Einleitung
Anlässlich vieler Diskussionen, was man unter Kino zu verstehen hat, das heiß t was wir unter wissenschaftlicher Betrachtungsweise des ‚Apparates’ Kino zu erwarten haben, nämlich die Multimedialität des „kinematographischen Spektakels“1, erscheint es angebracht, essentielle kunsttheoretische Betrachtungen des Dispositivs anhand des wohl am kinospezifischsten Mediums, des Filmes, einzubeziehen. Da wir es beim Film mit einer Reihe verschiedener Mittel (Bild, Sprache, Geräusche) zu tun haben – zumindest seit der Erfindung des Tonfilmes – nämlich mit einer „Verkopplung der künstlerische n Mittel“2 (eben Bild mit Ton/Sprache) – ist es von großer Bedeutung, eine der wohl wichtigsten Schriften des 18. Jahrhunderts (zumindest was die ästhetischen Diskussionen der damaligen Zeit angeht), Gotthold Ephraim Lessings ‚Laokoon’3, als eine Art Maßstab und Analyseverfahren zur Untersuchung heranzuziehen. Einen interessanten Ansatzpunkt zur kunsthistorischen oder kunsttheoretischen Untersuchung der filmischen Kunst bietet Rudolf Arnheims Aufsatz ‚Neuer Laokoon’, in dem er versucht, die wie oben schon genannte Kopplung von künstlerischen Mitteln anhand des Sprechfilms zu untersuchen.
Ziel dieser Arbeit soll es nun sein, anhand Lessings kunsttheoretischer Schrift ‚Laokoon’ und Arnheims Aufsatz ‚Neuer Laokoon’, die Eigenheiten der Kunst, im Speziellen des Bildes (oder der „Malerei“ wie Lessing sie bezeichnet4) und der Sprache als poetische Kunst (bei Lessing „Poesie“) aufzuzeigen und sie auf den Sprechfilm anzuwenden, so wie Arnheim es tut, um die Frage nach der Gültigkeit von Lessings Regeln für neuere Kunst (wie eben der Sprechfilm) zu prüfen und somit den künstlerischen Anspruch des Sprechfilmes zu klären: Entsteht durch die Realisierung des Sprechfilms und der damit verbundenen Kopplung der künstlerischen Mittel Bild und Sprache ein ‚neuer Laokoon’? Zunächst soll ein kurzer historischer Abriss Klarheit über die Figur des Laokoon bringen und Lessings Werk sowie Arnheims Aufsatz kurz vorgestellt werden. Danach sollen die Kernpunkte und die ästhetischen Auffassungen über Kunst geklärt, erläutert und in Bezug zum Sprechfilm gesetzt werden, um die Bedeutsamkeit von Lessings Werk zu klären.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Lessings ‚Laokoon’ vs. Arnheims ‚Neuer Laokoon’
2.1 Laokoon – Priester im Schmerz
2.2 Zu Lessings Werk ‚Laokoon’
2.3 Zu Arnheims Aufsatz ‚Neuer Laokoon’
3. Zum ästhetischen Programm – Kunstauffassungen
3.1 Lessings Bestimmung von Poesie und Malerei
3.2 Arnheims Kunstauffassung
4. Zum Sprechfilm
4.1 Der Sprechfilm als Kunst?
4.2 Warum der Sprechfilm nach Arnheim kaum als Kunst zu gelten hat
5. Lessings ‚Laokoon’ – Ein Regelwerk mit Bestand?!
5.1 Der Sprechfilm – Ein ‚neuer Laokoon’?
5.2 Lessings ‚Laokoon’ durch den Film überholt?
6. Fazit
7. Anhang – Literaturliste
1. Einleitung
Anlässlich vieler Diskussionen, was man unter Kino zu verstehen hat, das heißt was wir unter wissenschaftlicher Betrachtungsweise des ‚Apparates’ Kino zu erwarten haben, nämlich die Multimedialität des „kinematographischen Spektakels“1, erscheint es angebracht, essentielle kunsttheoretische Betrachtungen des Dispositivs anhand des wohl am kinospezifischsten Mediums, des Filmes, einzubeziehen.
