Diese Hausarbeit verfolgt mehrere Aspekte: Sie will zunächst einen (wenngleich notwendigerweise oberflächlichen) Background zum in Deutschland noch unterentwickelten Rassismusdiskurs anhand des britsischen Soziologen Robert Miles, des französischen Philosophieprofessors Etienne Balibar und des US-amerikanischen Soziologen Immanuel Wallerstein liefern. Der zweite Aspekt des eher theoretischen Teil dieser Arbeit liegt in der spezifischen politischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland, dem spätestens seit der Wiedervereinigung von 1990 (eigentlich schon beginnend mit der 'geistig-moralischen Wende von 1982) aufkommenden Nationalismus und der eindeutigen Rechtsverlagerung der so genannten politischen Mitte. Im dritten Abschnitt der Hausarbeit soll durch einige Beispiele verdeutlicht werden wie der Boden für rassistische Ausgrenzung bereitet wird um daran anschließend die gesetzlichen Verschärfungen für Flüchtlinge in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts aufzuzeigen. Nach diesen theoretischen wie juristischen Ausführungen sollen die Lebensbedingungen von illegalisierten Flüchtlingen geschildert und die Ansätze, die restriktive Asylpraxis zum einen praktisch zu unterlaufen sowie zum anderen sie politisch offensiv zu bekämpfen, erläutert werden. Schließlich folgt die soziale Arbeit mit illegalisierten Flüchtlingen.
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Ra ssismusdiskurs
2.1 Theoretischer Diskurs
2.2 Politische Hintergründe in der Bundesrepublik Deutschland
3. Das Bild wird gemacht
3.1 Zurschaustellung im Kontext der angeblichen Massen
3.2 Der Islam als Feindbild Nr.1
3.3 Die ‘organisierte’ Kriminalität in den Statistiken des Bundeskriminalamtes
4. Abschottung und Ausgrenzung durch Gesetze und Abkommen
4.1 Schengener Abkommen und deren Nachfolgeabkommen
4.2 Die Änderung des § 16 GG
4.3 Asylbewerberleistungsgesetz
5. Die Lebensbedingungen für illegalisierte Flüchtlinge
5.1 Gründe für Illegalisierung
5.2 Lebenssituation der illegalisierten Flüchtlinge
5.2.1 Arbeit und finanzielle Situation
5.2.2 Wohnsituation und medizinische Versorgung
5.2.3 Staatlicher Verfolgungsdruck
6. Organisierte Hilfe für illegalisierte Flüchtlinge
6.1 kein mensch ist illegal
6.2 Medizinische Unterstützung
6.3 Kirchenasyle
7. Selbstorganisierende Ansätze
7.1 Die “Karawane” (Deutschland)
7.2 “Sans Papiers” (Frankreich)
7.3 Exkurs: Spannungsverhältnis zwischen Unterstützern und den zu Unterstützenden
8. Soziale Arbeit mit illegalen Flüchtlingen
9. Literaturverzeichnis
10. Anmerkungen
1. Einleitung
Die Bundesausländerbeauftragte Marie-Louise Beck schreibt in ihrer Untersuchung zur Bundesdeutschen Asylpolitik Ende 2000 unter anderem Folgendes:
„Verbunden mit dem Mythos von der Einzigartigkeit des deutschen Asylrechts ist der Mythos vom liberalsten Asylrecht der Welt. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren eine eher restriktive Asylentscheidungspraxis und Rechtssprechung entwickelt, die zu erheblichen Schutzlücken führt. In den Bereichen nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung erzeugt das deutsche Asylverfahren mit seinen restriktiven Anerkennungskriterien unerträgliche Entscheidungen.“[1]
Wenn selbst von quasistaatlichen Stellen der bundesdeutschen Asylpraxis ein dermaßen schlechtes Zeugnis ausgestellt wird, so muss es um sie arg bestellt sein. Sie bezeichnet das Ergebnis einer Entwicklung, die vor nahezu zwanzig Jahren mit rassistische Hetzkampagnen begann und der auch die jetzigen Regierungsparteien, Die Grünen und die SPD, keinen Einhalt gebieten, geschweige denn, dass sie versuchen würden die Situation der Flüchtlinge nachhaltig zu verbessern oder zu erleichtern. Diese hat sich spätestens seit dem sogenannten Asylkompromiss von 1993 und der darauffolgenden Novellierung des Asylbewerberleistungsgesetz drastisch verschärft. In der Folge sind viele Flüchtlinge zunehmend dazu gezwungen, sich illegal mit der ständigen Angst vor Entdeckung in diesem Land aufzuhalten, ohne dass sie jemals die Chance auf einen legalen rechtlichen Status hätten.
