Wasser ist ein hohes Gut. Sein Schutz hatte in Deutschland daher schon sehr früh einen hohen Stellenrang. Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) hat diesen Schutz verstärkt und einen Paradigmenwechsel weg vom Bewirtschaftungsansatz hin zu einem eher ökologischen Verständnis eingeläutet. Zentraler Baustein des modernen europäischen Wasserrechts sind die Bewirtschaftungsziele des Art. 4 I WRRL, in deutsches Wasserrecht umgesetzt in §§ 27, 44 und 47 WHG.
Hierzu hat der Europäische Gerichtshof am 1. Juli 2015 auf Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichts ein Grundsatzurteil gesprochen, das vor allem mit Blick auf die Straßenentwässerung auch den Straßenbau nicht unberührt lassen wird. Außerdem ist am 21. Juli 2016 eine neue Oberflächengewässerverordnung (OGewV) in Kraft getreten, die in Bezug auf die Straßenentwässerung ebenfalls Neuerungen bringt.
Damit sind nicht nur schwierige fachliche Fragen, sondern auch eine ganze Reihe rechtlicher Fragen aufgeworfen. Die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) hatte daher im Juni 2015 die Erstellung eines Rechtsgutachtens zu diesem Themenkomplex in Auftrag gegeben. Nach Inkrafttreten der neuen Oberflächengewässerverordnung ist dieses Gutachten nochmals überarbeitet und abschließend fertiggestellt worden. Auf Grund mehrerer Anfragen anderer öffentlicher Stellen und des auch sonst bekundeten hohen öffentlichen Interesses an den Ergebnissen dieses Gutachtens hat die NLStBV Freigabe zu dessen Veröffentlichung erteilt und konnten daher die folgenden Zeilen nun einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
Für wertvolle Hinweise insbesondere zu den praktischen Nöten der Straßenbaulastträger bei der Entwässerung von Straßen sowie zu den technisch-organisatorischen Hintergründen bedanken wir uns herzlich bei Herrn Stephan Köhler und Herrn Dr. Ulrich Kasting (beide NLStBV).
Nach der Darstellung der wesentlichen Hintergründe (sogleich I.) erfolgt die rechtliche Erörterung der aufgeworfenen Fragen (nachfolgend II.). Am Ende werden die gewonnenen Ergebnisse in insgesamt 20 Thesen noch einmal zusammenfassend wiedergegeben (zuletzt III.).
Inhaltsverzeichnis
I. Hintergründe
II. Rechtliche Würdigung
1. Wasserrecht und Straßenbau
2. Auswirkungen des Weservertiefungsurteils
2.1. Hintergründe
2.2. Kernaussagen des Urteils
2.2.1. Verbindlichkeit der Bewirtschaftungsziele
2.2.2. Verschlechterungsverbot
2.3. Bewertung und Konsequenzen
2.3.1. Verbindlichkeit der Bewirtschaftungsziele
2.3.1.1. Erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit
2.3.1.2. Übertragbarkeit auf den chemischen und mengenmäßigen Zustand
2.3.1.3. Bezug zur Bewirtschaftungsplanung
2.3.2. Verschlechterungsverbot
2.3.2.1. Maßgeblichkeit der Qualitätskomponenten
2.3.2.2. Einstufung in die schlechteste Zustandsklasse
2.3.2.3. Maßstab des Wasserkörpers
2.4. Ausnahme nach §31II1WHG
2.4.1. Neue Veränderung der physischen Gewässereigenschaften
2.4.2. Ausnahmegründe
2.4.3. Alternativenprüfung
2.4.4. Minimierungspflicht
2.5. Verhältnis zum europäischen Gebietsschutz
3. Auswirkungen der Novellierung der Oberflächengewässerverordnung
4. Anforderungen an Zulassungsverfahren und Planvorlagen
4.1. Wasserrechtliches Prüfprogramm
4.2. Planvorlagen
III. Zusammenfassung, Ergebnisse
Vorwort
Wasser ist ein hohes Gut. Sein Schutz hatte in Deutschland daher schon sehr früh einen hohen Stellenrang. Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)[1] hat diesen Schutz verstärkt und einen Paradigmenwechsel weg vom Bewirtschaftungsansatz hin zu einem eher ökologischen Verständnis eingeläutet. Zentraler Baustein des modernen europäischen Wasserrechts sind die Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL, in deutsches Wasserrecht umgesetzt in §§27, 44 und 47WHG. Hierzu hat der Europäische Gerichtshof am 1.Juli2015 auf Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichts ein Grundsatzurteil gesprochen, das vor allem mit Blick auf die Straßenentwässerung auch den Straßenbau nicht unberührt lassen wird. Außerdem ist am 21.Juli2016 eine neue Oberflächengewässerverordnung (OGewV)[2] in Kraft getreten, die in Bezug auf die Straßenentwässerung ebenfalls Neuerungen bringt.
Damit sind nicht nur schwierige fachliche Fragen, sondern auch eine ganze Reihe rechtlicher Fragen aufgeworfen. Die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLStBV) hatte daher im Juni 2015 die Erstellung eines Rechtsgutachtens zu diesem Themenkomplex in Auftrag gegeben. Nach Inkrafttreten der neuen Oberflächengewässerverordnung ist dieses Gutachten nochmals überarbeitet und abschließend fertiggestellt worden. Auf Grund mehrerer Anfragen anderer öffentlicher Stellen und des auch sonst bekundeten hohen öffentlichen Interesses an den Ergebnissen dieses Gutachtens hat die NLStBV Freigabe zu dessen Veröffentlichung erteilt und konnten daher die folgenden Zeilen nun einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
Für wertvolle Hinweise insbesondere zu den praktischen Nöten der Straßenbaulastträger bei der Entwässerung von Straßen sowie zu den technisch-organisatorischen Hintergründen bedanken wir uns herzlich bei Herrn Stephan Köhler und Herrn Dr. Ulrich Kasting (beide NLStBV).
