Alojzije Stepinac (1898–1960) – sein Leben und Wirken im Zweiten Weltkrieg – sorgt bis zum heutigen Tag für heftige Diskussionen. Zur Person des Kardinals, der in der Zeit von 1937 bis 1960 als Erzbischof von Zagreb wirkte, bestehen unterschiedlichste Interpretationen. Auslöser der verstärkten Diskussionen waren die Seligsprechung Stepinacs im Jahr 1998 durch Papst Johannes Paul II., der Verdacht kroatischer Kirchenkreise, dass der Erzbischof und Kardinal vergiftet wurde als auch die Annahme, dass Alojzije Stepinacs Leichnam ohne Herz beigesetzt wurde. Bis heute ist die Forschung von gegensätzlichen als auch vereinfachten Darstellungen der Sachverhalte geprägt.
Da ich selbst aus Kroatien stamme, war ich im Rahmen meines Slawistikstudiums an der Kulturgeschichte des südslawischen Sprachraumes besonders interessiert. Während meines Studiums hatte ich die Möglichkeit, einen guten Einblick in den vielfältigen Kulturraum zu gewinnen. Seit Jahrhunderten sind hier Katholizismus und Orthodoxie, später auch der Islam vertreten. Die Länder des ehemaligen Jugoslawiens befinden sich an der Schnittstelle zwischen dem lateinischen Westen und dem orthodoxen Osten. Hier stießen und stoßen Interessen der weltlichen und kirchlichen Mächte aufeinander. Die Beziehungen zwischen Kirche und der staatlichen Macht änderten sich im Laufe der Geschichte immer wieder (Zerfall des Römischen Reiches, Kirchenspaltung, Osmanenzeit, Balkankrise, Erster und Zweiter Weltkrieg u. a.). Viele ungelöste Fragen führten in diesem Raum zu Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Diese historischen Tatsachen stellten mich vor die Frage, wo die eigentlichen Ursachen des dauerhaften Konflikts zwischen den Serben und Kroaten liegen könnten. Die Gründe dafür sind in Machtinteressen von Staat und Kirche zwischen Ost und West zu suchen. Ihr Konkurrenzkampf lässt sich bis in die byzantinische und osmanische Zeit zurückverfolgen. Wie in der älteren Geschichte, gab es auch in der Zeit der Zugehörigkeit dieser Gebiete zur Österreichisch-ungarischen Monarchie bzw. dem Königreich Serbien auf beiden Seiten ständige Bestrebungen nach weltlicher und kirchlicher Macht. Diese Thematik und die Frage rund um Alojzije Stepinac wurden letztlich zum Thema meiner Masterarbeit. [...]
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt und Zielsetzung der Arbeit
1.2 Zum Inhalt
2 Theoretisches ,
2.1 Begriffserklärung 'objektiv' vs. 'subjektiv'
2.2 Datenerhebungsformen
3 Interviews im Rahmen eigener Feldforschung und eigene Beobachtungen in der Zagreber Kathedrale
3.1 Interviews mit zwei Gewährspersonen
3.2 Eigene Beobachtungen in der Zagreber Kathedrale
4 Zur Forschungslage
4.1 Wissenschaftliche Erkenntnisse anhand neu zugänglicher Quellen
4.2 Kroatische und serbische Historiographie und Werke über Alojzije Stepinac
5 Historischer Einblick in die Beziehungen von Kirche und Staat
5.1 Kirche vs. Staat - Ziele zur Konfliktvermeidung
5.2 Kirche und Staat in der südslawischen und kroatischen Geschichte
6 Alojezije Stepinac: Leben und Wirken
6.1 Kindheit, Ausbildung und Studienjahre
6.2 Priesterdienst und Kandidatur als Kodajutor
6.3 Stepinac als Erzbischof-Kodajutor und als Diözesan-Erzbischof
7 Alojzije Stepinac im Zwiespalt der historischen Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg
7.1 Geschichtliche Eckdaten
7.1.1 Die Zeit des Nazismus, Faschismus und Kommunismus
7.1.2 Kriegerische Geschehnisse im Zweiten Weltkrieg
7.1.3 Der Unabhängige Staat Kroatien (NDH) (1941-1945) und seine staatliche Stellung
7.1.4 Beziehungen des Heiligen Stuhls zur deutschen Reichsregierung und zum Unabhängigen Staat Kroatien
7.2 Stepinac in der Kriegszeit
7.2.1 Stepinacs Einstellung zum Kommunismus
7.2.2 Stepinacs Verhältnis zu den katholischen Slowenen und den Orthodoxen
7.2.3 Kirchenübertritte der Orthodoxen zum Katholizismus
7.2.4 Judenfrage
7.2.5 Stepinacs Wirken
7.2.5.1 Predigertätigkeiten
7.2.5.2 Unterstützung der katholischen Orden Kroatiens
7.3 Kriegsende und Partisanenzeit in Zagreb
7.3.1 Stepinacs Begegnung mit den kommunistischen Machthabern
7.3.2 Der Unabhängige Staat Kroatien und der Heilige Stuhl in der Amtszeit von Alojzije Stepinac
8 Alojzije Stepinac in Lepoglava und Krašic
8.1 Aussagen vor Gericht und Reaktionen der Weltöffentlichkeit
8.2 Lepoglava und Zwangsaufenthalt in Krašic
8.3 Stepinac als Kardinal (1952-1960) ,
8.3.1 Folgen der schweren Krankheit
8.3.2 Tod in Krašic und Beisetzung in Zagreb
8.3.3 Weltweite Reaktionen nach Stepinacs Tod
9 Alojzije Stepinac in der Kathedrale von Zagreb
9.1 Gnadenbeweise (Danksagungen. Marmorplättchen)
9.2 Papst Johannes Paul II. zu Besuch in Zagreb und Stepinacs Seligsprechung 1998
9.3 Prozess bis zur Heiligsprechung
9.4 Einwände gegen die Heiligsprechung ,
10 Zusammenfassung
Sažetak
Literaturverzeichnis
I Anhang: Eigene Interviews (2014) ,
1.1 Transkriptionskonventionen
1.2 Transkription: Interview Š
1.3 Transkription: Interview T.
Danksagung
Ich möchte mich an dieser Stelle zunächst bei all jenen herzlich bedanken, die mich während meines Studiums, besonders aber während des Entstehens dieser Masterarbeit unterstützt und motiviert haben.
Mein besonderer Dank gilt Frau Ass.-Prof.in Dr.in Herta Maurer-Lausegger für die fachliche Betreuung und Begleitung meiner Arbeit. Sie gab mir durch kritisches Hinterfragen immer wieder wertvolle Hinweise auf globale historische Zusammenhänge und Wechselwirkungen, deren Einbindung in diese Arbeit unumgänglich war. Ihre moralische Unterstützung und kontinuierliche Motivation hatten großen Anteil an der Fertigstellung.
Zum Dank verpflichtet fühle ich mich auch Frau Mag.a Margit Gabriele Bauer MBA für ihre Unterstützung und Herrn mag. ing. mech. Danijel Valek für die Durchsicht meiner Interviews und der Zusammenfassung in kroatischer Sprache.
Nicht zuletzt gebührt meinen Eltern und meiner jüngeren Schwester Dank, ohne deren Hilfe diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre. Ich bedanke mich herzlich für die Unterstützung während meiner Schul- und Studienzeit.
”Stepinac musste rasch feststellen, dass er dem einen oder anderen, bezüglich seiner Volkszugehörigkeit, ein Dorn im Auge war.
Man könnte diese Tatsache [...] am besten so formulieren: Stepinac war ein apostolischer katholischer Bischof, der Vaterlandsliebe als moralische Pflicht betrachtete.“ (Bauer 1979: 66)
1 Einleitung
1.1 Ausgangspunkt und Zielsetzung der Arbeit
Alojzije Stepinac (1898-1960) - sein Leben und Wirken im Zweiten Weltkrieg - sorgt bis zum heutigen Tag für heftige Diskussionen. Zur Person des Kardinals, der in der Zeit von 1937 bis 1960 als Erzbischof von Zagreb wirkte, bestehen unterschiedlichste Interpretationen. Auslöser der verstärkten Diskussionen waren die Seligsprechung Stepinacs im Jahr 1998 durch Papst Johannes Paul II., der Verdacht kroatischer Kirchenkreise, dass der Erzbischof und Kardinal vergiftet wurde als auch die Annahme, dass Alojzije Stepinacs Leichnam ohne Herz beigesetzt wurde. Bis heute ist die Forschung von gegensätzlichen als auch vereinfachten Darstellungen der Sachverhalte geprägt.
Da ich selbst aus Kroatien stamme, war ich im Rahmen meines Slawistikstudiums an der Kulturgeschichte des südslawischen Sprachraumes besonders interessiert. Während meines Studiums hatte ich die Möglichkeit, einen guten Einblick in den vielfältigen Kulturraum zu gewinnen. Seit Jahrhunderten sind hier Katholizismus und Orthodoxie, später auch der Islam vertreten. Die Länder des ehemaligen Jugoslawiens befinden sich an der Schnittstelle zwischen dem lateinischen Westen und dem orthodoxen Osten. Hier stießen und stoßen Interessen der weltlichen und kirchlichen Mächte aufeinander. Die Beziehungen zwischen Kirche und der staatlichen Macht änderten sich im Laufe der Geschichte immer wieder (Zerfall des Römischen Reiches, Kirchenspaltung, Osmanenzeit, Balkankrise, Erster und Zweiter Weltkrieg u. a.). Viele ungelöste Fragen führten in diesem Raum zu Unruhen und kriegerischen Auseinandersetzungen.
Diese historischen Tatsachen stellten mich vor die Frage, wo die eigentlichen Ursachen des dauerhaften Konflikts zwischen den Serben und Kroaten liegen könnten. Die Gründe dafür sind in Machtinteressen von Staat und Kirche zwischen Ost und West zu suchen. Ihr Konkurrenzkampf lässt sich bis in die byzantinische und osmanische Zeit zurückverfolgen. Wie in der älteren Geschichte, gab es auch in der Zeit der Zugehörigkeit dieser Gebiete zur Österreichisch-ungarischen Monarchie bzw. dem Königreich Serbien auf beiden Seiten ständige Bestrebungen nach weltlicher und kirchlicher Macht. Diese Thematik und die Frage rund um Alojzije Stepinac wurden letztlich zum Thema meiner Masterarbeit.
Alojzije Stepinacs Wirken als Koadjutor und seine darauffolgende Amtszeit als Erzbischof von Zagreb und Kardinal fällt in historisch bewegte Zeiten (Zwischenkriegszeit, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegsjahre). Es geht um die Zeit des Nationalismus, Faschismus und Kommunismus, in der vieles bis heute im Dunklen geblieben oder umstritten ist. Die historischen Quellen zu diesem Zeitraum sind vielfältig, oft widersprüchlich und unüberschaubar. Über Stepinac gibt es wissenschaftliche Forschungen und Dokumentationen, deren Zahl nach seiner Seligsprechung durch Papst Johannes II. (1998) zugenommen hat. Neben wissenschaftlichen Arbeiten gibt es auch populärwissenschaftliche und sonstige propagandistische Darstellungen, deren Inhalte oft einseitig oder umstritten sind. Oft stimmen sie mit den Erkenntnissen der Forschung nicht überein.
Nachdem ich mich in die Thematik Alojzije Stepinac eingelesen und einen Teil der Arbeit verfasst hatte, stieß ich auf Schwierigkeiten, die mir kaum lösbar schienen. Ich musste erkennen, dass für meine Arbeit eine gründliche Darstellung des historischen Kontextes, in dem Stepinac wirkte, notwendig wurde. Kirchenübertritte gab es in der Geschichte sowohl in katholischen als auch in orthodoxen Gebieten. Deshalb war es unumgänglich, auch die Serbenfrage in Kroatien einzubeziehen. Notgedrungen ergab sich für mich die Aufgabe, einen kurzen Einblick in die Geschichte der orthodoxen Serben und Muslime Bosniens und der Herzegowina sowie in die Geschichte der katholischen Kirche Kroatiens zu geben.
