Die deutsche Gesellschaft ist tief gespalten, ob und wie die „Flüchtlingskrise“ für die Bundesrepublik zu bewältigen ist. Dabei wird der Diskurs um Flucht und Migration und die einhergehenden „Überfremdungs-“ und Abstiegsängste durch rassistische und menschenfeindliche Ressentiments instrumentalisiert.
Wie haben sich rassistische und menschenfeindliche Einstellung in der Mitte der deutschen Gesellschaft seit der erstarkten Flüchtlingsbewegung entwickelt? Wo und wie vermag es die Soziale Arbeit zu intervenieren? Diese Fragen sind Gegenstand dieser Arbeit. Migranten und Geflüchtete werden meist nicht wegen ihres besonderen Aufenthaltsstatus angegriffen, sondern weil sie als marginalisierte Gruppe aus dem „imaginierten‚ deutschen Volk’“ exkludiert und aus rassistischen Beweggründen angefeindet werden. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Flüchtlingssituation, bezieht aber stellenweise die gesamte Migrationsgesellschaft mit ein, da sie ebenso im Fokus von Rassismus und Menschenfeindlichkeit steht.
Aus dem Inhalt:
- Rassismus in Deutschland;
- Die Debatte um Flucht und Asyl;
- Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit;
- Die Mitte und die „Flüchtlingskrise“;
- Intervention durch Soziale Arbeit
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bedeutungskonstrukte
2.1 Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit?
2.2 Die Konstruktion des Rassebegriffs
3. Rassismus in Deutschland
3.1 Formen rassistischer Diskriminierung in Deutschland
3.2 Rechtlicher Schutz vor institutionellem und strukturellem Rassismus
4. Rassistische Zuschreibung in der Debatte um Asyl und Flucht
4.1 Medien und Sprache
4.2 Rassismus in Sozialen Netzwerken
4.3 Rechtlicher Schutz und Handlungsempfehlungen vor rassistischer Hetze in den sozialen Medien
4.4 Kriminalitätszuschreibungen gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen
5. Extremismusexkurs und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland
5.1 Extremismustheorie
5.2 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nach Heitmeyer
5.3 Die Verbreitung rassistischer, diskriminierender und menschenfeindlicher Einstellungen in Deutschland
5.3.1 Fremdenfeindlichkeit
5.3.2 Rassismus
5.3.3 Etabliertenvorrecht
5.3.4 Islamfeindlichkeit
5.3.5 Abwertung von Asylsuchenden
6. Die Mitte und die „Flüchtlingskrise“
6.1 Gesellschaft im Umbruch, erstarkender Rechtspopulismus
6.2 Marktförmiger Extremismus in der Mitte der Gesellschaft
6.3 Die Angst vor dem Fremden
7. Soziale Arbeit als Institution der Intervention
7.1 Soziale Arbeit und Rassismus
7.2 Rassismuskritische Soziale Arbeit – Herausforderungen für die Praxis
7.3 Projektbeispiel „OBJEKTIV“
8. Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
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Impressum:
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Coverbild: ei8htz
1. Einleitung
„Deutschland ist ein starkes Land. (...) Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel am 31. August 2015. Dieser Satz befeuert bis heute noch die Debatte um die Zuwanderungspolitik in Deutschland. Wie die Willkommenskultur auf der einen und brennende Asylunterkünfte auf der anderen Seite zeigen, ist die Gesellschaft tief gespalten, ob und wie diese „Krise“ für die Bundesrepublik zu bewältigen ist. Hier zeigt sich womöglich auch der Ausdruck einer Identitätskrise in Bezug auf die Rolle Deutschlands in der EU und ebenso in der Gesellschaft. Wer gehört zu diesem imaginären Kollektiv „Wir“? Ein strukturelles Problem, das sich bei dieser Fragestellung in der Mitte der Gesellschaft widerspiegelt, ist der Rassismus. Um in der Debatte um Zugehörigkeit und Identität voranzukommen gilt es, das Phänomen des Rassismus zu bearbeiten und ihm entgegenzusteuern, denn für viele ist das Bild vom „Wir“ ein nostalgisches, ethnodeutsches Volk, geprägt von der Vorstellung einer homogenen Bevölkerung, die es jedoch historisch niemals gab und voraussichtlich nie geben wird (vgl. Seibring 2016: 2).
„In Hass und Gewalt schlägt Feindlichkeit gegenüber den Fremden, die nach Deutschland fliehen, zurzeit allerorts um, verbünden sich mitunter „besorgte Bürger“ mit organisierten Rechtsextremen“ (ebd.).
Migranten und Geflüchtete werden meist nicht wegen ihres besonderen Aufenthaltsstatus angegriffen, sondern weil sie als marginalisierte Gruppe aus dem „imaginierten ‚deutschen Volk’“ (Rheims 2015: 9) exkludiert und aus rassistischen Beweggründen angefeindet werden (ebd.).
Die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland sowie die Entstehung und der Zulauf zu Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ verdeutlichen einen gesellschaftlichen Umbruch und einen zunehmenden Rechtswandel. Nicht auch zuletzt durch das Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrundes sind die Verhaltens- und Einstellungsweisen der Gesellschaft wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik gerückt. Dabei wird der Diskurs um Flucht und Migration und einhergehenden „Überfremdungs-“ und Abstiegsängsten durch rassistische und menschenfeindliche Ressentiments instrumentalisiert. Als eine der Folgen lässt sich ein zunehmender Anstieg rassistisch motivierter Straftaten verzeichnen. Allein vom 1. Quartal des Jahres 2015 bis zum 1. Quartal des Folgejahres verzeichnete das Bundeskriminalamt 1376 Straftaten gegen Asylunterkünfte. Die alarmierenden Zahlen dieser und weiterer Statistiken werfen Fragen zu der aktuellen Verfassung der Gesellschaft auf. Somit ist grade die Profession Soziale Arbeit gefordert, sich Rassismus, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Ungleichwertigkeitsideologien zu widmen um gesellschaftliche als auch individuelle Problemsituationen zu bearbeiten.
Wo und wie vermag es die Soziale Arbeit zu intervenieren? Wie haben sich rassistische und menschenfeindliche Einstellung in der Mitte der deutschen Gesellschaft seit der erstarkten Flüchtlingsbewegung entwickelt? Diese Fragen werden Gegenstand der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit. Der Fokus liegt hierbei primär auf der Flüchtlingssituation, bezieht aber stellenweise die gesamte Migrationsgesellschaft mit ein, da sie als für „fremd“ erachtete natio-ethno-kulturelle Gruppe ebenso im Fokus von Rassismus und Menschenfeindlichkeit steht. Die Parallelen dienen hierbei zur Verdeutlichung der Tragweite des Phänomens und zum näheren Verständnis der genannten Einstellungsmuster.
Einleitend wird der Rassismusbegriff zu den verwandten Begriffen Fremdenfeindlichkeit und Ausländerfeindlichkeit in Bezug gesetzt, differenziert und auf seine sprachliche Verwendung eingegangen sowie verschiedene Definitionsansätze vorgestellt.
