Anhand der Vorworte der Gedichtsbände "Die Piloten" und "Westwärts 1 & 2" und einiger Gedichte daraus wird eine nie von Brinkmann selbst in dieser Form dargelegte Lyriktheorie und Poetologie erarbeitet. Dazu wird zunächst Brinkmann in seinen historischen und literarischen Kontext eingegliedert, bevor sein ambivalentes Verhältnis zum Medium der Aprache und Literatur durchleuchtet wird, in dem er sich bewegt und dass ihm doch so unzulänglich scheint.
1 Einleitung
Rolf Dieter Brinkmann wurde 1940 in Vechta geboren. Sein Selbstverständnis als Künstler hat sich in starkem Maß aus der Abweichung von anderen ergeben, tatsächlich kann man ihn als radikalen Außenseiter betrachten. Er gehört zu den bemerkenswertesten Autoren der 1960er und 70er Jahre der BRD nicht zuletzt wegen seiner massiven Ablehnung des deutschen Kulturbetriebs. Deren Gipfel wird erreicht, als Brinkmann 1969 einen Eklat provoziert, indem er den Statthaltern des deutschen Literaturbetriebs, namentlich Kritiker Marcel Reich-Ranicki und Rudolf Hartung, auf einer Diskussionsveranstaltung der Akademie der Künste in Westberlin an den Kopf wirft: „Wenn ich ein Maschienengewehr hätte, würde ich Sie jetzt niederschießen.“[1] Brinkmann lehnt radikal jegliche „künstlerische Sprache“ und jede „politisch engagierte“ bzw. „humanistische“ Lebenseinstellung zur Literatur ab. Darüber hinaus unterstellt er fast der gesamten Literatur um 1970 Minderwertigkeit.[2]
1958 begibt er sich auf eine Reise nach Paris. 1959 beginnt er eine Buchhändlerlehre in Essen. 1960 wird seine Lyrik erstmals publiziert. 1962 siedelt er nach Köln um, wo er 1963 ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Köln aufnimmt. 1964 wird ihm der Förderpreis des Landes NRW für junge Künstler verliehen. 1965 hält er sich mehrmals in London auf. 1968 macht Brinkmann Versuche mit 8mm Filmen, hält multimediale Lesungen, schreibt ein Drehbuch im Auftrag des WDR für den Film „Der Abstieg“. 1970 beschäftigt sich Brinkmann intensiv mit Fotoarbeiten. 1971-1973 erhält er Stipendien des Landes NRW und der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom. 1974 ist er Gast am German Department der Universität Austin, Texas. 1975 erleidet er den Unfalltod in London während einer Lesereise anlässlich des Camebridge Poetry Festivals.
Zu seinem Werk zählen 10 Lyrikbände, darunter Die Piloten (1967-68) und Westwärts 1&2 (1975), Prosa, Essays Film in Worten, Ein unkontrolliertes Nachwort, Collagen Schnitte, Hörfunkarbeiten, Tagebücher und zahlreiche Einzelpublikationen, außerdem seine Übersetzungen amerikanischer Lyrik Acid und Silverscreen, die die Undergroundliteratur in Deutschland maßgeblich populär gemacht haben, sowie seine Arbeit als Herausgeber und Schriftsteller des Gummibaum. Hauszeitschrift für neue Dichtung. Dieser diente als Forum für Veröffentlichungen neuer Formen der deutschen Underground-Literatur nach dem Motto 'Was uns gefällt machen wir.'[3]
Dies ist nun der Versuch, eine Theorie der Lyrik Brinkmanns aufzuzeigen. Dies gestaltet sich aus verschiedenen Gründen schwierig. Brinkmann äußert sich weder häufig noch besonders direkt über seine eigene Poetik. Ebenso wehrt er sich vehement gegen Erklärungen und Definitionen[4]: „(und jetzt, an dieser Stelle, soll ich erklären, was ein Dichter ist, krrrch, krrrch, Sprache, Dichtung, Poesie): und was machst du außerhalb der Sprache? Erklärungen machen nervös.“ (U.N, 296) Es kommt ihm viel mehr auf das Niederschreiben flüchtiger Gedanken an. Es ist jedoch möglich, aus seinen Äußerungen über den Literaturbetrieb und die Literatur Anderer - die er wenig kritisch begutachtet sondern meist enthusiastisch annimmt oder schmetternd vernichtet - ex negativo eine Poetik zusammenzustellen, sowie diese aus seinem eigenen Werk zu extrahieren.
