Die Masterarbeit gibt einen Überblick über die Perspektiven und Änderungen von intralogistischen Arbeitsprozessen als Folge der digitalen Entwicklung am Beispiel der Arbeitsprozesse Transport, Kommissionierung, Wareneingang und Warenausgang sowie Einlagerung und Auslagerung. Durch Wearables wie Datenbrillen, Datenhandschuhe oder Smartwatches können die Prozesse digitalisiert werden. Mit neuen Technologien wie der Gestensteuerung, der Augmented Reality oder Virtual Reality können intuitive Assistenzsysteme Einzug in den Alltag logistischer Arbeitsprozesse halten. Neuartige IT-Konzepte wirken sich auf die Material- und Informationsflüsse aus.
Das Ziel dieser Arbeit ist, die Auswirkungen und Möglichkeiten dieser digitalen und technologischen Entwicklung zu analysieren. Es sollen anhand einer Betrachtung technologischer Fortschritte Ansatzpunkte für die Umsetzung der digitalen Arbeitsprozesse gefunden werden. Darauf aufbauend sollen Entwicklungsszenarien für Arbeitsprozesse analysiert werden.
Zunächst werden die Arbeitsprozesse und ihre Entwicklungen zum Stand der Technik beschrieben und visualisiert. Dort wo manuelle Tätigkeiten durchgeführt werden, treten mehr Fehler auf, die durch unterschiedliche Assistenzsysteme und Hilfsmittel eingedämmt werden können. Auch wenn sich viele Technologien noch am Anfang der Entwicklung befinden, werden Arbeitsprozesse in sogenannten cyberphysischen Systemen flexibilisiert. Damit kann der Mensch nicht nur Tätigkeiten parallelisieren, sondern auch neue Aufgaben übernehmen. Die Arbeitsproduktivität erhöht sich.
Die Auswirkungen auf die Arbeit von Mitarbeitern in einem derartigen Industrie-4.0-Arbeitssystem sind einerseits höhere Qualifikationsanforderungen, andererseits bestehen hohe Rationalisierungspotenziale, die trotz oder gerade wegen der hochentwickelten Industrie in Deutschland nicht ausgereizt werden. Auf Basis verschiedener Entscheidungsfindungsmethoden wird eine Aussage über die Entwicklungsperspektive in der Intralogistik getroffen. Demnach gibt es durch die vielfach einfachen Arbeitsaufgaben zwar eine Tendenz zu einem „digitalen Taylorismus“, allerdings deuten die Voraussetzungen für die Gesamtentwicklung in einer technologieintensiven Branche wie der Logistik gemeinsam mit den Anforderungen der Produktion auf eine Substitution einerseits und eine Tätigkeitsaufwertung andererseits hin, wodurch es neue Gestaltungsspielräume von Arbeitsprozessen geben wird.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung in die Thematik
1.1 Ausgangssituation
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehensweise
2 Arbeitsprozesse in der Intralogistik
2.1 Anforderungen zur Durchführung der Arbeitsprozesse
2.2 Hilfsmittel zur Durchführung der Arbeitsprozesse
2.3 Transportprozesse in Lager und Produktion
2.3.1 Grundlagen und Geschichte des Transports
2.3.2 Arbeitsprozess stetiger Transportvorgang
2.3.3 Arbeitsprozess unstetiger Transportvorgang
2.4 Wareneingang und Warenausgang
2.4.1 Arbeitsprozess Wareneingang
2.4.2 Arbeitsprozess Warenausgang
2.5 Einlagerung und Auslagerung
2.5.1 Grundlagen und Geschichte der Lagerung
2.5.2 Arbeitsprozess Einlagern und Auslagern
2.6 Kommissionierung
2.6.1 Grundlagen und Geschichte der Kommissionierung
2.6.2 Arbeitsprozess Kommissionierung
2.7 Zusammenfassung des zweiten Kapitels
3 Digitale und technologische Entwicklungen
3.1 Industrie 4.0 und die Vision vom Internet der Dinge
3.2 Digitale Basistechnologien
3.2.1 Funktechnologien
3.2.2 Trackingsysteme und Sensoren zur Lokalisierung und Navigation
3.2.3 Augmented Reality und Virtual Reality
3.2.4 Mobile Computing und Wearable Computing
3.2.5 Software und IT-Systeme
3.3 Umsetzungen digitaler Basistechnologien
3.3.1 Agentenbasierte Steuerung
3.3.2 Neue Funk-Konzepte
3.3.3 Lokalisierung ohne Scannen
3.3.4 Digitaler Stapler
3.3.5 Automatischer Transport und Schwarmintelligenz in cyberphysischen Systemen
3.3.6 Apps und Smart Devices
3.3.7 Datenbrillen in der Logistik
3.3.8 Kommissionierung mit der Smartwatch
3.3.9 Intelligente Handschuhe und Armringe
3.3.10 Gestensteuerung während der Kommissionierung
3.3.11 Intelligente Behälter und Displays
3.3.12 Konzepte zur optimierten Bereitstellung
3.3.13 Möglichkeiten und Anwendungen von Cloud Computing und Big Data
3.4 Zusammenfassung des dritten Kapitels
4 Entwicklungsperspektiven digitalisierter Arbeitsprozesse
4.1 Perspektiven des Zusammenwirkens verschiedener Technologien
4.1.1 Einsatz von Datenbrillen und Smart Devices in Distributionszentren
4.1.2 inBin als Steuerungsinstanz für intralogistische Prozesse
4.1.3 Zusammenwirken von Transportsystemen
4.1.4 Perspektiven und Grenzen automatischer Identifikationsverfahren
4.1.5 Konkurrierende und gemeinsame Systeme
4.1.6 Analyse der Wirkungsbeziehungen neuer Technologien
4.2 Theorien zu möglichen Entwicklungen
4.2.1 Betrachtung der Perspektiven von Arbeit mit Informations- und Kommunikationstechnologien auf Basis historischer Analogien
4.2.2 Soziologische Theorien zur möglichen Entwicklung von Arbeitsprozessen
4.3 Perspektiven der Arbeitsprozesse
4.3.1 Transportprozesse in Lager und Produktion
4.3.2 Prozesse in Wareneingang und Warenausgang
4.3.3 Prozesse zur Einlagerung und Auslagerung
4.3.4 Kommissionierprozess
4.3.5 Weiterführende Perspektiven und mögliche Auswirkungen
4.4 Perspektiven für ein Gesamtsystem
4.4.1 Methodische Analyse der zukünftigen Entwicklungen
4.4.2 Mögliches Gesamtsystem im Unternehmen
4.5 Zusammenfassung des vierten Kapitels
5 Zusammenfassung und Ausblick
5.1 Zusammenfassung und Fazit
5.2 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhang
A1 Berechnungen des Analytic Network Process
A1.1 Paarvergleiche der Kriterien untereinander
A1.2 Beeinflussung der Kriteriengewichtung durch Alternativen
A1.3 Bewertung der Alternativen
A1.4 Berechnungsbeispiel
A1.5 Ergebnisberechnung
Kurzfassung
Die vorliegende Masterarbeit gibt einen Überblick über die Perspektiven und Änderungen von intralogistischen Arbeitsprozessen als Folge der digitalen Entwicklung am Beispiel der Arbeitsprozesse Transport, Kommissionierung, Wareneingang und Warenausgang sowie Einlagerung und Auslagerung. Durch Wearables wie Datenbrillen, Datenhandschuhe oder Smartwatches können die Prozesse digitalisiert werden. Mit neuen Technologien wie der Gestensteuerung, der Augmented Reality oder Virtual Reality können intuitive Assistenzsysteme Einzug in den Alltag logistischer Arbeitsprozesse halten. Neuartige IT-Konzepte wirken sich auf die Material- und Informationsflüsse aus.
Das Ziel dieser Arbeit war, die Auswirkungen und Möglichkeiten dieser digitalen und technologischen Entwicklung zu analysieren. Es sollten Ansatzpunkte für die Umsetzung der digitalen Arbeitsprozesse anhand einer Betrachtung technologischer Fortschritte gefunden werden. Darauf aufbauend sollten Entwicklungsszenarien für Arbeitsprozesse analysiert werden.
Zunächst wurden die Arbeitsprozesse und ihre Entwicklungen zum Stand der Technik beschrieben und visualisiert. Dort wo manuelle Tätigkeiten durchgeführt werden, treten mehr Fehler auf, die durch unterschiedliche Assistenzsysteme und Hilfsmittel eingedämmt werden können. Auch wenn sich viele Technologien noch am Anfang der Entwicklung befinden, werden Arbeitsprozesse in sogenannten cyberphysischen Systemen flexibilisiert. Damit kann der Mensch nicht nur Tätigkeiten parallelisieren, sondern auch neue Aufgaben übernehmen. Die Arbeitsproduktivität erhöht sich.
Die Auswirkungen auf die Arbeit von Mitarbeitern in einem derartigen Industrie-4.0-Arbeitssystem sind einerseits höhere Qualifikationsanforderungen, andererseits bestehen hohe Rationalisierungspotenziale, die trotz oder gerade wegen der hochentwickelten Industrie in Deutschland nicht ausgereizt werden. Auf Basis verschiedener Entscheidungsfindungsmethoden wurde eine Aussage über die Entwicklungsperspektive in der Intralogistik getroffen. Demnach gibt es durch die vielfach einfachen Arbeitsaufgaben zwar eine Tendenz zu einem „digitalen Taylorismus“, allerdings deuten die Voraussetzungen für die Gesamtentwicklung in einer technologieintensiven Branche wie der Logistik gemeinsam mit den Anforderungen der Produktion auf eine Substitution einerseits und eine Tätigkeitsaufwertung andererseits hin, wodurch es neue Gestaltungsspielräume von Arbeitsprozessen geben wird.
Abstract
This master thesis gives an overview of the prospects and changes to intralogistical work processes as a result of digital development on the example of the work processes transport, picking, goods receipt and goods issue as well as putaway and picking. The processes can be digitalized by wearables like smart glasses, smart gloves or smart watches. Based on new technologies like gesture control, augmented reality or virtual reality intuitive assistance systems can find their way into everyday logistical work process. Innovative IT concepts affect the material and information flows.
The aim of this study was to analyze the impact and possibilities of this digital and technological development. Therefore, starting points for the implementation of the digital work processes based on a consideration of technological advances should be found. Based on this starting points, development scenarios for working processes are being analyzed.
At first, the work processes and their developments as well as the state of the art have been described and visualized. A high error rate arises when manual activities are carried out. These errors may be reduced by different assistance systems and technical devices. Even if many technologies are still at an early stage of development, it is striking that work processes can be more flexible in so-called cyber-physical systems. Human activities can be parallelized and new tasks can be taken on. As a result, the labor productivity is being increased.
There are wide-ranging impacts on the work of employees in such an all new industial system. On the one hand there are higher qualification requirements. On the other hand, there are high potentials for rationalization, which are not being exhausted despite or because of the highly sophisticated industry in Germany. Being based on different decision-making methods and tools, a statement about the development perspectives of intralogistics systems was made. Accordingly, there are many simple tasks, which have a tendency to "digital Taylorism". However, the conditions for the overall development in a technology-intensive industry such as logistics indicate on a substitution process on the one hand and on an activity enhancement on the other hand. Thus, there will be new scope of work processes.
1 Einführung in die Thematik
Dieses Kapitel gibt einen thematischen Überblick über die vorliegende Arbeit. Zuerst werden die Ausgangssituation und die daraus folgende Problemstellung dargestellt. Dann folgt eine Übersicht der sich ergebenden Ziele und schließlich wird die Vorgehensweise erläutert.
1.1 Ausgangssituation
Die Logistikbranche konnte in den vergangenen 20 Jahren ein stetiges Wachstum verzeichnen. Durch die Entwicklung der Logistik zur Querschnittsfunktion über alle Unternehmensbereiche ist sie heute omnipräsent in der Planung, Steuerung und Kontrolle komplexer Systeme und Netzwerke. Die Logistik als Dienstleistung hat unzählige Unternehmen hervorgebracht, die mit Hilfe weitereichender Distributionsnetzwerke Waren in der richtigen Menge Just-in-time (JIT) am richtigen Ort den unterschiedlichsten Kunden ausliefern. Gerade in Zeiten des Online-Handels ist eine flächenmäßige Abdeckung des zu beliefernden Marktes neben einem effizienten System ein wichtiges Ziel geworden. Durch die Automatisierung zahlreicher innerbetrieblicher Prozesse konnte die Reaktionsgeschwindigkeit logistischer Systeme immer weiter gesteigert werden.
Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich im Bereich der innerbetrieblichen Logistik der Begriff der Intralogistik etabliert. So beschreibt „Der neue Branchenbegriff „Intralogistik“ „…“ die Organisation, Durchführung und Optimierung der innerbetrieblichen Materialflusstechnik und Logistikströme sowie des Warenumschlags bei Industrie, Handel und öffentlichen Einrichtungen mittels technischer Komponenten, Teil- und Komplettsystemen sowie Dienstleistungen“ ([Arn06], S. 46–47). Eine Abgrenzung dieses Begriffs fällt allerdings aufgrund der Querschnittsfunktion der Logistik schwer.
Heute werden viele Prozesse in der Intralogistik durch informationstechnische Systeme gesteuert. Maschinen und Anlagen fördern Waren durch ein verworrenes System. Die technische Logistik und die Softwarebranche sind in diesem System zusammengewachsen. Allerdings müssen die Systeme immer flexibler sein, was in einigen Fällen auch dazu führt, dass sich Investitionen aufgrund der Halbwertzeit der zugrunde liegenden Rahmenbedingungen wirtschaftlich gar nicht mehr lohnen ([Arn06], S. 47–48). Deshalb müssen für das System zukünftig flexibel veränderbare Komponenten entwickelt werden. Diese Tatsache wird auch dadurch bestätigt, dass die Bestellpositionen je Auftrag um ca. 20 % zurückgegangen sind, die Retourenquote und Artikelanzahl allerdings bis zu 50 % bei bestenfalls konstant gebliebenen Umsatzzahlen gestiegen ist ([Arn06], S. 49).
Der Mensch sieht sich in vielen Anwendungsbereichen solcher zentral gesteuerter Systeme oft nur noch als kleiner Teil der Gesamtheit ohne die Möglichkeit, selbst Veränderungen oder Verbesserungen herbeizuführen. Mit fortschreitender Automatisierung der Prozesse wird diese Wahrnehmung noch verstärkt. Trotzdem gibt es in der Intralogistik weiterhin etliche Arbeitsbereiche, in denen manuelle menschliche Tätigkeiten erforderlich sind, weil ein Roboter (noch) nicht imstande ist, solche komplexen, schnellen und durch hohen sensorischen Aufwand geprägten Aufgaben zu leisten. Dies ist bspw. in der Kommissionierung der Fall (vgl. [Arn06], S. 24). Um den Wachstumskurs der Branche fortzusetzen, besteht die Notwendigkeit, neue zukunftsträchtige Technologien in der Logistik zur Marktreife zu führen. Dabei wird es wichtig sein, den Menschen in zukünftige Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung miteinzubeziehen, um ihm Hilfestellungen zur Ausübung seiner Tätigkeiten in der Intralogistik zu geben. Die Stellung des Menschen in einem digitalen System ist dabei genauso wichtig wie die Systemoptimierung.
Die Digitalisierung schreitet in allen Bereichen des täglichen Lebens voran. In den Unternehmen ist sie jedoch noch nicht vollends angekommen bzw. wird sehr kritisch beäugt. Nicht zuletzt deshalb ist die Digitalisierung eines der wichtigsten Themen, das heute gerade auch die Logistik prägt. Dies verdeutlicht Abb. 1.1. Dabei hat die Bundesvereinigung Logistik e. V. 156 Logistik-Fachleute aus dem Handel, der Industrie sowie aus Logistikdienstleistungsunternehmen zu den wichtigsten Themen der Logistik befragt mit dem Ergebnis, dass 31 % der Befragten die Digitalisierung der Logistik als das prägende Thema für 2015 sehen [BVL15].
In der vorliegenden Arbeit sollen vor diesem Hintergrund die logistischen Arbeitsprozesse in der Intralogistik einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Der Fokus soll auf den Arbeitsprozessen in einem Distributionszentrum sowie den Prozessen zur Versorgung der Produktion liegen. Darüber hinaus soll auch auf die Potenziale der Digitalisierung eingegangen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1.1: Die wichtigsten Themen der Logistik in Deutschland [BVL15]
1.2 Zielsetzung
Gegenstand dieser Arbeit ist die Betrachtung der Arbeitsprozesse in einem Distributionszentrum und in der Versorgung der Produktion. Dabei liegt der Fokus auf den Prozessen im Wareneingang (WE) und Warenausgang (WA) sowie der Ein- und Auslagerung, dem Kommissionierprozess und den innerbetrieblichen Transportprozessen. Bezogen auf die Industrie in Deutschland sollen digitale und technologische Entwicklungen untersucht werden, um die Ansatzpunkte für eine Digitalisierung der Arbeitsprozesse deutlich zu machen. Daneben sollen die unterschiedlichen Perspektiven und Möglichkeiten der Digitalisierung von Arbeitsprozessen erarbeitet werden. Dazu müssen unterschiedliche Entwicklungschancen und verschiedene perspektivische Pfade aufgezeigt werden. Der Hauptfokus liegt hier auf den operativen Arbeitsprozessen. Unter der Zielsetzung, die Arbeit des Mitarbeiters zu erleichtern und gleichzeitig eine Steigerung der Produktivität zu erzielen, sollen folgende Fragestellungen in dieser Arbeit untersucht werden:
- Welche Ansatzpunkte und Technologien gibt es für eine Digitalisierung der Prozesse?
- Wie werden sich zukünftige Arbeitsprozesse durch die Digitalisierung entwickeln?
- Welche Potenziale sind durch digitalisierte Arbeitsprozesse in Produktion und Logistik zu erzielen bzw. zu erwarten?
Neben der Untersuchung auf Prozessebene sollen die Entwicklungspotenziale der Digitalisierung sowie die Probleme beim Aufbau neuer Systeme zusätzlich auf einer normativen Prozessebene aufgezeigt werden. In diesem Zusammenhang werden die Bereiche Supply-Chain, Produktion und Wartung kurz betrachtet. Daraus ergibt sich folgende weitere Fragestellung:
- Welche Perspektiven gibt es für das Gesamtsystem durch den Einsatz neuer Technologien im Hinblick auf ein digitalisiertes Unternehmen?
1.3 Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in insgesamt fünf Kapitel.
In Kapitel zwei werden die Arbeitsprozesse der Intralogistik und deren Ausführung behandelt. Zu Beginn werden die Faktoren beschrieben, die sich auf die Arbeitsprozesse auswirken. Danach werden verschiedene Hilfsmittel für die Arbeitsprozesse betrachtet. Dann werden der Transportprozess, die Prozesse im WE und WA und bei der Ein- und Auslagerung sowie der Kommissionierprozess analysiert. Dabei wird eine kurze Einführung in die jeweiligen Arbeitsprozesse und deren historische Entwicklung gegeben. Anschließend werden die durchgeführten Tätigkeiten und Prozesse mit Fokus auf die aktuell verwendeten Hilfsmittel beschrieben.
Kapitel drei beschäftigt sich mit digitalen Entwicklungen und Neuerungen in der Intralogistik. Einführend wird auf die Aspekte des „Internet der Dinge“ sowie den Begriff Industrie 4.0 eingegangen. Anschließend werden wichtige digitale Basistechnologien sowie deren Variationen thematisiert. Zuletzt werden aktuelle und perspektivische Umsetzungen aus Forschung und Entwicklung (F&E) sowie der Industrie und deren Chancen und Möglichkeiten im Rahmen verschiedener Projekte vorgestellt.
Aufbauend auf den beschriebenen Arbeitsprozessen und den vorgestellten Projekten behandelt das vierte Kapitel die Perspektiven, die sich aus dem Zusammenwirken der wichtigsten neuartigen Technologien ergeben sowie deren Fähigkeiten zur Disruption oder Kooperation. Daneben werden die Wirkbeziehungen zwischen den Technologien analysiert. Darüber hinaus wird auf die Theorien zu möglichen Entwicklungen durch die Digitalisierung eingegangen. Darauf aufbauend werden die Perspektiven der einzelnen Arbeitsprozesse diskutiert. Das Kapitel schließt mit einer methodischen Analyse der theoretischen Entwicklungen und konstruiert ein mögliches Gesamtsystem.
Im letzten Kapitel werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst sowie ein Ausblick auf weitere Herausforderungen gegeben.
2 Arbeitsprozesse in der Intralogistik
In diesem Kapitel werden die betrachteten Arbeitsprozesse erläutert. Zuerst werden die Anforderungen zur Durchführung der Arbeitsprozesse anhand von prozessbeeinflussenden Faktoren analysiert. Anschließend werden verschiedene in den Prozessen genutzte Hilfsmittel vorgestellt. Dann wird auf die Arbeitsprozesse Transport, WE / WA, Ein- und Auslagerung sowie Kommissionierung eingegangen. Dabei werden die Grundlagen sowie die Entwicklungen der Arbeitsprozesse bzw. die Entwicklungen der für die Durchführung der Arbeitsprozesse nötigen Hilfsmittel erläutert. Schließlich folgt eine kurze Zusammenfassung des Kapitels.
Zur Erstellung der Arbeitsprozesse wurden die Richtlinien VDI 3629 „Organisatorische Grundfunktionen im Lager“ und VDI 3590-1 „Kommissioniersysteme Grundlagen“ herangezogen, die eine allgemein gültige Übersicht der Tätigkeiten bieten. Weiterhin sind die Arbeitsprozesse selbst in der Integrierten Unternehmensmodellierung (IUM) des Fraunhofer IPK dargestellt. Die IUM besteht aus den Basiskonstrukten Produkt (rot), Auftrag (blau), Ressource (grün) und Aktion (gelb). Der Informationsfluss setzt sich dabei generell aus Aufträgen und den entsprechenden Aktionen zusammen, während der Materialfluss aus Produkten und deren Bearbeitung in einer Aktion besteht. Ein Auftrag steuert die Durchführung einer Aktion, die bspw. ein Produkt verändert und von der Ressource durchgeführt oder unterstützt wird. Die dabei aktuell am häufigsten von den Ressourcen verwendeten Hilfsmittel zur Erleichterung der Arbeitsaufgaben wurden in den Prozessabläufen den ausführenden Mitarbeitern oder Systemen direkt zugeordnet. Je nach Ausprägung des spezifischen Systems können an gleicher Stelle im Prozess unterschiedliche Hilfsmittel genutzt werden. Es wurde jedoch Wert darauf gelegt, möglichst allgemein gültige Arbeitsprozesse zu modellieren.
2.1 Anforderungen zur Durchführung der Arbeitsprozesse
Die Arbeitsprozesse in der Intralogistik sind über unterschiedliche Branchen hinweg vergleichbar. So müssen alle Artikel und Waren bspw. ein- und ausgelagert, identifiziert, kommissioniert und transportiert werden. Die Möglichkeiten zur Durchführung dieser Tätigkeiten sind allerdings vielfältig und in der Regel abhängig von unterschiedlichen branchenspezifischen Faktoren.
So gibt es bspw. im Handel differenzierte Prozessanforderungen. Da eine Vielzahl von Produkten Konsumgüter sind und relativ geringe auftragsbezogene Mengenschwankungen auftreten bzw. eine gute Prognosequalität besteht, können die Prozesse oft automatisiert werden (vgl. Abschnitt 2.6.1). Aufgrund von oftmals verderblichen Waren müssen hier jedoch auch besondere Anforderungen beachtet werden, z. B. eine geschlossene Kühlkette oder die Bestandsführung nach First-in First-out (FIFO). In anderen Bereichen der Industrie sieht dies nicht anders aus. In der Elektroindustrie müssen Artikel und Baugruppen bspw. in ESD-sensitiven Behältern gelagert werden, um eine elektrostatische Entladung zu verhindern.
Festzuhalten bleibt, dass die logistischen Handlinganforderungen je nach Artikelart unterschiedliche Arbeitsprozesse erfordern. Nicht zuletzt müssen in Abhängigkeit von Größe und Gewicht der Artikel verschiedene Handhabungssysteme installiert werden. Ebenfalls relevant sind die technische Ausfertigung der Infrastruktur in der gesamten Intralogistik sowie der allgemeine Aufbau des Lagers und die betriebliche Arbeitsteilung.
