In der vorliegenden Diplomarbeit geht es darum, herauszufinden, wie Menschen Kaufentscheidungen
treffen. Kaufentscheidungen fallen in das Ressort der Entscheidungsforschung,
die sich erst vor wenigen Jahrzehnten als eigenständige psychologische Forschungsrichtung
etabliert hat. Obwohl die Entscheidungsforschung noch sehr jung ist, haben sich bereits viele
Psychologen mit dieser Thematik beschäftigt. Ausgehend vom Rationalitätsverständnis der
klassischen Ökonomie, welches rationale Entscheidungen nur im Lichte der Nutzenmaximierung
betrachtet und dabei alle psychologischen Einflussfaktoren auf den Entscheidungsprozess
unberücksichtigt lässt, wurde eine disziplinenübergreifende Diskussion über Entscheidungsverhalten
angeregt. Es wurden verschiedene Konzepte für rationales Entscheidungsverhalten
entwickelt, die psychologische Einflussfaktoren berücksichtigen.
Eines dieser Konzepte, angeregt durch die Entwicklung des ersten Intelligenztests von Binet
(1905)1, stellt die menschliche Intelligenz in den Fokus der Betrachtung. Rationalität bei Entscheidungen
wird von den kognitiven Fähigkeiten des Entscheidungsträgers abhängig gemacht.
Das Konzept der begrenzten Rationalität von Simon baut zwar auf dem Rationalitätsverständnis
der klassischen Ökonomie auf, unterzieht deren Annahmen aber einer kritischen
Betrachtung. Begrenzt rationale Entscheidungen zeichnen sich nicht durch die Nutzenmaximierung
für den Entscheidungsträger aus, sondern dadurch, dass sie vom Entscheidungsträger
als befriedigend empfunden werden. Ein anderes Konzept von Payne, Bettman und Johnson
(1993)2 konzentriert sich auf adaptives Entscheidungsverhalten. Adaptives Entscheidungsverhalten
ist dadurch charakterisiert, dass der Entscheidungsträger sein Entscheidungsverhalten
dem Entscheidungsproblem anpasst. Je nach Komplexität des Entscheidungsproblems bedient
er sich verschiedener Entscheidungsstrategien. Dabei wiegt der Entscheidungsträger zwischen
der kognitiven Anstrengung, die er zur Entscheidungsfindung benötigt und der gewünschten
Entscheidungsgenauigkeit ab. Eine höhere kognitive Anstrengung beeinflusst die Entscheidungsgenauigkeit
positiv. Rationale Entscheidungsträger sind die, die mit geringer kognitiver
Anstrengung unter Verwendung einer adäquaten Entscheidungsstrategie eine hohe Entscheidungsgenauigkeit
erzielen. Die Nutzenmaximierung spielt also auch in diesem Konzept eine
bedeutende Rolle. [...]
1 Vgl. Zimbardo (1995), S. 528-537
2 Vgl. Payne, Bettman, Johnson (1993), S. 1-263
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Das Problem
1.2. Der Aufbau der Diplomarbeit
2. Der Begriff der Entscheidung
3. Eine geschichtliche Einordnung
4. Eine systematische Einordnung
5. Die Komponenten des Entscheidungsproblems
5.1. Alternativen
5.2. Attribute
6. Die Merkmale des Entscheidungsproblems
7. Die Informationsverarbeitung als Basis der Entscheidungsfindung
7.1. Die Information und ihre Dimensionen
7.2. Die optimale Menge von Informationen
7.3. Kognitive Fähigkeiten als Basis der Informationsverarbeitung
7.4. Die Schritte der Informationsverarbeitung
7.5. Der Selektionsmechanismus der Informationswahrnehmung
7.6. Informationsverarbeitungsmodelle
7.6.1. Die Strukturmodelle der Informationsverarbeitung
7.6.2. Die Prozessmodelle der Informationsverarbeitung
7.7. Automatische Informationsverarbeitungsprozesse
7.8. Die Informationsdarstellung
7.8.1. Die Entscheidungstabelle
7.8.2. Die Entscheidungsmatrix
7.8.3. Die Informations-Display-Matrix
8. Die Entscheidungsstrategien
8.1. Charakteristische Eigenschaften von Entscheidungsstrategien
8.1.1. Implizite vs. explizite Bewertungen
8.1.2. Kompensatorische vs. nicht kompensatorische Entscheidungsstrategien
8.1.3. Konsistente vs. selektive Entscheidungsfindung
8.1.4. Konjunktive vs. disjunktive Entscheidungsstrategien
8.1.5. Vollständige vs. unvollständige Informationsverarbeitung
8.1.6. Alternativenweise vs. attributsweise Informationsverarbeitung
8.1.7. Bewertungsmodus
8.2. Überblick über die wichtigsten Entscheidungsstrategien
8.2.1. Die linear-additive Entscheidungsstrategie
8.2.2. Die Erwartungswert- und Erwartungsnutzenstrategie
8.2.3. Die Heuristik der gleichen Werte
8.2.4. Die Dominanzheuristik
8.2.5. Die Satisficing Heuristik
8.2.6. Die lexikographische Ordnungsheuristik
8.2.7. Die sequentielle Eliminationsheuristik
8.2.8. Die Majoritäts-Heuristik
8.2.9. Die additive Differenzheuristik
8.2.10. Die Heuristik der Frequenz von guten und schlechten Attributen
8.2.11. Die Maximin-Heuristik
8.2.12. Die Maximax-Heuristik
8.2.13. Kombinierte Entscheidungsstrategien
8.2.14. Andere Heuristiken
9. Die Rationalität in der Ökonomie und in der Psychologie
9.1. Überblick über vier verschiedene Rationalitätskonzepte
9.2. Detaillierte Diskussion der vier Rationalitätskonzepte
9.2.1. Rationalität in der klassischen Ökonomie
9.2.1.1. Die Axiome aus der klassischen Ökonomie
9.2.1.2. Die vollständige Informationsverarbeitung und –anpassung
9.2.1.3. Die Nutzenmaximierung als Maxime rationalen Entscheidens
9.2.2. Begrenzte Rationalität
9.2.2.1. Die Hauptkritikpunkte am Rationalitätsverständnis der klassischen Ökonomie
9.2.3. Adaptive Rationalität
9.2.3.1. Der Anstrengungs-Genauigkeits-Rahmen adaptiven Entscheidungsverhaltens
9.2.3.2. Die Einflussfaktoren adaptiven Entscheidungsverhaltens
9.2.3.3. Die Wahl einer rationalen Entscheidungsstrategie
9.2.4. Intelligenz und Rationalität
9.2.4.1. Das Intelligenzverständnis nach Gardner
9.2.4.2. Das Intelligenzverständnis nach Sternberg
9.3. Mein Konzept rationaler Entscheidungen
9.3.1. Kritik am Konzept der adaptiven Rationalität
9.3.2. Rationale Entscheidungen aus meiner Perspektive
10. Methode
10.1. Untersuchungsdesign
10.2. Stichprobe
10.3. Vorgehen
10.4. Speicherung der Ergebnisse
10.5. Auswertung der Ergebnisse
10.5.1. Abhängige Variablen
10.5.2. Unabhängige Variablen
10.5.3. Hypothesen
10.5.3.1. Generelle Hypothesen
10.5.3.2. Situationsbezogene Hypothesen
10.5.3.3. Personenbezogene Hypothesen
10.5.3.4. Interaktionsbezogene Hypothese
10.6. Ergebnisse
10.6.1. Generelle Hypothesen
10.6.2. Situationsbezogene Hypothesen
10.6.3. Personenbezogene Hypothesen
10.6.4. Interaktionsbezogene Hypothese
10.7. Diskussion
11. Literaturverzeichnis
12. Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Die drei Informationsspeicher und ihre charakteristischen Eigenschaften
Abbildung 2: Der Aufbau einer Entscheidungstabelle
Abbildung 3: Beispiel für eine Entscheidungsmatrix
Abbildung 4: Beispiel für eine Informations-Display-Matrix
Abbildung 5: Zusammenfassung der wichtigsten Entscheidungsstrategien
Abbildung 6: Einfaches 4x4-Entscheidungsproblem ohne Zeitdruck
Abbildung 7: Einfaches 4x4-Entscheidungsproblem mit Zeitdruck
Abbildung 8: Komplexes 8x6-Entscheidungsproblem ohne Zeitdruck
Abbildung 9: Eingabefeld zur Kodierung der Probanden
Abbildung 10: Standardisierte Versuchsanleitung
Abbildung 11: Das Informationsverarbeitungsverhalten von Studenten und Berufsschülern in Abhängigkeit von der Komplexität des Entscheidungsproblems
Abbildung 12: Die Konzentration von Studenten und Berufsschüler auf das subjektiv wichtigste Attribut in Abhängigkeit von der Komplexität des Entscheidungsproblems
Abbildung 13: Die interattribute Varianz von Studenten und Berufsschülern bei der Informationsverarbeitung in Abhängigkeit von der Komplexität des Entscheidungsproblems
Abbildung 14: Die interalternative Varianz von Studenten und Berufsschülern bei der Informationsverarbeitung in Abhängigkeit von der Komplexität des Entscheidungsproblems
Abbildung 15: Die Anzahl der verarbeiteten Informationsboxen von Studenten und Berufsschülern in Abhängigkeit vom Vorhandensein bzw. Fehlen von Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung
Abbildung 16: Die durchschnittliche Betrachtungszeit pro Informationsbox von Studenten und Berufsschülern in Abhängigkeit vom Vorhandensein bzw. Fehlen von Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung
Abbildung 17: Die von Studenten und Berufsschülern durchschnittlich benötigte Zeit zur Lösung eines Entscheidungsproblems in Abhängigkeit vom Vorhandensein bzw. Fehlen von Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung
Abbildung 18: Die durchschnittliche Anzahl der verarbeiteten Informationsboxen in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden
Abbildung 19: Die durchschnittliche Betrachtungszeit pro Informationsbox in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden
Abbildung 20: Die durchschnittlich benötigte Zeit zur Lösung eines Entscheidungsproblems in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden
Abbildung 21: Das Informationsverarbeitungsverhalten in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden
Abbildung 22: Die Konzentration auf das subjektiv wichtigste Attribut in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden
Abbildung 23: Die Nachauswahlzufriedenheit in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden
Abbildung 24: Die durchschnittlich verarbeiteten Informationsboxen in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden und dem Vorhandensein bzw. Fehlen von Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung
Abbildung 25: Die durchschnittliche Betrachtungszeit pro Informationsbox in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden und dem Vorhandensein bzw. Fehlen von Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung
Abbildung 26: Die durchschnittlich benötigte Zeit zur Lösung eines Entscheidungsproblems in Abhängigkeit von der Intelligenz der Probanden und dem Vorhandensein bzw. Fehlen von Zeitdruck bei der Entscheidungsfindung
Abbildung 27: Zusammenfassung der wichtigsten Variablenwerte
1. Einleitung
1.1. Das Problem
In der vorliegenden Diplomarbeit geht es darum, herauszufinden, wie Menschen Kaufentscheidungen treffen. Kaufentscheidungen fallen in das Ressort der Entscheidungsforschung, die sich erst vor wenigen Jahrzehnten als eigenständige psychologische Forschungsrichtung etabliert hat. Obwohl die Entscheidungsforschung noch sehr jung ist, haben sich bereits viele Psychologen mit dieser Thematik beschäftigt. Ausgehend vom Rationalitätsverständnis der klassischen Ökonomie, welches rationale Entscheidungen nur im Lichte der Nutzenmaximierung betrachtet und dabei alle psychologischen Einflussfaktoren auf den Entscheidungsprozess unberücksichtigt lässt, wurde eine disziplinenübergreifende Diskussion über Entscheidungsverhalten angeregt. Es wurden verschiedene Konzepte für rationales Entscheidungsverhalten entwickelt, die psychologische Einflussfaktoren berücksichtigen.