Aus Brinkmanns Reflexionen ein Programm zu ziehen, ist schwierig[5] – dennoch soll dies hier an den Vorworten zu Die Piloten und Westwärts 1&2 versucht werden. Zu Westwärts 1&2 wird aus dem eben genannten Grund ebenso das Unkontrollierte Nachwort auszugsweise hinzugezogen.
2 Poetologie
Bevor die Vorworte nun näher betrachtet werden, noch einige allgemeine Worte zu Brinkmanns Verhältnis zur Medienlandschaft der sechziger und siebziger Jahre.
In den 1960er Jahren herrscht eine neue 'Dichtung im Dienst der Parteilichkeit' und Hans Magnus Enzensberger ruft den Tod der Literatur aus. Brinkmann reagiert mit einer harten Ablehnung der geforderten Didaktik in der Literatur. Literatur dürfe keinen 'Nutzen' haben. Wo Literatur nützlich ist, dient sie den Massen, und diese können keine Kunst wahrnehmen, da Kunst nur vom 'Einzelnen' wahrgenommen werden kann. Ebenso richte sich Aufklärung an die Masse, nicht an den Einzelnen. „Die 'Massendemokratie' 'verschmiert' nach Brinkmann die Moral- und Wertvorstellungen der Menschen.“[6] Brinkmann will verunsichern statt nützen.
'Nutzen' korrespondiert mit 'Wirkung', also sei die Nützlichmachung ein Versuch der Legitimierung von Kunst über ihre Wirkung, was Brinkmann entsetzt: „Wer seine Ideologie vor die Wahrnehmung stellt, wird überall seine Erklärungen und Interpretationen anbringen und somit Dinge, die geschehen, 'herunterkürzen'“[7] Politische Literatur fordere Bejahung; da Brinkmann diese ablehnt ist für ihn jedes echte Gedicht eine Verneinung.
Die Massenmedien bedienen und unterhalten die Vielen, und transportieren zu diesem Zwecke Unmengen an 'Kitsch', weil dieser unterhaltsamer, wirkungsmächtiger sei. Kitsch lasse keine Reaktion zu, da er sie vorbestimme. 'Kitsch' versteht Brinkmann als die Vortäuschung von Gefühlen, Provozierung von Unechtem.[8] und damit das Gegenteil der Authentizität, die für Brinkmann der Kern der Dichtung sein muss.
Brinkmann begegnet sowohl den Massenmedien als auch dem elitären deutschen Literaturbetrieb mit der Hinwendung zur Antikunst. Als Vorbilder dienen ihm die amerikanische Undergroundpoetry, und Beatpoetry. Seine Rezeption der amerikanischen Untergrundkultur geschieht allerdings nicht aus archivaischem Interesse, sondern zur Nutzbarmachung für seine eigene Produktion.[9]
Vor allem wendet er sich der Pop-Art zu. Damit bezweckt er aber nicht etwa nur einen Rückgriff auf die Massenkultur (western, comic, scifi, porongraphy) sondern den „bewusste[n] Abstieg der Kunst aus ihrem elitären Ghetto in die Niederungen massenwirksamer trivialer Medien“[10]. Kurzum: Die Destruktion des abendländischen Kulturmonopols.
Wie in seiner Abhandlung Film in Worten deutlich wird, sieht er jedoch auch, dass die technische Entwicklungen neuer Kommunikationssysteme die traditionellen Wahrnehmungsstrukturen der Rezipienten verändert hat und daraus neue Kunstformen entwickelt werden müssen, die sich der Technik als eigentlich verändernde Kraft der Gegenwart bedienen.
Er will sich „das visuell dominierende Medium zunutze mach[en], um ein in sprachlichen Mustern erstarrtes Bewusstsein zu durchbrechen und 'neue sinnliche Ausdrucksmuster' auszudifferenzieren. […] Der literarische Text soll so dem Leser als Folie für das Training seiner Erlebnis und Wahrnehmungsfähigkeit dienen.“[11] Literatur soll Sehschule sein.[12]
Brinkmann: „Wir leben in der Oberfläche von Bildern, ergeben diese Oberfläche, auf der Rückseite ist nichts – sie ist leer. Deshalb muß diese Oberfläche endlich angenommen werden, das Bildhafte täglichen Lebens ernst genommen werden, indem man Umwelt direkt nimmt und damit die Konvention 'Literatur' auflöst, […] hinter der sich ein verrotteter romantischer Glaube, ein fades Prinzip Hoffnung an Literatur als vorrangiges Heilmittel verbirgt.“ [13]
Seine Gedichte orientieren sich fortan stark an der Arbeitsweise der Kamera. Gedichte werden zu 'Blitzlichtaufnahmen sinnlicher Erfahrungen'; werden zur Montage konkreter Ausschnitte der alltäglichen Welt. Die technischen Begriffe wie Zoom, Über- und Doppelbelichtung werden zu poetischen Mitteln transferiert und erschaffen Gedichte als überlagernde Wirklichkeitsaufnahmen.
