Zen-Gärten - Zen-Meditation - Zen-Philosophie. In der westlichen Welt geht von diesen Begriffen eine gewisse Faszination aus. Wir verbinden sie mit Japan, mit sorgsam geharkten Gärten und einer östlichen und deshalb mystischen, schwer durchdringbaren Lebens- und Denkweise. Dass diese Begriffe etwas mit der Lehre des Buddhismus zu tun haben, ist wahrscheinlich noch weitgehend bekannt. Doch dass der Buddhismus zunächst nach China gelangte, dort eine beachtliche Transformation vollzog und erst dann Verbreitung in Japan fand, dürfte so manchem neu sein. In dieser Verschriftlichung meines Vortrags soll die Entstehung des Chan-Buddhismus nachvollziehbar gemacht werden und grundlegende Elemente der Glaubenslehre thematisiert werden.
Einleitend möchte ich die Geschichte des Chan-Buddhismus und seinen Weg von Indien nach China betrachten. Hierbei soll ein besonderes Augenmerk auf die Integration buddhistischer Lehren in die chinesische Kultur und das Zusammentreffen mit den Lehren des Daoismus und des Konfuzianismus gelegt werden. Anschließend erfolgt eine Einordnung des Chan-Buddhismus in die Schule des Mahayana-Buddhismus.
Die prominente Rolle der Glaubensväter des Chan-Buddhismus, der Patriarchen, wird anhand von den zwei herausragenden Chan-Meistern Bodhidharma und Hui Neng veranschaulicht, wobei ich im Falle von Hui Neng auch auf seine prägende reformatorische Arbeit für seine Glaubensrichtung eingehen will, die als Grundstein für die Herausbildung der Chan-Schule des Buddhismus angesehen wird. Im letzten abschließenden Kapitel soll die Praxis des Chan mittels der Sitzmeditation und dem Lösen paradoxer Lehrsätze behandelt werden, um verständlich zu machen, welche Umsetzung der wichtige Chan-Grundsatz der „unorthodoxen Lehre“ erfährt. Zuletzt möchte ich die neugewonnenen Erkenntnisse noch einmal zusammenfassen und einen Ausblick zu möglichen weiteren Forschungsfeldern auf dem Gebiet des Chan-Buddhismus geben.
Inhaltverzeichnis
1) EINLEITUNG
2) VOM INDISCHEN „DHYANA“ ZUM CHINESISCHEN CHAN- BUDDHISMUS
3) VERORTUNG DES CHAN IN DEN SCHULEN DES BUDDHISMUS
4) DIE PATRIARCHEN DES CHAN
4.1) Der erste Patriarch Bodhidharma
4.2) Der sechste Patriarch Hui Neng
5) DIE PRAXIS DES CHAN
5.1) Die Sitzmeditation - Tso Chan
5.2) Das Lösen paradoxer Lehrsätze - Gongan
6) ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Literaturverzeichnis
1) Einleitung
Zen-Gärten - Zen-Meditation - Zen-Philosophie. In der westlichen Welt geht von diesen Begriffen eine gewisse Faszination aus. Wir verbinden sie mit Japan, mit sorgsam geharkten Gärten und einer östlichen und deshalb mystischen, schwer durchdringbaren Lebens- und Denkweise. Dass diese Begriffe etwas mit der Lehre des Buddhismus zu tun haben, ist wahrscheinlich noch weitgehend bekannt. Doch dass der Buddhismus zunächst nach China gelangte, dort eine beachtliche Transformation vollzog und erst dann Verbreitung in Japan fand, dürfte so manchem neu sein. In dieser Verschriftlichung meines Vortrags - im Rahmen des Seminars „Einführung in den Mahayana-Buddhismus am Beispiel des Zen“ bei Dr. Thanh Ho - soll die Entstehung des Chan-Buddhismus nachvollziehbar gemacht werden und grundlegende Elemente der Glaubenslehre thematisiert werden. Einleitend möchte ich die Geschichte des Chan-Buddhismus und seinen Weg von Indien nach China betrachten. Hierbei soll ein besonderes Augenmerk auf die Integration buddhistischer Lehren in die chinesische Kultur und das Zusammentreffen mit den Lehren des Daoismus und des Konfuzianismus gelegt werden. Anschließend erfolgt eine Einordnung des Chan-Buddhismus in die Schule des Mahayana-Buddhismus. Die prominente Rolle der Glaubensväter des Chan-Buddhismus, der Patriarchen, wird anhand von den zwei herausragenden Chan-Meistern Bodhidharma und Hui Neng veranschaulicht, wobei ich im Falle von Hui Neng auch auf seine prägende reformatorische Arbeit für seine Glaubensrichtung eingehen will, die als Grundstein für die Herausbildung der Chan-Schule des Buddhismus angesehen wird. Im letzten abschließenden Kapitel soll die Praxis des Chan mittels der Sitzmeditation und dem Lösen paradoxer Lehrsätze behandelt werden, um verständlich zu machen, welche Umsetzung der wichtige Chan-Grundsatz der „unorthodoxen Lehre“1 erfährt. Zuletzt möchte ich die neugewonnenen Erkenntnisse noch einmal zusammenfassen und einen Ausblick zu möglichen weiteren Forschungsfeldern auf dem Gebiet des Chan- Buddhismus geben.
