Die Arbeit behandelt Fragen der Zugehörigkeit und Identität: Wie sieht es mit der Vereinbarkeit der Werteordnung des Islam und des Pluralismus aus?
Der Islam ist nach dem Christentum die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland. Frauen mit Kopftüchern und Halal-Geschäfte sind keine Randerscheinung mehr, sondern werden mehr und mehr zu einem Bestandteil Deutschlands. Das Selbstverständnis der deutschen Gesellschaft, welches bisher den Islam als Fremd definierte, sieht sich gezwungen das Wertespektrum zu hinterfragen, neu zu definieren und ggf. zu ergänzen. Den durchaus komplizierten Status des Islams in Deutschland zeigte sich nicht zuletzt in der Polemik, die 2010 durch die vom damaligen Bundespräsident getätigte Äußerung in seiner Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit „der Islam gehört zu Deutschland“ ausgelöst wurde. Sein Nachfolger, der derzeitigen Bundespräsident Gauck, relativierte gleich nach Amtsantritt diesen Satz, und stellt fest, dass zwar die vielen Muslime, die in Deutschland leben, dazu gehören, dass es jedoch durchaus zweifelhaft sei, ob man das von der islamischen Religion sagen kann, da diese, anders als das Christentum, den Prozess der Aufklärung noch nicht vollzogen habe. Dadurch betonte er, dass es eine Diskrepanz zwischen der christlichen (und evtl. jüdischen) Wertetradition Deutschlands und dem mitunter als problematisch gesehen kulturell-religiösen Erbe des Islam gibt. Zugleich stellte er damit die Vereinbarkeit von europäischem und muslimischem Selbstverständnis in Frage.
Der Islam steht im europäischen Kontext vor einer schwierigen Situation: Anschauung und Tradition aus verschiedensten Ländern und damit äußerst heterogene Islamverständnisse treffen aufeinander und versuchen als muslimische Minderheit in einer historisch christlich-abendländischen, heute säkular pluralistischen Gesellschaft, ihren Platz zu finden. Um Orientierung zwischen Identitätsanomie und radikalen Fundamentalismus und um die Suche nach neuen Wegen beide Identitäten zu vereinbaren, bemühen sich die „neuen muslimische Intellektuellen“ indem sie versuchen innerislamische Reformprozesse auszuarbeiten.
Um dem nachzugehen, werde ich meine Arbeit an zwei Hauptsträngen orientieren. Nachdem an das modern-säkulare Verständnis von Pluralismus erinnert wird, sollen zugleich dessen Grenzen anhand der Darstellung bestimmter Diskursperspektiven in Bezug auf den Islam aufgezeigt werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Islam im pluralistischen, säkularen Kontext Europas
2.1. Referenzrahmen
2.2. Islam in der Moderne
2.3. Eine Frage der Identität
2.4. Angst um säkulare Moderne
3. Muslimische Identitätsfindung in Europa
3.1. Exkurs: Das Rechtsystem im Islam
3.2. Innermuslimische Grundpositionen des Islam in Europa
3.3. Die „Aufgaben der neuen Intellektuellen“
4. Tariq Ramadans Reformkonzept
4.1. Islam und Staatsbürgerliche Pflichten und Rechte
4.1.1. Die Achtung weltlich-säkularer Gesetze
4.1.2. Weg vom „Minderheiten Fiqu“ hin zur Partizipation
4.2. Neuerung der Konzepte
4.2.1. Dâr ash-shahâda: Die Auflösung der klassischen Dichotomie
4.2.2. Die Gefahr einer Islamisierung Europas?
5. Islamisches Rechtwesen im Bezug zum Westen
5.1. Ramadans Idschtihad Konzeption
5.2. Selbständiger Islam in Europa
5.3. Sein Zugang zu den normativen Quellen
6. Ramadan „Radikale Reform“: die Neubestimmung der klassischen Rechtsmethoden
6.1. Die Unterscheidung zwischen dem Unveränderlichen (ath-thâbit) und dem Veränderlichen (al-mutaghayyir)
6.2. Verschiebung des Schwerpunkts religiöser und rechtlicher Autorität
7. Zusammenfassung
8. Literaturverzeichnis
- Citation du texte
- Cina Bousselmi (Auteur), 2013, Muslime und Europäer. Vereinbarkeit von muslimischem und staatsbürgerlichem Bewusstsein, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/344880
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