Angesichts der Vielfalt konkurrierender Ansätze im Wissenschaftsbereich der Soziologie bleibt die Frage nach einer Orientierungsmöglichkeit auf dem »Kampfplatz der Meinungen« [Kant] weiterhin aktuell, um einer Klärung der Möglichkeit eines »sicheren Ganges der Wissenschaft«, wie Kant es bezeichnete, näher zu kommen. Während für Theodor Adorno der Gegenstand der Soziologie, den schon der Schöpfer dieses Namens, August Comte, als die Gesellschaft bestimmte, »weder als Begriff nach der gängigen Logik sich definieren noch ›deiktisch‹ sich demonstrieren läßt«, und er deshalb folgert – da andererseits »die sozialen Phänomene unabweislich ihren Begriff fordern« – daß das angemessene »Organ« für diesen Gegenstand (die Gesellschaft) die Theorie sei [Adorno, 1979, 11], stellt René König die Grundannahme vor, »daß Soziologie überhaupt nur als empirische Soziologie möglich ist bzw. als Sozialforschung« [König, 1967, 1; 9] und konstatiert ferner: »Einzig die Soziologie ist Wissenschaft von der Gesellschaft, und Wissenschaft ist letztlich nur als empirische Forschung möglich.« [ebenda] Auch wenn man sich jedoch für René Königs Position entschieden hat, eröffnet sich eine neue Vielfalt an möglichen Vorgehensweisen im Rahmen einer nunmehr als grundlegend angenommenen empirischen Forschungsorientierung.
All dies weist auf die Notwendigkeit hin, die Frage zu stellen, was die Wissenschaft ist, und an welchen »Ort« sie im menschlichen Sein gehört, ehe die eigentliche Konfrontation der beiden differenten Forschungsweisen begonnen werden kann und sich dann zeigen mag, ob die quantitative oder die qualitative Forschungsart – oder möglicherweise beide einander ergänzend – den angemessenen Zugang zur »sozialen Wirklichkeit« bieten. Die Frage nach dem angemessenen »Ort« im menschlichen Sein wiederum erfordert ebenfalls eine Klärung der Grundzüge des menschlichen Seins selber. Da diese Fragen am weitestgehendsten in der »hermeneutischen Phänomenologie des Daseins« in »Sein und Zeit« (1927) von Heidegger bearbeitet worden sind, soll diese Analyse hier zugrundegelegt und als Leitfaden und Maßstab in Anspruch genommen werden.
Im ersten Schritt wird die Frage nach der Wissenschaft und ihrem Zusammenhang mit dem menschlichen Sein (Dasein) behandelt werden. Daraus werden sich dann die Bedingungen für eine mögliche Zugangsweise der Soziologie zu ihrem eigenen Untersuchungsfeld ergeben.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. I. Soziologie und philosophische Aufklärung über Grundzüge des Menschen als sozialem Wesen
- 1. Was ist Wissenschaft?
- 1.1. Das Erkennen als fundiertes Phänomen
- 1.2. Erkennen und alltägliches Sein
- 1.3. Das Verstehen als Existenzial
- 1.4. Verstehen und Auslegung
- 1.5. Auslegung als phänomenologische Deskription oder die »>Demethodologisierung der Hermeneutik<<
- 1.6. Verstehen versus Erklären
- a) Vorwissenschaftliches, alltägliches Verständnis
- b) Rationaler Verstehensbegriff und Erklärung
- c) Entwicklung des hermeneutischen Verstehensbegriffs
- d) Erste Phase der »>Verstehen-Erklären-Kontroverse<<
- e) Zweite Phase der »Verstehen-Erklären-Kontroverse<<
- f) Dritte Phase der »Verstehen-Erklären-Kontroverse<<
- g) >>Auflösung<< der »Verstehen-Erklären-Kontroverse<<
- 1.7. Die >>ontologische Rückstrahlung<<
- 2. Der existenziale Begriff der Wissenschaft
- 3. Der Gegenstandsbereich einer »existenzialen Sozialwissenschaft<<
- B.II. Grundlegende Bedingungen jeder soziologischen Methode
- C.I. Wesentliche Grundlagen der qualitativen und der quantitativen Forschung aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht
- 1. Was ist ein soziales Phänomen?
- 2. Das Verhältnis des Forschers zu seinem Objekt der Forschung
- C.II. Kritische Darstellung der quantitativen Sozialforschung
- C.III. Kritische Darstellung der qualitativen Sozialforschung
- 1. Allgemeine Grundannahmen
- 2. Das >>interpretative Paradigma<<
- 2.1. Der >>symbolische Interaktionismus<<
- 2.2. Die »>Ethnomethodologie<<
- 2.3. Das Konzept der Lebenswelt und die sozialwissenschaftliche Hermeneutik
- D. Auswertung der kritischen Betrachtungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit der Frage, ob qualitative Sozialforschung eine Alternative, eine notwendige Ergänzung oder eine wesentliche Fundierung der quantitativen Forschungsstrategien für eine angemessene Deskription sozialer Phänomene darstellt.
- Die Rolle der Hermeneutik und des Verstehens in der Sozialwissenschaft
- Die Kritik an der quantitativen Sozialforschung und deren methodischen Limitationen
- Die Bedeutung des interpretativen Paradigmas für die qualitative Sozialforschung
- Die Analyse verschiedener qualitativer Forschungsansätze wie Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie
- Die Relevanz der Lebenswelt und der sozialwissenschaftlichen Hermeneutik für die Erforschung sozialer Phänomene
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und beleuchtet die unterschiedlichen Perspektiven auf die Soziologie und die Frage nach dem "sicheren Gang der Wissenschaft".
Kapitel B. I. beschäftigt sich mit der philosophischen Aufklärung über Grundzüge des Menschen als sozialem Wesen. Es analysiert die Rolle des Erkennens, Verstehens und der Auslegung in der Wissenschaft und beleuchtet die "Verstehen-Erklären-Kontroverse".
Kapitel B. II. behandelt die grundlegenden Bedingungen jeder soziologischen Methode und stellt die Frage nach dem angemessenen "Ort" der Wissenschaft im menschlichen Sein.
Kapitel C. I. untersucht die wesentlichen Grundlagen der qualitativen und quantitativen Forschung aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht und beleuchtet das Verhältnis des Forschers zu seinem Objekt der Forschung.
Kapitel C. II. bietet eine kritische Darstellung der quantitativen Sozialforschung und zeigt deren Limitationen auf.
Kapitel C. III. widmet sich einer kritischen Darstellung der qualitativen Sozialforschung und erläutert das "interpretative Paradigma" sowie verschiedene qualitative Forschungsansätze.
Kapitel D. fasst die Ergebnisse der kritischen Betrachtungen zusammen und diskutiert die Relevanz der verschiedenen Forschungsansätze für die Erforschung sozialer Phänomene.
Schlüsselwörter
Qualitative Sozialforschung, quantitative Sozialforschung, Hermeneutik, Verstehen, Erklären, interpretatives Paradigma, symbolischer Interaktionismus, Ethnomethodologie, Lebenswelt, sozialwissenschaftliche Hermeneutik, Deskription sozialer Phänomene.
- Quote paper
- Peter Busse (Author), 1992, Qualitative Sozialforschung. Eine Alternative, eine notwendige Ergänzung oder eine wesentliche Fundierung der quantitativen Forschungsstrategien für eine angemessene Deskription sozialer Phänomene?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342763