Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Vorurteilen und deren zerstörerischen Kräften, aber diese Thematik lässt sich im Kontext von Globalisierung und Postmoderne analysieren. Eine Analyse von Frischs Drama Andorra aus der Perspektive der Globalisierung hat in der Tat noch nicht stattgefunden. Deshalb will diese Arbeit neue Ideen in die Rezeption von Frischs Werk einbringen. Die Arbeit macht vollen Ernst mit der Fremdwahrnehmung in der globalisierten Welt wobei die Figuren als Prototypen betrachtet werden. Durch ihr klischeehaftes Verhalten Fremden gegenüber stehen die Andorraner in diametral entgegengesetzter Position zu ihren eigenen Konzepten und Wertevorstellungen, deren Überschätzung jede Kontaktsituation mit den Fremden nur durch Abwehr, Aggression und Außenseiterstellungen gestaltet. Die Arbeit befragt solche Haltung kritisch und betrachtet sie mit einem postmodernen Blick als Hemmung für einen fruchtbaren Kontakt zwischen Menschen und verschiedenen Kulturen also für einen verständnisvollen Dialog der Kulturen auf Augenhöhe in der globalisierten Weltgesellschaft.
Gliederung
Abstract
Schlüsselbegriffe
Einleitung
1.Relevanz des Themas, Fragestellungen und Zielsetzung
2. Forschungslage
3. Methodisches Verfahren
Hauptteil
4. Terminologische Klärung und zum Begriff „zeitloses Drama“
4.1 Zum Begriff „Vorurteil“
4.2 Konzept des Stereotyps
4.3 Definition der Identität
4.4. Andorra als zeitloses Drama
5. Vorurteile im zeitlosen Drama Andorra aus der Sicht einer globalisierten Welt
5.1 Rezeptionsgeschichte des Stückes Andorra
5.2 Zusammenfassung des Werkes
5.3 Zustandekommen der Vorurteile in der globalen Mobilität anhand Andorra
5.4 Manifestationen der Vorurteile im zeitlosen Drama Andorra
5.4.1 Vorurteile in der Beziehung von Andri zu dem Soldaten
5.4.2 Vorurteile in der Beziehung von Andri zu dem Tischler
5.4.3 Vorurteile in der Beziehung von Andri zu dem Wirt
5.4.4 Vorurteile in der Beziehung von Andri zu dem Doktor
5.5 Andri Zwischen zwei Wahrheiten: Selbstentfremdung und Selbstannahme
5.6 Andris Identitätsentwicklung im Verhältnis zu den Andorranern
5.7 „Andorra“ Hort des Friedens oder Land der Intoleranz?
5.8 Bedeutung der Masken im zeitlosen Drama Andorra
6. Überwindung von Vorurteilen in der globalisierten Weltgesellschaft
Abschließende Bemerkungen
7. Vorurteile in der Globalisierung
8. Fazit
Ausgewählte Bibliographie
Abstract
Zahlreiche Interpretationen des Untersuchungsgegenstandes Andorra reflektieren das antijüdische Denken und die antijüdische Agitation des andorranischen Modellstaates anhand der Gewalt der Vorurteile, die zur Identitätskrise und zum Verlust der Willensfreiheit des Protagonisten Andri führen. Zwar beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit den Vorurteilen und deren zerstörerischen Kräften, aber diese Thematik lässt sich im Kontext von Globalisierung und Postmoderne analysieren. Eine Analyse von Max Frischs Drama Andorra aus der Perspektive der Globalisierung hat in der Tat noch nicht stattgefunden. Deshalb will diese Arbeit neue Ideen in die Rezeption von Frischs Werk einbringen. Die Arbeit macht vollen Ernst mit der Fremdwahrnehmung und -Erfahrung in der globalisierten Welt wobei die Figuren im zeitlosen Drama Andorra als Prototypen betrachtet werden. Der Kontrast zwischen der andorranischen Wahrnehmung ihrer Eigenheit und ihren Reaktionen (Bekundung des Staates als Oase der Menschenrechte und Sündenbockpraktiken als Missachtung und Verachtung des Menschen) durchzieht das ganze Drama. Weitere Kontraste zeigen sich folgenderweise: ein Hort des Friedens beruht auf Intoleranz, ein Land der Gerechtigkeit spricht willkürlich Recht. Durch ihre üble Gesinnung, ihr klischeehaftes und inhumanes Verhalten Fremden gegenüber stehen die Andorraner in diametral entgegengesetzter Position zu ihren eigenen Konzepten und Wertevorstellungen, deren Überschätzung jede Kontaktsituation mit den Fremden nur durch Abwehr und Aggression, Ausgrenzung und Außenseiterstellungen sowie Grenzziehungen gestaltet. Die Arbeit befragt solche Haltung kritisch und betrachtet sie mit einem postmodernen Blick als Hemmung für einen freundlichen und fruchtbaren Kontakt zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen also für einen verständnisvollen Dialog der Kulturen auf Augenhöhe in der globalisierten Weltgesellschaft; insofern kommt die Arbeit zum Schluss, dass Vorurteile die Globalisierung in Frage stellen. Zugleich fordert sie uns heutige Teilnehmer an einem interkulturellen Interaktionsprozess in der globalisierten Welt auf, unseren Umgang mit den Anderen auf einem kritischen Bewusstsein und auch auf der Selbstkritik aufzubauen. Von der Annahme ausgehend, dass das Problem der Vorurteile gelöst werden soll, damit unsere globalisierte Welt bis zu einem gewissen Grad Emanzipation erreicht, in der sich das Eigene und das Fremde als Ergänzungen, nicht als Gegensätze ansehen, macht die Arbeit folgende Vorschläge, die wohl den globalen Humanismus fördern und als eine Art Weltensammler gelten können: Nächstenliebe, Rücksicht und Toleranz, Erziehung.
Schlüsselbegriffe
Vorurteile, Globalisierung, Postmoderne, Fremdheitswahrnehmung, Identität, zeitloses Drama, Wertevorstellung, das Eigene und das Fremde, Toleranz und Intoleranz, Frieden und Gerechtigkeit, Modellcharakter, globale Mobilität, Dialog der Kulturen.