Im weiteren Verlauf wird stärker auf die Konstruktion von Rasse und die Entstehungshintergründe von Rassismus in seinen verschiedenen Variationen und Strukturen eingegangen. Weiterhin wird Rassismus in Deutschland im historischen und aktuellen Kontext skizziert. Beleuchtet wird hierbei auch die rassistisch motivierte Gewaltbereitschaft gegen Asylsuchende und Asylunterkünfte. Anschließend werden die Formen der institutionellen und strukturellen Diskriminierung in Deutschland thematisiert und mögliche Schritte gegen in gesellschaftlichen Organisationsstrukturen verankerten Rassismus aufgezeigt.
Um die Tragweite von gesellschaftlich verankertem Alltagsrassismus aufzuzeigen, wird im weiteren Verlauf auf rassistische Zuschreibungen speziell im Kontext Geflüchteter und Migranten in Sprache, Medien und Kriminalitätsstatistiken eingegangen.
Anschließend wird zum weiteren Verständnis auf die Extremismustheorie Bezug genommen und das Syndrom der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit vorgestellt. Dies erfolgt einhergehend mit den Ergebnissen der Mitte-Studie der Friedrich Ebertstiftung von 2014, dem Bericht des Thüringenmonitor 2015 und der Leipziger Mitte-Studie von 2016, die schließlich miteinander in Bezug gesetzt und verglichen werden. Diese Studien eignen sich durch ihre langjährigen, empirischen Forschungen, um die Einstellungsmuster der deutschen Mehrheitsgesellschaft repräsentativ darzustellen. Hierfür werden Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Etabliertenvorrecht, Islamfeindlichkeit und Abwertung von Asylsuchenden als fünf der zwölf Elemente gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hervorgehoben, um die aktuellen Entwicklungen rassistischer und menschenfeindlicher Einstellungen in Deutschland abzubilden.
Was versteht man unter der gesellschaftlichen Mitte? Mit welchen Schwierigkeiten sahen und sehen sich Migranten und Geflüchtete in den letzten Jahren konfrontiert, um ihr Recht auf Anerkennung in der Gesellschaft einzufordern? Wie wird die aktuelle „Flüchtlingskrise“ durch Parteien und Organisationen für ihre Zwecke instrumentalisiert? Diese Fragen sind weitere wichtige Elemente beim Erfassen der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Ihnen wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit nachgegangen. Auch die Auswirkungen der neoliberalen Wende und ihren Effekten für die Gesellschaft sowie die Begünstigung von Ungleichwertigkeitsideologien durch den sog. „Marktförmigen Extremismus“ und die Angst vor dem Fremden finden hierbei Betrachtung.
Um im Folgenden auf die Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten der Sozialen Arbeit im Umfeld von Rassismus und Menschenfeindlichkeit einzugehen, wird vorab beleuchtet, wie rassistische Verhältnisse und Strukturen im sozialpädagogischen Alltag wirken. Fortlaufend wird auf die besonderen Herausforderungen in der Praxis der sozialen Arbeit mit Jugendlichen Bezug genommen und die Grundzüge einer rassismuskritischen pädagogischen Perspektive dargestellt. Um gelingende rassismuskritische Pädagogik in der Praxis zu veranschaulichen, wird in diesem Zuge das Modellprojekt „OBJEKTIV“ vorgestellt, welches sich mit seinem vorurteilsreduzierendem Ansatz an rechtsorientierte, vorurteilsbehaftete sowie nicht-gefährdete junge Menschen richtet. Die Bildungsprogramme bieten dort Intervention, wo Jugendliche schon rassistische und menschenfeindliche Tendenzen aufweisen oder gar schon Kontakte in die recht Szene hegen. Hierbei wird versucht durch verschiedene Methoden einen Perspektivwechsel anzuregen.
Schlussendlich werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und Forderungen an die Soziale Arbeit fokussiert.
2. Bedeutungskonstrukte
2.1 Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit?
Wenn Migrant*innen in Deutschland marginalisiert, abgelehnt oder diskriminiert werden, wird dies hierzulande meist als „ausländerfeindlich“ und nicht als „rassistisch“ charakterisiert. Durch den Begriff „Ausländerfeindlichkeit“ wird jedoch das Objekt sowie der Mechanismus von Diskriminierungen und Ausschließungspraxen verschleiert. „Ausländerfeindlichkeit“ suggeriert, dass alle „Ausländer*innen“ marginalisiert werden, wobei eine differenzierte Betrachtung gegenüber Vorbehalten unterschiedlicher Nationalitäten und damit einhergehender Ablehnungshaltung außen vorgelassen werden. Der Begriff ist sehr unpräzise, da sich „Ausländerfeindlichkeit“ nicht nur gegen Ausländer*innen, sondern auch auf Deutsche mit Migrationshintergrund beziehen kann.
Diskriminierung von Ausländer*innen wird nicht nur durch Feindlichkeit, sondern auch durch den irreführenden Begriff „Ausländer-freundlichkeit“ kennzeichnen, wenn Migrant*innen als unfähige und hilflose Opfer wahrgenommen werden und ihnen hier durch subjektiv wohlwollende – bisweilen paternalistische Positionen die eigene Handlungsfähigkeit aberkannt wird (vgl. Schwark 1998: 85). Hierbei kann es sich trotz ausbleibender feindlicher Absicht auch um Rassismus handeln (vgl. Kalpaka/Räthzel 1994: 12).
Ein Versuch, den Auslandsbezug zu erweitern, stellt der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ dar, der ausdrücken soll, dass sich Menschen feindlich gegenüber anderen verhalten, weil ihnen diese als fremdartig erscheinen. Dennoch impliziert diese auch feindliche Gesinnung gegenüber Zugereisten, Tourist*innen, sowie allen, die nicht der eigenen Identifikationsgruppe als zugehörig angesehen werden und bezieht sich nicht nur ausschließlich auf Menschen denen zugeschrieben wird, Migrant*innen oder Geflüchtete zu sein (vgl. Netz-gegen-Nazis 2015 (1)).
Im Forschungsprojekt unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer an der Universität Bielefeld wird Fremdenfeindlichkeit in der Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) folgendermaßen definiert: „Fremdenfeindlichkeit bezieht sich auf bedrohlich wahrgenommene kulturelle Differenz und materielle Konkurrenz um knappe Ressourcen" (Zick/ Klein/ Groß 2014: 63). Doch auch hier werden Opfer von Fremdenfeindlichkeit hinsichtlich ihrer Haar- und Hautfarbe, biologischer Merkmale oder aufgrund (angenommener) kultureller Differenzen diskriminiert, angefeindet oder angegriffen. Im Endeffekt ist auch dies nichts Anderes als Rassismus (vgl. Netz-gegen-Nazis 2015 (1)).
