Über die massiven innenpolitischen Auseinandersetzungen um die neue Ost- und Deutschlandpolitik seit Ende der 60er Jahre schrieb der Historiker Klaus Hildebrand: ,,Erst der Blick durch ein gleichsam umgekehrtes Fernrohr läßt aufgrund der so gewonnenen Distanz des Beobachters die Einschnitte und Brüche der Ostpolitik weniger ins Auge stechen. Dem gegenüber scheinen sie dem in der Auseinandersetzung um die richtige Politik verwickelten Zeitgenossen meilenweit voneinander entfernt zu sein." In der Tat wurde die Konzeptionsphase der ,,Neuen Ostpolitik, der Abschluß der Verträge und ihre Ratifizierung innenpolitisch von einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung über die Ostpolitik begleitet, die sich in ihrer Intensität in der Bundesrepublik allenfalls mit der Diskussion um die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren vergleichen läßt.
Gleichzeitig rief die heftige Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition über die Ost- und Deutschlandpolitik auch innerhalb der CDU/CSU eine Kontroverse hervor, die zumindest die Fraktion der Union nach Ansicht von Hans-Peter Schwarz in ,,die tiefste Krise ihrer Geschichte" zu stürzen vermochte. Wie Schwarz ebenso feststellt, steht eine ,,histographisch einigermaßen definitive, abgewogene" Darstellung dieser ,,selbstzerfleischenden innerparteilichen Kontroverse" noch aus.
Ohne im entferntesten eine Anspruch auf ,,Definität" zu stellen, soll diese Darstellung den oppositionellen Argumentationsverlauf, die Zielsetzung der CDU/CSU und die Strategie zu deren Umsetzung untersuchen. Im Zentrum der Betrachtung steht dabei die Ratifizierung der Ostverträge, von der ausgehend sich zahlreiche Rückschlüsse auf das Verhalten der 6. Opposition im Deutschen Bundestag ziehen lassen. Wie die Darstellung zeigen wird, fällt eine Zuordnung der Unionsstrategie in die von Robert A. Dahl erstmals umfassend herausgearbeiteten Alternativen oppositionellen Verhaltens im Parlament äußerst schwer. Über den gesamten Verlauf der 6. Legislaturperiode hinweg läßt sich die CDU/CSU weder als eindeutig ,,kooperative" noch als rein ,,kompetitive" Opposition kennzeichnen. Die Gründe hierfür gilt es herauszustellen. Mit Rücksicht auf den begrenzten Umfang der Arbeit können die innerparteilichen Wurzeln und Motive der außenpolitischen Vorstellungen der Union nur in Ansätzen Erwähnung finden. Ebenso müssen die deutsch-deutschen Verhandlungen dieses Zeitraums weitgehend ausgeklammert bleiben.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Historische, strategische und personelle Ausgangslage
1) Die ,,verhinderte Regierungspartei"
2) Strategische Konsequenzen aus dem Wahlergebnis
3) Die Protagonisten der Union und ihre Vorstellungen
III. Die Union und die ersten ost- und deutschlandpolitischen Initiativen der neuen Regierung
IV. Die Union und die Ostverträge
1) Verhandlungsphase des Moskauer Vertrags
2) Vorbehaltsstrategie und abgestufte Kritik
3) Die CDU/CSU und der Warschauer Vertrag
4) Das Berlin-Abkommen: Taktieren mit dem Junktim
5) Bedingungen für die Ostverträge
V. Die Ratifizierung der Ostverträge
1) Das Konstruktive Mißtrauensvotum als Wegbereiter für die ,,Gemeinsame Erklärung"
2) Die Stunde der Wahrheit: Ratifikation im Bundestag
3) Analyse des Abstimmungsverhalten und dessen Folgen
VI. Schlußbetrachtung
I. Einleitung
Über die massiven innenpolitischen Auseinandersetzungen um die neue Ost- und Deutschlandpolitik seit Ende der 60er Jahre schrieb der Historiker Klaus Hildebrand: ,,Erst der Blick durch ein gleichsam umgekehrtes Fernrohr läßt aufgrund der so gewonnenen Distanz des Beobachters die Einschnitte und Brüche der Ostpolitik weniger ins Auge stechen. Dem gegenüber scheinen sie dem in der Auseinandersetzung um die richtige Politik verwickelten Zeitgenossen meilenweit voneinander entfernt zu sein."[1] In der Tat wurde die Konzeptionsphase der ,,Neuen Ostpolitik, der Abschluß der Verträge und ihre Ratifizierung innenpolitisch von einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung über die Ostpolitik begleitet, die sich in ihrer Intensität in der Bundesrepublik allenfalls mit der Diskussion um die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren vergleichen läßt.[2]
Gleichzeitig rief die heftige Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition über die Ost- und Deutschlandpolitik auch innerhalb der CDU/CSU eine Kontroverse hervor, die zumindest die Fraktion der Union nach Ansicht von Hans-Peter Schwarz in ,,die tiefste Krise ihrer Geschichte" zu stürzen vermochte.[3] Wie Schwarz ebenso feststellt, steht eine ,,histographisch einigermaßen definitive, abgewogene" Darstellung dieser ,,selbstzerfleischenden innerparteilichen Kontroverse"[4] noch aus.
