Bei der Recherche zu einem umfangreichen Thema, wie es die nationalbibliographische Kontrolle für Tschechien ist, steht der Suchende vor einer Anzahl verschiedener Probleme: Zunächst stellt man bald fest, daß bei weitem nicht alle Verzeichnisse, die in diesem Land die nationale Druckproduktion erschließen bzw. erschlossen haben, in deutschen Bibliographien zusammenfassend erwähnt sind. Oft existieren keine Hinweise auf Sonderverzeichnisse, die deshalb nur über Umwege zu finden sind und die lückenlose Dokumentation der nationalen Verlagsproduktion erschweren. So sind beispielsweise in den Katalogen Der Deutschen Bibliothek lediglich die Verzeichnisse der Nationalbibliographie (im folgenden: NaBi) Tschechiens mit ihren Unterreihen zu finden. Eine weitere Schwierigkeit besteht im Finden der bibliographischen Nachweise Tschechiens in den OPAC’s der tschechischen Bibliotheken selbst. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die Verwendung der tschechischen Sprachzeichen unabdingbar, um überhaupt verwendbare Suchergebnisse zu erhalten. Derjenige, dem dies aufgrund mangelnder Sprachkenntisse nicht oder nur schwer möglich ist, muss wiederum nach anderen Möglichkeiten suchen, um zum Ziel zu kommen. Das dritte, die Recherche oft erheblich komplizierende Problem bildet die Tatsache, daß im letzten halben Jahrhundert mehrere Titeländerungen der NaBi, resultierend aus den politischen Veränderungen im Land, erfolgt sind. Wer sich in den tschechischen Verzeichnissen zurechtfinden will, muss sich mit diesen Änderungen also zunächst vertraut machen, die wichtigsten Begriffe übersetzen und wissen, an welchen Stellen er die gewünschten Angaben zu den Verzeichnissen sowohl der NaBi als auch anderer Bibliographien finden kann. Wie steht es um die Dokumentation der nationalbibliographischen Kontrolle Tschechiens in der Fachliteratur? Die meisten Ausführungen zu diesem Thema finden sich in tschechischen Publikationen, können ohne ausreichende Sprachkenntnisse daher also nur sehr eingeschränkt berücksichtigt werden. In Deutschland wurde die Beschreibung der tschechischen NaBi neben wenigen DDR-Publikationen zum letzten Mal in Totok/Weitzel’s „Handbuch der bibliographischen Nachschlagewerke“ in einem umfassenden Überblick vorgenommen, jedoch stammt die letzte Auflage dieses Werkes bereits aus dem Jahr 1985. [...]
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
1. Geschichte der Tschechischen Nationalbibliographie vom Ende des Ersten Weltkrieges bis heute
1.1 Von 1918 bis zum Ende der deutschen Besetzung – Anfänge
1.2 Vom Kriegsende bis 1989 – Zentralismus
1.3 Von der Wende bis 2000 – Modernisierung der Nationalbibliographie
1.4 Die nationalbibliographische Verzeichnung – Situation heute
2. Verzeichnisse zur Nationalbibliographischen Kontrolle in der ČR seit 1945
2.1 Vorbemerkungen zum bibliographischen Teil
2.2 Monographien
2.2.1 Tschechische Bücher
2.2.2 Ausländische Bohemica
2.2.3 Verzeichnisse lieferbarer Bücher
2.2.4 Neuerscheinungen
2.3 Periodika
2.3.1 Tschechische Zeitungen und Zeitschriften
2.3.2 Neuerscheinungen
2.4 Zeitschrifteninhalte
2.5 Musikalien
2.6 Tonaufnahmen
2.7 Dissertationen
2.8 Graphisches Material
2.9 Elektronische Dokumente
2.10 Allgemeinenzyklopädien
2.11 Biographische Nachschlagewerke
2.12 Bibliothekskataloge von nationalbibliographischer Bedeutung
Anlagen
Anl.1 Zeittafel der wichtigsten politischen Ereignisse von 1945 –2004
Anl.2 Hauptgruppen der von 1951 – 1981 verwendeten Klassifikation für die Nationalbibliographie
Anl.3 Systematik für Musikalien
Anl.4 Übersetzung einiger bibliographischer Begriffe
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Einleitung