Wie die Arbeitsprozesse im Speziellen aussehen hängt insofern von unterschiedlichen system-, lager-, artikel- und auftragsspezifischen Faktoren ab. Tab. 2.1 beinhaltet eine Auswahl verschiedener Einflussfaktoren auf die Arbeitsprozesse. Diese Faktoren sind in ihrer Auswahl veränderlich, d. h. sie beeinflussen und beschränken sich und schließen sich so gegenseitig aus.
Tab. 2.1: Auswahl arbeitsprozessbeeinflussender Faktoren (vgl. [HSB11], S. 33 und Tab. 8.2; [TUD16])
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 Hilfsmittel zur Durchführung der Arbeitsprozesse
Nachdem die Einflussfaktoren bezogen auf die durchzuführenden Arbeitsprozesse aufgezeigt wurden, sollen nun die häufigsten Hilfsmittel für die nachfolgend beschriebenen Arbeitsprozesse vorgestellt werden. Tab. 2.2 liefert dazu eine kategorisierte Übersicht der gebräuchlichsten Hilfsmittel bzw. Fähigkeiten.
Tab. 2.2: Übersicht aktueller Hilfsmittel für Mitarbeiter
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die Fortschritte in der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) können viele zuvor papiergebundenen Prozesse mobil ablaufen. Dabei hat sich ein handgehaltenes Gerät zur mobilen Datenerfassung (MDE) als das zentrale Hilfsmittel etabliert. MDE-Geräte gibt es in verschiedenen Ausführungen. In der Regel besitzen sie einen eingebauten Scanner zur Barcodeerfassung, aber auch Zusatzfunktionen wie Labeldrucker. Sie können somit sowohl zur Identifikation als auch zur Kommunikation mit dem System genutzt werden.
Man unterscheidet außerdem zwischen Online- und Offline-Geräten. Online-Geräte verfügen über eine drahtlose Verbindung zum sofortigen Datenaustausch über lokale Funknetzwerke (vgl. zu Funknetzwerken Kapitel 3.2.1), Offline-Geräte benötigen eine Docking-Station zur Synchronisierung ([HSB11], S. 55–56). Zusätzlich gibt es Geräteausfertigungen als handgehaltene Scanner zur Radio-Frequency Identifcation (RFID; [BCP⁺15], S. 485) oder Geräte am Handgelenk mit einem Barcodescanner als Fingerring, z. B. von der Firma Honeywell [Hon16]. Je nachdem welches Prinzip bspw. in der Kommissionierung angewandt wird, werden neben MDE-Geräten auch stationäre Terminals zur Ein- und Ausgabe von Informationen genutzt (vgl. [HSB11], S. 53–54). Bei großen zu erfassenden Artikelmengen hat sich zusätzlich die Pulkerfassung durch Scannerduschen oder RFID-Gates etabliert.
Weitere Hilfsmittel sind zur Handhabung von Artikeln während des Arbeitsprozesses nötig. Daneben werden vom den Mitarbeitern auch kognitive Fähigkeiten bspw. zum Lernen der Arbeitsaufgabe sowie zur Gerätebedienung, Wegfindung oder Identifikation erwartet.
2.3 Transportprozesse in Lager und Produktion
2.3.1 Grundlagen und Geschichte des Transports
Der innerbetriebliche Transport ist für das Zusammenwirken der Prozesse unerlässlich. Waren müssen permanent von einer Quelle zur Senke transportiert werden. Transportvorgänge werden in allen wertschöpfenden Bereichen von Unternehmen durchgeführt, sei es im WE und WA, im Lager zur Ein- und Auslagerung, Umlagerung oder Kommissionierung oder in der Produktion zur Materialversorgung und dem Weitertransport unfertiger und fertiger Erzeugnisse an nachfolgende Fertigungsschritte.
Der Transportprozess lässt sich nach seiner Kontinuierlichkeit in stetige und unstetige Transportvorgänge untergliedern. Stetige Transportvorgänge werden von Fördermitteln durchgeführt, die einen kontinuierlichen oder diskret kontinuierlichen Förderstrom erzeugen. Beispiele dafür sind Rollenbahnen, Tragkettenförderer, Bandförderer oder Rutschen. Unstetige Transportvorgänge werden hingegen nur bei entsprechendem Transportbedarf in Intervallen durchgeführt. Unstetigförderer können Verschiebewagen, Gabelhubwagen, Staplerfahrzeuge, Schleppfahrzeuge, fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF), Regalbediengeräte (RBG) oder Shuttlefahrzeuge sein (vgl. [HSB11], S. 46–49). Neben dem Transport von Materialien und Erzeugnissen oder Personen erfüllen Fördermittel ebenfalls Aufgaben zum Verteilen, Sortieren, Puffern, Zwischenlagern oder Sammeln ([HSB11], S. 45). Stetige und unstetige Transportvorgänge können sowohl automatisch als auch manuell mit Hilfe des Mitarbeiters durchgeführt werden. Die dazu nötigen Arbeitsvorgänge werden in den nachfolgenden Abschnitten 2.3.2 und 2.3.3 erläutert.
In den vergangenen Jahren hat sich der Transportprozess selbst nur unwesentlich verändert. Vor allem mit der Entwicklung von Sensortechnologien (vgl. Kapitel 3.2.2) konnten bis heute hochautomatisierte Anlagen geschaffen werden. In den 80er-Jahren wurde der Weg zum heutigen Stand der Stetigfördertechnik durch die fortschreitende Entwicklung von Regelungs- und Steuerungstechnik und dem dadurch gesteigerten Automatisierungsgrad eingeschlagen ([GH07], S. 94). Erste Stetigfördertechnik nach dem Prinzip der Fließfertigung wurde in Europa ab Mitte der 50er-Jahre in Form von Rollenbahnen zur Bereitstellung am Arbeitsplatz eingesetzt. Zuerst noch unangetrieben wurden im Laufe der Jahre zahlreiche Förderanlagen bedingt durch Standardisierung der Ladehilfsmittel sowie neue Kundenanforderungen und gestiegene Personalkosten (70er-Jahre) realisiert. Durch den Trend zur Zentralisierung als Folge der Globalisierung wurden die Anlagen in den 80er-Jahren immer größer. Dieser Trend setzte sich bis zum Ende der 90er-Jahre und dem Aufkommen des E-Commerce zu Beginn des neuen Jahrtausends fort. ([GH07], S. 78–91). Heute gibt es durch digitale Fortschritte den Trend zur Dezentralisierung (vgl. Kapitel drei).
Analoge Entwicklungen gab es im Bereich der Unstetigfördertechnik (vgl. dazu Abschnitt 2.5 und 2.6). Die meistgenutzten unstetigen Transportmittel sind Flurförderzeuge (FFZ). 1917 von der Firma Clark entwickelt, wurde das Konzept des Gabelstaplers in unterschiedlichen Gerätetypen weiterentwickelt ([GH07], S. 139). Die Fahrzeuge kommen dabei über die gesamte Logistikkette zum Einsatz. Abb. 2.1 gibt eine Übersicht der gängigsten FFZ. Heute werden immer mehr Assistenzsysteme angeboten, die den Staplerfahrer bei seinen Tätigkeiten unterstützen (vgl. Kapitel 3.3).
Mit Einführung der Europalette Ende der 50er-Jahre konnte das Handling mit FFZ weiter standardisiert werden ([GH07], S. 34). Zur selben Zeit wurden erste FTF entwickelt, die als Schleppfahrzeuge elektromagnetisch an einem Leitdraht im Hallenboden entlang geführt wurden. Die Leitdraht- und Induktivführung war bis in die 70er-Jahre die grundlegende Steuerungstechnik von FTF. In den 80er-Jahren wurden neue Navigationssysteme entwickelt. Sie basierten auf der Orientierung an räumlich angebrachten Reflektoren (Lasertechnik) oder an im Boden diskontinuierlich verlegten Magneten bzw. Transpondern (Rastertechnik). Auslöser dieser Entwicklung war der Boom fahrerloser Transportsysteme in der Automobilindustrie und der Wunsch nach einer besseren Anpassungsfähigkeit der Systeme ([GH07], S. 148–151). Heute werden FTF z. B. auch über kontinuierlich auf den Hallenboden angebrachte Linien optisch geführt oder bewegen sich frei von Leitlinien mit Hilfe unterschiedlicher Sensoren (vgl. hierzu Tab. 3.2 und Abschnitt 3.3.5). Haltepunkte und Übergabestationen werden über Referenzmarken wie bspw. RFID-Tags oder Lichtschranken erkannt ([GH07]; [BHV14], S. 223).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.1: Übersicht der meistgenutzten Flurförderzeuge (Bildquelle: [GH07], S. 140–141)
FTF werden u. a. zur Materialbereitstellung in der Produktion genutzt. Neben manuell gesteuerten FFZ kommen sie hier zumeist als Routenzüge zum Einsatz. Routenzüge werden in der Regel zur Produktionsversorgung aus dem Lager, einem Kanban-Supermarkt oder einem Puffer genutzt. Sie versorgen verschiedene Bereitstellorte sowohl mit Materialien als auch mit Kaufteilen und Baugruppen und sammeln fertige und unfertige Erzeugnisse auf einer gewöhnlich festgelegten Tour wieder ein. Oft fahren Routenzüge nach einem feststehenden Takt ([GKD12], S. 15–16). Der Standardisierungsgrad von Routenzugkonzepten ist noch relativ gering. Dies führt dazu, dass die Handhabung der Behälter bei der Be- und Entladung mit einer Vielzahl manueller Tätigkeiten verbunden ist (vgl. [GKD12], S. 8). In weniger verbreiteten automatischen Konzepten werden Routenzüge über mehrere Handhabungs- und Pufferstufen beladen. Zusammenfassend führt dies zu einem hohen Mitarbeiterbedarf sowie hohen Investitionen in Fördertechnik und Fläche bzw. zu langen Vorlaufzeiten [GDG13].
Nachfolgend wird der Transportprozess beschrieben. Dieser bezieht sich auf folgende funktionale Ablaufbeschreibungen ([VDI3629]; [AFI⁺08], S. 379):
- Verteilung auf Lagerbereiche: Zeit- und wegbezogene Behandlung von Lagereinheiten zwischen WE und Identifikationspunkt. Dazu gehört ebenfalls das Puffern und Sortieren.
- Verteilung auf Warenausgangszonen: Nach Kontrollpunkt durchgeführter Transport zum im Transportauftrag festgelegten Ziel.
2.3.2 Arbeitsprozess stetiger Transportvorgang
Der stetige Transport läuft heute in der Regel automatisch ab. Ein Beispiel dafür ist der Transportvorgang von Artikeln bei großen Online-Versandhändlern. Je größer die zu transportierenden Mengen sind und je besser diese standardisiert werden können, desto mehr Stetigfördertechnik kommt zum Einsatz. Da dies der am häufigsten auftretende Fall ist, soll im Folgenden der automatische Transport von Artikeln über Stetigfördertechnik betrachtet werden. Abb. 2.2 dokumentiert diesen Prozess, der angelehnt an [TUD16] modelliert wurde.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.2: stetiger Transportprozess
Zuerst wird für den zu transportierenden Artikel ein Transportauftrag erstellt. Dies kann automatisch durch das IT-System geschehen oder durch Mitarbeiter in Produktion und Logistik über MDE-Gerät, Eingabe-Terminals oder Computer. Der zu transportierende Artikel wird dann dem stetigen Fördersystem zugeführt. Je nach Größe der Lagereinheit unterscheidet sich die Zuführung in das System. Sind Lagereinheiten auf Paletten wird die Zuführung mit dem FFZ erledigt. Für kleinere Ladungsträger können die Artikel bspw. mit der Hand auf das Förderband geschoben werden. Danach findet der Transport zur Senke automatisch statt. Informationen zur Senke sind durch das Scannen und Auslesen von Barcodes oder RFID-Tags vom System abfragbar, das so auf dem Weg zur Senke mehrfach den Artikel identifiziert, um ihn entsprechend der hinterlegten Daten zur richtigen Senke zu transportieren.