Die vorliegende Arbeit legt den Fokus vor allem auf die kulturwissenschaftliche Betrachtungsweise. Die Geschichte zeigt, dass es sowohl in Kroatien und Serbien als auch in Bosnien und der Herzegowina (und auch in einigen anderen südslawischen Gebieten) territoriale Verschiebungen und Religionskonflikte gab und gibt. Da in diesem Kulturraum Kirche und Staat traditionell eng miteinander verknüpft waren und weiterhin verknüpft sind, spielten in der Geschichte bzw. spielen auch heute noch sowohl die Staatsmacht als auch die Religion eine wichtige Rolle. Historisch bedingt kam es sowohl bei den Serben als auch bei den Kroaten zu Kirchenübertritten, die auf beiden Seiten oft unter Zwang durchgeführt wurden. Ähnlich war es wohl auch in Gebieten, die in der Osmanenzeit islamisiert wurden.
Nachdem das Leben und Wirken Alojzije Stepinacs seit der Seligsprechung des Kardinals und Erzbischofs wieder sehr aktuell sind, entschloss ich mich, im Rahmen meiner Masterarbeit auch eigene Befragungen zum Thema durchzuführen. Meine Aufnahmen sollten eine Ergänzung zu der schon bestehenden Dokumentation von Erfahrungsberichten mit und über Stepinac sein.
Die Forschung kann mit (möglichst) objektivem Zugang zur positivien Bewältigung der interethnischen und nationalen Konflikte beitragen. Von Anfang an war ich mir dessen bewusst, dass meine Masterarbeit nur ein bescheidener Beitrag zur Stepinac- Forschung sein kann. Ich war überzeugt, dass es mithilfe neuerer Fachliteratur und der fachlichen Unterstützung seitens meiner Betreuerin möglich sein wird, in der Stepinac- Forschung einen Schritt nach vorne zu kommen. Die Aufarbeitung der Hintergründe für die historischen Ereignisse kann zur Konfliktbewältigung führen. Die vorliegende Arbeit möge dazu einen kleinen Beitrag leisten.
1.2 Zum Inhalt
In der vorliegenden Arbeit werden einige theoretische Begriffe thematisisert und Gewährsleute als auch die Methodik der eigenen Feldforschung vorgestellt. Danach folgen ein kurzer Einblick in die Forschungslage und ausführliche Kapitel über das Verhältnis von Kirche und Staat im geschichtlichen Geschehen in Europa (HitlerDeutschland) und im südöstlichen Europa. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das Leben und Wirken von Kardinal Erzbischof von Zagreb Alojzije Stepinac, der zweifellos in der schwierigsten Zeit des 20. Jahrhunderts wirkte. Er befand sich ständig im Zwiespalt zwischen dem Heiligen Stuhl und totalitären Regimen (Nationalismus, Faschismus, Kommunismus). Nach seiner Verurteilung und Festnahme durch die Kommunisten widerfuhr Stepinac ein tragisches Schicksal, dessen Ursachen und Folgen immer mehr zum Forschungsgegenstand werden. Nach der Seligsprechung bemüht sich die Kirche um die Heiligsprechung Stepinacs, die jedoch besonders in der Serbischorthodoxen Kirche (noch) auf Widerstand stößt.
2 Theoretisches
2.1 Begriffserklärung 'objektiv' versus 'subjektiv'
”Alle sind sich darüber einig, daß Gewußtes wahr sein muß, aber darüber hinaus besteht hinsichtlich des epistemischen Rangs der Wahrheit wenig Übereinstimmung. [...].Unsere Meinungen könnten genau die gleichen sein wie jetzt, und dennoch bestünde die Möglichkeit, daß die Wirklichkeit - und somit die Wahrheit über die Wirklichkeit - eine völlig andere wäre.“ (Davidson 2004: 297)
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema 'Objektivität' versus 'Subjektivität' kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Cohn (1919: 10) schreibt, dass der ’’Begriff der Objektivität [...] ursprünglich in der Philosophie des Erkennens entwickelt worden“ ist. Allerdings werden wir uns hier nicht mit dem Begriff der Objektivität, einem Begriff aus der Philosophie, auseinandersetzen. Dazu reicht die kurze Ausführung von Klima (2011a: 479), der besagt, dass die Objektivität das Gegenteil von der Subjektivität und somit unabhängig von subjektiven Einflüssen ist. Die wissenschaftliche Objektivität hängt durch das selbst kontrollierte Vorgehen des Forschers bei der Gewinnung der Ergebnisse ab. Ferner führt Klima (2011b: 664) an, dass die Subjektivität die Bezeichnung für etwas ist, was zum Subjekt gehört oder von einem Subjekt abhängt. Das bedeutet: ein Urteil ist subjektiv, wenn es vom Subjekt, seiner persönlichen Erfahrungen, Wünschen und Vorurteilen mehr geprägt ist und nur für das Subjekt gültig ist.
Auch die Auffassung von Ramet (2011: 42 f.) besagt, dass objektiv als 'tatsächlich, real, wirklich' definiert werden kann. Im Gegensatz dazu sei das Subjektive von Gefühlen, Trieben und Vorurteilen beeinflusst. Nach Ramet (2011: 42 f.) hat ein Wert oder eine Aussage
”[...] dann objektive Gültigkeit, wenn 1. der- oder diejenige, der oder die den Wert bejaht oder die jeweilige Aussage macht, es nicht zugelassen hat, dass persönliche Interessen sein oder ihr Urteil beeinflusst haben; 2. die oder der Betreffende Gründe für ihren oder seinen Schluss anführen kann, die ausreichend sind, um andere zu überzeugen, dass dieser Schluss (der Wert der Aussage etc.) vernünftig und plausibel ist; 3. er oder sie ausreichende Gründe für den Ausschluss anderer Schlüsse und Erklärungen angeben kann, um andere zu überzeugen, dass seine Schlüsse vernünftig und plausibel sind; wenn 4. der Schluss in eine breiter angelegte Theorie oder Konzeption eingefügt werden oder mit ihr in Einklang gebracht werden kann; und 5. es nicht möglich ist, Irrtümer in der Logik oder in den Argumenten zu identifizieren, die zur Unterstützung des Schlusses angeführt wurden“ (Ramet 2011: 42 f.).
Wird eine dieser fünf genannten Modalitäten nicht eingehalten, dann können wir daraus den Schluss ziehen, dass der Wert oder die Aussage subjektiv oder durch überzeugende Irrtümer fehlerhaft ist, oder beides. Ferner sollte gesagt werden, dass man eine Aussage nicht als objektiv bezeichnen kann und daraus schließen, sie sei wahr (vgl. Ramet 2011: 43). ”Aber zu sagen, sie sei objektiv, ist gleichbedeutend mit dem Anspruch, dass es für jemanden vernünftig sein kann, diese Aussage als 'vorläufig wahr' zu betrachten - bis eine bessere Aussage vorgebracht wird“ (Ramet 2011: 43).
Auch die vorliegende Arbeit basiert auf geschichtlichen Tatsachen und Werten über Alojzije Stepinac, die mit Aussagen untermauert werden. Ich schließe mich der Meinung von Ramet (2011: 43) an, ”dass die klassischen [...] Werte als objektive Güter behandelt werden können, dass sie objektiv leichter zu verteidigen sind als ihr Gegenteil, [...].“
Es ist einfacher, Gründe für die Überzeugung anzugeben, dass
”[...] der Respekt eines Regimes vor den Menschenrechten, Toleranz und die Achtung vor dem 'Leid-Prinzip' [...] im Allgemeinen akzeptabler für die Menschen [...] sind als die Willkürschaft eines Despoten, die Missachtung der Menschenrechte, Bigotterie oder das verbreitete Zufügen von Leid durch organisierte paramilitärische Gruppen - nicht nur, weil die letzteren Elemente Menschen verletzen und unser Mitgefühl beleidigen, sondern auch, weil sie den meisten von uns als das Gegenteil dessen erscheinen, was rational verteidigt werden kann“ (Ramet 2011: 43).
Nimmt man die ’objektive’ Gültigkeit für bestimmte Werte in Anspruch, meint man, dass solche Werte eine Person nicht bereichern, dass sie auf verständliche Weise verteidigt werden können, dass sie nicht widersprüchlich sind und zu guter Letzt diese Werte auf plausible Weise begründet werden (vgl. Ramet 2011: 43).
Zeitgeschichtliche Themen, die Geschehnisse in Kriegszeiten zum Gegenstand haben, stellen für die Forschung eine besondere Herausforderung dar. Aufgrund des oft nur teilweise, schwer oder noch nicht zugänglichen Quellen- und Archivmaterials, kann hier nur von ’’größerer und geringerer Objektivität“ gesprochen werden, was aber nicht bedeutet, dass sie sich nicht mehr ändern kann. Wolf (2009b: 64 f.), der sich ausführlich mit dem Heiligen Stuhl und dem Papsttum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt, bringt es auf den Punkt, indem er schreibt:
”Der Bezug auf ausreichend gesicherte Quellen, so stellte Thomas Nipperdey schon 1986 fest, bewahre die Geschichtsschreibung vor subjektivem Relativismus: 'Er macht die Unterscheidung von größerer und geringerer Objektivität möglich'. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Ergebnisse der Geschichtswissenschaft, einmal nach den Methoden der Objektivität formuliert, unveränderlich Bestand hätten. Ganz im Gegenteil: Reinhard Koselleck sprach zu Recht vom 'Veto der Quellen'. Und Karl Popper schließlich schrieb: 'Alle Theorien sind Hypothesen; alle können umgestoßen werden.' Und weiter: 'Das Spiel Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende: wer eines Tages beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, sondern sie etwa als endgültig verifiziert zu betrachten, der tritt aus dem Spiel aus'“ (Wolf 2009b: 64 f.).
Mit Hilfe der genannten theoretischen Ansätze sei nun in der vorliegenden Arbeit versucht, die behandelten Themen und Gebiete möglichst objektiv zu betrachten und nicht anhand von Gefühlen falsche Schlussfolgerungen zu ziehen. Im Falle von Alojzije Stepinac ist es tatsächlich äußerst schwierig, anhand der verfügbaren Literatur, die vielseitige Meinungen vertritt, eine klare Linie zwischen Objektivität und eigener Wahrnehmung zu ziehen. Schließlich soll es in der Arbeit nicht darum gehen, die Wahrheit, wie auch immer sie am Ende dieser Arbeit aufgefasst wird, aufzuzeigen, vielmehr spielen äußere Faktoren eine zentrale Rolle und diese lassen uns Raum für Objektivität und Bewertung.
2.2 Datenerhebungsformen
Die empirische Datenerhebung für die vorliegende Masterarbeit setzte sich aus einem im Vorfeld erarbeiteten Fragebogen und einer anschließenden Befragung zusammen. Im Folgenden seien einige theoretische Begriffe der Datenerhebungsmethoden kurz behandelt:
Bei einer Datenerhebung handelt es sich um einen systematischen und methodisch kontrollierten Prozess für die Erhebung von Daten für eine wissenschaftliche Forschung, z. B. durch ein Verfahren der Befragung oder der Beobachtung. Der Begriff der Datenerhebung kann auch durch den Begriff der Datengewinnung ersetzt werden. Bei dieser Datenerhebung reagierten die Befragten auf einen Fragereiz (vgl. Weischer 2015b: 79).
Die Befragung ist eine häufig und universell einsetzbare Erhebungsmethode, bei der sich der Fragende und Befragte über unterschiedliche Medien austauschen. Durch das Fragen werden Informationen über den Befragten und andere Sachverhalte gewonnen. Erwähnenswert ist, dass das Wort Interview als Synonym für Befragung verwendet wird. Von einem Interview spricht man, wenn die Befragung von Angesicht zu Angesicht, also face-to-face, stattfindet.
Es wird unterschieden zwischen standardisierten und offenen (nicht-standardisierten, qualitativen) Formen der Befragung, Einzel- und Gruppeninterviews. Im Vorfeld gehen der Fragende und der Befragte eine soziale Beziehung ein, die durch den Interviewtyp, die Kontaktaufnahme und Vereinbarungen strukturiert wird. Abhängig vom kulturellen Text, geht der universelle Charakter der Befragung darauf zurück, dass man ’ über alles reden kann Die Themen der Befragung beziehen sich auf ganz unterschiedliche Aspekte des Wissens von Personen: es können Fakten erfragt werden; es kann nach Handlungen und Handlungsfolgen gefragt werden, es können aber auch Einstellungen oder die Deutung von Handlungen angesprochen werden.
Die wissenschaftlichen Befragungen erfolgen kontrolliert, wobei die Ergebnisse von standardisierten Daten bzw. als Textdaten protokolliert werden. Es werden auch Informationen zu den Befragungssituationen und den Befragenden festgehalten. Die Rolle des Befragten ist keine strikte, sondern kann variieren. Somit können Befragte als Alltagsmenschen, als ExpertInnen oder auch als ZeitzeugInnen befragt werden (vgl. Weischer 2015a: 31 f.)