Einleitung
1. Relevanz des Themas, Fragestellungen und Zielsetzung
Das Schicksal hunderter Millionen Menschen in allen Teilen der Welt, die Opfer von Vorurteilen wurden, sollte uns daran erinnern, dass Toleranz kein Luxus ist, sondern eine unerlässliche Grundlage für die Zukunft.1
Es ist eine gängige Vorstellung in den literatur- und kulturwissenschaftlichen Debatten mit postmoderner Perspektive, dass die Fremderfahrung in der globalisierten Welt von Interesse ist, weil eine Bereicherung daraus entsteht, aber von einer Bereicherung kann kaum die Rede sein, wenn in der Postmoderne unser Blick auf den Fremden von unseren eigenen Wertevorstellungen stark geprägt ist. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch, die Bedeutung von Max Frischs Andorra im Kontext von Globalisierung2 aufzuzeigen. Meine Reflexionen
über die Bedeutung von Andorra in der globalisierten Welt beruhen wohl auf der Herausarbeitung von Vorurteilen in der Konfrontation des Eigenen mit dem Fremden im Drama Frischs. Dabei wird ein Beitrag zur Reflexion über die im Kontakt mit dem Fremden wirksam werdenden Wahrnehmungsformen geleistet. Das bedeutet, im Vordergrund steht die Frage, wie die vermeintliche Fremdheit der Hauptfigur Andri in Bezug auf die Eigenheit von den Andorranern wahrgenommen wird und wie sich das andorranische Sprechen über Andri entwickelt. Unter den vielen Arbeiten über Frisch hat keine explizit das Stück Andorra aus der Perspektive der Globalisierung untersucht, sodass die kritische Auseinandersetzung mit dem Stück aus globaler Sicht als Versuch einer Aktualisierung bzw. Vergegenwärtigung des Stückes erwiesenermaßen fehlt. Die Arbeit geht von der Prämisse aus, dass kulturelle Annäherungen auf Augenhöhe realisieren und viele Probleme in der Welt lösen können - wie das immer komplexe Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem Fremden - wenn das überhöhte Bild des Eigenen selbstbeschränkt wird. Die Prämisse rückt die kulturelle Dimension in den Vordergrund, weil mein Beitrag von der Annahme ausgeht, dass jeder Mensch Vertreter von Wertevorstellungen eines bestimmten Kulturkreises ist. Ethnozentrische Probleme lassen sich nicht ändern, weil wir am kontrastiven Umgang mit dem Anderen sehr oft dem Gedanken verfallen, was wir nicht sind. In diesem Sinne wird festgestellt, dass die Tendenz der pauschalisierenden Verallgemeinerung und der Polarisierung, die den Mitmenschen in eine Kategorie einsortiert, immer weiter fortschreitet. Mayer weist im Eingangszitat auf die Gefährlichkeit der Vorurteile hin, die unzählige Menschen in den Dreck ziehen. Er fordert Toleranz, die einer friedlichen und gerechten globalisierten Welt den Weg bahnen kann. Frischs Verdienst, Vorurteile eindringlich evoziert zu haben, lässt sich damit begründen, dass er in fiktionalisierter Form eine Gesellschaft
Unterschiede gibt es ebenso; es wäre unrealistisch, das wegreden zu wollen. Es ist aber schwer, kulturelle Unterschiede zu verstehen, wenn man die historische, geistige und soziale Entwicklung eines Landes nicht kennt.“
http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/RomanHerzog/Reden/1997/07/19970707_Rede.html. Zugriff am 15 August 2013 um 16 Uhr.
(Andorra) mit deren Figuren und Strukturen so konstruiert, dass sie wegen Vorurteile ihre ethnozentrischen Momente nicht aufgeben, sich in diskriminierende Denkmuster verstrickt bleiben und keine Möglichkeiten für eine offene Haltung gegenüber den Erfahrungen fremder Werte erwerben. Die Inszenierung der Begegnung eines Fremdlings (Andri) mit den Vertretern dieser Gesellschaft stellt heraus, dass es sich fast um eine unmögliche Beziehung handelt, weil der Andere in Bezug auf seine Entfaltung immer wieder in eine Bedrängnis gebracht wird und als Fremdkörper und Träger von Untugenden betrachtet wird. Die Frage, ob die fiktional konstruierte andorranische Gesellschaft aufgrund ihrer Vorurteile und ihres ständigen Versuches, sich von dem Anderen abzugrenzen, als eine genuin homogene Gesellschaft gelten kann, lässt sich vorerst mit der Frage verbinden welchen moralischen Wert hat es, wenn zwischen dem Eigenen und dem Fremden immer mehr Verschiedenheit betont wird, wenn keine Möglichkeit von Gemeinsamkeiten zwischen dem Eigenen und dem Fremden erwogen wird. Das Stück Andorra lässt sich im Geist der Postmoderne lesen und hinterfragt solche diskriminierende Einstellungen und Denkweisen, die die Moderne prägten. Aus diesem Grund lautet die These der vorliegenden Arbeit, dass dieses bedeutende Werk im Interesse der Gegenwart der Einsicht Raum gibt, dass im Kontext der Globalisierung und Postmoderne die Fremdheitserfahrung und der Dialog der Kulturen auf Augenhöhe nur dann erreicht werden können, wenn die Konstituierung eines Bildes des Anderen diesen vorurteilsfrei in ihrer Andersheit akzeptiert und sogar in eigenes Selbstverständnis aufnimmt.