Zu konstatieren ist, dass dem Rassismus-Begriff hinsichtlich der deutschen Historie und seiner gesellschaftlichen Relevanz gegengelenkt wird (vgl. Schwark 1998: 85). Bis zu Beginn der neunziger Jahre war der Begriff in Deutschland noch weitgehend verpönt. Rassismus wurde begrifflich lediglich für Handlungen und Gedanken genutzt, die auf dem Konzept der „Rasse“ basierten. Hinsichtlich der Situation zu Beginn der achtziger Jahre, als die Wirtschaftskrise, Vorbehalte der deutschen Bevölkerung, die Politisierung des „Ausländerproblems“ und rechtsmotivierte Terroranschläge gegen Migrant*innen konvergierten, entstand eine Diskussion über die Situation von Migrant*innen. Hierfür schien der Begriff Rassismus für die damaligen Verhältnisse und unter Betrachtung des Holocaust unangemessen und stelle die Singularität des Holocausts in Frage, weswegen man sich durch Begriffe wie Ausländerfeindlichkeit sowie Fremdenfeindlichkeit behalf (Vgl. Terkessidis 2004: 13).
Gegen die Verwendung des Terminus Rassismus anstelle des Begriffs Ausländerfeindlichkeit wurde angebracht, dass es sich bei den Immigrierten nicht um eine andere „Rasse“ handle. Allein diese Argumentation gründet auf der Vorstellung tatsächlich existenter „Rassen“. Die Präsenz des Rasse-Diskurses ist somit die Vorbedingung, um überhaupt von Rassismus sprechen zu können.
Als Beispieldefinition lässt sich hier die Erklärung der Bundeszentrale für Politische Bildung anführen:
„Rasse ist ein biologischer Begriff, der darauf verweist, dass es von einer Spezies oder Gattung (z. B. dem Menschen) mehrere verschiedene Arten oder Rassen gibt, die sich durch vererbliche äußerliche Merkmale unterscheiden lassen.
Der (politische, soziale) Rassismus nimmt diese äußerlichen Merkmale auf, überhöht sie in Bezug auf die eigene Rasse und wertet sie in Bezug auf andere Rassen ab; er fördert damit das Überlegenheitsgefühl und erzeugt Vorurteile, Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber anderen Rassen. Alle Formen des Rassismus übersehen (bzw. leugnen), dass
1. die Spezies Mensch zwar über bestimmte erblich erworbene Anlagen verfügt, die aber immer in der (politischen, sozialen, ökonomischen) Umwelt geformt werden und
2. die Unterschiede innerhalb einer Rasse größer sind, als die Unterschiede zwischen den Rassen.“ (Schubert/Klein 2016)
Hieraus ist erkennbar, dass sich die Definition auf die Existenz von Menschenrassen bezieht. Daher ist diese Auslegung des Begriffes unangemessen (vgl. Kap. 2.2 Die Konstruktion von Rasse). Eine andere Definition, die ein weitgefassteres Verständnis von Rassismus aufweist, konkretisiert Rassismus wie folgt:
„Rassismus ist, wenn Menschen ungerecht oder intolerant behandelt werden, gedemütigt, beleidigt, bedroht oder an Leib und Leben gefährdet werden aufgrund einer der folgenden Merkmale:
- bestimmte körperliche Merkmale (wie Hautfarbe, Aussehen, Behinderung etc.)
- ethnische Herkunft oder Staatsangehörigkeit
- bestimmte kulturelle Merkmale (wie Sprache oder Name)
- religiöse Zugehörigkeit“ (Eckmann/ Eser Davolio/ Wenker 2002)
Eine Definition, die sich beispielhaft für die klassische Form des Rassismus anführen lässt, findet sich in der „Stellungnahme zur Rassenfrage“ der UNESCO:
„[...] Rassismus ist der Glaube, dass menschliche Populationen sich in genetisch bedingten Merkmalen von sozialem Wert unterscheiden, so dass bestimmte Gruppen gegenüber anderen höherwertig oder minderwertig sind. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, mit dem dieser Glaube gestützt werden könnte [...].“ (Seidler et. al 1995: 2)
2.2 Die Konstruktion des Rassebegriffs
Die Verwendung des Wortes „Rasse“ findet sich in wenigstens drei unterschiedlichen Diskursen. Der Begriff taucht in der Wissenschaft, vor allem im sozialwissenschaftlichen und im biologischen (bzw. im genetischen) Diskurs sowie im Alltagsdiskurs auf und findet auch im Politischen Verwendung. (vgl. Miles 1992: 94)
Die Herausbildung der im Alltagsdenken immer noch gängigen Differenzierung in unterschiedlich farbige „Menschenrassen“ ist auf die obsolete Unterteilung in der Biologie zurückzuführen, in der Menschengruppen aufgrund divergenter physischer Charakteristika wie beispielsweise der Augen-, Haut- und Haarfarbe in „Rassen“ klassifiziert wurden. Mittlerweile wird in der Biologie dieses Unterscheidungskriterium nicht mehr verwendet, da es keine wissenschaftliche Rechtfertigung für diese Klassifizierung durch phänotypische Merkmale gibt. Die gegenwärtig gängige Methode der Unterscheidung ist die Erforschung der Abundanz bestimmter Genkombinationen in einer Bevölkerungsgruppe. Obwohl sich das wissenschaftliche Vorgehen bei der Unterscheidung zweifellos nicht mehr der phänotypischen Differenzen bedient, sondern der genetischen Varianz, bestand in der Biologie lange kein Konsens darüber, ob sich dies auch in der wissenschaftlichen Terminologie wiederspiegeln müsse, beziehungsweise inwiefern durch Genvariation definierte Menschengruppen als „Rassen“ benennbar seien oder nicht. (vgl. Miles 1982: 18f.; Kalpaka/Rätzel 1994: 12f.).
Zweifellos gibt es aus gegenwertiger wissenschaftlicher Perspektive keine Rechtfertigung dafür, den Begriff „Rasse“ zu verwenden.