2) Vom indischen „dhyana“ zum chinesischen Chan-Buddhismus
Bereits in den ersten zwei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, der Zeit der chinesischen Han-Dynastie, breitete sich die buddhistische Schule des Mahayana in China aus. Die Lehre gelangte über die Handelsroute der Seidenstraße von Indien in das heutige China.2 Zunächst erschwerten jedoch die institutionalisierten Religionen des Daoismus und des Konfuzianismus als staatstragende und etablierte Glaubensrichtungen die flächendeckende Ausbreitung des Buddhismus in China.3 Der indische Buddhismus musste sich somit den lokalen Gegebenheiten in China anpassen, um neue Anhänger zu finden und von staatlicher Seite akzeptiert zu werden. Die Übersetzung der Sutren - der buddhistischen Lehrtexte - aus dem Sanskrit ins Chinesische bereitete Schwierigkeiten, sodass in einigen Fällen auf Begriffe aus dem Daoismus zurückgegriffen werden musste.4 Auch wurden zentrale Glaubenselemente, wie beispielsweise der Verzicht auf theoretische Erörterungen von Glaubensfragen, zugunsten von konkreten Beispielen und Anekdoten als Lehrmethode aus dem Daoismus übernommen.5
Ein wichtiger Reformer des Buddhismus in China war Meister Dao An (312 oder 314-358). Er trug maßgeblich zur „Assimilierung und Integration des Buddhismus in die chinesische Kultur [...]“6 bei. Hierfür war es nötig, die theoretischen Grundsätze des Buddhismus an die Vorstellungen des staatstragenden Konfuzianismus anzupassen. Ein Beispiel für einen solchen Versuch bietet der Fall der kindlichen Pietät. Im traditionell buddhistischen Verständnis bedeutet die kindliche Pietät, dass das Kind der Familie, welches in einen Mönchsorden eintritt, von Verpflichtungen gegenüber der eigenen Familie befreit ist, da es ab diesem Moment allen Kreaturen verpflichtet ist und eine hierarchische Abstufung der Hilfeleistung verhindert werden soll.7 Dies stand im unüberwindbaren Gegensatz zu den Vorstellungen des von konfuzianischen Gedanken geprägten chinesischen Staatsapparates, der die uneingeschränkte Loyalität der Kinder zu ihren Eltern und letztendlich auch zum Staat sehr hoch einordnete. In Reaktion auf diese Differenzen veranlasste Dao An Reformen, die sich in Änderungen buddhistischer Lehrtexte in ihrer chinesischen Übersetzung niederschlugen. Die kindliche Pietät, in Form der uneingeschränkten Loyalität des Kindes gegenüber Familie und Staat, wurde somit Bestandteil des chinesischen Buddhismus, letztendlich, um den kulturellen Gepflogenheiten der Chinesen gerecht zu werden.8 Dao An reformierte auch das Mönchsleben, indem er Tempel errichten ließ, in welchen Landwirtschaft zur Selbstversorgung betrieben wurde. Den Mönchen, die bis dahin auf der Wanderschaft lebten, verhalf er somit zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit. In der Folge breitete sich der Buddhismus in China flächendeckend aus.9 Eine Zeit des relativen Friedens und der religiösen Freiheit vom 6. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts erleichterten dies zusätzlich.10 Angeführt von den sechs Patriarchen als Religionsstifter prägte sich der Chan als eigenständige und bestimmbare Lehrform des Buddhismus heraus. Ein wichtiger Wendepunkt ist die Zeit um 700. Zu Zeiten dieser Jahrhundertwende entstanden die zwei Hauptströmungen des Chan: die Südliche Schule des Hui Neng, die von der Möglichkeit des plötzlichen Erwachens ausging und auf der anderen Seite die Nördliche Schule des Shen Hsius, die einen allmählichen Weg zur Erkenntnis vertrat. Die Schule des plötzlichen Erwachens setzte sich im weiteren Verlauf durch und überlebte die Nördliche Schule, die wenige Jahre nach Shen Hsius Tod erlosch.11 Eine weitere Teilung des Chan-Buddhismus erfolgte im 9. Jahrhundert, als sich die verschiedenen Zweige des Chan herausbildeten, die man als die „Fünf Häuser des Chan“ bezeichnet. Die meisten Anhänger besitzen die Häuser Lin Chi und Tsao Tung, wobei die Lehre des Lin Chi unorthodoxe Lehrformen verfolgt, wie zum Beispiel das Lösen von paradoxen Sätzen zum Ziel einer plötzlichen Erkenntnis. Die Schule des Tsao-tung beruft sich hingegen auf traditionelle stille Meditationstechniken unter der Anleitung eines Meisters.12