In standardisierten Befragungen werden alle Befragten mit gleichen und im Vorfeld erstellten Fragen konfrontiert und die Antworten erfolgen dann einer Zurechnung zu einer oder mehreren Antwortmöglichkeiten.
In offenen Befragungen werden die Fragen frei formuliert, folgen allerdings der Logik eines Interviewleitfadens bzw. einer bestimmten Interviewstrategie. Die Befragten antworten in umgangssprachlicher Form, wobei ihre Antworten als Textinformation protokolliert werden.
Der Fragende und der Befragte können face-to-face kommunizieren, dabei können sie schriftlich oder telefonisch in Verbindung treten. Die Befragung gestaltet sich synchron (mündlich, telefonisch) oder asynchron (schriftlich, online) (vgl. Weischer 2015a: 32 f.).
Das Tiefeninterview ist eine Form der qualitativen Befragung, die auf die Erhebung und die Identifizierung unbewusster Inhalte abzielt. Diese Art des Interviews kommt ursprünglich aus der Psychologie und ist gekennzeichnet durch Offenheit und das Fehlen einer sogenannten Vorab-Strukturierung. Eine solche Durchführung des Tiefeninterviews setzt theoretische Kompetenzen voraus (vgl. Weischer 2015c: 410).
Für die vorliegende Arbeit wurde die standardisierte Interviewvariante herangezogen. Beide Interviewteilnehmenden erhielten die gleichen Fragen zum Thema.
3 Interviews im Rahmen einer Feldforschung und eigene Beobachtungen in der Zagreber Kathedrale
Widersprüchliche Darstellungen zu Alojzije Stepinac und Mediendiskussionen veranlassten mich, eigene Befragungen im Rahmen einer Feldforschung durchzuführen. Ich stellte einen kleinen Fragebogen, der fünfzehn Fragen umfasst, zusammen. Es war aber für mich nicht einfach, Personen für ein Interview über Alojzije Stepinac ausfindig zu machen. Daher entschloss ich mich, Gesprächspartner in unmittelbarer Nähe der Zagreber Kathedrale zu suchen. Und tatsächlich gelang es mir, zwei Gewährspersonen zu finden, die sich zur Durchführung voneinander unabhängigen Interviews bereit erklärten. Diese beiden Personen und die Interviews seien nun näher vorgestellt.
3.1 Interviews mit zwei Gewährspersonen
Am 19. Juli 2014 besuchte ich in Begleitung meiner Mutter das Stepinac Museum in Zagreb. Wir trafen auf eine freundliche und hilfsbereite Museumsmitarbeiterin. Ich sagte zu ihr, dass ich Bücher und Quellen über den Zagreber Erzbischof Alojzije Stepinac suche. Dann überreichte sie mir gleich das Buch von Ernest Bauer Kardinal Aloisius Stepinac. Ein Leben für Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit (1979). Nachdem ich aber dieses Buch schon besaß, suchte ich weiter und stieß auf das Werk Aleksa Benigar Alojzije Stepinac, hrvatski kardinal (1993). Ich versuchte, das Eis zu brechen und verwickelte die Mitarbeiterin in ein Gespräch über Alojzije Stepinac. Ich erzählte ihr, dass ich als Studierende der Slawistik in Österreich eine Abschussarbeit über Alojzije Stepinac Thema verfassen wollte.
Ich ergriff die Chance und fragte die Museumsmitarbeiterin, ob sie mir bei einem weiteren Treffen mehr über Stepinac zu erzählen bereit wäre. Sie zeigte sich sehr interessiert und erfreut. Spontan erklärte sie sich bereit, mir zu einem anderen Zeitpunkt für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Sie erwähnte, dass über Stepinac Unterschiedliches erzählt werde und deshalb viele TouristInnen einen falschen Eindruck erhielten und weiterverbreiteten.
Zum vereinbarten Interviewtermin trafen wir uns wieder in Zagreb und führten das Gespräch als Tonaufnahme ungestört. Meine Gewährsperson sprach klar, laut und deutlich und ließ immer wieder Redewendungen Stepinacs in das Gespräch einfließen. Daran war deutlich zu erkennen, dass sie Stepinac verehrte und schätzte. Als ich sie nach Wundern und den Marmorplättchen in der Zagreber Kathedrale fragte, erhielt ich keine konkreten Hinweise.
Das zweite Interview plante ich mit einem Priester in meiner Taufkirche Crkva Nikole Teslica in Zagreb. Ich traf auf einen freundlichen und offenen jüngeren Herrn. Ich besuchte ihn in seinem Büro und schilderte mein Anliegen. Wir setzten den Termin für unser Interview für den 18. August 2014 um 9:00 Uhr fest. Dieses weitere Treffen sollte ungefähr eine Stunde dauern. Der Priester zeigte sich am Resultat meiner Forschung sehr interessiert und bat mich, nach Fertigstellung meiner Arbeit wieder zu kommen.
Die Antworten der beiden Interviewpartner auf meine Fragen geben einen Einblick in die Thematik rund um Alojzije Stepinac. Die beiden Interviews liefern einerseits zusätzliche Eindrücke über den Kardinal und Erzbischof, andererseits aber auch persönliche positive bzw. negative Erfahrungen mit dem Thema nach Stepinacs Tod. Auszüge aus den Interviews finden sich als Zitate in der vorliegenden Arbeit. Die Tonaufnahmen wurden verschriftet und befinden sich im Anhang.
3.2 Eigene Beobachtungen in der Zagreber Kathedrale
Nachdem ich über die beiden Interviews mit Alojzije Stepinac schon näher mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut war, entschloss ich mich, auch die persönlichen Beobachtungen, die ich in der Zagreber Kathedrale, in der sich Stepinacs Grab befindet, sammeln konnte, in mein Thema einfließen zu lassen.
Am 30. Juli 2014 besuchte ich die Kathedrale und setzte mich auf eine Bank gegenüber von Stepinacs Grab nieder. Das Grab war geschmückt mit brennenden Kerzen und rundherum standen wunderschöne Blumen. Zuerst kamen zwei Frauen, blieben am Grab stehen und setzten sich daraufhin zu mir auf die Bank. Auf den dahinter- und gegenüberliegenden Bänken saßen bereits viele Menschen. An ihrem Verhalten war zu erkennen, ob es sich um Einheimische oder Touristen handelte. Die Einheimischen saßen da wie in Trance, mit Blick auf Stepinac, die Touristen hingegen blieben am Grab nur kurz stehen, machten ein bis zwei Erinnerungsfotos und gingen weiter.
In der Zeit meiner Beobachtungen in der Kathedrale kamen viele Touristen: Chinesen, Deutsche, Polen u. a. Es waren eher ältere Personengruppen oder Familien mit Kindern. Mich interessierte das Verhalten der Menschen an Stepinacs Grab. Ich beobachtete, dass vier Personen den Glassarg Stepinacs küssten und zwei Personen ein
Stepinac-Kärtchen, die auf dem Pult vor der Grabstätte auflagen, mitnahmen. Dann kam ein Besucher, der mit seiner Videokamera die Atmosphäre rund um Stepinacs Grab aufnahm. Ich fand es erstaunlich, dass sich um Stepinac ununterbrochen Menschen scharten. Interessant war auch die Beobachtung, wie ein Mann mit seinem Taschentuch Stepinacs Totenmaske abwischte und sich danach bekreuzte.
Zwei junge Touristen aus Deutschland, die den Schauplatz betraten, wirkten schüchtern und nervös, weil sie über Stepinac offensichtlich nichts wussten und nicht verstehen konnten, was sich in der Kathedrale abspielte.
Eine weitere Touristengruppe mit etwa 30 jüngeren und älteren Personen kam aus Polen. Die Touristenführerin sprach auf Kroatisch. Die Gruppe hatte Kopfhörer auf, um die Übersetzungen zu hören. Ihr Aufenthalt bei Stepinac war kurz. Im Anschluss daran kam ich mit einem jungen Polen ins Gespräch. Er kannte Stepinac nur durch den, inzwischen verstorbenen polnischen Papst Johannes Paul II. Der Bursche sagte mir, dass Stepinacs Seligsprechung im Jahr 1998 auch in Polen groß gefeiert worden war.
Zuerst erstaunte mich, dass sehr wenige Touristen die Marmorplättchen beachteten, was ich aber dann doch nicht verwunderlich fand, weil die Touristenführer im Schnitt nur etwa drei Minuten bei Stepinac verweilen. Ich stellte fest, dass neben den Stepinac- Bildchen mit kroatischem Text ein Täfelchen mit den wichtigsten Informationen über Stepinac vorteilhaft wäre. Meine Beobachtung war, dass sich zahlreiche Touristen interessiert zeigten und gerne mehr über den Kardinal und Erzbischof von Zagreb erfahren wollten.
4 Zur Forschungslage
4.1 Wissenschaftliche Erkenntnisse anhand neu zugänglicher Quellen
Um die Person Alojzije Stepinac und die Beziehungen zwischen Kirche und Staat verstehen zu können, ist eine Darstellung der geschichtlichen Hintergründe notwendig. Die Erforschung der Zeit, in der Alojzije Stepinac als Koadjutor und späterer Erzbischof von Zagreb wirkte, stellt die Forschung vor große Aufgaben. Zur Geschichte dieser Zeit gibt es eine Fülle von Quellen unterschiedlichster Art. Hubert Wolf (2008: 307), der sich mit den Archiven des Vatikans und dem Dritten Reich beschäftigte, beurteilt die Forschungssituation wie folgt:
’’Angesichts von über hunderttausend archivalischen Einheiten, also Schachteln, Faszikeln und Aktenbündeln mit teilweise bis zu tausend Blatt Umfang allein für die Zeit von 1922 bis 1939, dem gesamten Pontifikat Pius' XI., die seit September 2006 im Vatikanischen Genheimarchiv der Forschung zugänglich sind, ist es für den Historiker schlicht unmöglich, eine 'Gesamtdarstellung' zum Verhältnis von Vatikan und Nationalsozialismus oder gar eine abschließende Biographie der beiden PiusPäpste vorzulegen. Wenn dies auf breitester Quellengrundlage methodisch verantwortungsvoll geschehen soll, werden dafür noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte intensiver Arbeit in den Archiven notwendig sein“ (Wolf 2008: 307).
Eine Schlüsselrolle für die Erforschung des Wirkens von Erzbischof und Kardinal Alojzije Stepinac spielt Eugenio Pacelli, der unter Papst Pius XI. als Kardinalstaatssekretär (1856-1958) wirkte und nach dessen Tod als Papst Pius XII. (1939-1958) zu seinem Nachfolger gewählt wurde.
’ Pacelli und die Beamten des vatikanischen Staatssekretariats waren, wie die Regierungen überall in Europa, davon überzeugt, daß ein Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion nur eine Frage der Zeit sei. Angesichts der Möglichkeit eines Europa unter dem Joch Stalins und überwältigender Beweise für die Absicht der Sowjets, die christlichen Kirchen zu unterdrücken, wurde Mussolinis Balkanfeldzug im Oktober 1940 von einigen Mitgliedern der Kurie mit einem gewissen Optimismus betrachtet, denn man betrachtete Jugoslawien in diesem Zusammenhang als ein letztes schützendes Bollwerk für Italien und den Mittelmeerraum“ (Cornwell 2000: 294).
’Seit 2003 beziehungsweise 2006 sind nun im Vatikanischen Geheimarchiv die rund 6000 Berichte zugänglich, die Pacelli als Nuntius von München und Berlin nach Rom sandte. Ziel eines von der DFG auf zwölf Jahre bewilligten Langfristvorhabens ist es, diese Berichte digital zu edieren.“[1]
Die Digitale Edition neuzeitlicher Quellen (DENQ): Pius XII. als Nuntius in Deutschland stellt eine ’Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte von Eugenio Pacelli 1917-1929' dar. Betreiber dieser Online-Datenbank seit 2003 ist die KatholischTheologische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.[2] Aufgrund dieses Datenmaterials werden sich künftig zweifelsohne viele Antworten auf offene Fragen finden lassen.
