[...] Doch wer sind eigentlich die Träger
politischer Macht und von welch einer Macht- und Einflußstruktur dieser politischen bzw.
administrativen Eliten muß auf nationaler bzw. lokaler Ebene ausgegangen werden? Gestalten
sich die Macht- und Einflußstrukturen im Berliner Bundestag oft als hoch komplex und aus
der Ferne nur schwer überschaubar, so bietet die Kommunalpolitik in Gemeinderäten bessere
Möglichkeiten für eine erkenntnisbringende Machtstruktur-Analyse.
Die Politikwissenschaft begann sich aus diesem Grund schon vor einigen Jahrzehnten im
Rahmen einer demokratietheoretischen Debatte intensiv für das politische System der
Gemeinde zu interessieren. Ausgehend von den USA machte es sich die sogenannte
Community Power Forschung zur Aufgabe zu ergründen, welche Machtstrukturen in
kommunalen Gemeinwesen anzutreffen sind. Zur Beantwortung dieser demokratietheoretisch
bedeutsamen Fragestellung haben zwei verschieden argumentierende Theorie-Schulen jeweils
die Bedeutung der These der Prädominanz starrer Machteliten bzw. die These einer
pluralistischer Machtverteilung hervorgehoben.
Die vorliegende Arbeit will zum einen das Spannungsfeld aufzeigen, in dem sich die
Community Power Forschung zwischen elitistischen und pluralistischen Ansätzen befunden
hat. Vor diesem Hintergrund soll zum zweiten dargestellt werden, daß der bekannte USPolitikwissenschaftler
Robert A. Dahl zwangsläufig zu einer ablehnenden Haltung der von
den sogenannten Elitisten formulierten Thesen zur lokalen Machtstruktur kommen mußte und
daß Dahl mit seinen Beiträgen die Community Power Forschung entscheidend bereichert hat.
Im folgenden zweiten Kapitel sollen der Gegenstandsbereich der Community Power
Forschung und die Position der Elitisten erläutert werden, um im Hauptteil der Arbeit die
Kritik Dahls am Modell einer herrschenden Elite in kommunalpolitischen Machtstrukturen
genauer charakterisieren zu können. Das vierte Kapitel will mittels einiger Beobachtungen
des Autors die vorangegangenen abstrakten Überlegungen durch einen kurzen Diskurs zu den
Machtstrukturen im Freiburger Rathaus ergänzen und auf einige Geme inde-Macht Aspekte
aufmerksam machen, die nach Meinung des Autors einer (noch) eingehenderen
wissenschaftlichen Untersuchung zugeführt werden könnten. Einige Schlussbetrachtungen
greifen zum Ende noch einmal kurz die zentralen Problemstellungen dieser Arbeit auf.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Community Power als Gegenstandsbereich demokratietheoretischer
Betrachtungen
2.1. Ziele und wichtige Vertreter der frühen Community Power Forschung in den
USA und Deutschland
2.2. Position und Forschungsmethodik der Elitisten in der Community Power Debatte
III. Robert A. Dahls Beitrag zur Elitismus vs. Pluralismus Kontroverse in der
Community Power Forschung
3.1. Dahls Verortung als demokratietheoretischer Pluralist
3.2. Dahls Machtbegriff und seine Kritik an der Position der Elitisten
3.3. Die New Haven Studie als Antwort der Pluralisten: Dahls Ziele und Forschungsmethodik
3.4. Community Power und Probleme bürgerlicher Kompetenz und Partizipation
IV. Wenn Dahl über Freiburg geschrieben hätte: Community Power im Freiburger Rathaus
V. Schlussbetrachtungen
Quellenverzeichnis
“[I]n every human organization some individuals have more influence over key decisions than do others. Political equality may well be among the most Utopian of all human goals. But it is fallacious to assume than the absence of political equality proves the existence of a ruling elite.”[1]
– Robert A. Dahl
I. Einleitung
Ganz Deutschland blickt im Herbst 2002 auf einen Sonntag im September, an dem die Bürger dieses Landes in einer mit Spannung erwarteten Wahl die politischen Machtverhältnisse im Bundestag für die nächsten vier Jahre bestimmen werden. Weit weniger spektakulär, und aus diesem Grund wohl auch von vielen Bürgern in ihrer Wirkung oft unterschätzt, sind die Wahlen, mittels derer kommunale Macht verteilt wird. Doch wer sind eigentlich die Träger politischer Macht und von welch einer Macht- und Einflußstruktur dieser politischen bzw. administrativen Eliten muß auf nationaler bzw. lokaler Ebene ausgegangen werden? Gestalten sich die Macht- und Einflußstrukturen im Berliner Bundestag oft als hoch komplex und aus der Ferne nur schwer überschaubar, so bietet die Kommunalpolitik in Gemeinderäten bessere Möglichkeiten für eine erkenntnisbringende Machtstruktur-Analyse.