Ohne im entferntesten eine Anspruch auf ,,Definität" zu stellen, soll diese Darstellung den oppositionellen Argumentationsverlauf, die Zielsetzung der CDU/CSU und die Strategie zu deren Umsetzung untersuchen. Im Zentrum der Betrachtung steht dabei die Ratifizierung der Ostverträge, von der ausgehend sich zahlreiche Rückschlüsse auf das Verhalten der 6. Opposition im Deutschen Bundestag ziehen lassen. Wie die Darstellung zeigen wird, fällt eine Zuordnung der Unionsstrategie in die von Robert A. Dahl erstmals umfassend herausgearbeiteten Alternativen oppositionellen Verhaltens im Parlament äußerst schwer. Über den gesamten Verlauf der 6. Legislaturperiode hinweg läßt sich die CDU/CSU weder als eindeutig ,,kooperative" noch als rein ,,kompetitive" [5] Opposition kennzeichnen. Die Gründe hierfür gilt es herauszustellen. Mit Rücksicht auf den begrenzten Umfang der Arbeit können die innerparteilichen Wurzeln und Motive der außenpolitischen Vorstellungen der Union nur in Ansätzen Erwähnung finden. Ebenso müssen die deutsch-deutschen Verhandlungen dieses Zeitraums weitgehend ausgeklammert bleiben. Eine Kenntnis der außenpolitischen Initiativen durch die Regierung wird vorausgesetzt.
Da spätestens seit Mitte der achtziger Jahre ein stark abnehmendes Forschungsinteresse an dieser Thematik festzustellen ist, orientiert sich die Arbeit zwar an den vorhandenen Standardwerken. Darüber hinaus wird indes versucht, durch das Studium der Primärquellen zusätzliche Aspekte herauszuarbeiten.
II. Historische, strategische und personelle Ausgangslage
1) Die ,,verhinderte Regierungspartei"
Mit einer Mehrheit von nur 12 stimmberechtigten Abgeordneten war die Koalition aus SPD und FDP im Oktober 1969 zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik als Sieger aus einer Bundestagswahl hervorgegangen. Mit Willy Brandt zog erstmals ein Sozialdemokrat ins Bundeskanzleramt ein. Das sozial-liberale Bündnis wurde vor allem durch die Neuorientierung der FDP seit Mitte der sechziger Jahre ermöglicht und stand programmatisch in erster Linie auf dem Fundament einer gemeinsamen Haltung in Fragen der Ost- und Deutschlandpolitik.[6]
Die CDU/CSU fand sich, obwohl sie abermals die meisten Stimmen erhielt, zum ersten Mal seit 1949 in der Opposition wieder. Die Union fühlte sich daher um ihren Wahlsieg betrogen und sah sich aus der eigenen Perzeption zu Unrecht in die Oppositionsrolle gedrängt und stellte sich nach außen hin gerne als ,,verhinderte Regierungspartei" dar.[7] Vom ,,gestohlenen Sieg", einem ,,Betriebsunfall" oder aber von einer ,,Verfälschung des Wählerwillens" war die Rede. Es galt die verzerrten Machtverhältnisse möglichst schnell wieder in den ,,rechtmäßigen" Zustand zu bringen.[8] Der von Rainer Barzel vehement betriebene Auftakt zur Reorganisation sollte sich allerdings auch in den folgenden Monaten nicht in eine Akzeptanz der neuen Situation verwandeln. Vielmehr läßt sich aus der Retrospektive über das Selbstverständnis der Union und ihr Oppositionsverhalten im 6. Deutschen Bundestag sagen, ,,daß die Fraktion den Wechsel in das Oppositionsamt in der 6. Wahlperiode im wesentlichen nicht bewältigt hat."[9]
Die Probleme der Selbstfindung in der eigenen Rolle sollten erst nach der Wahl von 1972 vollständig beseitigt werden[10] und hatten bis dahin konkrete Auswirkungen auf die Politik der Union. So ist mit der ,,Wahlniederlage" von 1969 eine rasche Umwandlung des ehemaligen ,,Kanzlerwahlvereins"[11] in eine Fraktionspartei zu beobachten. Denn der Übergang in die Opposition erforderte am dringlichsten zunächst einmal die Handlungsfähigkeit der Parlamentsfraktion, um so der schnell zu Werke tretenden Regierungskoalition vor allem auf außenpolitischem Feld entgegentreten zu können.