Eines dieser Konzepte, angeregt durch die Entwicklung des ersten Intelligenztests von Binet (1905)[1], stellt die menschliche Intelligenz in den Fokus der Betrachtung. Rationalität bei Entscheidungen wird von den kognitiven Fähigkeiten des Entscheidungsträgers abhängig gemacht. Das Konzept der begrenzten Rationalität von Simon baut zwar auf dem Rationalitätsverständnis der klassischen Ökonomie auf, unterzieht deren Annahmen aber einer kritischen Betrachtung. Begrenzt rationale Entscheidungen zeichnen sich nicht durch die Nutzenmaximierung für den Entscheidungsträger aus, sondern dadurch, dass sie vom Entscheidungsträger als befriedigend empfunden werden. Ein anderes Konzept von Payne, Bettman und Johnson (1993)[2] konzentriert sich auf adaptives Entscheidungsverhalten. Adaptives Entscheidungsverhalten ist dadurch charakterisiert, dass der Entscheidungsträger sein Entscheidungsverhalten dem Entscheidungsproblem anpasst. Je nach Komplexität des Entscheidungsproblems bedient er sich verschiedener Entscheidungsstrategien. Dabei wiegt der Entscheidungsträger zwischen der kognitiven Anstrengung, die er zur Entscheidungsfindung benötigt und der gewünschten Entscheidungsgenauigkeit ab. Eine höhere kognitive Anstrengung beeinflusst die Entscheidungsgenauigkeit positiv. Rationale Entscheidungsträger sind die, die mit geringer kognitiver Anstrengung unter Verwendung einer adäquaten Entscheidungsstrategie eine hohe Entscheidungsgenauigkeit erzielen. Die Nutzenmaximierung spielt also auch in diesem Konzept eine bedeutende Rolle.
Zusammen mit dem Rationalitätsparadigma der Ökonomie, bilden die drei eben erwähnten Konzepte zur Erklärung rationalen Entscheidungsverhaltens die Grundlage für die vorliegende Diplomarbeit. Auf Basis meines eigenen Rationalitätskonzeptes werden im Rahmen einer empirischen Untersuchung Kaufentscheidungsprozesse in Abhängigkeit von der kognitiven Verarbeitungsfähigkeit der Konsumenten untersucht. Dabei stehen die kognitiven Prozesse, die zur Kaufentscheidung führen, im Fokus des Interesses. Ich gehe davon aus, dass die Kaufentscheidung von den kognitiven Fähigkeiten der Entscheidungsträger abhängig ist und bin somit der Überzeugung, dass intelligentere Entscheidungsträger rationalere Entscheidungen treffen können, als weniger intelligente. Wegen ihrer höheren kognitiven Fähigkeiten können sie sich außerdem besser an die wechselnde Komplexität unterschiedlicher Entscheidungsprobleme anpassen, was ihr Entscheidungsverhalten zusätzlich rationaler macht. Um diese Annahmen zu überprüfen, habe ich Kaufsituationen unterschiedlicher Komplexität konstruiert, die ich zwei verschiedenen Versuchsgruppen vorlegte. Die erste Versuchsgruppe, die Studenten unterscheiden sich von der zweiten Versuchsgruppe, den Berufsschülern durch ihre höhere Formalbildung, welche auf eine höhere Intelligenz schließen lässt. Das Entscheidungsverhalten aller Probanden wurde aufgezeichnet und ausgewertet, um mögliche Unterschiede zwischen den beiden Versuchsgruppen transparent zu machen.
1.2. Der Aufbau der Diplomarbeit
Das zweite Kapitel der Diplomarbeit beginnt mit der Erklärung des Entscheidungsbegriffes, der von verschiedenen Wissenschaftlern unterschiedlich aufgefasst wird. Anschließend, im dritten Kapitel, gebe ich einen kurzen Einblick in die geschichtliche Entwicklung der Entscheidungsforschung von ihren Anfängen bis in die Gegenwart, bevor ich, im vierten Kapitel, näher auf die zwei verschiedenen, gegenwärtigen Ansätze von Entscheidungsforschung eingehe. Die Entscheidungsforschung bezieht sich immer auf die Lösung von Entscheidungsproblemen. Alle Entscheidungsprobleme, unabhängig davon, wie sehr sie sich voneinander unterscheiden, haben gemeinsame Komponenten, die ich dem Leser im fünften Kapitel vorstelle. Im sechsten Kapitel werden die möglichen Unterschiede zwischen verschiedenen Entscheidungsproblemen, also ihre charakteristischen Merkmale diskutiert. Diese geben dem Leser ein Gefühl dafür, wie unterschiedlich Entscheidungsprobleme sein können.
Um eine Entscheidung treffen zu können, benötigt man Informationen über die Entscheidungsobjekte. Diese Informationen müssen vom menschlichen Gedächtnis verarbeitet werden. Die Informationsverarbeitung ist also die Basis für die Entscheidungsfindung und wird im siebten Kapitel der Diplomarbeit ausführlich behandelt. Zuerst diskutiere ich den Begriff Information (7.1) und mache den Leser mit den verschiedenen Informationsdimensionen vertraut. Danach geht es um die optimale Menge an Informationen (7.2), um ein Entscheidungsproblem zu lösen. Um überhaupt Informationen verarbeiten zu können, muss der Entscheidungsträger über bestimmte kognitive Fähigkeiten (7.3) verfügen, die nachfolgend betrachtet werden. Da die Informationsverarbeitung nicht unsystematisch, sondern schrittweise erfolgt, werden auch die verschiedenen Schritte der Informationsverarbeitung (7.4) vorgestellt. Danach richte ich mein Augenmerk auf den Selektionsmechanismus der Informationsverarbeitung (7.5), der dafür verantwortlich ist, welche Informationen verarbeitet werden und welche nicht. Die verschiedenen Modelle der Informationsverarbeitung (7.6) stehen anschließend im Fokus des Interesses. Nicht alle Informationsverarbeitungsprozesse laufen bewusst ab, weshalb ich einen kurzen Exkurs in die Automatismen der Informationsverarbeitung (7.7) wage. Schließlich hat die Informationsdarstellung einen bedeutenden Einfluss auf den Entscheidungsprozess. Verschiedene Möglichkeiten der Informationsdarstellung (7.8) bilden den Abschluss des siebten Kapitels der Diplomarbeit.
Das achte Kapitel beschäftigt sich mit den verschiedenen Entscheidungsstrategien, die zur Lösung von Entscheidungsproblemen eingesetzt werden können. Zuerst gehe ich auf die charakteristischen Eigenschaften von verschiedenen Entscheidungsstrategien (8.1) ein, um dem Leser ein Gefühl dafür zu geben, wie sehr sich die einzelnen Strategien voneinander unterscheiden. Schließlich werden die verschiedenen Entscheidungsstrategien dem Leser vorgestellt (8.2). Sie unterscheiden sich vor allem in der Art der Informationsverarbeitung und den, zu ihrer Exekution benötigten, kognitiven Anstrengungen von Seiten des Entscheidungsträgers.
Das Rationalitätsverständnis in der Psychologie und in der Ökonomie wird im neunten Kapitel der Diplomarbeit ausführlich behandelt. Am Anfang des Kapitels gebe ich einen Überblick über vier verschiedene Rationalitätskonzepte (9.1 und 9.2): Zuerst konzentriere ich mich auf das Rationalitätsverständnis aus der klassischen Ökonomie mit der Nutzenmaximierung als oberste Maxime rationalen Entscheidens. Anschließend gehe ich auf das von Simon begründete, begrenzte Rationalitätsverständnis ein. Danach diskutiere ich das Konzept der adaptiven Rationalität von Payne, Bettman und Johnson. Die drei Wissenschaftler sehen die Quelle rationalen Entscheidungsverhaltens in der adäquaten Anpassung an die Komplexität des Entscheidungsproblems durch die Verwendung einer passenden Entscheidungsstrategie. Schließlich wird das Intelligenzkonzept näher untersucht. Dabei wird rationales Entscheidungsverhalten von der Intelligenz der Entscheidungsträger abhängig gemacht. Den Abschluss des neunten Kapitels bildet mein eigenes Konzept rationaler Entscheidungen. Dieses ist auch die Grundlage für die, im Anschluss folgende, empirische Untersuchung.