Auch ‚Der Spiegel‘ greift in seiner Ausgabe vom 07.05.2001 die Thematik auf und beschreibt die quantitative Dimension wie folgt: „Allein in Berlin leben nach Schätzung von Hilfsorganisationen mittlerweile an die 100 000 Zuwanderer ohne Aufenthaltsberechtigung. Bundesweit liegt die Zahl derer, die sich ohne meldefähigen Wohnsitz, ohne Chipkarte von der Krankenversicherung und ohne ‚legale‘ Arbeit in ständiger Angst vor einer zufälligen Polizeikontrolle durchschlagen, vermutlich schon weit über eine Million.“[2]
Diese Hausarbeit verfolgt mehre Aspekte: Sie will zunächst einen (wenngleich notwendigerweise oberflächlichen) Background zum in Deutschland noch unterentwickelten Rassismusdiskurs anhand des britischen Soziologen Robert Miles, des französischen
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Philosophieprofessors Etienne Balibar und des US-amerikanischen Soziologen Immanuel Wallerstein liefern.
Der zweite Aspekt des eher theoretischen Teils dieser Arbeit liegt in der spezifischen politischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland, dem spätestens seit der Wiedervereinigung von 1990 (eigentlich schon beginnend mit der ‚geistig- moralischen Wende‘ von 1982) aufkommenden Nationalismus und der eindeutigen Rechtsverlagerung der so genannten politischen Mitte. Im dritten Abschnitt der Hausarbeit soll durch einige Beispiele verdeutlicht werden wie der Boden für rassistische Ausgrenzung bereitet wird um daran anschließend die gesetzlichen Verschärfungen für Flüchtlinge in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts aufzuzeigen. Nach diesen theoretischen wie juristischen Ausführungen sollen die Lebensbedingungen von illegalisierten Flüchtlingen geschildert und die Ansätze die restriktive Asylpraxis zum einen praktisch zu unterlaufen sowie zum anderen sie politisch offensiv zu bekämpfen geschildert werden. Schließlich folgt die soziale Arbeit mit illegalisierten Flüchtlingen sowie das Literaturverzeichnis.
Die Arbeit hat also eine Linie vom Allgemeinen zum Speziellen, kann jedoch im vorgegebenen Rahmen viele Teilaspekte nur bedingt, andere auch gar nicht wie z.B. die Auswirkungen der ‚neuen’ Weltordnung auf MigrantInnenströme, die spezifische Situation bezüglich sexueller Verfolgung für Frauen anreißen.
Im Bewusstsein dieser und weiterer Defizite hoffe ich dennoch einen Überblick geben zu können.