”Durch die Edition aller Nuntiaturberichte Pacellis wird das wissenschaftliche Spiel über Pius XII. bewusst neu eröffnet. Anhand der neuen Quellen können hoffentlich zahlreiche Hypothesen verifiziert und falsifiziert werden. Gerade mit Blick auf die oft mit moralisierendem Verve vorgetragenen Vermutungen zum 'Schweigen' Pius' XII. zeigt sich, dass ein solches Vorgehen nicht nur deswegen angeraten ist, weil es einer professionellen Geschichtswissenschaft entspricht. Vielmehr geht es hier auch darum, ethische Standards zu wahren: Vorschnelle Verurteilungen sind ebenso unangebracht wie kritiklose Apologien. Pius XII. hat, wie jede andere Persönlichkeit, die zum Objekt der Geschichtswissenschaft wird, ein Recht auf eine differenzierte Biografie, die Resultat eines ausreichend langen wissenschaftlichen 'Spiels' mit den Quellen ist.“[3]
Eine weiteres Werk über Papst Pius XII. veröffentlichte Cornwell (2000). Hier handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen. Im 14. Kapitel mit dem Titel ”Ein Freund Kroatiens“ (Cornwell 2000: 286 -315) werden Ereignisse im Zweiten Weltkrieg, das Regime des NDH-Staates, Beziehungen des Heiligen Stuhls zu Kroatien, das Christentum im Osten, die kommunistische Bedrohung (1941-1945) u. a. beschrieben. Erwähnt sei noch das Werk von Godman (2004), das sich mit dem Vatikan, Hitler und den geheimen Archiven beschäftigt. Alle oben genannten Quellen enthalten auch Datenmaterial, das u. a. für die Erforschung des Wirkens von Alojzije Stepinac relevant ist.
4.2 Kroatische und serbische Historiographie und Werke über Alojzije Stepinac
Im ehemaligen kommunistischen Jugoslawien durfte über Kriegsereignisse nicht geforscht werden.
”Die Regierung erlaubte in einigen Übersichten über die Kriegsereignisse, die sich auf das Ende des Weltkriegs in Jugoslawien bezogen, lediglich eine allgemeine Aussage, dass es sich dabei 'um eine gerechte Bestrafung, d. h. um eine Abrechnung mit den Volksfeinden' gehandelt habe“ (Jurcevic 2006: 18).
Seit dem Zerfall Jugoslawiens beschäftigen sich immer mehr Forscher mit den Themen Kirche und Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Behandelt werden Beziehungen von Kirche und weltlicher Macht in der älteren Geschichte und der Zwischenkriegsära sowie in der nationalsozialistischen Zeit und der Zeit nach dem Zerfall Jugoslawiens.
Krišto (1996) beschäftigt sich ausführlich mit der Rolle der katholischen Kirche in der kroatischen Geschichte. Er verweist auf Schwierigkeiten der Historiographie im ehemaligen Jugoslawien, die speziell die kroatische Geschichte betreffen und meint, dass sie kritisch betrachtet werden müsse:
”Da die kroatische Geschichte wie die von kaum einem anderen Volk durch äußere Faktoren bedingt war, und da die geschriebene Geschichte der Kroaten nicht in geringerem Maße Resultat unterschiedlicher Interessen war, muß man sich auch der bisherigen Bewertung dieser Geschichte kritisch zuwenden. Da die Historiographie im ehemaligen Jugoslawien vor allem Reflexionen der politischen Realität oder wenigstens Dienerin der Politik und der ausgesprochen antikatholischen Ideologie war, ist besonders alles, was mit der katholischen Kirche verbunden war, einseitig und unobjektiv dargestellt worden. Ich bin überzeugt, daß das kroatische Volk erst jetzt, wo es in die Epoche seiner Verwirklichung in voller Souveränität und in demokratische Umgebung eintritt, Gelegenheit erhält, auch seine Geschichte ohne unnötige Vorurteile und Rücksicht zu schreiben“ (Krišto 1996: 11).
An anderer Stelle schreibt Krišto (1996: 24), dass die Rolle der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkrieges von der serbischen Historiographie ”brutal gefälscht“ wurde: ”[...] sie stellte sich völlig in den Dienst der unverschämtesten antikroatischen und antikatholischen Propaganda. Diese Propaganda erreicht seit den 80er Jahren das Niveau von Hysterie [...].“[4] (Krišto 1996: 24). In den Büchern von und Bulajic stieß Krišto auf grobe Fehler und führt als Beispiel an:
”Nur auf einer einzigen Seite (92) seines großen Buches begeht Dedijer mehrere Verstöße gegen die Grundregeln wissenschaftlicher Arbeit. Die Verstöße gehen von falscher Identifizierung eines Autors über das Weglassen eines Teils eines Zitats, der nicht zum gewünschten Schluß paßt, und die Umkehrung der Reihenfolge von Ursache und Folge, bis hin zu Anklagen gegen Kirchenvertreter auf der Grundlage einer ideologisch unterlegten Anklage. Das Ziel von Dedijer ist es zu suggerieren, daß der Erzbischof von Zagreb Alojzije Stepinac (später Kardinal) vom Beginn der Errichtung des Unabhängigen Staates Kroatien (10. 4. 1941) die Handlungen des Staatsoberhauptes Dr. Ante Pavelic gebilligt und zu diesem Ziel alles untergeordnet hat. Aus dem Gesamtkontext läßt sich jedoch klar ersehen, daß sich der Erzbischof in der Tradition der katholischen Beziehungen zur Staatsmacht verhalten hat: während er die Macht akzeptierte, verlangte er, dass die Handlungsfreiheit der Kirche gesichert ist. Daher ist offensichtlich, warum Dedijer den Text des Tagebuchs des Erzbischofs, d. h. der Aufzeichnungen der täglichen Ereignisse, die zumeist von den Sekretären des Bischofs geführt wurden, fälscht“ (Krišto 1996: 25).
Krišto (1996: 26) bezieht auch zum Werk von Milan Bulajic (Ustaški zlocini genocida) Stellung und schreibt:
”Auch Milan Bulajic verwendet das Tagebuch von Erzbischof Stepinac auf eine Art, die für die serbische Historiographie typisch ist. [...]. Im Kapitel mit der Überschrift ’Die gewaltsame Katholisierung der serbischen orthodoxen Bevölkerung - Ein Genozidverbrechen des Unabhängigen Staates Kroatien unter Teilnahme der kroatisch-katholischen Kirche und des Vatikan’ (364) reiht Bulajic die Aufrufe der Staatsmacht, Briefe und offizielle Erklärungen der katholischen Bischöfe und Broschüren unbekannter Autoren aneinander, wobei er sie ohne Unterschied zu einer einzigen Anklageschrift zusammenfügt, die im Titel schon deutlich genannt ist. Doch können die Dokumente, die er bringt, keinesfalls die katholische Kirche für ’gewaltsame Katholisierung’ verurteilen.“
Jure Krišto behandelt in seinem zweibändigen Werk Katolíčka crkva i Nezavisna Država Hrvatska 1941. - 1945. die Geschichte der katholischen Kirche und des Unabhängigen Staates Kroatien. Der 2. Band enthält Dokumente. Beide Bände sind 1998 erschienen (vgl. Krišto 1998a, 1998b).
Klaus Buchenau beschäftigt sich in seiner Monographie Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945-1991. Ein serbisch-kroatischer Vergleich aus dem Jahr 2004 mit einem Thema, das sowohl bei den Serben als auch bei den Kroaten eine wichtige Rolle spielt. Die historische Entwicklung dieser beiden Konfessionen wird ausführlich dargestellt. Das Werk enthält einen kommentierten Forschungsbericht, in dem historische Arbeiten, Surveys und aktuelle Analysen, diskursanalytische, theologische und religionssoziologische und ethnologische Arbeiten über Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien vorgestellt werden. Die Darstellung Buchenaus zeigt, dass in der kroatischen und serbischen Historiografie Vieles einseitig und unobjektiv dargestellt wurde. In der vorliegenden Masterarbeit kann auf Einzelheiten nicht eingegangen werden. Im Folgenden seien einige ausgewählte Arbeiten, die sich auf Kroatiens Geschichte, besonders aber auf den Erzbischof Alojzije Stepinac beziehen, kurz vorgestellt.[5]
Einen allgemeinen Überblick über den NDH-Staat bietet das Werk Der kroatische Ustascha-Staat von Ladislaus Hory und Martin Broszat aus dem Jahr 1964. Die inhaltlichen Schwerpunkte werden auf das Geschehen anlässlich der Proklamation des NHD und Ante Pavelics Machtergreifung und seine Rolle gelegt.
Das Werk Kardinal Aloisius Stepinac. Ein Leben für Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit von Ernest Bauer aus dem Jahr 1979 bietet einen guten Überblick über Stepinacs Leben und seine persönlichen Standpunkte. Aus dem Werk geht hervor, dass Stepinac durch seinen Heroismus ein Beispiel für die ganze Kirche geworden ist. In weiterer Folge ist ersichtlich, dass die große Liebe Stepinacs zu seinen Nächsten nach seinem Tod nicht aufgehört hat. Bauer meint, dass Stepinac noch heute sehr präsent ist und dass mit Stepinac ein Heiliger gestorben sei.
Die ausführlichste Beschreibung von Ajozije Stepinacs Leben, seinem Wirken, seiner Rolle während der Kriegsjahre und danach bietet Aleksa Benigar mit seinem Werk Alojzije Stepinac. Hrvatski Kardinal aus dem Jahr 1993. Benigar kannte Stepinac persönlich seit dem Jahr 1929, als Benigar seine Dissertation verteidigen musste. Danach ging Benigar nach China, verfolgte aber weiterhin das Geschehen in Kroatien. Der Autor bringt seine Freude zum Ausdruck, dass Stepinac trotz harter Widerstände seine Vorhaben umsetzen konnte.
Eine kurze und gut wiedergegebene Darstellung bietet Šimun Šito Coric in seinem Werk Kardinal Alojzije Stepinac. Grundlegende Tatsachen über seine Person und sein Werk, das er im Jahr 1998 herausbrachte. Diese Arbeit beinhaltet eine Kurzbiographie, drei politische Bewegungen (Nazismus, Faschismus, Kommunismus) zur Zeit Stepinacs, Stepinacs Aussagen vor dem Gericht und Aussagen über Stepinac seitens der Öffentlichkeit. Aus dieser Monographie geht hervor, dass die Umstände, in denen Stepinac wirkte, bekannt sind. Somit wird zum Ausdruck gebracht, dass Stepinac mit seinem Handeln die Heimatgrenze überschritten und die Bewunderung nicht nur seiner, sondern anderer Konfessionen hervorgerufen hat.
Eine etwas kürzere Darstellung über Stepinacs Leben bietet Vladimir Horvat mit Kardinal Alojzije Stepinac. Mučeník za ljudska prava, das im Jahr 2008 erschien. Hier wird auf den geplanten Prozess eingegangen. Horvat ist der Meinung, dass in der Vergangenheit Vieles falsch gemacht wurde. Heute ist bereits das Heiligsprechungsverfahren im Gange. Die Katholiken werden aufgerufen, sich durch Bitten und Beten daran zu beteiligen.
Tomislav Vujeva beschreibt in seiner Dissertation Kollaboration oder begrenzte Loyalität? Die historiographische Diskussion um Erzbischof Alojzije Stepinac von Zagreb und den katholischen Klerus im Unabhängigen Staat Kroatien (1941-1945) aus dem Jahr 2009 die Rolle Stepinacs als Erzbischof im Unabhängigen Staat Kroatien und die Beziehung des Heiligen Stuhls zu diesem proklamierten Staat. Vujevas Arbeit enthält auch zahlreiche Informationen über die orthodoxe und jüdische Bevölkerung im Unabhängigen Staat Kroatien.
Das Werk Stepinac u Lepoglavi. Zapisi nadbiskupova čuvara von Dane Miric aus dem Jahr 2011 wurde von Stepinacs Wächter geschrieben. Er wollte das Geschehen im Gefängnis der breiten Öffentlichkeit näher bringen. Ein weiterer Grund war, dass er alle Anschuldigungen seitens der Theologen widerlegen wollte.
Erwähnenswert ist noch eine akutelle Publikation, die im Sommer 2015 als Beilage der Zeitschrift Večernji list (Večernji 2015) in Zagreb herausgebracht wurde. Das Werk setzt sich aus Beiträgen angesehener kroatischer Historiker, Reporter und Publizisten zusammen. Hier wird explizit und ohne Ehrfurcht über Stepinacs Person, über seinen Tod als 'Märtyrer' und über die 'Hinterlist' des damaligen Staatschefs Broz Tito berichtet.
