In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Faktoren aus Sicht der Autorin für die
Verbreitung des Faschismus in Deutschland verantwortlich waren. Dazu werden die
einzelnen Figuren auf ihre „Schuldhaftigkeit“ hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber den
sieben Flüchtigen des KZ Westhofen untersucht.
Anna Seghers bedient sich in ihren Betrachtungen eines individual-psychologischen
Modells. Selbst Kommunistin, findet sich auch in ihrer Deutung menschlichen Verhaltens
eine der marxistischen Thesen: „…das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen
Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der
gesellschaftlichen Verhältnisse.“
Um also den einzelnen Figuren schuldhaftes Verhalten nachweisen zu können, müssen die
jeweiligen Umfelder, Erziehung und Erfahrungen betrachtet werden, um im Moment der
Entscheidung ihr Verhalten einordnen zu können, das sie zu Tätern werden lässt.
Bevor jedoch die einzelnen Charaktere näher beleuchtet werden, soll ein kurzer Einblick
in das Leben der Autorin gegeben werden, gefolgt von allgemeinen Bemerkungen zum
Roman. Dabei wird es um Besonderheiten in der Darstellung, wichtige Motive und die
Rezeptionsgeschichte gehen. Der Hauptteil wird eingeleitet durch Ansichten Anna
Seghers’ zur „Schuld der Deutschen“. Außerdem soll in dieser Arbeit die Möglichkeit
genutzt werden, auch Vergleiche zu anderen ihrer Werke zu ziehen. Hierbei handelt es
sich einmal um den Roman Der Kopflohn, der zusammen mit dem Siebten Kreuz und der
Erzählung Das Ende den Weg des Faschisten Zillich beschreibt, zum anderen um die
1942 erschienene Erzählung Ein Mensch wird Nazi. Im Vordergrund soll dabei stehen, ob
und inwiefern sich die Darstellung der Figuren unterscheidet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Über Anna Seghers
3. Über „Das siebte Kreuz“
4. Zum „Schuldbegriff“
5. Figuren und ihre „Schuldhaftigkeit“
6. Vergleich zu anderen Werken Anna Seghers: „Der Kopflohn“, „Das Ende“ und „Ein Mensch wird Nazi“
7. Fazit
I. Literaturverzeichnis
II. Zitatnachweis
III. Bildnachweis
1. Einleitung
In dieser Arbeit soll untersucht werden, welche Faktoren aus Sicht der Autorin für die Verbreitung des Faschismus in Deutschland verantwortlich waren. Dazu werden die einzelnen Figuren auf ihre „Schuldhaftigkeit“ hinsichtlich ihres Verhaltens gegenüber den sieben Flüchtigen des KZ Westhofen untersucht.
Anna Seghers bedient sich in ihren Betrachtungen eines individual-psychologischen Modells. Selbst Kommunistin, findet sich auch in ihrer Deutung menschlichen Verhaltens eine der marxistischen Thesen: „…das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ (1)
Um also den einzelnen Figuren schuldhaftes Verhalten nachweisen zu können, müssen die jeweiligen Umfelder, Erziehung und Erfahrungen betrachtet werden, um im Moment der Entscheidung ihr Verhalten einordnen zu können, das sie zu Tätern werden lässt.
Bevor jedoch die einzelnen Charaktere näher beleuchtet werden, soll ein kurzer Einblick in das Leben der Autorin gegeben werden, gefolgt von allgemeinen Bemerkungen zum Roman. Dabei wird es um Besonderheiten in der Darstellung, wichtige Motive und die Rezeptionsgeschichte gehen. Der Hauptteil wird eingeleitet durch Ansichten Anna Seghers’ zur „Schuld der Deutschen“. Außerdem soll in dieser Arbeit die Möglichkeit genutzt werden, auch Vergleiche zu anderen ihrer Werke zu ziehen. Hierbei handelt es sich einmal um den Roman Der Kopflohn, der zusammen mit dem Siebten Kreuz und der Erzählung Das Ende den Weg des Faschisten Zillich beschreibt, zum anderen um die 1942 erschienene Erzählung Ein Mensch wird Nazi. Im Vordergrund soll dabei stehen, ob und inwiefern sich die Darstellung der Figuren unterscheidet.
2. Über Anna Seghers
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anna Seghers wird am 19. November 1900 als Netty Reiling in Mainz geboren. Sie ist das einzige Kind einer bürgerlichen Familie, deren Oberhaupt Kunsthändler und orthodoxer Jude ist. Auch wenn sie ihre Eltern selbst als nicht besonders unterrichtet oder belesen beschreibt, spricht sie von einer „sehr günstigen Jugend“(2), in der sie von den vielen Büchern im elterlichen Haus – aus denen ihr die noch sehr junge Mutter oft Geschichten vorliest –, als auch von den „ausgezeichneten Lehrern“(3) profitiert. In jungen Jahren ist sie häufig krank und verbringt deshalb viel Zeit allein zu Hause oder mit ihrer Mutter auf Kur an der Nordsee. Das führt dazu, dass sie früh Lesen und Schreiben lernt und sich Geschichten ausdenkt, um damit auch der Einsamkeit entgegen zu wirken.
