Die Frage nach echtem Altruismus beschäftigt die Menschheit schon sehr lange. Kann es echte Selbstlosigkeit geben oder ist jegliche Generosität einem rationalen Kalkül unterworfen. Darum geht es in dieser Arbeit, die sich primär mit der Gabe und deren Aspekten auseinandersetzt. Dabei wird insbesondere auf den französischen Ethnologen Marcel Mauss Bezug genommen, der die Gabe in archaischen Gesellschaften untersuchte.
Im Laufe der Analyse werden Aspekte wie die Sozialstruktur, Reziprozität und Zeit miteinbezogen, um das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Alles in allem handelt es sich hier um eine Diskussion der Gabe zwischen Altruismus und struktureller Rationalität. Zum Ende hin wird ein Fazit gezogen und aufgezeigt, inwiefern moderne Gesellschaften von einer Verinnerlichung des Gabencharakters profitieren könnten.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Die Gabe nach Marcel Mauss
Individuelle Generosität oder Übergeordnete, rationale Struktur ?
Das dritte Paradigma der Gabe
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
In manchen Gesellschaften ist zum Teil noch heute ein System anzutreffen, welches in der Vormoderne weit verbreitet war. Eine Gesellschaft kann auch ohne geldgetragenen Markt bestehen und zwar in Form des Gabentauschs. In dieser Hausarbeit soll zunächst, stark konzentriert, die Theorie der Gabe nach Marcel Mauss dargelegt werden. Im Anschluss stellt sich die Frage, wie die Motive der sozialen Akteure, also des Gebers und des Empfängers, geartet sind und ob es Rückwirkungen auf sie Struktur der Gesellschaft als Ganzes gibt. An dieser Stelle soll also vordergründig ein Diskurs darüber folgen, ob die Gabe als generöses Mittel individueller Interaktion gesehen werden kann oder ob ihr vielmehr eine determinierende Struktur zu Grunde liegt, welche durch rationale Motive geprägt ist. Methodisch werden also die Ansätze verschiedener Sozialwissenschaftler verglichen und in die Analyse der Gabe eingeflochten. Namentlich soll herausgearbeitet werden, ob anti-utilitaristische Faktoren das Wesen der Gabe ausmachen oder doch eher das Eigennutzprinzip bestimmend ist. Auf beiden Seiten gibt es namhafte Vertreter, deren Ansichten hier umrissen werden sollen. Da sind zum einen Mauss selbst, aber auch das Collége de Sociologie sowie Georg Simmel und andere, welche eher die Uneigennützigkeit im Vordergrund sehen. Levy Strauss hingegen ist vom rationalen Ansatz überzeugt und sieht eine übergeordnete Struktur, welche die Individuen determiniert. Auch Bourdieu vertritt die Ansicht, dass die Struktur und Symbolik einer Gesellschaft ihre Akteure gewissermaßen einrahmt und ihnen nicht wirklich den Freiraum für Generosität lässt, sondern vielmehr für Rationalität. Alles in Allem geht es also um die Interpretation der Gabe und ihrer sozialen Wirkung und damit verbunden um einen Diskurs zwischen Holismus und Individualismus. Im dritten Punkt dieser Arbeit soll die M.A.U.S.S. – Gruppe mit ihren Überlegungen zum „dritten Paradigma der Gabe“ zu Wort kommen. Hiermit wird ein Anstoß geliefert, der die beiden konträren Ansätze vereinen soll, wobei noch immer das generöse Moment der Gabe überwiegt. Zum Schluss wird ein Fazit gezogen, in welchem auch angerissen werden soll, in wie weit die beschriebenen Theorien in unserer kapitalistischen Gesellschaft Anwendung finden können.