Nach der Darstellung der wesentlichen Hintergründe (sogleich I.) erfolgt die rechtliche Erörterung der aufgeworfenen Fragen (nachfolgend II.). Am Ende werden die gewonnenen Ergebnisse in insgesamt 20 Thesen noch einmal zusammenfassend wiedergegeben (zuletzt III.).
Leipzig, im September 2016
Klaus Füßer, Dr. Marcus Lau
I. Hintergründe
Straßenoberflächenwasser muss schon aus Verkehrssicherungsgründen von der Fahrbahn abgeleitet werden. In der Praxis erfolgt vielfach sowohl ein Einleiten von Straßenoberflächenwasser in Oberflächengewässer als auch durch Versickerung in das Grundwasser. Obgleich das Straßenoberflächenwasser nur vorgereinigt in Oberflächengewässer und in das Grundwasser abfließt, bleiben bestimmte Stoffe enthalten. Eine besondere Herausforderung stellen die Auftausalze (meist Natrium- und Calciumchlorid) dar, welche im Straßenwinterdienst eingesetzt werden, um die Verkehrssicherheit auf den Straßen zu gewährleisten.
Wie bei allen gewässerrelevanten Maßnahmen sind auch bei der straßenentwässerungsbedingten Einleitung bzw. Versickerung die unionsrechtlich unterlegten Bewirtschaftungsziele der §§27, 44 und 47WHG von Relevanz. Über deren Auslegung besteht in Rechtsprechung und Literatur Streit. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Fall „Weservertiefung“ zum Anlass genommen, dem Europäischen Gerichtshof hierzu mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen[3]. Der Europäische Gerichtshof hat darüber mit Urteil vom 1.Juli2015[4] entschieden und dabei eine eher restriktive Position eingenommen, was die in der Debatte stehenden Gebote für Oberflächengewässer angeht, namentlich das Verschlechterungsverbot nach §27INr.1, IINr.1WHG, Art.4Ilit.a)Ziff.iWRRL und das Verbesserungsgebot nach §27INr.2, IINr.2WHG, Art.4Ilit.a) Ziff.ii bis ivWRRL.
Zugleich ist am 21.Juni2016 die neue Oberflächengewässerverordnung in Kraft getreten. §5OGewV regelt nach wie vor die Einstufung des ökologischen Zustands und des ökologischen Potenzials. Absatz4 der Vorschrift verweist dabei hinsichtlich der Bewertung der allgemeinen physikalisch-chemischen Qualitätskomponenten unterstützend auf Anlage7. Gemäß deren Nr.1.1.2 liegt die Kenngröße für den Parameter „Chlorid“ für sämtliche Fließgewässertypen außer den meeresbeeinflussten bei einem Jahresmittelwert von ≤50mg/l. Außerdem enthält Nr.2.1.2 Anlage7OGewV erstmals u.a. für den Chloridgehalt auch eine Kenngröße für den guten ökologischen Zustand bzw. für das gute ökologische Potenzial, nämlich für sämtliche Fließgewässertypen außer den meeresbeeinflussten einen Jahresmittelwert von ≤200mg/l.
Was diese Entwicklungen aus rechtlicher Sicht im Grundsätzlichen bedeuten, ist fraglich. In jedem Fall ist der Beachtung des Schutzgutes Wasser eine stärkere Rolle auch im Rahmen des Baus und der Unterhaltung von Straßen gesichert, wie z.B. eine jüngere Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zeigt[5].
Von besonderem Interesse ist insofern, in welchem Umfang die zukünftige Entwässerung der jeweils zu bauenden oder ändernden Straße schon auf der Ebene der Zulassungsverfahren auf ihre möglichen gewässerökologischen Wirkungen hin betrachtet werden muss.
Soweit dem so ist, muss weiterhin geklärt werden , in welchem Umfang sodann die entsprechenden Planunterlagen aufzubereiten sind, um die nötige Anstoßwirkung zu entfalten bzw. eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die spätere Sachentscheidung zu bieten, einschließlich gegebenenfalls der Zulassungsentscheidung beizugebender Nebenbestimmungen.
Hier Klarheit zu schaffen und Orientierung zu geben, dem dienen die nachfolgenden Überlegungen.
II. Rechtliche Würdigung
Dies vorangestellt ist in rechtlicher Hinsicht zunächst der Frage nachzugehen, in welcher Weise der Straßenbau mit dem Wasserrecht überhaupt in Berührung kommt (anschließend1.). Darauf aufsetzend wird untersucht, welche Auswirkungen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1.Juli2015 zur Weservertiefung insoweit zeitigt (sodann2.). Danach und im Lichte dessen wird der Frage nach den Auswirkungen der geplanten Novellierung der Oberflächengewässerverordnung insbesondere mit Blick auf die neuen Kenngrößen für den Parameter Chlorid nachgegangen (unten3.). Ausgehend hiervon ist den Konsequenzen all dessen für den Untersuchungsrahmen in Zulassungsverfahren sowie für die Güte von Planunterlagen nachzugehen (abschließend 4.).
1. Wasserrecht und Straßenbau
Häufig sollen im Rahmen von Straßenbauvorhaben zum Zwecke der Straßenentwässerung Gräben etc. angelegt werden oder aber der Straßenbau erfordert die Verrohrung bzw. Verschüttung von Gewässern oder es werden aus naturschutzrechtlichen Gründen neue Gewässer angelegt. All dies stellt gemäß §67II1WHG einen Gewässerausbau dar, der nach §68IWHG grundsätzlich der wasserrechtlichen Planfeststellung bedarf. Als notwendige Folgemaßnahme im Sinne des §75I1Hs.1VwVfG[6] wird das wasserrechtliche Planfeststellungsverfahren gemäß §75I1Hs.2VwVfG in die straßenrechtliche Planfeststellung hineinkonzentriert.