Bei der Recherche zu einem umfangreichen Thema, wie es die nationalbibliographische Kontrolle für Tschechien ist, steht der Suchende vor einer Anzahl verschiedener Probleme:
Zunächst stellt man bald fest, daß bei weitem nicht alle Verzeichnisse, die in diesem Land die nationale Druckproduktion erschließen bzw. erschlossen haben, in deutschen Bibliographien zusammenfassend erwähnt sind. Oft existieren keine Hinweise auf Sonderverzeichnisse, die deshalb nur über Umwege zu finden sind und die lückenlose Dokumentation der nationalen Verlagsproduktion erschweren. So sind beispielsweise in den Katalogen Der Deutschen Bibliothek lediglich die Verzeichnisse der Nationalbibliographie (im folgenden: NaBi) Tschechiens mit ihren Unterreihen zu finden. Eine weitere Schwierigkeit besteht im Finden der bibliographischen Nachweise Tschechiens in den OPAC’s der tschechischen Bibliotheken selbst. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist die Verwendung der tschechischen Sprachzeichen unabdingbar, um überhaupt verwendbare Suchergebnisse zu erhalten. Derjenige, dem dies aufgrund mangelnder Sprachkenntisse nicht oder nur schwer möglich ist, muss wiederum nach anderen Möglichkeiten suchen, um zum Ziel zu kommen.
Das dritte, die Recherche oft erheblich komplizierende Problem bildet die Tatsache, daß im letzten halben Jahrhundert mehrere Titeländerungen der NaBi, resultierend aus den politischen Veränderungen im Land, erfolgt sind. Wer sich in den tschechischen Verzeichnissen zurechtfinden will, muss sich mit diesen Änderungen also zunächst vertraut machen, die wichtigsten Begriffe übersetzen und wissen, an welchen Stellen er die gewünschten Angaben zu den Verzeichnissen sowohl der NaBi als auch anderer Bibliographien finden kann.
Wie steht es um die Dokumentation der nationalbibliographischen Kontrolle Tschechiens in der Fachliteratur? Die meisten Ausführungen zu diesem Thema finden sich in tschechischen Publikationen, können ohne ausreichende Sprachkenntnisse daher also nur sehr eingeschränkt berücksichtigt werden. In Deutschland wurde die Beschreibung der tschechischen NaBi neben wenigen DDR-Publikationen zum letzten Mal in Totok/Weitzel’s „Handbuch der bibliographischen Nachschlagewerke“ in einem umfassenden Überblick vorgenommen, jedoch stammt die letzte Auflage dieses Werkes bereits aus dem Jahr 1985. Das „Handbuch der Bibliographie“ Jahr 1999 nennt, obwohl zeitlich näher liegend, beispielsweise kaum elektronische Verzeichnisse und ist auch sonst kaum eine vollwertige Ergänzung der Angaben von Totok/Weitzel, sowohl hinsichtlich der Ausführlichkeit der Angaben als auch der gebotenen Hintergrundinformationen.
Einen wichtigen Beitrag liefert daher die von Bohdana Stoklasová betreute Beschreibung der tschechischen Nationalbibliographie im „Annotated guide to current national bibliographies“, obgleich auch diese schon von 1998 stammt und daher aktuelle Änderungen noch nicht berücksichtigen kann. Der gleichen Autorin verdanken wir auch das Wissen über die Veränderungen, die in der Nationalbibliothek in Prag bei der Erstellung der NaBi seit 1990 vorgenommen wurden. Ihr Vortrag „Die Nationalbibliographie eines kleinen Landes im internationalen Zusammenhang“ auf der 66. IFLA – Council and General Conference in Jerusalem im August 2000 gab einen detaillierten Einblick in die Bemühungen Tschechiens, den Anschluß an das internationale Bibliothekswesen nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes zu gewinnen. Beiträge in nicht-tschechischen bibliothekarischen Fachzeitschriften berichten zwar in größeren Abständen sehr eingehend über die Entwicklungen im Bibliothekswesen des Landes, jedoch gehört eine Abhandlung zum hier vorliegenden Thema eher zu den selteneren Erscheinungen.
Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß uns derzeit keine zusammenhängende Darstellung zur nationalbibliographischen Kontrolle in der Tschechischen Republik außerhalb dieses Landes vorliegt. Die notwendigen Informationen sind natürlich vorhanden, bedürfen zur Nutzung jedoch einer verhältnismäßig aufwendigen Recherche. Der Suchende ist also darauf angewiesen, viel Zeit für die Erlangung der gewünschten Informationen in Kauf zu nehmen.
Aus diesem Grund hat die vorliegende Arbeit zum Ziel, zu einem solchen Überblick über die nationalbibliographische Verzeichnung auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik seit 1945 beizutragen.
Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Darstellung der Geschichte der tschechischen NaBi eingebettet in einen geschichtlichen Abriß der politischen Entwicklung des Landes. Seit der Gründung des Staates im Jahr 1918 läßt sich dessen Geschichte in vier Phasen einteilen, mit der der Werdegang der bibliographischen Verzeichnung einhergeht. Es sind dies die Phase der ersten und zweiten Republik bis 1939, die Zeit der deutschen Besetzung bis 1945, die Dauer der sozialistischen Ära bis 1989 sowie die Zeit von der politischen Wende 1989/ 1990 bis heute. Die NaBi folgt, wie dies auch in anderen Ländern der Fall ist, diesen geschichtlichen Veränderungen durch den Wandel einiger ihrer Merkmale, beispielsweise im Titel oder in der Art der verwendeten Klassifikation. Doch im Unterschied zu beispielsweise westlichen Ländern haben die meist schwerwiegenden politischen Veränderungen stets ihren parallelen Niederschlag im Erscheinungsbild der nationalbibliographischen Verzeichnung gefunden. Darum ist es sinnvoll, die Geschichte dieser Veränderungen zu kennen und sich so in den unterschiedlichen Verzeichnissen besser orientieren zu können.
Die tschechische Bibliographie verzeichnet noch heute im Gegensatz zu denen vieler anderer Länder eine große Fülle unterschiedlichen Materials in einer recht hohen Anzahl von Reihen. Überdies existieren noch weitere Verzeichnisse außerhalb der NaBi, die traditionell von der Nationalbibliothek, seit der Wende aber auch von anderen Institutionen getragen wurden und werden. Es erschien daher sinnvoll, den angestrebten Überblick in der Form einer Ordnung nach Publikationsformen und innerhalb dieser chronologisch aufsteigend nach Berichtszeiten vorzunehmen, um die Tiefe der Gliederung verhältnismäßig gering halten zu können.
Bibliothekskataloge, die ja verschiedenste Arten von Veröffentlichungen verzeichnen, wurden gesondert betrachtet und nur dann, wenn sie von nationalbibliographischer Bedeutung sind sowie über das Internet frei zugänglich.
Wo immer es möglich war, wurde auf slowakische Verzeichnisse keine Rücksicht genommen, einerseits weil die Slovakei seit 1993 ein eigenständiger Staat ist und weil andererseits die Erfassung der slowakischen Publikationen im betrachteten Zeitraum fast immer separat in eigenen Unterreihen der NaBi geführt wurde. Überdies würde die Betrachtung von gleichsam zwei Nationalbibliographien den Rahmen der Arbeit sprengen.
Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: der geschichtlichen Betrachtung und dem bibliographischen Teil. Betrachtet werden soll der Zeitraum ab 1945. Es war dafür unvermeidlich, die Zeit davor kurz darzustellen, was denn auch geschehen ist, um die Entwicklung adäquat in einen geschichtlichen Kontext einzubetten.