Die große Anhängerschaft des Chan-Buddhismus im 9. Jahrhundert - amtliche Quellen sprechen von rund 260.000 Mönchen und Nonnen - erschien dem konfuzianisch geprägten Staat als potentielle Gefährdung.13 Diese Sorge speiste sich aus der Nähe des Buddhismus zu der unzufriedenen Bauernschaft und streitlustigen Fremddynastien, die in regelmäßigen Abständen gegen den Staat aufbegehrten und sich die geistige Unterstützung der buddhistischen Orden sicherten.14 Folge war die Verfolgung von Buddhisten, sowie „antibuddhistische Steuergebungen“15, die sich gegen die Mönchs- und Nonnenorden richteten. Im 9. Jahrhundert strebte der Staat sogar eine Säkularisierung an, der die Chan-Mönche zwang, in den Laienstand zurückzukehren und ihre Orden aufzulösen.16 Trotzdem entging der Chan- Buddhismus seiner Verfolgung und den staatlichen Repressalien weitestgehend unbeschadet. Dies mag daran liegen, dass die selbstverordnete Unabhängigkeit von Texten und materiellen Gütern wie Heiligenstatuen, die durch die Zerstörung vieler Tempel unwiederbringlich vernichtet wurden, verkraften ließ und kein Hindernis für die Wiederaufnahme der Lehre darstellte.17 In der Zeit der Sung-Dynastie vom 11. bis zum 13. Jahrhundert erlebte der Chan-Buddhismus dann eine Blütezeit. Dieses Gefühl der wirtschaftlichen und staatlichen Sicherheit deutet Claudius Müller als Nährboden für eine „intellektuelle[...] Erstarrung“18 in der Entwicklung des Chan- Buddhismus. Als Beispiel hierfür führt er die Milderung der radikalen Ablehnung von Buchwissen an, die als Grundsatz des Chan-Buddhismus zu werten ist. Produkt dieser Neuorientierung sind die Niederschriften der Gongan-Sammlungen, auf die gegen Ende der Arbeit noch einmal kurz eingegangen werden soll.19 Nach der Blütezeit des Chan-Buddhismus bis zum 13. Jahrhundert nahm seine Bedeutung in China immer weiter ab. Er war jedoch weiterhin Bestandteil der chinesischen Philosophie und fest im Volksglauben verankert. Ab dem 11. Jahrhundert setzte die Verbreitung der Lehre des Chan in Japan ein. Aufgrund der dortigen kulturellen und volksreligiösen Umstände transformierte sich der Chan-Buddhismus abermals, diesmal zu einer spezifisch japanischen Strömung des Chan, dem Zen-Buddhismus. Erst ab etwa 1930 gelangte die Lehre des Chan-Buddhismus nach Europa und Amerika, stößt seitdem auf großes Interesse und findet viele neue Anhänger.20
3) Verortung des Chan in den Schulen des Buddhismus
Der Chan-Buddhismus ist der buddhistischen Schule des Mahayana-Buddhismus zuzuordnen.
[...]
1 HUI, Jing: Die Tore des Chan-Buddhismus; Bielefeld 2010, S.35.
2 ZÜRCHER, Erik: Buddhismus in China, Korea und Vietnam in: H. Bechert/ R. Gombrich (Hrsg.): Der Buddhismus. Geschichte und Gegenwart, München 1984, S.215.
3 VON BRÜCK, Michael: Zen. Geschichte und Praxis, München 2004, S.20.
4 RICHTSFELD, Bruno J.: Konfuzianismus-Daoismus-Buddhismus in: Claudius Müller (Hrsg.): Wege der Götter und Menschen. Religionen im traditionellen China, Berlin 1989, S.56.
5 BOTTINI, Oliver: Das große O.W. Barth-Buch des Buddhismus, Frankfurt a. Main 2004,, S.176 f.
6 Hui 2010, S.108.
7 Ebd.
8 Hui 2010, S.109.
9 Ebd., S.109 f.
10 MÜLLER, Claudius: Zen und die Kultur Japans, Berlin 1993, S.13.
11 Ebd.
12 Müller 1993, S.14.
13 Zürcher 1984, S.237.
14 Müller 1993, S.14.
15 Ebd.
16 Richtsfeld 1989, S.56.
17 Müller 1993, S.16.
18 Ebd.
19 Ebd.
20 Ebd., S.11.
- Arbeit zitieren
- Laszlo Rupp (Autor:in), 2016, Entstehung, Entwicklung und Inhalte des Chan-Buddhismus in China, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/351307
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