2. Rassismusdiskurs
2.1. Theoretischer Diskurs
Der alte Begriff Rasse, nach dem dieser biologistisch und genetisch determiniert wurde, ist seit dem Ende des Nationalsozialismus und den Enthüllungen über die Konzentrationslager weder politisch noch wissenschaftlich mehr aufrecht zu erhalten. Es verbietet sich diesen Begriff seriös zu nutzen. In den 50er und 60er Jahren des 20.Jahrhunderts kam es auf Einladung der UNESCO zu vier Versammlungen von namhaften Biologen, Genetikern und Sozialwissenschaftlern . „Sie wurden gebeten, die wissenschaftlichen Befunde über die Natur der ‚Rasse‘ zusammenzufassen (Montagu 1972). Es zeigte sich, dass die Rassenkonzeption, auf die sich die Barbarei der >Endlösung< gestützt hatte, wissenschaftlich unhaltbar war (vgl. Montagu 1972: X):“[3] Somit entlarvt sich der alte Begriff von ‚Rasse‘ als eine Konstruktion. Damit jedoch anzunehmen, der Rassismus sei nicht mehr existent, ist fatal, denn zum einen ist die alte Ideologie durchaus noch virulent, wenngleich nur selten und lediglich von explizit rechtsextremen Positionen offen formuliert und zum zweiten werden andere Wege gesucht um eine (hierarchische) Differenz zwischen den Kulturen festzuschreiben. Der Rassismus der ‚Neuen Rechten‘ vermeidet bspw. sehr bewusst die Rassenkonstruktion alter Prägung[4] , sondern sagt, dass es unterschiedliche Kulturen gäbe, die nicht miteinander leben könnten, somit auch voneinander getrennt sein müßten, was im realpolitischen dann zu Parole ‚Ausländer raus‘ gelangt. „Der ‚neue‘ Rassismus dagegen spricht von ‚Kulturen‘, naturalisiert aber freilich auch Gesellschaft und Geschichte, weil diese ‚Kulturen‘ als einheitliche, zeitüberdauernde Entitäten konstruiert werden.“[5]
Robert Miles verweist zudem darauf, dass der Begriff Rassismus wesentlich weiter zu fassen sei als auf differerierende somatische Merkmale. Er beschreibt u.a., dass arme französische Bauern von der gesellschaftlichen Elite des beginnenden 19.Jahrhunderts als eine ‚Rasse‘ konstruiert wurden. Ähnliches referiert er bezug nehmend auf einen Bericht Chevaliers über die Pariser ArbeiterInnenklasse im frühen 19. Jahrhundert: „Proletarier wurden als ein physisch anderer Typ dargestellt, ausgestattet mit einer Reihe somatischer Merkmale, die angeblich Ausdruck ihrer physischen und moralischen Entartung waren (1973;12). In einigen Darstellungen wurden Arbeiter mit tierischen Zügen abgebildet, um auf diese Weise zu symbolisieren, dass sie Untermenschen waren (1973: 414f). Die dargestellten Unterschiede bezeichnete man als >Rassenunterschiede<. Chevalier weist darauf hin, welchen Einfluss die Phrenologie auf das Denken im frühen 19. Jahrhundert hatte (1973: 412). Teile der Pariser Arbeiterklasse wurden also zur >Rasse<. Balibar hat dies als ‚Racisme de classe bezeichnet (1990: 251b ff.).“[6] Im selben Text kommt Miles zur Schlussfolgerung, dass die Rassenkonstruktion, sei es der des ‚Rascisme de classe‘, der der unterschiedlichen Hautfarbe oder auch der des Verhältnisses vom Kolonialisten zum Kolonialisierten durchaus in Korrelation zur Entstehung kapitalistischer Nationalstaaten zu setzen ist. Die Formierung von Nation und die damit verbundene Aus- und Eingrenzung liegt im Interesse einer Bourgeoisie, die darauf angewiesen ist, ihre Machtposition zu legitimieren und dadurch zu festigen. Zu bestimmten historischen Konjunkturen nimmt die der Nation immanente Ausschließung des ‚Anderen‘ rassistischen Charakter an, in Deutschland auch einen explizit völkischen.