Die Politikwissenschaft begann sich aus diesem Grund schon vor einigen Jahrzehnten im Rahmen einer demokratietheoretischen Debatte intensiv für das politische System der Gemeinde zu interessieren. Ausgehend von den USA machte es sich die sogenannte Community Power Forschung zur Aufgabe zu ergründen, welche Machtstrukturen in kommunalen Gemeinwesen anzutreffen sind. Zur Beantwortung dieser demokratietheoretisch bedeutsamen Fragestellung haben zwei verschieden argumentierende Theorie-Schulen jeweils die Bedeutung der These der Prädominanz starrer Machteliten bzw. die These einer pluralistischer Machtverteilung hervorgehoben.
Die vorliegende Arbeit will zum einen das Spannungsfeld aufzeigen, in dem sich die Community Power Forschung zwischen elitistischen und pluralistischen Ansätzen befunden hat. Vor diesem Hintergrund soll zum zweiten dargestellt werden, daß der bekannte US-Politikwissenschaftler Robert A. Dahl zwangsläufig zu einer ablehnenden Haltung der von den sogenannten Elitisten formulierten Thesen zur lokalen Machtstruktur kommen mußte und daß Dahl mit seinen Beiträgen die Community Power Forschung entscheidend bereichert hat.
Im folgenden zweiten Kapitel sollen der Gegenstandsbereich der Community Power Forschung und die Position der Elitisten erläutert werden, um im Hauptteil der Arbeit die Kritik Dahls am Modell einer herrschenden Elite in kommunalpolitischen Machtstrukturen genauer charakterisieren zu können. Das vierte Kapitel will mittels einiger Beobachtungen des Autors die vorangegangenen abstrakten Überlegungen durch einen kurzen Diskurs zu den Machtstrukturen im Freiburger Rathaus ergänzen und auf einige Gemeinde-Macht Aspekte aufmerksam machen, die nach Meinung des Autors einer (noch) eingehenderen wissenschaftlichen Untersuchung zugeführt werden könnten. Einige Schlussbetrachtungen greifen zum Ende noch einmal kurz die zentralen Problemstellungen dieser Arbeit auf.
II. Community Power als Gegenstandsbereich demokratietheoretischer Betrachtungen
Unter dem Hintergrund der einschneidenden Folgen des Zweiten Weltkrieges und des Korea-Krieges entzündete sich im Amerika der späten 40er und frühen 50er Jahre eine vor allem in politikwissenschaftlichen Kreisen lebhaft geführte Debatte um den Zustand der amerikanischen Demokratie, im Rahmen derer die Macht- und Einflußstrukturen in der amerikanischen Gesellschaft hinterfragt wurden. Nachdem vor allem durch C. Wright Mills und D. Riesman[2] zunächst das amerikanische Gesamtsystem einer kritischen Begutachtung mit zum Teil recht kontrovers diskutierten Ergebnissen unterworfen worden war, rückte in den 50er Jahren zusehends die Gemeinde in das Blickfeld des demokratietheoretischen Interesses der US-Politikwissenschaft. Die Gemeinde als relativ geschlossenes und überschaubares politisches System wurde in oftmals romantisierender Art und Weise als „Demokratie-Paradigma“[3] (wieder)entdeckt, da sie, so die gängige Argumentation, „als Einheit [...] die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse beispielhaft im kleinen enthält“[4] und insbesondere vor dem Hintergrund der amerikanischen Geschichte „das natürliche Zentrum demokratischer Idealvorstellungen“[5] darstelle. Diese Überlegungen stellten das konzeptionelle Fundament für die Begründung der Community Power Forschung dar, die sich mit der Untersuchung von Macht in der Gemeinde beschäftigte und deren verschiedene Forschungsmethodologien und Untersuchungsergebnisse bald kontrovers diskutiert werden sollten.
