche:
1. Welche Analyseform sind möglich? Wo soll der Beginn der Untersuchung sein? Welche Analyseeinheiten sind zu analysieren?
2. Welche Verfahrensweisen und Methoden sind zu wählen?
3. Gibt es einen Minimalkonsens hinsichtlich Kriterien zur Schulbuchbewertung?
Insbesondere der zweite Punkt steht nach wie vor zur Diskussion (vgl. Borck 2001: 35f).
Pöggeler (2003: 33f) beurteilt die Richtung, die die Schulbuchforschung eingeschlagen hat im Gegensatz zu Borck (2001) eher negativ. Er kritisiert, dass man beim Begriff „Schulbuchforschung" davon ausgehen sollte, dass sie ein zentrales Thema der Erziehungswissenschaften darstelle. Nach der Analyse der betreffenden Literatur, hält er jedoch fest, dass Schulbuchforschung Großteils von Vertretern anderer Fachrichtungen betrieben wird. Er kritisiert außerdem, dass bis zum Zeitpunkt seines Aufsatzes wenig versucht wurde, methodische Besonderheiten der Schulbuchforschung zu präzisieren. Fachwissenschaftler würden sich meist mit den ihnen bekannten Methoden befassen - die Analyse wird bspw. auf ausschließlich didaktische Untersuchungen beschränkt. Begründet wurde dies damit, dass man besondere Objektivität erhalten wollte und sich nicht mit Disziplinen beschäftigen wollte, von denen man nichts verstehe (vgl. Pöggeler 2003: 33f).
Lange vernachlässigt wurde in der Schulbuchforschung auch der Aspekt, dass in ihnen auch Bilder enthalten waren, welche mindestens eben so viel Inhaltsgehalt besitzen wie Texte.[11] [12] Ab etwa 1950 bekam das Schulbuch durch alternative Informations- und Unterrichtsmedien Konkurrenz, teilweise wurden ihm schlechte Zukunftsaussichten prophezeit, die sich jedoch nur teilweise bewahrheiteten (vgl. auch 2.1.4) (vgl. Plöggeler 2003: 36).
Ein weiterer Kritikpunkt Plöggelers bezüglich der Schulbuchforschung betrifft die mangelnde Auseinandersetzung mit der Geschichte von Schulbuchforschung. Wissenschaftliche Arbeiten zur geschichtlichen Entwicklung von Schulbüchern nach Schulfächern gibt es kaum; am besten untersucht wären noch das Lesebuch, die Fibel, der Katechismus und die Schulbibel. Zwar ist vorauszusetzen, dass Fachdidaktikerlnnen und Fachlehrerinnen die Entwicklung von Schulbüchern während ihrer Laufbahn verfolgen, doch selbst die ersten Schulbücher, die sie begleiten, sind das Resultat von Tradition (vgl. Plöggeler 2003: 37). Pöggeler (2003: 36) bemängelt eben diese fehlende Thematisierung historischer und systematischer Schulbuchforschung.[13] Hier sieht Pöggeler (2003: 37) auch die Möglichkeit, historische Forschung für andere Disziplinen wie Technik, Verkehr, Politik etc. zu leisten.
Mittlerweile scheint es jedoch Bestrebungen in Richtung historischer und systematischer Schulbuchforschung zu geben. Zumindest stellt die systematische und kritische Reflexion über die Geschichte der Schulbuchreflexion laut dem Georg-Eckert-Institut derzeit ein wesentliches Themenfeld des Instituts dar (vgl. Fuchs 2015: 12). Indes scheint es so, als würde sich Schulbuchforschung immer noch sehr stark auf den fachdidaktischen Bereich konzentrieren (vgl. u.a. Brandlmaier et al. 2006; Bölsterli Bardy 2015), besonders vom Georg-Eckert-Institut wird jedoch auch systematische Schulbuchforschung betrieben.
2.2.5. Institutionalisierung der Schulbuchforschung in Österreich und Deutschland
Offensichtlich hat die Schulbuchforschung bis heute inhaltlich und methodisch einen langen Weg zurückgelegt. Verglichen mit anderen Wissenschaften ist sie wenig institutionalisiert. In „Schulbuchforschung als gemeinsame Aufgabe von Erziehungswissenschaft, Fachwissenschaft und Fachdidaktik in Österreich" geht Boyer (2003) auf die Ergebnisse der hierzu einmaligen Studie von Kissling (1989) ein.
Schulbuchforschung in Österreich spielt sich demnach - abgesehen vom „Institut für Schulforschung und Lernförderung" - an Universitäten, den pädagogischen und berufspädagogischen Akademien, der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer ab.