Weiterhin queren Straßen regelmäßig auch oberirdische Gewässer, sei es in Gestalt von Brücken oder Tunneln. Diese Querungen stellen Anlagen über bzw. unter einem oberirdischen Gewässer im Sinne des §36WHG dar, die gemäß §57I1NWG grundsätzlich der wasserrechtlichen Genehmigung bedürfen. Diese Genehmigung wird ebenfalls von der Konzentrationswirkung der straßenrechtlichen Planfeststellung nach §75I1Hs.2VwVfG erfasst.
Außerdem besteht –wie bereits erwähnt (siehe oben I.)– jedenfalls wegen der Entwässerungsproblematik im Straßenbau nahezu immer auch ein Gewässerbezug. Soweit Straßenoberflächenwasser in Oberflächengewässer eingeleitet oder in das Grundwasser versickert wird, handelt es sich um eine Gewässerbenutzung nach §9INr.4WHG[7]. §9INr.4WHG unterscheidet anders als die Vorgängerregelung nicht mehr zwischen oberirdischen Gewässern und dem Grundwasser, sondern gilt für alle Gewässer gleichermaßen. Die Benutzung von Gewässern bedarf gemäß §8IWHG grundsätzlich der wasserrechtlichen Erlaubnis, über die bei einer mit einem planfeststellungsbedürftigen Vorhaben verbundenen Gewässerbenutzung gemäß §19IWHG die Planfeststellungsbehörde entscheidet. Insoweit kommt es zwar zu einer Zuständigkeits- und Verfahrenskonzentration; von einer Entscheidungskonzentration sieht §19IWHG als die insbesondere gegenüber §17cFStrG i.V.m. §75I1VwVfG speziellere Regelung aber ausdrücklich ab[8]. Damit tritt die erforderliche wasserrechtliche Entscheidung als rechtlich selbständiges Element neben die Planfeststellung[9]. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass im Gegensatz zu Planfeststellungsbeschlüssen, die in hohem Maße änderungsresistent sind, im Wasserrecht auf flexibel handhabbare Instrumente nicht verzichtet werden kann[10]. Ungeachtet dessen ist auch in der Planfeststellung selbst im Sinne einer koordinierenden Vorausschau sicherzustellen, dass das Straßenoberflächenwasser ordnungsgemäß abgeführt wird[11], wobei in der Regel auf die zeitgleich ausgesprochene wasserrechtliche Erlaubnis verwiesen werden kann.
Der Straßenbau weist mithin vielfältige Berührungen mit dem Wasserrecht auf, die abhängig von der konkreten Gestalt des Vorhabens sind. Nahezu immer steht jedoch im Rahmen der straßenrechtlichen Planfeststellung sowie der parallel hierzu anstehenden Entscheidung über die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis für die Einleitung der Niederschlagwässer die Frage an, ob die Einleitung in Übereinstimmung mit den einschlägigen wasserwirtschaftlichen Zielvorgaben vertretbar ist.
2. Auswirkungen des Weservertiefungsurteils
Dies leitet zu der Frage nach den Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 1.Juli2015 gerade auch im Bereich des Straßenbaus über. Das Urteil lässt sich kaum ohne die Kenntnis der Hintergründe erschließen, so dass diese hier nochmals kurz dargelegt werden (sogleich 2.1.). Sodann sollen die wesentlichen Aussagen des Urteils wiedergegeben werden (unten 2.2.), bevor eine Deutung unternommen wird (danach 2.3.). Da abzusehen ist, dass insbesondere die Ausnahmemöglichkeit nach §31II1WHG künftig von noch größerer praktischer Bedeutung sein wird, soll auch hierauf näher eingegangen werden (anschließend 2.4.). Wegen der vielfach anzutreffenden Interdependenzen mit dem europäischen Gebietsschutzrecht ist schließlich noch zu dessen Verhältnis zu den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie Stellung zu beziehen (zuletzt 2.5.).
2.1. Hintergründe
Handelt es sich um eine Gewässerbenutzung, wie etwa regelmäßig bei der Straßenentwässerung, so kann die dafür notwendige Erlaubnis nur erteilt werden, wenn keiner der Versagungsgründe des §12IWHG vorliegt. Hierzu gehört auch die Beachtung der Bewirtschaftungsziele der §§27, 44 und 47WHG[12]. Ebenso gehören die §§27, 44 und 47WHG zum Prüfgegenstand von wasserrechtlichen Planfeststellungen und Anlagengenehmigungen[13].
Gemäß §27IWHG sind oberirdische Gewässer, soweit sie nicht nach §28WHG als künstlich oder erheblich verändert eingestuft werden, so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird (sog. Verschlechterungsverbot) und ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden (sog. Verbesserungsgebot). Gleiches regelt §27IIWHG in Bezug auf die nach §28WHG als künstlich oder erheblich verändert eingestuften oberirdischen Gewässer, nur dass hier neben dem chemischen Zustand nicht der ökologische Zustand den Maßstab bildet, sondern das ökologische Potenzial, also ein gegenüber dem ökologischen Zustand abgemilderter Maßstab. Prinzipiell erfolgt die Einstufung des ökologischen Potenzials eines künstlichen oder erheblich veränderten Oberflächenwasserkörpers unter Heranziehung derselben Qualitätskomponenten wie bei der Einstufung des ökologischen Zustands, nur dass nicht der ursprüngliche Gewässertyp entscheidend ist, sondern derjenige Gewässertyp, dem der zu beurteilende künstliche oder erheblich veränderte Oberflächenwasserkörper am ähnlichsten ist[14]. Gemäß §44WHG gilt Gleiches für die Küstengewässer. §47WHG regelt schließlich, dass das Grundwasser so zu bewirtschaften ist, dass eine Verschlechterung seines mengenmäßigen und seines chemischen Zustands vermieden wird, alle signifikanten und anhaltenden Trends ansteigender Schadstoffkonzentrationen auf Grund der Auswirkungen menschlicher Tätigkeiten umgekehrt werden und ein guter mengenmäßiger und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden; zu einem guten mengenmäßigen Zustand gehört insbesondere ein Gleichgewicht zwischen Grundwasserentnahme und Grundwasserneubildung.
