Einleitung: Der Begriff „New Economy“
Bis zur Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts galten eine zunehmende Arbeitslosigkeit und geringe gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwächse als unausweichliches Schicksal der entwickelten Industriegesellschaften. Ab dem genannten
Zeitraum allerdings wurden die ersten Anzeichen des langanhaltenden Wirtschaftsaufschwungs in den USA sichtbar, die sich in Form des rasanten Wachstums des Internets sowie der Unternehmen zeigte, die eine in irgendeiner Form mit den Informationstechnologien
verbundene Geschäftsidee aufwiesen. Die Aktien-kurse dieser oft sehr jungen Firmen stiegen sehr schnell an, auch wenn sie hohe Verluste auswiesen. Hohe Produktivitätssteigerungen und sogar steigende Reallöhne in niedrigen Einkommensklassen waren beobachtbar. Bereits nach kurzer Zeit wurde ein Name für das Entkommen aus dem Schicksal einer stagnierenden Wirtschaft gefunden: „New Economy“. Die neue Vision beinhaltet, dass neue wirtschaftliche Zusammenhänge gelten: Hohe Wachstumsraten, Vollbeschäftigung und sogar eine mögliche
Überwindung des Konjunkturzyklus’. Bemerkenswert ist, dass dafür von den Arbeitskräften allerdings eine höhere Flexibilität verlangt wird. Außerdem wären staatliche Regulierungen, sozialstaatliche Sicherungssysteme und starke Arbeit-nehmervertretungen eher störend.(1)
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1 Vgl. Editorial, Prokla 122, 2001, S. 2 f.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Der Begriff „New Economy“
2. These von der New Economy
3. Relativierung der Produktivitätszuwächse
4. New Economy – Erklärungsansatz “Neues Produktionsparadigma“
5. Unsichere Kausalitäten im New-Economy-Modell
5.1 Der Investitionen-Gewinn-Nexus
5.2 Der Vermögen-Gewinn-Nexus
5.3 Der Vermögen-Konsum-Nexus
6. Unsicherheiten der empirischen Basis
7. New Economy – Erklärungsansatz “Außenfinanzierter Konsumboom“
8. Auswirkungen der Internetökonomie auf die deutsche Wirtschaft
9. Zusammenfassung
Abbildungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung: Der Begriff „New Economy“
Bis zur Mitte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts galten eine zunehmende Arbeitslosigkeit und geringe gesamtwirtschaftliche Produktivitätszuwächse als unausweichliches Schicksal der entwickelten Industriegesellschaften. Ab dem genannten Zeitraum allerdings wurden die ersten Anzeichen des langanhaltenden Wirtschaftsaufschwungs in den USA sichtbar, die sich in Form des rasanten Wachstums des Internets sowie der Unternehmen zeigte, die eine in irgendeiner Form mit den Informationstechnologien verbundene Geschäftsidee aufwiesen. Die Aktien-kurse dieser oft sehr jungen Firmen stiegen sehr schnell an, auch wenn sie hohe Verluste auswiesen. Hohe Produktivitätssteigerungen und sogar steigende Reallöhne in niedrigen Einkommensklassen waren beobachtbar. Bereits nach kurzer Zeit wurde ein Name für das Entkommen aus dem Schicksal einer stagnierenden Wirtschaft gefunden: „New Economy“. Die neue Vision beinhaltet, dass neue wirtschaftliche Zusammenhänge gelten: Hohe Wachstumsraten, Vollbeschäftigung und sogar eine mögliche Überwindung des Konjunkturzyklus’. Bemerkenswert ist, dass dafür von den Arbeitskräften allerdings eine höhere Flexibilität verlangt wird. Außerdem wären staatliche Regulierungen, sozialstaatliche Sicherungssysteme und starke Arbeit-nehmervertretungen eher störend.[1]
Im allgemeinen ist für eine schnelle und nachhaltige Verbreitung eines Begriffs die Füllung desgleichen mit vielfältigen Bedeutungen förderlich. Für den Begriff „New Economy“ lassen sich die folgenden Bezugsgebiete anführen:
(1) Die Zuordnung zu jenen Wirtschaftszweigen, in denen auf das Internet bezogene Informationstechnologien entwickelt, hergestellt und angewendet werden,
(2) Die durch die zunehmende Nutzung der Informationstechnologien resultierenden Produktivitätssteigerungen auf makroökonomischer Ebene und das dauerhaft hohe und inflationsneutrale Wirtschaftswachstum,
(3) Neue Formen von Unternehmen, die schnelle und risikoreiche Wachstums-strategien verfolgen und sich dadurch den klassischen Bewertungsmethoden entziehen,
(4) Neue Arbeits- und Entlohnungsformen, insbesondere projektbezogenes Arbeiten, externer Qualifikationserwerb und eine steigende Bedeutung der Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmen, z.B. in Form von Aktienoptionen,
(5) Die zunehmende Bedeutung von Wissen und Information für die Produktion, die bedeutendere Stellung der Kapitalmärkte sowie die Deregulierung ökonomischer Verhältnisse.
