Kommt einen der Begriff „Tugend“ in Verbindung mit der Antike zu Ohren, muß man
zu aller erst unweigerlich an die vier platonischen Kardinaltugenden denken. Unter
diesen umhüllenden Mantel fallen die überragenden Tugenden der Tapferkeit,
Besonnenheit, Klugheit und Gerechtigkeit, die zu einem glücklichen Leben
befähigen. Die Bezeichnung Kardinaltugend fußt im Lateinischen „cardo“ und
bedeutet so viel wie „Türangel“. Es wird deutlich, daß es sich um
Rahmenbedingungen, ja Grundtugenden handelt, die unerläßlich für das Ansehen
eines guten Mannes, eines guten Bürgers durch die Gesellschaft, aber vor allem
durch ihn selbst sind. Aufgrund dessen nehmen die vier Kardinaltugenden für das
gesamte soziale Zusammenleben und um auf den Spuren Platons zu bleiben, auch
für die Gründung einer Polis, eine essentielle Rolle ein. Die Grundtugenden gelten
dabei für Platon als Garant für die Gesundheit der Seele, indem sie für eine gute
Lebensführung sorgen. Diesem Weg zu folgen stellt den obersten Bezug allen
Handelns dar.
Die Gerechtigkeit (dikaiosynê) ist eine von Zeus gegebene Tugend, die durch
die Lebenserfahrung weiter entwickelt und geprägt wird. Sie postuliert eine innere
ethische und moralische Gesetzgebung des Denkens und Verhaltens, die sich
individuell verfestigt und durch sich selbst zwingend und maßgebend ist. Gerecht gilt
in der Polis derjenige, der an den in der Gesellschaft anerkannten Sitten und
Bräuchen sein Handeln ausrichtet und der seinen Pflichten als Bürger und seinem
Gott gegenüber nachkommt. Nach Platon ist Gerechtigkeit die oberste Tugend, denn
diese stellt sich automatisch ein, wenn ein Einklang zwischen den anderen drei
Tugenden und den entsprechenden Seelenteilen (thymmoeides = Begierdeteil,
epithymêtikon = Mutteil, logistikon = Vernunftteil) herrscht. Dieses harmonische
Verhältnis kann nur dadurch herbeigeführt werden, indem jeder Seelenteil
ausschließlich seine Funktion und Aufgabe verrichtet, ohne seinen Fokus auf andere
Dinge zu richten. Geleitet werden dabei alle Seelenteile von der Idee des Guten.
Dieses Schema läßt sich ohne weiteres auch auf die Beziehung zwischen den
Individuen und ihrem Kollektiv übertragen, denn für Platon ist der Staat das Abbild
der menschlichen Seele. Auch hier muß eine Harmonie zwischen den subjektiven
Belangen und dem allgemeinen Wohl hergestellt werden. [...]
Inhaltsangabe
Der Tugendbegriff im 5.Jh v.Chr.
I. Die vier Kardinaltugenden
II. Das aretê-Verständnis zu Zeiten Platons
Die Tugend (aretê), das Gute (agathon) und
das Glück (eudaimonia)
Die Fachkunden (technai) und das
Tugendwissen (epistêmê)
Die Frage nach der Tugendlehrbarkeit
I. Die Frage nach der Tugendlehrbarkeit in Platons „Protagoras“
II.Die Tugendlehrbarkeit in „Menon“
Schlußbemerkungen
Literaturangabe
Der Tugendbegriff im 5.Jh. v.Chr.
I. Die vier Kardinaltugenden
Kommt einen der Begriff „Tugend“ in Verbindung mit der Antike zu Ohren, muß man zu aller erst unweigerlich an die vier platonischen Kardinaltugenden denken. Unter diesen umhüllenden Mantel fallen die überragenden Tugenden der Tapferkeit, Besonnenheit, Klugheit und Gerechtigkeit, die zu einem glücklichen Leben befähigen. Die Bezeichnung Kardinaltugend fußt im Lateinischen „cardo“ und bedeutet so viel wie „Türangel“. Es wird deutlich, daß es sich um Rahmenbedingungen, ja Grundtugenden handelt, die unerläßlich für das Ansehen eines guten Mannes, eines guten Bürgers durch die Gesellschaft, aber vor allem durch ihn selbst sind. Aufgrund dessen nehmen die vier Kardinaltugenden für das gesamte soziale Zusammenleben und um auf den Spuren Platons zu bleiben, auch für die Gründung einer Polis, eine essentielle Rolle ein. Die Grundtugenden gelten dabei für Platon als Garant für die Gesundheit der Seele, indem sie für eine gute Lebensführung sorgen. Diesem Weg zu folgen stellt den obersten Bezug allen Handelns dar.