Das Institut für Schulbuchforschung und Lernförderung in Wien wurde 1988 von Richard Bamberger gegründet. Das Institut befasst sich vor allem mit folgenden Themenschwerpunkten:
- „Vorbereitung und Förderung wissenschaftlicher Schulbucharbeit
- Zusammenarbeit mit Schulbuchverlegern und Schulbuchautoren
- Zusammenarbeit mit ähnlichen Intuitionen im In- und Ausland [...]
- Arbeiten über die Methoden der Schulbuchforschung
- Untersuchungen über den gegenwärtigen Einsatz von Schulbüchern
- Forschungsarbeiten zur Förderung des ,Lernen-Lernens'" (vgl. Boyer 2003: 60).
An österreichischen Universitäten verweist Kissling (1989: 20f, zit. nach Boyer 2003: 56) vor allem auf die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Ergebnissen der Erziehungswissenschaft und der Fachwissenschaft bzw. Fachdidaktik, wobei letztere die meisten Untersuchungen zur Schulbuchforschung durchführen. Schwerpunktmäßig werden inhaltliche Aspekte untersucht. Weitere wichtige Themen sind die Schulbuchsprache, ihre Lesbarkeit und die begleitenden Abbildungen, sowie die internationale Schulbuchforschung, Entscheidungsmotive der LehrerInnen für spezielle Schulbücher und auch Metathematiken zur Schulbuchforschung. Relativ wenig bedacht wird der Forschungsbereich der Schulbuchproduktion.
An einigen pädagogischen und berufspädagogischen Akademien wurden ab dem Studienjahr 1973/74 Lehrveranstaltung zum Thema „Schulbuchanalyse" angeboten.
„ln allen Akademien wird sowohl in einschlägigen Hauptvorlesungen als auch in Seminare und Übungen das Thema Schulbuch hinsichtlich möglicher Auswahlkriterien, seines Einsatzes im Unterricht und für Hausübungen sowie seiner wahrscheinlichen Wirkung ausführlich behandelt" (vgl. Boyer 2003: 59).
Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer führten vor allem im Zusammenhang mit der Schulbuchschelte Analysen durch und stellen mitunter gratis Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die Aspekte der Wirtschaft auf Seiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen darlegten (vgl. Boyer 2003: 62).
Als eine der bedeutendsten Institutionen im deutschsprachigen Raum ist das Georg-Eckert-lnstitut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig zu nennen. 1975 gegründet durch Georg Eckert, einem Historiker der Pädagogischen Hochschule in Braunschweig, befasst es sich neben anderem im Speziellen mit der Analyse von Schulbüchern der Fächer Geschichte, Geographie, Sozialkunde, Politik, Deutsch als Fremdsprachen und Fibeln möglichst aller Bundesländer seit dem zweiten Weltkrieg. Methodisch gesehen forscht es vor allem vergleichend (vgl. Fuchs 2015).
Ein weiteres Institut für Schulbuchforschung in Duisburg wurde 1977 durch Horst E. Schallenberger gegründet, 1991 jedoch wieder aufgelöst. Im Zentrum des Forschungsinteresses stand vor allem die Schulbuchkritik, aus der neben Analysen des staatlichen Zulassungsverfahrens, der Verwendung der Schulbücher und Gruppeninteressen von Schulbuchherstellern, auch bedeutende Hinweise zur Gestaltung von Schulbüchern hervorgingen. Wesentlicher Vertreter ist hier etwa Gerd Stein (vgl. Wiater 2003a: 8).
Wiater (2003a: 8) erwähnt neben den beiden genannten Instituten auch die Internationale Gesellschaft für historische und systematische Schulbuchforschung, heute "Internationale Gesellschaft für historische und systematische Schulbuch- und Bildungsmedienforschung e.V.". 1997 gegründet, besteht die Gesellschaft aus national und international renommierten Schulbuchforschern, die jährlich ein Fachsymposium abhalten, bei dem Dissertationen und Forschungsprojekte zum Schulbuch initiiert und bearbeitet werden (vgl. IGSBi 2015). Den Anstoß zur Gründung dieser Initiative gab die Einbringung der Schulbuchsammlung von Plöggeler. Laut Plöggeler (2003) war diese Gesellschaft ausschlaggebend für die im Jahr 2000 unter der Leitung von Werner Wiater gegründete Arbeitsstelle für Schulbuchforschung.
Seit 1990 arbeitet auch das „Kuratorium Deutscher Schulbuchpreis" im Rahmen des Vereins „Lernen für deutsche und europäische Zukunft" im Bereich Schulbuchforschung. Die Aufgabe des Kuratoriums ist es, ein preiswürdiges Buch auszuzeichnen, welches sich dadurch kennzeichnet, dass es den SchülerInnen die Grundwerte der Demokratie besonders deutlich erschließt (vgl. LDEZ o.J.).