Der New Yorker Soziologieprofessor Immanuel Wallerstein bezeichnet das rassistische System einerseits als ‚Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart‘, attestiert ihn jedoch zugleich eine gegenwartsbezogene Flexibilität, die die Hierarchie von nationalen, ethischen sowie religiösen Gruppen immer wieder neu erschafft und sie, trotz der behaupteten Kontinuität, den jeweiligen zeitgemäßen Notwendigkeiten, die der Kapitalismus zu seiner Legitimation und zur Verschleierung objektiver Klassengegensätze benötigt, anpasst. Dieses rassistische System ist in dreifacher Hinsicht sehr effektiv:
1. Es erlaubt „zu jeder Zeit und an jedem Ort entsprechend den aktuellen Bedürfnissen die Anzahl der Menschen, welche die niedrigsten Löhne erhalten und die anspruchlosesten Arbeiten verrichten, zu vergrößern oder zu verringern.“
2. Es führt „zur Entstehung und kontinuierlichen Reproduktion von Gemeinschaften, deren Sozialisationsformen Kinder auf die Übernahme entsprechender Rollen vorbereiten.“
3. Das System schafft „eine nicht auf Verdienst und Leistung beruhende Grundlage, um Strukturen der Ungleichheit zu rechtfertigen.“[7]
Der Rassismus ist demnach dem Kapitalismus immanent, er ist sozusagen immer vorhanden jedoch nicht immer sichtbar. In diesem Sinne argumentiert auch Etienne Balibar in einem Artikel, in dem er, vor dem Hintergrund des damals aktuellen Erstarkens rassistischer Positionen vorangetrieben durch die Front National unter Le Pen in Frankreich, das
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Verhältnis von ‚Krise und Rassismus‘ untersucht: „Anstatt von Ursache und Wirkung muss man eigentlich von einer Wechselwirkung zwischen Krise und Rassismus sprechen, d.h. man muss die soziale Krise als eine rassistische Krise bewerten und spezifizieren, und die Merkmale des >Krisen-Rassismus< untersuchen, der zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten gesellschaftlichen Formation entsteht. Auf diese Weise wird man die von mir angesprochenen Alibis und Fehldeutungen vermeiden können. Denn dass der Rassismus sichtbarer wird, besagt nicht, dass er aus dem Nichts bzw. aus einem kleinen Kern entsteht. Was für andere Gesellschaften, wie z.B. die amerikanische, offenkundig ist, trifft in Wirklichkeit auch für uns zu: Der Rassismus ist in materiellen (auch psychischen und soziopolitischen) Strukturen angelegt, die seit langem existieren und einen Teil der nationalen Identität bilden. Unterliegt er auch Schwankungen und Tendenzwende, so verschwindet er doch niemals von der Bühne, es ändern sich höchstens die Kulissen.“[8]
2.2 Politische Hintergründe in der Bundesrepublik Deutschland
„Globalisierung und die Akzentuierung des Standortes Deutschland sind diskursive Mechanismen zur Erzeugung eines neuen Konsenses, also Teil eines Versuches, politisch durchzusetzen und zu plausibilisieren, was seit Ankündigung der geistig-moralischen Wende vor allem erst einmal nur graduell durchgesetzt wurde. Globalisierung ist also kein Vorgang, der als solches abläuft, sondern wie Joachim Hirsch (1996) sagt, Klassenkampf...Globalisierung ist Teil einer Strategie, eines hegemonialen Projekts zur Reorganisation der Klassenbeziehungen in der Bundesrepublik und der Herausbildung eines historischen Blocks, der auf die Einheit von sowohl neuen Denkformen wie auch neuen Lebensgewohnheiten zielt (vgl. Demirovic 1992).“[9]
Deutschlands Position in der Welt ändert sich im Zuge der Globalisierung spätestens nach der Wiedervereinigung 1990. Deutschland ist mehr denn je neben Frankreich die zentrale Macht in Europa mit großem ökonomischen wie politischem Gewicht. Die Wiedererstarkung der deutschen Nation hat Konsequenzen nach außen und nach innen: nach außen darin, dass der gewachsenen Größe sowohl militärisch wie auch machtpolitisch Rechnung getragen werden soll und nach innen, dass der Druck auf ethnische und sonstige Minderheiten erhöht wird. Hierbei sind insbesondere rassistische Handlungsmomente und Denkstrukturen gesellschaftlich tragfähiger geworden, obgleich von offizieller Seite zumeist das Gegenteil behauptet wird. Dies hängt zusammen mit dem historischen Hintergrund: als Nachfolgestaat des Dritten Reiches mit seiner vernichtenden völkischen Ideologie und dem Symbol ‘Auschwitz‘ als einzigartigem Verbrechen muss ein wiedererstarktes Deutschland ein Bild schaffen, welches im Ausland keinen Zweifel an der Friedfertigkeit der ‚Deutschen‘ aufkommen lässt.
