„Bitte bringen Sie eine Person mit, die Deutsch spricht und versteht.“ Geflüchtete, die sich beim Jobcenter anmelden möchten und noch nicht ausreichend Deutsch sprechen, werden von der Behörde häufig mit diesem Zettel abgewiesen. Die Verantwortung, sich um die Sprachmittlung zu kümmern, wird von der Behörde auf die Flüchtlinge abgewälzt. Als Lösung müssen oft Ad hoc-Dolmetscherinnen her, die die Gastsprache oft nur wenig besser beherrschen als die Kunden selbst. Die Folge sind unter anderem Gespräche ohne Verdolmetschung, Missverständnisse und Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Daneben sind auch die ehrenamtlichen Sprachmittlerinnen oft überfordert.
Gerade im Bereich der Sprachmittlung für arabische Geflüchtete wird diese Problematik und die Notwendigkeit der Sprachmittlung besonders deutlich. Für viele gilt, dass sie in den häufigsten Fällen aus keinem sicheren Herkunftsland kommen und mit großer Wahrscheinlichkeit eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhalten werden. Folglich wird über kurz oder lang ein großer Teil dieser Menschen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden müssen. Bei dieser großen Verantwortung, die die Jobcenter dabei tragen, stellt sich die Frage, was die Dolmetschwissenschaft dazu beitragen kann, die Kommunikation zwischen arabischen Geflüchteten und Mitarbeiterinnen des Jobcenters zu verbessern und zu helfen, ihre individuellen und institutionellen Ziele zu realisieren.
Aus dem Inhalt:
- Community Interpreting;
- Kommunikative Situation;
- Sprachmittlerkompetenzen;
- Gesprächsanalysen;
- Sprachmittlung
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Hintergrund der Arbeit
1.2 Eine Weiterbildung für Sprachmittlerinnen beim Jobcenter
1.3 Vorannahmen und Fragestellung.
2 Begriffserklärungen
3 Community Interpreting
3.1 Charakteristika.
3.2 Entwicklung von Community Interpreting in Deutschland.
4 Die kommunikative Situation beim Jobcenter
4.1 Die Position der Behördenvertreterinnen.
4.2 Die Position der Geflüchteten.
5 Kompetenzen von Sprachmittlerinnen bei Behörden
5.1 Sprachübergreifende Kompetenzen.
5.2 Sprachspezifische Kompetenzen.
6 Methode
6.1 Die teilnehmende Beobachtung.
6.2 Durchführung der Studie.
6.3 Die Pilotstudie.
6.4 Aufbereitung der Daten.
7 Analyse der gedolmetschten Gespräche zur beruflichen Situation
7.1 Erstes Gespräch.
7.2 Zweites Gespräch.
7.3 Drittes Gespräch.
7.4 Viertes Gespräch.
8 Fazit
Literaturverzeichnis
Glossar
„Diktatoren sollen sich vor ihrem Dolmetscher und ihrem Zahnarzt hüten, denn beide sind mächtiger als sie.“ Winston Churchill.
1 Einleitung
1.1 Hintergrund der Arbeit
„Bitte bringen Sie eine Person mit, die Deutsch spricht und versteht.“ Geflüchtete in Sachsen, die sich beim Jobcenter anmelden möchten und die Landessprache noch nicht ausreichend sprechen, werden von der Behörde häufig mit diesem Zettel wieder abgewiesen. Und damit hat die Suche nach einer Dolmetscherin[1] in der Behörde für Arbeitsvermittlung noch kein Ende, sondern fängt gerade erst an. Für die Anmeldung beim Jobcenter, die Abgabe der Anträge und Papiere und vor allem für das Gespräch bei der Arbeitsvermittlung liegt es meistens in der Verantwortung der Geflüchteten, sich um die Sprachmittlung zu kümmern. Als Lösung müssen oft Ad hoc-Dolmetscherinnen her; Familienmitglieder, Freunde, unausgebildete Ehrenamtliche oder Migrantinnen, die die Gastsprache nur etwas besser beherrschen als die Kunden selber. Die Folgen davon sind unter anderem Gespräche ohne Verdolmetschung, Missverständnisse bei Gesprächen und Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Daneben sind auch die ehrenamtlichen Sprachmittlerinnen oft unsicher bei ihrer Tätigkeit, da sie nicht die notwendigen Dolmetschkompetenzen haben. Gerade im Bereich der Sprachmittlung für arabische Geflüchtete wird diese Problematik und die Notwendigkeit der Sprachmittlung besonders deutlich, zumal wenn man die aktuellen Zahlen betrachtet. Derzeit leben über 46 000 Asylbewerberinnen im Bundesland Sachsen, von denen über 43% syrischer oder irakischer Herkunft sind.[2] Für diese Geflüchteten gilt, dass sie in den häufigsten Fällen aus keinem sicheren Herkunftsland kommen und mit großer Wahrscheinlichkeit eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhalten werden. Folglich wird über kurz oder lang ein großer Teil dieser Menschen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden müssen, sowohl um ihnen eine Möglichkeit der Integration und Selbstständigkeit zu garantieren, als auch um dem deutschen Staat volkswirtschaftlichen Nutzen zu bringen. Bei dieser großen Verantwortung, die das Jobcenter derzeit trägt, stellt sich die Frage, was die Dolmetschwissenschaft dazu beitragen kann, die Kommunikation zwischen arabischen Geflüchteten und Mitarbeiterinnen des Jobcenters zu verbessern und zu helfen, ihre individuellen und institutionellen Ziele zu realisieren.
1.2 Eine Weiterbildung für Sprachmittlerinnen beim Jobcenter
Die Antwort hierauf kann eine weiterführende Qualifizierung in Form eines Workshops für Sprachmittlerinnen sein, die explizit für den Bereich des Dolmetschens beim Jobcenter ausgebildet werden und zwar in den Sprachen Arabisch und Deutsch. Diese Idee ist der Hintergrund der vorliegenden Arbeit und die Konzeption solch eines Workshops kann sich auf die Ergebnisse dieser Arbeit stützen. Ohne auf die Durchführung im Detail einzugehen, soll nun kurz dargestellt werden, was die Ziele dieses Workshops sein werden.