Nach Durchsicht der Literatur scheint vor allem das Georg-Eckert-Institut die größte Bedeutung unter den genannten und weiterhin existierenden Institutionen zu zukommen. Ihm entstammt etwa auch die großangelegte Literaturstudie von Niehaus et al. (2011), die wesentliche Grundlage dieser Arbeit darstellt.
2.2.6. Zwischenfazit
Wie gezeigt werden konnte, greift die Schulbuchforschung auf eine lange Tradition zurück. Sie wurde nicht immer unbedingt positiv gesehen. Vor allem am Beginn standen in Schulbüchern transportierte Vorurteile und Feindbilder im Zentrum des Interesses. Besonders in Hinblick auf die kritische Darstellung von Inhalten, die auch Kernfrage dieser Arbeit ist, ist besonders darauf zu achten, dass lange bewährte volkswirtschaftliche Theorien und Ansätze regelmäßig einer kritischen Reflexion unterzogen werden.
Als Folge der Schulbuchschelte stand auch Schulbuchforschung selbst bald in der Kritik, was nach und nach zu wissenschaftlich-begründete Methoden führte, die die Disziplin auf eine fundierte wissenschaftliche Basis stellten. Ohne die Vorarbeit, die im Zuge vielfacher Diskussionen geleistet wurde, wäre Schulbuchforschung in der Form, wie sie heute betrieben werden kann, nicht möglich. Mittlerweile stehen zahlreiche ausgereifte qualitative und quantitative Methoden, sowie Analyseraster zur Verfügung, die als Basis des zu entwickelnden Kriterienkatalogs gesehen werden können.
Doch nach wie vor gibt es Forschungsfelder, die relativ wenig erschlossen sind. Die wenigsten Disziplinen haben sich beispielsweise mit der historischen Entwicklung von Lehrbüchern Ihres Fachs auseinandergesetzt.
„Erst wenn man sich dessen exakt vergewissert hat, kennt man die Chancen und Grenzen seines Faches" (vgl. Plöggeler 2003: 37).
Institutionell gesehen findet die vorliegende Schulbucharbeit - wie vielfach in Österreich (vgl. Kissing 1989) - im Rahmen einer fachdidaktischen Lehrveranstaltung statt und konzentriert sich vor allem auf fachdidaktische Fragestellungen.
2.3. Forschungsfelder & -methoden
Forschungsfelder und -methoden in der Schulbuchforschung sind vielfältig. Je nach Disziplin stehen unterschiedliche Themen im Mittelpunkt. Die Kultur- und Sozialwissenschaft beschäftigt sich etwa mit der immanenten, kulturellen Botschaft, mit politikwissenschaftlich-vermittelten Freund- oder Feindbilder. Die Linguistik interessiert sich unter anderem für durch die Syntax und die Semantik vermittelte Stereotype, während die Fachwissenschaft auf die sachliche Richtigkeit von Inhalten pocht. Der allgemeine Aufbau und die Gliederung, sowie Bild-Text-Kompositionen, Gestaltung von Aufgaben und Adressaten-adäquate Darstellung werden von Seiten der allgemeinen Didaktik untersucht. Die spezifische Fachdidaktik untersucht die entsprechende Anordnung, den Aufbau und die Sequenzierung der spezifischen Fachinhalte. Die Schulpädagogik und Pädagogik interessieren sich etwa für die Rolle des Schulbuchs im Kontext von Schulentwicklung oder für das Bild das von Kindern und Jugendlichem in Schulbüchern vermittelt wird (vgl. Knecht 2014).
Wiaters (2003a) Aufsatz „Das Schulbuch als Gegenstand pädagogischer Forschung" gibt einen ausführlichen Überblick über die Systematik und je nach Forschungsfeld typische Methodik der Lehrbuchforschung. Er unterscheidet fünf inhaltliche Forschungsschwerpunkte, die in Kapitel 2.3.1 kurz dargelegt werden.
Unabhängig davon wird Schulbuchforschung auch anhand der Vorgangsweise in Hinblick auf die Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes und den Startpunkt der Analyse unterschieden. Meyers (1976, zit. nach Borck 2001: 36) unterscheidet dabei grundsätzlich drei Formen von Schulbuchanalysen: die Einzelanalyse, die Gruppenanalyse und den Schulbuchvergleich.
Weinbrenner (1992: 34f) nimmt die Systematisierung der Schulbuchforschung anhand des Lebenszyklus eines Schulbuchs vor. Beide Systematisierungen werden in Kapitel 2.3.2 näher besprochen, da mithilfe der Abgrenzungen auch diese Arbeit eingegrenzt werden soll.