2.3.3 Arbeitsprozess unstetiger Transportvorgang
Der unstetige Transportprozess wird ebenso automatisch von FTF wie manuell mit FFZ durchgeführt. In diesem Kapitel soll der manuelle Transportprozess mit FFZ beschrieben werden, da es insbesondere bei manuellen Unstetigförderern noch Entwicklungspotenziale in der Digitalisierung verschiedener Assistenzsysteme gibt (vgl. Kaptitel 3.3.4). Die Technologien des automatischen Transports mit FTF werden u. a. in Kapitel 3.3.5 thematisiert.
Der Transport bzw. das Führen eines Gabelstaplers kann nach [GBV⁺15] in unterschiedliche Hauptaufgaben aufgeteilt werden. Die eigentliche Fahraufgabe sowie die Auftragsabwicklung und das Handling von Lasten werden nachfolgend erläutert (vgl. Abb. 2.3). Der unstetige Transportprozess wurde angelehnt an ([GBV⁺15], S. 27–31) und [TUD16] modelliert.
Zuerst erhält der FFZ-Fahrer per Zuruf oder über ein Funksystem den Transportauftrag. Während seiner Fahrt zur Quelle und beim Lasttransport muss er dann mehrere Parameter beachten. Bspw. müssen das Layout der Arbeitsumgebung, die Breite von Verkehrswegen aber auch stationäre und dynamische Hindernisse beachtet werden ([GBV⁺15], S. 28–29). Die Identifikation des Lagerorts bzw. der Artikel erfolgt in der Regel mit einem MDE-Gerät. Anzumerken ist, dass dem Fahrer bei der eigentlichen Positionierung der Gabelzinken sowie Lastaufnahme und Lastabgabe an der Quelle und Senke keine oder nur geringe Hilfestellungen durch Assistenzsysteme zur Verfügung stehen ([GBV⁺15], S. 30). Außerdem sind die Sichtverhältnisse des Fahrers eingeschränkt, z. B. durch Hubgerüst, Last, Kabinensäulen und Fahrerschutzdach ([GBV⁺15], S. 21).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.3: unstetiger Transportprozess
Gabelstapler können heute auch über Staplerterminals Transportaufträge von SLS empfangen. Durch die SLS-gestützte Einsatzsteuerung wird eine optimale Auslastung erzielt, wodurch die Effizienz der Disposition sowie die Transparenz der Prozesse gesteigert werden kann ([GH10], S. 315). In den meisten Fällen werden Aufträge jedoch noch auf Zuruf oder per Funksystem entgegengenommen. Dies wird insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) praktiziert. Da traditionelle Lösungen jedoch zunehmend an ihre Grenzen stoßen, wird der Fahrzeugeinsatz in Großunternehmen bereits vermehrt über SLS gesteuert ([Arn06], S. 227).
Zusätzlich zu den Primärfunktionen Fahren und Fördern müssen auch sekundäre Aufgaben zum Betrieb des Staplers durchgeführt werden. Derartige Aufgaben sind z. B. die Kontrolle der Betriebszustände, das Bedienen von Beleuchtung oder die Ladung bzw. Treibstoffzufuhr ([GBV⁺15], S. 29).
2.4 Wareneingang und Warenausgang
WE und WA sind die Verbindungen der innerbetrieblichen Logistik zu vor- und nachgelagerten Prozessschritten. Damit spielen sie eine wichtige Rolle als physische Schnittstelle zu Lieferanten und Kunden eines Standorts sowie zur gesamten Wertschöpfungskette bzw. Supply-Chain. Die Hauptaufgaben in WE und WA sind die Be- und Entladung von ankommenden LKW, der Tausch von Transportmitteln und Leergut, die Prüfung der gelieferten oder auszuliefernden Waren auf Richtigkeit von Menge, Qualität und beigefügter Transportunterlagen sowie die erst- oder letztmalige Buchung der Artikel und die Bildung von Transport- bzw. Lagereinheiten [TUD16]. Vor allem in Distributionszentren, die über eine begrenzte Anzahl von Verladerampen verfügen, müssen die Zeitfenster zur Be- und Entladung der LKW über eine minutengenaue Terminplanung gesteuert werden. Dies erfordert gut getaktete Arbeitsprozesse in WE und WA. Im Verlauf der Jahre konnte dieses Ziel durch neue IT- und Mobilfunkgeräte sowie standardisierte Abläufe erreicht werden. Nachfolgend werden diese Abläufe erläutert.
2.4.1 Arbeitsprozess Wareneingang
Der WE liefert Waren an die nachgelagerten Prozessschritte im Lager oder für die direkte JIT-Versorgung der Produktion. Im WE selbst werden nach [VDI3629] technisch-organisatorische Aufgaben wie Entladen, Auspacken, Prüfen und Sortieren durchgeführt, die sich wie folgt darstellen ([AFI⁺08], S. 379):
- Bildung von lagerfähigen Einheiten gemäß der artikelspezifischen Merkmale und lagerspezifischen Anforderungen,
- Identifikation von Artikeln und Anbringen von Identifikationsmerkmalen,
- Eingangsprüfung, Mengenprüfung und Qualitätskontrolle nach vorgegebenen Richtlinien.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.4: Wareneingangsprozess
Der Arbeitsprozess WE ist in Abb. 2.4 nachzuvollziehen. Die gelieferten Artikel werden nach Annahme der Lieferung in der Regel mit einem FFZ entladen. Bei kleinen Paketlieferungen von KEP[1] -Dienstleistern kann dies auch händisch im Rahmen einer Übergabe der Ware geschehen. Danach erfolgt die Eingangsbuchung der gelieferten Artikel. Je nachdem welches System zur Identifizierung angewandt wird, können die Artikel erst in der WE-Zone mit einem MDE-Scanner oder auch gleichzeitig mit der Entladung gebucht werden, z. B. bei der Fahrt durch ein RFID-Gate. Auch kann es passieren, dass erst eigene Identifikationsmerkmale am Ladungsträger angebracht werden müssen, da ein Identifikationssystem nur unternehmensintern genutzt wird. Nach der Prüfung des Lieferscheins und der Eingangskontrolle der gelieferten Einheiten wird ein Lagerauftrag erstellt, der sogleich bspw. an einen FFZ-Fahrer weitergeleitet wird. Dieser übernimmt die Sortierung und Bildung von Lagereinheiten, die er entweder zur genaueren Prüfung an die Qualitätskontrolle liefert oder direkt an einen nachfolgenden Prozess weiterleitet. Auch wenn FFZ in puncto Flexibilität beim Palettentransport nahezu unschlagbar sind, ist bei der manuellen Entladung doch ein hoher Zeit- und Personaleinsatz erforderlich. Die beschriebene Entladung und Sortierung kann daher auch teil- oder vollautomatisiert mit Hilfe von Verladesystemen und Sortern erfolgen, durch die eine hohe Umschlaggeschwindigkeit erzielt werden kann. Solche Systeme werden je nach Anbindung der internen Fördertechnik realisiert ([AFI⁺08], S. 712).
2.4.2 Arbeitsprozess Warenausgang
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.5: Warenausgangsprozess
Der gesamte WA-Prozess ist in Abb. 2.5 beispielhaft dargestellt. Im WA und Versand werden entsprechend der Versandaufträge ausgelagerte bzw. vorkommissionierte Artikel mit Hilfe stetiger und unstetiger Fördertechnik bereitgestellt. Die Artikel werden zu Versandeinheiten zusammengestellt, sofern die Lagereinheiten diese noch nicht darstellen. In Abhängigkeit von der vorgelagerten Stufe der Kommissionierung treten dadurch potenzielle Restmengen auf. Diese werden wieder eingelagert. Daneben werden Transport- und Versandpapiere im Versandbüro erstellt und den Versandeinheiten beigefügt. Schließlich werden die Einheiten nach einer kurzen Vollständigkeits- und Qualitätsprüfung und der automatischen oder manuellen Identifikation bzw. Buchung (vgl. Kapitel 2.4.1) auf das Transportfahrzeug verladen ([AFI⁺08], S. 379). Ebenso wie im WE kann auch hier die Verladung manuell, teil- oder vollautomatisiert erfolgen.
2.5 Einlagerung und Auslagerung
2.5.1 Grundlagen und Geschichte der Lagerung
Im Lager werden in erster Linie die Arbeitsprozesse Einlagern, Auslagern, Umlagern und Kommissionieren durchgeführt. Ein Lager besitzt vielfältige Funktionen wie z. B. die Überbrückungsfunktion zum Ausgleich von Nachfrageschwankungen und Versorgungsengpässen. Artikel werden im Lager gehalten und ein- bzw. ausgelagert z. B. als Vorstufe der Kommissionierung in einer speziellen Schnelldreherzone oder die Kommissionierung findet bereits direkt im Lager statt. Die Dauer der Ein- oder Auslagerung wird durch die Spielzeit ausgedrückt, die sich je nachdem, ob Ein- und Auslagerung getrennt (Einzelspiel) oder gemeinsam (Doppelspiel) durchgeführt werden, anders darstellt (vgl. hierzu [HSB11], S. 171–183). Läger lassen sich kategorisieren in manuelle und automatisch bediente Läger. Manuell bediente Regalläger benötigen bspw. in Abhängigkeit von Ladehilfsmitteln, Lagerhöhen und der Anzahl eingelagerter Artikel einen großen Flächenbedarf wodurch sich die Spielzeit erhöht.
Nach der Entwicklung des ersten deutschen Hochregallagers (HRL) zur Bücherlagerung bei Bertelsmann in Gütersloh im Jahr 1962 und dem ersten automatischen HRL mit Lochkartensteuerung im Jahr 1968 ([Arn06], S. 45) gab es in den Folgejahren vielseitige Entwicklungen für unterschiedliche Ladehilfsmittel bis hin zur Einführung von Kleinteilelägern als HRL (auch AKL) in den 80er-Jahren ([GH07], S. 193). In HRL ist bedingt durch die Lagerung in Höhen weit über zehn Metern im Vergleich zur manuellen Regallagerung in der Fläche eine deutlich höhere Anzahl an Lagerspielen im Zeitverlauf gegenüber manuellen Lägern erzielbar. Weitere Vorteile des HRL liegen in der verlässlichen Systemleistung. Andererseits müssen Übergabepositionen überall dort geschaffen werden, wo ein Systemübergang erforderlich ist ([Ull14], S. 59).
Nach der Einführung von Schubmast- und Hochregalstaplern für manuelle Läger Mitte der 70er-Jahre ([GH07], S. 102) wurden durch den Bau größerer Hochregale auch RBG mit immer höheren Leistungen benötigt. Zunächst wurden noch manuelle RBG benutzt, wobei die Einlagerung und Auslagerung vom Bediener selbst vorgenommen wurde. Erste automatische RBG wurden für vollautomatische Läger mit Kartons in den 70er-Jahren konzipiert ([GH07], S. 159). Der Arbeitsprozess der Ein- und Auslagerung wurde daher zunehmend automatisiert.
Im Folgenden wird dieser Arbeitsprozess beschrieben und visualisiert. Der Prozess bezieht sich auf die in ([AFI⁺08], S. 379) beschriebenen Ablaufbeschreibungen angelehnt an [TUD16]:
- Identifikationspunkt: Kontrolle der Lagereinheit bezüglich Lagerfähigkeit und Lagerdaten wie Artikelnummer oder Menge.
- Einlagerung: Transport der Lagereinheit zum endgültigen Lagerplatz unter Überwachung der korrekten Ausführung.
- Auslagerung: Umfasst die Disposition und Durchführung der Auslagerung sowie die Bestandsfortschreibung und Überwachung.
- Kontrollpunkt: Identifizierung und Quittierung des Auslagerauftrags sowie Festlegung der weiteren Bearbeitungsschritte.
2.5.2 Arbeitsprozess Einlagern und Auslagern
Die Arbeitsprozesse Einlagern und Auslagern ähneln sich sehr. Abhängig vom gewählten Lagertyp (vgl. Tab. 2.1) müssen jedoch ganz unterschiedliche Vorgänge ausgeführt werden. Das allgemeine Vorgehen bei den Arbeitsprozessen Einlagerung und Auslagerung ist in Abb. 2.6 und Abb. 2.7 nachvollziehbar.