Bei der Qualifizierung von ehrenamtlichen Sprachmittlerinnen sollen sowohl deutsche als auch arabische Muttersprachlerinnen die Möglichkeit bekommen, sich der Sprachmittlung beim Jobcenter in einem Maß zu beschäftigen, das sie befähigt, kompetent und professionell eine Sprachmittlung anzubieten, die sowohl den Kunden als auch den Behördenvertreterinnen gerecht wird und sie persönlich nicht überfordert. Der Workshop soll sich an Personen richten, die mindestens das Niveau C1[3] in der jeweiligen Fremdsprache vorweisen können; Erfahrungen oder Vorqualifikationen im Dolmetschbereich sind jedoch keine zwingende Voraussetzung. Auch wenn diese Arbeit sich auf die Stadt L. konzentriert, so sollen die Ergebnisse doch deutschlandweit der Fortbildung von Sprachmittlerinnen in diesem Bereich nutzen. Wegen dem akuten Mangel an Sprachmittlerinnen in Deutschland gibt es bereits verschiedene Initiativen, an deren Expertise angeknüpft werden und mit denen zusammengearbeitet werden kann. Nur beispielhaft sei hier der SprInt-Pool genannt, der Sprach- und Intregrationsmittler-Pool, der von der Diakonie Wuppertal und ihren Partnern aufgestellt wurde und Migrantinnen zu Sprachmittlerinnen ausbildet, welche von den verschiedenen Einrichtungen auch in L. bestellt werden können[4]. Sprachübergreifende Workshops werden derzeit auch europaweit ins Leben gerufen und beschäftigen sich mit der Ausbildung allgemeiner Kompetenzen von Community Interpretern[5].[6] Bisher existieren jedoch noch sehr wenige dieser Angebote im Vergleich zu dem bestehenden hohen Bedarf und es gibt noch kein Trainingsprogramm in Deutschland, welches sich auf Dolmetschen beim Jobcenter für das Sprachenpaar Arabisch-Deutsch konzentriert.
1.3 Vorannahmen und Fragestellung
Die Analysen in dieser Arbeit beruhen auf Vorannahmen, die hier kurz dargestellt werden. Als Erstes gehe ich davon aus, dass Sprachmittlung beim Jobcenter benötigt wird, ohne dies noch einmal im Besonderen zu untersuchen. Diese Annahme entspringt zum einen der Tatsache, dass die meisten arabischen Geflüchteten, die beim Jobcenter einen SGBII- Antrag stellen, erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben, die meisten wenige Monate. Sie können daher noch keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorweisen, um ein Beratungsgespräch auf einer deutschen Behörde alleine meistern zu können. Da auf deutschen Behörden immer noch der Grundsatz „Deutsch ist Amtssprache“[7] gilt, werden den Geflüchteten daneben kaum Möglichkeiten gegeben, sich auf einer anderen Sprache mit den Behördenvertreterinnen zu verständigen. Daneben steht eine weitere Vorannahme: In Sachsen gibt es keinen bereits etablierten Dolmetschdienst, der regelmäßig von den Behörden genutzt wird, der den dargestellten Bedarf decken könnte und dessen Dolmetscherinnen bereits dementsprechend ausgebildet wurden. Ein bundesweites Trainingsprogramm in diesem Bereich existiert bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht.
Auf diesen Vorannahmen aufbauend lautete die Fragestellung dieser Arbeit: Welche Kompetenzen benötigen Sprachmittlerinnen die beim Jobcenter für arabische Geflüchtete dolmetschen? Durch eine Bedarfsanalyse sollen sowohl die sprachlichen Kompetenzen als auch die sprachübergreifenden Kompetenzen in den Blick genommen werden. Wie diese Frage beantwortet werden soll, wird im Folgenden genauer erläutert.
Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile gegliedert, einen theoretischen und einen praktischen Teil, die einander ergänzen. Während der theoretische Teil das Thema mit Hilfe von aktuellen Publikationen untersucht, wird der praktische Teil diese Erkenntnissen nutzen, um die Fragestellung von der praktischen Seite zu beleuchten; die Ergebnisse zu verifizieren oder falsifizieren, sie zu konkretisieren und somit Ergebnisse zu ermitteln, die in der Praxis nutzbar sind.
Zu Beginn des theoretischen Teils sollen grundlegende Begriffe für das Verständnis des Themas definiert und erklärt werden. Im zweiten Kapitel wird der Bereich des Community Interpreting zusammengefasst dargestellt, wobei besonderes Augenmerk darauf liegen wird, wie sich diese Dolmetschform in den letzten Jahren in Deutschland entwickelt hat und mit welchen Problemen Dolmetscherinnen in diesem Gebiet heute konfrontiert sind. Für die Skizzierung dieses Bereichs werden die bekanntesten Werke im Bereich des Community Interpreting herangezogen; hier sind vor allem die Werke von Sonja Pöllabauer, Franz Pöchhacker, Cecilia Wadensjö, Şebnem Bahadır, und Ashley Marc Slapp zu nennen. Im dritten Kapitel werden dann die zwei Perspektiven dargestellt, zwischen denen beim Jobcenter vermittelt wird mit dem Ziel, mögliches Konfliktpotential herauszufiltern und beide Positionen in der späteren Analyse der Gespräche zu berücksichtigen. Im vierten und letzten Kapitel des theoretischen Teils soll eine Literaturrecherche darüber Aufschluss geben, welche Kompetenzen Community Interpreter laut der Forschung im Bereich des Behördendolmetschens aufweisen sollten, zum einen sprachspezifisch und zum anderen sprachübergreifend. Dabei werden Aspekte hinsichtlich persönliche Eigenschaften und der Ehrenkodex des Dolmetschens[8] außer Acht gelassen, da Erstere schwer lernbar und Zweiterer für alle Dolmetsch-Settings gelten sollten und nicht spezifisch für das Jobcenter hervorgehoben werden muss. Das fünfte Kapitel stellt den Übergang zum praktischen Teil der Arbeit dar und erläutert die Methodik der Forschung. Als Methodik wird die teilnehmende Beobachtung von gedolmetschten Gesprächen beim Jobcenter beschrieben. Im sechsten Kapitel werden dann die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung dargestellt. Dabei soll Augenmerk darauf gelegt werden, welche Probleme in den verschiedenen Gesprächen aufgetaucht sind und wie diese gelöst wurden bzw. wo Missverständnisse entstanden sind; all dies soll zur Bearbeitung der Fragestellung beitragen.
Das siebte Kapitel fasst sowohl die Ergebnisse der Literaturrecherche als auch jene der teilnehmenden Beobachtung zusammen um darauf aufbauend eine Antwort darauf geben zu können, welche spezifischen Kompetenzen für die arabisch-deutsche Sprachmittlung beim Jobcenter notwendig sind und welche demzufolge in einem Workshop ausgebildet werden sollten. Im Anhang werden mögliche wichtige Informationsmaterialen, Dokumente, Vereinbarungen und Glossare hinzugefügt, die für solch einen Workshop wichtig erscheinen.
