In ihrem Text zum Thema Heterogenität beleuchten Mecheril und Vorrink zunächst die Aktualität des Begriffes. Insgesamt beginnt der Text sehr reziprok mit viel geschichtlichem Hintergrundwissen. Zum Ende hin gelingt jedoch ein Brückenschlag zur Heterogenität als Idee. Insgesamt sollen in diesem kurzen Aufsatz über den Text sieben Kernaussagen und Statements analysiert werden.
Heterogenität: Sondierung einer (schul)pädagogischen Gemengelage
In ihrem Text zum Thema Heterogenität beleuchten Mecheril und Vorrink zunächst die Aktualität des Begriffes „Heterogenität“. Insgesamt beginnt der Text sehr reziprok mit viel geschichtlichem Hintergrundwissen. Zum Ende hin gelingt jedoch ein Brückenschlag zur Heterogenität als Idee. Insgesamt sollen in diesem kurzen Aufsatz über den Text sieben Kernaussagen und Statements analysiert werden.
Gleich zu Beginn erwähnen Mecheril und Vorrink eine Formulierte Aufgabe des demokratischen Bildungssystems nach Yates: Systeme der Massenerziehung organisieren. (Koller et al 90) Hier fällt also zunächst ein Spannungsverhältnis auf, auch wenn es noch nicht direkt so formuliert wird. Der Begriff „Massenerziehung“ ist schwer vereinbar mit einem demokratischen System. Zu dieser Erkenntnis gelangen die Autoren auf Seite 92, wenn es heißt, dass „Differenz- und Ungleichheitsverhältnisse, in denen sich Schülerinnen und Schüler befinden, nicht durch Systeme der Massenerziehung perpetuiert werden oder dass Schule gar einen Beitrag zur Minderung von Ungleichheit leistet.“
Die Autoren definieren Heterogenität zu Beginn des Artikels als etwas wie „Unterschiedlichkeit“, wobei der auch aufgeführte englische Begriff „Diversity“ meiner Meinung nach besser als Synonym taugt, da er umfassender definiert. „Diversity“ steht als Begriff nicht nur für die Unterschiedlichkeit, sondern betont stark auch die Vielfältigkeit. Wenn also Heterogenität als Diversiy definiert wird und das demokratische Schulsystem die Aufgabe hat Ungleichheiten abzubauen, dann kann keine Massenerziehung stattfinden. Massenerziehung beschreibt die gleichförmige Erziehung aller (eine Masse). Daher kann damit die Aufgabe von Schule, die Verminderung von Ungleichheiten (Koller et al 92), insbesondere die Verringerung der sozialen Ungleichheit, nur in einem Spannungsverhältnis zur Massenerziehung stehen. Ob das heutige Schulsystem allerdings Massenerziehung oder den Abbau von Ungleichheiten zu fördert ist eine andere Frage. Schule soll Ungleichheiten abbauen. Ein gegliedertes Schulsystem, wie das vorhandene in Nordrhein-Westfalen, kann aber keine Ungleichheiten (oder zumindest weniger Ungleichheiten) abbauen, da schon alleine durch die Klassifizierung nach Leistung homogenere Gruppen entstehen. Zunächst mag eine gezielte Gruppeneinteilung sinnig erscheinen, aber außer Acht gelassen wird häufig die gleichzeitige Abgrenzung zu anderen Schulformen und eine damit einhergehende verstärkende Heterogenisierung der Gesellschaft.
