In dieser Arbeit wird die Liebeskonzeption Stendhals (Henri Beyle (1783 – 1842)) im Mittelpunkt stehen. Sie liegt seiner Abhandlung mit dem Titel De l’Amour zugrunde. Er selbst beschreibt De l’Amour in seinem Vorwort von 1826 als „une description exacte et scientifique“ der Liebe, als ein Buch, dass einfach, vernünftig und mathematisch die verschiedenen Gefühle beschreibt, die einander folgen und die zusammengenommen die leidenschaftliche Liebe darstellen. Er schrieb es lange vor seinen großen Romanen Le Rouge et le Noir (1830) und La Chartreuse de Parme (1839), in denen sich sein theoretisches Verständnis von Liebe, wie er es in De l’Amour dargelegt hat, wieder findet. In dieser Arbeit wird es am Beispiel von La Chartreuse de Parme aufgezeigt werden wird.Dies vorbereitend, gilt es das Werk De l’Amour vorzustellen und die zentralen Aspekte daraus zu besprechen. Hier soll die Liebeskonzeption Stendhals näher beschrieben werden, wofür sowohl auf die unterschiedlichen Arten der Liebe eingegangen wird, als auch auf die einzelnen Phasen der Entstehung der Liebe aus Leidenschaft. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Begriff der Kristallisation zu, den Stendhal in Zusammenhang mit der Liebe einführt. Da er sich in diesem Werk auf die höfische Liebe des Mittelalters bezieht, wird aufgezeigt, welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede sich hier im Bezug auf Stendhals Liebeskonzeption ergeben. La Chartreuse de Parme wird zu De l’Amour in Beziehung gesetzt. Dabei wird anhand einer kleinen, willkürlich zusammengestellten Auswahl von Aspekten deutlich, welche Bedeutung Stendhals Liebestheorie für die Entwicklung der Charaktere und ihrer Gemütszustände in seinem letzten vollendeten Roman hat. Im Blickpunkt steht dabei die Liebe zwischen Fabrice Del Dongo und Clelia Conti einerseits und zwischen Gina Del Dongo und dem Grafen Mosca andererseits. Diese Untersuchung gilt der Frage, wie sich die Konzeption der höfischen Liebe in diesem Roman manifestiert. Es wird anhand der Liebe zwischen Fabrizio und Clelia aufgezeigt, dass sich Stendhal bei der Entwicklung der Charaktere in vielem an der provenzalischen Liebeskonzeption orientiert hat. Schließlich wird dargestellt, wie Stendhal die Liebeskonzeptionen der Franzosen bzw. der Italiener beurteilt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 De l’Amour und die Liebeskonzeption Stendhals
2.1 Die Arten der Liebe und die Phasen ihrer Entstehung
2.2 Die Kristallisation in der Entstehung der Liebe
2.3 De l’Amour und die provenzalische Liebe des Mittelalters
3 Stendhals Liebeskonzeption in La Chartreuse de Parme
3.1 Ausgewählte Aspekte aus De l’Amour in La Chartreuse de Parme
3.2 Die Konzeption der höfischen Liebe in La Chartreuse de Parme
4 Schluss
Literatur
1 Einleitung
Zu allen Zeiten war die Liebe eines der bevorzugten Themen der Literatur. Dies liegt mitunter daran, dass die Liebe – wie kaum eine andere Emotion – menschliches Handeln beeinflusst. Zudem waren es im Allgemeinen die Literaten, die die gesellschaftlichen und moralischen Gegebenheiten ihrer Zeit in mehr oder weniger fiktiven Romanstoff einbanden und beschrieben und damit auch die zu ihrer Zeit gültigen Verhaltensregeln bzw. Verhaltensmuster der Liebenden. Ein weiterer möglicher Beweggrund für die Beschäftigung mit der Liebe in der Literatur mag sein, dass die Schreiber ihre eigenen Liebeserfahrungen auf diese Weise verarbeiteten. Dies gilt auch für Stendhal, den eigenes Erleben motivierte,De l’Amour zu schreiben, worauf noch später eingegangen wird. Da es u. a. Aufgabe der Philologie ist, den Zustand der Geisteshaltung eines Volkes zu einer bestimmten Zeit anhand von Zeitdokumenten zu erforschen, rücken auch die Dokumente in den Blickpunkt, die sich mit menschlichen Gefühlen im Allgemeinen und mit der Liebe im Besonderen beschäftigen. In der Literatur ist eindrucksvoll belegt, wie sich die Auffassung, die die Menschen von der Liebe haben bzw. hatten, im Laufe der Jahrhunderte gewandelt hat. Die literarischen Zeugnisse der Antike zeichnen ein anderes Bild von der Liebe, als die des Mittelalters oder der Moderne. Dies folgt daraus, dass gesellschaftliche Gepflogenheiten einer Zeitepoche eine kollektive Konzeption von Liebe determinieren und persönliche Erfahrungen und Vorstellungen des Einzelnen eine individuelle Konzeption von Liebe.