Das zehnte Kapitel der Diplomarbeit beschäftigt sich ausschließlich mit der empirischen Untersuchung von Kaufentscheidungen in Abhängigkeit von der kognitiven Verarbeitungsfähigkeit der Konsumenten. Zuerst beschreibe ich das Untersuchungsdesign (10.1). Im Fokus des Interesses steht dabei vor allem die, der Untersuchung zugrunde liegende, computergestützte Informations-Display-Matrix, die die unterschiedlichen Kaufsituationen darstellt. Außerdem gehe ich auf den Fragebogen ein, der den Probenden im Anschluss an die computergestützte Untersuchung des Entscheidungsverhaltens ausgehändigt wurde und unter anderem die Zufriedenheit der Versuchspersonen mit ihren zuvor getroffenen Kaufentscheidungen (Nachauswahlzufriedenheit) misst. Dann, unter Punkt 10.2, richte ich mein Augenmerk auf die beiden Versuchsgruppen (Studenten und Berufsschüler). Anschließend bringe ich dem Leser die Vorgehensweise (10.3) der Untersuchung näher. Danach wird kurz erklärt, wie die Daten aus der elektronischen Untersuchung von der computergestützten Informations-Display-Matrix gespeichert wurden (10.4). Der Punkt „Auswertung der Ergebnisse“ (10.5) beschäftigt sich mit den abhängigen und unabhängigen Variablen, sowie den Forschungshypothesen, die der Untersuchung des Entscheidungsverhaltens zugrunde liegen. Im Anschluss daran präsentiere ich dem Leser die ausgewerteten Ergebnisse der empirischen Untersuchung (10.6), die schlussendlich ausführlich diskutiert werden (10.7).
Kapitel elf beinhaltet das Literaturverzeichnis der Diplomarbeit. Der Anhang der Arbeit (Kapitel 12) schließlich enthält Statistiken zu den, der empirischen Untersuchung zugrunde liegenden abhängigen Variablen (und deren Berechung), sowie die ausgefüllten Fragebögen der Probanden beider Versuchsgruppen.
2. Der Begriff der Entscheidung
Obwohl die Definitionsversuche des Begriffes Entscheidung in der Literatur voneinander abweichen, so gibt es doch einige zentrale Faktoren, die übereinstimmend als wichtige Elemente von Entscheidungen angesehen werden.
Der Entscheidungsbegriff von Huber hebt die Notwendigkeit hervor, dass der Mensch, der eine Entscheidung zu treffen hat – Huber verwendet den Terminus Entscheider, welcher auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit übernommen wird – sich in einer Situation befindet, in der er verschiedene (mindestens zwei) (Handlungs-)Alternativen (wobei eine zur Wahl stehende Alternative auch im Unterlassen einer konkreten Handlung bestehen kann) zur Auswahl hat. Von diesen Alternativen kann der Entscheider nicht alle wählen, sondern trifft bewusst eine Entscheidung. Das Vorhandensein aller zur Auswahl stehenden Alternativen von Beginn an, stellt keine Bedingung eines Entscheidungsproblems dar. Vielmehr ist es in der Praxis häufig so, dass diese erst generiert werden müssen. Das erfolgt mithilfe der Informationsverarbeitung. Es gibt sehr unterschiedliche Entscheidungsprobleme, wie beispielsweise die Auswahl der richtigen Kleidung für einen bestimmten Anlass, die Entscheidung zwischen verschiedenen Filmen, wenn man ins Kino geht oder die Entscheidung für ein bestimmtes Produkt in einer Kaufsituation.[3]
In Kaufsituationen, welche das Hauptaugenmerk der vorliegenden Arbeit bilden, sind oft nicht alle möglichen Alternativen a priori bereits vorgegeben, sondern müssen erst durch systematische Informationsverarbeitung generiert werden. Häufig ist die Anzahl der Alternativen dabei so groß, dass nicht alle Möglichkeiten gefunden und in Betracht gezogen werden. Der Grund dafür liegt darin, dass sich die kognitive Anstrengung, welche mit der Informationsverarbeitung Hand in Hand geht, nicht lohnen würde, um beispielsweise eine Auswahl zwischen alltäglichen Gütern geringer Bedeutung zu treffen. In diesen Fällen greift der Entscheider auf automatisierte Entscheidungsprozesse (bei Kaufentscheidungen: Gewohnheitskäufe) zurück, (vgl. Kapitel 7.7). Obwohl automatisiert, laufen auch diese Entscheidungsprozesse nach Berndt weitgehend bewusst ab. Bei komplexeren Kaufentscheidungen, welche auch mit gewissen Risiken (z.B.: hohe finanzielle Belastung) für den Entscheider verbunden sind, werden die Gewohnheitskäufe nicht zur Alternativenauswahl herangezogen. Hier versucht der Entscheider sich erst nach eingehender Auseinandersetzung mit den zur Verfügung stehenden Informationen zu entscheiden.
Berndt[4] konkretisiert die Feststellung Hubers, es handle sich bei Entscheidungen um bewusste Prozesse dahingehend, dass er dem Entscheider ein bestimmtes Problem bzw. Ziel unterstellt, welches er durch seine Entscheidung zu lösen bzw. zu erreichen sucht. Somit beschreibt die Entscheidung „[...] ein mehr oder weniger überlegtes, konfliktbewusstes, abwägendes und zielorientiertes Handeln.“[5] Doch wie kommt der Entscheider schließlich zu seiner Entscheidung? Woher weiß er, welche Alternative er auswählen soll, um sein Problem zu lösen bzw. sein Ziel zu erreichen?
Jungermann et. al. verweisen auf die Präferenzstruktur des Entscheiders; d.h., dass der Entscheider nach Bewertung der verschiedenen Alternativen für sich bestimmen kann, welche Alternative(n) er den anderen zur Wahl stehenden vorzieht. Auf den ersten Blick sieht die Entscheidungsfindung somit einfach aus. Tatsächlich können sich verschiedene Entscheidungsprobleme aber stark voneinander unterscheiden. So sind die, von den Entscheidungen erwarteten Konsequenzen oft völlig unterschiedlich. Sie können sicher oder unsicher sein, ein- oder mehrdimensional, sozial und ethisch erwünscht oder verpönt und auf die eigene Person beschränkt oder auf mehrere Personen (Personenkreise, bis hin zu ganzen Völkern und Nationen) ausgedehnt. Letzteres meint vor allem die Tragweite von politischen oder religiösen Entscheidungen, welche über Reichtum und Armut oder Krieg und Frieden entscheiden können.[6]
Auch die Tragweite von Kaufentscheidungen kann unterschiedlich groß sein. Während Gewohnheitskäufe, die kein Risiko für den Entscheider bergen, von eher geringer Bedeutung sind, hat beispielsweise die Anschaffung eines neuen Sportwagens eine viel größere Bedeutung. Das gilt nicht nur für den Entscheider selbst, sondern auch für seine unmittelbaren Bezugspersonen, wie Ehepartner und Kinder. Die große Bedeutung der Kaufentscheidung „Sportwagen“ kommt nicht nur vom hohen finanziellen Risiko, das mit dem Kauf eines Neuwagens verbunden ist, sondern auch vom Nutzen, den der Entscheider mit dem Wagen erwirbt. Dieser Nutzen kann sich für den Entscheider und seine Familie unterschiedlich darstellen. Während er für den Entscheider klar im sportlichen Handling, im schicken Design und im, mit der Anschaffung verbundenen Statusgewinn liegt, erwartet sich die Familie ein Fahrzeug mit solider Ausstattung, viel Platz und günstigen Erhaltungskosten, einen Familienwagen also. Aus diesem Beispiel wird klar, dass Kaufentscheidungen, welche über das Maß von Gewohnheitskäufen hinausgehen, oft mehrere Entscheider betreffen und zusätzlich ein gewisses Maß an Risiko (z.B.: finanziell) und folglich Konfliktpotential für die betreffenden Entscheider mit sich bringen. Der Grund dafür sind die individuell verschiedenen, oft divergenten Nutzenerwartungen an das gekaufte Produkt. Bevor jedoch ausführlich auf Kaufsituationen eingegangen wird, wird der Entscheidungsbegriff noch näher definiert.
Die literarische Aufarbeitung des Entscheidungsbegriffes beschränkte sich lange Zeit auf den Zeitpunkt und das Ergebnis der Entscheidung. Dabei wurde vor allem auf die Theorie hingewiesen, dass der Entscheider seine Entscheidung lediglich aufgrund der von ihm erwarteten Risiken ihrer Konsequenzen treffen würde. Durch dieses Wert-Erwartungs-Modell alleine, konnte jedoch nicht festgestellt werden, wie beispielsweise die Präferenzen für verschiedene Alternativen zustande kommen. Es war somit nichts über die intrapersonalen kognitiven Vorgänge des Entscheiders bekannt, die seine Präferenzen für bestimmte Alternativen determinieren. Viele Fragen über die Vorgehensweisen bei Präferenzbildung, Alternativenbeurteilung und -vergleich, Informationsverarbeitung, etc. wurden aufgeworfen. Sie machten es nötig, fortan den Entscheidungsbegriff nicht mehr länger auf den Zeitpunkt der Entscheidung zwischen verschiedenen Alternativen zu reduzieren. Man begann die Entscheidung als mehrstufigen Prozess aufzufassen, dessen Ausdehnung (Anfang bis Ende) über den Entscheidungszeitpunkt hinausgeht.[7]
Diese prozessorientierte Sichtweise förderte jedoch neue Probleme zutage. So gibt es unterschiedliche Expertenstandpunkte hinsichtlich der Ausdehnung des Entscheidungsprozesses und seiner einzelnen, aufeinander folgenden Stufen. In Anlehnung an Jungermann et. al. besteht der Entscheidungsprozess aus den zentralen Komponenten Beurteilungen (judgements) und Wahlen (choices). Am Beginn des Entscheidungsprozesses stehen dabei entweder (1) mindestens zwei zur Wahl stehende Alternativen oder (2) eine vom Entscheider empfundene Diskrepanz zwischen dem momentanen und einem erwünschten Zustand. Diese Diskrepanz veranlasst den Entscheider dazu, nach Handlungsalternativen zu ihrem Abbau zu suchen. Das Ende des Entscheidungsprozesses wird entweder durch die getroffenen Wahl selbst, ihrer praktischen Umsetzung oder retrospektiven Bewertung fixiert.[8] Die Ansicht von Jungermann et. al. eignet sich auch für Kaufentscheidungen, mit denen der Entscheider versucht, entweder eine Auswahl aus mehreren Alternativen zu treffen oder ein Produkt zu finden, welches ihn von seinem als unbefriedigend empfundenen Status Quo wegführen soll.