2 Begriffserklärungen
Bedarfsanalyse:
Die Bedarfsanalyse wird definiert als eine „Erschließung von Bedarfen aus deren Aus-und Bewertung. Die Erschließung von Bedarfen umfasst eine Ermittlung des Ist-Zustandes und des Soll -Zustandes“[9]. Das Ziel einer Bedarfsanalyse im Bereich des Spracherwerbs ist es folglich zu analysieren, welche Kompetenzen Lernende besitzen müssen, um eine bestimmte Rolle zu erfüllen.[10] In dieser Arbeit geht es um Lernende, die sowohl Arabisch oder Deutsch als Fremdsprache lernen, als auch Lernende im Bereich des Community Interpreting sind. Die Frage, welche Kompetenzen diese Lernenden entwickeln sollten, um die Rolle der Dolmetscherinnen beim Jobcenter zu erfüllen, steht im Zentrum dieser Bedarfsanalyse. Dabei ist es wichtig, den Unterschied zu ziehen zwischen Bedürfnissen, die subjektiv sind und dem Bedarf, der objektiv und den Lernenden nicht bewusst ist und daher von verschiedenen Seiten analysiert werden muss.[11] Eine Bedarfsanalyse ist eine wichtige Grundlage für Weiterbildungsangebote, da sie die Lernziele definiert, die sich im Spannungsfeld zwischen vorhandenen und angestrebten Kompetenzen befinden. Dabei liefert sie, und dies soll auch für diese Arbeit gelten, nur Ideen, die überprüft und mit Hilfe weiterer Informationen vervollständigt werden müssen, damit darauf aufbauend ein konkretes für die Zielgruppe passendes Angebot formuliert werden kann.[12] Da in dieser Bedarfsanalyse zwei verschiedene Zielgruppen im Zentrum stehen, deutsche und arabische Muttersprachlerinnen, wird besonders darauf geachtet werden, die Anforderungen an die zwei unterschiedlichen Zielgruppen anzupassen.[13]
Community Interpreting:
Community Interpreting wird als dritter großer Bereich des Dolmetschens neben dem Konferenz- und dem Gerichtsdolmetschen gesehen.[14] Dolmetschen ist laut Pöchhacker eine Instanz, die jemandem „etwas Bedeutungshaftes zweckmäßig verstehbar macht“.[15] Der Begriff Community Interpreting selbst ist zum einen relativ unbekannt und neu und zum anderen schwer fassbar, da für die gleiche oder ähnliche Art des Dolmetschens viele verschiedene Begriffe in verschiedenen Ländern und Kontexten benutzt werden.[16] Eine mögliche Definition von Community Interpreting, in der Arbeit auch mit CI abgekürzt, gibt uns Sonja Pöllabauer:
„Community Interpreting ermöglicht Menschen, deren Mutter- bzw. Bildungssprache nicht die des Gastlandes ist, den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen des Gastlandes. Sie helfen zwei oder mehr Gesprächsparteien, die einander nicht gleichgestellt sind und über unterschiedliche Wissen und soziokulturelle Vorwissen verfügen, zu ihrer gegenseitigen Zufriedenheit zu kommunizieren.“[17]
Andere Begriffe für diese Form des Dolmetschens sind im Englischen unter anderem Liaison Interpreting, Dialogue Interpreting, Cultural Interpreting, Ad-hoc-Interpreting und im deutschsprachigen Raum auch der von Pöchhacker geprägte Begriff Kommunaldolmetschen. Da diese Form des Dolmetschens häufig von Laien ausgeführt wird, spricht man daneben auch von Laiendolmetschen oder einfach von Sprachmittlung.[18] Nach Knapp und Knapp-Potthoff ist Sprachmittlung eine Tätigkeit, die „nicht professionelles, alltagspraktisches Dolmetschen“[19] umfasst, bei dem die Sprachmittlerinnen die Funktion einer dritten Gesprächspartnerin innehaben und auch vermittelnd eingreifen können. In dieser Arbeit werden Sprachmittlerinnen nach dem umgangssprachlichen Gebrauch und nach Knapp/Knapp-Potthoffs Definition als Dolmetscherinnen bezeichnet, die keine professionelle Ausbildung im Bereich des Community Interpreting haben und oft eine aktive Rolle in Gesprächen einnehmen. Da sich international der Begriff Community Interpreting durchgesetzt hat, soll dieser auch in vorliegender Arbeit die Form des Dolmetschens im oben definierten Kontext bezeichnen. Wenn im Folgenden also von Dolmetscherinnen die Rede ist, sind jene unausgebildeten Sprachmittlerinnen gemeint, die im intrasozietären Kontext zwischen Minderheiten in der Gesellschaft und Institutionen des Gastlandes dolmetschen. Als rechtliche Grundlage für den Einsatz von Community Interpretern gilt das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, dessen Ziel es ist, Benachteiligungen auf Grund der Herkunft oder anderen Aspekten zu verhindern oder zu beseitigen.[20] Das Menschenrecht auf gleichberechtigtem Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen ist die Grundlage des Community Interpreting, denn dazu gehört das Verstehen von Informationen, um Angebote in Anspruch nehmen zu können.[21] In Deutschland herrschen kaum Regelungen zum Einbeziehen von Community Interpretern für die Verständigung bei Institutionen und somit kann jede diese Tätigkeiten ausführen.[22]
Geflüchtete:
Als asylberechtigt gelten alle, die politisch verfolgt werden. Das bedeutet, dass sie von ihrem Herkunftsstaat wegen ihrer politischen Überzeugung so stark ausgegrenzt werden, dass ihre Menschenwürde verletzt ist. Vor allem in den Jahren seit 2013 ist die Zahl der Asylanträge in Europa stark angestiegen, und zwar um 24% alleine zwischen den Jahren 2013 bis 2014. Diese Entwicklung kann auf die gewalttätigen Konflikte in der Welt zurückgeführt werden, vor allem in Syrien, dem Irak und Afghanistan.[23] In Deutschland haben alle, die einen Asylantrag stellen, vorerst den Status Asylbewerberin und besitzen eine Aufenthaltsgestattung, bis eine Entscheidung gefallen ist, also der Asylantrag abgelehnt oder die Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde.[24] Es gibt dabei verschiedene Arten von Aufenthaltserlaubnissen. Entweder wird die Asylbewerberin nach der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Asylberechtigte nach Artikel 16a GG anerkannt und erhält eine Aufenthaltserlaubnis für 3 Jahre sowie den freien Zugang zum Arbeitsmarkt, oder es erfolgt die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach den Genfer Konventionen[25], wird ebenso eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre erteilt sowie das Recht zur Erwerbstätigkeit. Besteht Lebensgefahr im Herkunftsland, so wird der subsidiäre Schutz erteilt, der einen Aufenthalt in Deutschland für ein Jahr garantiert und ebenso den Zugang zum Arbeitsmarkt erlaubt.[26] In dieser Arbeit wird von Geflüchteten gesprochen, wenn es um diese drei Gruppen von Personen mit Aufenthaltsstatus geht. Innerhalb Deutschlands werden aufzunehmende Asylbewerberinnen nach dem „Königsteiner Schlüssel“[27] auf die Bundesländer aufgeteilt. Danach hat Sachsen im Jahr 2015 5,1% der Asylsuchenden aufgenommen. Die Zahl der Neuzugänge in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen hat sich in den Monaten Januar bis Dezember 2015 im Vergleich zum Vorjahr versechsfacht, sodass im Jahr 2015 69.500 Personen in den Erstaufnahmeeinrichtungen registriert wurden. 43% der in Sachsen registrierten AsylbewerberInnen kommen aus Syrien.[28] Daher kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der syrischen Kunden beim Jobcenter in den nächsten Jahren ansteigen wird.