Zum Abschluß noch eine Anmerkung bezüglich der Technik der Verzeichnung: Im zweiten Teil erfahren die nationalbibliographischen Verzeichnisse eine sehr ausführliche Würdigung, wenn jede ihrer Titeländerungen berücksichtigt wird und der neue Titel gesondert aufgeführt und annotiert wird. Grund dafür ist, daß eine solche Titeländerung meist auch neue bzw. den Wegfall bisheriger Register bedeutete, eine neue Erscheinungsweise galt, neue ISSN-Nummern vergeben wurden etc. Es wäre unmöglich gewesen, solche Veränderungen innerhalb des hier betrachteten Zeitraumes von über fünfzig Jahren angemessen und übersichtlich darzustellen, ohne den Leser zu verwirren.
1. Geschichte der Tschechischen Nationalbibliographie vom Ende des Ersten Weltkrieges bis heute
1.1 Von 1918 bis zum Ende der deutschen Besetzung - Anfänge
Als im Oktober 1918 die tschechoslowakische Republik[1], entstanden aus einem Teilstaat des ehemaligen Österreich-Ungarn, in Prag proklamiert wurde, konnte man nicht auf einer bereits existierenden regionalen Bibliographie dieses Landesteils aufbauen, die regelmäßig dessen gesamte Buchproduktion verzeichnet hätte. Dies war jedoch umso mehr notwendig, als es in Böhmen und Mähren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Erwachen des nationalen Selbstbewußtseins gab, das in seinem Gefolge eine Steigerung der tschechischen Buchproduktion mit sich brachte. Die Einforderung nationaler Rechte und der Aufstieg des tschechischen Bürgertums in allen Bereichen des öffentlichen Lebens waren die Kennzeichen dieser Zeit, die sich nicht zuletzt auch im Buchwesen niederschlugen[2]. Zwar waren einzelne Bemühungen von Wissenschaftlern, Buchhändlern und Verlegern, besonders des Verbandes der Buchhändler gemacht worden, insgesamt jedoch konnte von einer einheitlichen oder gar umfassenden Verzeichnung des tschechischen Schrifttums keine Rede sein. Der erste Versuch einer nationalen Bibliographie, die „Česká bibliografie za rok ...“ (Tschechische Bibliographie für das Jahr ...), erstellt durch die Tschechische Akademie der Wissenschaften, endete ohne ein Nachfolgewerk, nachdem das Verzeichnis neun Jahre, von 1902-1911 erschienen war.
Durch die Arbeit von Ladislaus Živny jedoch, der einige Jahre vor der Unabhängigkeit bereits detaillierte Überlegungen zu einer Nationalbibliothek (im folgenden : NaBi) entwickelt hatte, kam es im Jahre 1923 zum Erscheinen des ersten „Bibliografický katalog“, herausgegeben vom Bibliographischen Institut an der UB Prag unter der Leitung Živnys, ab 1929 unter Redaktion der Nationalbibliothek in Prag. Dieser Katalog konnte zunächst nichts anderes sein als eine Auswahlbibliographie, die die Erwerbungen der NaBi verzeichnete, mangelte es doch noch immer an einem Pflichtexemplargesetz, das die Vorraussetzung für eine vollständige Erfassung überhaupt erst möglich machen konnte. Der längst fällige Erlaß folgte denn auch im Jahr 1935; das erste Gesetz der jungen Republik zur Ablieferung eines Pflichtexemplars wurde erlassen. War die lückenlose Verzeichnung auch zunächst aufgrund der Anlaufschwierigkeiten in seiner Umsetzung verständlicherweise nicht unverzüglich und lückenlos möglich – die entscheidende Grundlage für die Zukunft war geschaffen: Die nationalbibliographische Verzeichnung erfolgte in staatlicher Verantwortung durch eine verbindliche Pflichtexemplarregelung.