2) Strategische Konsequenzen aus dem Wahlergebnis
Das skizzierte Selbstverständnis der Union legt nahe, daß die Wiedererlangung der Macht für viele Abgeordnete oberste Priorität besaß. Hierzu standen der CDU/CSU-Opposition theoretisch zwei strategische Möglichkeiten offen: Das Warten auf die nächsten Wahlen nach turnusgemäß vier Jahren, was eine deutliche Profilierung und alternierende Politik der Regierung gegenüber bedurft hätte. Gerade im Bereich der Außenpolitik durfte eine deutliche Abgrenzung vom Kurs der ,,Neuen Ostpolitik" der Regierung allerdings wenig Wählerzuspruch versprechen, da ihre bisherige Ost- und Deutschlandpolitik vielerorts als erfolglos und antiquiert angesehen wurde. Als zweite Möglichkeit konnte angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse von 12 Abgeordneten ebenso auf eine vorzeitige Ablösung der Regierung spekuliert werden. So richteten sich viele Hoffnungen der Fraktion darauf, relativ bald, in jedem Fall aber noch vor Ende der Legislaturperiode, die Regierung mit Hilfe eines Mißtrauensvotums zu übernehmen.[12] Im Mittelpunkt der Überlegungen standen in erster Linie die Gruppe konservativer FDP-Abgeordneter, die früher enge Kontakte zur CDU/CSU unterhalten hatten. Die Spekulationen reichten von einem Koalitionswechsel der FDP über den Zerfall der FDP wegen weiterer Niederlagen bei Landtagswahlen bis zum Übertritt einzelner FDP-Abgeordneter. Derartige taktische Planungen besaßen innerhalb der Union jedenfalls höheren Stellenwert als die Überlegung, sich in vier Jahren der Opposition neu für die Übernahme der Regierungsverantwortung zu profilieren. Dies beruhte auf der Analyse der Union, eine echte Volkspartei mit Mitgliedern und Wählern aus allen Bevölkerungsteilen zu sein. War man noch in der Regierungsverantwortung, konnten die diversen Interessen relativ leicht berücksichtigt werden. In der Opposition besaß die Union zunächst aber kein Instrumentarium, um weiterhin eine breite Integrationswirkung zu erzielen.[13]
Die Variante der vorzeitigen Regierungsübernahme mußte aber zwangsläufig auf eine Annäherung zur FDP ausgerichtet sein, was eine allzu scharfe Gegenposition zur Regierungslinie nicht zugelassen hätte. Das in der Folge untersuchte Verhaltensmuster der Union in Fragen der Ost und Deutschlandpolitik muß von daher auch vor dem Hintergrund dieser antagonistischen strategischen Alternativen verstanden werden.
Die gleich nach den Wahlen geäußerten Ansichten von Fraktionschef Barzel, wonach die Union sich auf ,,vier mal 365 Tage und Nächte" in der Opposition einzustellen habe[14], und von Kurt Georg Kiesinger, der ein Hinauskatapultieren der FDP forderte[15], verdeutlichen die Relevanz der divergierenden strategischen Alternativen. Sie lassen gleichzeitig auf die personellen Differenzen innerhalb der Partei schließen.