Die in die vorliegende Masterarbeit als Quelle miteinbezogene DVD Ich habe ein reines Gewissen (DVD 2007) von Mario Raguž, die im Jahr 2007 erschien, ist an einen breiten Interessiertenkreis gerichtet. Das Medium bietet einen schnellen Überblick über Stepinacs Person. Der 40-minütige Text auf der DVD ist für jedermann verständlich. Die Dokumentation liegt im kroatischen Original sowie in deutscher, englischer, italienischer und französischer Version vor. Das Medium ist im Stepinac Museum in Zagreb erhältlich.
5 Historischer Einblick in die Beziehungen von Kirche und Staat
Das in der Literatur oft einseitig und nicht objektiv dargestellte Geschehen innerhalb der katholischen und orthodoxem Kirche im ehemaligen Jugoslawien stellen für die Forschung eine große Herausforderung dar. Um die Hintergründe der Konflikte von Staaten und Kirchen im südslawischen Raum verstehen zu können, sind Kenntnisse der geschichtlichen Hintergründe notwendig. Deshalb sei dieses Thema in der vorliegenden Arbeit ausführlich behandelt.
5.1 Kirche vs. Staat - Ziele zur Konfliktvermeidung
Kirche und Staat sind Institutionen und verfolgen unterschiedliche Ziele, um Konflikte zu umgehen. Der Staat sorgt sich um das materielle Wohl seiner Mitglieder und die Kirche um das Wohl und das Heil der Menschen. In der Zeit der ersten Christen unterschied sich die Aufgabe der Kirche wesentlich von jener des Staates. ”Kirche und Staat dürfen nicht miteinander identifiziert werden, wenn sie authentisch bleiben wollen“ schreibt Krišto (1996: 10), verweist aber an anderer Stelle darauf, dass es in der Geschichte immer wieder zu Spannungen zwischen Kirche und Staat kommt. Er versucht dies auf folgende Weise zu erklären:
”Der Hauptgrund der Spannungen zwischen Kirche und Staat liegt darin, daß sich im Laufe der Geschichte das Bewußtsein über die Rolle einer jeden dieser beiden Institutionen ändert, was auch das Verständnis der gegenseitigen Beziehungen impliziert. Wie die Kirche ihr Bild von sich und ihrer Rolle in der Welt ändert, so hat auch der Staat viele Phasen der Selbstverwirklichung durchlaufen, bis hin zum jetzigen allgemein (wenigstens im Westen) akzeptierten Verständnis des Staates als liberaler Demokratie“ (Krišto 1996: 9).
Das Verhältnis von Staat und Kirche, von Nation und Kirche ändert sich im Laufe der Zeit. Das Problem muss immer wieder ”unter veränderten politischen, sozialen und kirchlichen Bedingungen neu gelöst werden“ (Härtel 1996: 143). Nach Krišto (1996: 9) sind im Neuen Testament ”zum Charakter der Beziehungen zwischen Staat und Kirche“ keine ausdrücklichen Hinweise, wohl aber ”bestimmte Standpunkte über den Staat“, zu finden. Er schreibt weiter:
”In der neutestamentlichen Perspektive ist der Christ verpflichtet, sich der staatlichen Autorität unterzuordnen, aber es gibt auch Grenzen dieser Unterordnung. Denn die Autorität des Staates kommt von Gott; daher muß der Christ sich ihm unterwerfen. Der Römerbrief (13, 1 ff.) ist darin mehr als deutlich: 'Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt.’ Damit man den rechten Umfang der Botschaft des Römerbriefes versteht, muß man beachten, daß er während der Herrschaft Neros und der Kirchenverfolgung geschrieben wurde. In die gleiche Richtung gehen auch andere Texte des Neuen Testaments“ (Krišto 1996: 9).
Die von der Heiligen Schrift empfohlene Distanz wurde von der Kirche nicht immer eingehalten, und auch der Staat hütete sich nicht davor, ”in den Wirkungskreis der Kirche einzudringen. Daß der Staat sich bemüht hat, die Kirche unter seine Macht und Kontrolle zu bringen, zeigen die verschiedenen Formen von Staatskirchentum, Gallikanismus, Febronianismus, Josephinismus u. ä. in genügendem Maße“ (Krišto 1996: 10). Papst Gelasius (492-496) vermied seinerzeit eine Identifizierung der Kirche mit dem Staat durch seine Lehre von den zwei Mächten imperium und sacerdotium. Mit dem Mittelalter kam es aber zu Veränderungen. Die Kirche bemühte sich stets um den Entzug der Kontrolle der zivilen Gewalt und war der Auffassung, dass sie über dem Staat stehe und versuchte, mit Hilfe der zivilen Macht ihren Einfluss auszuüben. Man spricht auch von einem Durchdringen von Staat und Kirche, was zur Folge hatte, dass es schwierig war, sie zu unterscheiden (vgl. Krišto 1996: 10).
Im Osten und Südosten Europas trug die Kirche zur Identitätsfindung eines Volkes häufiger bei als im Westen, was die Durchschaubarkeit der Geschichte noch schwieriger macht. ”Im Westen hat sich der synthetische Kirchenbegriff durchgesetzt, die Einheit der Kirche manifestiert sich im Verhältnis zum apostolischen Stuhl zu Rom, der seine Vorrangstellung auf die ’Apostelfürsten’ Petrus und Paulus als Gründer zurückfährt“ (Härtel 1996: 144). Andererseits ist im Osten ’’gewissermaßen ein analytischer Kirchenbegriff vorauszusetzen: die katholische, die universale Kirche konstituiert sich aus verschiedenen, kirchenrechtlich voneinander unabhängigen Ortskirchen“ (Härtel 1996: 143).
”Das ursprüngliche Territorialprinzip: man gehört zu jener Kirche, auf deren Gebiet man lebt, wandelt sich im Laufe der Geschichte immer mehr zu einem Nationalitätenprinzip. Im Südosten Europas ist schon während der Christianisierung das Bestreben zu beobachten, in einem eigenen Staat eine eigene, jurisdiktionell weitgehend unabhängige Kirche zu schaffen, wie das auf einmalige Weise die Geschichte Bulgariens zeigt. Durch das Nationalitätenprinzip wird das strenge Territorialprinzip aufgehoben, und so kann es durchaus vorkommen, daß in einer Stadt mehrere Bischöfe residieren, was in der Alten Kirche unmöglich gewesen wäre“ (Härtel 1996: 144).
Nach dem Ersten Weltkrieg kam es ”zu einer verstärkten Konzentration der politischen Entscheidungen auf zwei Personen: den Papst selbst und seinen Kardinalstaatssekretär“ (Wolf 2008: 148). Bis dahin wurde bei politisch brisanten Fragen stets die ’’Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten“, die dem Staatssekretariat unterstand, eingeschaltet. Diese spielte während der Amtszeit Eugenio Pacelli als Kardinalstaatssekretär (1930-1939) so gut wie keine Rolle mehr. ”Die Kardinäle wurden nur noch selten zu einer Sitzung zusammengerufen, um den Papst in einer wichtigen Frage zu beraten“ (Wolf 2008: 148). Weiter schreibt Wolf (2008: 148), dass ’Gutachten von Konsultoren der Kongretation mit ausgiebigen Analysen des anstehenden Problems und dem Durchspielen unterschiedlichster Lösungsmöglichkeiten [...] in den einschlägigen Akten“ kaum mehr zu finden sind und auch Protokollierungen der im 19. Jahrhundert üblichen, ’teils heftigen Diskussionen der Kardinäle auf den Sitzungen der Kongretation“ vermisst werden (vgl. Wolf 2008: 149). Der Umstand, dass sich nach dem Ersten Weltkrieg politisch schwierige Entscheidungen verstärkt auf den Papst und seinen Kardinalstaatssekretär Pacelli konzentrierten, spielt für die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat eine bedeutende Rolle.
”Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde oder als das Zentrum dem Ermächtigungsgesetz zustimmte, gab es genausowenig eine Sitzung der Kardinäle wie im Frühjahr 1933, als die Verfolgung der Juden begann und zahlreiche Persönlichkeiten den Papst aufforderten, deswegen bei der deutschen Reichsregierung zu intervenieren. Auch zur 'Reichskristallnacht' 1938 sucht man vergeblich ein Protokoll. Dies gilt für die Verhandlungen zum Abschluß des Reichskonkordats im Sommer 1933 ebenso - bisher waren die Vereinbarungen zwischen den Staaten und dem Heiligen Stuhl die Domäne und vornehmste Aufgabe der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten gewesen - wie für den 'Anschluß' Österreichs 1938 und die in diesem Zusammenhang äußerst problematische Rolle Kardinal Theodor Innitzers (1875-1955) von Wien oder für die Entstehungsgeschichte der Enzyklika 'Mit brennender Sorge' von 1947“ (Wolf 2008: 149).
Pius XII. war Jurist und Kanonist. Die von ihm entfaltete ”Lehre über die internationalen Beziehungen“ stellt den ”’den wichtigsten Teil ... seines doktrinalen Werkes’ (R. Coste)“ dar (vgl. Baubérot/Mayeur 1992: 402). Diese Lehre und die Politik Pius XII. gehören zusammen und müssen angesichts des Zweiten Weltkrieges und der Probleme der Nachkriegszeit gemeinsam betrachtet werden (vgl. Baubérot/Mayeur 1992: 402).
Für die beiden Entscheidungsträger Papst Pius XI. und seinen Kardinalstaatssekretär Pacelli war ein ”äußert hohes Amtsverständnis und Autoritätsbewusstsein“ charakteristisch. Vor seiner Amtszeit als Kardinalsstaatsekretär beim Papst (1929-1939) wirkte Pacelli zwölf Jahre als Nuntius in Deutschland (1917-1929; München und
Berlin) und war überzeugt, ”der Deutschlandkenner der Römischen Kurie schlechthin zu sein“ (Wolf 2008: 149). Pacelli bearbeitete die deutschen Angelegenheiten weitgehend selbstständig, ohne die Kongregation einzuschalten, hatte aber regelmäßige Privataudienzen bei Pius XI. In persönlichen handschriftlichen Aufzeichnungen Pacellis sind die wesentlichsten Resultate seiner regelmäßigen Privataudienzen bei Pius XI. belegt. Eine zweite Aktensammlung stellt ein vertrauliches Notizbuch Pacellis dar, das ausschließlich für seinen persönlichen Gebrauch bestimmt war (vgl. Wolf 2008: 149). Diese Quellen erlauben nach Wolf (2008: 151) ”einen unmittelbaren Einblick in die Arbeit und Denkart von Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli und Papst Pius XI. selbst“.[6]
Am 9. November 1938 erschien der Bericht Orsenigos zur 'Reichskristallnacht'. ”Der Nuntius hatte den Kardinalstaatssekretär ausführlich über den 'antisemitischen Vandalismus' informiert“ (Wolf 2008: 233). Auf diesen Bericht ist eine Reaktion seitens der römischen Kurie ausgeblieben und nach Wolf ist es nicht klar, ob dieser Bericht den Papst je erreicht hat.[7] ”Die Kurie hat jedenfalls auch zu diesem offenen antisemitischen nationalsozialistischen 'Vandalismus' öffentlich geschwiegen“ (Wolf 2008: 233). Nach dem Tod Pius XI. wurde Eugenio Pacelli (1876-1958) zum neuen Papst Pius XII. gewählt.
’’Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939-1958), ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. [...]. Für die einen war er schlicht 'Hitler's Pope' (John Cornwell), für die anderen dagegen der 'größte jemals lebende Wohltäter des jüdischen Volkes' (Pinchas Lapide). Seit dem Erscheinen von Rolf Hochhuths Theaterstück Der Stellvertreter wollen die Debatten um sein 'Schweigen' zum Holocaust und die Schuld der katholischen Kirche an der systematischen Ermordung von über sechs Millionen Juden nicht verstummen. Die Forschung konzentriert sich daher fast vollständig auf seine Zeit als Papst, vor allem auf den Zweiten Weltkrieg.
Dass Pacelli bereits als Nuntius in Deutschland von 1917 bis 1929 und dann als Kardinalstaatssekretär von 1930 bis 1939 die vatikanische Wahrnehmung Deutschlands maßgeblich mitbestimmte, wird bei der Einordnung seines 'Schweigens' zum Holocaust meist nicht ausreichend berücksichtigt.“ (Wolf 2009b: 61).