Diese Vorschriften gehen auf Art.4IWRRL zurück. Während die darin geregelten Bewirtschaftungsziele im Wasserhaushaltsgesetz als strikt zu beachtende Vorgaben erscheinen, sind sie im Wasserstraßenrecht nur zu „berücksichtigen“ (vgl. §12VII3WaStrG)[15]. Obgleich schon die Existenz genau definierter Ausnahmetatbestände in Bezug auf diese Bewirtschaftungsziele in §31II und IIIWHG nahelegt, dass es sich hierbei um strikt zu beachtendes Recht und nicht lediglich um in Abwägungs- und Ermessensentscheidungen zu berücksichtigende Belange handelt[16], war diese Frage höchstrichterlich noch ungeklärt. Im Verfahren zur Weservertiefung hatte sie das Bundesverwaltungsgericht wohl u.a. deshalb mit Beschluss vom 11.Juli2013 dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt[17]. Ein weiterer Grund lag offenbar darin, dass der auch bislang schon im Wasserrecht angenommene Verbindlichkeitsanspruch nach bisherigem Verständnis in der Rechtsprechung nicht gegenüber dem einzelnen Gewässerbenutzer galt; vielmehr waren die Bewirtschaftungsziele als in erster Linie an die zuständigen Wasserbehörden gerichtete und insoweit ermessensleitende Bewirtschaftungsvorgaben angesehen worden[18].
Vor allem aber war umstritten, ob das Verschlechterungsverbot bereits bei jeder negativen Status-quo-Abweichung zur Anwendung gelangt (Status-quo-Theorie) oder erst bei einem vorhabenbedingten Absinken des jeweiligen Zustands bzw. Potenzials des in Rede stehenden Wasserkörpers von einer der Zustandsklassen nach AnhangV WRRL in eine niedrigere Zustandsklasse (Zustandsklassentheorie). Letzteres war die herrschende Meinung in der Literatur in Deutschland[19]. Dem wurde von der Gegenansicht hauptsächlich entgegengehalten, dass das Verschlechterungsverbot beim Abstellen auf einen Zustandsklassenwechsel leerliefe, wenn sich der betreffende Wasserkörper bereits in einem schlechten Zustand und damit in der untersten Zustandsklasse befindet[20]. Die Vertreter der Zustandsklassentheorie vermochte dies hingegen nicht zu überzeugen, da es bei Gewässern in schlechtem Zustand nach den Zielvorgaben der Wasserrahmenrichtlinie ohnehin entscheidend auf eine Verbesserung ankomme, insoweit also das Verbesserungsgebot und nicht das in erster Linie auf die Erhaltung eines guten bzw. sehr guten Zustands zugeschnittene Verschlechterungsverbot maßgeblich sei[21]. Soweit sich die deutschen Verwaltungsgerichte hierzu geäußert haben, sind sie indes durchweg dem Ansatz der Status-quo-Theorie gefolgt und haben allenfalls eine gewisse, zuvörderst gewässerschutzfachlich zu bestimmende Bagatellschwelle akzeptiert[22]. Dem hat sich auch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen, diese Frage dann aber mit Beschluss vom 11.Juli2013 ebenfalls dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt[23].
2.2. Kernaussagen des Urteils
Mit Urteil vom 1.Juli2015 beantwortete der Europäische Gerichtshof am Beispiel der geplanten Weservertiefung die ihm vom Bundesverwaltungsgericht zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen. Dabei bemühte er in erster Linie den Wortlaut sowie den Kontext und die Ziele des Art.4Ilit.a)WRRL, aber auch die Entstehungsgeschichte[24]. Im Einzelnen:
2.2.1. Verbindlichkeit der Bewirtschaftungsziele
Zur ersten Vorlagefrage meinte der Europäische Gerichtshof, dass die besseren Gründe für die Auslegung sprechen, wonach sich Art.4Ilit.a)WRRL nicht auf die programmatische Formulierung bloßer Ziele der Bewirtschaftungsplanung beschränkt, sondern –sobald der ökologische Zustand des betreffenden Wasserkörpers festgestellt ist– in jedem Abschnitt des nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Verfahrens verbindliche Wirkungen entfaltet[25]. Aus Anlass einer entsprechenden Einlassung der EU-Kommission im Vorabentscheidungsverfahren stellte der Europäische Gerichtshof darüber hinaus klar, dass das Verschlechterungsverbot selbständig neben das Verbesserungsgebot tritt und nicht nur ein Instrument im Dienst der Pflicht zur Verbesserung des Zustands der Wasserkörper darstellt[26]. Zusammenfassend schlussfolgert der Gerichtshof, „dass vorbehaltlich der Gewährung einer Ausnahme jede Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers zu vermeiden ist, unabhängig von längerfristigen Planungen in Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprorammen. Die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Oberflächenwasserkörper bleibt in jedem Stadium der Durchführung der Richtlinie 2000/60 verbindlich und gilt für jeden Typ und jeden Zustand eines Oberflächenwasserkörpers, für den ein Bewirtschaftungsplan erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Der betreffende Mitgliedsstaat ist folglich verpflichtet, die Genehmigung eines Vorhabens zu versagen, wenn es geeignet ist, den Zustand des fraglichen Wasserkörpers zu verschlechtern oder die Erreichung eines guten Zustands der Oberflächenwasserkörper zu gefährden, es sei denn, dass Vorhaben fällt unter eine der in Art.4 Abs.7 der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen.“[27]
2.2.2. Verschlechterungsverbot