3) Die Protagonisten der Union und ihre Vorstellungen
,,Wie in einem Brennpunkt bündelten sich die strukturellen, personal- und sachpolitischen Probleme der Union in ihrem Verhalten zur Ostpolitik der sozial-liberalen Regierung,"[16] schreibt Wolfgang Jäger über die Opposition im 6. Deutschen Bundestag. Denn die Bemühungen um eine entschlossene Haltung der Union in Fragen der Ost- und Deutschlandpolitik wurden unter anderem flankiert durch heftige Personaldiskussionen und ständiges öffentliches Mutmaßen über die Frage, wer denn bei der Union wirklich das Sagen habe. Der Fraktionschef Rainer Barzel stand mit Beginn der 6. Wahlperiode vor der von ihm selbst formulierten doppelten Frage: ,,Einmal, wie macht man als Opposition Außenpolitik? Und zweitens, wie macht man mit 247 Kollegen ein Gesicht?"[17]
Auch wenn die Union im Gegensatz zur Regierungskoalition keine Parteiaustritte oder -wechsel hinnehmen mußte, so läßt sich insbesondere für die 6. Legislaturperiode ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen den beiden christlichen Parteien beobachten, das - geprägt von gegenseitiger Kritik - den politischen Konsens in zahlreichen Entscheidungen unmöglich machte. Diese Feststellung trifft insbesondere auf Fragen der Ost- und Deutschlandpolitik zu und wird, wie das Spannungsverhältnis innerhalb der CDU, in der weiteren Darstellung von Bedeutung sein.
Von den ersten Tagen in der Rolle des Oppositionsführers an versuchte Barzel weitestgehend durch kompetitive, als politischer Wettbewerb angelegte Zusammenarbeit mit der Bundesregierung, so viele Ziele der Union in die deutsche Ostpolitik mit einfließen zu lassen wie möglich. Somit hoffte Barzel, auch weiterhin die deutsche Frage offen halten zu können und darüber hinaus seine Fraktion vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Die Sprengkraft der innerfraktionellen Spannung läßt sich am besten in personifizierter Form verdeutlichen. So standen die vier einflußreichsten Politiker der Union, Rainer Barzel, Gerhard Schröder, Kurt Georg Kiesinger und Franz Josef Strauß, gleichsam für vier unterschiedliche Strategien im Umgang mit den ostpolitischen Plänen der Regierung. Nacheinander hatte sich Barzel mit einem seiner drei Rivalen auseinanderzusetzen. Während Barzel um eine gemeinsame außenpolitische Verantwortung bemüht war, lehnte sein Parteikollege Gerhard Schröder mit dem Hinweis, die Opposition dürfe nicht zu ,,eine[r] Art Notaggregat der Regierung"[18] werden, eine Forderung nach politischer Gemeinsamkeit ab. Dennoch trat Schröder für eine moderate Form der Kritik ein, denn er hatte in seiner eigenen Zeit als Außenminister die Überzeugung gewonnen, daß die Außenpolitik dem Primat der Bundesregierung unterliege. Dies schloß gleichsam eine von Barzel propagierte Mitverantwortlichkeit der Opposition aus. Dennoch sollten sowohl Barzel als auch Schröder eine Linie des taktischen Vorbehalts vertreten[19], auch wenn Barzel zwischen Frühjahr und Herbst 1971 eine radikalere Haltung einnahm. Diese lag wiederum in der Diskussion um den Führungsanspruch innerhalb der CDU zwischen Barzel und Schröder begründet[20], in der Barzel sich von einem härteren Ton gegenüber der Regierung eine größere Zustimmung seiner Partei erhoffte.
Die Vorsitzenden der beiden Oppositionsparteien, Kiesinger und Strauß, lassen sich hingegen von Beginn an als Vertreter einer nahezu bedingungslos konfrontativen Linie ausmachen, die sich deutlich für ein Nein zur Ostvertragspolitik der Regierung aussprachen. Beide vereinte überdies ihre Abneigung gegenüber der FDP, die eher an den Rand ihrer politischen Existenz gebracht werden sollte, als daß die Union die Liberalen über eine ostpolitische Kompromißlinie zu einer erneuten schwarz-gelben Koalition bewegen sollte. Nach der Ablösung Kiesingers als CDU-Vorsitzender durch Rainer Barzel schwand dessen Einfluß erheblich. Franz Josef Strauß hingegen sollte sich fortwährend als entschiedener Gegner der Ostverträge präsentieren[21] und wurde angesichts zahlreicher Anhänger seiner zumeist kompromißlosen Linie von Teilen der öffentlichen Meinung zwischenzeitlich gar als der ,,beherrschende Kopf der CDU/CSU"[22] dargestellt.