In der Hauptsache waren es nun die Aufgaben, die sich mit der neuen Situation ergaben: Vereinheitlichung der Pflichtexemplarregelung, die Anpasssung der Katalogisierungsregeln an internationale Standards (Dezimalklassifikation) und die Entwicklung der wissenschaftlichen Grundlagen der bibliographischen Verzeichnung – die das tschechische Bibliothekswesen bis zum Ende der 30er Jahre beschäftigten. Spätestens zu dieser Zeit jedoch mußten solche Bemühungen wenn nicht gegenstandslos, so doch zumindest nachrangig werden angesichts der ungeheuren Bedrohung, die der tschechische Staat seit 1938 durch das Nationalsozialistische Deutschland erfuhr. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Tschechoslowakei, der Abtrennung des Sudetenlandes sowie der Slowakei und der Umwandlung der Republik in das sogenannte „Protektorat Böhmen und Mähren“ begann das bis dahin dunkelste Kapitel in der Geschichte des Landes; Hundertausende wurden Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft. Hinsichtlich der nationalen Literaturerfassung und des Bibliothekswesens brachte diese Zeit die Schließung der meisten Bibliotheken im Lande. Die NaBi erschien von 1943 bis 1944 unter einem deutschen Haupttitel; weitreichende Publikationsverbote, wie auch in anderen besetzten Ländern Europas, taten das Übrige.
1.2 Vom Kriegsende bis zur „samtenen Revolution“ - Zentralismus
So war es nach dem Ende des Krieges und der deutschen Besetzung im März 1945 nicht verwunderlich, daß die tschechische Buchproduktion einen ungeheuren Aufschwung nahm, nur begrenzt durch den allgemeinen Ressourcenmangel an Papier, modernen Druckmaschinen etc. Jetzt erschienen Veröffentlichungen von Emigranten, unveröffentlichte Manuskripte und verbotene Bücher der Vorkriegszeit wurden publiziert, die wissenschaftliche sowie die Kriegs- und Erinnerungsliteratur erlebten eine massenhafte Nachfrage. Bereits im Jahr 1948 übertraf die Zahl der neuerschienen Monographien mit 5.500 und die der Periodika mit 1.900 Exemplaren die Produktion des Jahres 1937 und war noch immer im Steigen begriffen[3]. Der „Bibliografický katalog Československé Republiký“ erschien ab 1945 wieder unter tschechischem Namen, einschließlich der slowakischen Neuerscheinungen.
Der Anfang des Jahres 1948 brachte die Machtübernahme der Kommunistischen Partei (KPČ) und daran anschließend die Entwicklung eines Staatswesens nach sowjetischem Vorbild, mit allen seinen bekannten gesellschaftlichen Auswirkungen. Staatliche Terrormaßnahmen gegen jegliche Opposition und die freie Meinungsäußerung wurden nun zu einem der wichtigsten Machtmittel der KPČ.
Schon 1949 erfolgte der staatliche Zugriff auch auf das Verlagswesen mit der Beseitigung privater Unternehmen. Die Vergabe von Drucklizenzen durch das Ministerium für Information und öffentliche Kultur wurde zu einer Art der Zensurausübung, die es - neben den von der Regierung kontrollierten Verlagen - nur noch bestimmten, vorwiegend staatlichen Organisationen, Institutionen und und Unternehmen erlaubte, zu publizieren. Die Genehmigungsverfahren für Druckwerke, bei der der Antragsteller einen langen Instanzenweg in Kauf nehmen mußte, verhinderten jedes Erscheinen unliebsamer Veröffentlichungen[4].
Auch auf dem Gebiet der nationalbibliographischen Verzeichnung zeigte sich die Veränderung des Landes durch die kommunistischen Machthaber sehr schnell. Parallel zur Umwandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse nach sowjetischem Muster arbeitete man in der Tschechoslowakei bereits länger an der Adaption der sowjetischen bibliothekarischen Klassifikation der Unionsbuchkammer. Nachdem es gelungen war, diese den spezifischen tschechoslowakischen Verhältnissen anzupassen, erschien der „Bibligrafický katalog“ ab 1951 in dieser nach 31 Sachgruppen geordneten Klassifikation[5]. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, daß die bis dahin verwendete Variante der Dezimalklassifikation damals nicht mehr auf allen Wissensgebieten zeitgemäß war und man sich offensichtlich länger schon nach einer moderneren Alternative umsah. Die Entscheidung für die neue Systematik ist daher wohl nur zum Teil einer Nachahmung der Verhältnisse des „Bruderstaates“ geschuldet; in erster Linie war wohl eine einheitliche Klassifikation - hier zumindest für das sozialistische Lager - angestrebt worden[6].