Das Jobcenter:
Das Jobcenter ist eine Einrichtung, die zur Bundesagentur für Arbeit gehört und zuständig ist für die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Während Asylbewerberinnen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom Sozialamt erhalten, übernimmt diese Aufgabe das Jobcenter bei Geflüchteten mit Aufenthaltserlaubnis und gestatteter Erwerbstätigkeit. Das SGB II, das Zweite Sozialgesetzbuch, gilt als Regelbuch für die ihnen zugestandene Grundsicherung. Das SGB II unterstützt dabei zum einen durch Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt und zum anderen durch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, das Arbeitslosengeld II.[29]
Möchte ein Geflüchteter beim Jobcenter Leistungen nach dem SGB II erhalten, befolgt das Jobcenter bestimmte Routinen und Regeln, die hier kurz mit ihren Termini dargestellt werden. Zuerst werden der Kundin in der Eingangszone alle Antragsformulare ausgegeben und es wird ein Termin in der Leistungsabteilung und der Arbeitsvermittlung vereinbart. Die Leistungsabteilung ist für alle Belange zuständig, die mit der Sicherung des Lebensunterhalts zusammenhängen. In der Ausbildungs- und Arbeitsermittlung hilft eine Integrationsfachkraft, einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu finden oder die Möglichkeit für Nebenjobs oder Weiterbildungen zu betrachten.[30] Während es bei dem ersten Termin in der Leistungssachabteilung nur um die Klärung der vollständigen Unterlagen geht, befasst sich die Integrationsfachkraft beim sogenannten „Gespräch zur beruflichen Zukunft“ ausgiebiger mit dem bisherigen Werdegang und den beruflichen Wünschen der Kundinnen. In einem Zeitraum von sechs Monaten wird regelmäßig eine „Eingliederungsvereinbarung“ zwischen der Kundin und dem Jobcenter geschlossen, in welcher weitere Schritte, zeitlicher Rahmen, Rechte und Pflichten festgehalten und unterschrieben werden.[31]
3 Community Interpreting
3.1 Charakteristika
Bei der Beschreibung des Feldes Community Interpreting und der Herausarbeitung seiner Eigenarten, wird nicht selten auf den direkten Vergleich mit dem Konferenzdolmetschen, der wohl bekanntesten Form des Dolmetschens, zurückgegriffen. Für das Konferenzdolmetschen wird ein gehobener Grad an Professionalisierung erwartet sowie eine hohe Honorierung geboten, während das Community Interpreting durch Laiendolmetscherinnen und kostenlose Dienste gekennzeichnet ist.[32] Es fällt auf, dass alle Definitionen, die den Begriff des CI umschreiben, sich auf den großen Machtunterschied zwischen den zwei Gesprächsparteien konzentrieren. So schreibt Pöllabauer über die zwei Gesprächsparteien, zwischen denen gedolmetscht wird, diese seien häufig „Personen, die am unteren Ende der institutionellen und sozialen Machtpyramide stehen“[33] und ein geringes Ansehen haben; die andere Gesprächspartei seien Vertreterinnen von Behörden, Institutionen, Einrichtungen des Gastlandes.[34] Hier scheint das Hauptcharakteristikum für das Community Interpreting zu liegen und es von anderen Formen des Dolmetschens zu unterscheiden.
