Der Doppelgänger ist ein altes Motiv und spielt bereits im Glauben der Naturvölker eine Rolle, indem sie sich die Seele als ihr zweites Ich vorstellen, dessen Trennung vom Körper den Tod des Individuums verursacht. Nach der deutschen Mythologie betritt jeder Mensch die Erde mit einem geistigen Doppelgänger, der ihn lebenslang begleitet und schützt.
In vielen Schöpfungsmythen ist der Mensch nach dem Ebenbild des Gottes als dessen Doppelgänger geschaffen, „was auch die Umkehrung zuläßt, daß der Mensch sich seine Götter als ideales Ebenbild seiner selbst erschafft und unerreichbar macht“.
Das Doppelgängermotiv hat auch in der Literatur eine lange Geschichte. Dieser Motivkomplex setzt mit der Zwillingskomödie ein, die den zentralen Bestandteil der antiken Lustspieltradition bildet. Die komische Verwechslung zweier Personen kennzeichnet die Handlungsstruktur dieses Komödientypus. Musterbeispiel dafür ist Plautus´ Komödie Menaechmi, deren Handlungsaufbau in der Folgezeit zum Fundament und Kompositionsprinzip vielfältiger Aktualisierungen geworden ist. Die täuschende Ähnlichkeit zweier Personen ist biologisch bedingt und daher objektiv vorgegeben.
Seit der Antike orientiert sich das Doppelgängermotiv in der Dichtung hauptsächlich an der physischen Ähnlichkeit zweier Personen. Erst in der deutschen Romantik erfährt das Doppelgängermotiv eine bedeutende Neubelebung und Umdeutung, die aus dem Verwechslungsmotiv hervorgeht und besonders in den Werken Jean Pauls und E. T. A. Hoffmanns ihren Niederschlag findet. Wenn die physische Identität Textgrundlage für ein komisches Verwirrspiel bildet, so wird das Doppelgängermotiv in der deutschen Romantik um die Komponente der Persönlichkeitsspaltung bereichert, das heißt der Doppelgänger und sein Prototyp in der Verwechslungskomödie haben Selbstständigkeit, sind mit sich selber identisch, während sie in der deutschen Romantik in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Der Doppelgänger funktioniert nicht mehr als eine objektiv vorgegebene Person, die durch ihr identisches Aussehen die Verwechslung mit ihrem Prototyp verursacht, sondern als subjektiv erlebte Persönlichkeit, welche die Identität ihres Prototyps reflektiert. Der subjektiv erlebte Doppelgänger kann sowohl das Produkt der Phantasie oder Illusion seines Prototyps, als auch eine reale Person sein.
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- Master Minhui Zhu (Author), 2012, Das Doppelgängermotiv in der deutschen Romantik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346906
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