Die Einlagerung und ebenso die Auslagerung können je nach Art der Lagerung gleichermaßen manuell, halb- oder vollautomatisiert erfolgen. In den modellierten Prozessen ist daher die Entscheidung zur Ein- und Auslagerung abhängig vom jeweiligen Automatisierungsgrad zu treffen. Eine teilautomatisierte Einlagerung bzw. Auslagerung ist bspw. die manuelle Fahrt zum Lagerplatz mit einem RBG, das dann den Einlager- oder Auslagervorgang automatisch z. B. nach Betätigen einer Taste durch den Mitarbeiter durchführt (vgl. [FEM9.101]).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.6: Einlagerungsprozess
Im übergeordneten Informationsfluss werden ebenso je nach Automatisierungsgrad des Systems vom Mitarbeiter oder automatisch direkt durch das System Ein- und Auslageraufträge erstellt, einzulagernde bzw. auszulagernde Mengen reserviert und diese Mengen nach Durchführung des Ein- oder Auslagerprozesses gelöscht sowie der Bestand aktualisiert.
Bevor eine Einlagerung oder Auslagerung durchgeführt wird, müssen die ein- oder auszulagernden Einheiten auf ihre Richtigkeit hinsichtlich der Systemdaten und der Zulassung zur Ein- oder Auslagerung überprüft werden. Diese kontrollierende oder identifizierende Tätigkeit kann auf unterschiedliche Weise, bspw. wie hier in den Abbildungen dargestellt manuell von Mitarbeitern im Lager, ausgeführt werden. Erst mit der Einführung von Auto-ID-Technologien wie Barcodes oder RFID konnte diese Prozessschnittstelle am Identifikationspunkt bzw. Kontrollpunkt automatisiert werden ([GH07], S. 230). Ebenfalls abhängig von individuellen Ausführungen des Lagersystems (z. B. Festplatzvergabe oder chaotische Lagerhaltung) kann die Buchung und Lagerplatzauswahl bereits zu diesem Zeitpunkt in einem WMS abgeschlossen sein.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.7: Auslagerungsprozess
2.6 Kommissionierung
Den zentralen Arbeitsprozess der Intralogistik stellt die Kommissionierung dar. Weil Lagereinheiten in der Regel nicht mit den kunden- oder produktionsbedarfsorientierten Transporteinheiten (TE) übereinstimmen, muss die auftragsspezifische Stückzahl eines Artikels entnommen werden. Dieser Vorgang wird Kommissionierung genannt ([HSB11], S. 4). Die Definition der Kommissionierung ist nach [VDI3590] wie folgt: „Kommissionieren hat das Ziel, aus einer Gesamtmenge von Gütern (Sortiment) Teilmengen (Artikel) auf Grund von Anforderungen (Aufträge) zusammenzustellen.“
In diesem Abschnitt soll auf die Grundbegriffe des Kommissionierens, die Geschichte sowie die wichtigsten Aspekte von Kommissioniersystemen und die unterschiedlichen Ausführungen von Kommissioniersystemen eingegangen werden bevor der Kommissionierprozess erläutert wird.
2.6.1 Grundlagen und Geschichte der Kommissionierung
Die Entwicklung von Kommissioniersystemen begann nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als die Nachfrage und das Artikelsortiment wuchs und der Versandhandel zunehmend an Bedeutung gewann. Eine typische Kommissionieranlage war das Regallager, aus dem Artikel manuell mit Kommissionierwagen, Staplern und anderen Unstetigförderern kommissioniert wurden ([GH07], S. 213–217). Später entwickelten sich andere Systeme, die zum einen durch eine immer bessere informationstechnische Verarbeitung, die schnellere Auftragsdurchlaufzeiten zur Folge hatte, zum anderen durch neuartige Kommissionierkonzepte zunehmend automatisiert werden konnten. So gab es ab Mitte der 80er-Jahre erste preiswerte Kommissionierautomaten, die auch heute noch dort im Einsatz sind, wo die Verpackungsformen der Artikel für den Automatikbetrieb geeignet sind, bspw. im Großhandel oder im Getränkehandel ([GH07], S. 220–221).
Besonders der Einzelhandel profitiert heute von automatisierten Kommissioniersystemen, da gerade dort ein optimales Preis-Leistungsverhältnis der Produkte und eine attraktive Produktvielfalt für den Kunden als Basis einer kostengünstigen filialgerechten Belieferung von entscheidender Wichtigkeit sind. Ein Beispiel eines automatischen Kommissioniersystems ist die 2003 von Witron entwickelte sogenannte „Case Order Machine“ (COM), die einen komplett mechanisierten Kommissionierprozess für Handelswaren ermöglicht. Die COM kann mit einer durchschnittlichen Leistung von 500 Handelseinheiten pro Stunde bis zu 90 % der Handelseinheiten automatisch kommissionieren. Dies entspricht mehr als einer Leistungsverdopplung im Vergleich zu herkömmlichen manuellen Kommissioniermethoden ([Arn06], S. 156–165).
Wie bei den zuvor beschriebenen Arbeitsprozessen löst auch hier ein Auftrag den Kommissionierprozess aus. Dabei ist zum einen zwischen Kundenauftrag und Kommissionierauftrag zu unterscheiden. Ein Kommissionierauftrag kann einen Teil eines Kundenauftrags oder den gesamten Kundenauftrag ausmachen. Er wird abhängig vom Organisationstyp der Kommissionierung angepasst ([HSB11], S. 8; vgl. dazu auch [HSB11], S. 31). Zum anderen ist darüber hinaus zwischen Auftragspositionen und Picks zu unterscheiden. Ein Pick bezeichnet den Zugriff auf einen Artikel und dessen Entnahme. Da für eine Auftragsposition in vielen Fällen mehrere Entnahmen erforderlich sind, kann eine Auftragsposition je nach Anzahl der zu kommissionierenden Artikel auch aus mehreren Picks bestehen ([HSB11], S. 8–9). Abhängig davon, ob die Kommissionierung auftragsweise oder artikelweise durchgeführt wird, ändert sich zusätzlich die Bewegungsstrategie des Kommissionierers. Dabei ist zwischen einstufiger und mehrstufiger Kommissionierung zu unterscheiden, die seriell oder parallel ausgeführt wird (vgl. dazu ebenfalls [HSB11], S. 34–39). Eine mehrstufige Kommissionierung ist komplexer als die einstufige Variante, die Kommissionierleistung wird dagegen dadurch erhöht, dass z. B. Wege nur einmal anfallen ([Rei09], S. 29).
Zur weiteren Analyse der Entwicklungsperspektiven des Kommissionierprozesses sollen nun die wichtigsten zu betrachtenden Aspekte und Systeme der Kommissionierung genannt werden.
Kommissioniersysteme lassen sich nach ihren Grundprinzipien generell in die zwei Systeme Person-zur-Ware (PzW) und Ware-zur-Person (WzP) einteilen. In PzW-Systemen werden die Güter statisch an einem Ort (z. B. einem Fachbodenregal) bereitgestellt. Der Kommissionierer bewegt sich bspw. klassisch mit einem Kommissionierwagen durch die Regalanlage von Entnahmeort zu Entnahmeort und legt die entnommenen Artikel in einen Sammelbehälter, den er nach Abschluss des Kommissionierauftrags an einer zentralen Basis übergibt ([HSB11], S. 41). Ein solches manuelles Kommissioniersystem wird meist bei einer geringen Leistungsanforderung, bei einem heterogenen Artikelspektrum und wenn die Entnahmeeinheiten vereinzelt werden müssen genutzt ([Rei09], S. 31). Die Grenzen eines PzW-Systems werden bspw. bei der manuellen Palettenkommissionierung deutlich: Die Anzahl der Auftragspositionen muss entsprechend hoch sein, damit sich ein derartiges PzW-System lohnt ([GH07], S. 219). In anderen Fällen ist der Anteil der Wegzeit im Vergleich zur gesamten Kommissionierzeit zu groß (vgl. Ausführungen zur Kommissionierzeit). WzP-Systeme hingegen sind Kommissioniersysteme, in denen sich nicht der Kommissionierer, sondern die Entnahmeeinheit bewegt (dynamische Bereitstellung). Erste Systeme dieser Art wurden in den 70er-Jahren in Kombination mit AKL entwickelt ([GH07], S. 160). Klassischerweise befindet sich der Kommissionierer dabei an einer U-förmigen fördertechnischen Anbindung an ein automatisches Lager, an denen er die entsprechende Menge aus den artikelrein bereitgestellten Ladeeinheiten entnimmt ([HSB11], S, 42). Darüber hinaus gibt es auch verschiedene Kombinationen (Kombi) der beschriebenen Kommissionierprinzipien.
Die wichtigsten Systemtypen werden in der nachfolgenden Tab. 2.3 vorgestellt.
Tab. 2.3: Ausführungen von Kommissioniersystemen ([HSB11], S. 66–90)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2.3: Ausführungen von Kommissioniersystemen (Fortsetzung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Nach [VDI3590] sind hinsichtlich der Informationsbereitstellung beleggebundene und beleglose Kommissioniersysteme zu unterscheiden ([GDR⁺14], S. 16). Tab. 2.4 liefert dazu eine Übersicht. Neben den bei einer Offline-Kommissionierung genutzten Papieren wie Picklisten, Lieferscheinen oder Etiketten ([AFI⁺08], S. 808) kommen beleglose stationäre Eingabeterminals oder MDE-Geräte zum Einsatz (vgl. Abschnitt 2.2). Mobile oder stationäre Terminals werden je nach Kommissioniersystem eingesetzt.
Tab. 2.4: Arten der Informationsbereitstellung (in Anlehnung an [Rei09], Abb 2-11)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Weitere Informationssysteme wurden speziell für die Kommissionierung entwickelt, darunter Pick-by-Light bzw. Put-to-Light sowie Pick-by-Voice-Systeme. Pick-by-Light führt den Kommissionierer mittels Lämpchen und Displays an jedem Regalfach. Korrekturen und die Quittierung der Entnahme erfolgen mittels Tasten am jeweiligen Fach ([GDR⁺14], S. 18). In der Regel leuchten die Lämpchen für jeden aktiven Auftrag in einer anderen Farbe. Bei Pick-by-Voice funktioniert die Interaktion mit dem System im Zusammenhang mit einem Headset und einem mobilen Sprachterminal zur Quittierung der Entnahme (vgl. [GDR⁺14], S. 19). Im Gegensatz zur Kommissionierung mit Hilfe von beleggebundenen Listen oder MDE-Geräten bieten diese Verfahren den Vorteil, dass die Hände des Kommissionierers zu jeder Zeit frei sind ([HSB11], S. 57). Somit ist es einfacher, mehrere Artikel gleichzeitig zu entnehmen ([Rei09], S. 106). Außerdem reduzieren beleglose Systeme unproduktive Zeitanteile und erschließen organisatorische Potenziale durch die Reduzierung der Informationsweitergabe ([Rei09], S. 42).
Weitere Entwicklungen sind z. B. elektronische Kommissioniertableaus, die auf einem Kommissionierwagen montiert die Pickliste in elektronischer Form darstellen und die jeweils aktuelle Zeile hervorheben ([Rei09], S. 36), oder das von der Firma Vanderlande entwickelte System Pick-by-Color. Dabei werden die Regalfächer durch bunte Symbole gekennzeichnet. Diese Symbole werden ebenfalls auf dem MDE-Gerät angezeigt. Nachdem die Ankunft quittiert wurde, kann die angezeigte Menge entnommen werden ([Rei09], S. 37).
Die Durchlaufzeit eines Kommissionierauftrags (Kommissionierzeit) ist ein wichtiger Faktor zur Bestimmung der Kommissionierqualität. Sie wird zum einen durch die Auftragsstruktur und hauptsächlich durch die Anzahl der Auftragspositionen bestimmt. Andererseits ist sie auch von der Systemstruktur und der Organisation der Entnahmeeinheiten und Entnahmeorte abhängig ([HS10], S. 40).
Zu den Bestandteilen der Kommissionierzeit gehören ([HS10], S. 40; [GW11], S. 38–39):
- Basiszeit: Die Basiszeit setzt sich bspw. zusammen aus der Übernahme des Auftrags, dem Sortieren von Belegen, dem Etikettieren der Behälter und der Abgabe von Artikeln und Kommissionierbehältern. Der Zeitaufwand ist dabei abhängig vom Kommissionierprinzip und der Informationsbereitstellung.