2.1 Die Piloten
Brinkmanns Pop-Phase reagiert auf eine mediale Flut von Oberflächenphänomenen. Die Realität der modernen Kultur lässt sich laut Brinkmann mit den Mitteln der alten Literatur einfach nicht greifen, abbilden.[14] Deswegen stellt der Gedichtband Die Piloten von 1968 den Siegeszug der Pop-Kultur über die alte Literatur dar. Dies wird durch drei Comicstrips verdeutlicht, die den Gedichtband rahmen und unterteilen.
Sprache soll Tiefe erzeugen. Bilder hingegen sind flach und bilden die Realität ab, demnach müsse Literatur um die Realität abzubilden auch flach, das heißt einfach werden.
'Subjektivität', 'Sinnlichkeit' und 'Authentizität' sind die Werte seiner Literatur.[15] Diese finden sich in seiner Alltagsdichtung, denn diese kann gar nicht kitschig und damit auf Wirkung aus sein.
Die Notiz zu Die Piloten beginnt mit einer Kritik an den Zeitgenossen, die schwerer zu beseitigen seien als die alten Vorbilder. Er nennt sie „lebende Tote“ (Sp 185), die kulturelle Wörter besetzen und sich nicht für die Kunst der anderen Interessieren. „Die Toten bewundern die Toten!“ (Sp 186) Damit verurteilt er den „gespenstische[n] […] deutschen Kulturbetrieb“ (Sp 186) zur Unwichtigkeit, der immer nach Stil, was mit Manieren gleichgesetzt wird, ruft. Wieso solle er sich um Stil kümmern, wenn alles schon so stilvoll sei? Stil sei unwichtig, weil er ablenkt von der Dichtung. „Man muss vergessen, daß es so etwas wie Kunst gibt! Und einfach anfangen.“ (Sp 186) Er sagt, formale Probleme seien uninteressant, langweilig, für berufsmäßige Ästheten und Dichterprofis, zudem tot und zum Beschäftigungsgegenstand degradiert.
Danach beschäftigt sich Brinkmann damit, was ein Gedicht ist und kann. Es sei zuallererst wider die gängige Ansicht kein Abfallprodukt, könne aber nur das Material aufnehmen, das alltäglich abfällt. Es sei die geeignete Form „spontan erfasste Vorgänge und Bewegungen, eine nur in einem Augenblick sich deutlich zeigende Empfindlichkeit konkret als Snap-shot festzuhalten.“ (Sp 185) Ein Gedicht sei wie ein durchsichtiges zugleich präzises Bild. Zum Beispiel setzt ein Türrahmen als „scheinbar isolierte Schnittpunkte“ (Sp 185) ein Bild fest und so kann ein banaler Moment ein Gedicht formen. Es komme schlicht auf genaues Hinsehen und die richtige Einstellung an. Bildbestandteile werden im Rück-Pro zusammengesetzt, einer Montage verschiedener Bildebenen, so entstünden Bilder oder Vorgänge, die es so nie gab, man müsse bloß skrupellos genug sein, sie aufzuschreiben.
Die einfache Ausdrucksweise seiner Gedichte führt dazu, dass man ihm sagt: Seine Gedichte seien keine mehr, seien zu verständlich, zu einfach und das wiederum mache sie denen, die das behaupten unverständlich. Diesen Vorgang, diese Paradoxität findet er „witzig“. (Sp 186)
Es ergebe aber keinen Sinn, die abstrakte Vorstellung vom 'eigentlichen' Gedicht noch einmal aufzudecken. Das Material sei das gleiche, allen zugänglich, alltäglich und gewöhnlich. Seine neue Konzeption ist es, das Alltägliche durch die Nase zu schniefen und wieder auszuspucken.