Im Zeitalter der Globalisierung, wo doch noch Vorurteile tradiert werden, die stets trotz der massiven Migrationsbewegungen und der zunehmenden Vernetzung der Welt Ungleichheit und Willkür erzeugen, werden bewusst oder unbewusst Ethnozentrismus (und eine kulturelle Domination aufgrund ökonomischer Interessen) wirksam. Ein Machtkampf, in einem gewissen Maß von Vorurteilen gezeugt, und die daraus resultierenden Konsequenzen erweisen sich als unvermeidlich. Sich thematisch in diesem Problemzusammenhang situierend, lässt sich die Relevanz von dem Stück Andorra perpetuieren, in dem die Verzerrung der Fremdheitswahrnehmung, Vorurteile und Nationalismus modellhaft dargestellt werden. Dadurch werden in aller Schärfe die Perspektiven einer postethnozentrischen Welt gezeichnet, in der das Fremde nicht durch eigene Brille (d.h. nach den Verhaltensnormen und Wertevorstellungen der eigenen Kultur bzw. der Kultur, in der man sozialisiert wird) gesehen wird, sondern eher realitätsgetreu wahrgenommen wird, damit Gleichberechtigung gesichert erscheint. Gegenüber diesem Sachverhalt drängen sich folgende forschungsleitende Fragen auf: Welchen Stellenwert hat das Stück Andorra in der globalisierten Welt? Inwiefern könnte der Kampf gegen Vorurteile die Annäherung von Menschen und somit der Kulturen im Erdenrund ermöglichen, das Individuum zur Erfahrung und (Selbsterfahrung) fremder Werte anregen, wenn man sich auf den Umgang der Andorraner mit Andri als Fremdem bezieht? Kann das Zustandekommen dieser Annäherung möglich sein, wenn Menschen unterschiedlicher kultureller Sphären nicht oder kaum voneinander wissen? Wenn also davon ausgegangen wird, dass Vorurteile diese Annäherung hemmen können, dann stellen sie nicht irgendwie die Globalisierung in Frage?3 Die Beantwortung der obigen Fragen beruht auf folgenden Hypothesen: erstens geht die Arbeit davon aus, dass Andorra einen Stellenwert in der globalisierten Welt hat, zweitens erweisen sich die Vorurteile als Hindernisse für die Anerkennung des Anderen als Fremden sowie der Pluralität des Fremden also, für ein Zusammenleben in der globalisierten Welt. Eine Gegenhypothese, die die Globalisierung als eine Bewegung betrachtet, die zur Lösung des Problems der Vorurteile führt oder beiträgt, kontrastiert nicht mit der hier skizzierten Hypothese, denn die Vorurteile werden in der globalisierten Welt nicht ganz aufgehoben und sind immer noch wirksam. Drittens sind die Fremdheitsdiskurse mit Vorurteilen geprägt und lassen sich mit Macht verbinden. Viertens können nationale Identität und Gruppenzugehörigkeit Auslöser von Vorurteilen sein, die am meisten auf Minderheiten, fremde Gruppen angewandt werden und zwischenmenschliche Beziehungen beeinträchtigen. Die vorliegende Arbeit setzt sich also zum Ziel, den Stellenwert von dem Stück Andorra in der globalisierten Welt zu zeigen.
Im Zusammenhang mit den Fragestellungen und den Hypothesen stehen Mayers kritische Reflexionen, die auf die zerstörerischen Kräfte der Vorurteile in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart verweisen. Er zieht die Aufmerksamkeit der Menschen auf die jüngsten geschichtlichen und globalpolitischen Ereignisse, wenn er Folgendes schreibt:
Was zählt, ist, dass das Vorurteil in der Geschichte direkt oder indirekt hundert Millionen Menschen getötet hat; es hat unzählige Menschen seelisch vernichtet. Es hat Tragödien verursacht, die die fähigsten Dramaturgen nicht in gleicher Form wiedergeben könnten. Es ist die Ursache der meisten Kriege. Es bedeutet eine dauernde Gefahr f ü r die Menschheit [Herv.von. mir]. (Mayer 2010, 26)
Geschichtlich ist nicht nur an den Antisemitismus und den Holocaust zu denken, sondern auch an den sich als eine Art Vorläufer des Holocaust erweisenden traurigen Mord an den Herero, der lange in der Kolonialgeschichte Südwestafrikas verdrängt wurde und erst mit den Arbeiten von Uwe Timm u.a. mit der Erscheinung seines postkolonialen Romans Morenga als eine verborgene Seite der Kolonialgeschichte Afrikas erkannt und diskutiert wird. Aber nicht nur in der Geschichte ist eine Flut von Vorurteilen zu sehen, sondern auch sie „gehören wie selbstverständlich zu unserem Alltag.“ (Ahlheim 2007, 7), weil der Mensch in der modernen Gesellschaft seinen Mitmenschen kategorisiert und diskriminiert. Er ist mit überzogenen Selbst- und Fremdbildern und gewalttätiger Ausgrenzung konfrontiert. Diese Situation führt zu einer übertriebenen Stereotypenanwendung, die verhindern Fortschritte in der Humanität zu machen.
Um die Menschheit zu sensibilisieren und für die Humanität einzutreten und zu kämpfen, hat der Schweizer Autor Max Frisch die Problematik der Vorurteile und deren verhängnisvolle Auswirkungen in seinem Parabelstück Andorra verarbeitet. Das ganze Stück beruht auf einem alttestamentlichen Gebot, das schon in seinem Tagebuch (1946-1949) zum Ausdruck kommt: „Du sollst dir kein Bildnis machen“ (Frisch 1983, 32). Dieses Gebot deutet implizit auf die vernichtende Kraft der Bildnisse hin, wogegen sich einzusetzen die Menschen aufgerufen werden.
Angesichts der Kategorisierungen und Ausgrenzungen, der Stereotypenanwendungen auf Minderheiten, Völker, von denen man nicht viel weiß und versteht, kommt eine wichtige Frage auf: die der Identität. Diese Frage lässt sich folgendermaßen resümieren: Wer bin ich? Und wie werde ich von der Umwelt wahrgenommen? Wie will ich von der Gesellschaft gesehen werden? Unzweifelhaft beziehen sich diese Fragen auf das Ich bzw. das Selbst des Individuums. Sie gelten als Prüfstein in Theorien und Arbeiten über die Identitätsbildung. In der Tat ist die Identität des Individuums in eine bestimmte soziale Umwelt eingebettet und kann sich davon nicht lösen. Kommt es vor, dass dieser sozialen Umwelt ein unrichtiges Bild zugeschrieben wird, dann wird auch jeder Einzelne dieser Gruppe zum Vorurteilsträger. Diese Umstände werfen eine weitere Frage auf: Welche Bedeutung ergibt sich für die Identität einer Person, wenn sie infolge besonderer Merkmale Objekt von Vorurteilen wird? Hier kommt der Kreuzungspunkt beider Begriffe, nämlich Vorurteil und Identit ä t, zum Vorschein.