- Greifzeit: Zur Greifzeit gehören die Teilvorgänge Hinlangen, Aufnehmen, Befördern und Ablegen der Entnahmeeinheit. Sie ist abhängig von räumlichen Einflussfaktoren am Entnahmeplatz, der Entnahmemenge, dem Volumen und dem Gewicht der Entnahmeeinheiten.
- Rüst- bzw. Totzeit: Bei der manuellen Kommissionierung treten Totzeiten durch die Informationsaufnahme und -verarbeitung menschlicher Sinnesorgane auf. Totzeiten (z. B. Lesen, Suchen, Kontrollieren und Reagieren) sind nicht wertschöpfend, umfassen aber bis zu 30 % der Kommissionierzeit. Zur Rüstzeit gehört die Vor- und Nachbearbeitung des Greifvorgangs am Entnahmeort wie bspw. das Positionieren und das Öffnen von Verpackungen.
- Wegzeit: Die Wegzeit ist definiert durch die Bewegung des Kommissionierers (Fahren oder Gehen) zwischen Annahmestelle, Entnahmeort(en) und Abgabestelle. Sie ist abhängig vom Kommissionierprinzip, den Entfernungen im Lager und der Bereitstelltechnik.
Kommissionierfehler können über die gesamte Kommissionierzeit auftreten und diese beeinflussen. In Tab. 2.5 sind die durchschnittlichen Fehlerraten der zur Kommissionierung genutzten Hilfsmittel dargestellt. Im Allgemeinen sind die folgenden Fehlerarten zu unterscheiden ([GW11], S. 38):
- Typfehler treten bei der Verwechslung von Artikeln, einer falschen Entnahme oder Ablage auf. Der Anteil solcher Fehler liegt bei 37 – 42 %.
- Mengenfehler entstehen durch die Entnahme der falschen Menge. Sie treten am häufigsten auf (44 – 46 %).
- Auslassungsfehler sind Fehler, die durch das Liegenlassen oder Vergessen einzelner Auftragspositionen oder durch eine verspätete Bereitstellung auftreten. Etwa 10 % der Fehler sind Auslassungsfehler.
- Zustandsfehler ergeben sich durch falsche Etikettierung oder eine unzureichende Qualität der Artikel. Sie treten seltener auf (4 – 7 %).
Tab. 2.5: Durchschnittliche Fehlerquoten von Kommissioniersystemen ([HS10], Tab. 2.9)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Damit die Kommissionierqualität erhöht wird, gibt es verschiedene Prüfverfahren (vgl. Pick-by-Color). Bspw. fragen Pick-by-Voice-Systeme Prüfnummern ab, die vom Kommissionierer gesprochen werden müssen ([HS10], S. 46). Der Kommissionierer wird somit exakt durch den Prozess geführt. Dadurch wird die Prozessgenauigkeit erhöht und Fehler können folglich reduziert werden ([GW11], S. 38). Ähnliche Möglichkeiten bieten auch neue in Kapitel drei vorgestellte Technologien.
2.6.2 Arbeitsprozess Kommissionierung
Nachfolgend soll ein beispielhafter Kommissionierprozess betrachtet werden (vgl. Abb. 2.8). Die wichtigsten zu betrachtenden Prozessschritte der Kommissionierung sind in Tab. 2.6 dargestellt. Die Relevanz für das jeweilige Kommissioniersystem ist dabei farblich visualisiert (grün – Prozessschritt relevant, rot – Prozessschritt irrelevant).
Tab. 2.6: Prozessschritte der Kommissionierung (vgl. [GBR⁺09], S. 50; [HSB11], S. 19–32)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Anmeldung des Kommmissionierers erfolgt heute bspw. über Mitarbeiter-Ausweise, die mit einem RFID-Tag oder einem Transponder zur Near Field Communication (NFC) ausgestattet sind, oder klassisch mit einem MDE-Gerät, auf dem der Mitarbeiter-Code eingegeben werden muss bzw. mit dem ein mitarbeiterindividueller Barcode gescannt wird.
Nachdem ein Kommissionierauftrag erstellt ist wird der angemeldete Kommissionierer anhand der durch die verschiedenen systemspezifischen Hilfsmittel bereitgestellten Informationen durch den Kommissioniervorgang geleitet. Nicht nur für einen manuellen oder teilautomatisierten Kommissioniervorgang kann das Ziel einer Digitalisierung der Prozesse eine Verbesserung der Schnittstelle zwischen Mensch und System bzw. Maschine und somit eine Digitalisierung der genutzten Hilfsmittel sein. Informationen sollen bspw. wie bei Pick-by-Vision-Systemen anwendungsbezogen im richtigen Augenblick bereitgestellt werden, um Totzeiten zu verringern. Auch die vollautomatische Kommissionierung kann durch technische Entwicklungen oder leistungsstärkere Sensortechnologien verbessert und dynamisch angepasst werden (vgl. z. B. Kapitel 3.3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2.8: Kommissionierprozess
2.7 Zusammenfassung des zweiten Kapitels
Dieses Kapitel lieferte einen Überblick der betrachteten innerbetrieblichen Arbeitsprozesse. Die geschichtlichen Entwicklungen sowie relevante Hilfsmittel sind erläutert worden. Die Arbeitsprozesse differieren stark in Abhängigkeit von den installierten IT-Systemen, den Produkten und Artikeln sowie den gegenwärtig für spezifische Anwendungen realisierbaren Techniken, bspw. zur Handhabung und zum Transport der Artikel mit FFZ, FTF oder stationärer Fördertechnik. Die Arbeit selbst hat sich darüber hinaus durch die Globalisierung stark verändert. Mitarbeiter müssen schon heute flexibel auf vielschichtige Situationen eingehen können. Diese Tatsache führt zu erhöhten Ansprüchen an die Belastungsfähigkeit der Mitarbeiter seitens der Unternehmen.
Auffällig ist, dass die Hilfsmittel zwar zur Unterstützung der jeweiligen Arbeitsprozesse oft unerlässlich sind, ihre Weiterentwicklung aber bspw. bei MDE-Geräten stockt, da einerseits der Investitionsaufwand für neue MDE-Geräte hoch ist, andererseits ein funktionierendes System in vielen Fällen nicht geändert werden soll oder kann. Zusätzlich lässt sich festhalten, dass es auch für MDE-Geräte bis auf die Integration von RFID-Empfängern kaum noch technologische Weiterentwicklungen gibt. Darüber hinaus gibt es z. B. für Stapler verschiedene SLS, die in KMU oft noch in den Kinderschuhen stecken. Viele Kommunkationsprozesse erfolgen beim Transport mit Unstetigförderern manuell.
Nicht nur dadurch entstehen vermeidbare Fehler wie ein erhöhter Anteil an Suchvorgängen. Auch durch Fehler in der Prozessabfolge oder unausgereifte Prüfmechanismen können vermehrt Fehler, z. B. während der Kommissionierung auftreten. So tendieren Kommissionierer in der Praxis bspw. bei Pick-by-Light-Systemen dazu, die Quittierungstaste vor dem Pick zu betätigen, woraus Zählfehler resultieren können ([HS10], S. 46).
Erste Ansatzpunkte für die Digitalisierung sind daher die Schnittstellen in der Mensch-Maschine-Interaktion und -Kommunikation. Zu jeder Zeit müssen aktuelle relevante Informationen abrufbar sein. Dazu muss das System weiterhin verständlich sein und sollte intuitiv bedienbar sein. Manuell durchgeführte Vorgänge wie das Ausdrucken von belegbasierten Picklisten sollten zukünftig weiter reduziert werden, um eine schnellere Kommunikation zu ermöglichen. Die dazu notwendigen Technologien werden im nachfolgenden Kapitel drei vorgestellt.
3 Digitale und technologische Entwicklungen
Dieses Kapitel gibt einen Überblick der Entwicklungen und Aspekte der Digitalisierung. Digitalisierung im Verständnis der letzten Dekade ist die „Übertragung des Menschen und seiner Lebens- sowie Arbeitswelten auf eine digitale Ebene“ ([KHV⁺13], S. 5). Diese Definition schließt sowohl die Darstellung der relevanten Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Unterstützung menschlicher Tätigkeiten als auch die Unterstützung des Menschen durch ausgereifte sensorgestützte Robotik mit ein.
Im ersten Kapitelabschnitt wird auf die als übergeordnetes Ziel der Digitalisierung zu realisierende Industrie 4.0 in Produktion und Logistik eingegangen. Im weiteren Verlauf werden verschiedene Basistechnologien genannt und beschrieben sowie ihre aktuelle und perspektivische Umsetzung in Forschung und Industrie im Rahmen verschiedener arbeitsprozessbeeinflussender Industrie-4.0-Projekte behandelt. Zum Schluss erfolgt eine kurze Kapitelzusammenfassung.
3.1 Industrie 4.0 und die Vision vom Internet der Dinge
Die vierte industrielle Revolution ist eine aktuell weit verbreitete terminologische Vorstellung, die durch den technologischen Fortschritt immer mehr Anwendungs- und Realisierungsmöglichkeiten im industriellen Umfeld findet.[2] Die betriebswirtschaftlichen Ziele dieses Industrie-4.0-Konzepts sind nach ([HS14], S. 53):
- Weitere Reduktion der Lagermengen,
- Schnellere Lieferung,
- Höhere Kundenzufriedenheit,
- Kundenindividuelle Produkte (Losgröße eins).
Industrie 4.0 strebt damit primär eine Verbesserung der Produktionssteuerung – bspw. im Rahmen der Forschungsaktivitäten für eine Smart Factory – an. Allerdings können die Ziele einer Industrie 4.0 nur erreicht werden, wenn die Materialzuführung bis hin zur unternehmensübergreifendenden Logistik im gleichen Maße wie die Produktion effizient organisiert wird (vgl. [HS14], S. 53).
Da die Technologieentwicklung in immer kürzere Innovationszyklen voranschreitet, müssen logistische Systeme über eine hohe Reaktionsfähigkeit, Flexibilität und Adaptivität verfügen. Damit korrelieren die Entwicklungsfortschritte bei der Verschmelzung physischer und virtueller Welten bis hin zur zukünftigen Etablierung potenziell vollständiger autonomer Systeme, sogenannter cyberphysischer Systeme (CPS; vgl. [SS14], S. 205). Die Konzepte für Industrie 4.0 und für das Internet der Dinge versuchen grundsätzlich eine Brücke zwischen der realen Welt und den planenden und steuernden Softwaresystemen zu schlagen ([HS14], S. 53).
Ein erster wichtiger Schritt zum effizienten wandelbaren Materialfluss ist ein modularer Aufbau ([BHV14], S. 299). Förderelemente sollen nicht mehr zentral gesteuert werden, sondern anpassungsfähig sein, um auf jegliche Ereignisse in einem System reagieren zu können.
In diesem Zusammenhang müssen Echtzeit-Logistiksysteme geschaffen werden. Das Konzept bzw. die Vision vom Internet der Dinge sieht dazu vor, jeder Maschine, jedem Transportmodul, jeder TE, jedem Behältnis und schließlich jedem Artikel (Entität) eine entsprechende Rechnerkapazität im IT-System zuzuordnen oder sie mit einer eigenen Recheneinheit auszustatten. So können autonom Materialien angefordert werden, der Materialtransport zur Quelle durchgeführt werden oder weitere nachfolgende Prozesse angestoßen werden. Durch die Kommunikation dieser Entitäten bzw. Agenten untereinander findet eine Koordination statt. Dabei werden Konzepte, Systemzustände und Veränderungen der Systemzustände ausgetauscht, um eine optimierte Intralogistik zu gewährleisten (vgl. [BHV14], S. 301–303). Infolgedessen ist ein übergeordnetes Leitsystem nicht mehr erforderlich ([GH10], S. 45). Die Verwaltung basiert auf der Cloud, in die ökonomische Ziele und Strategien implementiert sind. Die vorgegebenen Aufgaben der Verwaltung werden von den Agenten umgesetzt. Dazu gehören auch Menschen, die online über einen Avatar mit der virtuellen Welt verbunden sind ([BHV14], S. 616).