Genauere Erläuterungen zu den einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses und wichtigen Faktoren, die ihn beeinflussen, werden in Kapitel 7 gegeben. Zuerst folgt jedoch eine geschichtliche und systematische Einordnung des Entscheidungsbegriffes, um den Einstieg ins Thema zu erleichtern.
3. Eine geschichtliche Einordnung
Die Durchsicht der Literatur zeigt eine Fülle unterschiedlicher Entscheidungstheorien und -konzepte, formaler Modelle, empirischer Untersuchungen und vertretener Standpunkte. Dabei ist die Entscheidungsforschung an sich erst wenige Jahrzehnte alt, doch ihre Wurzeln reichen viel weiter zurück und nehmen ihren Ursprung in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, Richtungen und Strömungen.
Der philosophische Ursprung der Entscheidungsforschung liegt im Utilitarismus, welcher in systematischer Form als erstes von Jeremy Bentham (1748-1832) dargestellt wurde. Der Utilitarismus besagt, dass nur Handlugen als gut einzustufen sind, deren Konsequenzen zu einer Nutzenmaximierung für die Allgemeinheit führen. Diese starre Sichtweise wurde später durch zahlreiche Beiträge der Philosophie modifiziert und differenziert.[9] Das dem Utilitarismus zugrunde liegende Nutzenkonzept ist sehr breit angelegt. So unterschied Bentham vierzehn Komponenten von Nutzen, unter denen sich sowohl greifbare Güter (z.B.: Reichtum), als auch nicht greifbare Güter (z.B.: Wohltätigkeit) befinden.[10]
Die utilitaristische Sichtweise von Bentham ist für die individuelle Kaufentscheidung irrelevant, da die Entscheidung für ein bestimmtes Produkt lediglich zum Wohl des Entscheiders alleine oder zusammen mit einer oder mehreren seiner sozialen Bezugspersonen führt. Eine Erhöhung des Allgemeinwohls kann durch eine individuelle Kaufentscheidung nicht eintreten.
Der mathematische Ursprung des Entscheidungsbegriffes ist in der Entwicklung der Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung durch Jacob Bernoulli (1654-1705) und Pierre Simon Laplace (1749-1829) zu finden. Hier interessieren vor allem die Überlegungen der Mathematiker hinsichtlich der Glückspielproblematik. Erst durch die Mathematik konnte eine Verbindung zwischen erwartetem Nutzen und Wahrscheinlichkeit einer Entscheidung hergestellt werden.[11]
Die ökonomische Wurzel des Entscheidungsbegriffes liegt im Verhaltensmodell der neoklassischen Ökonomik des rational handelnden Menschen (homo oeconomicus), welches von Adam Smith (1723-1790) postuliert wurde.[12] Demnach ist der Entscheider ein rational handelndes Wesen, das seine Entscheidungen ausschließlich von deren Nutzenmaximierung abhängig macht. Der homo oeconomicus verfügt über vollständige Informationen, die alle in den Entscheidungsprozess einfließen. Die Auswertung der Informationen führt zu einem stabilen Präferenzschema, welches die Basis für die Entscheidung bildet. Völlig losgelöst von Emotionen werden, im Sinne des Rationalitätsverständnisses der klassischen Ökonomie Kosten-Nutzen-Abwägungen durchgeführt, um ökonomisch rationale Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen sollen bei möglichst geringen Kosten (kognitive Anstrengung) den Nutzen (Entscheidungsgenauigkeit) der Entscheider maximieren.[13] Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verhaltensmodell der neoklassischen Ökonomie wird in Kapitel 9.2.1 präsentiert.
Nachdem ich kurz über die geschichtlichen Wurzeln der Entscheidungsforschung berichtet habe, gehe ich nachfolgend näher auf die zwei verschiedenen, gegenwärtigen Ansätze von Entscheidungsforschung ein.
4. Eine systematische Einordnung
Die Entscheidungsforschung ist auch heute noch in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu finden. Theorie und Empirie der Entscheidungsforschung haben dabei ihr Zentrum in der Ökonomie, was auch die zahlreichen Nobelpreise an Wissenschaftler dieser Disziplin für ihre entscheidungstheoretischen Arbeiten zeigen. Die Entscheidungsforschung in der Betriebswirtschaftslehre konzentriert sich hauptsächlich auf die Entwicklung von Grundlagen, Konzepten und Modellen zur Optimierung von Entscheidungsprozessen. Philosophisch betrachtet geht es bei der Entscheidungsforschung um zwei unterschiedliche Richtungen. Einerseits interessieren aus praktischer Sicht die Bedingungen der Möglichkeiten rationaler Entscheidungen, andererseits werden aus theoretischer Sicht Entscheidungen als spezielle Form des Umgangs mit Hypothesen und Beobachtungen gesehen.[14]
In der Entscheidungsforschung unterscheidet man heute zwei verschiedene, sich ergänzende Ansätze von Entscheidungstheorien: (1) die präskriptive (normative) und (2) die deskriptive (psychologische) Entscheidungstheorie.
(1) Erstere versucht Richtlinien zu entwickeln, die es dem Entscheider ermöglichen sollen, sich bei einem gegebenen Entscheidungsproblem rational zu verhalten. Damit hat sie die Aufgabe, formalisierte Regeln und Verfahren zur Strukturierung und Verarbeitung von Informationen zu generieren. Diese Regeln und Verfahren sollen die Entscheider bei komplexen Entscheidungen dahingehend unterstützen, unter Berücksichtung ihrer persönlichen Werte und Normen, eine optimale, rational begründbare Entscheidung zu fällen.
(2) Die deskriptive Entscheidungsforschung setzt direkt am beobachtbaren Verhalten der Entscheider an. Sie verfolgt das Ziel, psychologische Theorien über das tatsächliche menschliche Verhalten bei Entscheidungsproblemen zu erarbeiten, welche durch empirische Untersuchungen überprüft werden. Dabei berücksichtigt die deskriptive Entscheidungsforschung wichtige Faktoren, wie die begrenzte Verarbeitungsfähigkeit und unvollständige Nutzung des menschlichen Verstandes (Vgl. Kapitel 7.6). Diese Faktoren führen dazu, dass das, aus den entwickelten Modellen ableitbare Verhalten, oft nur begrenzt rational ist. Durch die gezielte Analyse von Entscheidungen (im Labor- oder im Feldversuch) wird versucht diese zu erklären bzw. zukünftige Entscheidungen unter ähnlichen Bedingungen zu prognostizieren.[15]
Obwohl die beiden Richtungen der Entscheidungsforschung an jeweils anderen Punkten ansetzen, sind sie trotzdem miteinander verbunden. So bezieht sich die präskriptive Entscheidungsforschung stets auf reales, d.h. beobachtbares und durchführbares Verhalten. Die deskriptive Forschungsrichtung kann durch die rationalen und beschränkt rationalen Modelle der präskriptiven Forschung wichtige empirische Fragestellungen, die weitere Untersuchungen anregen, generieren.[16] Im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgt eine Konzentration auf die deskriptive (psychologische) Entscheidungstheorie.
Bevor jedoch eine Entscheidung getroffen werden kann, muss sich der Entscheider mit dem Entscheidungsproblem auseinandersetzen. Nachfolgend wird daher auf die wichtigsten Komponenten von Entscheidungsproblemen eingegangen.
5. Die Komponenten des Entscheidungsproblems
Nachdem der Entscheidungsbegriff definiert und die Entwicklung der Entscheidungsforschung von ihren Anfängen bis in die Gegenwart dargelegt wurden, wird anschließend der Fokus auf die typischen Komponenten des Entscheidungsproblems gerichtet. So unterschiedlich verschiedene Entscheidungsprobleme auch sind, gibt es doch einige Komponenten, die sie alle gemeinsam haben. Die wichtigsten werden in diesem Kapitel vorgestellt und diskutiert.
5.1. Alternativen
Die Objekte, Handlungen, Regeln oder Strategien zwischen denen der Entscheider eine Auswahl treffen kann, nennt man Alternativen eines Entscheidungsproblems[17]. Diese Alternativen können entweder schon vorgegeben sein, oder der Entscheider muss sie selbst, mithilfe der Informationsverarbeitung, generieren. Von einer Alternative kann man erst dann sprechen, wenn mindestens zwei Auswahlmöglichkeiten für ein Entscheidungsproblem vorliegen.
Die verschiedenen Alternativen können einerseits Gegenstände sein, wobei die Auswahl aus einer bestimmten Menge von Alternativen mit verschiedenen Intentionen getroffen werden kann. So kann es beispielsweise darum gehen, die beste Alternative, die erste beste, keine schlechte oder lediglich das kleinste Übel zu finden.
Andererseits können die zur Wahl stehenden Alternativen auch Handlungen repräsentieren, die meist ein konkretes Ziel verfolgen, welches durch die Handlung realisiert werden soll. Wichtig ist, dass der Entscheider die intendierte Handlung auch wirklich selbst ausführen kann, oder zumindest subjektiv davon überzeugt ist, sie ausführen zu können. Unklar hingegen bleibt, ob durch die gewählte Handlung das angestrebte Ziel auch tatsächlich erreicht wird. Handlungsalternativen sind auch von besonderem Interesse, wenn es darum geht zu entscheiden, ob der gegenwärtige Status Quo aufrecht erhalten oder beendet werden soll.
Der Status Quo selbst ist auch eine interessante Komponente des Entscheidungsproblems dahingehend, ob er in der Alternativenmenge enthalten ist und der Entscheider somit die Möglichkeit hat ihn beizubehalten oder eben nicht, was den Entscheider dazu zwingt, ihn aufzugeben. Kaufentscheidungen, die im Fokus des Interesses dieser Diplomarbeit stehen, sind typischerweise Auswahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen neuen Alternativen und verändern dadurch den Status Quo auf alle Fälle, wohingegen Entscheidungen im persönlichen Bereich (z.B.: Ausbildung, Beruf, Partner) oft die Aufrechterhaltung des Status Quo ermöglichen.
Die letzte Ausprägungsform von Alternativen ist die langfristige Strategie. Darunter ist eine allgemeine Zielrichtung zu verstehen, welche die konkreten Handlungen zur Strategieumsetzung nicht explizit vorgibt. Oft fließen allgemeine Werte, Normen, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale des Entscheiders in die Strategiefestlegung ein. Kaufentscheidungen stellen nur in den seltensten Fällen solche Strategien dar.