Ab Seite 99 beschäftigen sich die Autoren mit der „Ver-Wendung“ von Heterogenität. Herauszustellen sind hier die Punkte I und III. Das sind zunächst die „Lerndifferenzen zwischen Schülerinnen“. Zunächst wird festgestellt, dass der Begriff Heterogenität in erziehungswissenschaftlichen und anwendungsorientierten Texten „im Wesentlichen als Kennzeichen des (schul-)pädagogischen Feldes verstanden [wird].“ ( Koller et al 100) Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass die Lerninhalte nicht zur Disposition stehen. In anwendungsorientierten Texten zur Heterogenität wird, den beiden Autoren zu Folge, meist nur über die Heterogene Gruppe gesprochen und diese heterogene Lerngruppe hat einen bestimmten Input, der von allen zu lernen ist. Berechtigt stellt sich hier nun die Frage, wie eine heterogene Lerngruppe auf einen einzigen Text reagieren soll. Ein Text für alle bedeutet im Umkehrschluss gleiche Bedingungen für alle Lernenden in der Gruppe. Dadurch wird zwangsläufig eine Homogenität hergestellt, die, wie es in der Natur der Sache liegt, keiner heterogenen, persönlich zugeschnittenen Lerngruppe und Lernatmosphäre dienen kann. Schittko definiert Differenzierung für den Unterricht wie folgt:
„(1) angesichts der unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen der Schüler und unterschiedlicher gesellschaftlicher Anforderungen (2) durch eine Gruppierung nach bestimmten Kriterien und (3) durch didaktische Maßnahmen den Unterricht so zu gestalten, daß (4) die für das schulische Lernen gesetzten Ziele möglichst weitgehend erreicht werden können“ (Schittko 23)
Klaus Joller- Graf greift diese Aussage auf und differenziert sie in seinem Essay „Binnendifferenziert unterrichten“ weiter. Für ihn leistet das Konzept der inneren Differenzierung, wie von Schittko beschrieben, einen wichtigen Beitrag zur „Heterogenitätsthematik“. (Joller- Graf 123) Um der Vielfalt der Lernenden gerecht zu werden macht Joller-Graf auf drei Ebenen aufmerksam. Voraussetzung ist für ihn die inhaltliche Differenzierung, also Methoden die es zulassen, dass Lernende zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Lerngegenständen arbeiten (vgl. ebd. 123). Weiter nennt er die organisatorische Differenzierung, also unterschiedliche Sozialformen zur gleichen Zeit. Schließlich bedarf es noch die Differenzierung der Unterstützung. Dies meint eine graduelle Abstufung. Allerdings nicht in dem Sinne, dass bestimmte Lerninhalte nur für bestimmte Schüler_Innen gedacht sind, sondern basierend „auf einem Unterrichtsverständnis, das davon ausgeht, dass durch die Kombination unterschiedlicher Lerngegenstände [...] ein Lernangebot bereitsteht, das die Schülerinnen und Schüler [mit all ihren Unterschiedlichkeiten] anspricht“. (ebd. 123)
Diese angepassten Lernaufgaben sind der Punkt, den Mecheril und Vorrink in ihrem Aufsatz als oft fehlend kritisieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt der beiden Autoren ist „[...] die Erfordernis der Anerkennung kultureller Pluralität“ (Koller et al 104). Wenn die Schule als sozialer Raum verstanden werden soll, in dem eine kulturelle Lebensform so repräsentiert werden kann, dass man sich diese aneignen kann (vgl. ebd. 104), dann muss der angestrebte Raum allerdings auch so ausgeweitet werden, dass sich die Aneignung und Verständigung kultureller Lebensformen nicht nur auf eine einzige beschränkt. Dies würde nämlich dem Grundgedanken von Heterogenität widersprechen. Die eingebrachten und annehmbaren Identitäten beziehen sich allerdings nicht ausschließlich auf migrationspädagogische Aspekte, sondern auch auf feministische Kritik und die allgemeine Anerkennung von der Vielzahl an unterschiedlichen Schüler_Innen. Diese Forderung steht im Gegensatz zur im nationalen Prinzip verhafteten Schule. (vgl. ebd. 104) Diese Forderung nach einer dem Sinn nach verstandenen Heterogenität fasst Annedore Prengel gut zusammen, wenn sie in ihrem Buch über die Pädagogik der Vielfalt konkretisiert, dass „die Dimensionen der Anerkennung der einzelnen Personen in intersubjektiven Beziehungen, die Dimension der Anerkennung gleicher Rechte, hier auch gleicher institutioneller Zugänge und die Dimension der Anerkennung der Zugehörigkeit zu (sub-) kulturellen Gemenschaften“ (Prengel 184) elementarer Bestandteil gelebter Heterogenität sind.
Auf den Seiten 105 bis 108 folgen in dem Aufsatz von Mecheril und Vorrink noch vier weitere, so genannte, kritische Aussagen. In diesen fünf Aussagen versuchen die beiden Autoren zu beschreiben, dass der Begriff Heterogenität „en vogue“ (Koller et al 105) ist. Der erste Kritikpunkt, Heterogenität als leerer Signifikant, meint, dass Heterogenität zu oft im verallgemeindernden Sinne verwendet wird. Diese „Verunklarung des Gegenstandes“ (ebd. 105) findet durch die Verwendung des Wortes statt. Problematisch bei dieser Definition von Heterogenität ist, dass alles was zunächst als heterogen gilt in die Gesamtdefinition des Begriffes einfließt und damit insgesamt die Konturen, Abgrenzungen und die Gliederung verschwimmen lässt.