In dieser Allgegenwärtigkeit der Computersysteme (Ubiquitous Computing) lassen sich Informationen in Echtzeit erfassen, wodurch eine nachhaltige Verbesserung ganzer Geschäftsprozesse und -modelle erreicht werden kann [GWF11]. Den dafür erforderlichen Paradigmenwechsel in der Materialflusssteuerung visualisiert Abb. 3.1. Für den Großteil der Probleme müssen demnach durch eine mögliche Abschaffung aller hierarchischen Strukturen neue dezentrale Lösungen erarbeitet werden ([GH10], S. 46).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.1: Materialflussteuerung im Internet der Dinge ([GH10], Abb. 6.1)
Das Ziel solcher Strukturen kann ein modularer Aufbau der einzelnen Elemente sein. Dies führt zu einer Interoperabilität und schließlich zu schnelleren Bearbeitungszeiten. Durch künstliche Intelligenz mittels Internet- und Software-Technologien entsteht so in der Intralogistik ein CPS (vgl. [BHV14], S. 303).
Im Hinblick auf die dargestellten Entwicklungsziele der Industrie 4.0 gilt es nun, moderne Technologien in das Gesamtkonzept einzubinden und ihren Nutzen für spezifische Anwendungen zu hinterfragen ([GH10], S. 313). Auf dem Weg zu diesem Ziel stehen schon einige digitale Technologien zur Verfügung, die in Abschnitt 3.3 beschrieben werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.2: Expertenmeinung zum Realisierungszeitrahmen des Internet der Dinge ([GKW09], Abb. III.26)
Abb. 3.2 liefert zusätzlich Expertenmeinungen zur möglichen finalen Realisierung der Vision vom Internet der Dinge. Befragt wurden 36 Personen mit besonderer Expertise im Themengebiet. Es zeigt sich, dass nach Meinung der Experten bis 2024 die höchste Wahrscheinlichkeit zur Realisierung des Internet der Dinge besteht.
3.2 Digitale Basistechnologien
Die Ansätze des Ubiquitous Computings finden Anwendung in verschiedenen Technologien. Neben Funktechnologien und verschiedenen Sensortechnologien werden in diesem Abschnitt Software und IT-Systeme sowie die Konzepte von Virtual Reality, Augmented Reality und Mobile Computing bzw. Wearable Computing thematisiert.
3.2.1 Funktechnologien
Funktechnologien können für vielseitige Zwecke genutzt werden. Sie werden zur mobilen Kommunikation zwischen unterschiedlichen Bestandteilen eines Systems benötigt. Der Datenaustausch ist die Grundfunktion der verschiedenen Funktechnologien. Zur Datenübertragung ist eine Verbindung zwischen Sende- und Empfangseinheit notwendig. Typische Funkempfangseinheiten sind Smartphones und Tablets (Smart Devices), Router oder auch Satelliten.
Daneben gibt es weitere elementare Einsatzszenarien für Funktechnologien. Sie können zur Positionsbestimmung genutzt werden, indem bspw. die Laufzeit des Funksignals zwischen Sende- und Empfangsimpuls ausgewertet wird. Die entnommenen Kenntnisse der Signalgeschwindigkeiten liefern dann eine Distanzinformation, die bei einer parallelen Auswertung mehrerer Signale nach dem Prinzip der Lateration eine Positionsbestimmung ermöglicht. Außerdem kann die Position durch Antennenarrays mit Hilfe von Winkelinformationen zu mehreren Empfängern durch das Prinzip der Angulation erkannt werden ([GHJ14], S. 12). Durch die Übertragung von individuellen Informationen können Funktechnologien auch zur Identifikation genutzt werden [SRH⁺10]. Gerade luftgebundene Auto-ID-Technologien sind als Kommunikationsmedium für das Internet der Dinge ein wesentliches Element ([HS14], S. 50).
Je nach Frequenz gibt es unterschiedliche Reichweiten für Funktechnologien. Die Reichweiten bewegen sich im Bereich von wenigen Zentimetern bei NFC bis zu vielen Kilometern bei GPS. Zusätzlich wirken sich metallische Stoffe und Flüssigkeiten negativ auf die Reichweite der verschiedenen Funkfrequenzen aus ([Ric13], S. 34–35). Die Reichweite und die Genauigkeit kann außerdem durch reflektierte Signale in der Umgebung gestört werden ([GHJ14], S. 12).
Zu den wichtigsten Funktechnologien gehören Wireless Local Area Network (WLAN), RFID, NFC, Bluetooth, Mobilfunktechnologien und Global Positioning System (GPS). Diese Technologien sollen im Folgenden näher erläutert werden.
Die drahtlose Übertragung von Daten in Computernetzwerken wird standardmäßig durch WLAN ermöglicht. WLAN zeichnet sich durch eine relativ hohe Reichweite aus und bietet hohe Datenübertragungsraten von bis zu 54 Mbit/s. WLAN-Sender arbeiten mit einer Leistung von ca. 300 Milliwatt [Kno16]. Die Signalausbreitung ist allerdings nicht homogen, sondern wird durch Gebäudeelemente wie Wände oder Stahlträger beeinflusst. Darüber hinaus funktionieren WLAN-Systeme bei der Lokalisierung nur zweidimensional und erreichen im Labor eine Positionsgenauigkeit im Meterbereich ([Rei09], S. 70).
Die RFID-Technologie basiert auf dem Einsatz von Transpondern (RFID-Tags), die mittels elektromagnetischer Wellen oder induktiv Daten übertragen können (vgl. [Hau14], S. 55). RFID-Systeme bestehen aus Lesestationen wie RFID-Gates und aktiven (eigene Stromversorgung) oder passiven (drahtlose Energieversorgung über eine Lesestation) Transpondern ([Rei09], S. 71). Zur Datenübertragung sind verschiedene Frequenzen verfügbar, die nicht weltweit standardisiert sind, sondern nationalen (europäischen) Bestimmungen unterliegen. Die Frequenzbereiche sind wie folgt unterteilt: LF (Low Frequency), HF (High Frequency), UHF (Ultra High Frequency) und Mikrowelle ([GH10], S. 114–115). Eine Übersicht über die verschiedenen Eigenschaften der Frequenzbereiche von RFID-Systemen liefert Tab. 3.1.
Tab. 3.1: Übersicht über RFID-Frequenzen ([GH10], Tab 12.2; [GW11], Tab. 1)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Jeder Frequenzbereich hat unterschiedliche Vor- und Nachteile bzw. Besonderheiten. Im Gegensatz zur klassischen Auto-ID-Technologie mittels Barcode bietet RFID ganz allgemein den Vorteil, dass kein direkter visueller Kontakt erforderlich ist und Transponder ein größeres Datenvolumen speichern können ([Hau14], S. 60). Die Schwächen von RFID gegenüber Barcodes sind in der fehlenden Standardisierung und den höheren Kosten begründet. Für die vor allem in Bereichen der Logistik eingesetzten Transponder mit UHF-Frequenzen gibt es erste Fortschritte für eine weltweite Normung und Festlegung von Spezifikationen seitens der Initiative EPCglobal ([GW11], S. 13). Eine solche weltweite kollaborative Anwendung fördert den Ansatz der Interoperabilität. Allerdings können sich die Standards aufgrund der immer noch hohen Kosten und trotz anderweitiger Prognosen noch nicht flächendeckend durchsetzen. So schwanken die Preise für Transponder im Schnitt zwischen 0,30 – 35 € pro Stück, Lesegeräte sind für Preise von 50 bis 5.000 € zu erhalten und Antennen kosten 15 – 300 €. Dazu kommen weitere Kosten, die eine methodische Kosten-Nutzen-Betrachtung derzeit außerordentlich komplex machen ([Hau14], S. 58–59).
Trotzdem wird RFID für den Einsatz in der Logistik immer bekannter. RFID-Tags werden an Produkten, Verpackungen, Paletten etc. angebracht. Wird die RFID-Technologie durchgängig und umfassend eingesetzt, kann ein RFID-Netz auch zum Tracking verwendet werden ([Rei09], S. 71). Im gemeinsamen Einsatz mit dem Barcode können außerdem die Stärken beider Technologien kombiniert werden ([HS14], S. 54–56).
Die NFC-Technologie ist eine Weiterentwicklung von RFID für sehr kurze Distanzen im Zentimeterbereich mit niedrigen Frequenzen. Die Technologie wird in erster Linie im Zusammenhang mit mobilen Identifikations- und Zahlungsverfahren genutzt, kann aber auch in der Intralogistik eingesetzt werden. Der Vorteil von NFC ist die relativ preisgünstige Integration. NFC-Tags und NFC-Lesegeräte in Form von kompatiblen Smart Devices sind deutlich preiswerter als andere Identifikationslösungen ([BHV14], S. 595). Dagegen kann NFC nur in beschränktem Maße in einer hoch automatisierten Lieferkette mit hohem Mengendurchsatz genutzt werden, da der NFC-Empfang auf wenige Zentimeter begrenzt ist und eine Pulkerfassung nicht gewährleistet ist. Für ein effektives Tracking von einzelnen Werkstücken eignet sich NFC jedoch sehr wohl ([BHV14], S. 595–596).
Bluetooth ist eine Funktechnologie, die in erster Linie Kabel überflüssig machen soll. Sie verdrängt zunehmend die Infrarot (IR)-Technologie, die zur Datenübertragung eine visuelle Verbindung zwischen Sender und Empfänger erfordert. Die Reichweite liegt abhängig von der jeweiligen Klasse der Bluetooth-Geräte zwischen zehn und 100 Metern. Da es Interferenzen mit anderen Funktechnologien geben kann, gibt es verschiedene Sicherheitsvorkehrungen. So wechseln Bluetooth-Geräte in sehr kurzem Abstand (bis zu 1.600 Mal in der Sekunde) immer wieder die Frequenz. Der Vorteil von Bluetooth liegt im sehr geringen Stromverbrauch gegenüber anderen Technologien. Die höchste Reichweite wird schon mit einer Leistung von 100 Miliwatt erzielt. Der neueste Bluetooth-Standard Bluetooth 4.0 wurde dazu mit dem Zusatzprotokoll „Bluetooth Low Energy“ (BLE) ausgestattet [Kno16].
Eine weitere Technologie ist der ZigBee-Standard. ZigBee besitzt im Vergleich zu Bluetooth einen noch geringeren Stromverbrauch. Die Reichweite liegt im Nahbereich bei etwa zehn Metern mit einer Datenübertragungsrate von bis zu 250 kBit/s. Die Technologie wird neben der Steuerung von SmartHome-Netzwerken auch zur kostengünstigen Kommunikation von Maschinensensoren eingesetzt [Mül05]. ZigBee hat außerdem den Vorteil, dass die Netzwerkstruktur nicht konfiguriert werden muss, da die Netzwerk-Topologie erst entsteht, sobald die Knoten aktiv werden ([AFI⁺08], S. 599).
Mobilfunktechnologien liefern weitere Standards zur mobilen Kommunikation, damit bspw. Statusinformationen direkt an die logistische Leitstelle weitergegeben werden können. Der 1982 eingeführte GSM-Standard zählt z. B. zu einem der erfolgreichsten Standards, mit dem allerdings nur geringe Datenübertragungsraten (in kbit/s) möglich sind. GSM (Global System for Mobile Communication) wird speziell für Telefongespräche und Textnachrichten genutzt. Bei der Ortung kann nur festgestellt werden in welcher Mobilfunkzelle sich das Objekt befindet ([GBR⁺09], S. 166). Eine Weiterentwicklung des GSM-Standards stellt der paketorientierte Dienst GPRS (General Packet Radio Service) dar, der eine flexible Übertragung von Daten ermöglicht. Daneben können Positions- und Telemetriedaten übertragen werden. Die dritte Generation mobiler Kommunikationstechnologien stellt UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) dar. UMTS ermöglicht durch große Bandbreiten mit Übertragungsraten von bis zu zwei Mbit/s eine vereinfachte Datenübertragung bspw. in der Transportlogistik sowie Videotelefonie oder den Aufruf komplexer Internetseiten. Die aktuelle Generation des Mobilfunkstandards (4G) wird durch LTE (Long Term Evolution) repräsentiert. Mit LTE bzw. dem LTE-Advanced-Standard wird eine maximale Datenübertragungsrate von 100 Mbit/s bzw. 1 Gbit/s erzielt. Damit tritt LTE in ersthafte Konkurrenz zum traditionellen statischen Internetzugang über WLAN (vgl. [Hau14], S. 61–62).