Das klingt profan und vulgär, doch die deutsche Lyrik sei ihm keine Anregung; so übernimmt er den Gedanken Frank O'Haras, dass schlechthin alles, was man sieht und womit man sich beschäftigt, wenn man es nur genau genug sieht und direkt genug wiedergibt, ein Gedicht werden kann. Dies führt zum einen zu einer Literarisierung des Alltagsleben mit striktem Gegenwartsbezug[16]: „Es gibt kein anderes Material als das, was allen zugänglich ist und womit jeder alltäglich umgeht, was man aufnimmt, wenn man aus dem Fenster guckt...“ (Sp 186)
2.2 Westwärts 1&2
Während Schenk im Spätwerk Brinkmanns kein Programm[17] mehr ausfindig zu machen vermag sieht Späth in Brinkmanns Darstellung der Stadien des Zerfalls, des Mangel, der Verfolgung und Unordnung eine klares Programm der Zerstörung der Sprache selbst. Deutschland und die Welt befinden sich in Westwärts 1&2 in permanenter Selbstzerstörung durch die Sprache, weswegen die Sprache zerstört werden muss.
Obwohl in der Vorbemerkung zum Gedichtband extrem wenig programmatisches zu finden ist, kann auch hier der fortlaufende Entwicklungsprozess der Selbstzerstörung durch die Menschheitsgeschichte hinweg[18] angedeutet, durch die immer wieder auftretende Formulierung „X macht weiter“. Dabei ist zu bemerken, dass hier bis auf den Dichter selbst nur Dinge, Prozesse und Abstrakta zum Agens werden, Menschen jedoch weitestgehend fehlen, was eine karge Atmosphäre heraufbeschwört. „Westwärts 1&2 gerät Brinkmann so zur modernen Apokalypse in Form einer lyrischen Autobiographie. Brinkmanns negative Geschichtskonstruktion gipfelt […] in einer rückwärtsgewandten Sehnsucht, die die Zivilisationsgeschichte bis zu ihren Ursprüngen zurückgeht.“[19]
Was weiter macht ist also die universelle Zerstörung, die auch in den Bildern zu Beginn und Ende des Gedichtbandes deutlich gezeigt wird.[20]
So werden auch die Gedichte dieses Bandes zu Zerstörungen. „Der Autor zertrümmert mit seinen Gedichten nicht nur die grammatische Struktur sprachlicher Äußerung, sondern durchbricht auch die Regeln der semantischen Ordnung.“[21] Seine Lyrik wendet sich gegen die Ordnung des rationalen Denkens, die Gesellschaftsordnung und den Geschichtsprozess. Es gibt keine semantischen Anfänge und Enden mehr in den Gedichten, keine Zentren und Höhepunkte. So heißt es auch im Unkontrollierten Nachwort: „Und so ist immer der jeweils zuletzt geschriebene Satz ein Ende gewesen, von dem ich mit jedem Mal neu beginnen mußte, also lauter Endpunkte, aber genauso gut und zutreffend ist, Anfänge, und diese Anfänge ausweiten, gehen, fortgehen. Zusammenhänge sehe ich keine.“ (U.N 263)
Eine massive Sprachkritik findet sich bereits durch die scheinbar zusammenhangslos dahin geschriebene Assoziativität der Vorbemerkung von Westwärts 1&2. Der Dichter allein und einsam bewegt sich durch eine karge Welt wie eine Kamera, die „Bewegung in den Zimmern [sieht], […] wenn niemand außer einem selbst da ist“ (Ww 7). Das Dichter-Ich nimmt wahr, beobachtet, wie alles weiter macht und versucht Zeichen zu entschlüsseln, versteht aber nicht, was man ihm damit sagen will. „Wo ist der Unterschied? Fragte ich mich. Sie wollen mir doch damit einen Unterschied klar machen.“ (Ww 7) In der Omnipräsenz und Dominaz der Zeichen, in Sprache, an Hauswänden, auf Straßen, in Maschinen, liegt die Gewalt über die Realitätswahrnehmung und Selbsterfahrung des Einzelnen.[22]
Kunstproduktion wird zum Gewaltakt, bei dem der Autor mit der Schreibmaschine Wörter auf das Papier schlägt (Ww 7), die ganze Woche hindurch. Eine scheinbar stumpfe zerstörerische Arbeit. Emotional erfahren wir nur vom Erstaunen durch ein „erstaunliches Gefühl, das den Verstand erstaunt.“ (Ww 7)
Weiterhin thematisiert der Autor sein gestörtes Verhältnis zur Sprache: Die Sprache in die er hineingeboren wird, ist die seiner Eltern, die er mühsam erlernen muss und gegen die er sich sträubt; das Ich haut aus der Schule ab, flieht vor der Grammatik – bei Brinkmann immer als restriktives Regelwerk zu lesen. Er mag die Form nicht, er mag die Sprache und das sinnlose Gesprochene nicht. Spracherwerb, bemerkt Späth, wird zur Disziplinierung des Subjekts. Über die Prügelstrafe in der Schule, sagt der Autor an andere Stelle: „Das wurde die / Buchstabiermethode genannt und hieß später die Rechtschreibstunde/ in Deutsch.“ (Ww 153)
Auch das Lernen macht weiter, Deutsch macht weiter – später heißt es: Mag sein, dass Deutsch „bald eine tote Sprache ist“ (Ww 9) denn in ihr kann nur schwerlich assoziiert werden, immerzu nur gedacht und „[m]an kann sie so schlecht singen.“ (Ww 9)
Schwierig zu entschlüsselnde Aussagen wie: „Auch die Interpretationen machen weiter. Es sind die Bücher, Ich muss bei diesem Satz lachen. Das Lachen ist angenehm.“ (Ww 8) und die Zusammenfassung seines Aufenthalts in Austin mit der Frage: „was hat die Grammatik mit Mariuhana zu tun?“ (Ww 8) lässt er so stehen und deklariert stattdessen, dass die Erklärung sinnlos sei, der Finger sprachlos.