Doch auch das viele Lesen kann nichts daran ändern, dass sie sich in ihrer behüteten Umgebung auch durch den 1. Weltkrieg hindurch „in anderer Beziehung lange kindisch und unentwickelt“(4) empfindet. Erst die Berührung mit Barbusses „Feuer“ fördert ihr Interesse für die politischen Ereignisse in ihrer Jugend, die Ungerechtigkeiten des Krieges und die neuen internationalen Bewegungen der Arbeiterklasse. Erstmals ermöglicht ihr dann das Studium in Heidelberg und Köln Kontakte zu Studenten und Emigranten, die sich für diese Entwicklungen und besonders auch die Oktoberrevolution in Russland interessieren. Darüber teilt sie auch ihren Hang zu Schiller und vor allem Dostojewski mit mehreren Altersgefährten.
1925 heiratet sie den aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden Ungarn Laszlo Radvanyi und siedelt nach Berlin über. Im darauf folgenden Jahr kommt ihr Sohn Peter zur Welt. Nachdem sie aus der jüdischen Gemeinschaft ausgetreten ist, um ungebunden zu sein und da ihr Interesse allen Religionen gilt, wird sie Mitglied in dem neugegründeten Bund proletarisch revolutionärer Schriftsteller, 1928 dann der KPD. Im selben Jahr erhält sie den Kleist-Preis für ihre beiden Novellen Aufstand der Fischer von St. Barbara und Grubetsch, ihre Tochter Ruth wird geboren.
Mit dem Reichstagsbrand 1933 verschlechtert sich die Situation der Kommunisten in Deutschland gravierend. Nach einer Rückkehr aus dem Schwarzwald wird sie in Berlin verhaftet, kann als Ungarin aber erreichen, nach Hause gelassen zu werden und flieht über Süddeutschland und den Bodensee in die Schweiz. In Zürich trifft sie ihren Mann. Die nächsten acht Jahre lebt sie in Frankreich, anfangs in Bellevue bei Paris, wo sie 1939 Das Siebte Kreuz beendet. Nach der Verhaftung ihres Mannes – des Leiters der 1933 verbotenen MASCH, der seine pädagogischen Tätigkeiten auch im Exil fortgesetzt hat – und seiner Inhaftierung im KZ Le Vernet, flieht auch Anna Seghers mit ihren Kindern in den unbesetzten Teil Frankreichs – nach Permier.
Die „League of American Writers“ verschafft der Familie Radvanyi 1941 Visen und Billette für die Reise nach Mexiko. Nach einer dreimonatigen Odyssey über Marseille, Martinique, San Domingo, Ellis Iland und Cuba erreichen sie ihr Exil in Mexiko am 30. Juni 1941. Hier wird Anna Seghers zur Präsidentin des Heinrich-Heine-Clubs. 1942 erscheint Das siebte Kreuz in den USA und Mexiko, das die Familie durch seinen großen Erfolg von ihren Geldsorgen befreit. Sie schreibt Beiträge für die mexikanische Exilzeitschrift „Freies Deutschland“,Transit und Der Ausflug der toten Mädchen erscheinen während ihrer sechs Jahre in Mexiko.
Erst 1947 beginnt sie ihre Rückkehr über Norwegen nach Deutschland. Nach kurzer Zeit im Westteil Berlins entscheidet sie sich dann für ein Leben in der DDR. Sie ist Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste und bis 1978 Präsidentin des Schriftstellerverbandes. Anna Seghers stirbt am 1. Juni 1983 in Berlin.
Herausragend am Werk von Anna Seghers ist, dass sie sich hat „einfühlen können in Menschen, Situationen, Lagen und […] dabei oft das Richtige getroffen“(5) hat. Sie selbst sagte dazu: „Man muss doch nicht, um etwas beschreiben zu können, es erst selbst erlebt haben. Man muss nur richtig hinsehen – und intensiv mitempfinden.“(6) Dieses starke gefühlsmäßige Engagement, verbunden mit einem stark ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden, Glauben an die Menschlichkeit, an die positive Entwicklung des Kommunismus und dem neuen sozialistischen Realismus – jedoch ohne Verzicht auf ästhetische Aspekte –, finden sich in fast allen ihren Werken. Sie wendet sich gegen die „Ungleichheit der Menschen, Rassismus, Kolonialismus [und] solche Dinge“(7).