Ein wichtiger Aspekt, der im Fokus der Bearbeitung meines Themas steht, betrifft die Auswahl des Werkes. Durch meine Zuneigung zu fremden Kulturen und meinen Umgang mit Vertretern aus anderen Kulturen, habe ich entdeckt, dass Vorurteile den Eintritt in eine fremde Welt und die Wahrnehmung von deren Normen und Werten, aber auch für die gegenseitige Verständigung der Menschen und Kulturen hemmen. Eigene Erfahrungen sind tatsächlich meine Beweggründe zum gegenwärtigen Thema. Meine Liebe zu Theaterstücken hat mich zur Auswahl von Frischs Werk Andorra als Untersuchungsgegenstand geführt, weil dieses Werk, meines Erachtens, Vorurteile grundsätzlich behandelt: „Frisch hat das Drama eines unheilbaren Vorurteils geschrieben. […] Es gibt im Augenblick wohl keinen deutschsprachigen Dramatiker, der einem solchen Thema auch nur annähernd so gewachsen wäre wie Max Frisch.“ (Bänziger 1985, 44). Hier wird klar gemacht, wie repräsentativ Andorra ist. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik erfolgt aus afrikanischer Perspektive. Der Bedeutung dieses deutschsprachigen Autors für Afrikaner gilt in der Arbeit ein Augenmerk nicht zuletzt, weil kulturelle Unterdrückungen und Prägungen als historische Fakten noch Spuren haben. Ebenso wird gezeigt, wie gewichtig die Konsequenzen der Vorurteile in unserer modernen Gesellschaft sind, die schrittweise zu einer Interkulturalität tendiert. Frischs Drama, das 1961 erschienen ist, behandelt also aus meiner Sicht ein immer noch aktuelles Thema: die Wahrnehmung des „Fremden“ in einer fremden Welt. Diese Problematik gewinnt ihre Brisanz auch heute noch in der von immer größerer Mobilität geprägten Welt. Andorra zeigt sich als hochaktuell aus weiteren Gründen: Es erhebt sich meines Erachtens mit moralischem Pathos Einspruch gegen Vorurteile als soziales Phänomen, das jeder Zeit existiert und Opfer produziert hat. Im Geist der Postmoderne und des Postkolonialismus werden stufenweise Klischees über die vermeintlich unterlegenen Anderen dekonstruiert. Eine differenzierte Betrachtungsweise des Anderen und des Fremden, die die vorurteilsvolle Betrachtungsweise ersetzen soll, wird gefördert. Allerdings ergibt sich aus dieser neuen Betrachtungsweise, dass der Andere nicht im Klischee fixiert werden soll; die Essentialisierung des Anderen kann auf diese Weise vermieden werden. Folglich könnte sich wirklich eine denkbar intensive Annäherung von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise als Befund zeigen; insofern wird anstatt Monolog als Regression ins Zerstörerische der Einseitigkeit und der Fremdheitsdiskurse als Machtdiskurse Dialog als Schritte vorwärts bevorzugt.
Die Aufmerksamkeit wird bei der Beschäftigung mit der Frage der vorurteilsbehafteten Fremdwahrnehmung, die Frischs Drama sorgfältig reflektiert, nicht nur auf die Ausgrenzungen und Außenseiterstellungen gelenkt, sondern es ist wünschenswert, dass dadurch verstanden wird, dass sich eine harmonische Koexistenz (und deren Fruchtbarkeit) in unserem postmodernen Kontext nicht problemlos vollzieht, weil sie ansatzweise eines Abbaus oder wenigstens einer Verminderung der Vorurteile bedarf. Dies kann ermöglichen, über die Anderen neugierig zu sein, voneinander zu wissen und Frieden zu erzeugen, was eine fortschreitende globalisierte Welt nicht selten benötigt und ungeduldig verlangt. In der Analyse der kulturellen Dimension der Globalisierung vertritt der indische Sozial- und Kulturanthropologe Arjun Appadurai die Meinung, dass es auf dieser Welt kein Kontinent mehr besteht, wo es keinen Chinesen oder Araber oder Inder kurz Asiaten gibt, was konkret bedeutet, wie Appadurai denkt, dass wir mit einer vielfältigen globalen Landschaft von ethnischen und interethnischen Beziehungen und Vernetzungen konfrontiert sind und Völker voneinander abhängig sind. (Appadurai 1996). Richtet man sich nach Appadurai, kann man ebenfalls und zweifellos bemerken, dass auch Europäer, Afrikaner, sowie Amerikaner aus verschiedenen Gründen wie u.a. Tourismus, Bildung, Zusammenarbeit, Verfolgungen sich auf allen Kontinenten befinden, was also der Frage der vorurteilsvollen oder vorurteilsfreien Wahrnehmung des Anderen bzw. des Fremden in einer fremden Welt Geltung verschafft. Wenn also Frisch auf diese Weise modellhaft die Exemplifizierung eines für einen Juden gehaltenen jungen Mannes in einer fremden Welt und seine Wahrnehmung durch die Empfangsgesellschaft in krasser Form schildert, dann hat er bestimmt die Gewichtigkeit dieses Problems nicht nur für seine Zeit, sondern auch geradezu vorwegnehmend für heute und die Zukunft gemessen. Genau aus diesem Grund bleibt er der Idee der Modellsituation des Stückes verhaftet. Wir verstehen also, warum Andorra, in der noch unter dem Sturm der Klischees stehenden globalisierten Welt an Bedeutung gewinnt und sich als zeitlos erweist.
2. Forschungslage
Ein Blick in Frischs Werk, Kommentare und Interviews und in die über Frisch geschriebene Sekundärliteratur zeigt, dass sich die Bildnisthematik und die Frage nach der Identität in seinem literarischen Schaffen als Leitbegriffe erweisen. Eduard Stäuble nennt dies „sein radikal gleiches Thema“ (Stäuble 1971, 19). Diese Themen erweisen sich dann als Frischs Lieblingsthemen. Dass die Analyse von Frischs Drama Andorra aus der Sicht einer globalisierten Welt in früheren Arbeiten noch nicht stattgefunden hat, bezeugt die Darstellung folgender Sekundärliteratur. Sybille Heidenreich et.al. publizierten bereits 1974 ihre Interpretation von Andorra, in der sie durch eine Figurenkonstellation die vorurteilsvollen Momente in der Begegnung zwischen dem vermeintlichen Fremden Andri und den Vertretern der andorranischen Gesellschaft darbieten. Sieben Jahre später erschien Hans Jürg Lüthis Buch Max Frisch. Du sollst dir kein Bildnis machen (1981), in dem er deutlich zeigt wodurch Vorurteile ausgelöst werden können. Er denkt, Überheblichkeit und chauvinistischer Nationalismus charakterisierten die vorurteilsbehafteten Andorraner und seien deshalb Ursache der Vorurteile. Reinhard Meurer (1990) versteht Vorurteile als ein absurdes Phänomen. Knapp et.al. ihrerseits haben in ihrem 1998 erschienen Buch Max Frisch: Andorra die Zeitlosigkeit des Dramas Frischs anerkannt. Die Bildnisthematik zeigt sich in der Arbeit von Soennecken (2011). Soennecken interessiert sich nicht nur für die Wirkung des Bildnismachens auf den Protagonisten, sondern auch sie schildert, philosophische Forschungsrichtungen berücksichtigend, die Identitätsfrage, die sich teilweise mit Vorurteilen verbinden lässt. Es lässt sich feststellen, dass keiner der erwähnten Beiträge auf das Drama Andorra aus globaler Sicht eingegangen ist. Wenn also Andorra zu einer bestimmten Zeit in einer globalisierten Welt entstanden ist, wo Fremdenfeindlichkeit vorging, so scheint es interessant, dieses Werk in der Perspektive der Globalisierung und Postmoderne, wo Welterfahrung insbesondere Fremdheitserfahrung als Bereicherung zu einer Herausforderung wird, zu vergegenwärtigen. Globalisierung wird dann zu einem Prozess. Sie entwickelt sich je nach dem Geist, den Mentalitäten, den Ideen, den Ereignissen, den Theorien und Ideologien, die eine Zeit prägen. Meine Analyse will deshalb nicht nur text- und kontextbezogen sein, sondern vielmehr reflektieren, wie Andorra in den heutigen Tagen rezipiert werden kann.