Eine hier übereinkommende Stellungnahme einer Arbeitsgruppe von 18 internationalen Wissenschaftlern wurde im Juni 1995 auf einer Konferenz im österreichischen Schadtschlaining verfasst. Im Zuge der Konferenz "Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung", zu der die UNESCO sowie die Universität Wien einluden, veröffentlichte der Arbeitskreis unter der Leitung des Wiener Anthropologen Prof. Dr. Horst Seidler eine „Stellungnahme zur Rassenfrage“, in der es heißt:
„Das Konzept der "Rasse" [...] ist völlig obsolet geworden. Dessen ungeachtet ist dieses Konzept dazu benutzt worden, gänzlich unannehmbare Verletzungen der Menschenrechte zu rechtfertigen. Ein wichtiger Schritt, einem solchen Missbrauch genetischer Argumente vorzubeugen, besteht darin, das überholte Konzept der "Rasse" durch Vorstellungen und Schlussfolgerungen zu ersetzen, die auf einem gültigen Verständnis genetischer Variation beruhen, das für menschliche Populationen angemessen ist. [...] Die neuen wissenschaftlichen Befunde stützen nicht die frühere Auffassung, dass menschliche Populationen in getrennte "Rassen", [...] klassifiziert werden könnten. Im Einzelnen können zwischen den menschlichen Populationen, einschließlich kleineren Gruppen, genetische Unterschiede festgestellt werden. Diese Unterschiede vergrößern sich im allgemeinen mit der geographischen Entfernung, doch die grundlegende genetische Variation zwischen Populationen ist viel weniger ausgeprägt. Das bedeutet, dass die genetische Diversität beim Menschen gleitend ist und keine größere Diskontinuität zwischen den Populationen anzeigt. [...] Darüber hinaus hat die Analyse von Genen, die in verschiedenen Versionen (Allelen) auftreten, gezeigt, dass die genetische Variation zwischen den Individuen innerhalb jeder Gruppe groß ist, während im Vergleich dazu die Variation zwischen den Gruppen verhältnismäßig klein ist.“ (Seidler et. al 1995: 1)
Weiter heißt es in der Stellungnahme, dass nach wissenschaftlicher Erkenntnis und Verständnis die Gruppierung von Menschen durch die Zuweisung genetisch differenzierter Faktoren eindimensional sei und die Hervorbringung grenzenloser Listen zu missleitenden und willkürlichen sozialen Vorstellungen und Wahrnehmungen führe. Über dies gäbe es keine plausiblen Belege einer „rassistischen Verschiedenheit“ in Bezug auf motivationale, emotionale, psychologische und Verhalten betreffende Eigenschaften oder der Intelligenz, welche unabhängig von kulturellen Faktoren sei (vgl. Seidler et. al 1995: 2)
Das Dokument weist nachdrücklich darauf hin, dass es keinen wissenschaftlich reliablen Weg gibt, die Vielfalt des Menschen mit obsoleten Begriffen des traditionellen „Rasse“-Konzeptes oder durch „rassische“ Kategorien zu charakterisieren. „Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff „Rasse“ weiterhin zu verwenden“ (ebd.).
„Menschenrassen“ existieren also nicht, sondern sind das Resultat sozialer Zuschreibungen von angenommenen, fiktiven natürlichen Eigenschaften und Merkmalen einer als vermeintlich homogen betrachteten Gruppe. „Rasse“ steht demnach für eine Naturalisierung von Unterschieden, die sozial bedingt und künstlich erzeugt sind (vgl. Heitmeyer 2005: 13 ff.).
Dies bedeutet aber nicht, dass im Umkehrschluss Rassismus nicht existent ist. Rassismus wird durch die soziale Konstruktion von bestimmten Menschengruppen als „Rasse“ bedingt, in denen bestimmte reale oder fiktive physische Merkmale als Kennzeichnung einer Gruppe definiert und diese somatischen Merkmale mit gewissen Lebensweisen und Verhaltensweisen verknüpft werden. (vgl. Kalpaka/ Rätzel 1994: 13).
Vergleicht man Zuschreibungen fiktiver biologischer Differenzierungen sind die Tatsachen biologischer Differenzierungen, so sin erstere in der Alltagswelt von primärerer Bedeutung. Der Prozess, in dem reale oder fiktive phänotypische Merkmale mit sozialen Verhaltensweisen assoziiert werden und diese als natürliches Abstammungsresultat interpretiert werden, bezeichnet der britische Soziologe und Politikwissenschaftler Robert Miles (1989: 356) als „Rassenkonstruktion“. Hier festigt sich die Vorstellung, dass es sich bei der Konstruktion von „Rasse“ um die Beschreibung von angeborenen und „natürlichen“ Eigenschaften handle. Phänotypische Charakteristika werden mit zugeschriebenen Eigenschaften gekoppelt, so dass körperliche Merkmale wie Körperbau und Hautfarbe o.ä. zum „Indiz“ auf generalisierte Charaktereigenschaften werden (vgl. Kalpaka/ Rätzel 1994: 13f).
Die Elemente der „Rassenkonstruktion“ von Miles wurden später aus Fachkreisen hinsichtlich ihrer Unvollständigkeit bemängelt und ergänzt. Mit Blick auf die Elemente der „Rassenkonstruktion“, die nicht nur auf somatische Merkmale zu reduzieren sind, sondern auch durch sprachliche Akzente oder das Tragen eines Kopftuches Identifikationsprozesse bewirken können, wurden die betreffenden Kennzeichen durch die Soziologin Colette Guillaumin entscheidend erweitert.
Sie bezieht in den von ihr beschriebenen „Bedeutungskern der Rasse“ neben den körperlichen Charakteristika auch soziale, symbolische und geistige, sowie imaginäre Kennzeichen mit ein (vgl. Terkessidis 2004: 82).
Soziale Kennzeichen beziehen sich hierbei auf die faktischen Charakteristika, die nicht von der Bezeichnung und Wahrnehmung von Bevölkerungsgruppen loszulösen sind, wie beispielsweise das Sprechen einer bestimmten Sprache oder materielle Kulturprägungen, von Ernährung und Kleidung, bis hin zu Musik (vgl. Guillaumin 1998: 167).
Symbolische und geistige Kennzeichen, denen Guillaumin bei der Wahrnehmung von „Rasse“ einen ähnlich bedeutenden Stellenwert wie den physiologischen Merkmalen zumisst, schließen politische und lebensweltliche Praktiken sowie religiöse und kulturelle Haltungen mit ein (vgl. ebd.).
Neben den Elementen, haben (fiktive) Vorabannahmen, die als Deutung von eigentlich realen Ereignissen und Fakten zu irrealen Elementen transformiert werden, ebenso eine Relevanz bei der Konstruktion von „Rasse“. Hier werden Menschengruppen beispielsweise außerordentliche Veranlagungen oder gar übersinnliche Macht zugesprochen[1] (vgl. ebd.).
Dieser von Guillaumin erweiterte „Bedeutungskern der Rasse“ weisen zahlreiche neue Konstruktionszugänge auf. So hat sich der Zugang durch die somatischen Kennzeichen über den Begriff der Kultur, der mittlerweile als gleichrangiges Kriterium bei der Konstruktion von Rasse betrachtet werden kann, erweitert. Mittlerweile wird der Begriff der Kultur ebenso als biologisches, unveränderliches Kennzeichen von Menschengruppen verstanden und dient häufig als Synonym für den obsoleten „Rassebegriff“ (vgl. Volgmayr 2018: 33).
Wie beim klassischen Rassismus dient dieser sogenannte Kulturrassismus genauso dazu, politische, kulturelle und wirtschaftliche Macht- und Dominanzverhältnisse zu legimitieren. Werden zum Beispiel (traditionelle/ deutsche/ christliche) Lebensweisen der Mehrheitsgesellschaft als vorbildlich symbolisiert, kann dies eine Forderung nach „Anpassung“ von anderen zur Folge haben (vgl. Voß 2015).