5.2. Attribute
„Ein Attribut ist ein Merkmal, das etwa ein Kaufobjekt in mehr oder weniger starkem Ausmaß besitzen kann“[18] Jedes Attribut kann verschiedene Werte, man spricht von Ausprägungen, annehmen. Welche Attribute bei der Entscheidung konkret im Fokus des Interesses stehen, wird dabei vor allem durch die persönliche Zielsetzung und das Präferenzschema des Entscheiders bestimmt.[19]
Kaufsituationen, in denen es um die Auswahl von Produkten oder Dienstleistungen geht, sind meist komplex, da sich jedes Produkt oder jede Dienstleistung auf mehreren Attributen beschreiben lässt, was die Informationsverarbeitung und anschließende Entscheidung erschwert.
Dem Attributsbegriff sehr ähnlich ist die Dimension. Dimensionen sind auch, wie Attribute, Merkmale von Alternativen. Jede Dimension enthält mindestens zwei unterschiedliche Ausprägungen, kann aber auch unbegrenzt viele Abstufungen zählen. Hinsichtlich ihrer Charakteristik können Dimensionen diskret oder kontinuierlich, einfach (ein Attribut) oder komplex (aus mehreren Attributen bestehend), klar formuliert oder vage, voneinander unabhängig oder abhängig und in einem bestimmen Entscheidungskontext vorgeben sein. Besitzt ein Produkt oder eine Dienstleistung mehrere, es oder sie beschreibende Dimensionen, spricht man von Multidimensionalität.[20] Beispielsweise besteht die Dimension Komfort beim Autokauf aus verschiedenen Attributen, wie z.B.: Ausstattung, Straßenlage, Geräuschpegel im Innenraum.
Nach diesem Überblick über die wichtigsten Komponenten des Entscheidungsproblems, werde ich nachfolgend auf verschiedene, für Entscheidungsprobleme typische Merkmale eingehen.
6. Die Merkmale des Entscheidungsproblems
Die Merkmale des Entscheidungsproblems haben einen großen Einfluss auf die Wahl der Entscheidungsstrategie. Grundsätzlich ist es so, dass sich jedes konkrete Entscheidungsproblem in der Praxis von allen anderen unterscheidet. Zwei völlig identische Entscheidungsprobleme gibt es nicht.
Man unterscheidet zwischen Entscheidungen im Labor und Entscheidungen im Feld. Laborbedingungen entsprechen nicht den realen Bedingungen im Feld, dem Alltagsleben der Probanden. Durch die Reduktion auf einige wichtige Variablen, vereinfachen Laboruntersuchungen die Realität, um sie erklärbar zu machen. Somit stellt sich bei Laborversuchen immer wieder die entscheidende Frage, ob ihre Ergebnisse eine Generalisierung auf das Entscheidungsverhalten im Alltag zulassen oder nicht.[21] Trotz dieser Kritik stellen Laborversuche unverzichtbare Faktoren der Entscheidungsforschung dar. Nur im Labor hat der Versuchsleiter die Möglichkeit alle relevanten Informationen zu verarbeiten. Die empirische Untersuchung im Rahmen der Diplomarbeit ist auch eine Laboruntersuchung.
Die Unterscheidung zwischen einstufigen und mehrstufigen Entscheidungen bezieht sich darauf, ob eine Entscheidung in einem einzigen Schritt getroffen wird, oder sich in mehreren Schritten vollzieht, wobei jeder vom vorhergehenden abhängig ist (Szenario).[22] Meine Untersuchung beschäftigt sich mit ausschließlich mit einstufigen Kaufentscheidungen.
Einmalige Entscheidungen, die nur ein einziges Mal getroffen werden, unterscheiden sich von wiederholten Entscheidungen, die öfter gefällt werden, sich also wiederholen.[23] Die verschiedenen Entscheidungsprobleme in meiner empirischen Untersuchung gehören zur Gruppe der einmaligen Entscheidungen.
Individuelle Entscheidungsprobleme, die die Grundlage meiner Untersuchung darstellen, werden von einem Entscheider alleine gelöst. Gruppenentscheidungen beziehen sich stets auf mehrere Entscheider.[24]
Entscheidungsprobleme mit offener Alternativenmenge zwingen den Entscheider zur Generierung möglicher Alternativen, um eine Entscheidung treffen zu können. Ist, wie in meiner Untersuchung, die Alternativenmenge a priori bereits vorgegeben und muss nicht erst generiert werden, spart der Entscheider viel Zeit und kognitive Anstrengung bei der Entscheidungsfindung.[25]
Entscheidungsprobleme können auch hinsichtlich der Art und des Umfanges der kognitiven Anstrengung unterschieden werden. Die kognitive Anstrengung, der bei der Lösung eines Entscheidungsproblems erbracht werden muss, hängt vor allem davon ab, wie die entscheidungsrelevanten Informationen im Gedächtnis des Entscheiders repräsentiert sind, bzw. ob überhaupt schon mentale Repräsentationen vorliegen oder das benötigte Wissen zuerst generiert werden muss. Dabei gibt es ein breites Kontinuum der kognitiven Anstrengung bezüglich Art und Umfang der Nutzung kognitiver Ressourcen.[26] Routinisierte Entscheidungen, die in Kaufsituationen dem Gewohnheitskauf entsprechen, laufen weitestgehend automatisch und unbewusst ab. Sie sind vor allem für Güter des täglichen und periodischen Bedarfs typisch.[27] Für meine empirische Untersuchung sind sie unbedeutend. Stereotype Entscheidungen, die in Kaufsituationen dem limitierten Kauf[28] entsprechen, unterscheiden sich von den routinisierten Entscheidungen vor allem dadurch, dass sie nicht durch eine Situation, sondern durch die Art der möglichen Alternativen ausgelöst werden. Es wird eine höhere kognitive Anstrengung gefordert, welche diese Entscheidungen dem Entscheider bewusst wahrnehmen lässt. Dadurch, dass stereotype Entscheidungen hauptsächlich durch Erfahrungen und Gefühle determiniert sind (z.B.: Je teuer ein Produkt, desto höher seine Qualität), wird insgesamt nur eine geringe kognitive Anstrengung benötigt.[29] Auch diese Art von Entscheidungen ist für meine Untersuchung unbedeutend. Reflektierte Entscheidungen unterscheiden sich von den bisherigen zwei Entscheidungsarten vor allem dadurch, dass keine automatisierten Präferenzen für die vorliegenden Alternativen gespeichert sind. Der Entscheider muss somit bewusst nach Informationen suchen, nach deren Verarbeitung er seine Präferenzen bilden kann.[30] Der Unterschied zwischen konstruktiven und reflektierten Entscheidungen beruht auf zwei wesentlichen Aspekten. Einerseits sind bei den konstruktiven Entscheidungen die Alternativen nicht unmittelbar vorgegeben, oder zumindest nicht hinreichend definiert. Andererseits sind die, für die Entscheidungsfindung relevanten persönlichen Werte noch unklar oder müssen erst entwickelt werden. Aus diesem Grund benötigen konstruktive Entscheidungen die höchste kognitive Anstrengung, da sie durch extensive Informationsverarbeitungsprozesse charakterisiert sind.[31] Reflektierte und konstruktive Entscheidungen entsprechen bei Kaufsituationen dem extensiven Kauf[32] und sind Gegenstand meiner empirischen Untersuchung. Die letzte Art von Kaufsituation beschriebt der impulsive Kauf, welchem kein Äquivalent aus der klassischen Entscheidungsforschung zugeordnet werden kann. Diese Art der Konsumentenentscheidung zeichnet sich dadurch aus, dass der Entscheider einfach etwas kauft, ohne viel zu überlegen. Somit beschreibt der impulsive Kauf ein reaktives Verhalten, angeregt von den, auf den Entscheider einwirkenden, Umweltstimuli.[33]
Zusammenfassend kann angemerkt werden, dass sich Entscheidungsprobleme sehr beträchtlich voneinander unterscheiden können und die Entscheider ihre zu treffenden Entscheidungen auf die gegebenen Merkmale der Entscheidungsprobleme abstimmen müssen, um gute Entscheidungen (hohe Entscheidungsgenauigkeit) treffen zu können.
Bevor jedoch eine Entscheidung fallen kann, müssen Informationen verarbeitet werden. Die Informationsverarbeitung ist somit Vorraussetzung für die Entscheidungsfindung.
7. Die Informationsverarbeitung als Basis der Entscheidungsfindung
Um aus einem gegebenen Set von Alternativen oder bei einer realen Kaufsituation eine Entscheidung treffen zu können, müssen Informationen verarbeitet werden, welche die zur Wahl stehenden Alternativen beschreiben. Die menschliche Informationsverarbeitung ist sehr komplex und die ihr zugrunde liegenden kognitiven Prozesse nur schwer erfassbar und beschreibbar. Da in der Realität eine unüberschaubar große Anzahl verschiedener Variablen während des Informationsverarbeitungsprozesses auf den Entscheider einwirkt, können die bisher zum Thema Informationsverarbeitung entwickelten Ansätze diesen Prozess nur vereinfacht abbilden. Aufgrund unterschiedlicher Untersuchungen und Experimente in Verbindung mit der hohen Komplexität dieses Themas herrscht auch in der Literatur kein Konsens über die exakten Abläufe bei der Informationsverarbeitung.
Im folgenden Abschnitt wird zuerst auf den Begriff Information mit seinen verschiedenen Dimensionen eingegangen. Das Hauptaugenmerk dabei liegt auf der optimalen Menge an Information und den suboptimalen Zuständen der Informationsüberlastung und des Informationsdefizits. Ich werde auch auf die Auswirkungen dieser suboptimalen Zustände auf die Kaufentscheidung eingehen. Die Informationsverarbeitungskapazität des Entscheiders, welche Limitierungen unterworfen ist und direkt mit dem Auftreten von Informationsdefiziten bzw. -überlastungen zu tun hat, wird nachfolgend diskutiert. Anschließend wird der Fokus des Interesses auf die Informationsverarbeitung an sich gelenkt. Dabei stehen vor allem die verschiedenen Schritte und Modelle der Informationsverarbeitung im Vordergrund. Danach richte ich mein Augenmerk auf die verschiedenen Automatismen bei der Informationsverarbeitung. Den Abschluss des siebten Kapitels bildet ein Überblick über verschiedene Methoden der Informationsdarstellung.