Die Gerechtigkeit (dikaiosynê) ist eine von Zeus gegebene Tugend, die durch die Lebenserfahrung weiter entwickelt und geprägt wird. Sie postuliert eine innere ethische und moralische Gesetzgebung des Denkens und Verhaltens, die sich individuell verfestigt und durch sich selbst zwingend und maßgebend ist. Gerecht gilt in der Polis derjenige, der an den in der Gesellschaft anerkannten Sitten und Bräuchen sein Handeln ausrichtet und der seinen Pflichten als Bürger und seinem Gott gegenüber nachkommt. Nach Platon ist Gerechtigkeit die oberste Tugend, denn diese stellt sich automatisch ein, wenn ein Einklang zwischen den anderen drei Tugenden und den entsprechenden Seelenteilen (thymmoeides = Begierdeteil , epithymêtikon = Mutteil, logistikon = Vernunftteil) herrscht. Dieses harmonische Verhältnis kann nur dadurch herbeigeführt werden, indem jeder Seelenteil ausschließlich seine Funktion und Aufgabe verrichtet, ohne seinen Fokus auf andere Dinge zu richten. Geleitet werden dabei alle Seelenteile von der Idee des Guten. Dieses Schema läßt sich ohne weiteres auch auf die Beziehung zwischen den Individuen und ihrem Kollektiv übertragen, denn für Platon ist der Staat das Abbild der menschlichen Seele. Auch hier muß eine Harmonie zwischen den subjektiven Belangen und dem allgemeinen Wohl hergestellt werden. Ermöglicht wird dies durch den vermittelnden Herrscher, der in Kenntnis von der Idee des Guten ist. Platon schreibt diese Qualität den Philosophen zu. Die Gerechtigkeit ist somit nicht nur für das Wohl des Einzelnen nützlich, sondern auch für das Allgemeinwohl.
Die Klugheit (phronêsis) setzt sich aus sittlicher Vortrefflichkeit und der Exzellentheit in praktischem Wissen zusammen. Erst durch die Tugend der Klugheit werden die anderen drei Tugenden nützlich. Durch sie ist der Mensch in der Lage Gut und Böse zu unterscheiden und auch zu erkennen, wodurch das Fortführen der sittlichen Qualitäten gesichert ist. Das Wissen das die phronêsis umgreift ist neben den aus Erfahrung gewonnenen Erkenntnissen auch Wissen, welches auf Gründen beruht. Diese sind Gründe die auf die Ideen zurückgehen, weswegen die wahren Tugenden aus der Klugheit entspringen. Klug ist derjenige, der über praktische Weisheit verfügt, der also weiß was im Umgang mit anderen Menschen und Dingen zu tun ist und dies zu seinem Vorteil umzusetzen vermag. Das praktische Wissen stellt sich als eine praktische Urteilskraft dar, man kann in einer konkreten Situation entscheiden, was gut oder schlecht, richtig oder falsch, wichtig oder nicht wichtig ist. Klugheit impliziert also eine handlungsbezogene Weisheit.
Die Tapferkeit (andreia) benennt die Beherrschung der Furcht und die Aufrechterhaltung der Aktionsfähigkeit in Gefahr. Vernunft, Umsicht und Überlegtheit werden von ihr mit eingeschlossen. Der Tapfere kennt die Gefahr in der er sich befindet und kann dementsprechend besonnen reagieren und agieren, auch wenn er länger Ausharren muß um sein Ziel zu erreichen. Man könnte durchaus sagen, daß er bei seinem Unterfangen von einer höheren Intuition geleitet wird. Den Tapferen zeichnet folglich nicht nur Mut, sondern auch Erfahrenheit, Weitsicht und Willensstärke aus, im Bereich der Polis ebenso wie im privaten Raum. Für die Polis-Angelegenheiten galten vor allem Disziplin und Rationalität als Merkmale eines tapferen Bürgers. Tapferkeit steht nun nicht mehr für kriegerische, draufgängerische Belange, sondern entwickelt sich innerhalb des neuen platonischen
Polis-Verständnisses zu einer moralischen und sozialen Kategorie, die im Allgemeinen als innere Lauterkeit und vernünftige Beharrlichkeit verstanden wird.