Angesichts der zum teil stark divergierenden Ansichten in der Union über Zielsetzung und die zu verfolgende Strategie schwankte auch Barzels Taktik zwischen Kooperation und Konfrontation. Seine Linie wurde proportional zum jeweiligen Einfluß der einzelnen Rivalen innerhalb der CDU/CSU mehr oder weniger stark fremdgesteuert. So steuerte Barzel zum Beispiel zeitweise einen stärker auf Konfrontation ausgerichteten Kurs. Nur so konnte er den Ansprüchen auf die Führungsposition in Partei und Fraktion gerecht zu werden, weil eine harte Haltung nicht nur von der CSU[23] sondern auch von großen Teilen der CDU favorisiert wurde. Hierfür spricht unter anderem die Analyse des Saarbrücker Parteitags von 1971, auf dem Barzel für den Parteivorsitz zu kandidieren gedachte, und in dessen Vorfeld er die Kritik an der Regierung deutlich verschärfte.[24] Nur vor dem Hintergrund der unionsinternen Konstellation und der innerfraktionellen Differenzen läßt sich die Politik der Opposition vollständig erfassen. Eine ausführliche Betrachtung der innerparteilichen Strömungen wird dann noch einmal in der Analyse des Abstimmungsverhaltens zu den Ostverträgen vorgenommen werden.
III. Die Union und die ersten ost- und deutschlandpolitischen Initiativen der neuen Regierung
Gleich zu Beginn der Kanzlerschaft Willy Brandts kündigte sich in Bezug auf die Ost- und Deutschlandpolitik eine äußerst moralisch geprägte Argumentationsstruktutr der CDU/CSU an. Das Fehlen des Wortes ,,Wiedervereinigung" in Willy Brandts Regierungserklärung wertete die Partei als Aufgabe des Alleinvertretungsanspruchs[25]. Die von Brandt erstmalig benutzte Formel von den ,,zwei Staaten in Deutschland" wurde gar als Aufgabe des Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes angesehen[26]; ferner hegten die Unionsabgeordneten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Wendung. Die Partei befürchtete als Folge insbesondere einen internationalen Wertverlust des deutschen Selbstbestimmungsrechts. Des weiteren prophezeiten CDU/CSU den schon unter Kanzler Kiesinger befürchteten ,,Dammbruch", eine Anerkennungswelle der DDR durch andere Staaten, der zuvor 20 Jahre erfolgreich verhindert worden sei.[27]
Wie Christian Hacke richtig erkennt, signalisierte die Union bereits in der ersten Bundestagsdebatte der neuen Legislaturperiode, ihre Kritik vornehmlich auf Unterstellungen zu stützen, die jedoch zum Teil ,,einem Phantom" glichen, denn Brandt hatte das Selbstbestimmungsrecht ausdrücklich betont und auch die völkerrechtliche Anerkennung der DDR ausgeschlossen.[28] Freilich mußte es befremdend klingen, wenn der Mann, der die Realitäten in Europa endlich anzuerkennen gewillt war, in einem Interview erklärte, er habe aufgehört über die Wiedervereinigung zu sprechen.[29] Der außenpolitische Arbeitskreis der CDU/CSU jedenfalls lehnte die Regierungspolitik so grundsätzlich ab, daß er gleich nach der Regierungserklärung nicht mehr richtig über die Ostpolitik diskutierte.[30]
Nicht so Rainer Barzel. Auch wenn Herbert Wehner in einem Interview auf die Frage, ob eine so gewichtige Frage wie die Verhandlung der Oder-Neiße-Grenze nicht eines innenpolitischen Konsenses bedürfe, ,,Nein, ich brauche die Opposition nicht,"[31] antwortete, scheisnt es, daß Rainer Barzel sich noch stark an den kooperativen Regierungsstil aus den Jahren der Großen Koalition gebunden fühlte und daher einen gemeinsamen Weg von Regierung und Opposition in Fragen der Ostpolitik zu eruieren trachtete.[32] Ein Indiz hierfür ist vielleicht auch die von Wolfgang Bergsdorf herausgearbeitete erstaunliche Ähnlichkeit der Gebrauchsweise von Schlüsselworten durch Brandt und Barzel, die sich gerade im Bereich der Außenpolitik festmachen läßt.[33]
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- Citation du texte
- Markus Feldenkirchen (Auteur), 1999, Die CDU und die Ostverträge, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3509