7.1. Die Information und ihre Dimensionen
Der Informationsbegriff wird in der Literatur genauso unterschiedlich aufgefasst, wie die, der Informationsverarbeitung zugrunde liegenden kognitiven Prozesse. Garner beispielsweise sieht den Informationsbegriff sehr weit und beschreibt Information als „[...] das, was wir erhalten, wenn uns eine Person oder eine Maschine etwas mitteilt, was wir vorher nicht gewusst haben.“[34] Kroeber-Riel dagegen versteht unter Information die „[...] kognitive Repräsentation eines Reizes.“[35] Genauer setzt sich Kuhlmann mit dem Informationsbegriff auseinander, indem er zwischen Signal, Nachricht und Information unterscheidet. Signale (Buchstaben, Ziffern, Laute) dienen der Übertragung und Speicherung von Nachrichten und können physikalisch wahrgenommen werden. Die Kombination solcher Signale ergibt dann eine Nachricht, die die Aufgabe hat, Wahrnehmungen, Meinungen und Willensäußerungen zu übertragen und zu konservieren. Hat eine Nachricht einen genau definierten Zweck, so wird sie als Information bezeichnet. Unter diese Kategorisierung fallen auch Werbebotschaften mit dem Zweck der zielgerichteten Beeinflussung der Konsumenten.[36]
Betrachtet man den Informationsbegriff nicht als Ganzes, sondern unterzieht ihn einer genaueren Analyse, so werden die verschiedenen Dimensionen der Information sichtbar. Die (1) Informationsquantität meint dabei die Informationsmenge. Obwohl sich das auf den ersten Blick einfach anhört, ist eine genaue Erfassung der vom Entscheider verarbeiteten Informationsmenge sehr schwierig, da sich dabei ein gravierendes Messproblem ergibt. Es muss zuerst ein Maßstab gefunden werden, bevor Überlegungen hinsichtlich der kognitiven Organisation von Informationen als Informationseinheiten angestellt werden können. Dabei ergeben sich zahlreiche Probleme. So ist die Größe und Form einer Informationseinheit nicht eindeutig feststellbar. Hinsichtlich der Größe können einzelne Buchstaben, Wörter, Sätze oder ganze Texte als eine sinnvolle Informationseinheit angesehen werden. Was die Form betrifft, muss eine Unterscheidung in linguistische, visuelle und auditive Informationseinheiten gemacht werden. Da das menschliche Gehirn bevorzugt sinnvolle Informationseinheiten speichert, die sich aus verschieden großen und andersartigen Informationsfragmenten zusammensetzen können, ist es schwierig, die Informationsmenge genau zu bestimmen oder zu messen. Außerdem kann angenommen werden, dass diese Speicherprozesse von Individuum zu Individuum unterschiedlich ablaufen, was die Komplexität der Informationsquantitätsmessung zusätzlich erhöht. Eine einfache Abzählung von Wörtern, Bildern oder Lauten hilft dabei aus den eben angeführten Gründen nicht. Am fruchtbarsten erscheint – trotz aller Unklarheiten – die Zusammenfassung einzelner Informationsfragmente zu sinnvollen Informationseinheiten, da somit eine Vergleichbarkeit der einzelnen Informationseinheiten hinsichtlich ihres Informationswertes erreicht wird.[37] Bedeutend für die Informationsquantität ist auch die kognitive Verarbeitungskapazität des Entscheiders. Von der Menge an dargebotenen Reizen und Informationen kann der Entscheider nur einen Teil verarbeiten, der Rest bleibt unberücksichtigt. Diese Kapazitätsbeschränkung wurde bereits vor Jahrzehnten zum ersten Mal diskutiert. Dennoch gibt es heute noch immer unterschiedliche Meinungen darüber in der Literatur. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird an anderer Stelle (Vgl. Kapitel 7.6) genauer auf dieses Problemfeld der kognitiven Psychologie eingegangen.
Neben der Menge an Information spielt deren (2) Qualität eine bedeutende Rolle. Informationsqualität wird als Art und Weise der Informationsdarstellung definiert. So können Information beispielsweise sowohl visuell, als auch akustisch dargeboten werden.[38] Die Anordnung der dargebotenen Informationen kann einem bestimmten System folgen oder unsystematisch ablaufen. Einzelne Informationseinheiten können sich auf andere beziehen, aus anderen logisch folgen, anderen vorausgehen, sich mit ihnen ergänzen oder keinerlei Zusammenhang mit ihnen haben. Im Rahmen zahlreicher empirischer Untersuchungen wurde bestätigt, dass Informationen in einem sinnvollen Zusammenhang mit anderen besser gespeichert werden können, als nicht zusammenhängende, isolierte Informationsfragmente.[39]
Informationsqualität und -quantität sind auch bei realen Kaufentscheidungen, vor allem, wenn es sich um komplexe oder riskante Produkte oder Dienstleistungen handelt, von großer Bedeutung. Einerseits muss die Information so dargeboten werden, dass sie vom Konsumenten verstanden wird. Sie muss aufgenommen und adäquat weiterverarbeitet werden können. Andererseits spielt die Menge an dargebotenen Informationen eine große Rolle. Selbst bei riskanten und sehr gut überlegten Kaufentscheidungen, die normalerweise auf dem Vergleich verschiedener Alternativen mit den sie beschreibenden Attributen beruhen, kann der Entscheider mit einem Überangebot an Informationen konfrontiert werden. Dieses kann aufgrund der kapazitiven Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitung nicht zur Gänze verarbeitet werden. Das hat zur Folge, dass sich die Komplexität der Kaufsituation erhöht, was den Informationsverarbeitungsprozess wiederum beeinflusst. Es müssen dann nämlich einfache Entscheidungsheuristiken (Vgl. Kapitel 8.2) gefunden werden, die nicht die gesamte, unüberschaubar große Menge an dargebotenen Informationen mit einbeziehen, sondern auf Basis der subjektiv relevanten Attribute zu einer Entscheidung führen. Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich die Frage nach der optimalen Informationsmenge für den (Kauf-) Entscheidungsprozess, deren Beantwortung der nächste Abschnitt der Arbeit gewidmet ist
Quantität und Qualität alleine reichen jedoch nicht aus, um Informationen hinreichend zu beschreiben. Daneben müssen noch die kognitive und affektive Informationsdimension Berücksichtigung finden. (3) Kognitive Information ist sachlich, rational, beschreibend oder erklärend, wohingegen (4) affektive Information Gefühle und Emotionen auslöst und daher vor allem für die Werbung von Bedeutung ist.[40] Kroeber-Riel meint dazu: „Die Aktivierung sorgt dafür, dass Verhalten stattfindet, die kognitive Steuerung sorgt dafür, welches Verhalten stattfindet.“[41]
7.2. Die optimale Menge von Informationen
Die Vorstellung des rational denkenden und handelnden Menschen, des homo oeconomicus, welcher über vollkommene Information verfügt und eine Entscheidung erst nach Abwägung dieser trifft, bestimmte lange Zeit die Denkweise verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen, die sich mit Entscheidungen beschäftigen. Dabei wurde keine Rücksicht auf die begrenzte Informationsverarbeitungsfähigkeit des Entscheiders genommen[42]. Man war vielmehr der Meinung: Je mehr Informationen zur Verfügung stehen, desto besser ist die resultierende Entscheidung.
Wenn auch die kognitive Verarbeitungsfähigkeit des Entscheiders Grenzen hat, so ist doch eine gewisse Menge an Informationen notwendig um eine hinreichend zufrieden stellende Entscheidung treffen zu können. Es beseht also die Gefahr von (1) Informationsdefiziten bei bestimmten Entscheidungsproblemen. Da grundsätzlich jedes Individuum das Bedürfnis hat, Informationen zu verarbeiten, um Entscheidungsprobleme lösen zu können, kann ein echtes Informationsdefizit zu einer Stresssituation führen. Andauerndes Ausbleiben von anregenden Stimuli (zu denen auch Informationen zählen) kann sogar einen Zerfall von Wahrnehmungs- und Denkvorgängen zur Folge haben; das Individuum wird somit unfähig, eine Entscheidung zu treffen.
Doch auch eine, vom Individuum empfundene (2) Informationsüberlastung, wie sie heute täglich durch moderne Medien, wie Internet oder Fernsehen in Form von z.B. Werbung erzeugt wird, kann zu einer Stresssituation beim Entscheider führen. So kann maximale Information anlässlich einer ausstehenden Kaufentscheidung den Entscheider anstatt zu nutzen sogar schaden, da dieser nur einen Teil der geboten Information verarbeiten kann, was die Kaufentscheidung negativ beeinflussen kann. Dies gilt vor allem dann, wenn zentrale Informationen nicht mehr verarbeitet werden können.
Neben der Information sind es vor allem die kognitiven Fähigkeiten des Entscheiders, die die Informationsverarbeitung beeinflussen. Ihnen ist der nächste Abschnitt der Diplomarbeit gewidmet.
7.3. Kognitive Fähigkeiten als Basis der Informationsverarbeitung
Der Prozess der Aufnahme, Verarbeitung und Interpretation von Informationen setzt gewisse kognitive Fähigkeiten voraus. Die wichtigsten kognitiven Fähigkeiten im Zusammenhang mit der Informationsverarbeitung sind die (1) Wahrnehmungs- und (2) Denkfähigkeiten, sowie die (3) Fähigkeiten der Verhaltenssteuerung.
(1) Die Wahrnehmungsfähigkeiten erlauben es dem Entscheider als Reaktion auf bestimmte externe Stimuli spezifische Wahrnehmungseindrücke oder -meinungen zu generieren. Beispielsweise führt ein Blick auf einen roten Apfel dazu, dessen rote Farbe wahrzunehmen und zur Überzeugung zu gelangen, dass der betreffende Apfel rot ist.
(2) Denkfähigkeiten kommen immer dann zum Einsatz, wenn es um Transformationsprozesse derart geht, dass Meinungen, Wünsche, Anschauungen und ähnliche interne menschliche Zustände in andere Zustände gleicher Art umgewandelt werden. Beispielsweise kann jemand den Wunsch haben, einen Apfel zu essen. Der Blick auf den roten Apfel signalisiert dem Entscheider, dass der Apfel reif und somit zum Verzehr bereit ist.