Der Name Seghers begegnet Netty Reiling zum ersten Mal während ihres Kunstgeschichtsstudiums in Heidelberg. Dabei handelt es sich um den niederländischen Maler und Radierer Hercules Seghers. Er malte „gebirgige und ebene, einsame (Fluss-) Landschaften, in denen er Realistisches und Fantastisches miteinander verband und in der visionären Auffassung seinen eigenen Stil entwickelte“(8). Auch wenn die Verwendung dieses Namens – ihres späteren Pseudonyms – ursprünglich Zufall gewesen sein mag, so finden sich doch Parallelen zu ihrem eigen Schaffen, was auch am Siebten Kreuz festzustellen ist.
3. Über Das siebte Kreuz
Im Siebten Kreuz findet sich die für Anna Seghers charakteristische Kombination aus realistischer Darstellung – die dem Einzelnen die Möglichkeit eröffnen soll, sich die gegenwärtige Situation und ihre Veränderungen erfahrbar zu machen – und moderner Experimente, um „Emotionen hervorzurufen und die Herzen anzusprechen“, da ihr bewusst war, „wie groß der Einfluss unbewusster Gefühle auf das Handeln des Lesers sein kann“(9). Die Arbeit begann sie erst 1937, als sie bereits seit 4 Jahren im französischen Exil lebte.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Um einen realistischen Bezug herzustellen, verlegte sie den Handlungsort in die Umgebung von Mainz, was sicher auch dem Versuch geschuldet war, „die Erinnerung das Bild der Heimat, bis ins kleinste Detail zu bewahren“(10) – eine Bestrebung, die vielen exilierten Antifaschisten gemeinsam war. Häufig sprach sie mit Menschen, die nach ihr aus Deutschland emigrierten und schuf auf der Basis solcher Unterhaltungen die unterschiedlichen Charaktere ihrer Figuren. Hinzu kamen die ersten Berichte von aus KZs Geflohenen, wie von Gerhard Seger und dem Politiker Hans Beimler, der aus Dachau entkommen war. Auch das Lager Westhofen hat einen realen Bezug im KZ Osthofen, dem ersten hessischen Konzentrationslager. Es wurde im April 1933 in einer alten Papierfabrik nur wenige Kilometer südlich von Mainz errichtet. Dieses „Umerziehungslager für verwilderte Marxisten“ nahm bis zu 200 „politisch Missliebige, Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrumsleute, Mitglieder der Arbeiterwohlfahrt und auch einige Juden“(11) in „Schutzhaft“, wie es die Nazis ausdrückten. Und „[w]as am Inhalt am sonderbarsten, am phantastischsten wirkt, die Sache mit den sieben Kreuzen, das ist wahr. Das hat mir ein Gefangener erzählt.“(12)
Literarisches Vorbild war der Roman des Italieners Alessandro Manzoni „I promessi sposi“ (Die Verlobten). Er gab die Anregung, ein konkretes Ereignis zum Anlass zu nehmen, um daran „die ganze Struktur der Gesellschaft eines Landes durch das Verhalten aller Mensch zu dieser Angelegenheit zu erzählen“(13).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Neben der realistischen Darstellung finden sich aber auch moderne Erzählstrukturen. Anna Seghers verzichtet auf eine streng chronologische Abbildung der Ereignisse. Es werden Rückblenden, Dialoge und innere Monologe eingesetzt, genauso wie ein Wechsel in der Erzählperspektive (auktorialer Erzähler, kollektive „wir“-Form der KZ-Häftlinge). Durch die Vielzahl kleinerer Charaktere, die Georg Heisler auf seiner Flucht begegnen, und ihre volkstümlichen Namen (Zinnhütchen, Schublädchen, Hechtschwänzchen) werden märchenhafte Motive aufgerufen, die sich mit den detaillierten, liebevollen Landschafts- und Stadtbeschreibungen vermischen und auf diese Weise einen malerischen Hintergrund für die schrecklichen Ereignisse der Flucht bilden.
Von zentraler Bedeutung sind die beiden Metaphern aus dem Titel. So zieht sich die Zahl 7 durch das gesamte Werk – sieben Tage der Flucht werden beschrieben, sieben Männer entfliehen dem KZ, sieben Platanen warten auf die Widereingefangenen, sieben Kapitel teilen den Roman ein. Diese Zahl symbolisiert sowohl im Christentum, wie im Judentum und im Islam Vollkommenheit. Sie steht ambivalent für das Göttliche und für das Infernalische. Im Siebten Kreuz verdeutlicht sie den Totalitätsanspruch des nationalsozialistischen Regimes. „Niemand soll der Rache und dem Willen der Diktatur entgehen.“(14) Das Kreuz als Symbol zwischen Himmel und Erde steht hier zum einen als „Sinnbild der Menschenverachtung“(15) und „archaische[r] Rückgewandtheit der nationalsozialistischen Ideologie“(16), aber auch für die wieder gewonnene Zuversicht der Menschen, für den „Sieg des Lebens über lebensbedrohende Umstände“(17).
[...]
- Citation du texte
- Franka Birkholz (Auteur), 2003, Die Ebenen der Schuld in Anna Seghers "Das siebte Kreuz", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/35023
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.