Die herrschende Politik ist eine doppelbödige:
a) Sie versucht der Welt zu beweisen, dass sie weder imperiale Absichten hegt, dass sie die Schuld des Nationalsozialismus auf sich nimmt und dass Deutschland als ein Land erscheint, welches „nun tatsächlich und endgültig befreit ist: befreit von den Denk- und Handlungsweisen aus der Zeit des Faschismus (die ohnehin nur einer kleinen herrschenden Gruppe zuzuschreiben sind), auf gestiegen in die lichten Höhen einer westlichen, demokratischen Gesellschaft.“[10]
b) Nach innen sorgt sie in jahrelanger Propaganda dafür, dass Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland nach über 50 Jahren legitimiert sind, sie betreibt nicht nur rassistische öffentliche Kampagnen, sondern verschärft die Gesetze in diese Richtung. Sie nimmt zwar die NS-Schuld auf sich, versucht jedoch die Geschichte nun endlich abschließen zu wollen (siehe beispielhaft die Dankesrede von Martin Walser zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998, in der er gegen die ‚Moralkeule Auschwitz‘ spricht), um freiere Bahn für die imperialistische Mobilisierung haben zu können, befreit vom historischen Ballast.
Die angebliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus besteht lediglich an der Oberfläche: ausgrenzende Denk- und Verhaltensstrukturen sind in dieser Gesellschaft wieder weit mehr vorhanden und akzeptiert. Selbst eindeutig völkische Argumentationsmuster wie sie die CDU seinerzeit 1999 in ihrer Kampagne zur doppelten Staatsbürgerschaft vorlegte stoßen auf eine breitere ‚positive‘ Resonanz in Deutschland, so dass sich damit Wahlkämpfe gewinnen lassen. Das soziale Klima ist deutlich kälter und rauer geworden. Im Zeichen der Globalisierung wird (noch mehr als zuvor) Leistungsbereitschaft und –können zur zunehmenden Dominante des sozialen Daseins, Schwäche oder Andersartigkeit ist hier der Anlass zur Ausgrenzung: „Die Tötung von Flüchtlingen, ihre Kasernierung, ihre Einknastung, ihre begrenzte gesundheitliche und soziale Versorgung –die Tötung- auch das Sterbenlassen- von Obdachlosen, Behinderten und Alten, ihre Ausgrenzung ist eine innergesellschaftliche Kriegsführung, die sich normalisieren soll. Ihre Verankerung findet sie in Gesetzen, Erlassen, Verordnungen. Wenn Rassisten auf der Straße den Vollzug selbst in die Hand nehmen, so können sie sich darauf verlasse, dass die Mehrheit der Bevölkerung sie >versteht< und sogar schützt, denn sie tragen mit ihrer Gewalt zum Prozess dieser Normalisierung bei.“
3. Das Bild wird gemacht
Das Bild über die ‚Asylantenflut‘ oder die ‚Organisierte Kriminalität‘ oder dem ‚fundamentalistischen Islam‘ wird im öffentlichen Raum produziert. Es werden Tatsachen geschaffen, Behauptungen aufgestellt, Statistiken in bestimmter Absicht interpretiert, die für eine latent rassistische Gesellschaft nur den Schluss zulassen sollen, dass die Zahl der Flüchtlinge verringert werden müsse oder dass gegen die ‚organisierte Kriminalität‘ nur der große Lauschangriff hilft. Dadurch, dass reißerische Meldungen gegen Flüchtlinge insbesondere in den ‚Sommerlöchern‘ gepusht werden, können sie als Wegbereiter zu verschärften Gesetzesbeschlüssen betrachtet werden, auch wenn dieser Prozess oftmals über Jahre hinweg stattfindet. Es kann in diesem Zusammenhang von bewussten Feindbildkonstruktionen gesprochen werden, die zumeist zunächst ausgehend von konservativ politischen Kräften in die Gesellschaft als ganzes hineinwirken. Dies ist im übrigen Teil der Strategie der ‚Neuen Rechten‘: Sie will Themenbereiche politisch besetzen, sie in die Gesellschaft hineinragen und verankern, ohne dass der rechtsextreme Charakter als solches auf den ersten Blick erkennbar ist. Damit driftet die Politik insgesamt nach rechts: eine Strategie, die in den letzten fünfzehn Jahren gut funktioniert hat.