In dieser Arbeit wird die Liebeskonzeption Stendhals (Henri Beyle (1783 – 1842)) im Mittelpunkt stehen. Sie liegt seiner Abhandlung mit dem Titel De l’Amour zugrunde, die erstmalig im Jahre 1822 erschien, liegt diese Liebeskonzeption. Die unglückliche Liebe Stendhals zu Métilde Dembowski, die er 1818 in der Lombardei kennen lernte, ging der Entstehung dieses Werkes zeitlich voraus. Stendhal selbst liefert einige Indizien dafür, dass De l’Amour in einem Lebensabschnitt entstand, in dem er unter großem Liebeskummer litt:
„Je fais tous les efforts possibles pour être sec. Je veux imposer silence à mon cœur qui croit avoir beaucoup à dire. Je tremble toujours de n’avoir écrit qu’un soupir, quand je crois avoir noté une vérité.“[1]
In der Literatur herrscht die Meinung vor, dass er De l’Amour aus der Erinnerung an seine Leidenschaft für Métilde heraus verfasste[2].
Er selbst beschreibt De l’Amour in seinem Vorwort von 1826 als „une description exacte et scientifique“[3] der Liebe, als ein Buch, dass einfach, vernünftig und mathematisch die verschiedenen Gefühle beschreibt, die einander folgen und die zusammengenommen die leidenschaftliche Liebe darstellen[4]. Er schrieb es lange vor seinen großen Romanen Le Rouge et le Noir (1830) und La Chartreuse de Parme (1839), in denen sich sein theoretisches Verständnis von Liebe, wie er es in De l’Amour dargelegt hat, wieder findet. In dieser Arbeit wird es am Beispiel von La Chartreuse de Parme aufgezeigt werden wird.
Dies vorbereitend, gilt es in Kapitel 2 zunächst einmal das Werk De l’Amour vorzustellen und die zentralen Aspekte daraus zu besprechen. Hier soll die Liebeskonzeption Stendhals näher beschrieben werden, wofür sowohl auf die unterschiedlichen Arten der Liebe eingegangen wird, als auch auf die einzelnen Phasen der Entstehung der Liebe aus Leidenschaft (2.1). Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Begriff der Kristallisation zu, den Stendhal in Zusammenhang mit der Liebe einführt und welchem Kapitel 2.2 gewidmet ist. Da er sich in diesem Werk auf die höfische Liebe des Mittelalters bezieht, geht Kapitel 2.3 dieser Arbeit näher auf dieses Thema ein und zeigt auf, welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede sich hier im Bezug auf Stendhals Liebeskonzeption ergeben. In Kapitel 3 wird dann La Chartreuse de Parme zu De l’Amour in Beziehung gesetzt. Dabei soll anhand einer kleinen, willkürlich zusammengestellten Auswahl von Aspekten deutlich werden, welche Bedeutung Stendhals Liebestheorie für die Entwicklung der Charaktere und ihrer Gemütszustände in seinem letzten vollendeten Roman hat (3.1). Im Blickpunkt steht dabei die Liebe zwischen Fabrice Del Dongo und Clelia Conti einerseits und zwischen Gina Del Dongo und dem Grafen Mosca andererseits. Diese Untersuchung gilt der Frage, wie sich die Konzeption der höfischen Liebe in diesem Roman manifestiert (3.2). Es wird anhand der Liebe zwischen Fabrizio und Clelia aufgezeigt, dass sich Stendhal bei der Entwicklung der Charaktere in vielem an der provenzalischen Liebeskonzeption orientiert hat. Den Schluss dieser Arbeit wird Kapitel 4 bilden, in dem dargestellt wird, wie Stendhal die Liebeskonzeptionen der Franzosen bzw. der Italiener beurteilt.
In der vorliegenden Arbeit wurde mit einer Fassung von De l’Amour von 1927 gearbeitet, die im Downloadbereich der Internetseiten der Bibliothèque Gallica bereitgestellt ist. Da die beiden Teile von De l’Amour in dieser Fassung in zwei Bänden erschienen sind und beide Bände mit der Seitennummerierung bei Null anfangen, habe ich in den Fußnoten die Bände mit den römischen Ziffern I und II kenntlich gemacht. Zudem sind die Zitatnachweise zu Stendhals De l’Amour und La Chartreuse de Parme, der besseren Lesbarkeit wegen, in den Fußnoten entsprechend dem jeweiligen Titel kenntlich gemacht, weil im Wesentlichen aus diesen beiden Werken zitiert wurde. Es wurde angestrebt, den größten Teil dieser Hausarbeit anhand der Primärliteratur direkt zu erarbeiten. Sekundärliteratur wurde nur in sehr geringem Umfang hinzugezogen und erschloss sich weitestgehend aus der Aufsatzrecherche im Internet und den in diesen Aufsätzen zitierten Werken.