Wolf (2008: 233) stellt sich die Frage, wer dieses Schweigen letzlich zu verantworten habe: ”War es der Papst? Oder doch sein Chefdiplomat, der Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli?“ Diese Frage kann anhand der im Vatikanischen Geheimarchiv neu zugänglichen Quellen (noch) nicht geklärt werden. ”Es wird jedoch deutlich, daß Pius XI. spätestens im letzten Jahr seines Pontifikats entschlossen war, entschieden gegen den Nationalsozialismus, seine Rassenideologie und die Verfolgung der Juden einzuschreiten“ (Wolf 2008: 233). Dies wird von Cornwell (2000: 247) bestätigt, indem er schreibt:
”Pius XI. hatte sich schließlich 1937 in einer Enzyklika Mit brennender Sorge gegen das Regime in Deutschland ausgesprochen, und seine Beziehungen zum faschistischen Italien waren zum Zeitpunkt seines Todes ein Scherbenhaufen. Der Lateranvertrag und das Reichskonkordat waren aber dennoch rechtsgültig. Ein neuer Papst konnte, falls er Hitler und Mussolini wohlgesonnen war, die Achse BerlinRom festigen und den Diktatoren in den Augen der Welt moralischen Auftrieb geben. Er konnte auf der anderen Seite auch neutral bleiben - als ein ’Mann des Gebets,’ ein pastoraler Papst, der sich weigerte, zugunsten einer der beiden Konfliktparteien Stellung zu nehmen; oder er konnte sich auf die Seite der Demokratien stellen und die amerikanische öffentliche Meinung ermutigen, im heraufziehenden Konflikt Frankreich und Großbritannien zu unterstützen.“
Bei der Einordnung seines „Schweigens“ zum Holocaust wird nach Wolf (2009b: 61) meist nicht ausreichend beachtet, dass ’’gerade die zwölf Jahre als Nuntius seine Sicht auf Deutschland und damit auch seine Politik als Papst entscheidend geprägt haben“ dürften. Wolf (2009b: 63) schreibt, das Pacelli in seinen Berichten immer wieder von zwei deutschen Prägungen, die er als Traumata erfuhr, berichtet: ’Einerseits auf das Scheitern der päpstlichen Friedensinitiative von 1917 und andererseits auf das Seelsorgedesaster im Gefolge des Kulturkampfes im Deutschland Bismarcks. Beides durfte sich seiner Ansicht nach nie mehr wiederholen“ (Wolf 2009b: 64). Er vertritt die Meinung, dass daraus bestimmte Handlungsmuster resultieren würden und kommt zu folgendem Schluss:
’Sein [Pacellis, D. S.] Lehrmeister Gasparri hatte Recht gehabt: Strikte Neutralität des Heiligen Stuhls in innenpolitischen und internationalen Konflikten, weil der Papst als padre comune über den Parteien stehen müsse und klarer Primat der Seelsorge vor der Politik (cura animarum suprema lex), notfalls auf Kosten einer völligen Entpolitisierung des Katholizismus. Vielleicht liegt hier ein Schlüssel zum Verständnis seines späteren ’Schweigens’“ (Wolf 2009: 64b).
Im Zeitraum von den frühen dreißiger Jahren bis in die späten fünfziger Jahre war Pacelli der einflussreichste Mann der Kirche: ’Pacelli trug mehr als jeder andere Vatikanfunktionär seiner Zeit dazu bei, die Ideologie der päpstlichen Macht durchzusetzen, - jener Macht, die er selbst 1939 am Vorabend des Zweiten Weltkriegs übernehmen und bis zu seinem Tode im Oktober 1958 ausüben musste“ (Cornwell 2000: 16). Als Papst Pius XII. beanspruchte er seine Handlungsfreiheit und versuchte den Eintritt Italiens in den Krieg mit aller Kraft zu verhindern. Dies stieß bei Mussolini auf Protest und Widerstand, doch der Papst aber erwiderte Mussolinis Botschafter beim Heiligen Stuhl, ”er fürchte sich nicht davor, in ein Konzentrationslager zu kommen [...]“ (Baubérot/Mayeur1992: 404).
5.2 Kirche und Staat in der südslawischen und kroatischen Geschichte
Um die Situation der Kirchen in Kroatien und im übrigen südslawischen Raum verstehen zu können, ist es notwendig, zu den Anfängen zurückzukehren. In der europäischen Kultur- und Kirchengeschichte spielt das Jahr 330 n. Chr. eine entscheidende Rolle: Der römische Kaiser Konstantin ging nach Byzanz (heute Instanbul) und gründete dort das ”Neue Rom am Bosporus“. Die Stadt wurde in Konstantinopel umbenannt (vgl. Bogovic 1996: 111):
”Durch den Weggang des Kaisers aus Rom änderte sich auch die Beziehung des römischen Bischofs zur Staatsgewalt. Als der Schatten des Kaisers im Westen verschwunden war, gab es dort keine Person mehr, die größeres Ansehen als der römische Bischof genossen hätte. Es entstand ein größerer Raum für die Kirche, damit sie größere Autonomie gegenüber der weltlichen Macht entwickeln konnte. Weiter wurde nach dem Verschwinden der universalen weltlichen Macht diese durch geistige ersetzt: reges regnant, Romanus autem Potifex imperat (Könige herrschen, der römische Bischof aber befiehlt)! Erst im Jahr 800 besaß ein Herrscher die universale weltliche Macht im Westen - Karl der Große. Aber er erhielt sie vom Papst. So haben wir im Westen zwei oberste Machtprinzipien: den römischen Bischof und den Kaiser [...]“ (vgl. Bogovic 1996: 112).
Im byzantinischen Osten bewahrten die Nachfolger Konstantins den Platz als Oberhaupt des Christentums, auch wenn sie sich nicht mehr als ”Hohe Priester“ bezeichneten.
”Sie vereinten in sich sacerdotium und imperium. Das sacerdotium übten sie mittels Patriarchen und Bischöfen aus, aber kein Patriarch konnte im Verhältnis zum Imperator jene Autonomie erlangen, die der römische Bischof erlangt hatte. Der Basileios hatte seine direkte Autorität von Gott. Auf byzantinischen Münzen krönt Christus oder die Muttergottes den Kaiser auf dem Thron [...]. Diese große Abhängigkeit des kirchlichen Oberhaupts von der höchsten weltlichen Gewalt bewirkt, daß alle Kirchen des orthodoxen Typs viel flexibler für die Einordnung in politische, staatliche Ziele sind“ (Bogovic 1996: 112 f.).
Im Jahr 394/95 kam es zum Zerfall des Byzantinischen Reiches in zwei Hälften. Daraufhin bildete sich in Europa eine Kulturgrenze zwischen dem lateinischen Westen (Rom) und dem byzantinischen Osten (Konstantinopel) heraus (vgl. Matl 1973: 8). Im südöstlichen Europa verläuft die Grenzlinie über den Fluss Drina (vgl. Krišto 1996: 11). Bogovic (1996: 113) schreibt, dass nach Georg Beck die ’’Verflochtenheit von Religion und Politik zu den Grundlagen der byzantinischen Gesellschaft“ zählt. Er zitiert ihn, wie folgt:
”'Was im öffentlichen Leben von Byzanz besonders auffällt und immer schon aufgefallen ist, das ist eine eigenartige Verzahnung von religiösen Glaubensvorstellungen mit politischen Ideen, von kirchlichen Riten und bürgerlichen Verhaltensweisen, von Dogmatik und Politik, von Alltagsleben und Allerweltstheologie.'“[8]
Diese Überlegungen beziehen sich auf die Zeit, als die slawischen Staaten unter kommunistischer Macht standen. Dazu schreibt Bogovic (1996: 113 f.):
”Nach Beck hat Byzanz diese politische Orthodoxie in seinem Missionswirken auch auf andere Völker übertragen, die mit der Zeit unter seinen politischen und kirchlichen Einfluss gekommen sind. 'Die bekehrten Krale und Khane übernahmen das System, sparten aber, jedenfalls auf Dauer, den byzantinischen Kaiser aus; sie setzten sich einfach an seine Stelle, und so blieb das System im wesentlichen intakt. Wiederum fielen Volkstum, 'Nationalbewußtsein', Glaube und Ritus, aber auch politische Untertänigkeit zusammen und bildeten ein Gesamt, in dem das Volk sich selbst zuhause fand. Und wir alle wissen, daß gerade dieses System dazu beigetragen hat, die Völker der Balkanhalbinsel jede fremde Okkupation mit fast ungebrochem nationalen Bewußtsein überleben zu lassen. Es war gewiß nicht primär der Formelschatz der orthodoxen Dogmatik, der alles fertigbrachte, sondern das geschilderte kompakte Ineinander religiöser und nationaler Überzeugungen und Handlungen. Und so musste es kommen, dass auch die neuen kommunistischen Herren mit dieser politischen Orthodoxie rechnen mußten, ja rechnen konnten“ (Bogovic 1996: 113 f.).
Während des 4. Kreuzuges wurde im Jahr 1204 Konstantinopel vom Westen eingenommen. Am Bosporus wurde ein lateinisches Kaiserreich gegründet. Neben anderen Tatsachen trug dies in großem Maße dazu bei, dass sich am Balkan der serbische Staat als neue Macht entwickeln konnte.
”Trotz anfänglichen Schwankens sollte dieser Staat die Eigenschaften bekommen, die dem Osten zu eigen sind, wo der Staat fest und organisch mit der Kirche verbunden ist. Diese Bezeichnung ist im 'Steuerbuch' formuliert, dem Gesetzbuch, das der Hl. Sava auf der Grundlage byzantinischer Quellen zusammenstellte. Damit hat er die Fundamente für die Beziehungen von Kirche und Staat aufgestellt und auf diesen Fundamenten hat das mittelalterliche Serbien eine organische und harmonische Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Institutionen entwickelt.[9] “ (Bogovic 1996: 115).
Im orthodoxen Serbien kam es im 12. Jahrhundert unter Stefan Nemanja zu Bestrebungen, man müsse dem serbischen Volk Eigenständigkeit einräumen. Dies war aber nur durch den Zusammenschluss der damaligen serbischen Staaten zu einem Staat, dem früheren Staat Raška unter Nemanjas Verwaltung, möglich (vgl. Kalezic 1996: 100). Nemanja ’’wollte, dass sein Volk eine eigene Kirche bekommt, die nicht allzu sehr an Konstantinopel gebunden wäre“ (Kalezic 1996: 100). Sein jüngster Sohn Rastko, der auf dem Berg Athos Mönch wurde und den Namen Sava annahm, wurde im Jahr 1219 zum ersten Bischof von Serbien geweiht:
’ Von 1219 an war die Serbische Kirche ein autokephales Erzbistum, der serbische Staat ein Königreich. Dieser Status blieb bis zum Jahr 1346, als am Palmsonntag die Serbische Kirche zum Patriarchat erhoben wurde (der erste Patriarch war Joakinije) und zu Ostern das serbische Königreich zum Kaiserreich: Patriarch Jakijine krönte König Dušan zum Kaiser. Diese Periode heißt auch die Zeit der Nemanjici (Nemanjiden), da alle Herrscher bis 1371 aus der Familiendynastie des Stefan Nemanja hervorkamen. Das gleiche galt für die Erzbischöfe, die ebenfalls alle aus dieser Familie stammten (nicht nur der erste Nachfolger Savas, Arsenije). Wenn man als Beispiel Erzbischof Sava und dessen Bruder König Stefan Prvovencani (= Erstgekrönter) heranzieht, so erkennt man die exusiologischen Grundlagen und das Konzept der koordinierten Diarchie der geistlichen und weltlichen Herrschaft bei den Serben, die bis zum modernen 19. Jahrhundert in völligem Einklang bestanden. Erst nach diesem Zeitpunkt setzten schrittweise Trennungen ein. Die Kirche hatte einen großen Teil der Staatsangelegenheiten inne: Sie sorgte sich um die Kultur, einen Teil der Administration, kümmerte sich um die Kranken und Armen. Der Staat unterstützte die Kirche“ (Kalezic 1996: 100 f.).
Nach der schrecklichen Schlacht am Amselfeld (Kosovo Polje) im Jahr 1389 wurden die serbischen Staaten wieder geteilt, existierten aber weiterhin. Das einheitlich gebliebene serbische Patriarchat von Pec ’ behütete die Einheit des Volkes“ (Kalezic 1996: 101). Nach der Eroberung der serbischen Länder durch die Türken (1459: Serbien, 1463: Bosnien, 1482; Herzegowina und 1499; Zeta-Montenegro) waren politische oder strategische Tätigkeiten nicht mehr möglich. Die Folge war eine enge Bindung an das Orthodoxentum. Nach der Schlacht von Kosovo stand Serbien den Türken feindlich gegenüber. Die Kirche leistete Hilfe, wo immer es notwendig war: ’ Die Tatsache, dass der Staat nicht mehr existierte, empfand man nicht als besonders tragisch, da man in dieser Zeit das Gefühl entwickelte, das Serbentum sei eins mit der Orthodoxie“ (Kalezic 1996: 101).