Anhand dreier Beispiele soll veranschaulicht werden wie Bilder von Flüchtlingen gemacht werden.
3.1 Zurschaustellung im Kontext der angeblichen Massen
Behauptet werden überhöhte Zahlen von Flüchtlingen bei gleichzeitigen behördlichen Maßnahmen, die dazu dienen, bildlich zu machen, dass es wirklich so sei. Es wird eine Stimmung geschaffen, die sich gegen die Flüchtlinge richtet und aus der heraus gegen sie vorgegangen wird. Diesen Mechanismus beschreiben die Revolutionären Zellen sehr anschaulich und weitblickend schon im August 1986, lange bevor die Geschehnisse von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen oder Mölln die Weltöffentlichkeit aufschrecken ließen:
„Mit verschärften Kontrollen, zusätzlichen Razzien und der Umschreibung von bisher üblicher Duldung in den Asylstatus wird die Zahl der Asylanträge künstlich in die Höhe geschraubt . Demonstrativ werden Baucontainer plaziert und Zeltlager aufgeschlagen unter dem Vorwand, dass die Welle der neuankommenden Flüchtlinge anders nicht zu bewältigen sei. Flüchtlinge, die in Berlin oder Hamburg gar nicht weiter aufgefallen wären, werden in einer Kleinstadt wie Helmstedt zu tausenden konzentriert und erst dadurch sichtbar gemacht.
Diese Form der Zurschaustellung, der sozialen Markierung, ebnet den Weg vom fremdenfeindlichen Ressentiment zum handgreiflichen Pogrom. Bürgerproteste und Rollkommandos gegen die Flüchtlinge erscheinen nun als zwangsläufige und legitime Reaktion auf ein soziales Problem, das durch bürokratische Erlasse und Verfügungen aber erst geschaffen wurde. Und umgekehrt entwickelt sich aus der Dynamik von Medieninszenierung, sozialhygienischen Bürgerinitiativen und Schlägertrupps jener ‚Druck von unten‘, aus dem heraus die fortschreitende Formierung des noch brüchigen Apparats der Flüchtlingsverwaltung, ebenso wie der nächste Schub staatlicher Zwangsmaßnahmen, ihre Legitimation beziehen.“[xi]
Dem ist eigentlich kaum noch etwas hinzuzufügen, lediglich der bezeichnende Hinweis, dass in nahezu allen öffentlichen Debatten, die Fluchtgründe unerwähnt bleiben. Unerwähnt bleibt die Unerträglichkeit der Lebensumstände aus den die Flüchtlinge kommen: das materielle Elend, die sexuelle Unterdrückung von Frauen, der politische Terror.
3.2 Der Islam als Feindbild
Im Zuge des Endes der bipolaren Blockkonfrontation, des (vorläufigen) Sieges des Kapitalismus über den Kommunismus, der Schaffung einer ‚neuen‘ Weltordnung ende der 80er Jahre des 20.Jahrhunderts brach macht- und militärpolitisch das alte Feindbild der ‚kommunistischen Aggression‘ weg und NATO sowie Bundeswehr verloren ihre ursprüngliche Legitimation. Die NATO-Strategen mußten sich einen neuen Feind zur eigenen Daseinsberechtigung suchen: mehr denn je also der reiche Norden gegen den armen Süden zur Wohlstandsabsicherung der Metropolen. Die Funktion der NATO war nun offen die der imperialistischen ‚Weltpolizei‘ ohne sich, wie in den Jahren zuvor, wegen der Existenz des Warschauer Paktes zurückhalten zu müssen. Hierzu musste das neue Feindbild geschärft werden um die Existenz von NATO und Bundeswehr weiter rechtfertigen zu können und um die Festung Europa, d.h. dessen Wohlstand, gegen das von ‚außen‘ kommende zu schützen.