Die Besonnenheit (sôphrosynê) befähigt den menschlichen Geist über sämtliche Aspekte des Leibes und des Geistes im Zusammenspiel mit der situativen und allgemeinen Umwelt zu regieren und sie auch in Einklang miteinander zu bringen. Sinnliche Begierden und Leidenschaften (Essen, Trinken, Sexualität) werden durch die Besonnenheit gemäßigt und kontrolliert. Sie steht für die vernünftige Leitung des Denkens und des darauf folgenden Handelns. Affekte und menschliche Begierden werden handlungsgerecht überprüft und gezügelt. Für Platon ist die sôphrosynê eine Art Selbstbeherrschung, die von einem gesundem Menschenverstand geleitet wird und dadurch den Menschen vor irrationalen Fehlschlüssen schützt. Dieser wache Gemütszustand bringt einen starken unabhängigen Willen und ein klares Erkenntnisvermögen mit sich. Voraussetzung dafür ist, daß man sich seiner Selbst bewußt ist und seine Persönlichkeit kennt und aus dem heraus das Seinige tut.
II.Das aretê-Verständnis zu Zeiten Platons
Die aretê wird im Deutschen mit dem Wort Tugend übersetzt, was ihrem eigentlichen Inhalt aber nicht vollkommen Rechnung trägt. Der deutsche Tugendbegriff impliziert nämlich automatisch bloße Moralität und Sittlichkeit im Sinne Kants, was aber für den antiken aretê-Begriff keineswegs ausschließlich zutrifft. Denn die Tugend scheint sich bei dieser Übersetzung im ersten Moment nur auf die Kardinaltugenden, Menschen und ihre Eigenschaften zu beziehen, bedenkt man, daß ein Mensch der aretê besitzt gut ist. Das jedoch ist unzureichend, denn nicht nur der Mensch kann Gutsein oder gar Bestheit (was beides in aretê steckt) besitzen, sondern auch Gegenstände und Tiere. Auch Dinge können eine spezifische Funktion oder Aufgabe in verschiedenen Stadien der Verfassung erfüllen und sich somit voneinander unterscheiden. Diesbezüglich ist man in der Lage zwischen guten und schlechten Eigenschaften unterscheiden und eine Aussage treffen zu können. Beispielsweise kann ein Messer die Tugend des scharf Schneidens inne haben, so wie ein Auge die Tugend des scharfen Sehens hat. Die Aufgabe des Messers ist es also gut zu schneiden und die des Auges gut zu sehen. Je nach dem in welchen Zustand sich jeweils die Dinge befinden, erfüllen sie mehr oder weniger ihre Aufgabe. Analog zu diesen Beispielen verhält es sich mit den Menschen. Ihre Aufgabe ist es gut zu leben, der sie je nach Verfassung und Dispositionen nachkommen können oder nicht. Die eigentliche Tugend des Menschen besteht folglich darin ein gutes Leben zu führen. Ein jeder Mensch soll also nach dem Guten streben. Platon vertritt sogar die Auffassung, daß der Mensch all sein Handeln im Hinblick auf das Gute ausübt und zwar um des Guten willen an sich. Der Tugendhafte hat damit eine Tendenz, eine Neigung zu eigen, stets das Richtige und Gute um des Guten willen zu wollen und auch zu tun. Resultierend kann man sagen, daß die Tugend die Fähigkeit ist ein gutes Leben zu führen, was da heißt, ein eng mit den Kardinaltugenden verwobenes Leben anzustreben und zu verwirklichen, immer mit dem Augenmerk auf dem persönlichen als auch gemeinschaftlichen Wohlergehen.
[...]
- Citar trabajo
- Stefanie Krämer (Autor), 2003, Ist die Tugend lehrbar? Die Frage nach der Tugendlehrbarkeit bei Platon, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35056
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.