In Kapitel 2.3.3 werden die wichtigsten Methoden der Schulbuchforschung dargestellt, welche in Kapitel 2.3.4 in Zusammenhang mit Forschungsschwerpunkten gebracht werden. Manche gehen davon aus, dass es die eine richtige Methode zur Analyse von Schulbüchern nicht geben kann. Es wird argumentiert, dass für jede Untersuchung erneut ein Analysesystem, Kriterienkataloge und Untersuchungsfragen formuliert werden müssen (vgl. Borck 2001: 34).
„Es gibt keine goldene Regel, nach der man Schulbücher analysieren und bewerten kann" (Borck 2001:34).
Andere - wie etwa Meyers (1973: 722, zit. nach Borck 2001) - argumentieren, dass bisher lediglich zu wenig in diese Richtung geforscht worden wäre, prinzipiell eine allgemeine Methode denkbar sei.
[...]
[1] Ähnlich hierzu auch Borck (200l: ll), die das Schulbücher als „eine eigene Gattung innerhalb der Literatur [...]" bezeichnet. Meist seien es Bücher, die speziell für die Unterrichtspraxis entwickelt wurden (vgl. Borck 200l: ll).
[2] Dies ist auch das, was sich vor allem Eltern verstärkt wünschen (vgl. auch Kapitel 2.1.3.6).
[3] Inhalt von Schulbüchern ist Schulstoff. Dieser stammt meist nicht direkt aus dem Umfeld Schule, sondern wird erst durch den Bildungsauftrag zu dem was er ist (vgl. Borck 2001: 11).
[4] Bereits Kuhn (1975: 9) bezeichnet Schulbücher deshalb als „zum Leben erweckte Lehrpläne".
[5] Im Speziellen bezieht sich Plöggeler (2003: 33) hier auf die Zeit während des zweiten Weltkrieg, in dem Feindbilder vermittelt wurden (vgl. auch Kapitel 2.2). Aus diesem Grund fordert Plöggeler (2003: 33) auch, sich mit Auswirkungen sozialer Umbrüche auf Schulbücher und vor allem - wie er sie nennt - Verlegenheitslösungen, bei der Beseitigung unerwünschter Inhalte, wissenschaftlich auseinander zu setzen.
[6] Am häufigsten wird das Schulbuch in Fremdsprachen, Mathematik und Geschichte, am seltensten in Deutsch, Musik und Kunst eingesetzt (vgl. Wiater 2003a: 3).
[7] Auf unterschiedliche Kriterienkataloge wird näher in Kapitel 2.4 eingegangen.
[8] Kahlert (2000: 126) spricht hier zwar von den 16 deutschen Bundesländern, dennoch kann davon ausgegangen werden, dass das Problem auch für Österreich und seine neuen Bundesländer gilt.
[9] Der Begriff „Schulbuchschelte" geht auf Gerd Stein (1977: 32-82, zit. nach Borck 2001: 24) zurück.
[10] Stein entwickelte zu dieser Zeit auch seine häufig zitierte „Schulbuchtheorie", in der er sich systematisch mit dem Schulbuch als Forschungsgegenstand auseinandersetzte.
[11] Pöggeler (2003: 34f) nennt jedoch auch positive Beispiele, in denen eine Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen möglich war, etwa die Studie von Chaim Schatzker, „Das Deutschlandbild in israelischen Schulgeschichtsbüchern" oder das 1985 fertiggestellte Sammelwerk „Politik im Schulbuch" (vgl. Pöggeler 2003: 34).
[12] Ab dem Zeitpunkt, ab dem sich der Ansatz durchsetzt, dass auch Bilder wesentlich zur „ästhetischen Bildung der Jugend" beitrugen, wurden Bilder verstärkt eingesetzt (vgl. Pöggeler 2003: 35f). Nach 1945 wurde bei der Schulbuchproduktion wieder gespart, wodurch auch weniger Bilder abgedruckt wurden. Erst in den 1960ern, zur Zeit des Wirtschaftswunders und der technischen Entwicklung des Farbdrucks, wurde das Design der Bücher wieder wichtig (vgl. Pöggeler 2003: 36).
[13] Dennoch benennt er etwa Vertreter der Medizin, die sich mit der Wirkung alter Lehrbücher auseinandersetzen. So zeichnet sich etwa in alten Lesebüchern zur Zeit der Aufklärung ab, dass Schüler und Schülerinnen viel „praktisches" zum Thema Selbstmedikation und Gesundheitspflege erfuhren. Im 18. Jahrhundert wurden Kinder in die „Lehren des Mediziners Hufeland" eingeführt. Um 1900 verschwanden diese Inhalte, da nun derArztbesuch erschwinglich wurde (vgl. Pöggeler2003: 36f).
- Citar trabajo
- Elisabeth Mairinger (Autor), 2016, Österreichische VWL-Lehrbücher. Ist die Darstellung der Inhalte kompetenzorientiert, kritisch, mehrperspektivisch und altersadäquat?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/355056
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