Für die serbische Orthodoxie ist eine parallele Entwicklung von Kirche und Staat charakteristisch: ’Soweit die Macht des serbischen Königs gereicht hat, soweit reichte auch die Macht des serbischen Erzbischofs. Wenn die Grenzen des Staates erweitert wurden, wurden auch die Grenzen der serbischen Kirche erweitert“ (Bogovic 1996: 117). Die Orthodoxie war und blieb Staats- bzw. Nationalkirche. Der Kaiser hatte sämtliche Macht inne und war
”[...] ein universaler Herrscher. Ihm war zu eigen, daß er ’imperat’. Das war seine Natur. Der König (rex) war in seiner Macht auf eine Region beschränkt. Doch ein Kaiser unterlag dieser Beschränkung nicht. Der serbische Staat ist also in seiner Entwicklung bis zu jenem Höhepunkt gelangt, als er weder in staatlicher noch in kirchlicher Hinsicht eine Macht über sich hatte. Er hatte das Recht zu gebieten, zu befehlen, aber niemand hatte das Recht, ihm zu gebieten und zu befehlen. Er stand außerhalb des Bereichs jeder staatlichen oder kirchlichen Macht. Die Kirche akzeptierte diese Beziehung nicht nur, sie unterstützte sie auch. [...].
Das Serbentum wurde zur Religion, weil der Staat national war. Diejenigen, die im Kampf für das Serbentum fielen, wurden Märtyrer der orthodoxen Kirche. Die ’Entscheidung auf dem Amselfeld’ ist die Entscheidung für das ewige Serbien“ (Bogovic 1996: 118).
Auch heute noch zeigt sich bei den Serben eine ”enge Verbindung zwischen Orthodoxie und wahrem Serbentum um das Fest des hl. Sava (27./14. Januar) unter dem Begriff ’Svetosavlje’“ (Härtel 1996: 147).
Die serbische Bevölkerung von Bosnien und Herzegowina wurde ab der Mitte des 15. Jahrhunderts bis heute islamisiert. Die Moslems stellen zum größten Teil serbische Bevölkerung dar, hier leben aber auch Menschen, die kroatischer und teilweise türkischer Abstammung sind. Außerdem sind am Ende des 17. Jahrhunderts Menschen aus Südungarn nach Bosnien und Herzegowina geflüchtet (vgl. Terzic 1996: 87). ”Über ihre Zugehörigkeit hauptsächlich zum serbischen Ethnos berichten zahlreiche ausländische Quellen, denen man Einseitigkeit zugunsten der serbischen Betrachtungsweise dieses Problems nicht unterstellen kann“ (Teržic 1996: 87).
Nach dem Eindringen der Osmanen im 16. Jahrhundert auf den Balkan floh die in Bosnien und Herzegowina angesiedelte katholische Bevölkerung in andere Gebiete. Viele von denen, die in ihrer Heimat zurückgeblieben sind, traten zum Islam über. In die von Christen ausgewanderten Orte kamen orthodoxe Walachen, eine andere ethnische und religiöse Gruppe (vgl. Krišto 1996: 12).
Im späten 16. und im Laufe des 17. Jahrhunderts siedelten sich in der Militärgrenze Vojna Krajina Tausende von orthodoxen Walachenfamilien an. Die Militärgrenze war ein militärisches Schutzgebiet in Grenzgebieten zwischen der Habsburger Monarchie und dem Osmanischen Reich. Wegen der jahrelangen kriegerischen Handlungen sind viele Bewohner aus diesen Gebieten geflüchtet. Im Rahmen der Wiederbesiedelung wurden hier günstige Privilegien geschaffen. Dieses Schutzgebiet wurde ab der Mitte des 16. bis zum 19. Jahrhundert Stück für Stück erweitert (vgl. Kaser 2004: 439). Eine wesentliche Erweiterung fand seit 1683 nach der erfolgreichen militärischen Konfrontation mit den Osmanen statt. ”Im Westen wurde die Lika angegliedert, im Osten die 'Slawonische Grenze' entlang der Save bis vor Belgrad, weiters die 'Banater' sowie die 'Siebenbürger' Grenze“ (Kaser 2004: 441). Es wurden Maßnahmen eingeleitet, die das Ziel eines geschlossenen Militärgrenzterritoriums verfolgten (vgl. Kaser 2004: 440).
Eine weitere große Tragödie neben der Schlacht auf dem Amselfeld stellte für die Serben die ”große Wanderung (seoba Srba) aus dem Kosovo in die Vojvodina“ (Härtel 1996: 148) dar
”Vor den Türken waren bereits 1690 zahlreiche serbische Familien unter Führung des Patriarchen Arsenije III. Crnojevic nach Südungarn geflohen und hatten dort die Metropole Sremski Karlovci (Karlowitz) gegründet. Sie wurde 1848 von der kaiserlichen Regierung zum autokephalen Patriarchat für die Orthodoxen im habsburgischen Österreich-Ungarn erhoben, doch löste sich davon 1873 die Metropole von Czernowitz in der Bukowina und erklärte sich für autokephal“ (Döpmann 1991: 92).
Eine zweite Umsiedlungswelle der Serben in nördliche Gebiete fand im Jahr 1739 statt. Es kam zu großen Veränderungen, die weitreichende Auswirkungen hatten.
”Das gesamte Volksleben und selbst die Kirche nahmen daran teil: Patriarchen mit ihren Bischöfen und Priestern, die Ersten des Volkes siedeln um. Sie nehmen ihre Kirchenorganisation, die Kultheiligtümer, kulturelle Werte mit und setzten ihr Leben in Gebieten jenseits der Flüsse Drau und Donau fort“ (Kalezic 1996: 104).
Nach dem Umsiedeln wurden diese Serben Teil der Staaten des österreichischen Kaisers und ungarischen Königs (vgl. Kalezic 1996: 104).
Das ”Prinzip der koordinierten Diarchie im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Kirche“ (Kalezic 1996: 104) wurde im Mittelalter in die Tat umgesetzt und auch in der Zeit der Osmanen fortgeführt: ”Jedoch existierte das Volk, nicht als politischer Faktor, sondern als Volk Gottes. In der jahrhundertelangen türkischen Okkupation kam es zu einem tiefen Hineinwachsen und inhaltlicher Verflechtung der Begriffe Serbentum und Orthodoxie“ (Kalezic 1996: 104).
”Die nationalen Befreiungsbewegungen des 19. Jahrhunderts und der Balkankrieg von 1877/78 führten 1789 zur Gründung der autokephalen Metropolie Belgrad. 1882 entstand das Königreich Serbien“ (Döpmann 1991: 92). Im Jahr 1920 billigte das Ökumenische Patriarchat die Vereinigung aller serbischen Teilkirchen. Sie schlossen sich ”zur autokephalen Serbischen Orthodoxen Kirche unter einem Patriarchen“ zusammen, ”der seitdem den Titel führt: Se. Seligkeit, Erzbischof von Pec, Metropolit von Belgrad und Karlovci, Serbischer Patriarch“ (Döpmann 1991: 92).
Die Beziehungen zwischen Religion und Staat bei den Moslems in Bosnien und Herzegowina sind vielfältig. Die wissenschaftliche Untersuchung ”erfordert eine komplexe und subtile Analyse einer Fülle von verschiedenen historischen Komponenten, in erster Linie der Verflechtungen und Beziehungen zwischen dem religiösen, ethnischen, sozialen, nationalen und kulturellen (in weitestem Sinne des Begriffes Kultur) Faktor“ (Terzic 1996: 87). Ein ausgeprägter historischer Zugang ist notwendig,
”[...] da die Rede von einem sehr facettenreichen Phänomen ist, das nach der langwierigen statischen Phase in der Zeit des Osmanischen Reiches seit der Okkupation Bosniens und der Herzegowina im Jahre 1878 infolge der direkten Einflussnahme politischer Kräfte eine Vielzahl von Wandlungen durchlaufen hat“ (Terzic 1996: 87).
Wie die Serben und Kroaten sind die bosnischen Muslime slawischer Herkunft. ”Die Türken bildeten im Laufe ihrer über 400jährigen Herrschaft nur eine dünne Beamten- und Soldatenschicht. Die breite Schicht der muslimischen Bevölkerung konnte die türkische Sprache auch gar nicht [...]“ (Neweklowsky 1996: 18), sie wurden aber von den anderen Konfessionen trotzdem als Türken bezeichnet.
Ab Ende des 17. Jahrhunderts begann sich das mächtige Osmanische Reich aus Europa langsam zurückzuziehen (vgl. Terzic 1996: 90). Im Zuge der Romantik um den aufkommenden Nationalismus begann sich im 19. Jahrhundert bei Kroaten und Serben das Nationalbewusstsein zu entwickeln. Bei den Muslimen war es anders, weil sie ’’Untertanen des türkischen Sultans und als Muslime der priviligierten Schicht eines mächtigen Reiches“ (Neweklowsky 1996: 18) angehörten. Im Zuge dieser
Entwicklungen kam es Anfang des 19. Jahrhunderts im südöstlichen Europa zu einer Radikalisierung der Moslems (vgl. Terzic 1996: 90).
”Das 19. Jahrhundert ist in Bosnien-Herzegowina durch die zentralistische türkische Verwaltung geprägt, durch die bekannten Reformen der Regierung, durch Volksaufstände sowohl der muslimischen als auch der christlichen Bevölkerung, die aus verschiedenen Gründen gegen die Obrigkeiten rebellierten“ (Neweklowsky 2007: 73).
Nach der österreichisch-ungarischen Okkupation Bosniens und der Herzegowina im Jahr 1878 zeichnete sich der Zerfall des Osmanischen Reiches ab:
”Je deutlicher sich nach 1878 der territoriale Zerfall des Osmanischen Reiches abzeichnete, desto unausweichlicher geriet die Außenpolitik der jungen Balkanstaaten in den Teufelskreis eines nationalistischen Irredentismus. Der Traum vom nationalen Großreich suchte seine Verwirklichung in einem hektischen Wettlauf um die Aufteilung der osmanischen Restgebiete auf europäischem Boden und führte zu einem kleinen Hader um Grenzkorrekturen und Landumverteilungen“ (Hösch 2002: 180).
Die Moslems befanden sich an der Grenze zwischen dem islamischen Reich und Europa. Sie standen im Konflikt mit dem westlichen Christentum und den Befreiungsbewegungen der orthodoxen Völker. Dies verstärkte für sie das Gefühl ”der letzte Verteidiger des Islams zu sein“ (Terzic 1996: 90). Den größten Zuspruch erlebte der Islam zur Zeit des orientalischen Feudalismus, ”um somit in erster Linie Ideologie dieses Feudalismus zu bleiben. [...]“ (Terzic 1996: 91). Von serbischer und auch von kroatischer Seite wurde, ”sowohl in nationalistischen Streitschriften als auch in Abhandlungen mit wissenschaftlichem Anspruch und selbst in der Tagespresse, die Existenz einer eigenständigen Nation der bosnischen Muslime geleugnet“ (Paulwitz 1996: 151). Die Wurzeln dieses Arguments reichen zurück in die Zeit der kroatischen Wiedergeburt im 19. Jahrhundert. Nach Paulwitz (1996: 152) entstand das muslimische Eigenbewußtsein in der österreichischen Besatzungzeit. Er zitiert Höpken (1989), wie folgt:
”'Aus der Verteidigung religiöser Interessen und kultureller Traditionen gegen die neuen christlichen Herren Bosniens und aus der Abschottung gegen eine sich langsam modernisierende und säkularisierende Umwelt wurden so Ansätze geboren, religiöse Bindungen und Loyalitäten im Sinne einer 'Konfessionalität' in eine ethnisch-nationales Sonderbewußtsein umzuwandeln.'“[10]
Nach der österreichisch-ungarischen Okkupation und späteren Annexion von Bosnien und Herzegowina kam es für die moslemische Bevölkerung zu radikalen Veränderungen. Sie verloren ihre islamische staatliche Gemeinschaft und waren gegen Österreich-Ungarn erfolglos. Die Besonderheit bei der nationalen Identitätsfindung der bosnischen Muslime liegt nach Paulwitz (1996: 152) ”in der politischen Konstellation, die die islamische Bevölkerung zur beharrenden Isolation bewegte“ und nicht in der religiösen Identifizierung, wie dies parallel zur Entwicklung bei Serben und Kroaten durchaus beobachtet werden kann. Hier war bei der nationalen Identitätsfindung die religiöse Identifizierung bestimmend (vgl. Paulwitz 1996: 152). Vor und nach den Balkankriegen, als die Türken von den Serben aus Europa vertrieben wurden, kamen die
Spannungen zwischen Moslems und Serben immer deutlicher zum Ausdruck. Die Kriege bewirkten, dass die ’’moralisch-psychologische 'Anlehnung' an das gleichgläubige Reich gebrochen“ wurde (vgl. Terzic 1996: 91). Feindselige Gefühle gegenüber den orthodoxen Serben wurden stärker.