Die Gabe nach Marcel Mauss
Marcel Mauss hat mit seinem Werk zum Austausch in archaischen Gesellschaften (Vgl.Mauss 2013) ein wertvolles Werk geliefert, welches Schlüsse auf Funktionsweisen und soziale Muster in Gesellschaften zulässt. Zunächst einmal wird dabei der klare Unterschied zu unserer heutigen geldgetragenen, kapitalistischen Gesellschaft betont. Eine Massenproduktion und ein seelenloser Umgang mit Waren, wie er heute in den Industrienationen häufig verbreitet ist, war und ist nicht Usus in allen Gesellschaften. In seinen Untersuchungen beschäftigte sich der französische Ethnologe vordergründig mit den Austauschsystemen Polynesiens, Samoas und der Maori. Eine besondere Erkenntnis war dabei, dass nicht nur Güter sondern auch Frauen und Festakte im Tauschsystem integriert sind. Auch der Wettkampfcharakter spielt eine Rolle. So kann ein regelrechtes Eifern um Ruhm und Ansehen entstehen. Für diese Werte ist man dann auch bereit, hohe materielle Verluste in Kauf zu nehmen.(Vgl.Mauss 2013, S. 27-31) Hier sehen wir schon einen ersten, bedeutsamen Unterschied und zugleich eine Parallele zur modernen, kapitalistischen Gesellschaft. Auch hier ist soziales Ansehen wichtig und Geschenke, sowie Einladungen sollten in der Regel erwidert werden. Jedoch ist der soziale Druck viel geringer und der materialistische Faktor wesentlich höher einzuschätzen, als bei Austauschsystemen ohne Geld. Die Gabe in jenen Gesellschaften fungiert als sozialer Kitt und sorgt für ein gutes Zusammenleben. Der materielle Wert ist weniger wichtig als der Geist der Geste. Dabei gibt man nicht nur einen Gegenstand, sondern auch etwas von sich selbst.(Vgl.Mauss 2013, S. 32-35) Das Produkt trägt dabei einen besonderen, intrinsischen Wert in sich. Es kommt von einer Person und trägt eben einen Teil dieser Person in sich. „ Das was in dem empfangenen oder ausgetauschten Geschenk verpflichtet, kommt daher, dass die empfangene Sache nicht leblos ist.“ (Mauss 2013, S. 33) An diesem Zitat merken wir zum einen, dass wir im Umgang mit unseren Produkten und Waren wohl sehr oberflächlich geworden sind und die sozialen Werte unterschätzen. Zum anderen fällt das Wort Verpflichtung ins Auge. Das System der Gabe besteht aus Geben, annehmen und erwidern. Wie frei ist dieser Komplex? Handelt es sich um soziale Generosität, also mehr um einen altruistischen Akt der Solidarität? Oder liegt dem Netzwerk aus dem sich gabenbasierte Gesellschaften zusammensetzten eine determinierende Struktur zu Grunde, die rein rationalen Motiven folgt? Mauss selbst tendiert eher zur Ersterem und hebt die freiwillige, soziale Interaktion hervor, wobei er auch betont, dass die Verpflichtung zur Erwiderung, zur Gabe und zur Einladung, über Krieg und Frieden entscheiden kann. Austauschsysteme sind daher als kollektive Komplexe zu betrachten.
Gerade hinsichtlich der Beziehungen zwischen Gruppen könnte man also annehmen, dass das rationale Moment zur Konfliktvermeidung ursächlich ist für das Funktionieren des Tauschsystems. Zwar bejaht Mauss diesen wichtigen Aspekt der gabenbasierten Interaktion zwischen Kollektiven, sieht diesen Faktor allein jedoch als zu kurz gedacht an. Zwar gibt es einen gewissen Rahmen, der von der Gesellschaft und dem System vorgegeben wird, jedoch sind Form und Ausführung der Gaben frei und es kann zu Variationen kommen. Wie bereits angerissen gibt man in einem spirituellen, höheren Sinne, etwas von sich selbst und dieses übermaterielle Selbst unterliegt nicht rein rationalen Motiven. So ist „(…) die durch die Sache geschaffene Bindung eine Seelen – Bindung, denn die Sache selbst hat eine Seele, ist Seele. Woraus folgt, dass jemand etwas geben soviel heißt, wie jemand etwas von sich selbst geben.“(Mauss 2013, S. 35) Mauss sieht also zwar zum einen Strukturen am Werk, die im Sozialisationsprozess die Mitglieder der entsprechenden Gesellschaft determinieren und das Motiv der Friedenserhaltung fokussieren. Andererseits geht aus seinen Überlegungen eine klare Haltung hervor, nämlich dahingehend, dass die Gabe vor allem sozialen, zwischenmenschlichen Gesetzten folgt, die in ihrer Form und Wirkung nicht starr sondern frei sind. Das generöse Motiv innerhalb der sozialen Interaktion zwischen Individuen überwiegt daher. Es geht weniger um die Besserstellung seiner eigenen Position, sondern mehr um die andere Person, den sozialen Prozess an sich. Allerding könnte man an dieser Stelle natürlich fragen, ob nicht auch die Genugtuung und Befriedigung des Gebens in Verbindung mit der Erhöhung sozialen Prestiges eine gewisse Art von Rationalität in sich tragen.
Individuelle Generosität oder Übergeordnete, rationale Struktur ?