3. Methodisches Verfahren
Im Zusammenhang mit der angestrebten Zielsetzung der Arbeit sollen hier zur Begründung der Struktur der Arbeit einige grundsätzliche Erläuterungen zu den gewählten methodologischen Richtlinien vorausgeschickt werden. In der Arbeit werden Begriffsbestimmungen der Sozialwissenschaften, u.a. Soziologie, Sozialpsychologie, Sozialphilosophie herangezogen. In der Tat können diese Bereiche dazu verhelfen, die Begriffsklärung besser zu verstehen, da sie sich seit langem und noch mit den zu definierenden Begriffen beschäftigen.
Die Arbeit konzentriert sich auch auf die Zeitlosigkeit des Stückes Andorra, da sich das Stück als eines der populärsten dramatischen Werke Frischs erweist. Dabei wird herauszufinden versucht, was den dichterischen Charakter des Autors in seinem Wesen ausmacht. Es folgt dann die Werkanalyse, deren Kernbegriffe in der terminologischen Klärung erläutert worden sind. Der Frage wird nachgegangen, wie die globalisierte Welt in der Präsenz der Vorurteile aussieht, ob sich die globalisierte Welt von Vorurteilen emanzipiert oder emanzipieren kann und welche die Bedingungen der Realisierung dieser Emanzipation sind. Der Dramatiker geht davon aus, dass sich sein Werk auf keinen Zeitraum und keinen Ort beziehe bzw. kein Zeitstück im landläufigen Sinne sei, sondern als Modell gelte: „Meine Stücke sind keine Zeitstücke im landläufigen Sinne. Es sind immer wiederkehrende Muster.“ (zit. n. Schmitz et.al.1984, 55). Dies bedeutet, dass das Werk als Ganzes das Menschsein im Allgemeinen, unabhängig von den Nationalitäten und den Epochen betrifft: „Gemeint ist natürlich nicht der wirkliche Kleinstaat dieses Namens, nicht das Völklein in den Pyrenäen, das ich nicht kenne, auch nicht ein anderer wirklicher Staat, den ich kenne; Andorra ist der Name für ein Modell.“ (Frisch 1984, 41).
Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Arbeit, der im Interesse der methodologischen Klarheit gilt, betrifft die Theorien und Methoden, die ich in meiner Untersuchung anwende. Einer wissenschaftlichen Arbeit, so denken Köppe et.al, liegen unbedingt Theorien und Methoden zugrunde:
Keine Leserin und kein Leser kann theoriefrei Literatur lesen, geschweige denn interpretieren. Auch wer den Eindruck hat, sich ganz ohne Voraussetzungen auf einen Text einzulassen, bringt tatsächlich zumindest sog. ›subjektive Theorien‹ in Anschlag, die die Wahrnehmung und das Verständnis des Textes leiten. (Köppe et.al. 2008, 1).
Geht man von diesem Gedanken aus, dann wird klar, dass es sich nicht darum handelt, eine Theorie zufällig auszuwählen, die die Plausibilität der Arbeit in Frage stellen wird, sondern es geht je nach den Absichten und dem Ziel der Arbeit darum, sich auf eine passende Theorie zu beziehen. Deswegen bediene ich mich bei meiner Untersuchung der Rezeptionsästhetik. Diese Theorie geht davon aus, dass Literatur seit Jahrhunderten um eine Dimension verkürzt sei: die des Lesers. Sie fokussiert sich auf die Beziehungen zwischen literarischem Text und Leser. Hans Robert Jauß und Wolfgang Iser sind Begründer dieser Theorie. Für beide stellt die Text-Leser-Auseinandersetzung den wichtigsten Bezugspunkt für die Konstitution von Sinn im Leseakt dar. Die Rezeptionsästhetik enthält zwei wichtige Ansätze, nämlich die Wirkungsästhetik und die Rezeptionsgeschichte. Während die Erstere den Anspruch erhebt, eine Phänomenologie des Leseaktes zu sein (Vgl. Köppe et. al. 2008, S. 91), d.h., wie der Leser den Text aufnimmt und versteht, untersucht die Rezeptionsgeschichte die Aufnahme, die ein literarischer Text im Laufe der Zeit beim Publikum gefunden hat. (Vgl. Ders. ebd. S. 95). Diese Theorie ermöglicht unterschiedliche, aber prägnante Interpretationen und Aktualisierungen eines literarischen Textes. Genau zu diesem Zweck ist diese Theorie meiner Arbeit dienlich und meine Analyse ist die eines afrikanischen Germanisten als postmodernen Lesers, der von persönlichen Erfahrungen in einem bunten interkulturellen Raum ausgeht. Moderne Ansätze der Vorurteilsforschung wie der psychodynamische Ansatz bzw. die Psychoanalyse und der kognitive Ansatz werden verwendet. Während der psychodynamische Ansatz die Wurzeln der Vorurteile in innerpsychischen Vorgängen des Individuums sieht, vertreten die Kognitionspsychologen hingegen die Meinung, dass der Mensch ein informationsverarbeitendes Wesen sei, dessen Informationsverarbeitungskapazität jedoch beschränkt sei. Diese Beschränkung sei für die scheinbaren Zusammenbrüche und fehlerhaften Prozesse verantwortlich, wie sie in der Wahrnehmung und Kognition von Stereotypen und Vorurteilen aufträten. Diese Ansätze konzentrieren sich auf den psychologischen Mechanismus der Hauptgestalt Andri und seine Wahrnehmung durch die Vertreter der andorranischen Gesellschaft, deren mentale Strukturen durch Starrheit gekennzeichnet werden. Diese Ansätze sind für meine Arbeit angebracht, da es sich um ein Plädoyer für vorurteilsfreie Fremdwahrnehmung und -Erfahrung handelt, die die Grenzüberschreitungen in der globalisierten Welt nur durch Meinungsveränderungen und eine Absage an die Grenzziehungen zwischen dem Eigenen und dem Fremden ermöglichen. Welche Bilder wir uns von dem Anderen als Fremden machen, bestimmt, ob unsere psychologischen Mechanismen bzw. unsere Mentalitäten die vollständige Realisierung dieses Plädoyers blockieren oder dafür bahnbrechend sein können.
