Wohnen als Forschungsfeld
Die Volkskunde hat sich schon früh mit der Hausforschung beschäftigt, also nur indirekt mit dem Wohnen an sich. Es wurden alte, schöne, äußerlich sichtbare Kennzeichen aufgelistet, Baubestand und Inventar untersucht, jedoch nicht deren Funktion für das Wohnen und Zusammenleben.
Mit Georg Landau setzte um1860 die Auseinandersetzung mit und Einordnung von Haustypen ein, die er selbst genetisch auf Urformen der verschiedenen germanischen Stammesgebiete zurückzuverfolgen beabsichtigte. Er sah das Hauptkriterium für die Klassifizierung im Grundriß, da dieser im Vergleich etwa zu Material und Zierformen über längere Perioden hinweg konstant blieb.
Spätestens 70 Jahre danach wurde jene ethnische Theorie ebenso wie eine von Baufachleuten vertretene Konstruktionstheorie zugunsten einer allmählichen funktionalen Einbeziehung der Raumaufteilung aufgegeben. Zuvor allerdings, einhergehend mit der Erforschung der Anthropo- und Dialektgeographie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, richtete man sein Augenmerk bereits auf äußere Faktoren wie natürliche Ausstattung des Umfeldes, Verkehrskreise, Herrschaftsverbände und unterschiedliche Begabung der Volksgruppen, was Technik und Konstruktion anbelangt; das heißt Mensch und Sache war nur im Bereich Produktion aufeinander bezogen. Daran anknüpfend ist Willi Peßler zu nennen, der schon auf das Zusammenwirken von „Material, Konstruktion, Grundriß und Stellung der Feuerstätte“ eingegangen ist. Die Kulturmorphologie fand einen neuen Ansatz in der Frage, wie einzelne Hausformen ausgeprägt sind. Bruno Schier äußerte sich darüber, daß jede Einzelform einen Überlieferungskomplex darstellt, der sich zusammensetzt aus „vielen Einzelteilen verschiedenster Herkunft und verschiedensten Alters“. Im Anschluß an diese isolierte Betrachtung von einzelnen Elementen entwickelte sich nur folgerichtig die sogenannte Gefügeforschung, die die jeweilige „Abhängigkeit untereinander und von der Gesamtkonstruktion“ analysiert.
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Inhaltsverzeichnis
1. Wohnen als Forschungsfeld
2. Quellen
3. geschichtlicher Hintergrund
4. Wohnbereiche
4.1. Stube
4.2. Kammer
4.3. Küche
4.4. Speis
4.5. Fletz
5. Bauformen
5.1. Mittertennbau
5.2. Wohnstallhaus
5.3. Mitterstallbau
5.4. Haus im Oberinntal
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
1. Wohnen als Forschungsfeld
Die Volkskunde hat sich schon früh mit der Hausforschung beschäftigt, also nur indirekt mit dem Wohnen an sich. Es wurden alte, schöne, äußerlich sichtbare Kennzeichen aufgelistet, Baubestand und Inventar untersucht, jedoch nicht deren Funktion für das Wohnen und Zusammenleben.
Mit Georg Landau setzte um1860 die Auseinandersetzung mit und Einordnung von Haustypen ein, die er selbst genetisch auf Urformen der verschiedenen germanischen Stammesgebiete zurückzuverfolgen beabsichtigte. Er sah das Hauptkriterium für die Klassifizierung im Grundriß, da dieser im Vergleich etwa zu Material und Zierformen über längere Perioden hinweg konstant blieb.