Die Umwandlung des gesamten tschechoslowakischen Bibliothekswesens zu einem zentralistischen System der landesweiten Literaturerfassung war der nächste tiefe Einschnitt, der bis heute seine Spuren hinterlassen hat. Bereits 1949 waren in volkseigenen Betrieben Referatedienste entststanden, die Fachzeitschriften aus und für den Bereich der Industrie und Technik auswerteten; diese wurden anderen Nutzern dann in sogenannten Referatezeitschriften zur Verfügung gestellt und so ein Netzwerk der aktuellen Literaturinformation aufgebaut. Basierend auf derartigen Erfahrungen begann man in den verantwortlichen Regierungsstellen darüber nachzudenken, wie das Bibliothekswesen, und hier besonders das Potential der bibliographischen Arbeit, in den Dienst des staatlichen Informationsmonopols zu stellen wäre. Da die Bibliographie (und damit auch das Bibliothekswesen) „nicht abseits vom kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben“ stehen könne, wurden ihr „große, konkrete Aufgaben beim Aufbau des Sozialismus“ bis hin zu einer „erzieherischen Funktion“ übertragen, die sich „nicht in einer passiven Registrierung formaler Merkmale des Buches“[7] erschöpfen sollten.
In diesem Sinne begann man 1959 mit dem Aufbau eines hierarchischen Bibliothekssystems, das aus einer Anzahl paralleler Informationsnetzwerke bestand und deren Spitze die beiden Nationalbibliotheken in Prag und Martin (für den slowakischen Landesteil) bildeten, die zu Leitbibliotheken und Koordinierungsstellen[8] mit verbindlichem Weisungsrecht wurden. Den Institutionen, die dem öffentlichen, dem universitären und dem Netzwerk der Spezialbibliotheken angehörten, wurden jeweils eigene Informationszentren vorgesetzt, die die Schnittstellen dieser Systeme bildeten und gleichzeitig die bibliographische Arbeit leiteten. Geführt wurde das Bibliothekssystem durch das Ministerium für Kultur, das auf diese Weise einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Informationspolitik des Landes ausübte. Durch die Koordination von National-, Regional- und Spezialbibliotheken wurde eine Arbeitsteilung in der Erfassung des neuerschienenen Literatur des Landes erreicht, bei der jede Bibliothek auf ihrem Fachgebiet zur nationalbibliographischen Verzeichnung beitrug – eine Arbeitsweise, die sich in ihren Grundzügen bis heute erhalten hat.
Im Zuge der Betrebungen, die o.a. „neuen Aufgaben“ der Bibliographie zu erfüllen, kam es mit Hilfe dieses Systems im Lauf der 60er Jahre gleichsam zu einer „Explosion“ von empfehlenden und auswählenden Literaturverzeichnissen für die unterschiedlichsten Bereiche. Die Bestände der Bibliotheken wurden Grundlage für die Auswahlbibliographien von öffentlichen Bibliotheken, um sie breiten Leserschichten zugänglich zu machen. Solche Bibliographien wurden oft auch als Sondernummern der NaBi herausgegeben. Aber auch Spezialbibliotheken, Forschungs- und andere staatliche Einrichtungen gaben für ihre jeweiligen Fachgebiete Bibliographien heraus. Diese wurden in Bibliographienverzeichnissen (z.B.„soupis českých biblografii“) veröffentlicht, oder in Reihen wie „Novinky literatury“ (Neuigkeiten der Literatur) u.a., das 1980 bereits 13 Reihen umfasste[9].
Neben diesen Entwicklungen wurden weitere, bis in die heutige Zeit wirksame Änderungen im tschechischen, aber auch im slowakischen Bibliothekswesen und in der NaBi durchgeführt. Ab dem Anfang der 50er Jahre erschien der „Bibliografický katalog“ in sechs statt in bis dahin drei Reihen, denn von nun an wurden die tschechischen und die slowakischen Neuerscheinungen in getrennten Unterreihen der NaBi verzeichnet[10]. Aufsätze aus Zeitschriften wurden von 1951 an, Zeitschriften ab 1953, Grafiken und Karten ab dem Jahr 1958 und Dissertationen ab 1964 in der NaBi verzeichnet. Der Forderung, daß „die Bibliographie in in ihrem gesamten Umfang staatliche Unterstützung erfahren“[11] müsse, wurde in der Tschechoslowakei sowohl institutionell als auch finanziell in einem Maße entsprochen, die es den an der NaBi beteiligten Bibliotheken über Jahrzehnte hinweg erlaubte, dem Ziel der vollständigen Erfassung von Publikationen des Landes in großem Ausmaß nahezukommen.