Mit Spannung erwartet worden waren aber vor allem die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs zur zweiten und dritten Vorlagefrage des Bundesverwaltungsgerichts, die Inhalt und Reichweite des Verschlechterungsverbots zum Gegenstand hatten. Diesbezüglich hat der Europäische Gerichtshof insbesondere festgehalten, dass nur Art.4Ilit.a)Ziff.ii und iiiWRRL und das dort geregelte Verbesserungsgebot auf den AnhangV der Richtlinie verweisen, nicht aber auch das in Art.4Ilit.a)Ziff.iWRRL geregelte Verschlechterungsverbot[28]. Der Begriff der Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers sei ein Begriff von allgemeiner Tragweite[29]. Auf der anderen Seite betont der Europäische Gerichtshof, dass das Verschlechterungsverbot voraussetzt, dass der ökologische Zustand des betreffenden Wasserkörpers festgestellt ist, die Beurteilung des Zustands der Oberflächengewässer aber auf der Untersuchung des ökologischen Zustands beruht, der die in AnhangV WRRL beschriebenen fünf Klassen umfasst[30]. Der AnhangV WRRL kann also auch beim Verschlechterungsverbot nicht gänzlich ausgeblendet werden. Letztlich stößt sich der Europäische Gerichtshof in Bezug auf die Zustandsklassentheorie vor allem an der Anwendung der „one out all out“-Regel der Nr.1.4.2. Ziff.i AnhangV WRRL im Rahmen des Verschlechterungsverbots[31]. Die Zustandsklassentheorie könne im Übrigen schon deshalb nicht richtig sein, weil Art.4Vlit.c)WRRL in Bezug auf erheblich veränderte Oberflächenwasserkörper, für die sich die Mitgliedstaaten die Verwirklichung weniger strenger Umweltziele vornehmen können, ausdrücklich ein Verbot jeder weiteren Verschlechterung vorsieht[32]. Weiter heißt es:
„Wird der Begriff ‚Verschlechterung‘ hingegen im Hinblick auf eine Qualitätskomponente oder einen Stoff ausgelegt, behält die Pflicht zur Verminderung der Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers […] ihre volle praktische Wirksamkeit, da sie jede Veränderung umfasst, die geeignet ist, die Verwirklichung des Hauptziels der Richtlinie 2000/60 zu beeinträchtigen.
Was die Kriterien angeht, anhand derer auf eine Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers geschlossen werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass sich aus der Systematik von Art.4 der Richtlinie 2000/60 und insbesondere dessen Abs.6 und 7 ergibt, dass Verschlechterungen des Zustands eines Wasserkörpers, seien sie auch vorübergehend, nur unter strengen Bedingungen zulässig sind. Folglich muss die Schwelle, bei deren Überschreitung ein Verstoß gegen die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers vorliegt, niedrig sein.“[33]
Resümierend hält der Gerichtshof sodann fest:
„Demnach ist der Kommission beizupflichten, dass eine ‚Verschlechterung des Zustands‘ eines Oberflächenwasserkörpers im Sinne von Art.4 Abs.1 Buchst.a Nr.i der Richtlinie 2000/60 vorliegt, sobald sich der Zustand mindestens einer Qualitätskomponente im Sinne ihres AnhangsV um eine Klasse verschlechtert, auch wenn diese Verschlechterung nicht zu einer Verschlechterung der Einstufung des Oberflächenwasserkörpers insgesamt führt. Ist jedoch die betreffende Qualitätskomponente im Sinne von AnhangV bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnet, stellt jede Verschlechterung dieser Komponente eine ‚Verschlechterung des Zustands‘ eines Oberflächenwasserkörpers im Sinne von Art.4 Abs.1 Buchst.a Nr.i dar.“[34]
Was das Verbot jeder weiteren Verschlechterung in Bezug auf bereits in der niedrigsten Klasse eingeordnete Qualitätskomponenten angeht, so hat der Europäische Gerichtshof –wie oben zitiert– ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dies auch für nur vorübergehende Verschlechterungen gilt. Darüber hinaus hat er dem Ansatz der Bundesregierung eine Absage erteilt, wonach lediglich erhebliche Beeinträchtigungen eine Verschlechterung des Zustands eines Wasserkörpers darstellen[35]. Soweit damit eine Interessenabwägung eröffnet werden sollte, ist dies unmittelbar einleuchtend; denn eine solche Interessenabwägung soll ausweislich Art.4VIIWRRL erst im Rahmen der Ausnahme stattfinden. Der Europäische Gerichtshof betont zudem, dass sich das Abstellen auf eine „erhebliche Beeinträchtigung“ auch nicht aus dem Wortlaut des Art.4Ilit.a)Ziff.iWRRL ergibt[36]. Damit tritt der Europäische Gerichtshof ersichtlich auch der vom Bundesverwaltungsgericht verfolgten Bagatellschwellenlösung entgegen.
2.3. Bewertung und Konsequenzen
Die soeben wiedergegebenen Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs erweisen sich als durchaus deutungsoffen, auch wenn einige Fragen geklärt wurden. Auf jeden Fall wird das Urteil vom 1.Juli2015 erhebliche praktische Konsequenzen haben. Im Einzelnen:
2.3.1. Verbindlichkeit der Bewirtschaftungsziele
Was die Frage der Verbindlichkeit der Bewirtschaftungsziele anbelangt, so hat sich der Europäische Gerichtshof mit seinem Urteil vom 1.Juli2015 nach dem oben Wiedergegebenen für eine strikte und grundsätzlich unmittelbare Geltung der Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL ausgesprochen. Der Europäische Gerichtshof sieht die Zulassung eines konkreten Vorhabens mithin als die Durchführung einer Maßnahme zur Verhinderung einer Verschlechterung an[37]. Damit sind die Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL doppelfunktional: Sie sind sowohl für die jeweils auf sechs Jahre angelegte wasserrechtliche Bewirtschaftungsplanung maßgeblich als auch auf einzelne Einleitungen oder sonstige Einwirkungen auf ein Gewässer anwendbar[38].