Community Interpreter dolmetschen häufig Sprachen, die von Minderheiten gesprochen werden, sowie Sprachen, die weniger angesehen sind als die Weltsprachen, welche beim Konferenzdolmetschen dominieren. Regionale Dialekte und Umgangssprache kommen beim CI mehr zur Anwendung als beim Konferenzdolmetschen und auch mit wechselnden Stilebenen und Sprachregistern wird man beim CI häufiger konfrontiert. Der Dolmetschmodus ist dabei meistens konsekutiv und bilateral, das heißt, die Texte sind direkt aufeinander bezogen und werden gegenseitig voneinander beeinflusst. Demzufolge handelt es sich oft um spontane, meist kurze Redebeiträge, in denen auch elliptische und abgebrochene Sätze vorkommen, Gedanken können dabei neu formuliert, nachgetragen oder zur Absicherung wiederholt werden.[35] Auch stehen Dolmetscherinnen bei bilateralen, konsekutiven Gesprächen nicht so unter Zeitdruck wie es beim Simultandolmetschen der Fall ist. Sie müssen nicht unbedingt Notizen anfertigen, da Rückfragen möglich und die Beiträge rhetorisch wenig anspruchsvoll sind. Bei solchen Gesprächen spielen nonverbale Informationen hingegen eine große Rolle, da sich die Gesprächspartnerinnen und die Dolmetscherinnen im sogenannten face-to-face Modus direkt anschauen und viele Informationen nonverbal ausdrücken.[36]
Letztendlich unterscheidet sich das Arbeitsangebot von Community Interpretern ebenfalls von dem des Konferenzdolmetschens, denn es ist extrem abhängig von politischen Veränderungen im Land und auf der Welt und wurde seit jeher von Flüchtlingsbewegungen, Einwanderungswellen und politischen Entscheidungen geprägt.[37]
3.2 Entwicklung von Community Interpreting in Deutschland
Deutschland, so Ashley Marc Slapp 2004, ist zu einem „Einwanderungsland wider Willen“[38] geworden. Durch Wanderbewegungen, Arbeitsmigration und Flucht sind in Europa im 20. Jahrhundert multiethnische und multikulturelle Gesellschaften entstanden.[39] Seit 1957 lässt die Bundesrepublik Deutschland die Zuwanderung von ausländischen Arbeitnehmerinnen zu, fördert sie sogar, und ist daher seit jener Zeit aus demographischen, ökonomischen und humanitären Gründen zu einem Einwanderungsland geworden. Doch wie der Begriff „Gastarbeiter“ schon andeutet, so Slapp, sollten jene angeworbenen Arbeitskräfte nur vorübergehend bleiben, und daher sah sich die Regierung auch nicht gezwungen, sprachlich auf die Einwanderinnen zuzugehen.[40] Als Migrantinnen innerhalb der Gesellschaft begannen, anderen Migrantinnen sprachlich zu helfen, entstand langsam das Community Interpreting. Es entwickelte sich die Möglichkeit, mit der Sprachmittlung Geld zu verdienen, und, trotz der geringen Summen, beklagte sich kaum jemand über den geringen Lohn aus Angst vor einem Jobverlust. Für die Tätigkeit gab es kein Training. Es existierten keine Standards, denen die Dolmetscherinnen folgen konnten und so mussten sie improvisieren, um für Probleme Lösungen zu finden.[41] Die Leistungen waren weder verlässlich noch besonders gut und so entstand das Bild eines Dolmetschermarktes, der nicht die gleiche Anerkennung erfuhr wie andere Dolmetscharten.[42] Schon in den 60er Jahren gab es darüber hinaus, so Bahadır, ein natürliches Misstrauen von Seiten der Behörden gegenüber diesen Sprachmittlerinnen. Diese schienen nämlich zum einen zu den Migrantinnen zu gehören und damit auf deren „Seite“ zu stehen, auf der anderen Seite war man jedoch auch stark abhängig von ihnen, da sie für die Kommunikation mit den ausländischen Bürgerinnen unverzichtbar waren.[43]
Da nicht nur in Deutschland Migration ein Hauptphänomen unserer Zeit ist, gibt es auch global einen steigenden Bedarf an Dolmetschleistungen für Menschen, die in einem Land mit fremder Sprache leben.[44] Dies haben seit den 1970er Jahren vor allem Länder erkannt, die sich selber auch als Einwanderungsländer betrachteten, wie etwa Kanada, Australien, die USA und Schweden. In diesen Ländern institutionalisierte man das Dolmetschen im öffentlichen Dienst mit dem Ziel, die Zugewanderten in den Arbeitsmarkt einzugliedern und sozial zu versorgen.[45] Schweden entwickelte sich in Europa zum Vorzeigeland im Bereich des CI, sodass heute alle Migrantinnen in öffentlichen Einrichtungen das Recht auf kostenfreie Dolmetschdienste haben und der Beruf des Community Interpreters den gleichen Stellenwert hat wie andere Berufe.[46] Auch auf Grund des steigenden Bedarfs an Dolmetscherinnen im intrasozietären Bereich innerhalb Deutschlands ist nun auch hier in den letzten Jahren ein Anstieg des Interesses an dem Thema Community Interpreting an den deutschen Universitäten zu verzeichnen.[47]
Jedoch befindet sich Deutschland, so sind sich viele führende Dolmetschwissenschaftlerinnen einig, immer noch in einem „Teufelskreis“[48], wenn es um das Community Interpreting geht. Dieser Teufelskreis beginnt damit, dass es in Deutschland aktuell an Trainingsprogrammen fehlt, um Dolmetscherinnen oder mehrsprachige Menschen zu Community Interpretern auszubilden.[49] Fortbildungen werden nur langsam ins Leben gerufen und die akzeptierte, unbezahlte Praxis hat sich bereits soweit etabliert, dass es wenige Bemühungen gibt, diesen Bereich zu professionalisieren.[50] Die wenigen existierenden Programme weisen keinen einheitlichen Aufbau auf und unterscheiden sich deutlich in ihren Lernzielen und Abschlüssen. Daneben gibt es für viele Sprachkombinationen keine Trainerinnen und keine Kurse.[51] Dieser Mangel an guten Ausbildungsprogrammen führt dazu, dass der Bereich des intrasozietären Dolmetschens von Laien dominiert wird, deren Qualifikationen nicht nachgeprüft werden können. In wichtigen Gesprächen müssen sich Institutionen blind auf die Dolmetscherinnen verlassen, sowohl in Hinblick auf deren ethische Prinzipien wie auch auf die sprachliche Qualifikation. Von Laien gedolmetschte Gespräche können gelingen, führen aber in vielen Fällen zu einer Reihe von Problemen.[52] Laiendolmetscherinnen nehmen, so belegen Studien von Pöllabauer, Einfluss auf den Gesprächsverlauf, ohne dass dies bemerkt wird. Sie haben, so die Wissenschaftlerin, die Tendenz, Elemente wegzulassen, falsch wiederzugeben, Zusammenhänge nicht zu verstehen, zu über- oder untertreiben und es kommt bei ihnen häufig zu Vermeidung bestimmter Probleme und Themen.[53] Dazu kommt, dass sich Laiendolmetscherinnen oft als Fürsprecherinnen oder sogar als Retterinnen der Geflüchteten sehen und ihnen bevormundend Entscheidungen abnehmen möchten.[54] Zu ihren Reihen gehören auch oft Kinder, welche die Fremdsprache nachweislich schneller lernen als ihre Eltern. Ihr Einsatz zeigt, wie hoch der Bedarf ist, aber auch, wie wenig Wert auf eine qualitative Verdolmetschung in diesem Bereich gelegt wird, wie sehr das Bewusstsein für die professionelle Rolle der Dolmetscherin fehlt. Gerade bei öffentlichen Institutionen wird dieses fehlende Bewusstsein offensichtlich. In Deutschland ist die Kommunikation mit Vertreterinnen öffentlicher Einrichtungen, so Slapp, „Sache der Migranten“[55], und um die eigenen Rechten wahrzunehmen, muss man in Deutschland Deutsch sprechen.[56] Öffentliche Institutionen wollen keine zusätzlichen Ausgaben für Dolmetscherinnen ausgeben, da der Bedarf mit Ehrenamtlichen meistens gedeckt werden kann.[57] Jedoch ist Pöllabauer nicht alleine mit der Meinung, dass dieses Problem nicht nur finanzieller, sondern auch ideologischer Natur ist, wenn es darum geht, wie sich eine Mehrheit in der Gesellschaft gegenüber einer Minderheit verhält. Es geht ihrer Meinung nach also auch um die allgemeine Akzeptanz von Ausländerinnen und ihrer Integration.[58] Darüber hinaus ist Dolmetschen immer auch mit Fragen der Machtausübung verbunden und alle Tatsachen, so Bahadır, CI nicht zu unterstützen, werden dadurch verstärkt, dass Fachkräfte oft kein Interesse haben, bestehende Machtverhältnisse aufzubrechen[59] und Angst haben, ihnen könne die Kontrolle über das Gespräch entgleiten, wenn sie den Dolmetschprozess nicht beurteilen können.[60] Das fehlende Bewusstsein von Seiten der Institutionen führt wiederum zu einem fehlenden Rollenbewusstsein und fehlenden Standards für Dolmetscherinnen in diesem Bereich. Im Gegensatz zum Konferenzdolmetschen gibt es keinen Berufs- oder Verhaltensregeln für Community Interpreter[61] und häufig kommt es zu einer Überladung der Dolmetscherinnen mit zu vielen und zu unklaren Aufgaben.[62] Sie werden manchmal als Vertrauens- und Bezugsperson gesehen, als Kulturerklärerinnen, als Vermittlerinnen und Anwältinnen und abhängig von ihrer eigenen Person werden sie als Fürsprecherinnen der Institution oder Verbündete der Geflüchteten gesehen.[63] Die fehlende Anerkennung für ihre Tätigkeit gründet auch darauf, dass sie von vielen als „selbstlose Samariter“[64] gesehen werden. Dies zu ändern, das Rollenbild für die Dolmetscherinnen selber und gleichzeitig für die Gesellschaft auf der anderen Seite deutlicher zu machen, erfordert Trainingskurse, von denen es, wie oben bemerkt, zu wenige in Deutschland gibt. Und damit schließt sich der Teufelskreis.