(3) Werden auf Basis bestimmter Wünsche und Meinungen Handlungsentscheidungen getroffen und auch tatsächlich ausgeführt, spricht man von der Fähigkeit der Verhaltenssteuerung. Im vorliegenden Beispiel entspricht der Fähigkeit der Verhaltenssteuerung der Entschluss des Entscheiders, den Apfel zu essen und der damit verbundenen kulinarische Handlung.[43]
Auch bei Kaufentscheidungsprozessen benötigt der Entscheider alle drei der eben erwähnten kognitiven Fähigkeiten. Die Wahrnehmungsfähigkeiten sind für die Informationsverarbeitung notwendig. Der Entscheider sieht sich die verfügbaren Produktinformationen an und speichert sie im Gedächtnis. Die Denkfähigkeiten werden anschließend gebraucht, wenn es darum geht, die aufgenommenen Informationen zu bewerten und in das persönliche Präferenzschema einzuordnen. Dies entspricht dem Wunsch, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Der Kauf schließlich entspricht den Fähigkeiten der Verhaltenssteuerung. Der Kaufwunsch wird durch die Kaufhandlung in die Realität umgesetzt.
Nachdem ich dem Leser die verschiedenen kognitiven Fähigkeiten, die ein Entscheider zur Entscheidungsfindung benötigt, vorgestellt habe, gehe ich nachfolgend auf die verschiedenen Schritte der Informationsverarbeitung im Detail ein.
7.4. Die Schritte der Informationsverarbeitung
Kognitive Verarbeitungsprozesse können in drei Schritte unterteilt werden:
- Die Informationsaufnahme beschreibt den Prozess der Reizaufnahme bis zu dessen Übernahme ins Gedächtnis.
- Dort werden die vom Reiz übermittelten Informationen dann verarbeitet, d.h.: entschlüsselt, verstanden und in Beziehung zu anderen Informationen gesetzt. Es findet ein Transformationsprozess statt.
- Die Informationsspeicherung schließlich beschreibt den Prozess des Lernens und der Speicherung der transformierten Informationen. Grundsätzlich können nur Informationen gespeichert werden, die zuvor den selektiven Prozess der Informationswahrnehmung, welcher nachfolgend genauer diskutiert wird, passieren konnten.[44]
In einer praktischen Kaufsituation würden die einzelnen Schritte der Informationsverarbeitung folgendermaßen aussehen:
- Der Entscheider steht vor der Auslage eines Elektrogeschäftes und sieht sich das Angebot an verschiedenen Fernsehgeräten an. Dabei liest er sich alle, für ihn relevanten Informationen zu den einzelnen Alternativen durch.
- Die wahrgenommenen Produktinformationen gelangen in sein Gedächtnis. Informationen über beispielsweise Marke, Bildschirmdiagonale, Preis, Taktfrequenz, etc. werden in Beziehung zu bereits vorhandenen Informationen über vergleichbare Produkte gebracht.
- Die aufgenommenen Informationen werden schließlich im Gedächtnis gespeichert. Der Entscheider lernt die Vor- und Nachteile der verschiedenen Fernsehgeräte kennen, indem er Vergleiche der Geräte sowohl untereinander, als auch zu bereits gespeicherten Informationen bezüglich ähnlicher Produkte anstellt. Er entwickelt eine Präferenz für ein bestimmtes Fernsehgerät.
Kein Entscheider kann jedoch alle sich bietenden Informationen und Reize simultan und lückenlos verarbeiten, weshalb ein komplizierter Selektionsmechanismus bei der Informationsverarbeitung in Gang gesetzt wird.
7.5. Der Selektionsmechanismus der Informationswahrnehmung
Aufmerksamkeit und Wahrnehmung bilden die Grundvoraussetzungen der Informationsverarbeitung. Die Aufmerksamkeit als Grad der „Wachheit“ gegenüber bzw. der „Zuwendung“ zu einem auftretenden Reiz (Cocktailparty-Phänomen[45] ) geht der eigentlichen Wahrnehmung[46] voraus. Die Wahrnehmung selbst wird in der Literatur übereinstimmend nicht nur als Voraussetzung für Informationsverarbeitung, sondern gleichzeitig als aktiver, subjektiver und selektiver Teilprozess der Informationsverarbeitung beschrieben. Sie kann zu bewussten und unbewussten Empfindungen und Zuständen führen. Viel wichtiger als die reine Informationsaufnahmefunktion ist die Selektionsfunktion der Wahrnehmung und die Zusammenfassung der aufgenommenen Informationen zu sinnvollen Einheiten. Die Selektionsfunktion erlaubt es dem Entscheider aus der großen Menge an Reizen, denen er ständig ausgesetzt ist, die für ihn subjektiv wichtigsten wahrzunehmen, während der Rest unberücksichtigt bleibt. Wahrnehmung ist also ein „[...] filter at the entrance of the central control unit that somehow accepts some stimuli while rejecting others.“[47] Ohne diese Schutzvorrichtung würden sich die Entscheider kaum gegen die allgegenwärtige Reizüberflutung wehren können, was eine völlige Überforderung mit der Konsequenz der Handlungsunfähigkeit zur Folge hätte. Vor allem wenn die, der Informationsverarbeitung zur Verfügung stehende Zeit begrenzt ist, kommt dem Selektionsmechanismus eine große Bedeutung zu. Zeitdruck bei der Informationsverarbeitung ist auch ein wichtiger Punkt im empirischen Teil der Arbeit, wo festgestellt wird, wie sich dieser auf das Entscheidungsverhalten in Kaufsituationen auswirkt. Die Zusammenfassung der Informationen zu sinnvollen Einheiten ist eine Form der mentalen Organisation im menschlichen Gedächtnis und hilft beim Wiederauffinden der gespeicherten Inhalte.[48]
Bis der Entscheider jedoch etwas bewusst wahrnimmt, also sagen kann, dass er etwas sieht, hört, riecht oder fühlt, müssen die aufgenommenen körperfremden, physikalischen Reize (Stimuli) in körpereigene, physiologische Reize transformiert werden. Mit diesem Problembereich beschäftigt sich die Forschungsrichtung der Psychophysik.[49]
Wichtiger bezüglich der Themenstellung der vorliegenden Diplomarbeit erscheinen mir die so genannten Selektionsschwellen, welche von den eintreffenden Reizen überwunden werden müssen, damit diese überhaupt wahrgenommen und in weiterer Folge verarbeitet und gespeichert werden können. Diese Selektionsschwellen führen dazu, dass eigentlich für die Wahrnehmung geeignete Reize, wenn sie (subjektiv) zu schwach bzw. zu wenig intensiv sind, nicht wahrgenommen werden. Die Intensität eines Reizes, die gerade noch ausreicht, um diesen aufzunehmen, nennt man Selektionsschwelle. Neben dem absoluten Schwellenkriterium, müssen aber auch relative Intensitätsunterschiede zwischen den dargebotenen Reizen berücksichtigt werden; man spricht von wahrnehmbaren Unterschiedsschwellen. Der Entscheider ist erst ab einem gewissen Unterschied in der Intensität eines Reizes im Stande, diesen auch wahrzunehmen. Je intensiver ein Reiz bereits ist, desto größer muss der Unterschied sein, um gerade noch wahrgenommen zu werden. Dabei sind die Unterschiedsschwellen bei verschiedenen Reiztypen (z.B.: auditiv, visuell) unterschiedlich groß.[50] Die Wahrnehmung von Reizen hängt auch von individuellen Faktoren, wie Einstellungen, Erwartungen, Erfahrungen und anderen Persönlichkeitsfaktoren, also nicht nur von der Reizintensität, ab.[51]
Neben der Informationswahrnehmung kommt vor allem der Speicherung von Informationen und den Limitationen, denen unser Gedächtnis dabei ausgesetzt ist, eine zentrale Bedeutung zu. Im folgenden Abschnitt gehe ich näher auf die Speichertheorie von Informationen unter Berücksichtigung der Informationsverarbeitungskapazität ein.
7.6. Informationsverarbeitungsmodelle
Informationsverarbeitung ist ein komplexer Prozess mit zahlreichen Interdependenzen. Um diesen komplexen Vorgang ausführen zu können, benötigt der Entscheider sein Gehirn, welches Dörner folgendermaßen beschreibt: „Das menschliche Gehirn ist das vielseitigste und anpassungsfähigste Informationsverarbeitungssystem, welches wir kennen. Sehr komplizierte Systeme sind meist spezialisiert und wenig adaptibel. Vielseitigkeit dagegen scheint Unkompliziertheit und Einfachheit vorauszusetzen.“[52]
Es gibt zwei verschiedene Gruppen von Modellen, die sich mit der menschlichen Informationsverarbeitung auseinandersetzten. Um die Bedingungen der Informationsverarbeitung abstecken zu können erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Strukturmodellen der Informationsverarbeitung, während sich die Prozessmodelle mit den unterschiedlichen Möglichkeiten oder Ebenen der Informationsverarbeitung auseinandersetzen.[53]
Die wichtigste Rahmenbedingung der Informationsverarbeitung ist nach Case die Tatsache, dass die Informationsmenge, mit welcher das Individuum konfrontiert ist, zumeist viel größer ist, als die zur Verfügung stehende Informationsverarbeitungskapazität. Diese ist hauptsächlich durch die Menge der Informationseinheiten, die gleichzeitig verarbeitet werden können, definiert. Können einzelne Informationseinheiten zu größeren, sinnvollen Einheiten, den so genannten chunks zusammengefasst werden, oder laufen kapazitätsschonende, weitgehend automatisierte Informationsverarbeitungsprozesse ab, dann reduziert sich der Kapazitätsbedarf. Ansonsten, wenn alle Informationseinheiten isoliert voneinander aufgenommen werden, wird die gesamte Kapazität benötigt, was soweit führen kann, dass bereits aufgenommene Informationen nicht mehr weiterverarbeitet werden können, da ihre Aufnahme bereits alle Speicherkapazitäten benötigt. Aufgrund der unzähligen Reize, die ständig auf den Entscheider einwirken, ist davon auszugehen, dass dieser auch im alltäglichen Leben ständig an die Grenzen seiner Informationsverarbeitungskapazität herangeführt wird.[54]
7.6.1. Die Strukturmodelle der Informationsverarbeitung
Die Strukturmodelle der Informationsverarbeitung gehen von einer Dreiteilung des menschlichen Gedächtnisses, dem so genannten Drei-Speicher-Modell der kognitiven Psychologie aus. Demnach besteht das menschliche Speichermedium aus dem (1) sensorischen Speicher, dem (2) Kurzzeitspeicher und dem (3) Langzeitspeicher. Alle drei Teile des Gedächtnisses zeichnen sich durch unterschiedliche Kapazitäten, Verarbeitungsgeschwindigkeiten, Manipulationsmöglichkeiten bezüglich der zu speichernden Informationen und Behalte- bzw. Speicherzeiträume aus.[55]
Das (1) sensorische Gedächtnis hat die Aufgabe, die von den Umwelt- und Personenstimuli erzeugten und in physiologische Impulse umgewandelten Reize über die Sinnesorgane aufzunehmen und einer ersten Verarbeitung zu unterziehen. Die gewaltige Kapazität des sensorischen Speichers wird durch seine geringe Speicherdauer (maximal 1-2 Sekunden) eingeschränkt. Das bedeutet, dass alle Informationen, die im sensorischen Speicher nicht derart weiterverarbeitet werden, dass sie ins Kurzzeitgedächtnis gelangen können, schon kurze Zeit nach ihrem Auftreten wieder aus dem Gedächtnis verschwunden sind.[56] Das betrifft vor allem Reize, die keiner Weiterverarbeitung bedürfen, weil sie vom Individuum als subjektiv unwichtig eingestuft und nur beiläufig wahrgenommen wurden.