Unbeantwortet gelassen hat der Europäische Gerichtshof in diesem Zusammenhang jedoch die Frage nach dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab, ab dem von einer Verschlechterung bzw. der Gefährdung einer Verbesserung auszugehen ist (nachfolgend 2.3.1.1.). Offen ist auch, ob die strikte Verbindlichkeit der Bewirtschaftungsziele auch für den chemischen und –beim Grundwasser– den mengenmäßigen Zustand gilt (sodann 2.3.1.2.). Bemerkenswert ist zudem der enge Bezug, den der Europäische Gerichtshof zur Bewirtschaftungsplanung hergestellt hat (abschließend 2.3.1.3.).
2.3.1.1. Erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit
Was zunächst die Frage nach der Eintrittswahrscheinlichkeit angeht, die zur Auslösung des mit dem Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot verbundenen rechtlichen Vorgaben erforderlich ist, so kann dem Gerichtshof allein wegen der Verwendung der relativierenden Prädikate „kann“ und „gefährdet“ in Tenor und Entscheidungsgründen nicht unterstellt werden, dass er dadurch das als unmittelbar rechtsverbindlich erkannte Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot noch inhaltlich dahingehend zu verschärfen gesucht hat, dass zur Auslösung eines Verstoßes gegen diese Vorgaben die bloße Möglichkeit einer Verschlechterung bzw. der Gefahr einer Zielverfehlung tatbestandlich ausreicht[39]. Vielmehr wird man auf Grund des dringend korrekturbedürftigen[40] geradezu „anthropophoben“ Ansatzes der Wasserrahmenrichtlinie[41], um noch zu zumindest ansatzweise verhältnismäßigen Ergebnissen zu gelangen, die maßgebliche Gefahrenschwelle nicht allzu niedrig ansetzen dürfen. Dem lässt sich auch nicht überzeugend entgegenhalten, dass die Wasserrahmenrichtlinie das aus Verhältnismäßigkeitsgründen notwendige Ventil ausschließlich im Ausnahmeregime verorte, die Ausnahmen nicht Ausnahmen im eigentlichen Sinne, sondern wesentlicher Bestandteil der Bewirtschaftungsziele insgesamt seien und daher durchaus weit ausgelegt werden könnten[42]. Wie weit die Ausnahmetatbestände wirklich reichen, ist jedoch noch weitgehend ungeklärt. Eines aber hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 1.Juli2015 bereits festgehalten, nämlich dass sie nur „unter strengen Bedingungen“ zulässig sind[43]. Das spricht eher gegen eine weite Auslegung.
Einen Anknüpfungspunkt für das demnach nicht zu niedrigschwellig anzusetzende Maß der zur Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit bietet der ordnungsrechtliche Gefahrenbegriff. Demgegenüber erscheint die Ausrichtung am Vorsorgegrundsatz zu eng. Bestätigt wird dies durch Art.5 der Umwelthaftungsrichtlinie (UHRL)[44], wonach der Verantwortliche unverzüglich die erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen zu ergreifen hat, wenn die „unmittelbare Gefahr“ eines Umweltschadens besteht. Umweltschäden im Sinne der Umwelthaftungsrichtlinie können auch Schädigungen der Gewässer sein, wobei der dieses regelnde Art.2Nr.1lit.b)UHRL die Bewirtschaftungsziele nach Art.4WRRL ausdrücklich in Bezug nimmt[45] ; beide Richtlinien stehen insoweit also in einem engen Zusammenhang. Der Begriff der unmittelbaren Gefahr eines Schadens wird sodann in Art.2Nr.9UHRL definiert als die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ein Umweltschaden in naher Zukunft eintreten wird. Bei der Prüfung der Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL im Rahmen von Zulassungs- und Gestattungsverfahren gilt daher –um einen Vergleich mit dem europäisch intendierten Naturschutzrecht anzustellen– eher der an die spezielle artenschutzrechtliche Prüfung als der an die FFH-Verträglichkeitsprüfung gestellte Maßstab. Dies passt auch insoweit, als die Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL ebenso wie die Zugriffsverbote des besonderen Artenschutzrechts (und im Übrigen auch das Umweltschadensrecht nach der Umwelthaftungsrichtlinie) anders als der europäische Gebietsschutz nicht auf bestimmte besonders qualifizierte Bereiche beschränkt sind, sondern –unter Beachtung der im betreffenden Mitgliedstaat für die Annahme von Wasserkörpern festgelegten Kriterien– ubiquitär gelten. Die materielle Beweislast liegt damit nicht beim Vorhabenträger, sondern bei der untersagungswilligen Behörde, das Ausbleiben einer Verschlechterung oder Gefährdung der Zielerreichung muss nicht gewiss sein, sondern ihr Eintritt darf nur nicht hinreichend wahrscheinlich sein und das Vorliegen einer Verschlechterung oder Gefährdung der Zielerreichung ist –zumindest solange sich die einschlägigen Fachwissenschaften nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweisen– gerichtlich nicht vollständig überprüfbar, sondern nur dahingehend, ob die Behörde die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten hat, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist, den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe gehalten, insbesondere das aus Art.3IGG folgende Willkürverbot nicht verletzt hat[46].
Nationalrechtlich lässt sich dieses Ergebnis darauf stützen, dass anders als etwa in §32II1, §48II1 oder in §62I1WHG die §§27, 44 und 47WHG nicht davon sprechen, dass eine Verschlechterung oder die Gefährdung einer Verbesserung nicht zu besorgen sein dürfen[47]. Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Vorlagebeschluss zur Weservertiefung aber genau das angenommen[48]. Eine Begründung dafür ist es allerdings schuldig geblieben. Vor diesem Hintergrund ist man allerdings auf der sicheren Seite, wenn man sich hinsichtlich der erforderlichen Eintrittswahrscheinlichkeit ebenfalls eher am Vorsorgegrundsatz orientiert, mag dies auch dogmatisch weniger überzeugen. Demnach griffen die Bewirtschaftungsziele bereits dann, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts nach den gegebenen Umständen und im Rahmen einer sachlich vertretbaren, auf konkreten Feststellungen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist[49].