2 De l’Amour und die Liebeskonzeption Stendhals
2.1 Die Arten der Liebe und die Phasen ihrer Entstehung
Auf systematische, analysierende, klassifizierende Weise Erkenntnisse zu erlangen, war noch bis Anfang des 19. Jahrhundert eher den exakten bzw. Naturwissenschaften vorbehalten. Stendhals Zeit aber ist von theoretisch-wissenschaftlichen Erklärungsversuchen für alle möglichen Phänomene des alltäglichen Lebens geprägt, seien sie abstrakt oder nicht. So haben viele Disziplinen der modernen Wissenschaften ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, wie z. B. die moderne Linguistik, die moderne Medizin, die Psychologie, um nur einige zu nennen.
Wie bereits erwähnt, geht die Literaturwissenschaft allgemein davon aus, dass Stendhal De l’Amour zur persönlichen Problembewältigung verfasste. Dazu wählte er das Instrumentarium einer wissenschaftlichen bzw. theoretischen Abhandlung über die Liebe, was im Hinblick auf den oben erwähnten allgemeinen Drang nach Erkenntnisgewinnung ausgesprochen zeitgemäß war. Stendhals Ziel war es, mit De l’Amour eine „Physiologie de l’amour“[5] zu schaffen. Dadurch erklärt sich sein Anliegen, diesen Begriff zunächst einmal zu definieren. Er versucht dies, indem er verschiedene Arten der Liebe unterscheidet und die Entstehung der Liebe in abgrenzbare Phasen unterteilt.
In Kapitel 1 zählt er vier Arten der Liebe auf: „l’amour-passion“, „l’amour-goût“, „l’amour physique“ und „l’amour de vanité“[6]. Zur Illustration Ersterer nennt Stendhal als Beispiel die Liebe „de la religieuse portugaise“. Damit bezieht er sich auf Lettres d’Amour D’une Religieuse Portugaise Éscrites Au Chevalier De C, wo eine Nonne in 5 Briefen ihre hoffnungslose Leidenschaft und ihre Sündhaftigkeit beschreibt. Als weiteres Beispiel dient Stendhal die Liebe der Héloise. Héloise und Abaelard, waren das wohl bekannteste Liebespaar des Mittelalters, aus Liebe zu Abaelard trat Héloise in das Kloster Le Paraclet ein. In ihren Briefen an Abaelard macht sie deutlich, dass sie ihre Leidenschaft selbst über die Gottesliebe stellt,[7] was von tragender Aussagekraft ist.
Die zweite Art der Liebe, „l’amour goût“, charakterisiert Stendhal folgendermaßen: „C’est un tableau où, jusqu’aux ombres, tout doit être couleur de rose, où il ne doit entrer rien de désagréable [...] rien n’y étant passion et imprévu […].“[8] Diese Liebe aus gegenseitigem Gefallen hat demnach nichts mit einer leidenschaftlichen Liebe, wie die der Héloïse, zu tun. „L’amour [passion] est comme la fièvre, il naît et s’éteint sans que la volonté y ait la moindre part. Voilà une des principales différences de l’amour-goût et de l’amour-passion […].“[9] Stendhal macht den Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Liebe auch noch anhand eines anderen Aspekts deutlich: Der leidenschaftlich Liebende besitze eine „âme tendre“ und der aus purem Gefallen Liebende eine „âme prosaïque“ bzw. „âme vulgaire“:
„Dès qu’il s’agit des intérêts trop vifs de sa passion, une âme tendre et fière ne peut pas être éloquente auprès de ce qu’elle aime ; ne pas réussir lui fait trop de mal. L’âme vulgaire, au contraire, calcule juste les chances de succès, ne s’arrête pas à pressentir la douleur de la défaite, et, fière de ce qui la rend vulgaire, elle se moque de l’âme tendre, qui, avec tout l’esprit possible, n’a jamais l’aisance nécessaire pour dire les choses les plus simples et du succès le plus assuré.“[10]
Im Bezug auf die körperliche Liebe („L’amour-physique“) vertritt er die Meinung, jeder kenne sie und die ersten Erfahrungen werden dazu mit 16 Jahren gesammelt.[11] „L’amour de vanité“ schließlich präsentiert Stendhal folgendermaßen: „L’immense majorité des hommes [...] désire et a une femme à la mode, comme un joli cheval, comme chose nécessaire au luxe d’un jeune homme“.[12] Es handelt es sich hierbei folglich um die Liebe zu einer Person, mit der man sich schmückt oder die man sich leisten kann.
[...]
[1] De l’Amour I, 57
[2] vgl. z. B. Litto 1965, 61 oder Amer 1962, 483
[3] De l’Amour I, S. 3
[4] vgl. De l’Amour I, S. 9/10
[5] De l’Amour I, S. 17
[6] De l’Amour I, S. 26
[7] vgl. Hausmann (1996), S. 188
[8] De l’Amour I, S. 28
[9] De l’Amour I, S. 44
[10] De l’Amour I, S. 106
[11] vgl. De l’Amour I, S. 28
[12] De l’Amour I, S. 29
- Citation du texte
- Antje Adams (Auteur), 2005, De l'Amour und La Chartreuse de Parme - Die Liebeskonzeption bei Stendhal, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35148
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