Bei der innerhalb der Community Power Forschung entstandenen „Kontroverse [handelte es sich] sowohl um eine Auseinandersetzung zwischen normativen Positionen (pluralistische vs. partizipatorische Demokratie) wie auch um einen Methodenstreit“[6], wie im nachfolgenden noch genauer zu erläutern sein wird.
Während auf die zentralen Kritikpunkte zu Forschungsmethodologie und Gesamtbefund der Gemeinde-Macht-Studien in späteren Kapiteln dieser Arbeit insbesondere mit Blick auf Robert A. Dahls Beiträge noch näher einzugehen sein wird, sei hier bereits angeführt, daß selbst die romantisierende Vorstellung einer sich autonom verwaltenden basisdemokratischen US-Gemeinde, die oben angesprochen wurde, nicht von heftiger Kritik verschont blieb. Der deutsche Gemeinde-Forscher Ralf Zoll beispielsweise hinterfragt diese Vorstellung äußerst kritisch, wenn er sie dem in den 50er Jahren bereits eingetretenen Verlust kommunaler Autonomie und der oben bereits angedeuteten breit diskutierten Kontroverse über den Zustand der amerikanischen Demokratie gegenüberstellt. Zoll geht mit seiner Kritik sogar so weit zu behaupten, daß „d]ort, wo die Forschungsergebnisse [der Community Power Forschung] dennoch als Beweis für ein demokratisches Amerika gewonnen wurden [, von einem] Alibicharakter“[7] solcher Studien ausgegangen werden müsse.
Nachdem in den 50er und frühen 60er Jahren die Macht- und Einflußstrukturen in einzelnen amerikanischen Gemeinden untersucht wurden, entwickelte sich die Community Power Forschung in den 60er Jahren entscheidend weiter, als „[d]er analytische Bezugspunkt einer Gemeinde [...] zugunsten eines vergleichenden Ansatzes erweitert“[8] wurde. Als ein Beispiel für die nunmehr verstärkt komparative Ausrichtung der Community Power Forschung kann die von Terry N. Clark durchgeführte Analyse[9] gelten. Auffällig war in diesem Stadium der Gemeinde-Macht-Forschung zudem oft auch die pragmatische Ausrichtung vieler dieser vergleichenden Studien kommunaler Machtstrukturen, beispielsweise wenn es darum gehen sollte zu untersuchen, ob und wie unter den in einer bestimmten Gemeinde anzutreffenden Macht- und Sozialstrukturen spezielle kommunalpolitische Projekte realisiert werden könnten.