Das einzige, was wirklich deutlich wird, ist, dass Gedichte einfach sein müssen. Songs sollen dabei als Vorbilder dienen, denn gelungen heißt 'einfach' – aus der Sprache, aus der Festlegung heraus.
Schließlich erhält der Leser einen Kommentar zur Gedichtsbewertung: „Ob sie gut sind? fragst du? Es sind Gedichte.“ (Ww 9) An anderer Stelle sagt er, das Gedicht ist „die Grenze, danach / das Niemandsland“ (Ww 193) Somit werden Gedichte zur letzten Instanz vor der Überschreitung der Sprachgrenze. „Auf dem Zettel steht, jedes Gedicht, noch das perfekteste, in sich geschlossenste, vollendetste Gedicht ist ein Fragment. Ich kann zugeben, ich verstehe das nicht. Die fragmentarische Form, die ich verschiedentlich benutzt habe, ist für mich eine Möglichkeit gewesen, dem Zwang, jede Einzelheit, jedes Wort, jeden Satz hintereinander zu lesen, und damit auch logische Abfolgen zu machen, wenigstens für einen Moment nicht zu folgen.“ (U.N 263)
Erkenntnis ist für Brinkmann nicht durch Sprache möglich, sondern nur da, wo ihr Redeverbot erteilt wird. Und somit endet die Vorbemerkung auch am Ausgangspunkt des Schreibens – mit einem weißen Blatt. „Jetzt kommen die Zeiten der Gehirnerfahrung, Abbiegen, weg von den Wörtern“, heißt es im unkontrollierten Nachwort. (U.N 272)
In Westwärts 1&2 geht es nicht mehr um den innovativen, veränderten Gebrauch der Sprache, wie in seiner Pop-Literatur, es geht um die Abwertung der Sprache überhaupt: „ein Schriftsteller, irgendeine Einzelne Person in dieser Gesellschaft, dessen Mittel die gegebene Sprache ist, kann gar nicht anders, als immer wieder darauf hinzuweisen, daß Sprache gar nicht so wichtig ist. Er sagt: Geh nach Hause, diese Spielhalle ist kaputt.“ (U.N 260)
Brinkmann sagt: „Jedes Gedicht enthält in sich die Verneinung der Sprache.“ (U.N 271) und „Poesie löst sich auf in Wortlosigkeit.“ (U.N 273) „Damit ruft Brinkmann nun seinerseits den Tod der Literatur aus. Mit Worten propagiert er in seinem letzten Gedichtsband die Destruktion des Mediums Sprache.“[23]
[...]
[1] Zitiert nach Späth, S.42.
[2] Vgl. Schenk, S. 40 ff.
[3] Vgl. Schäfer, S. 104.
[4] Vgl. Schenk, S. XIII.
[5] Vgl. Schenk, S. 5.
[6] Schenk, S. 40.
[7] Schenk, S. 109.
[8] Vgl. Schenk, S. 32.
[9] Vgl. Pankau, S. 164.
[10] Späth, S. 43.
[11] Späth, S. 44.
[12] Vgl. Stiegler, S. 26.
[13] Zitiert nach: Stiegler, S. 25.
[14] Vgl. Schäfer, S. 140.
[15] Schenk, S. 5
[16] Vgl. Schäfer, S. 181.
[17] Vgl. Schenck, s. XII.
[18] Vgl. Späth, S. 74.
[19] Späth, S. 75.
[20] Ebd.
[21] Späth, S. 77.
[22] Vgl. Späth, S. 83.
[23] Späth, S. 84.
- Quote paper
- Anna Schenck (Author), 2015, Lyriktheorie und Poetologie von Rolf Dieter Brinkmann, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340925
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