Der verfasste Fallbericht folgt der von Krankenkassen verlangten Form, in der Psychologen ihre Patienten beschreiben müssen. Der Fall Angela stammt von der APA Website, auf der ihre Therapiesitzungen zur Bekämpfung der Bulimie festgehalten sind.
Inhaltsverzeichnis
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Lebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten und Krankheitsanamnese
Psychischer Befund
a. Intellektuelle Leistungsfähigkeit und Differenziertheit der Persönlichkeit
b. Psychopathologischer Befund
Verhaltensanalyse
SORKC Modell
Diagnose zum Zeitpunkt der Antragstellung
Therapieziele
Prognose
Behandlungsverlauf und -ergebnis
Behandlungsergebnis:
Angaben zur spontan berichteten und erfragten Symptomatik
Die Patientin berichtet, sie leide seit ihrem 20. Lebensjahr an Bulimie. Diese äußere sich bei ihr durch Erbrechen, vom Missbrauch von Laktanzien, Diorethika etc. berichtet sie nicht. Sie schildert weiter, sie könne die Krankheit nicht kontrollieren. Nur während ihrer zwei Schwangerschaften, sei sie in der Lage gewesen, dem Drang zu erbrechen, nicht nachzugeben, um „meinen Kindern nicht zu schaden“. Die Bulimie habe als harmloses Instrument angefangen, Gewicht zu verlieren und sei zu einer „Sucht“ geworden. Aktuell erbreche sie ca. 5 bis 10 Mal am Tag.
Lebensgeschichtliche Entwicklung des Patienten und Krankheitsanamnese
Die Patientin wuchs in einer kinderreichen Familie auf. Der Vater findet in ihrem Bericht keine Erwähnung nur die Mutter wird einige Male erwähnt. Ihre körperliche Entwicklung setzte sehr früh ein, früher als bei ihren Klassenkameradinnen und ihren Schwestern. Das bereitete ihr großes Unbehagen, da sie häufig Blicke und Kommentare von älteren Männern auf sich zog. In der Folge versuchte sie, diese Situationen zu vermeiden, einerseits durch kaschierende Kleidung, andererseits durch Vermeidung spezifischer Orte. Sexuelle Missbräuche habe es nicht gegeben. Die Patientin litt sehr darunter „anders“ auszusehen als die Anderen, wurde oft gehänselt und als „fett“ bezeichnet. Laut eigener Aussage konnte sie nie ein positives Körperbild entwickeln. Bis zum heutigen Tage müsse sie sich stets mit anderen Frauen vergleichen und schneide bei diesen Vergleichen nie gut ab, was ihr nicht erlaube, sich wohl in ihrer Haut zu fühlen und sich generell als wertvoll zu erachten. Außerdem interpretiere sie viel in das Verhalten von Anderen hinein. Die ständigen Vergleiche seien anstrengend und drückten ihre Stimmung. Außerdem führe es dazu, dass sie durch Erbrechen versuche, ihre Figur zu optimieren.
Sie berichtet weiter, dass ihre Mutter und sie gerade obdachlos gewesen seien, als sie ihren ersten Freund kennenlernte. Aus dieser etwa 10-jährigen Beziehung stammt ihr erstes Kind. Die Beziehung sei für sie sehr schmerzhaft gewesen. Ihr Freund habe sie oft betrogen, beschimpft und belogen. Die Beziehung sei nicht auf Augenhöhe gewesen. Sie habe alles getan, um ihm zu gefallen. Aufgrund ihrer Erfahrungen habe sie den Leitsatz: „Ich bin nicht gut genug“ entwickelt und das Erbrechen sei für sie eine Lösung gewesen, ihren Körper zu kontrollieren. Ansonsten kreisen ihre Gedanken häufig um essensbezogene Themen. Schon während dieser Beziehung sei sie zurück ans College gegangen, um sich weiter zu bilden, sie würde gerne einen Abschluss in Psychologie machen.