Es muß festgestellt werden, daß die politikwissenschaftliche Fachliteratur im Bereich der Community Power Forschung in den 80er und 90er Jahren durch vergleichsweise wenige Beiträge bereichert wurde. Wenn auch aus diesem Umstand nicht voreilig geschlossen werden sollte, daß die Wissenschaft ihr Interesse an Studien zur Gemeinde-Macht verloren hat, so ist dennoch in jüngster Zeit beispielsweise bei Robert A. Dahl eine gewisse (Rück)-Fokussierung des demokratietheoretischen Forschungsinteresses auf national orientierte Fragestellungen und Untersuchungen zu erkennen.[10]
2.1. Ziele und wichtige Vertreter der frühen Community Power Forschung in den USA und Deutschland
Die Hauptaufgabe der frühen Community Power Forschung bestand, wie bereits angedeutet, in der Untersuchung der Verteilung von Macht- und Einflußstrukturen in einem bestimmten kommunalen Gemeinwesen. Konkret ging es darum, die Elitismus vs. Pluralismus Kontroverse empirisch dahingehend aufzulösen, daß man nachzuweisen bemüht war, ob Macht in den untersuchten Gemeinden von einer relativ starren Machtelite oder von einem System diffuser Machtpole ausgeübt wird. In ihrem Bemühen „zu überprüfen, ob Gemeinden in der politischen Wirklichkeit zentralisiert-oligarchische oder dezentralisiert-pluralistische Einflußmuster aufweisen“[11], benutzten die amerikanischen Pioniere der Community Power Forschung in den 50er und frühen 60er Jahren Fallstudien. Hierbei handelte es sich um breit angelegte empirische Analysen der Machtstrukturen ausgewählter amerikanischer Städte meist mittelgroßen Zuschnitts, deren Konzeption eine Anlehnung an die beiden sozial-behavioralistischen Middletown-Studien des Ehepaares Lynd in Muncie, im US-Bundesstaat Indiana, aus den 20er und 30er Jahren[12] erkennen ließ.
Neben den Lynd-Studien verweist die Fachliteratur im Bereich der Community Power Forschung im besonderen auf zwei weitere Untersuchungen, die in den 50er Jahren mit gegenüber den Middletown-Untersuchungen noch wissenschaftlicherer Methodik verfaßt wurden und die die frühe Community Power Diskussion entscheidend anregten. Es handelt sich hierbei zum einen um die 1953 von Floyd Hunter vorgelegte Studie zu den Machtstrukturen der Stadt „Regional City“ Atlanta im US-Bundesstaat Georgia.[13] Zum anderen handelt es sich um die 1961 von Robert A. Dahl publizierten Erkenntnisse zu den Machtverhältnissen in der Stadt New Haven im US-Bundesstaat Connecticut[14], die in gewisser Weise als Replik zu Hunters Monographie gedeutet werden können.
Obwohl im folgenden ein Schwerpunkt auf die frühe amerikanische Community Power Forschung der 50er und frühen 60er Jahre mit besonderem Blick auf Robert A. Dahls Kontributionen gelegt werden soll, sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen, daß auch in Ländern wie Frankreich und England bereits Ende des 19. Jahrhunderts Gemeinden Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen waren. Diese noch mehr oder weniger vorwissenschaftlich konzipierten Studien untersuchten kritisch vorwiegend die soziale Stellung von Gemeindebürgern angesichts fortschreitender Industrialisierungs- und Verstädterungseffekte.
[...]
[1] Dahl, Robert A. (1958), S. 465.
[2] Vgl. v.a. das Elite-Masse-Schema in Mills, C. Wright (1962) und das pluralistische Konzept des Gleichgewichts der Veto-Gruppen vs. Öffentlichkeit in Riesman, David (1950).
[3] Köser, Helmut (1976), S. 5.
[4] Zipfel, Horst C. (1979), S. 146.
[5] Miller, Delbert C. (1961), S. 25, zitiert nach Zoll (1972), S. 87.
[6] Köser, Helmut (1976), S. 126.
[7] Zoll, Ralf (1972), S. 24.
[8] Zipfel, Horst C. (1979), S. 163.
[9] Vgl. Clark, Terry N. (1968).
[10] Vgl. Dahls Auseinandersetzung mit dem Demokratiegehalt der amerikanischen Verfassung in Dahl, Robert A. (2002), die auf einige bereits in den 70er Jahren publizierte Ideen aufbauen, so v.a. in Dahl, Robert A. (1977).
[11] Zipfel, Horst C. (1979), S. 173.
[12] Vgl. Lynd, R. S. und Lynd, H. M. (1929) und (1937).
[13] Vgl. Hunter, Floyd (1953).
[14] Vgl. Dahl, Robert A. (1961).
- Citar trabajo
- Christian Jacobi (Autor), 2002, Robert A. Dahls Beitrag zur Elitismus vs. Pluralismus Kontroverse in der Community Power Forschung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35097
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