Die vom sensorischen Speicher weiterverarbeiteten Informationen gelangen anschließend in das (2) Kurzzeitgedächtnis, welches als eine Art menschlicher Arbeitsspeicher angesehen werden kann. Die Verarbeitungs- und Behaltenskapazität des Kurzzeitspeichers ist mit lediglich fünf bis neun (7 +/- 2) isolierten Informationseinheiten begrenzt. Auch die Behaltensdauer ist mit bis zu dreißig Sekunden limitiert. Die Begrenzung der Informationsverarbeitungskapazität kann einerseits durch eine mental sinnvolle Verbindung der Informationseinheiten zu chunks verbessert werden.[57] Andererseits beseht die Möglichkeit der Wiederholung der aufgenommenen Informationen, wodurch vor allem größere chunks umstrukturiert werden, um sie leichter und ökonomischer speichern zu können.[58]
Das (3) Langzeitgedächtnis stellt schließlich die Festplatte des komplexen menschlichen Speicherapparates dar. Auch hier findet ein Organisationsprozess derart statt, dass die einfließenden neuen Informationseinheiten mit bereits abgespeicherten verbunden werden. Dies führt zwar zu einer Verzögerung der Einordnung neuer Gedächtnisinhalte, erleichtert aber in weiterer Folge deren Auffindbarkeit. Durch die Organisation der Informationen entsteht eine netzartige Struktur der Gedächtnisinhalte, wobei einzelne Gedächtnisspuren aufeinander verweisen. Es gibt also eine assoziative Verbindung zwischen den einzelnen Gedächtnisspuren. Wird eine bestimmte Gedächtnisspur aktiviert, so hat das gleichzeitig die Aktivierung der mit ihr vernetzten Gedächtnisspuren zur Folge. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Prinzip der Aktivationsausbreitung. Die Speicherkapazität des Langzeitgedächtnisses gilt als unbegrenzt, genau wie seine Behaltensdauer. Vergessen entsteht durch eine mangelnde Zugriffmöglichkeit auf die gespeicherten Informationen.[59]
Da der Aufbau des menschlichen Speicherapparates zentral für die Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung ist, wird in Abb. 1 ein abschließender Überblick über die wichtigsten Funktionen und Beschränkungen der verschiedenen Informationsspeicher gegeben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die drei Informationsspeicher und ihre charakteristischen Eigenschaften
(Quelle: In Anlehnung an: Berndt (1983), S. 33
Nachdem die verschiedenen Teilsysteme des menschlichen Gedächtnisses genauer erläutert worden sind, gehe ich näher auf eine ihrer großen Schwachstellen, die Kapazitätsgrenze der Informationsverarbeitung ein.
Eine weit verbreitete Theorie zur Beschreibung der Kapazitätsgrenze menschlicher Informationsverarbeitung ist die so genannte Theorie der Kanalkapazität. Sie beruht auf der Annahme, dass jeder aufgenommene Reiz registriert und mit einem Elementarkode versehen wird. Die Beschaffenheit des jeweiligen Kodes hängt von der Art des empfangenen Signals und dem Gedächtniszustand des Empfängers ab. Während Ziffern oder Wörter einen verbalen Kode erhalten, werden räumlich angeordnete Punkte auch räumlich kodiert. Ausgehend von der Kodierung eingehender Reize besagt die Theorie der Kanalkapazität, dass, wenn dem Entscheider mehr Informationen (Reize) dargeboten werden, als der Übertragungskanal (Sinnesorgane und sensorischer Speicher) verarbeiten kann, er nicht mehr in der Lage ist, alle Informationen adäquat zu kodieren. Das Ergebnis sind Reaktionsungenauigkeiten und Reproduktionsfehler. Die Kanalkapazität ist nicht als fix anzusehen, sondern kann durch bestimmte Faktoren und Zustände beeinflusst werden. So führt eine längere Darbietungszeit von Reizen grundsätzlich zu einer Erhöhung der Kanalkapazität, wenn auch nicht für alle Reiztypen (z.B.: auditiv-monotone Signale). Wird ein bestimmter Reiztypus (z.B.: sensorisch) empfangen und dementsprechend vom Gedächtnis kodiert, kann es leicht zu Reproduktionsproblemen kommen, wenn eine Reaktion auf den empfangenen Reiz erwartet wird, welche nicht seinem Reiztyp entspricht (z.B.: verbal). Entspricht hingegen die Antwort dem Elementarkode des Reizes, wird die Antwortwahl wesentlich beschleunigt oder kann sogar übergangen werden.[60]
Neben der Übereinstimmung zwischen Elementarkode und Antwort sowie der Organisation der aufgenommenen Reize im Gedächtnis, ist es vor allem der Grad der Automation der Informationsverarbeitungsprozesse, welcher sich auf die Informationsverarbeitungskapazität des Entscheiders auswirkt. Automatismen (Vgl. Kapitel 7.7) spielen bei der Informationsverarbeitung eine zentrale Rolle.
7.6.2. Die Prozessmodelle der Informationsverarbeitung
Im Anschluss an die Strukturmodelle finden die Prozessmodelle, die sich mit den unterschiedlichen Möglichkeiten oder Ebenen der Informationsverarbeitung auseinandersetzen, Eingang in die vorliegende Arbeit.
Tulving (1972) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einem (1) semantischen Gedächtnis, welches situationskontextunspezifische Informationen und Regeln zu deren Verknüpfung (Bedeutungskontext) speichert und einem (2) episodischen Gedächtnis, welches die Rahmenbedingungen (Raum, Zeit) der Informationsaufnahme speichert. Lernen, im eigentlichen Sinne passiert seiner Meinung nach immer dann, wenn Strukturen und Inhalte des semantischen Gedächtnisses verändert werden.[61]
[...]
[1] Vgl. Zimbardo (1995), S. 528-537
[2] Vgl. Payne, Bettman, Johnson (1993), S. 1-263
[3] Vgl. Huber (1982), S. 9
[4] Vgl. Berndt (1983), S. 19
[5] Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 3
[6] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 3
[7] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 3-4
[8] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 4
[9] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 4
[10] Vgl. Wallacher (2003), S. 1
[11] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 4-5
[12] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 4
[13] Vgl. Berndt (1983), S. 45-46
[14] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 5-7
[15] Vgl. Huber (1982), S. 13
[16] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 6
[17] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 17-19
[18] Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 22
[19] Vgl. Huber (1982), S. 24
[20] Vgl. Huber (1982), S. 24-27
[21] Vgl. Huber (1982), S. 20-21
[22] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 27-28
[23] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 28-29
[24] Vgl. Huber (1982), S. 19-20
[25] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 25-26
[26] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 29
[27] Vgl. Dietrich (1986), S. 125
[28] Vgl. Felser (1997), S. 60-61
[29] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 31
[30] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 32-33
[31] Vgl. Jungermann, Pfister, Fischer (1998), S. 33-35
[32] Vgl. Felser (1997), S. 58
[33] Vgl. Dietrich (1986), S. 125-126
[34] Garner (1962), in: Sanders (1971), S. 38
[35] Kroeber-Riel (1980), in: Berndt (1983), S. 11
[36] Vgl. Berndt (1983), S. 11-13
[37] Vgl. Berndt (1983), S. 13-18
[38] Vgl. Berndt (1983), S. 18
[39] Vgl. Berndt (1983), S. 17-18
[40] Vgl. Berndt (1983), S. 18-19
[41] Kroeber-Riel (1980), in: Berndt (1983), S. 19
[42] Vgl. Berndt (1983), S. 22-25
[43] Vgl. Eimer (1990), S. 1-2
[44] Vgl. Berndt (1983), S. 26
[45] Vgl. Felser (1997), S. 81
[46] Vgl. Sanders (1971), S. 176-177
[47] Engel (1968), in Berndt (1983), S. 27
[48] Vgl. Berndt (1983), S. 27
[49] Vgl. Felser (1997), S. 72
[50] Vgl. Felser (1997), S. 73
[51] Vgl. Berndt (1983), S. 29
[52] Dörner (1974), S. 182
[53] Vgl. Geuss (1978), in: Ueckert, Rhenius (1978), S. 89
[54] Vgl. Geuss (1978), in: Ueckert, Rhenius (1978), S. 89
[55] Vgl. Berndt (1983), S. 31
[56] Vgl. Berndt (1983), S. 31
[57] Vgl. Felser (1997), S. 109-110
[58] Vgl. Geuss (1978), in: Ueckert, Rhenius (1978), S. 90
[59] Vgl. Berndt (1983), S. 32-33
[60] Vgl. Sanders (1971), S. 42-44
[61] Vgl. Geuss (1978), in: Ueckert, Rhenius (1978), S. 91
- Citation du texte
- Andreas Horner (Auteur), 2004, Kaufentscheidungsprozesse in Abhängigkeit von der kognitiven Verarbeitungsfähigkeit der Konsumenten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35027
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