2.3.1.2. Übertragbarkeit auf den chemischen und mengenmäßigen Zustand
Des Weiteren hat sich der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 1.Juli2015 nur zum ökologischen Zustand in Bezug auf Oberflächengewässer geäußert. Zum chemischen Zustand und zum Grundwasser hat er hingegen kein Wort verloren. Da –worauf noch einzugehen sein wird– der chemische Zustand normativ anders angebunden ist als der ökologische Zustand bzw. das ökologische Potenzial und die Wasserrahmenrichtlinie für das Grundwasser ohnehin eigene Bewirtschaftungsziele regelt, erscheint es nicht fernliegend, die Frage der unmittelbaren Geltung der Bewirtschaftungsziele in Bezug auf den chemischen Zustand sowie auf das Grundwasser als noch ungeklärt anzusehen. Hinsichtlich des chemischen Zustands ließe sich für eine lediglich mittelbare Geltung der Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL als bloße ermessensleitende Bewirtschaftungsvorgaben insbesondere Art.10WRRL anführen, der einen kombinierten Ansatz in Bezug auf Einleitungen aus Punktquellen und diffusen Quellen regelt, dabei aber die Bewirtschaftungsziele des Art.4IWRRL gerade nicht als Genehmigungsvoraussetzung nennt[50]. Auch für die weniger strikte Anwendung der Bewirtschaftungsziele beim Grundwasser lassen sich gewichtige Argumente anführen, wie etwa die Entstehungsgeschichte der Grundwasserrichtlinie[51] und das Zusammenspiel der Bewirtschaftungsziele beim Grundwasser mit dem Ziel der Trendumkehr gemäß Art.4Ilit.b)Ziff.iiiWRRL[52]. Wegen des Grundsatzes, dass gleiche Begriffe und Formulierungen auch Gleiches bedeuten, sprechen die besseren Argumente jedoch dafür, auch für den chemischen Zustand und das Grundwasser von einer strikten Geltung der Bewirtschaftungsziele auszugehen[53].
2.3.1.3. Bezug zur Bewirtschaftungsplanung
Auffällig ist schließlich die Bedingung, unter die der Europäische Gerichtshof die Geltung der Bewirtschaftungsziele stellt, nämlich den Umstand, dass für den betreffenden Wasserkörper ein Bewirtschaftungsplan erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Dies knüpft zum einen an das Urteil vom 11.September2012 an. Dort hatte der Europäische Gerichtshof festgehalten, dass Art.4IWRRL eine Verbindung zwischen den hier geregelten Bewirtschaftungszielen und dem vorherigen Vorliegen eines Bewirtschaftungsplans für das betreffende Einzugsgebiet herstellt, also ohne Bewirtschaftungsplan die Bewirtschaftungsziele nicht gelten sollten[54]. Daher resümierte der Europäische Gerichtshof für den damals ihm zur Vorabentscheidung vorgelegten Fall:
„Folglich unterlag das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vorhaben, wie es vom griechischen Gesetzgeber am 2.8.2006 angenommen wurde, ohne das die Bewirtschaftungspläne für die von dem Vorhaben betroffenen Einzugsgebiete zuvor erstellt worden waren, nicht Art.4 der Richtlinie 2000/60.“[55]
Der Europäische Gerichtshof wies in diesem Zusammenhang jedoch gleichzeitig darauf hin,
„dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Mitgliedstaaten, an die die Richtlinie gerichtet ist, während der Frist für deren Umsetzung keine Vorschriften erlassen dürfen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden. Diese Unterlassungspflicht, die für alle nationalen Träger öffentlicher Gewalt gilt, ist dahin zu verstehen, dass sie den Erlass jeder allgemeinen und speziellen Maßnahme erfasst, die eine solche negative Wirkung entfalten kann […].“[56]
Gemäß Art.13VIWRRL waren die von Art.4IWRRL in Bezug genommenen Maßnahmenprogramme und Bewirtschaftungspläne bis spätestens zum 22.Dezember2009 aufzustellen und zu veröffentlichen. Daher konnte der Europäische Gerichtshof im Fall der Weservertiefung festhalten, dass die Pflicht zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Oberflächenwasserkörper für jeden Typ und jeden Zustand eines solchen Wasserkörpers gilt, für den ein Bewirtschaftungsplan erlassen wurde oder hätte erlassen werden müssen. Das Verschlechterungsverbot findet also inzwischen –nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Erstellung von Maßnahmenprogrammen und Bewirtschaftungsplänen– flächendeckend Anwendung[57].
[...]
[1] Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EU L 327, S.1.
[2] Oberflächengewässerverordnung vom 20.6.2016, BGBl. I S. 1373.
[3] BVerwG, Beschl. v. 11.7.2013 –7A20/11–, NuR 2013, 662 ff.
[4] EuGH, Urt. v. 1.7.2015 –C-461/13–, DVBl. 2015, 1044ff., Weservertiefung.
[5] NdsOVG, Urt. v. 14.8.2015 –7KS121/12–, juris, Rdnr.124ff.
[6] Hierzu Gaentzsch, DVBl. 2012, 129ff.
[7] Vgl. Pape, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Losebl. (Stand: Dez. 2015), §9WHG Rdnr.50f.
[8] SächsOVG, Beschl. v. 15.12.2005 –5BS300/05–, LKV 2006, 373 (375).
[9] BVerwG, Urt. v. 18.3.2009 –9A39/07–, BVerwGE133, 239 (Rdnr.32).
[10] BVerwG, Urt. v. 16.3.2006 –4A1075/04–, BVerwGE125, 116 (Rdnr.450).
[11] Vgl. für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren OVGNRW, Urt. v. 1.12.2011 –8D58/08.AK–, juris, Rdnr.430ff.
[12] Czychowski/Reinhardt, WHG-Komm., 11.Aufl. (2014), §12 Rdnr.11.