Spätestens 70 Jahre danach wurde jene ethnische Theorie ebenso wie eine von Baufachleuten vertretene Konstruktionstheorie zugunsten einer allmählichen funktionalen Einbeziehung der Raumaufteilung aufgegeben. Zuvor allerdings, einhergehend mit der Erforschung der Anthropo- und Dialektgeographie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, richtete man sein Augenmerk bereits auf äußere Faktoren wie natürliche Ausstattung des Umfeldes, Verkehrskreise, Herrschaftsverbände und unterschiedliche Begabung der Volksgruppen, was Technik und Konstruktion anbelangt; das heißt Mensch und Sache war nur im Bereich Produktion aufeinander bezogen. Daran anknüpfend ist Willi Peßler zu nennen, der schon auf das Zusammenwirken von „Material, Konstruktion, Grundriß und Stellung der Feuerstätte“ eingegangen ist. Die Kulturmorphologie fand einen neuen Ansatz in der Frage, wie einzelne Hausformen ausgeprägt sind. Bruno Schier äußerte sich darüber, daß jede Einzelform einen Überlieferungskomplex darstellt, der sich zusammensetzt aus „vielen Einzelteilen verschiedenster Herkunft und verschiedensten Alters“. Im Anschluß an diese isolierte Betrachtung von einzelnen Elementen entwickelte sich nur folgerichtig die sogenannte Gefügeforschung, die die jeweilige „Abhängigkeit untereinander und von der Gesamtkonstruktion“ analysiert. Die Problemstellung hierbei gestaltete sich so differenziert und komplex, daß eine systematische Erforschung des Wohnens noch nicht möglich war. Außerdem wurde der soziologische Aspekt im Vergleich zur heutigen Praxis noch zu sehr vernachlässigt, obwohl selbstverständlich eine objektorientierte Betrachtungsweise erst einmal Voraussetzung ist, um sich eine klare Vorstellung der Situation verschaffen zu können. Warum man damals so sehr darauf bedacht war, die Hauslandschaften zu fixieren, in diesem Sinne zu „retten“, lag eindeutig vornehmlich im Umbruch beim Hausbau: Viel Altes verschwand, und man wollte möglichst viel Dokumentationsmaterial sammeln und auch Inventar aufbewahren. Lange genug ist im übrigen dieser Einseitigkeit intensiv gefröhnt worden, so daß man sich nun umso leichter der Nutzung von Räumlichkeiten zuwenden konnte.[1]
Ein solcher Ansatz kam 1971 bei der Arbeitstagung der Arbeitsgruppe „kulturgeschichtliche Museen in der deutschen Gesellschaft für Volkskunde“ recht deutlich zum Ausdruck. Soziologen, Architekten und Volkskundler beschäftigten sich interdisziplinär mit dem Problem gegenwärtiger Wohnweisen. Dazu mußte erst der Rahmen abgesteckt, das heißt Wohnen als sozialkulturelles Handeln räumlich, zeitlich, sachlich, terminologisch, sozial und funktional differenziert werden, um schließlich die unterschiedlichen Wechselbeziehungen analysieren und vergleichen zu können.[2] Zu berücksichtigen galt vor allem Handlungsträger, -ort und -zeit, die dem Begriff „Wohnen“ eine mehr als umgangssprachliche, präzisere und doch ob der Komplexität nicht erschöpfend zu definierende Bedeutungsnuance verleihen sollten.
Wohnen entsprechend der Wortgeschichte als Bedürfnisbefriedigung des Menschen mit „sich wohlfühlen“ gleichzusetzen, erscheint schon allein deshalb nicht zufriedenstellend, da es letztlich auf psychologischer Basis alle aufgrund ihrer Behausung unzufriedenen Bewohner ausklammern würde.[3] Großer Wert wird wohl auf den genormten Charakter des Wohnens gelegt: Es sei geregelt von einer ungeschriebenen Sitte und stelle eine bestimmte Abfolge von Handlungen dar, wie es in diversen volkskundlichen Schriften heißt. Wohnen ist unwahrscheinlich weiträumig in kulturelle Bereiche eingebunden, was jedoch eine begriffliche Abgrenzung zu anderen Lebensbereichen fast unmöglich macht. Hingegen eine Ausklinkung eines Wohnbereichs macht nicht selbsttätig die Gesamterscheinung zunichte, wie wenn man beispielsweise sagen würde: „Eine Unterkunft ohne Küche [...] ist keine Wohnung mehr, und das Leben in einer solchen Behausung ist kein Wohnen“.[4]
Bestimmend neben den Handlungsinhalten „Kochen, Heizen, Schlafen, Körperreinigung und häusl. Arbeit, ferner Muße, Gastlichkeit und Repräsentation“[5] wirken sich auf die Obereinheit Wohnen nicht zuletzt die Objekte selbst, also etwa das Mobiliar aus. Jede Handlung bedingt ein ihr untergeordnetes Inventar. Möchte man eine Basis für weitere Untersuchungen erhalten, so ist eine vorerst noch gut brauchbare Definition - sie ist natürlich ausbaufähig und zukünftig auch -nötig - unabdingbar, die beim Wohnen von einer „Struktur der nicht zur Arbeit (im Sinne von Erwerbstätigkeit) zählenden sozialkulturellen Handlungen [ausgeht], die in zur privaten Nutzung bestimmten Räumen realisiert werden“[6].