Hauptteil
4. Terminologische Klärung und zum Begriff „zeitloses Drama“
Dieser Teil der Arbeit beschäftigt sich mit den sozialwissenschaftlichen Erklärungen verschiedener Begriffe und Themen, auf die das Werk Andorra eingeht, und schafft die Basis für die anschließende Werkanalyse. Es geht um Themen wie: Vorurteile, Stereotype, Identität. Diese Themen erscheinen heute noch als unüberwindbare Hürden hinsichtlich der Verständnisbereitschaft der Völker und der freien Entfaltung des Einzelnen innerhalb einer fremden Menschengruppe mit stark unterschiedlichen Normen und Werten. Deswegen können meiner Meinung nach nicht nur diese oben erwähnten Begriffe als Übel für die Menschheit, sondern auch jede Gleichgültigkeit ihnen gegenüber zugleich als Ablehnung der moralischen Verantwortung betrachtet werden.
4.1 Zum Begriff „Vorurteil“
Der Terminus Vorurteil setzt sich aus den Bestandteilen dem Präfix ‚vor‘ und dem Begriff „Urteil“ zusammen. Ein ‚Urteil‘ ist „in der logisch-philosophischen Aussagesystematik eine Behauptung ü ber ein Objek. ﴾Herv. im. Orig.﴿“ (Hort 2007, 37). Dabei setzt ein Urteil für seine Gültigkeit die Wahrheit und die empirische Überprüfbarkeit bzw. empirisch Bewiesenes voraus. Sollte diese Vorannahme nicht zutreffen, ist das Urteil falsch. Das Vor-Urteil versteht sich also als eine vorgefasste Meinung, oft eine negative Meinung über Menschen oder Dinge, von denen man nicht viel weiß oder versteht: (Vgl. Langenscheidt 2007). Die Forschungen zur Vorurteilsproblematik sind zahlreich und nahezu unübersehbar. Eigentlich ist die Vorurteilsforschung seit den Anfängen der Sozialpsychologie eines der bedeutendsten Teilgebiete in psychologischer Theorienbildung und Forschung geworden. Daher hat sie auch in gesellschaftlicher Hinsicht an Relevanz gewonnen. Forschungsfördernd wirkten zudem die Konfliktsteuerung der Auswirkungen ethnischer und rassistischer Vorurteile in den USA und antidemokratischer Tendenzen in der westlichen Welt. Den Ursachen und Folgen des Vorurteils wird dann zunächst in der Forschung große Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist aber wichtig, zu Beginn dieser Begriffsbestimmung zu präzisieren, dass das Vorurteilskonzept sich auf zweierlei Weise begreifen lässt. Auf der einen Seite gibt es Vorurteile mit positiven Vorstellungen und auf der anderen Seite die mit negativen Inhalten. In verschiedenen sozialwissenschaftlichen Debatten und Diskursen über den Vorurteilsbegriff werden oft die negativen Vorurteile in den Vordergrund gerückt. Der Grund dafür ist, dass sie die Menschheit in eine dauernde Gefahr versetzen. Gordon W. Allport definiert Vorurteile folgendermaßen: „Von anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken.“ (Allport 2007, 40). Er geht davon aus, dass diese Definition die kürzeste aller Definitionen sei. Diese knappe Definition ist in der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung wohl akzeptiert und verankert, weil sie den Begriff auf zusammenfassende Weise sinnvoll erläutert. In Anlehnung an Allport ist nur dann von Vorurteilen zu sprechen, wenn die affektive Einstellung gegenüber einer Gruppe auf einem unrichtigen Stereotyp basiere, das änderungsresistent sei. Gewöhnlich werden die einer Gruppe zugewiesenen unrichtigen Eigenschaften zur Vorurteilsanwendung auf einzelne Mitglieder dieser Gruppe ohne Rücksicht auf individuelle Unterschiede übertragen. Es geht wirklich um eine irrtümliche Verallgemeinerung. Von diesem Gedanken ausgehend, formuliert Allport eine weitere Definition: Vorurteile sind „eine ablehnende oder feindselige Haltung gegen eine Person, die zu einer Gruppe gehört, einfach deswegen, weil sie zu dieser Gruppe gehört und deshalb dieselben zu beanstandenden Eigenschaften haben soll, die man dieser Gruppe zuschreibt.“ (ebd., 42).
In der Sozialpsychologie genauso wie in der Soziologie überwiegt der Terminus Einstellung. Vorurteile gelten als Varianten sozialer Einstellungen. Allport unterscheidet zwei Faktoren des Vorurteils: die Einstellung und die Überzeugung. Er vertritt die Ansicht, dass Vorurteile den Einstellungsfaktor und den Überzeugungsfaktor beinhalteten: „Es muss eine Einstellung von Gunst oder Mißgunst vorliegen und eine Beziehung zu einer verallgemeinerten (und deshalb irrtümlichen) Ü berzeugung (Herv.im Org.) . “ (Allport 1971, 27). Dem Gedanken Allports kann ich folgen, weil er Aufschluss darüber gibt, wie Vorurteile in der Psyche wurzeln und Überzeugungen äußern, welche eigentlich nur vom Hörensagen bzw. ungeprüft unkritisch von den Menschen angenommen werden. Für die sozialpsychologische Vorurteilsforschung stellt sich hierbei die Frage, warum vorurteilsbehaftete Personen so wenig gewillt sind, von ihrer Überzeugung abzurücken. Diese Sachlage liegt daran, dass Leute, die bestimmte Vorurteile besitzen, davon überzeugt sind, dass sie zutreffen.