3. Rassismus in Deutschland
Rassismus findet seinen historischen Ursprung in der Kolonialisierung Südamerikas, Indiens und Afrikas. Durch die Versklavung von zahllosen Menschen, die zum Abbau gewinnbringender Rohstoffe in den annektierten Gebieten genötigt und zur Unterwerfung gezwungen wurden, festigte sich in den europäischen Ländern das Gefühl von zivilisatorischer und moralischer Vorherrschaft der „weißen Rasse“. Die Vorstellung der genetisch bedingten Vormachtstellung erfuhr nicht zuletzt ihren Höhepunkt in Deutschland im Nationalsozialismus, geprägt durch seine Vernichtungspolitik (vgl. bpb 2012). Im August 1992 erfuhr Nachkriegsdeutschland durch das rassistische Pogrom in Rostock Lichtenhagen sowie durch die rassistischen Angriffe und Belagerungen 1991 im sächsischen Hoyerswerda und 1992 in Mannheim eine bis dato einzigartige Anerkennung rassistischen Handelns und einer rassistischen Grundhaltung, welche unverhohlen in der Öffentlichkeit zum Ausdruck kam. Begleitet wurden die Vorfälle Anfang der 1990er deutschlandweit von mehreren Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte, Wohnhäuser und steigenden Übergriffen. Konträr zur beständigen Annahme, es handle sich um ein „ostdeutsches Phänomen“ wurden die häufigsten und gravierendsten Brandanschläge, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen, sowie Übergriffe auf Migrant*innen, Obdachlose oder politisch Linke in den alten Bundesländern verübt (vgl. AG wider den rassistischen Mob 2012).
Rassistische Hetze gegen Migrant*innen und Flüchtlinge im öffentlichen Raum findet sich auch in den darauffolgenden Jahren zahlreich. Die Mord- und Anschlagsserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU), die 13 Jahre lang unentdeckt blieb, verdeutlicht erneut, welche Konsequenzen menschenfeindliche und rassistische Ideologie im Extremfall haben kann. Aus Dokumentationen der Untersuchungsausschüsse zu den Taten des NSU – der zwischen den Jahren 2000 und 2007 acht Männer türkischer Herkunft, einen griechisch stämmigen Mann sowie eine deutsche weiße Polizistin ermordeten, zahlreiche Bankraube und zwei Bombenanschläge begingen – geht das Versagen und diverse Fehltritte verschiedener Polizeibehörden und dem Verfassungsschutz aufgrund von institutionell verankertem Rassismus hervor. Die ermittelnden Behörden gingen bei dem Versuch, die Morde aufzuklären, zahlreichen Hinweisen auf rassistisch motivierte Hintergründe nicht nach und veranlassten keine weiteren Ermittlungen in diese Richtung (vgl. Hieke 2016: 8; Amnesty International 2016: 9) Der Verfassungsschutz behinderte teilweise sogar die Ermittlungen „motivierterer“ Polizeibeamter und ließ u.a. Akten verschwinden oder gab diese nicht heraus.
Die Gewaltbereitschaft der rechten Szene wurde Jahrelang sträflich verharmlost, sowohl von der Öffentlichkeit als auch von den Behörden. Noch immer sind Opfer rassistischer Gewalt sowie ihre Angehörigen konfrontiert mit Ignoranz und Unterstellungen, welche zu nicht angemessenen Ermittlungen seitens der Polizei oder der Nichtbeachtung und -benennung rassistischer Motive im gerichtlichen Prozess führen (vgl. Amnesty International 2016: 9). Das Phänomen des Rassismus und der Menschenfeindlichkeit ist aber kein Phänomen das nur am rechten Rand der Gesellschaft zu erfassen ist (vgl. hierzu ebenfalls Kapitel 5 und 6). Beispielhaft ist unter anderem die Popularität Thilo Sarrazins, der im Jahr 2010 mit der Veröffentlichung seines Buches „Deutschland schafft sich ab“ zu einer gewissen Gesellschaftsfähigkeit von rassistischen Parolen in der Bundesrepublik beitrug (vgl. Dernbach 2013).
Auch das Erstarken der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) oder die seit Ende 2014 erschreckend angewachsene Bereitschaft zur Beteiligung an rassistischen Demonstrationen, wie sie PEGIDA und Co. veranstalten, verdeutlichen, dass die Abgrenzungen „zwischen dem organisierten Rechtsextremismus und dem sogenannten Alltagsrassismus innerhalb der Gesamtbevölkerung [zunehmend] verschwimmen [...]“ (Hieke 2016: 6). Aus der „Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle“, dokumentiert von der Amadeu Antonio Stiftung in Zusammenarbeit mit PRO ASYL, geht hervor, dass allein von Januar 2015 bis Juni 2016 insgesamt 552 (2014: 153/ 2013: 58 vgl. Mut-gegen-rechte-Gewalt 2016) An- und Übergriffe auf Asylunterkünfte verzeichnet wurden. Hierbei handelte es sich bei 77 (2014: 35 vgl. ebd.) Fällen um Brandanschläge auf sich in Planung befindliche Einrichtungen sowie bewohnte Asylbewerber*innenheime und in 475 Fällen um Angriffe durch Schüsse, rechte Schmierereien oder Stein- und Böllerwürfe (vgl. ebd.). Die interne Statistik des BKA zur Erfassung von „Politisch Motivierter Kriminalität“ (PKM) zählt mittlerweile sogar 1376 Straftaten gegen Asylunterkünfte im Zeitraum vom 1. Quartal 2015 bis zum 1. Quartal 2016 (vgl. Bundeskriminalamt 2016, 7).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: vgl. Straftaten gegen Asylunterkünfte (BKA 2016: 7)
Im Vergleich der ersten beiden Quartale von 2015 und 2016 zeigen sich der massive Anstieg und die neuen Dimensionen rassistisch motivierter Gewalt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Flüchtlingsfeindliche Vorfälle im ersten Halbjahr 2015/16 (vgl. Amadeu Antonio Stiftung 2016 (1))
Bernd Palenda, Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, warnt nun vor dem Hintergrund der kontinuierlich steigenden Zahlen der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte vor einer neuen Form des Rassismus, der in Teilen der Gesellschaft inzwischen alltäglich und akzeptiert sei. Auch die Bereitschaft zur Gewalt sei gestiegen. Zwar spielten rechtsextreme Vereinigungen oder Parteien wie beispielsweise die NPD (u.a. bei der Organisation von Kundgebungen vor Asylbewerber*innenunterkünften) nach wie vor eine relevante Rolle, rassistische Gewalttaten oder Äußerungen würden jedoch ebenfalls von Personen aus der gesellschaftlichen Mitte verübt werden, die nicht eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zugewiesen werden könnten (vgl. Anker/Kraetzer 2016) . jaNähere Ausführungen hierzu finden sich in den Kapiteln 5: „Extremismustheorie und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und 6: „Die Mitte und die ‚Flüchtlingskrise’“.