Da wir es beim Film mit einer Reihe verschiedener Mittel (Bild, Sprache, Geräusche) zu tun haben – zumindest seit der Erfindung des Tonfilmes – nämlich mit einer „Verkopplung der künstlerischen Mittel“2 (eben Bild mit Ton/Sprache) – ist es von großer Bedeutung, eine der wohl wichtigsten Schriften des 18. Jahrhunderts (zumindest was die ästhetischen Diskussionen der damaligen Zeit angeht), Gotthold Ephraim Lessings ‚Laokoon’3, als eine Art Maßstab und Analyseverfahren zur Untersuchung heranzuziehen.
Einen interessanten Ansatzpunkt zur kunsthistorischen oder kunsttheoretischen Untersuchung der filmischen Kunst bietet Rudolf Arnheims Aufsatz ‚Neuer Laokoon’, in dem er versucht, die wie oben schon genannte Kopplung von künstlerischen Mitteln anhand des Sprechfilms zu untersuchen.
Ziel dieser Arbeit soll es nun sein, anhand Lessings kunsttheoretischer Schrift ‚Laokoon’ und Arnheims Aufsatz ‚Neuer Laokoon’, die Eigenheiten der Kunst, im Speziellen des Bildes (oder der „Malerei“ wie Lessing sie bezeichnet4) und der Sprache als poetische Kunst (bei Lessing „Poesie“) aufzuzeigen und sie auf den Sprechfilm anzuwenden, so wie Arnheim es tut, um die Frage nach der Gültigkeit von Lessings Regeln für neuere Kunst (wie eben der Sprechfilm) zu prüfen und somit den künstlerischen Anspruch des Sprechfilmes zu klären: Entsteht durch die Realisierung des Sprechfilms und der damit verbundenen Kopplung der künstlerischen Mittel Bild und Sprache ein ‚neuer Laokoon’?
Zunächst soll ein kurzer historischer Abriss Klarheit über die Figur des Laokoon bringen und Lessings Werk sowie Arnheims Aufsatz kurz vorgestellt werden. Danach sollen die Kernpunkte und die ästhetischen Auffassungen über Kunst geklärt, erläutert und in Bezug zum Sprechfilm gesetzt werden, um die Bedeutsamkeit von Lessings Werk zu klären.
2. Lessings ‚Laokoon’ vs. Arnheims ‚Neuer Laokoon’
2.1 Laokoon – Priester im Schmerz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung: Plastik der Laokoon-Gruppe5
Die Person mit dem Namen Laokoon taucht in der griechischen Mythologie, der Sagenwelt, auf. Laokoon war der Priester Appollons und Poseidons in Troja, der beim Untergang Trojas zusammen mit seinen Söhnen qualvoll dem Kampf mit zwei Schlangen erlag6: „[...] Vergeblich versuchte er die Umschlingungen zu lösen. Furchtbar waren seine Klagelaute, die sich zum Himmel erhoben.“7
Diese Begebenheit - die Geschichte - des Laokoon wird bis heute noch durch poetische Kunst und bildende Kunst repräsentiert: Vergils Erzählung der Laokoon-Begebenheit im zweiten Buch der Aeneis und die Skulptur der spätantiken Laokoon-Gruppe der rhodischen Bildhauer Hagesandros, Polydoros und Athanodoros.8 Diese Skulptur wurde 1506 in der Nähe Roms gefunden und „[...] sofort identifiziert[e] man die Skulptur mit der von Plinius [...] beschrieben Laokoon-Gruppe, welche dieser als Kunstwerk bezeichnet, das allen anderen vorzuziehen sei“.9 Man sah in diesem Kunstwerk einen Gipfel der Kunst überhaupt, dessen Ruhm über Jahrhunderte unangefochten blieb und bleibt, wie Monika Fick (2000) anmerkt.