Die genannten Zusammenhänge, in denen der Begriff New Economy seine Bedeutung findet, stellen ein Refugium verschiedener Thesen dar. Bei Befürwortern wie Kritikern der These eines neuen kapitalistischen Zeitalters besteht Einigkeit darüber, dass eine neue Branche der Informations- und Kommunikationstechnologien entstanden ist. Dabei waren und sind zwei Faktoren von besonderer Bedeutung.
Zum einen ermöglicht die kontinuierliche und schnell steigende Leistungsfähigkeit mikroelektronsicher Komponenten sinkende Kosten für die Verarbeitung und Übertragung von Informationen, was zu einer anhaltenden Ausdehnung der technischen Möglichkeiten führt. Es kommt außerdem zu einer Verkürzung im Lebenszyklus von Produkten sowie Prozesstechnologien.
Der zweite Faktor begründet sich durch das Vorantreiben von Netzwerkexternalitäten. Da der Nutzen eines Netzwerks oder einer Software mit der Anzahl der Nutzer steigt, ergibt sich ein Wettbewerb um die Schaffung des größten Netzes bzw. um die Standards für die Software und Übertragungsprotokolle, da die Gewinner hohe Monopolgewinne erwarten können.[2]
Kontovers ist dagegen, ob diese Branchenkonjunktur die bisherigen Funktionsweisen des Kapitalismus, insbesondere bezüglich ihrer Auswirkungen auf den Finanz- und Arbeitsmarkt, verändert hat.
Die These eines neuen „goldenen“ Zeitalters sollte zunächst am Ursprungsland USA überprüft werden. Dabei ist zu untersuchen, ob tatsächlich ein schlüssiger Zusammenhang zwischen der Expansion des IT-Sektors, einer höheren Produktivität sowie eines steigenden Wohlstands besteht.
Weiterhin ist zu analysieren, in welchem Maße die einzigartige Position der USA in der Weltwirtschaft eine singuläre, d.h. eine nicht ohne weiteres auf andere Volkswirtschaften übertragbare Entwicklung vollzieht.
Außerdem gilt es zu beurteilen, inwiefern die langfristige Stabilität der Volkswirtschaften beeinflusst wird.
Sodann soll untersucht werden, inwieweit Auswirkungen der IT-Expansion auf die deutsche Volkswirtschaft zu erkennen sind.