2. Quellen
Die historische Überlieferung für die Hausforschung sprudelt geradezu vor immensem und zugleich verschiedenartigem Material. Die Klassifizierung nach K.-S. Kramer scheint mir dafür sehr geeignet: „Zum Bereich der „unwillkürlichen Überlieferung“ zählen der rezente Hausbestand, Überreste vergangener Bauten (z.B. Grabungsbefunde); Urkunden, Akten, Rechtssatzungen und Verordnungen vor allem des Bau- und Feuerwesens, siedlungstopographische Karten und Pläne sowie sprachliche Tatsachen (also die volkstümliche Terminologie zu Haus und Hausrat). Zur Gruppe der „willkürlichen Überlieferung“ gehören die wissenschaftliche hauskundliche Literatur, Reise- und Lebensbeschreibungen, geographische und topographische Darstellungen ethnographischen Inhalts, schließlich mündliche Überlieferung und Befragungsergebnisse. Bei bildlichen Darstellungen richtet sich die Zuordnung nach der Absicht des Künstlers oder Photographen bzw. der Fragestellung des Wissenschaftlers.“[7]
Trotz all dieser Fülle bleiben natürlich volkskundliche Fragen nach Hintergrund und Folgen oft unbeantwortet, da schriftliche und mündliche Quellen sowie die Objektivationen von Haus und Inventar in der Regel keine Auskunft über die jeweilige Funktion geben, und außerdem sind die Quellen mitunter einer zufälligen Auswahl oder Dezimierung des Bestandes unterworfen. Quellenkritik und der an der Fragestellung gemessene Wert einer Quelle muß stets einkalkuliert werden.[8]
3. geschichtlicher Hintergrund
Das 19. Jahrhundert zeichnet sich dadurch aus, daß viele Entwicklungen nebeneinander und in vergleichsweise rasantem Tempo ablaufen und teilweise in Umbrüchen kulminieren. Sind zu Beginn noch jede Menge Holzbauten in Fachwerk- oder Blockbauweise anzutreffen, wobei jedes Bauwerk für sich sehr individuell aussieht, werden diese binnen weniger Jahrzehnte durch Steinbauten verdrängt. Seit etwa 1860/70 findet man vermehrt farbige Schablonenmalereien als Raumdekoration, was offenbar mit dem Historismus in den Städten einhergeht und seinen Niederschlag genauso in der verstärkt auftretenden Möbelmalerei findet.[9] Nicht zu vergessen, statt des üblichen Eßraums „Stube“ geht die Tendenz in einigen Regionen nun zu einer Art Wohnküche mit modernem Ofen oder Herd. Natürlich vollziehen sich die Veränderungen nicht abrupt, zumal es den ländlichen ärmeren Bevölkerungsschichten an nötiger finanzieller Ausstattung mangelt.[10]
Und schließlich soll der wirklich großteils vorhandene Bestand beschrieben werden, um den Eindruck nicht unnötig zu verzerren. So sind die Bauten bei wirtschaftlich schwachen Kreisen einstöckig, ansonsten zweistöckig. Unter größeren Bauern setzt man in Anlehnung an oder Überlieferung seit der Barockzeit noch oft auf das traditionelle repräsentative Element: In Oberbayern äußert es sich in den reichen Auszierungen bei den Bundwerkstadeln, in Franken beim Zierfachwerk.
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[1] (Nach) Gläntzer, S. 1-6.
[2] Nach Gläntzer, S. 12-16.
[3] Nach Gläntzer, S. 17-18.
[4] (Nach) Gläntzer, S. 19.
[5] Wörterbuch Volkskunde, S. 981.
[6] (Nach) Gläntzer, S. 17-21.
[7] Gläntzer, S. 31.
[8] Nach Gläntzer, S. 31-33.
[9] S. auch Deneke, S. 31.
[10] Nach Bedal, S. 153-154.
- Quote paper
- Manfred Sailer (Author), 2001, Bäuerliches Wohnen im 19. Jahrhundert in Oberdeutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3419