[...]
[1] Zu den diversen Namensänderungen des Staates sei auf die im Anhang beigefügte Zeittafel verwiesen; in dieser Darstellung wird nicht gesondert darauf eingegangen, sondern die jeweils gültige Staatenbezeichnung verwendet.
[2] Vgl. Ryznar/ Croucher, Books in Czechoslovakia, 1989, S.41.
[3] Vgl. Ryznar/ Croucher, Books in Czechoslovakia, 1989, S. 41.
[4] ebd., S. 41 ff. Hier findet sich auch eine Darstellung des Systems der Regulierung und Überwachung durch verschiedenste staatliche Organisationen, deren jede faktisch eine Zensurbehörde darstellte, obwohl es bis zum Anfang der 50er Jahre eine Zensur offiziell gar nicht gab. Im April 1953 erfolgte dann auch die gesetzliche Einführung der staatlichen Pressezensur. Die Folgen all dieser Maßnahmen waren für das tschechische Verlagswesen sehr tiefgreifend. So gibt Ryznar/ Croucher für 1989 im tschechischen Landesteil ganze 35 Verlage an, eine Zahl, die selbst für ein Land dieser Größe erstaunlich gering ist.
[5] Einen Einblick in die praktischen Probleme (z. B. untersch. Alphabete, Geschichte etc.), die bei dieser Umstellung natürlich auch in Prag eine Rolle spielten, geben die Erfahrungen, die in der Universitätsbibliothek Bratislava bei der Umstellung auf die sowjetische BBK Mitte der 70er Jahre gemacht wurden und veröffentlicht worden sind in: Brteková / Vančeková, Anwendung der BBK in der UB Bratislava, 1977, S.59 – 109l
[6] Dennoch wurde die DK-Zahl weiterhin den Titelaufnahmen im Hauptteil der nationalbibliographischen Reihen beigefügt.
[7] Kabrt, Tschechoslowakische Sozialistische Republik, 1980, S.181 f.
[8] Diesen beiden Bibliotheken waren auch sämtliche Kontakte mit dem Ausland vorbehalten. Das Gesetz, daß 1959 zur Neuordnung des Bibliothekswesens erlassen wurde, regelte genauestens die Funktionen, die jede der beteiligten Bibliotheken zu erfüllen hatte. Vgl. Ryznar/ Croucher, Books in Czechoslovakia, 1989., S. 52 f.
[9] Im Jahre 1977 wurde auf der „Nationalen Bibliographiekonferenz der ČSR“ u.a. die Vereinheitlichung und Koordinierung der mittlerweile entstandenen Informationsdienste angeordnet, auch um der enormen Zunahme solcher Verzeichnisse Grenzen zu setzen. Vgl. Kabrt, Tschechoslowakische Sozialistische Republik, 1980, S.189.
[10] Für die Verzeichnung der slowakischen Neuerscheinungen war von nun an die Nationalbibliothek in Martin zuständig. Sie verzeichnete slovakische Bücher (in der Reihe "Slovenské knihy", 1950 ff.) und Musikalien ("Slovenské hudebniny", 1966ff.) sowie Schallplatten ("Gramofonové platne", 1954 ff.). Außerdem wurde ein je eigenes Verzeichnis für tschechische (1953 ff.) und slovakische (1955 ff.) Zeitschriftenaufsätze ("članky v českých bzw. slovenských časopisech") geschaffen.
[11] Kabrt, Tschechoslowakische Sozialistische Republik, 1980, S.182.
- Quote paper
- Thomas Dietze (Author), 2004, Nationalbibliographie Tschechiens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35346
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