Aus den obigen Überlegungen ergibt sich, dass der Vorurteilsbegriff in der Sozialpsychologie teilweise durch die Einstellungsforschung bedingt ist. Es ist also wichtig festzuhalten, dass die aktuelle Entwicklung in der Vorurteilsforschung wieder einmal durch Fortschritte im Methodeninventar der Einstellungsforschung stark geprägt ist. Beruhend auf der sozialpsychologischen Dimension des Vorurteils, wird das soziologische Verständnis des Vorurteilskonzepts betrachtet. Diese soziologische Sichtweise beruht vorwiegend auf der Dialektik von Mensch und Gesellschaft. Der Mensch ist ein soziales und kreatives Wesen, dessen soziales Verhalten dem soziologischen Wissen nach in der Alltagswelt reguliert wird. Laut dieser soziologischen Betrachtungsweise sind Vorurteile zu gesellschaftlichen Normen und Verhaltensmustern geworden, die der Mensch erwirbt und entwickelt. Max Horkheimer schreibt hierzu: „Das Individuum für sich allein ist eine Abstraktion. Es ist in die Gesellschaft verflochten; von den Besonderheiten der Verflechtung hängt zum großen Teil nicht bloß sein Schicksal, sondern auch sein Charakter ab.“ (Horkheimer 1983, 8). Die Wissenssoziologie geht davon aus, dass Vorurteile als soziale Kategorisierungen, sich als Bestandteile der Kultur erweisen. Infolgedessen sind sie funktional im kulturellen Wert- und Normensystem verankert. Daraus ergibt sich, dass Individuen vor allem deshalb Vorurteile haben, weil sie in „Gesellschaften aufgewachsen sind, die das Vorurteil als eine Facette des normativen Systems ihrer Kultur aufweisen.“ (Estel 1983, 212). Daher zeigt sich das Vorurteil als „Teil der Kultur und muß soziologisch dementsprechend verstanden werden: Wie Kultur überhaupt ist es Gruppenverhalten; wird es ‚gelernt‘ (und nicht angeboren), wird es in Lehr- und Lernprozessen der jungen Generation von den Älteren vermittelt. Und wie andere kulturelle Elemente dient es den Menschen zur Orientierung und als Handlungsanleitung.“ (ebd.) Vorurteile sind also ein Teil der normativen Ordnung der Gesellschaft und gehören somit im Sinne Westies zum „socially standardized style of life“- „sozial standardisierten Lebensstil“ (Westie 1964, 583), der für eine Gesellschaft gemäß ihrer Kultur typisch sei.
Im Verständnis der obigen Überlegungen bleibt festzuhalten, dass Vorurteile durch vorschnelles Urteilen ohne genaue Kenntnis des Sachverhaltes und durch starres und dogmatisches Festhalten an Fehlurteilen gegen die Rationalitätsnorm verstoßen, weil der Mensch ein rationales Wesen ist, das sein Leben an Vernunft und Ethos orientiert. Diese knappe abschließende Bemerkung wirft, indem sie den Menschen zu einer objektiven Informationsverarbeitung und zum Einsatz gegen Vorurteile aufruft, zunächst folgende Frage auf: Wie wirken Vorurteile auf die Menschen? Diese Frage bezieht sich einigermaßen auf die Funktion der Vorurteile. Eine sofortige Beantwortung dieser Frage wäre nur theoretisch und abstrakt untermauert, deswegen ist es interessant und wohl überlegt, wenn solche Fragen in der Interpretation des Untersuchungsgegenstandes Andorra beantwortet werden. Der folgende Punkt des theoretischen Teils ist dem Stereotypenbegriff gewidmet.
4.2 Konzept des Stereotyps
An die obigen Reflexionen anknüpfend wird nachfolgend der Begriff ‚Stereotyp‘ definiert. Definitorisch werden in der Sozialpsychologie Stereotype eng mit Vorurteilen verknüpft. Die Einführung dieses Begriffs in die moderne Sozialpsychologie ist Walter Lippmanns Verdienst. Er nennt Stereotype einfach „Bilder in unseren Köpfen“ (zit. n. Allport 1984, 74). Der Begriff des Stereotyps setzt sich aus den zwei griechischen Wörtern stereos (starr, hart, fest) und typos (Entwurf, feste Norm, charakteristisches Gepräge) zusammen. Von dieser etymologischen Bestimmung ausgehend, können Stereotype definiert werden als „ein starrer Eindruck, der nur in geringem Maße mit der Realität übereinstimmt, und dadurch zustande kommt, dass wir zuerst urteilen und dann hinschauen.“ (zit. n. Petersen et.al. 2008, 21). Stereotype werden in neueren Definitionen als „eine Reihe von Überzeugungen über die Mitglieder einer sozialen Gruppe“ aufgefasst (ebd.). Diese Definition deutet auf den kategorialen Charakter des Stereotyps. Dies impliziert, dass Merkmale irrtümlich mit einer Kategorie assoziiert werden. Diese Merkmale sind oft fehlerhafte Generalisierungen mit Rigiditätscharakter, und diese Generalisierungen sind auch Produkt eines fehlerhaften Denkprozesses. Ein Stereotyp ist in der Tat nicht identisch mit einer Kategorie, es ist eher ein festes Merkzeichen an einer Kategorie. Allport definiert den Stereotyp als „eine überstarke Überzeugung, die mit einer Kategorie verbunden ist.“ (Allport 1984, 74). Besondere Aspekte, die sich sowohl in der Stereotypen- als auch in der Vorurteilsforschung als prägnant erweisen, betreffen die Verallgemeinerung, die Fehlerhaftigkeit und die Änderungsresistenz. Hierbei rechtfertigt sich die Verwandtschaft beider Begriffe, nämlich „Stereotype“ und „Vorurteile“, die über Jahrzehnte Anliegen der Sozialwissenschaften, d.h. der Sozialpsychologie, der Soziologie und der Pädagogik usw. waren und noch sind. Stereotype genauso wie Vorurteile beeinflussen die Informationsverarbeitung und haben nachhaltigen Einfluss auf den Empfänger als Mitglied der stereotypisierten Gruppe. Wie diese Informationsverarbeitung beeinflusst wird, kommt in folgendem Passus zum Ausdruck: „Haben sich Stereotype erst einmal gebildet, dann beeinflussen sie die Informationsverarbeitung, indem sie Einfluss auf Prozesse der Aufmerksamkeit, auf die Interpretation von Informationen, auf das Gedächtnis sowie auf Schlussfolgerungsprozesse nehmen.“ (Petersen et.al. 2008, 23). Eine der Grundfragen, die eine vorrangige Position in der sozialpsychologischen Stereotypenforschung einnimmt und das Wesen der Stereotype anspricht, lässt sich folgendermaßen formulieren: Warum lassen sich Stereotype nicht ändern, selbst wenn Personen dem Stereotyp widersprechende Erfahrungen gemacht und stereotyp-inkonsistente Informationen erhalten haben? Diese Frage gilt auch für Vorurteile und zeigt in zunehmendem Maße die Gefährlichkeit der Stereotype und der Vorurteile. Beide Begriffe werden oft für Synonyme gehalten, sodass ihre Unterscheidung oft schwer fällt. Deswegen werden hier einige Unklarheiten beseitigt bzw. Nuancen ans Licht gebracht. In der Tat sind Stereotype häufig kognitive Komponenten der Vorurteile, d. h. auf ihnen bauen Vorurteile auf. Vorurteile zeigen sich meistens als Einstellung bzw. Attitüde, die sich aus vorgefassten Meinungen ergeben während sich Stereotype als feste bzw. starre mentale Vereinfachungen von komplexen Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Personengruppen erweisen. Stereotype weisen oft vorurteilsbehaftete Elemente auf.