Als spezieller Feind wurden von einigen Autoren der Islam im Kulturkampf auserkoren. In pseudosachlichen Beiträgen von Autoren wie Konzelmann oder Scholl-Latour werden sämtliche Stereotypen über den Islam via Bücher und TV-Sendungen reproduziert und öffentlichkeitswirksam verbreitet. So behauptet Konzelmann, dass die Postulate von Khomeni über einen Gottesstaat „Teil einer wiedererstarkten Tradition (seien), deren Wurzeln bis ins 7.Jahrhundert zurückreichen und mit der sich nicht nur Europa jahrhundertelang auseinanderzusetzen hatte.“[xii] Die Botschaft ist deutlich: der Islam sei von seinem Totalitätsanspruch her grundsätzlich aggressiv und gefährlich und gehöre somit bekämpft. In eine ähnliche Richtung zielt Scholl-Latour, wenn er Stereotypen wie fanatische Massen, tiefverschleierte Frauen, hysterische sowie aggressive Frömmigkeit, eine morbide Sucht nach dem Martyrium und einen makabren Kult mit den Leichen der Märtyrer aufzählt[xiii] ohne sie zu korrigieren oder zu relativieren. Es wird ein Verallgemeinertes Bild d e s Islams geschaffen, ohne auch nur einen Ansatz von Differenzierung zu entwickeln. Auf die Spitze treibt es Ritter in dem Buch ‚Sturm auf Europa‘, in dem zur Abwehr von Wirtschaftsflüchtlingen aufgerufen wird, wenn er sagt: „Was Ende des 17.Jahrhunderts vor Wien an Prinz Eugen scheiterte, nämlich die Eroberung des christlichen Abendlandes durch die Türkei, könnte den Nachkommen der türkischen Eroberer wie eine faule Frucht in den Schoß fallen (Ritter 1990, S.53).“[xiv]
Klaus F. Geiger kennzeichnet Äußerungen dieser Art in einem Artikel über die (Re)-Konstruktion des Islam von Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts in ihrer Funktion wie folgt:
„Die Darstellung der politisch-ökonomischen Auseinandersetzung als Kampf unversöhnlich fremder Kulturen, die Etikettierung des Feindes als ‚Islam‘ haben einen doppelten Effekt: Sie bewirken nicht nur Ausgrenzung nach außen, sondern auch eine innere Ausgrenzung ungeliebter, aber geduldeter Mitbewohner der Festung. Dasselbe Wort trifft also den Fremden, Bedrohlichen draußen und drinnen. Es kann zur Mobilisierung für aggressive Politik nach außen und für die Segregation im Innern eingesetzt werden.“[xv]
3.3 Die ‚organisierte Kriminalität‘ in den Statistiken des Bundeskriminalamtes
Das dritte Beispiel greift die immer wieder aufkommende Debatte um die sogenannte ‚Organisierte Kriminalität‘ (OK) auf, die von rechts-konservativen Politikern dazu genutzt wird, eine Law-and-order Politik durchsetzen zu wollen und dem behaupteten hohen Ausländeranteil an Straftaten dadurch Einhalt zu gebieten, dass insbesondere die Asylrecht- und Ausländerrechtsbestimmungen zu verschärfen seien. Als Argumentationsgrundlage wird des öfteren die alljährlich erscheinende Polizeiliche Kriminalitätsstatistik herangezogen, doch muss mit diesem Zahlenwerk vorsichtig umgegangen werden, da die Art und Weise der Präsentation von Statistiken tendenziös ist. Allein schon die Behauptung, dass für das Jahr 1996 von einem Ausländeranteil von 28,3% am Kriminalitätsaufkommen auszugehen sei, ist an sich irreführend, weil die PKS lediglich Tatverdächtige erfasst jedoch keine Straftäter. Die Zahl sagt in der Tat nichts darüber aus, wie viel Tatverdächtige rechtskräftig verurteilt wurden. Viel mehr muss davon ausgegangen werden, dass diskriminierendes Anzeigeverhalten gegenüber Ausländern, den hohen Anteil von Tatverdächtigen produziert. Dies wird durch die Strafverfolgungsstatistik bestätigt: „Während 30% aller deutschen Tatverdächtigen auch verurteilt werden, liegt dieser Anteil bei Nichtdeutschen nur bei 25% (bei Delikten gegen Leben und Tod sogar nur bei 20%!).“[xvi]