Mit ihrem jetzigen Ehemann führe sie eine glückliche Ehe. Bereits nach einem Tag habe sie ihm von ihrer Problematik berichtet. Auch ihre Mutter, Schwester und ihren besten Freund habe sie eingeweiht. Thema sei es seitdem allerdings nie wieder gewesen und generell ist es für sie aversiv besetzt, sich jemandem anzuvertrauen und damit Schwäche zu zeigen. Sie berichtet von ihrer Cousine, die eine wichtige Bezugsperson und eine Art Vorbild für sie sei. Die Patientin überlegt, sie ebenfalls einzuweihen, um noch mehr Unterstützung zu erhalten.
Bereits zweimal begann die Patientin eine Therapie, die sie allerdings abbrach, da ihr lediglich Speisepläne ausgeteilt worden seien. Durch das häufige Erbrechen habe sie Zahnprobleme, Schweißausbrüche und von Zeit zu Zeit Herzflattern.
Psychischer Befund
a. Intellektuelle Leistungsfähigkeit und Differenziertheit der Persönlichkeit
In der „Symptom-Checkliste-90-R“ (SCL) weist die Patientin zu Beginn der Therapie leicht erhöhte Werte auf (GSI: T=61; PSDI: T=64; PST: T=56). In den spezifischen Bereichen sind zwei Werte besonders auffällig „Unsicherheit im sozialen Kontakt (T=80) und „Depressivität“ (T=65).
Im „Fragebogen zum Essverhalten“ (FEV) zeigt die Patientin in der Skala „kognitive Kontrolle des Essverhaltens/gezügeltes Essverhalten“ einen hohen Wert (Rohwert: 13) in der Skala „Störbarkeit des Essverhaltens“ einen sehr hohen Wert (Rohwert: 12) in der Skala „Rigide Kontrolle des Essverhaltens“ einen sehr hohen Wert (Rohwert: 11) und in der Skala „Flexible Kontrolle des Essverhaltens“ ebenfalls einen sehr hohen Wert (Rohwert: 11). Es wäre möglich, dass die Patientin die flexible Kontrolle des Essverhaltens als langfristige Strategie betreibt und kurzfristig auch rigide Kontrolle ausübt, wodurch die hohen Werte in beiden Bereichen zustande kommen.
Der Summenwert der Patientin im Testverfahren „Beck-Depressions-Inventar“ (BDI II) (Rohwert: 29) befindet sich zwar am unteren Ende der Skala, die auf eine schwere Depression hinweist (Rohwerte von 29 bis 63), soll aber mit dem Wissen der jahrelangen deutlichen Belastung der Patientin als Ausdruck schwerer Depressivität gewertet werden.
b. Psychopathologischer Befund
Die Patientin zeigt im Erstgespräch ein zurückhaltendes, leicht schüchternes Verhalten und äußert sich hoffnungslos bezüglich ihrer Zukunft – sie kann sich nicht vorstellen, frei von ihrer Krankheit zu sein. In den darauffolgenden Sitzungen wird sie immer offener. Ihr äußeres Erscheinungsbild ist gepflegt. Die Patientin ist wach und zu allen Qualitäten voll orientiert. Sie ist motiviert auf Fragen zu antworten, kann aber nicht immer den Sinn der ihr gestellten Fragen erfassen, bleibt Antworten häufig schuldig und kann die Gedankengänge des Therapeuten oft nicht nachvollziehen. Die gestellten spezifischen Hausaufgaben erledigt sie zwar motiviert, weicht aber häufig von der Aufgabenstellung ab und schreibt eher allgemein über ihr Krankheitsbild. Gute Introspektionsfähigkeit ist nicht immer gegeben. Der erreichte Bildungsabschluss lässt auf durchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten schließen. Trotz Erreichen ihrer selbstgesteckten Ziele, fühlt sie sich häufig ungenügend. Die Insuffizienzgefühle drängen sich vor allem in Bezug auf ihr äußeres Erscheinungsbild auf. In einigen Gesprächssituationen wird ihre emotionale Schwingungsfähigkeit deutlich. Es liegen keine Bewusstseinsstörungen, Störungen der mnestischen Funktionen oder Wahnsymptomatik vor. Akute Suizidgedanken wie auch Suizidgefährdung verneint sie glaubhaft.