Mit seiner Rede vor dem US-amerikanischen Kongress im Juli 1996 verhalf der Vorsitzende des US-amerikanischen Zentralbankrates, Alan Greenspan, dem Begriff der „New Economy“ zu allgemeiner Bekanntheit. Als Begründung für den Verzicht einer Zinserhöhung trotz rückläufiger Arbeitslosigkeit führte Greenspan an, dass die hohen Produktivitätszuwächse eine Erhöhung der Preise verhindere, die normalerweise durch einen hohen Beschäftigungsgrad hervorgerufen werden. Er vertrat die Auffassung, dass die Preisstabilität auch bei einer deutlich geringeren Arbeitslosigkeit gewahrt bleiben kann. Da es sich um einen neuen Zusammenhang handele, sei es berechtigt, von einer New Economy zu sprechen. Überdies betonte er, dass die Hauptursache für die Produktivitätssteigerung neben der größeren internationalen Konkurrenz vor allem die Technologiesprünge in der Informationsbearbeitung sind.[3]
Die folgenden Betrachtungen werden sich an der durch Greenspan angesprochenen makroökonomischen Verwendung des Begriffes „New Economy“ orientieren. Es soll die These überprüft werden, wonach die New Economy aufgrund hoher Produktivitäts-zuwächse ein dauerhaft höheres inflationsneutrales Wirtschaftswachstum zulässt.
2. These von der New Economy
Im Kern der These von der New Economy wird behauptet, dass sich seit der Mitte der 1990er Jahre ein Trend höheren, inflationsneutralen Wachstums abzeichnet, der insbesondere auf einer durch die Verbreitung der Informationstechnologien begründeten höheren Produktivitätssteigerung beruht. Eine Bestätigung dieser These kann im ungewöhnlichen US-amerikanischen Konjunkturverlauf gesehen werden. So ist auffallend, dass sich der Verlauf des Aufschwungs in den Jahren 1991 bis 2000 ab dem fünften Jahr von vorhergehenden Aufschwüngen (1961 – 1969 und 1982 – 1990) unterscheidet. Wie aus der Abb. 1 ersichtlich wird, erhöhten sich die Produktivitäts-steigerungsraten weiter. Die Inflation verringerte sich zunächst (Abb. 2), die Unternehmensgewinne gingen nur geringfügig zurück und die Reallöhne stiegen auffällig stark an.
Neben anderen Gründen ist ein wichtiger Grund für die hohe Produktivitätssteigerung am Ende des US-Konjunkturaufschwungs im schnellen Anstieg der informationstechnologischen Kapitalintensität, insbesondere der Ausrüstungen für die Datenverarbeitung zu sehen. Während der in EDV-Ausrüstungen ausgelegte Teil des Kapitalstocks pro Arbeitsstunde in der Periode 1991-1995 um durchschnittlich 16,3% p.a. anstieg, beschleunigte sich der Anstieg in der Periode 1996-1999 auf jährlich 33,7%. Der Einsatz von Software nahm ebenfalls stark zu. Im Vergleich dazu stieg dieser Wert für alle anderen Formen des Kapitalstocks, die 95% des gesamten US-Kapitalstocks ausmachten, in den 90er Jahren pro Jahr um lediglich 0,5%. Die verstärkte Verwendung von Informationstechnologien, zu denen in erster Linie Computer, Software und Kommunikationsausrüstungen gezählt werden, kann die Beschleunigung der Produktivitätssteigerung erklären.[4]
Die Mehrzahl der Vertreter der US-amerikanischen Ökonomie erklärten sich die Wachstumseffekte der späten 90er Jahre unter Anwendung des neoklassischen Wachstumsmodells – es wurde der Begriff eines „neoklassischen Syllogismus“ geprägt. Die Deutung erfolgt in der Weise, dass wirtschaftliches Wachstum nur durch höhere Investitionen beschleunigt werden. Höhere Investitionen werden nur in einem Umfeld niedriger Zinsen realisiert, da die Unsicherheit über die künftige Preisentwicklung im allgemeinen sowie hohe Zinsen im besonderen aus Angst vor unausgelasteten Kapazitäten zur Vermeidung von Investitionen führen.
[...]
[1] Vgl. Editorial, Prokla 122, 2001, S. 2 f.
[2] Vgl. Editorial, Prokla 122, 2001, S. 3.
[3] Vgl. Scherrer, 2001, S. 7 f.
[4] Vgl. Scherrer, 2001, S. 10.
- Citar trabajo
- Steffen Urban (Autor), 2002, New Economy - Phantom oder Wirklichkeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3425