Des weiteren werden Straftaten mit einbezogen, die rein ausländerspezifische Delikte sind, so z.B.:
- Illegaler Grenzübertritt (1996: 51800 Tatverdächtige)
- Das unerlaubte Entfernen von AsylbewerberInnen vom angewiesenen Wohnort (1996: 24000 Tatverdächtige)
- Einschleusung von Nichtdeutschen (1996: 3300 Tatverdächtige)
- Erschleichen einer Aufenthaltserlaubnis durch Scheinehe (1996: 2500 Tatverdächtige)
„Diese ausländerrechtlichen Verstöße machen rund ein Viertel der aller Nichtdeutschen angelasteten Straftaten aus. Da deutsche Staatsangehörige aber in aller Regel gegen das Ausländerrecht nicht verstoßen können, ist es statistisch unseriös, diese in einem Vergleich der von Deutschen und Nichtdeutschen verursachten Kriminalität einzubeziehen. Lässt man diese Übertretungen von Ausländer- und Asylverfahrensgesetz weg, dann sinkt der Nichtdeutschen Anteil in der PKS von 28,3% auf 21,8%.“[xvii]
Weiterhin ist fragwürdig, ob Straftaten von AsylbewerberInnen anzurechnen seien, da viele Straftaten auf das Engste mit der Flucht, der unzureichenden sozialen Absicherung und fehlender politischer Integration verknüpft sind.
Selbst bei oberflächlicher Betrachtungsweise sind zwei Dinge mehr als offensichtlich:
1. Die Statistiken des Bundeskriminalamtes stellen ein bewusst verzerrtes Bild dar, weil in ihr ausländerspezifische Delikte aufgeführt werden, die in ihrer Summe den Ausländeranteil an Straftaten unverhältnismäßig in die Höhe steigen lassen.
2. Eine hohe Kriminalitätsrate von Ausländern wird durch diskriminierende Gesetzesmaßnahmen bewusst gewollt und produziert. Viele Delikte sind Produkt von rassistischen gesetzlichen Einschränkungen insbesondere für Flüchtlinge, die oft kaum eine andere Möglichkeit haben als gegen bestehende Gesetze zu verstoßen.
[...]
[1] In: analyse & kritik 446; 18.01.2001; S. 6
[2] in: Der Spiegel vom 07.05.2001
[3] Miles, Robert in: „Das Eigene und das Fremde“, Bielefeld, Ulrich (Hrsg.), Hamburger Edition 1998, S.193
[4] vgl. auch: Greß/Jaschke/Schönekäs; „Neue Rechte und Rechtsextremismus in Europa“; Westdeutscher Verlag 1990
[5] Geiger, Klaus F. in : „Ein Herrenvolk von Untertanen“; DISS-Studien, Duisburg S. 166
[6] Miles, Robert in: ebd. S. 204
[7] Wallerstein; Immanuel in: „Rasse Klasse Nation“ , Argument Verlag 1990 S. 45/46
[8] Balibar, Etienne in: „Rasse Klasse Nation“; Argument Verlag 1990 S.262
[9] Jäger, Siegfried u.a. (Hrsg): „Der Spuk ist nicht vorbei“ DISS-Studien, Duisburg 1998; S. 250
[10] Räthzel, Nora; „Gegenbilder“ Leske + Budrich 1997; S. 249
[xi] ID-Archiv im IISG/Amsterdam (Hrsg.); „Die Früchte des Zorns“; Edition ID-Archiv Berlin 1993; S. 544
[xii] in: „Ein Herrenvolk von Untertanen“ S.180
[xiii] in: ebd. S.186
[xiv] in: ebd. S. 180
[xv] in: ebd. S. 179
[xvi] in: analyse & kritik 410 vom 15.01.1998
[xvii] in: ebd.
- Citation du texte
- Jens Grünberg (Auteur), 2001, Illegale Flüchtlinge in Deutschland - Ursachen und Strategien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3547