Eine besonders radikale Interpretation der Gabe nimmt das sogenannte Collége de Sociologie vor. Dabei sticht der französische Soziologe Georges Bataille in dieser Gruppierung besonders heraus und sieht die Gabe entgegen ökonomisch-rationaler Lesart als nicht- reziproke, generöse Geste, in welcher das Soziale und die Verausgabung wichtiger sind als Erwartungen künftiger Gegenleistungen. (Vgl.Moebius 2007, S. 7/8) Die sozialstiftende und spirituelle Wirkung der Gabe in Interaktion mit anderen ist dabei entscheidend und markiert die Annahme, dass es sich beim Gabeprozess um einen höheren Zustand der sozialen Identität im Kollektiv handelt, nach welchem man strebt. In der Charakteristik der Gabe sieht Bataille nach Moebius Interpretation „(…) das Fundament für die sozialintegrativen Momente von Vergemeinschaftungsprozessen und einer Wiederverzauberung der Welt.“(Moebius 2007, S. 8) Wir sehen also, dass Bataille und die Vertreter des Collége de Sociologie eine stark normativ und wohl auch emotional gefärbte Beurteilung und Analyse des Gaben- Systems vornehmen. Für sie ist die Gabe mit all ihren Facetten auf einer höheren Ebene anzusiedeln und eine streng utilitaristische Erklärung derselben wäre aus ihrer Sicht stark reduktionistisch. Damit waren sie sicher auch bestrebt, gegen den aufkommenden Rationalismus in den Sozialwissenschaften anzugehen, der im Prinzip davon ausgeht, dass der Mensch nichts ohne Eigennutz unternimmt und dass seine Motive stets vom Nutzenkalkül geprägt sind. Gerade in diese Richtung gehen nun aber auch namhafte Vertreter der Soziologie und Ethnologie. So ist zum Beispiel der Franzose Christian Papilloud von der Unmöglichkeit der absolut generösen Gabe überzeugt. „Die Gabe ist unmöglich, weil die Operationen der Gabe selbst, d.h. Geben, Empfangen und Erwidern ihren verpflichtenden sowie uneigennützigen Charakter vernichten.“ (Papilloud 2006, S. 255) Zwar geht auch Papilloud davon aus, dass die Gabe an sich schon immer bestand und ihren sozialintegrativen Charakter besitzt, jedoch sieht er keine reine, uneigennützige Gabe. Vielmehr handele es sich um eine determinierende Struktur, welche aus reziproken und rationalen Motiven besteht. Der Hauptvertreter dieser Sichtweise ist sicherlich Claude Levy Strauss. Sein Ziel war es stets allgemeine Gesetzte und Strukturmechanismen menschlicher Gesellschaften zu finden.
Universelle Denkstrukturen standen dabei im Fokus seines Forschungsinteresses. Strauss stellt sich dabei, ähnlich wie Bourdieu, dem nicht – reziproken Gedanken bezüglich der Gabe entgegen. Im Gegensatz zu Mauss „, sieht Claude Lévy Strauss (…) in dem Gabe – Theorem (…) Formen des Austauschs, deren letzter Ursprung in den unbewussten Strukturen des Geistes und in dessen Fähigkeit des Symbolisierens zu suchen ist.“ (Moebius 2007, S. 9) Strauss gibt dem Individuum also wenige Möglichkeiten zur eigenen, persönlichen Generosität, sondern sieht tatsächlich vielmehr den Einfluss von Strukturen auf den Einzelnen. Strukturen, welche das Miteinander regeln und in diesem Zusammenhang der Gabe einen systemmischen Zweck geben, der mehr rational geprägt ist. Aus den drei Elementen der Gabe speisen sich nach Strauss dann auch die Regeln des Frauentauschs und der Heirat in archaischen Gesellschaften. „Die Gabe ist für Lévy Strauss eine subjektivierende symbolische Struktur, das heißt ein organisiertes Differenzsystem mit einem konstituierenden, generativen und verpflichtenden Charakter.“ (Moebius 2007, S. 10) Die Freiheit der individuellen Interaktion des Einzelnen ist nach dieser Lesart also nicht gegeben. Eine generöse Gabe erscheint vor diesem Hintergrund unmöglich. Wenn Regeln und vor allem Verpflichtungen das Ganze bestimmen, kann von Verausgabung, Opferung oder gar Altruismus keine Rede mehr sein. Die wahre, selbstlose Gabe soll also unmöglich sein? In diese Kerbe schlägt zumindest auch Pierre Bourdieu, der allerdings sowohl Mauss als auch Strauss kritisiert hat. Diese hätten nämlich ein entscheidendes Detail der Gabe außer Acht gelassen und zwar die Funktion des Zeitfensters zwischen Gabe und Erwiderung.(Vgl.Bourdieu 1985, S. 163-169) Demnach sei eine direkte Erwiderung der Gabe, womöglich gar in derselben Form, unmöglich. Es muss Zeit verstreichen bis es zur Gegenleistung kommt. Nur so kann die Gabe nicht als direkte Antwort auf die Generosität der Ersten zurückgeführt, sondern als einzelne, für sich stehende Großzügigkeit gelten. Diesem Umstand sei man sich, laut Bourdieu, bewusst. Jeder weiß, dass er im Prinzip etwas zurückbekommt, genauso wie jeder weiß, dass dies seine Zeit braucht. Implizit gelte also das Gesetz rationaler Reziprozität, welches explizit aus Höflichkeit nie angesprochen wird. Bourdieu vertritt in diesem Sinne also ebenfalls den Flügel der Utilitaristen. Ihm geht es vor allem um den zirkulierenden Austausch verschiedener Kapitalien, die jeder für sich, in zeitlichen Abständen beansprucht, ohne dies aggressiv offen kundzutun.
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- Johannes Renner (Autor), 2016, Eine Analyse der Gabe. Generöse Selbstlosigkeit oder strukturelle Rationalität?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350987
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