4 Die kommunikative Situation beim Jobcenter
4.1 Die Position der Behördenvertreterinnen
Um Gespräche zwischen Behördenvertreterinnen und Geflüchteten analysieren zu können, soll hier das Prinzip des Gatekeeping einführend dargestellt werden, wie Sonja Pöllabauer es auf die gedolmetschten Gespräche bei Behörden anwendet. Gatekeeper sind ihrer Ansicht nach „persons who help people gain access to resources needed to solve problems in one or more contexts.“[65] Behördenvertreterinnen sind also gatekeeper, da sie dazu beitragen können, dass andere Menschen erwünschte Leistungen oder Dienste erhalten oder ihre Probleme gelöst werden. Die meisten institutionellen Gespräche, so Pöllabauer, sind Gatekeeping-Begegnungen.[66] Die Dienste, die von den Repräsentantinnen einer Institution angeboten werden, und die Entscheidungen, die getroffen werden, sind nicht nur individuell von diesen Personen bestimmt, sondern basieren auf institutionellen Routinen und Regeln und alle ausgesprochenen Sachverhalte, müssen übereinstimmen mit den Konventionen und Normen ihrer Institution.[67] Es handelt sich dabei um einen stark kontrollierten Prozess, der regelt, ob und welche Informationen und Dienste die Kundinnen erreichen. Diese Routinen und Praktiken helfen den Mitarbeiterinnen einer Behörde, effektiv und funktional zu arbeiten und machen die Arbeit schneller und billiger.[68] Bewusst oder unbewusst üben die Behördenvertreterinnen damit Kontrolle und Macht aus und dienen dem Erhalt des Systems, welches Machtverteilung in der Gesellschaft regelt.[69] Eine besondere Herausforderung für diese Routine stellen Sprachbarrieren dar; zum einen wegen der zusätzlichen Zeit und Ressourcen, die für die Verständigung beansprucht werden; zum anderen wegen des unterschiedlichen soziopolitischen Kontexts, in dem sich die Gesprächspartnerinnen befinden; und letztendlich auch wegen emotionalen Aspekten, wenn Menschen sich in schwierigen Situationen befinden, auf die eingegangen werden muss.[70] Für Behördenvertreterinnen ist dies oft eine ungewohnte Situation, die sie unter Umständen aus dem geregelten Berufsalltag wirft, wenn bestimmte Reaktionsmuster nicht der bekannten Routine entsprechen.[71] Dies kann laut Pöllabauer Unwillen, Unverständnis, Abwehrreaktionen und Voreingenommenheit auslösen.[72] Machtverhältnisse in interkulturellen Gesprächen sind, wie bereits erwähnt, klar definiert und daher liegt es beispielsweise nicht in der Macht der Kundinnen, Themen selber zu Sprache zu bringen oder das Thema zu wechseln. Kommt eine sprachliche Barriere dazu, so wird dieses Machtungleichgewicht noch verstärkt, denn, so Pöllabauer, je größer das sprachliche Kapital, desto größer die Manipulationsmöglichkeiten.[73]
Um die konkreten Intentionen und Strukturen des Jobcenters zu verstehen, nach denen seine Mitarbeiterinnen handeln, soll hier ein Blick auf aktuelle Publikationen von Karl-Heinz P. Kohn geworfen werden, Politologe und Arbeitsmarktforscher, der seit 2001 an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit forscht.[74] Nach Kohn ist es das oberste Ziel der Bundesagentur für Arbeit (und somit auch des Jobcenters), mehr Arbeits- und Fachkräfte in Deutschland zu gewinnen, und er sieht die Verantwortung dafür auch bei den Beraterinnen in den Ämtern. Bei der Beratung im Allgemeinen, so Kohn, geht es um „das Erkennen von Potenzialen und um das Ermutigen von Menschen, auf eigene Potenziale zu bauen.“[75] Die Ziele dahinter sind sowohl volkswirtschaftlicher als auch sozialpolitischer Natur. Volkswirtschaftlicher Natur, da Deutschlands erwerbstätige Bevölkerung schrumpft und daher alle Potenziale der erwerbstätigen Bevölkerung bestmöglich genutzt werden müssen; sozialpolitischer Natur, da es dabei darum geht, allen Bürgerinnen des Landes das gleiche Recht zur persönlichen Entfaltung und Ausschöpfung eigener Potenziale zu garantieren. Diese beiden Zielstellungen, so Kohn, ergänzen einander. Um diese Potenziale zu finden, zu entwickeln und zu platzieren, ist es seiner Ansicht nach eine Kernkompetenz der Beraterinnen, spezifische und individuelle Themen und Bedarfe bei ihren Kundinnen zu erkennen.[76] Nach Kohn müssen Beraterinnen daher zum einen fähig sein, Hoffnungen, Ideen, Hemmnisse, Wertvorstellungen, Stärken und Schwächen der Ratsuchenden zu ergründen, die Potenziale zu erkennen und für die berufliche Entwicklung zu nutzen. Zum anderen bedeutet Beraten auch ein detailliertes Fachwissen über Qualifizierungswege, Voraussetzungen und Perspektiven, Abschlüsse, Förderungsmöglichkeiten und Entwicklungen am Arbeitsmarkt zu besitzen.[77] Kundinnen, so Kohn, müssen in ihrem individuellen sozialen Lebensumfeld erkannt werden und das gilt nicht nur, aber auch für Geflüchtete.[78]
4.2 Die Position der Geflüchteten