3.1 Formen rassistischer Diskriminierung in Deutschland
Phänomene der ethnischen Diskriminierung gehören für Betroffene wie Geflüchtete, Migrant*innen oder People of Colour[2] in Deutschland zum Alltag. Repräsentativerhebungen und Forschungen der letzten Jahre verwiesen auf eine weitverbreitete Zustimmung in der deutschen Bevölkerung bezüglich rassistischer Vorurteile, insbesondere gegen Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. Forschung „Deutsche Zustände“). Auch auf institutioneller Ebene ist eine Determination der Ausgrenzung festzustellen (vgl. Forum Menschenrechte 2007: 5ff.).
Der Begriff der institutionellen bzw. strukturellen Diskriminierung oder des Rassismus versteht sich als Ergebnis sozialer Prozesse. Die Ursache wird hier durch den Terminus ‚institutionell’ in gesellschaftlichen Organisationsstrukturen lokalisiert und bezieht sich auf die konstante unbeabsichtigte und/oder vorsätzliche Benachteiligung bestimmter Menschen, beispielsweise durch das Behörden- und Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen, bei der Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik oder durch die Polizei und deren Anwendung und Auslegung von Vorschriften gegenüber Betroffenen (Vgl. Gomolla 2005, 57). Diese Art des Rassismus ist durch seine routinierten alltäglichen Verfahren so selbstverständlich und gewohnt geworden, das er durch seine unterschwellige Art nur schwerlich zu demaskieren ist und er daher nicht so leicht zu erfassen bzw. ihm entgegenzuwirken ist, wie offener rassistischer Diskriminierung (Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes – Fragen und Antworten zu Rassismus 2014). Nach der Definition von Joe R. Feagin und Clairece Feagin (1986) wird diese Form des Rassismus unterschieden in direkte und indirekte institutionelle Diskriminierung. Unter Ersterem werden die regelmäßigen Handlungen in Organisationen verstanden, von gesetzlich-administrativen Regelungen bis hin zu informell routiniert abgesicherten Praktiken. Indirekte institutionelle Diskriminierung bezieht sich vor allem auf die gesamte Palette institutioneller Vorkehrungen, durch die gewisse Gruppen, beispielsweise ethnische Minderheiten, unverhältnismäßig oft negativ betroffen sind (vgl. Gomolla 2005: 57ff). Institutioneller Rassismus wird definiert als
„kollektive[s] Versagen einer Organisation, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Kultur oder ethnischen Herkunft eine angemessene und professionelle Dienstleistung zu bieten. Er kann in Prozessen, Einstellungen und Verhaltensweisen gesehen und aufgedeckt werden, die durch unwissentliche Vorurteile, Ignoranz und Gedankenlosigkeit zu Diskriminierung führen und durch rassistische Stereotypisierungen, die Angehörige ethnischer Minderheiten benachteiligen. Er überdauert aufgrund des Versagens der Organisation, seine Existenz und seine Ursachen offen und in angemessener Weise zur Kenntnis zu nehmen und durch Programme, vorbildliches Handeln und Führungsverhalten anzugehen. Ohne Anerkennung und ein Handeln, um solchen Rassismus zu beseitigen kann er als Teil des Ethos oder der Kultur der Organisation weit verbreitet sein.“ (Macpherson of Cluny, 1999; Übersetzung Gomolla 2005: 58)
Verbunden mit diesem institutionellen Rassismus geht eine stetige Exklusion einher. Zu deklarieren sind hier unter anderem die Verfahrensweisen und Mechanismen des Asyl-, Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts. Dieser exkludierende strukturelle Rassismus betrifft vor allem Menschen mit „anderer“ Herkunft. Asylsuchende, Migrant*innen, Ausländer*innen und People of Colour, die keine deutsche Staatsangehörigkeit aufweisen, müssen aufgrund ihres Rechtsstatus eine Anzahl von Deprivationen akzeptieren. Sie sind benachteiligt bei der Ausübung bestimmter Grundrechte, beim Zugang zum Arbeitsmarkt, bezüglich des Aufenthaltsrechts sowie beim Zugang zur sozialen Sicherung, der kulturellen Teilhabe und sie sind nicht paritätisch gegenüber Menschen mit deutschem Pass.
Auf der kulturellen Ebene beispielsweise wird institutioneller Rassismus damit einhergehende Ausgrenzungsmechanismen durch die soziale Konstruktion des „Andersseins“ sichtbar. Dies geschieht vor allem über die Differenzierung zwischen der „Eigen“- und der „Fremd“- Gruppe sowie der Distanzierung von Normen und Werten der ausländischen, nicht-westlichen Kultur oder auch dem Islam zugeschriebenen Werten gegenüber der sogenannten vorherrschenden Leitkultur (vgl. Forum Menschenrechte 2007: 5ff.).
Ein weiterer wesentlicher Bereich der Exklusion wird vor allem in der Ausbildung und im Bildungswesen deutlich. In Bezug auf mögliche Fördermöglichkeiten machen Schulorganisationen, vor allem das Sekundarschulsystem – angesichts des primären Ziels konvergierende Lerngruppen zu bilden im alltäglichen Differenzierungs- und Selektionsprozess systematisch von Attribuierung im Sinne von der soziokultureller und sprachlicher Sozialisation als Indikator für die Lern- und Leistung Gebrauch (vgl. Gomolla 2005: 57ff). Hinsichtlich der nicht zu leugnenden Tatsache der Ungleichbehandlung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund – die trotz gleich erbrachter Leistung schlechter beurteilt werden und denen seltener Empfehlungen für den Besuch eines Gymnasiums ausgesprochen werden (vgl. hierzu die Pisa-Studie von 2012 und den Bildungsbericht der OECD - Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von 2014) – äußerte der UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Bildung, Venor Munos 2006 nach einem Deutschlandbesuch die Befürchtung, „dass [das deutsche Schulsystem] selektiv ist und zu einer Form der De-facto-Diskriminierung [von Kindern mit Migrationshintergrund] führen könnte“ (UN-Rat für Menschenrechte 2006: 2). Durch das Schulsystem sei eine angemessene Beurteilung der Schüler*innen in der Sekundarstufe I stattfindenden Auswahlprozess nicht möglich und habe statt inkludierender eher eine exkludierende, negative Wirkung (vgl. ebd.). Selbst bei guten Leistungen werde verstärkt auf den Besuch einer Haupt- oder Realschule plädiert und dies mit der Begründung gerechtfertigt, dass ohne perfekte deutsche Sprachkenntnisse ein Erfolg auf dem Gymnasium nicht möglich sei. Auch auf Basis kulturalisierender defizitperspektivischer Annahmen bezüglich der Unterstützungsmöglichkeit seitens der Eltern wird gegen eine Weiterempfehlung argumentiert (vgl. Gomolla 2005: 255).