Das GPS bzw. die geplante europäische Variante Galileo wird zur Positionsbestimmung im Hochfrequenzbereich genutzt. Im System kreisen 24 Satelliten so um die Erde, dass jeder Ort auf der Oberfläche zu jeder Zeit satellitentechnisch abgedeckt ist ([Hau14], S. 53). Die Satelliten senden Funksignale, die eine exakte Ortung erlauben. Eine solche Ortung funktioniert mittels der bereits zu Beginn vorgestellten Laufzeitmessung des Funksignals zu Satelliten ([Ull14], S. 118). Für eine präzise Lokalisierung mittels GPS ist eine Verbindung zu mindestens drei Satelliten notwendig; eine dreidimensionale Lokalisierung erfordert mindestens vier Satelliten ([Hau14], S. 53). Das GPS kann nur im Freien in nicht allzu sehr bebauten Gebieten funktionieren. Eine Navigation im Innenbereich ist nicht möglich. Hier kann nur ein Indoor-GPS, ein sogenanntes Local Positioning Radar, aufgebaut werden, das mit Hilfe relativ preiswerter stationär angebauter Funkbaken funktioniert. Das Indoor-GPS ist jedoch deutlich ungenauer als das konventionelle GPS ([Ull14], S. 118). Für eine zusätzliche Genauigkeit von wenigen Zentimetern für Außenbereiche wird das sogenannte differential GPS eingesetzt, bei dem mit einem zusätzlich installierten stationären GPS-Empfänger der sich zeitlich ändernde Fehler der mobilen GPS-Empfänger ermittelt wird ([Ull14], S. 34; vgl. auch Tab. 3.2).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass für jeden spezifischen Anwendungsbereich von Funkverbindungen adäquate Technologien zur Verfügung stehen. Die Aufgabe der Industrie ist es, diese Technologien im digitalen Kontext in der realen Welt gewinnbringend einzusetzen.
3.2.2 Trackingsysteme und Sensoren zur Lokalisierung und Navigation
Die digitalen Systeme müssen ihre Umwelt erkennen und sich darin zurechtfinden. Neben Funksystemen sind dazu verschiedene Sensoren bzw. Trackingsysteme nötig, die in diesem Kapitel beschrieben werden sollen.
Trackingsysteme bestehen aus Sensoren, die die Position und / oder die räumliche Orientierung von Objekten messen können. Dabei wird die Kombination von Position und Orientierung als Pose bezeichnet ([Rei09], S. 65). Für ein kongruentes Tracking zur Bestimmung der Pose sind sechs Freiheitsgrade (Anzahl der ermittelten Parameter) notwendig; nicht kongruente Verfahren benötigen oft nur zwei (z. B. WLAN-Systeme) bzw. drei Freiheitsgrade (x-, y- und z-Koordinaten) ([GBV⁺15], S. 13–14; [Rei09], S. 68; [GBR⁺09], S. 167). Darüber hinaus wird zwischen Eigen- und Fremdortung unterschieden. Die Eigenortung wird durch das Objekt selbst durchgeführt (objektzentiert, inside-out), wobei eine Fremdortung (weltzentiert, outside-in) z. B. durch ortsfeste Sensoren (Kameras) durchgeführt wird ([GBR⁺09], S. 163–164; [Rei09], S. 66). Abb. 3.3 verdeutlicht diese Zusammenhänge.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3.3: Verschiedene Ortungssysteme (in Anlehnung an [Rei09], Abb. 3.11)
In dieser Arbeit werden Trackingsysteme nach Reif nach ihrem physikalischen Grundprinzip in akustische, elektromagnetische, inertiale, mechanische und optische Verfahren sowie die bereits beschriebenen Funksysteme eingeteilt.
Üblicherweise werden beim akustischen Tracking Ultraschall-Transponder verwendet, die für den Menschen nicht hörbare Töne im Ultraschallbereich an Sensoren (Mikrofone) senden. Durch eine Laufzeitmessung oder Phasenverschiebung kann die Pose im Raum berechnet werden ([Rei09], S. 69). Akustische Verfahren sind kostengünstig, erfordern jedoch eine präparierte Umgebung und sind störanfällig gegenüber Umgebungsbedingungen (Lärm, Temperatur, Luftdruck, Feuchtigkeit) ([GBR⁺09], S. 164).
Beim elektromagnetischen Tracking wird von einer Kombination dreier zueinander senkrecht stehender Spulen ein elektromagnetisches Feld erzeugt. Am zu ortenden Objekt und am Empfänger wird so gleichermaßen ein elektromagnetisches Feld erzeugt. Ein Sensor misst die Stärke des Magnetfeldes (Entfernung) sowie den in der Spule induzierten Strom (Ausrichtung), um schließlich über einen komplexen Algorithmus die Pose des zu ortenden Objekts zu bestimmen. Solche Verfahren können über große Reichweiten eine hohe Objektanzahl tracken, das selbst störanfällige Magnetfeld kann aber störend für andere Geräte sein und sich beim Tracking vieler Objekte negativ auf die Geschwindigkeit auswirken ([GBR⁺09], S. 164–165).
Inertiale Verfahren messen translatorische und rotatorische Geschwindigkeiten von Objekten in Relation zur Erde. Durch eine Integration der Messergebnisse von Sensoren für Geschwindigkeit (z. B. mechanisches Gyroskop) und Beschleunigung (Accelometer auf Basis piezoelektrischer Kristalle) kann die Objektposition im Raum ermittelt werden. Das inertiale Tracking ist sehr genau, kostengünstig und robust ([GBR⁺09], S. 168). Inertiale Systeme können aber nur relative Positionen zu einer Ausgangsposition wiedergeben und es verschieben sich die Achsen mit der Zeit (Drift), so dass sie immer wieder initialisiert bzw. kalibriert werden müssen. Daher werden inertiale Sensoren oft in Kombination mit anderen Verfahren eingesetzt ([Rei09], S. 72).
Beim mechanischen Tracking besteht eine physische Verbindung mit dem Referenzobjekt. An jedem Gelenk sind Sensoren (Winkelgeber, Potentiometer) angebracht, die die Bewegung messen ([Rei09], S. 72). So können bspw. Umdrehungen von Rädern mit einer sehr hohen Genauigkeit gemessen werden. Allerdings sind nur einzelne Objekte mit diesem Verfahren zu tracken. Für mehrere Objekte entstehen hohe Kosten ([GBR⁺09], S. 169).
Optische Trackingsysteme nehmen die Umgebung über IR- oder Videokameras auf, die sich an Referenzgeometrien (aktive und passive Marker oder reale Geometrien) orientieren. IR-Kameras senden IR-Licht aus, das von den Markern reflektiert bzw. selbst gesendet (z. B. IR-LEDs[3] ) und von einem Sensor erfasst wird ([GBR⁺09], S. 169–170). Neuere IR-Systeme können 3D-Szenen ohne jegliche Marker erkennen und die Tiefeninformationen bspw. mittels der sogenannten Stereo-Triangulation rekonstruieren ([TSS⁺13], S. 8). Videosysteme hingegen nehmen die Umgebung mit einer normalen kostengünstigeren Kamera auf, dessen Bilder über eine Bildverarbeitungssoftware ausgewertet werden. Aktive Marker senden eigene Signale aus, wohingegen passive Marker allein anhand ihres Aussehens erkannt werden ([GBR⁺09], S. 170). Marker können an Regalen, Lagerplätzen, Ladehilfsmitteln, Wänden, Hallendecken und Förderzeugen als Referenzen angebracht werden (vgl. bspw. [GBV⁺15], S. 53–54; Abb. 3.11). Da Dimensionen und Orientierungen der Marker bekannt sind, kann mit Hilfe der aus verschiedenen Positionen aufgenommenen Bilder durch Triangulation die Position im Raum berechnet werden ([Rei09], S. 73). Je nach Verfahren der Entfernungsmessung müssen zur Positionsbestimmung mindestens zwei oder drei Marker sichtbar sein ([Ull14], S. 114). Reale Geometrien wie Pfeiler, Wände und Kanten können auch als Ergänzung oder anstatt von künstlichen Markern zum Tracking und zur Navigation verwendet werden. Sie müssen jedoch deutlich zu erkennen sein, dürfen nicht verdeckt werden und ihre Position darf sich nicht ändern (vgl. [Ull14], S. 116). Außerdem ist eine Initialisierung bzw. die Führung eines FTF durch das Lager in einer Lernfahrt zur Erfassung der Umgebung für das markerlose Tracking nötig (vgl. [Rei09], S. 74).
Optische Verfahren sind darüber hinaus anfällig bei wechselnden Beleuchtungsverhältnissen und haben Probleme, schnellen Bewegungen zu folgen. Dagegen sind sie sehr genau (vor allem IR) und gewährleisten eine hohe Bewegungsfreiheit und Reichweite ([GBR⁺09], S. 170).
Zu den neuesten optischen Verfahren zählen auch die Navigation mit Lasern sowie die Erkennung von menschlichen Gesten und Bewegungen. Die Lasernavigation bzw. Abstandsmessung erfolgt durch oberhalb der Köpfe der Mitarbeiter angebrachte retroreflektierende Folien, die von einem rotierenden Laserscanner erfasst werden. Auch natürliche Marker können durch Laser-Triangulation erfasst werden, z. B. dank der meist freien Sicht zur Decke (Deckennavigation). Ebenso können sie als aktive Sicherheitseinrichtungen zur Hinderniserkennung genutzt werden ([Ull14], S. 114–116; [GH07], S. 152). Weitere Navigationsverfahren und deren Vor- und Nachteile werden in Tab. 3.2 dargestellt. Die Gestenerkennung kann einerseits über optische Verfahren (Entwicklungen der Unterhaltungselektronik wie z. B. Microsofts Kinect-System), andererseits auch über am Körper getragene Geräte mit inertialen Sensoren und Positionssensoren geschehen. Sie eignet sich nicht nur zum Erkennen von definierten Gesten, sondern auch zum Interpretieren komplexer Tätigkeiten ([BHV14], S. 531).
Darüber hinaus existieren zahlreiche Formen hybrider Systeme, um die Schwachstellen der vorgestellten Verfahren zu kompensieren. Bspw. können die Probleme des optischen Trackings bei schnellen Bewegungen durch einen zusätzlichen Inertialsensor ausgeglichen werden ([Rei09], S. 74–75). Weitere Sensoren werden bspw. zur Messung der Temperatur oder zum Erkennen von Erschütterungen genutzt.
Tab. 3.2: Navigationsverfahren und ihre Vor- und Nachteile ([Ull14], Tab. 3.1)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 3.2: Navigationsverfahren und ihre Vor- und Nachteile (Fortsetzung)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.2.3 Augmented Reality und Virtual Reality
Einen weiteren Aspekt des Ubiquitous Computings stellt der Ansatz des sogenannten Pervasive Computings dar. Dabei rückt die Mobilität der Systeme in den Hintergrund und es wird die Auffassung verfolgt, Computertechnologie in die Welt des Menschen zu integrieren. Die Computertechnologie soll gemeinsam mit dem Menschen in der realen Welt leben, ihn unterstützen und dabei möglichst unentdeckt bleiben ([GW11], S. 41).
Nach diesem Grundsatz wurde die Augmented Reality (AR, erweiterte Realität) entwickelt. AR beschreibt die Anreicherung einer realen Umgebung mit virtuellen Informationen ([GR12], S. 7). Computergenerierte Informationen werden dem Menschen bei der Wahrnehmung seiner Umgebung oder einer Situation, in der er sich befindet, virtuell übermittelt. Die Informationen stehen dabei im Bezug zur jeweiligen Umgebung oder Situation ([GBV⁺15], S. 11).
[...]
[1] Kurier, Express, Paket
[2] Eine Übersicht aktueller Anwendungen, Projekte und Forschungsvorhaben der deutschen Industrie liefert die Plattform Industrie 4.0 (http://www.plattform-i40.de/I40/Navigation/Karte/SiteGlobals/Forms/Formulare/karte-anwendungsbeispiele-formular.html) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (Überpüfungsdatum: 23.06.2016).
[3] Light Emitting Diode / Leuchtdiode
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- M.Sc. Thorsten Frierk (Author), 2016, Entwicklungsperspektiven von Arbeitsprozessen in Produktion und Logistik vor dem Hintergrund fortschreitender Digitalisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/350844
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