’Diese Gefühle hat, neben der jahrhundertelangen Glaubenskonfrontation, die österreichisch-ungarische Herrschaft in organisierter Form unterstützt. Auf dieser Grundlage wie auch aus bestimmten wirtschaftlichen und sozialen Gründen, die durch die gesellschaftlichen Veränderungen nach der Befreiung von der türkischen Herrschaft während des Ersten Weltkrieges (moslemische Freiwilligen-Corps = Schutzcorps [...]) und später während des Zweiten Weltkrieges (faschistische und ähnliche militärische Formationen vom Typ Handžar-Division) entstanden waren, vertiefte sich das Mißtrauen zwischen orthodoxen Serben und Moslems, wobei eine große Zahl ansässiger Moslems an blutigen Pogromen gegen orthodoxe Serben teilgenommen hat“ (Terzic 1996: 91).
In Bosnien und Herzegowina ansässige Moslems wanderten nach der Okkupation und Annexion massenweise aus. Die österreichisch-ungarische Herrschaft verstand es aber, mit Hilfe geschickter Propaganda die negativen Effekte dieses Geschehens zu neutralisieren (vgl. Terzic 1996: 92). Die Monarchie sah in deren Auswanderung eine ’Schwächung des moslemischen Elements in Bosnien und ”den Landgewinn für die Kolonisierung hauptsächlich katholischer Bevölkerung [...], sondern auch die Schwächung eines potentiellen Verbündeten der orthodoxen Serben in diesen Regionen [...]“ (Terzic 1996: 92).
Zu den Grundprinzipien der islamischen Ideologie zählte: ”Der Islam sollte sowohl das geistige als auch das profane Leben bestimmen, er ist somit Religion und Staat [...]“ (Teržic 1996: 90). Führende islamische Würdenträger unterstützten anfänglich den NDH-Staat, jedoch nicht idelogisch, sondern aus taktischen Gründen (vgl. Paulwitz 1996: 152). ’Bosnien und Herzegowina als sechste Republik ohne definiertes Staatsvolk entstand als Machtvakuum zwischen serbischen und kroatischen Ansprüchen“ (Paulwitz 1996: 154). Im AVNOJ-Wappen waren Muslime nicht vertreten. Sie standen im zweiten Jugoslawien unter massivem Assimilationsdruck (vgl. Paulwitz 1996: 153).
Ähnlich wie bei den Serben und Moslems gab es auch in den kroatischen Ländern enge Beziehungen von Kirche und Staat, die ihre Geschichte durchliefen. Die Kroaten nahmen nach der Besiedelung der Gebiete, in welchen sie jezt angesiedelt sind, im 7. Jahrhundert allmählich das Christentum an. Ihre kirchliche Ausrichtung war Rom. Sie akzeptierten die Zugehörigkeit der römischen Kirche und gehörten somit der westlichen Zivilisation an. Seit dem Jahr 879 stehen sie definitiv unter römischer Jurisdiktion (vgl. Krišto 1996: 11). Nach der Kirchenspaltung 1054 blieb der Kontakt der Kroaten mit der römischen Kirche und Kultur aufrecht, denn die Kirche brachte dem kroatischen Volk ”die westlichen Traditionen. Deswegen hat sich die Beziehung von Staat und Kirche nicht viel von den Verhältnissen bei anderen europäischen Völkern unterschieden. Der kroatische König nahm an der Synode von Split im Jahre 925 teil. König Dmitar Zvonimir erhielt 1076 die Krone vom Papst und akzeptierte die Bemühungen der Reformpäpste des 11. Jahrhunderts, sich der Zuständigkeit der weltlichen Herrscher zu entziehen“ (Krišto 1996: 12).
Nach Aussterben des kroatischen Königsadels boten die kroatischen Feldherren im Jahr 1102 die Kroatische Krone der ungarischen Dynastie an. Hiermit traten sie in Personalunion mit Ungarn. ”Im Jahre 1527 erwählte das kroatische Parlament (der Sabor) die Dynastie der Habsburger als kroatische Herrscher“ (Krišto 1996: 12). Die kroatischen Feudalherren konnten die kroatische Souveränität bewahren. Sie hatten besondere ”Rechte verschiedener Institutionen, besonders des Sabor und des Bans (Vizekönig)“, die immer wieder neu bestätigt wurde (Krišto 1996: 12). Die offizielle Bezeichnung des kroatischen Königreichs war ”Dreieiniges Königreich von Dalmatien, Kroatien und Slawonien“. Dalmatien wurde im Laufe der Geschichte aus der Gemeinschaft kroatischer Länder herausgerissen (vgl. Krišto 1996: 12).
Nach der Zeit des Josephinismus wurde die Kirche wieder vom Staat unabhängig. Trotzdem hatte sie im Bereich des Schulwesens die Möglichkeit, auf gesellschaftliche Entwicklungen einzuwirken. Es gab aber immer wieder Probleme, weil die staatlichen Autoritäten oft gegen das Abkommen verstießen. Es kam zu häufigen Beschwerden seitens der offiziellen Kirchenvertreter (vgl. Krišto 1996: 19).
Zur Zeit der Osmanen-Herrschaft kam es in kroatischen Sprachgebieten zu Massenübertritten von Katholiken zum Orthdoxentum, die zum Teil unter Gewalt stattfanden. Die Strategie der Serbisch-orthodoxen Kirche war es nach Krišto, in fremden Gebieten eigene Klöster zu gründen, um die Orthodoxie zu verbreiten. Dazu schreibt Krišto (1996: 15):
”Nachdem so Klöster eingerichtet und die orthodoxe Bevölkerung vermehrt worden war, verlangte man ein eigenes, besonderes Territorium für die serbische orthodoxe Bevölkerung. Besonders im 19. Jahrhundert war die SOK unter der orthodoxen Bevölkerung (in der Mehrheit ethnische Walachen) in den kroatischen Gebieten (Dalmatien, Slawonien, Bosnien und Herzegowina) aktiv - und hat aus ihnen das serbische Volk gemacht. Das verlief paralell zur Ideologie des Großserbentums.“
Die Serbenfrage stellt ein Problem dar, das sich in der kroatischen Geschichte bis in die Gegenwart verfolgen lässt. Im 19. Jahrhundert spielte die großserbische Idee und ihre Verbreitung in Kroatien und Bosnien und Herzegowina eine zentrale Rolle. Wie es zur Serbenfrage überhaupt kam und wo die Hintergründe dafür liegen, beschreibt Krišto (1996: 17) wie folgt:
”Das geschah auf der Sitzung des Sabor 1861. Auf die Behauptung des kroatischen Historikers Ivan von Kukuljevic, daß in der Militärgrenze ausschließlich Kroaten leben, verfaßte der Patriarch von Karlovci Josip Rajacic eine Denkschrift an den Sabor, in welcher er beweisen wollte, daß in der Militärgrenze ausschließlich Serben leben. Im Verlauf der Diskussion und aufgrund der Nachgiebigkeit von Kukuljevic und anderen Sabor-Abgeordneten - alle Anhänger der Ideologie des Jugoslawentums - unterstützten die beiden anwesenden orthodoxen Metropoliten Kragujevic und Jovanovic den Vorschlag von Rajacic und schlugen vor, daß der Sabor in einem Gesetzesartikel aufnimmt, daß in Kroatien und Slawonien außer Kroaten auch Serben leben. Daraufhin riet der Serbe aus dem Banat Jovan Živkovic zu einer Resolution, in der er in abgemildeter Form der brüderlichen Übereinstimmung behauptete, ’daß es im dreieinigen Königreich auch serbische Bevölkerung gibt’. Die Serben errangen damit einen großen politischen Erfolg, denn sie waren das erste Mal als politisches Volk in Kroatien gesetzmäßig anerkannt worden [...].“
Im Jahr 1900 wurde in Zagreb der Erste Kroatische Katholische Kongress abgehalten. Hier wurde trotz des Widerstandes des ErzbiscBanatreofs von Sarajevo Josip Stadler eine Resolution verabschiedet, ”mit welcher der katholische Standpunkt über die gegenseitige ’Unabhängigkeit' von Kirche und Staat bestätigt wurde“ (Krišto 1996: 21). Zur Zeit der Herausbildung des kroatischen Nationalbewusstseins und der Formierung von Nationalstaaten, kam es wieder zu engeren Beziehungen von Kirche und Staat. Dazu schreibt Krišto (1996: 13):
’’Besonders im Laufe des 19. Jahrhunderts ist die Vereinigung der kroatischen Länder angesichts der Bildung von Nationalstaaten zum Programm aller kroatischen politischen Parteien und Gruppierungen geworden. Auch die katholischen Bischöfe und der Klerus bildeten keine Ausnahme. Wenn man bedenkt, daß der Klerus das Fundament der kroatischen Intelligenz bis zum Ende des 19. Jahrhunderts darstellte, ist vielmehr zu erwarten, daß er auch die wichtigste politische Kraft des kroatischen Volkes bildete. Doch ist zu betonen, daß das kroatische Volk sein Nationalbewußtsein nicht aus der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche geschöpft hat. Dieses Bewußtsein ist viel älter als das 19. Jahrhundert, und es basierte auf den kroatischen staatlichen und rechtlichen Traditionen, auf der gemeinsamen Kultur, Tradition und Sprache. Nicht einmal der politisch engagierte Klerus vertrat einen anderen Standpunkt; das kroatische Staatsrecht, und nicht die Kirche, ist Quelle des kroatischen Staats- und Nationalbewußtseins.“
[...]
[1] Wolf 2009b: 61. Online-Projekt. URL: www.pacelli-edition.de; vgl. Wolf 2009a und 2009b.
[2] "Eugenio Pacelli: Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte von Eugenio Pacelli 1917-1929. URL: http://www.pacelli-edition.de/quellen_dokumente.html.
[3] Wolf 2009b: 65. Die Datenbank wurde in der vorliegenden Arbeit nicht herangezogen, weil sie nicht unmittelbar in die Amtszeit von Alojzije Stepinac fällt.
[4] Krišto zählt in der Fußnote eine Reihe von Beispielen aus den 1980-er Jahren auf, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
[5] Hier wird nur eine Auswahl der Fachliteratur vorgestellt. Weitere Werke siehe Bibliografija o bl. Alojziju Stepincu. URL: http://www.glas-koncila.hr/index.php?option=com_php&Itemid=120.
[6] Auf weitere Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Wolf (2008) beschreibt in seiner Monografie mit dem Titel ’’Papst & Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich“ ausführlich die Ereignisse in der Zwischenkriegszeit bis zum Tod vom Papst Pius XI. im Jahr 1939.
[7] In der Zeit zwischen 13. September und dem 3. Dezember 1938 gibt es eine Lücke in den Aufzeichnungen Pacellis. Mehr dazu siehe Wolf 2008: 233.
[8] „H. G. Beck, Byzanz und unserer [sic!] Zeit - welche Spuren hinterließ es in Europa?, in: Südosteuropa-Mitteilungen 25 (1985), 7. Der ganze Artikel ist in der Zeitschrift Jukic 18 (1988), 91105, in Kroatische übersetzt.“ (Bogovic 1996: 113).
[9] „H. Petzodl, Das Wesen der Orthodoxie nach der Auffassung der Serbischen Kirche im Mittelalter, in: Concilium 2 (1966), 517.“ (Bogovic 1996: 115).
[10] „W. Höpken, Die jugoslawischen Kommunisten und die bosnischen Muslime, in: Kapeller, Andreas/Simon, Gerhard/Brunner, Georg (Hg.), Die Muslime in der Sowjetunion und in Jugoslawien. Identität - Politik - Widerstand, Köln 1989, 181-21, hier 183.“ (Paulwitz 1996: 152).
- Citar trabajo
- Diana Stanic (Autor), 2016, Alojzije Stepinac (1898–1960) Erzbischof von Zagreb. Im Zwiespalt zwischen Kirche und Staat und der Prozess seiner Kanonisation, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/341795
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