Struktureller Rassismus wird vor allem auch beim Chancenunterschied in der Ausbildungsplatzsuche deutlich. Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im operativen Wettbewerbsverfahren durch noch immer vorherrschende kulturhomogene Stereotype und Fragestellungen benachteiligt. Diese Ausgrenzung findet auch auf dem Arbeitsmarkt statt. Hier belaufen sich vor allem die Nachteile auf die Nichtintegration in den Arbeitsmarkt, was sich dementsprechend im überdurchschnittlichen Armutsrisiko bei erwerbsfähigen Personen mit Migrationshintergrund widerspiegelt. Die im Februar 2010 erschienene Studie „Ethnic Discrimination in Germany’s Labour Market: A Field Experiment“ des Instituts zur Zusammenkunft und Arbeit zeigte auf, dass allein durch die Angabe eines türkisch klingenden Namens bei einem Bewerbungsschreiben die Aussicht auf ein Vorstellungsgespräch trotz identischer Qualifikation um bis zu einem Viertel reduziert wird (vgl. Kaas/ Manger 2011: 7; Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2014).
Waren Migrant*innen laut den Ergebnissen des Mikrozensus im Jahr 2009 nahezu doppelt so oft erwerbslos wie Personen ohne Migrationshintergrund (vgl. Statistisches Bundesamt 2009: 8), so sind laut dem aktuellen Bericht des Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, die Beschäftigungsquoten der Bürger mit Migrationshintergrund in der Bundesrepublik in den vergangenen fünf Jahren zwar gestiegen – dennoch kann von einer Egalisierung zu Personen ohne Migrationshintergrund hier keinesfalls die Rede sein. Durch die zunehmende Geflüchtetenmigration im vergangenen Jahr werden sinkende Beschäftigungsquoten und inkrementell ansteigende Arbeitslosigkeit der ausländischen Bevölkerung prognostiziert (vgl. Brücker/ Hauptmann/ Vallizadeh 2015: 1).
3.2 Rechtlicher Schutz vor institutionellem und strukturellem Rassismus
Zum Schutz vor institutionellem Rassismus trat am 18. August 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, dessen Ziel es ist, Diskriminierungen und Benachteiligungen aufgrund der ethnischen Herkunft, rassistischer Diskriminierung, des Geschlechts, der Weltanschauung oder Religion, wegen Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern und Begünstigungen vorzubeugen (Vgl. § 1 AGG; Merx/ Vassilopoulou: 1). Das AGG legt seinen Fokus hauptsächlich auf das Arbeitsrecht (Vgl. § 2 AGG) und ist das Resultat eines langwierigen Prozesses, welcher Ende der 1990er Jahre auf EU-Ebene begann.
In Anbetracht des Erstarkens von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in der Europäischen Union zu Beginn der 1990er Jahre, dem fortschreitenden Anwachsen rechter Parteien und Gruppierungen und hinsichtlich der anstehenden EU-Osterweiterung, erachtete die europäische Union eine Ausweitung des bisher bestehenden Diskriminierungsschutzes für zwingend nötig. Um die fundamentale Bedeutung des Gleichbehandlungsgebotes zu festigen und um eine maßgebliche Ausdehnung des individuell ausgestalteten Rechtsschutzes bei Ausgrenzung in allen Gebieten vorzunehmen, verabschiedete die EU in den Jahren 2000 bis 2004 vier Gleichbehandlungsrichtlinien, die anschließend von ihren Mitgliedstaaten im nationalen Recht verwirklicht wurden. Die Europäische Kommission musste die deutsche Bundesregierung mehrfach anhalten, ihrer Pflicht zur Umsetzung nachzukommen (vgl. Lewicki 2014: 21). Als politisches Ziel der Gleichbehandlung ist der „Kern des Selbstverständnisses“ (Merx/ Vassilopoulou: 1) auszumachen, der Europa im Verständnis einer Wirtschafts- und Wertegemeinschaft sieht und ein Teil des langjährigen Traditionsprozesses im europäischen Integrationsverfahren ist. Zu den Gleichbehandlungsrichtlinien zählt die sogenannte Anti-Rassismus-Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – ohne Unterschied der ethnischen Herkunft oder der „Rasse“, – die Genderrichtlinie und die Rahmenrichtlinie. Grundsätzlich lässt sich die Entwicklung des europäischen Antidiskriminierungsrechts nicht nur als Verbot ethnischer Diskriminierung, sondern auch als Schutz gesellschaftlicher Diversität begreifen (vgl. Merx/ Vassilopoulou: 1; Cremer 2008: 4f.).
Vor dem bereits erläuterten Hintergrund der Konnotation des Begriffs „Rasse“ erscheint die Verwendung dieses Terminus auf EU-Politischer gesetzesebene irritierend. In Bezug auf die Anti-Rassismus-Richtlinie findet sich hierzu folgende Anmerkung:
„Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs „Rasse“ in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien.“ (Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29.06.2000, Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften L 180/22 )
In der Praxis ist die Umsetzung des AGGs von einigen Schwierigkeiten geprägt. Seitens der Betroffenen sind viele Barrieren zu überwinden, um eine zeitnahe Meldung bei erfahrener rassistisch geprägter Diskriminierung zu tätigen. Diskriminierendes Verhalten wird oft als alltägliche Erfahrung erlebt und von Betroffenen häufig selbst nicht bewusst konstatiert oder sie haben gelernt, dass sie keine Handlungsmöglichkeiten haben, um dagegen vorzugehen. Erschwerend hinzu kommt das fehlende Wissen über prozessuale und rechtliche Möglichkeiten nach dem AGG. All dies kann in seiner Gesamtheit bei den Betroffenen zu Resignation, Scham, erlernter Hilflosigkeit, Angst vor weiterer Ausgrenzung und Stigmatisierung, Kriminalisierung, Furcht vor Verlust des Arbeitsplatzes und finanziellen Problemen sowie mangelnde Zuversicht hinsichtlich institutionellen Handelns führen. Die eigene Biografie geprägt durch rassistische, diskriminierende Pein führt oft zu vermeidendem Verhalten im Alltag, wenn nicht sogar zur Isolation, denn jede Form erfahrener Ausgrenzung stellt eine Integrationshemmung dar (vgl. Antidiskriminierungsverband Deutschland: 2 f).
Das AGG stößt auch vermehrt auf Widerstand seitens der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände. Zahlreiche Betriebe und Unternehmen haben zwar die arbeitsrechtlich gestellten Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes umgesetzt, diese aber nur in ihrer rein gesetzlichen Pflichterfüllung realisiert, um so zum einen ihre Pflichten bezüglich ihres Schulungs- und Informationsauftrags als Arbeitgeber*innen einzuhalten und zum anderen rufschädigenden Entschädigungs- und Schadensersatzklagen vorzubeugen. Die notwendige Sensibilisierung für benachteiligende und ausgrenzende Zusammenhänge, sowie die tatsächliche Sicherung einer Chancengleichheit in Bezug auf die Zugang zum Arbeitsmarkt ist durch das AGG alleine nicht gegeben. Tatsächlich haben Arbeitnehmer*innen ohne Flucht- oder Migrationshintergrund im beruflichen Werdegang (in Puncto Aufstiegschancen, Kompetenzübertragungen, Bewerbung oder Entlohnung) bessere Perspektiven und Möglichkeiten, die als „selbstverständlich“ hingenommen werden, da oft das bewusste Wahrnehmen solcher Vorteile fehlt. Dieses Normalitätsverständnis kann u. U. von Rücksichts- und Respektlosigkeiten über Anfeindungen bis hin zu diskriminierenden rassistischen Schikanen führen. Veranschaulicht werden kann dies am Beispiel praktizierender, kopftuchtragender Muslimas, deren Partizipation am Arbeitsmarkt durch erhebliche Schwierigkeiten geprägt ist, welchen aber gleichzeitig ihre hier fehlende Präsenz als mangelnde Integrationsfähigkeit vorgeworfen wird (vgl. Antidiskriminierungsverband Deutschland: 39 f.).