Auf Seite 106 gehen die beiden Autoren auf die Pädagogisierung sozialer Ungleichheit und politischer Hegemonie ein. Ganz zum Schluss dieses Unterpunktes schreiben die Autoren einen Satz, der das ganze pädagogische Problem der Heterogenität zusammenfasst: „Es gibt, um es plakativ zu formulieren, keine richtige Pädagogik in einer falschen Gesellschaft“ (ebd. 107). Diese Aussage bezieht sich selbstverständlich genauso auf die Pädagogisierung und der Versuchte Umgang von und mit Heterogenität in der Schule. Heterogenität ist zwar eine natürliche Komponente einer jeden Schule und Klasse, aber Heterogenität kann keine Aufgabe an sich von Schule und Unterricht sein. Heterogenität ist vorhanden, immer. Die sozialen Ungerechtigkeiten die in der Schule auftreten müssen immer zunächst politisch durchdacht und angegangen werden. Ein politisches Problem zu pädagogisieren ist nicht der Weg um mit Heterogenität umzugehen. Durch den Begriff der Heterogenität wird es also erleichtert ein politisches Problem zu pädagogisieren. Denn durch die bereits thematisierte (oft) vorhandene Unklarheit des Begriffes ist es recht einfach soziale Ungleichheiten als ein Hauptproblem der Schulen zu lösen anstatt es politisch anzugehen.
Der dritte angeführte Kritikpunkte, auf Seite 107, ist die versteckte Homogenitätsaufrufung. Damit ist gemeint, dass durch die Verwendung des Heterogenitätsbegriffs oft automatisch der Begriff Homogenität vorausgesetzt ist. Vorausgesetzt aber nicht im Sinne von bereits bekannt, sondern im Sinne von nicht diskussionsbedürftig, theorielos, bereits geklärt. Durch die Gegenüberstellung von Heterogenität, welche immer thematisiert und reflektiert wird, und Homogenität, welche als unproblematisch und nicht weiter professional dargestellt wird (vgl. ebd. 108) entsteht ein Problem.
Der vierte Kritikpunkt ist schließlich „Heterogenität als außerschulisches Phänomen, auf das schulisch reagiert werden muss“ (vgl. ebd. 108). Hier meinen die Autoren, dass Heterogenität eine natürliche Eigenschaft einer jeden Menge an Menschen ist. Immer wenn Menschen, wie beispielsweise in der Schule, zusammenkommen, dann bringen all diese Menschen unterschiedliche Eigenschaften mit, die die Heterogenität der Gruppe ausmachen. Da die Schule aber nicht nur einen Ort der reinen Wissensvermittlung ist, muss auch innerhalb der Schule mit den Herausforderungen einer heterogenen Gesellschaft umgegangen werden. „Eine schulpädagogische Konsequenz dieser Perspektive besteht darin, dass Schulen ermöglicht wird, ihren eigenen Beitrag zur Herstellung von ‚Heterogenität’ zu reflektieren und gegenüber eher technokratischen schulpädagogischen Modellen ein gesellschaftswissenschaftlich informiertes, reflexives Modell pädagogischen Handelns zu bevorzugen“ (ebd. 109).
Literatur
Schittko, K. 1984: Differenzierung in Schule und Unterricht. Ziele-Konzepte-Beispiele. München: Ehrenwirth.
Joller-Graf K. 2010: Binnendifferenziert unterrichten. 122-137 In: Kummer Wyss, Annemarie: Alle gleich- alle unterschiedlich!. Zum Umgang mit Heterogenität in Schule und Unterricht. Berlin: Klett
Koller, Hans-Christoph, Casale, Rita, Ricken, Norbert [Hrsg.] 2014: Heterogenität. Zur Konjunktur eines pädagogischen Konzepts. Paderborn: Schöningh
Prengel, Annedore 1993: Pädagogik der Vielfalt. Opladen: Leske u. Buderich
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- Quote paper
- Marcel Knuppertz (Author), 2016, Heterogenität. Sondierung einer (schul)pädagogischen Gemengelage, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/353918