Nach dem Goffmanschen Rollenbegriff, der unter anderem laut Pöllabauer in diesem Kontext wichtig ist, nimmt jeder Mensch eine bestimmte Rolle ein. Diese Rolle definiert seine Handlungen und der Eindruck, der anderen durch diese Handlungen vermittelt werden soll, muss für diese „rollenadäquat“ sein, so Goffmann.[79] Das bedeutet kurz ausgedrückt, dass jeder Mensch mit seiner Umgebung durch soziale Beziehungen verbunden ist und spezifische Rollenbeziehungen ihn daher in bestimmten Situationen zu bestimmte Aktivitäten verpflichten.[80] Dies wird normativ von ihm erwartet und bestimmt so den Status, der in dem System von der Person eingenommen wird.[81] Grundsätzlich wird von allen Interaktionsbeteiligten erwartet, dass sie ihre Rolle rollenadäquat ausführen. Dabei spielt das Image, die Gesichtswahrung der Einzelnen, eine große Bedeutung, denn jeder Mensch, so Goffmann, ist auf sein Image fixiert und setzt sich gleichzeitig dafür ein, auch das Image seines Gegenübers zu schützen.[82] Entsteht ein falsches Image, so besteht die Gefahr des Gesichtsverlustes.[83]
[...]
[1] Die Bezeichnung „Dolmetscherin“ sowie alle anderen Personenbezeichnungen werden in der vorliegenden Arbeit aus Gründen der besseren Lesbarkeit in inkludierender Form verwendet
[2] Stand: 31.12.2015, Vgl.: http://www.asylinfo.sachsen.de/download/asyl/Faktenpapier_Asylbewerber_und_Fluechtlinge_im_Freistaat_Sachsen.pdf, S. 9 ff.
[3] Nach dem Europäischen Referenzrahmen bedeutet C1: „Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch implizite Bedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.“ Vgl. http://www.europaeischer-referenzrahmen.de/sprachniveau.php
[4] Der SprInt-Pool wird finanziert von europäischen Integrationsfonds, er zählt über 50 freiberuflich-tätige Sprachmittlerinnen. Der SprInt-Pool bietet selber aktuell jedoch kaum Trainingseinheiten für diese an. Mehr Informationen unter: http://international.raa-leipzig.de/?page_id=39
[5] Der Begriff „Community Interpreter“ wird unten ausführlich erklärt werden.
[6] Zu nennen ist hier beispielsweise das Projekt „Language Interpreter Training as a Stepping Stone to Work“ das von fünf europäischen Ländern entwickelt wurde.
[7] Nach §23 des Bundesverwaltungsverfahrensgesetz Abschnitt 1
[8] Gemeint sind hiermit Prinzipien des Dolmetschens welche u.a. Schweigepflicht, Korrektheit, Vollständigkeit, Respekt, Transparenz, Professionalität und Unparteilichkeit umfassen.
[9] Vgl. Gerhard in: Bedarfsanalyse und Angebotsentwicklung, in: „weiter gelernt. Beiträge zur Weiterbildungsdiskussion – aus Theorie und Praxis. Eine Heftenreihe der Koordinierungsstelle Qualität.“ Nr.1, August 2012, S. 3
[10] Vgl. Long, Michael H.: Methodological issues in learner needs analysis, in: Long, Michael H. (eds.) „Second Language Needs Analysis,“ Cambridge University Press, Cambridge 2005, S. 26
[11] Vgl. Long (2005), S. 32
[12] Vgl. ebd., S. 9
[13] Vgl., ebd., S. 4
[14] Vgl. Steiner, Iris: Kommunikationsprobleme und Dolmetschbedarf von pakistanischen Studierenden, Masterarbeit an der Universität Wien, Januar 2010, S.9
[15] Pöchhacker, Franz: Dolmetschen. Konzeptuelle Grundlagen und deskriptive Untersuchungen, Stauffenburg Verlag, Tübingen 2007, S.6
[16] Vgl. Slapp, Ashley Marc: Community Interpreting in Deutschland. Gegenwärtige Situation und Perspektiven für die Zukunft.,Hrsg. Von Dörte Andres, Martin Meidenbauer Verlag, München 2004, S. 15
[17] Pöllabauer in Steiner (2010), S. 10
[18] Vgl. Slapp (2004), S. 12
[19] Pöllabauer, Sonja: „I don’t understand your English, Miss.“ Dolmetschen bei Asylanhörungen, Narr Verlag, Tübingen 2005, S. 183
[20] Bundesministerium der Justiz 2009 § 1, vgl. Müller, Katharina Erika: Aus- und Weiterbildung im Community Interpreting. Vergleich von Idealfall und Realität in der Bundesrepublik Deutschland, Diplomarbeit am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie, Universität Leipzig, September 2011, S. 7
[21] Vgl. Kalina, Sylvia: Interpreting and Interpreter Training: Time for a Reshuffle, in: Schrögler, Rafael et al. (eds.): “Modelling the Field of Community Interpreting. Questions of methology in research and training“ Hrgs: Michaelia Wolf, Lit Verlag, Wien 2011, S. 48
[22] Vgl. Slapp (2004), S. 54
[23] Vgl. Stadt L., Referat für Migration und Integration: „Migration und Asyl. Definitionen, Fakten, Zahlen. Eine Handreichung“ , April 2015, S. 8
[24] Vgl. ebd., S. 10
[25] „Person, die dich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat und die wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann.“
[26] Vgl. Genge, Joachim: „Flüchtlinge. Kundinnen und Kunden der Arbeitsagenturen und Jobcenter. Ein Leitfaden zu Arbeitsmarktzugang und-förderung“. Hrsg: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015, S.16
[27] hierbei werden Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft des Bundeslandes berücksichtigt
[28] http://www.asylinfo.sachsen.de/download/asyl/Faktenpapier_Asylbewerber_und_ Fluechtlinge_im_Freistaat_Sachsen.pdf
[29] Vgl.: Bundesagentur für Arbeit, Geschäftsbereich Grundsicherung: „Arbeitslosengeld II/Sozialgeld. Grundsicherung für Arbeitssuchende.“, Variograph Druck-& Vertriebs GmbH, Januar 2015, S. 8
[30] Vgl. ebd., S. 11
[31] Vgl. ebd. S. 14 ff.