4.3 Definition der Identität
Es kommt im Verlauf des menschlichen Lebens zu Krisen oder krisenhaften Zeiten, wie beispielsweise Konjunkturkrisen, Geldkrisen, Vertrauenskrisen, aber auch Identitätskrisen. Wie lässt sich dann der Begriff Identität definieren? Und inwiefern kann man von einer Identitätskrise sprechen? Es ist wichtig, Gewicht darauf zu legen, dass der Identitätsbegriff in den sozialwissenschaftlichen Forschungsrichtungen nicht als „Tropfen im Meer“ betrachtet wird, im Gegenteil, er ist einer der wesentlichen Leitbegriffe dieser Forschungsbereiche. Der Begriff der Identität, der ursprünglich aus „ der Logik und der Philosophie stammt (aus dem lateinischen semper idem: immer dasselbe) und dort das Gleichbleibende von etwas wie einem Gegenstand oder einer Person mit sich selbst oder etwas anderem“ (Soennecken 2011, 9) kennzeichnet, es wurde zu einem der zentralen Themen der Sozialpsychologie und der Soziologie. Urs Haeberlin et.al. definieren die Identität wie folgt: „Unter der Identität verstehen wir dessen Möglichkeit, das eigene Leben als zusammenhängendes Ganzes zu gestalten und die eigenen Verhaltensweisen als sinnvoll zusammenhängend zu erfahren.“ (Haeberlin et al. 1978, 9). Laut Haeberlin kann es Situationen geben, in denen der Mensch vor dem Problem stehe, ob und wie er noch die Möglichkeit habe, sich als zusammenhängendes Ganzes zu erleben bzw. sein Verhalten als sinnvoll zusammenhängend zu empfinden. In solch einer Situation ist von Identitätskrise die Rede. Wie kann aber diese Krise zustande kommen? Die Voraussetzungen dafür sind dann gegeben, wenn der Mensch in eine neue soziale Gruppe mit stark unterschiedlichen Normen und Wertevorstellungen eintritt. (Vgl. Haeberlin S.19). Haeberlin hat das Verdienst, den sozialen Charakter der Identität hervorgehoben zu haben. Diese Ideen von Haeberlin sind prägnante Deutungen der von Mead seit den zwanziger Jahren übernommenen Arbeit über „Mind, Self and Society“. Mead interessiert sich für das Ich der Person, das nur in Interaktion mit anderen Mitgliedern der
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1 Frederick Mayer: Vorurteil. Eine Geißel der Menschheit, Wien. Köln. Weimar: Böhlau 2010, S. 10.
2 Unter Globalisierung ist hier vor allem die kulturelle Dimension zu verstehen. Eine Erfahrung von fremden Begrifflichkeiten und Werten sowie ein mögliches Hineinversetzen in fremde Wertevorstellungen, die zur Dekonstruktion bzw. zum Abbau von Vorurteilen über die Fremden und die Anderen ermöglichen können, stehen im Vordergrund. Der immer wirkende Blick auf das Eigene als das Schöne und auf das Fremde als „Gegenteil“ des Eigenen führt zur Abschottung. Globalisierung wird dann problematisch, wenn in deren Mittelpunkt der Mensch steht, Abschottungspraktiken vorherrschen lässt und wenn sie sich nicht wirklich aus soziologischer Sicht als raumschaffendes System erweist, in dem sich Ideologien, Wertevorstellungen, Völker, Kulturen begegnen, wirklich einen Dialog führen und trotz der Unterschiede sich zu akzeptieren lernen. Der gezielte Raum verstehe ich als Raum des Postethnozentrismus, worauf sich mein Beitrag beruht. Postethnozentrismus schließt keinesfalls Differenzen aus. Er setzt eine ungezwungene bewusste Verdrängung einer vorgefassten Meinung voraus, die zur Überwindung der bestehenden Hürden zwischen dem Eigenen und dem Fremden führt. Aus der Feststellung, dass die Eigenheit des Eigenen aus der Sicht des Fremden fremd ist und die Fremdheit des Fremden aus der Sicht des Fremden eigen ist, ergibt sich, dass das Fremde existiert, nur weil man daraus eine Fremdheit macht. Es lässt sich sogar von einer Art Fremdheit des Eigenen und Eigenheit des Fremden sprechen, sodass sich die Kategorien ‚eigen‘ und ‚fremd‘ gar nicht ausschließen können. Der Raum wovon hier die Rede ist, ist ein Raum der Simultanität des Eigenen und des Fremden. Hören wir was der ehemalige deutsche Bundespräsident Roman Herzog vor dem Bonner Gesprächkreis sagte: „Aber für alle Länder […] gilt: In einer Zeit von Globalisierung, unbegrenzter Mobilität und zunehmender Vernetzung wird Abschottung auf die Dauer nicht mehr möglich sein. Abschottung und Expansion sind Wege der Vergangenheit, und dahin würde es führen, wenn man sie wieder beginge. Darum brauchen wir den Dialog zwischen den Kulturen. Wir brauchen ihn, wenn wir das friedliche Miteinander wollen und eben keinen "Kampf der Kulturen". Mit friedlichem Miteinander meine ich das Mehrfamilienhaus […], wo Familien unterschiedlicher Kultur und Religion wohnen, ebenso wie die friedliche Begegnung von Staaten mit unterschiedlichen kulturellen Fundamenten. Wir können gar nicht anders, als uns mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen. Wir entdecken dabei Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Ich plädiere aber dafür, einen Dialog zu führen, der hilft, die Gemeinsamkeiten, die vorhanden, aber vielleicht verschüttet sind, ans Tageslicht zu fördern und zu stärken.
3 Diese Frage wird anhand konkreter Beispiele in den abschließenden Bemerkungen erläutert. Dazu siehe den Punkt 7.!
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- Kokou Alosse (Autor), 2014, Die Bedeutung von Max Frischs "Andorra" in der globalisierten Welt, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/343049
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