Die Bundesrepublik hat noch einen langen Weg vor sich, wenn es darum geht, ihre ethnisch-kulturelle Vielfalt zu würdigen und wertzuschätzen sowie diskriminierende Verhaltensweisen und Bestimmungen zu verurteilen und zu maßregeln. Die tatsächliche Wahrnehmung ethnische Minderheiten betreffender Diskriminierungen erfolgt meist in Form von körperlicher Gewalt und verbaler Übergriffe durch rechtsorientierte Gruppen. Darüber hinaus wird oft völlig außer Acht gelassen, dass Rassismus und Ausgrenzung schon lange nicht mehr nur kennzeichnend für den „rechten Rand“ sind, sondern zunehmend aus der sog. „gesellschaftlichen Mitte“ kommen. Rassismus, institutioneller sowie struktureller Diskriminierung und jeglichen anderen Formen entgegenzuwirken ist eine stetige gesellschaftliche Aufgabe, die vermehrt in den Fokus gerückt und nicht nur als gesellschaftliche Querschnittsaufgabe, sondern auch als bedeutendes politisches Handlungsfeld gesehen werden muss. Denn nicht zuletzt wird die deutsche Antidiskriminierungspolitik durch die Öffentlichkeit und deren Umgang mit dem Thema im politischen Zusammenhang bestimmt (vgl. Antidiskriminierungsverband Deutschland, 39 f.).
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International veröffentlichte im Mai 2016 ihren neuen Bericht „Leben in Unsicherheit - Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“ und kam zu dem Schluss, dass „der Staat [...] die Menschen in Deutschland nicht vor rassistischen Angriffen“ (Rafael 2016 nach Caliskan 2016) schütze und geflüchtete Menschen in der Bundesrepublik besser geschützt werden müssen, so die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland Selmin Caliskan (Vgl. Rafael 2016).
Auch die Vereinten Nationen sowie der Europarat kritisierten in den vergangenen Jahren Deutschland hinsichtlich seines Umgangs mit Rassismus. Dies ist beispielsweise dem Deutschlandbericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz des Europarates (ECRI) zu entnehmen. Unter anderem wurden Reformen im Strafrecht angemahnt um Taten, denen eine rassistische Motivation vorausgeht, sicherer zu erfassen und strenger zu bestrafen. Ebenfalls nennenswert ist die Forderung nach einer besseren personellen und finanziellen Ausstattung der deutschen Antidiskriminierungsstelle. Der Europarat bedauerte vor allem, „dass durch [...] Rassismus angefeuerte Hassreden selbst in öffentlichen Debatten auftauchen, ohne dass sie immer eindeutig verurteilt werden“ (ECRI 2014: 20) und forderte die Zivilgesellschaft auf, ihrer Pflicht nachzukommen, um konsequenter und offensiver gegen Rassismus vorzugehen (vgl. ebd.: 21). Angespielt wurde hier insbesondere auch auf den Umgang mit den Äußerungen von Sarrazin, der „die Ideologie rassischer Überlegenheit und von Rassenhass verbreitet“ und zu „rassistischer Diskriminierung angestiftet“ (Zumach 2013, siehe auch CERD 2013) habe, so die Bewertung des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD). Das UN-Gremium äußerte zu den von der Staatsanwaltschaft eingestellten Ermittlungen über die Hetze Sarrazins, dass dies einer Verletzung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung gleichkäme. Nach Rechts- und Sachlage wurde von der Generalstaatsanwaltschaft zuletzt bekannt gegeben, dass es bei der Einstellung des Verfahrens geblieben sei (vgl. Dernbach 2013).
4. Rassistische Zuschreibung in der Debatte um Asyl und Flucht
4.1 Medien und Sprache
Sprache ist ein wichtiger Mechanismus für gesellschaftliche Ein- und Ausgrenzungsprozesse. Worte prägen unser Denken und Handeln, hinter ihnen ist weit mehr als ihre reine wörtliche Konnotation verborgen. Dies zu untersuchen war u.a. Aufgabenstellung der Studiengruppe „FremdWort“ der Universität Erfurt, die ihre Ergebnisse 2012 in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) veröffentlichte. Forschungsgegenstand war der sprachliche Umgang regionaler Zeitungen[3] mit der NSU-Mordserie. So führte man beispielhaft den Gebrauch und Einfluss der Bezeichnung „Döner-Morde“ an, welche sich binnen kürzester Zeit in den Medien etablierte, Individuen zu Dönern stilisierte und dabei oft ganz außer Acht ließ, dass hier gezielt Menschen getötet wurden. 2011 wurde diese Bezeichnung zum „Unwort des Jahres“ gewählt, begründet damit, dass mit der sachlichen Unangemessenheit einer stereotypisch-folkloristischen Etikettierung einer von Rechtsterroristen verübten Mordserie ganze Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt und die Opfer diskriminiert werden, indem sie wegen ihrer Herkunft zu einem Imbissgericht reduziert wurden (vgl. Fuchs/Goetz 2012: 183).
Sprache ist ein entscheidender Faktor für die Integration oder Diskriminierung von Gruppen. Für gesellschaftliche und politische Prozesse ist die Macht der Sprache in den Medien von zentraler Bedeutung. Diese haben aufgrund ihrer sprachlichen Vermittlung von Nachrichten und Informationen bei der Prägung von Worten und Bezeichnungen in der Alltagssprache eine bedeutende Schlüsselfunktion (vgl. Addicks et al. 2012: 7ff).
[...]
[1] Als Beispiele hierfür führt Guillaumin u.a. verschwörerische Gedanken an Geheimgesellschaften als auch die Auffassung der Historie als Komplott an.
[2] People of Colour ist eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen Spaltungsversuche durch Rassismus und Kulturalisierung sowie gegen diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weiße Mehrheitsgesellschaft (vgl. Amnesty International 2016: 8 nach Schearer/ Haruna 2013)
[3] In der Studie wurden vier Tageszeitungen aus Hessen und Thüringen auf ihren sprachlichen Umgang hinsichtlich der NSU-Mordserie untersucht: Wiesbadener Tagblatt, Oberhessische Zeitung, Freies Wort und Thüringer Allgemeine.
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- Anna-Serafina Löffler (Author), 2016, Rassismus und Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft. Perspektiven der Intervention für die Soziale Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/342670
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