[32] Vgl. Obermayer, Cathérine: Von Alphatieren und schwarzen Schafen. Typologisierungsversuche im Dolmetschbereich, in: Pöllabauer, Sonja; Grbić, Nadja (Hrsg.):“Kommunaldolmetschen/Community Interpreting“, Frank und Timme GmbH, Berlin 2008, S.40
[33] Pöllabauer (2005); S.53
[34] Vgl. ebd.
[35] Vgl. Kautz, Ulrich: Handbuch Didaktik des Übersetzens und Dolmetschens, Iudicum Verlag GmbH München und Goethe-Institut e.V. München, 2002, S.335
[36] Vgl. Bahadır, Şebnem: Interpreting Enactments: A New Path for Interpreting Pedagogy, in: Schrögler, Rafael et al. (eds.): “Modelling the Field of Community Interpreting. Questions of methology in research and training“ Hrgs: Michaelia Wolf, Lit Verlag, Wien 2011, S. 179
[37] Vgl. Slapp (2004), S. 17
[38] Slapp (2004), S.41
[39] Vgl. ebd., S. 28
[40] Vgl. ebd., S. 42
[41] Vgl. ebd., S. 48
[42] Vgl. Kalina (2011), S. 49
[43] Vgl. Bahadır (2011), S. 179
[44] Vgl. Kalina (2011), S. 46
[45] Vgl. Pöchhacker (2007), S. 22
[46] Vgl. Balić, Merima: Familienangehörige als Dolmetscher, Diplomarbeit (Mag.phil.),Universität Wien, September 2009, S. 24
[47] Vgl. Gorjanc, Vojko : Language Resources and Corpus-Driven Community Interpreting Training, in: Schrögler, Rafael et al. (eds.): “Modelling the Field of Community Interpreting. Questions of methology in research and training“ Hrgs: Michaelia Wolf, Lit Verlag, Wien 2011, S. 280
[48] Pöllabauer, Sonja: Gatekeeping Practices in Interpreted Social Service Encounters, in: Translators‘ Journal, vol. 57, Nr. 1, S.213-234, 2012, URI: http://id.erudit.org/iderudit/1012750a, S. 223
[49] Vgl, ebd., S. 223
[50] Vgl. Niska, Helge: Community interpreter training: Past, present, future, in: Garzone, Giuliana; Viezzi, Marizio (eds.): „Interpreting in the 21st Century“, John Benjamins Publishing Company, Amsterdam 2002
[51] Vgl. Pöllabauer (2002), S. 294
[52] Vgl. Balić (2009), S. 25
[53] Vgl. Pöllabauer (2005), S. 183 und Uluköylü, Sevgi: „…und manchmal streite ich auch.“ Sprach- und Kulturmittlung für türkische Migrantinnen im medizinischen Bereich, in: Pöllabauer, Sonja; Grbić, Nadja (Hrsg.):“Kommunaldolmetschen/Community Interpreting“, Frank und Timme GmbH, Berlin 2008, S. 200
[54] Vgl. Steiner (2010), S. 25
[55] Slapp (2004), S. 11
[56] Vgl. ebd.
[57] Vgl. Steiner (2010), S. 20
[58] Vgl. Pöllabauer (2012) S. 224
[59] Vgl. Marics (2008), S. 96
[60] Prunč, Erich: Differenzierungs- und Leistungsparameter in Konferenz- und Kommunaldolmetschen, in: Schrögler, Rafael et al. (eds.): “Modelling the Field of Community Interpreting. Questions of methology in research and training“ Hrgs: Michaelia Wolf, Lit Verlag, Wien 2011, S. 37
[61] Wobei oft auch für das CI der Verhaltens- und Ehrenkodex „AIIC“ herangezogen wird vom Verband internationaler Konferenzdolmetscher, der vor allem die Schweigepflicht und Präzision vorschreibt.
[62] Pöllabauer (2002), S. 295
[63] Vgl. Siebers, Ina: Handlungstypen beim Dolmetschen mit syrischen Flüchtlingen, Masterarbeit am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie der Universität Leipzig, März 2015, S. 20
[64] Moazedi, Maryam Laura: Von Samurai und Samaritern: Status, Image und Persönlichkeit unterschiedlicher Dolmetschtypen. In: Pöllabauer, Sonja; Grbić, Nadja (Hrsg.):“Kommunaldolmetschen/Community Interpreting“, Frank und Timme GmbH, Berlin 2008, S. 75
[65] Pöllabauer (2012), S. 216
[66] Vgl. Pöllabauer (2005), S. 289
[67] Vgl. Pöllabauer (2012)S. 217
[68] Vgl. ebd., S. 220
[69] Vgl. Pöllabauer (2005), S. 288
[70] Vgl. Pöllabauer (2012), S. 220
[71] Pöllabauer (2002), S. 290
[72] Vgl., ebd., S. 291
[73] Vgl. Pöllabauer (2005), S. 290
[74] Siehe auch http://kohnpage.jimdo.com/
[75] Kohn, Karl-Heinz P; Topaç, Fatoş: Adressatenspezifische Beratungsangebote. Das Beispiel der migrationsspezifischen beschäftigungsorientierten Beratung, in: „Wirtschaft und Beruf. Zeitschrift für berufliche Bildung“ Jg. 64, H. 9-10 S. 61-66, 2012, S. 61
[76] Vgl. ebd., S.62
[77] Vgl. Kohn in: Dokumentation: Fachtagung Kumulus Plus 3 „Beratung auf dem Prüfstand“, Berlin 2006, S.10
[78] Vgl. Kohn (2012), S.65
[79] Vgl. Pöllabauer (2005)., S.190
[80] Vgl. ebd., S.189
[81] Vgl. ebd., S.190
[82] Vgl. ebd., S. 192
[83] Vgl. ebd., S. 193
- Citation du texte
- Eva Stoelzel (Auteur), 2016, Community Interpreting bei deutschen Behörden. Welche Kompetenzen brauchen SprachmittlerInnen beim Jobcenter?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/346498
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