Verhaltensanalyse
Die Probleme der Patientin sind als Folge früher Erfahrungen in ihrer dysfunktionalen Familie zu verstehen. Bereits in jungen Jahren wurde ihr eine verantwortungsvolle Rolle zugeordnet, die sie so gut wie möglich zu erfüllen suchte. Somit etablierte sich das Grundmuster, es allen recht machen zu wollen. Die frühe Abwesenheit des Vaters löste bei ihr eine starke Bindungsunsicherheit aus. Die Hänseleien betreffend ihrer Figur begünstigten die Entwicklung einer selbstunsicheren Persönlichkeitsstruktur noch. Diese verstärkt sich zusätzlich durch ihre erste langjährige Beziehung zum Vater ihrer Tochter. Dieser kritisiert und betrügt sie und zeigt gewalttätiges Verhalten, wodurch sich der Leitsatz: „Ich bin nicht gut genug“, in ihr verstärkt.
Nach Garfinkel und Garner (1986) gibt es vier Risikofaktoren, die die Entstehung einer Bulimia Nervosa wahrscheinlich machen. Der erste Punkt bezeichnet Probleme der Autonomieentwicklung und Identitätsfindung. Die Patientin begibt sich wiederholt in Abhängigkeiten, zum Beispiel zog sie bei ihrem ersten Freund ein, weil sie und ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt obdachlos waren. Punkt zwei nach Garfinkel und Garner sind Störungen der Wahrnehmung und Bewertung des eigenen Körpers. Die Patientin wertet stets ihren Körper im Vergleich zur Figur anderer Frauen ab. Der Drang es ihrem Umfeld recht zu machen und perfekt, d.h. dünn zu sein, wird immer stärker. Auf diesen Aspekt verweisen Garfinkel und Garner in Punkt 3: die Persönlichkeit ist stark abhängig von externen Normen. Auch der vierte Punkt: Alles-oder-nichts-Denken im kognitiven Bereich ist bei der Patientin bereits früh vorhanden und verstärkt sich immer weiter, alles muss perfekt gemacht werden, damit es richtig ist. In diesem Klima konnte sich die, mittlerweile 19 Jahre andauernde Bulimia Nervosa entwickeln. Das Erbrechen ist für die Patientin mittlerweile nicht mehr nur ein Mittel, um nicht zuzunehmen, sondern auch ein kurzfristiger Stressabbau. Das kurzzeitige Gefühl der Kontrolle hilft ihr die Anforderungen des Alltags besser zu meistern.
SORKC Modell
Mikroanalyse des Verhaltens in Situationen sozialer Herausforderungen:
- S: Es gibt verschiedene auslösende Situationen. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie die Patientin in ihrem Selbstwertgefühl angreifen und zu einer erhöhten inneren Anspannung führen. Hier wird die folgende Situation exploriert: die Patientin ist im Einkaufszentrum und sieht eine schlanke Frau, mit der sie sich vergleicht.
- O: Aufgrund ihrer weiblichen Figur und des frühen Eintretens in die Pubertät entwickelte die Patientin nie ein gesundes Selbstbild. Ihr Ziel ist, ihr Selbstwertgefühl durch das Erbrechen zu stabilisieren und sich vom schlechten Gewissen nach einem Essanfall zu befreien.
- Rkogn: „Ich will jedem gefallen.“ „Ich muss perfekt sein.“ „Ich bin nicht gut genug.“
- Remot: Schmerz, Frustration, Traurigkeit, innere Unruhe
- Rverh: Die Patientin zieht sich zurück und induziert Erbrechen, um ihr Gewicht zu reduzieren. Sie beschäftigt sich auch gedanklich exzessiv mit dem Essen und versucht immer wieder ihre eigentlichen Bedürfnisse zu unterdrücken.
- Rphys: Die Patientin leidet unter Herzrasen, Magenschmerzen und Sodbrennen. Durch das häufige Erbrechen werden ihre Zähne in Mitleidenschaft gezogen.
- K: Intermittierend.
- C+ (kurzfristig): Die Patientin erlebt Genugtuung und Euphorie durch das Wissen eine einfache Lösung zur Gewichtsregulation gefunden zu haben. Sie induziert Erbrechen, um Spannungsabbau zu erleben und sich den Anforderungen des Alltags zu entziehen.
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- Quote paper
- Lea Freudenstein (Author), 2016, Fallbeispiel einer an Bulimie leidenden Patientin. Verhaltensanalyse, Diagnose und Therapie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351465
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