[13] Vgl. Guckelberger, in: Ziekow, Aktuelle Fragen des Luftverkehrs-, Planfeststellungs- und Umweltrechts 2008, Berlin 2009, S.207 (2012).
[14] Schmid, in: Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG-Komm., Berlin 2011, §27 Rdnr. 50.
[15] Hierzu Heinz/Esser, ZUR 2009, 254 (255).
[16] OVGHH, Urt. v. 18.1.2013 –5E11/08–, NuR 2013, 727 (735ff.); OVG Bremen, Urt. v. 4.6.2009 –1A9/09–, ZUR 2010, 151 (152).
[17] BVerwG, Beschl. v. 11.7.2013 –7A20/11–, NuR 2013, 662 (Rdnr.23ff.).
[18] Siehe nur OVG NRW, Urt. v. 1.12.2011 –8D58/08.AK–, NuR2012, 342 (348 f.).
[19] Statt vieler Elgeti/Fries/Hurck, NuR 2006, 745 (747f.); Köck, ZUR 2009, 227 (229f.); Dammert/Brückner, SächsVBl. 2013, 129 (131) ; Austermann, FSStüer, 2013, S.317 (320ff.); weitere Nachweise bei Durner, DVBl. 2015, 1049 (1050).
[20] So bspw . Gellermann, DVBl. 2007, 1517 (1519f.).
[21] Wiedemann, WuA 2007, 40 (42); Füßer/Lau, NdsVBl. 2008, 193 (197f.).
[22] OVGHH, Urt. v. 18.1.2013 –5E11/08–, NuR 2013, 727 (738ff.); OVG Bremen, Urt. v. 4.6.2009 –1A9/09–, ZUR 2010, 151 (178); VG Cottbus, Urt. v. 23.10.2012 ‑4K321/10–, juris, Rdnr.56ff.
[23] BVerwG, Beschl. v. 11.7.2013 –7A20/11–, NuR 2013, 662 (Rdnr.47).
[24] EuGH, Urt. v. 1.7.2015 –C-461/13–, DVBl. 2015, 1044 (Rdnr.30), Weservertiefung.
[25] EuGH, a.a.O., Rdnr.43.
[26] EuGH, a.a.O., Rdnr.49.
[27] EuGH, a.a.O., Rdnr.50.
[28] EuGH, a.a.O., Rdnr.55.
[29] EuGH, a.a.O., Rdnr.61.
[30] EuGH, a.a.O., Rdnr.43 i.V.m. Rdnr.56.
[31] EuGH, a.a.O., Rdnr.63.
[32] EuGH, a.a.O., Rdnr.64.
[33] EuGH, a.a.O., Rdnr.66f.
[34] EuGH, a.a.O., Rdnr.69.
[35] EuGH, a.a.O., Rdnr.68.
[36] EuGH, a.a.O., Rdnr.68.
[37] DeWitt/Kause, NuR 2015, 749 (752).
[38] Rehbinder, NVwZ 2015, 1506 (1507); Franzius, ZUR 2015, 643 (647).
[39] Reinhardt, UPR 2015, 321 (325); a.A. Laskowski, ZUR 2015, 542 (545).
[40] Hierzu Reinhardt, UPR 2015, 321 (328).
[41] Reinhardt, EurUP 2015, 137 (141); ders., UPR 2015, 321 (322); Schönberger, WaWi 2015, 58 (60); Berger/Berl, RdU 2015, 100 (103).
[42] In diese Richtung Franzius, ZUR 2015, 643 (649).
[43] EuGH, Urt. v. 1.7.2015 –C-461/13–, DVBl. 2015, 1044 (Rndr.67), Weservertiefung.
[44] Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABl. EU L143, S.56; zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/21/EG vom 15.3.2006, ABl. EU L102, S.15.
[45] Hierzu Duikers, Die Umwelthaftungsrichtlinie der EG, Berlin 2006, S.74 f.
[46] Ebenfalls einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren behördlichen Beurteilungsspielraum bejahend OVG Bremen, Urt. v. 4.6.2009 –1A9/09–, ZUR 2010, 151 (153); VGAachen, Urt. v. 15.2.2013 –7K1970/09–, juris, Rdnr.59; zum Ganzen auch Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241ff.
[47] Lau, WaWi 2016, 39 (40).
[48] BVerwG, Beschl. v. 11.7.2013 –7A20/11–, NuR 2013, 662 (Rdnr.26): „… wenn die Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers zu besorgen ist“.
[49] Vgl. BVerwG , Urt. v. 12.9.1980 –4C89/77–, ZfW 1981, 87 (88 f.).
[50] Vgl. Rehbinder, NVwZ 2015, 1506 (1507); skeptisch in Bezug auf eine strikte Geltung für den chemischen Zustand auch Jäger, NuR 2015, 550 (552 f.); Durner, DVBl. 2015, 1049 (1052).
[51] Richtlinie 2006/118/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zum Schutz des Grundwassers vor Verschmutzung und Verschlechterung, ABl. EU L372, S.19.
[52] Berger/Berl, RdU 2015, 100 (105).
[53] So auch Durner, W+B 2015, 195 (196).
[54] EuGH, Urt. v. 11.9.2012 –C-43/10–, NuR 2012, 775 (Rdnr.52), Acheloos; so auch bereits Füßer/Lau, NdsVBl. 2008, 193 (194ff.).
[55] EuGH, a.a.O., Rdnr.56.
[56] EuGH, a.a.O., Rdnr.57.
[57] EuGH, Urt. v. 1.7.2015 –C-461/13–, DVBl. 2015, 1044 (Rdnr.50), Weservertiefung.
- Citar trabajo
- Klaus Füßer (Autor), Dr. Marcus Lau (Autor), 2016, Wasserrechtliche Bewirtschaftungsziele und die Entwässerung von Straßen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. Juli 2015 (C-461/13) und der Novellierung der Oberflächengewässerverordnung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/340875
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