2.2 Zu Lessings Werk ‚Laokoon’
Gotthold Ephraim Lessings Werk ‚Laokoon’ erschien 1766. Es handelt sich um eine sogenannte kunsttheoretische Schrift, eine Darlegung, die „die Frage nach der Eigenart des Poetischen in Abgrenzung zu den übrigen schönen Künsten“10 beantworten, das heißt eine Differenzierung, „die das Wesen der Einzelkünste“11klären soll.12 Lessing bedient sich hierzu des Vergleiches des poetischen Werkes von Vergil und der Laokoon-Plastik.
Wie schon in Kapitel 2.1 angedeutet, galt die Plastik des Laokoon als eine Art absolute Regel, ein Ideal der Kunst. Nach Monika Fick (2000) trage Lessing mit seiner Titelwahl ‚Laokoon’ der „exzeptionellen Bedeutung“13 dieser Skulptur Rechnung.
Lessings Schrift wendet sich gegen die „blendende Antithese [...], dass die Malerei eine stumme Poesie und die Poesie eine redende Malerei sei.“14 Dieser Kernsatz verwischt nach Lessings eigenen Ausführungen gerade die von ihm geforderten eindeutigen Grenzen der Künste und animiert ihn zur Klarstellung: „Bald zwingen sie die Poesie in die engeren Schranken der Malerei; bald lassen sie die Malerei die ganz weite Sphäre der Poesie füllen: [...] Diesem falschen Geschmacke [...] entgegenzuarbeiten, ist die vornehmste Absicht folgender Aufsätze.“15 Großen Anlass zur Kritik bot Lessing Winckelmanns Schrift „Versuch einer Allegorie“ verbunden mit der Deutung der Plastik der Laokoon-Gruppe.16
Lessing schafft es in seinem Werk sowohl die Grenzen17 der bildenden Künste und der Poesie zu bestimmen als auch die Dichtkunst vom Diktat der Malerei zu befreien. Demnach wurde dieses Werk stark für die Literaturkritik richtungsweisend.18
2.3 Zu Arnheims Aufsatz ‚Neuer Laokoon’
Rudolf Arnheim wurde am 15. Juli 1904 in Berlin am Alexanderplatz geboren19. Nach seinem Abitur studierte er an der Berliner Universität Philosophie mit Schwerpunkt Psychologie und die Nebenfächer Kunst- und Musikgeschichte. Seine späteren Arbeiten als Filmkritiker waren demnach sehr durch die Gestaltpsychologie, die den Besonderheiten der visuellen Wahr-
nehmung ihre Entstehung und ihre wertvollsten Gesetze verdankt, geprägt - „Zumal die Gestaltpsychologie eine starke Beziehung zur Kunst hat, denn das Kunstwerk gilt als sehr typisches Beispiel eines Gestaltzusammenhangs.“20
In seinem Aufsatz ‚Neuer Laokoon’ - erschienen 1938 - macht sich sehr stark deutlich, dass sich Arnheims wissenschaftliches Interesse am Film weitestgehend auf die visuelle Wahrnehmung fixiert („.Schon seine Dissertation war Experimenten zur Wahrnehmung und charakterologischen Bewertung visueller Erscheinungen [...] gewidmet“21). In ‚Neuer Laokoon’ befasst er sich stark mit dem künstlerischen Ausdruck des Filmes. Für Arnheim zeigte der zu dieser Zeit entwickelte Tonfilm (nämlich im Bereich des damit entstandenen Sprechfilms) erhebliche künstlerische Mängel – er spricht von „innere[n] Widersprüche[n]“22 im Medium Sprechfilm, der wiederum demnach „lebensunfähig bleiben müsse.“23
Arnheim formuliert zu Beginn seines Aufsatzes eindeutig sein Vorhaben: „Wir machten uns deshalb daran [...] zu untersuchen, ob bzw. unter welchen Bedingungen Kunstwerke möglich sind, die sich auf mehr als einem einzigen künstlerischen Mittel [...] aufbauen [...]. Diese Ergebnisse wendeten wir auf den Sprechfilm an.“24
3. Zum ästhetischen Programm – Kunstauffassungen
3.1 Lessings Bestimmung von Poesie und Malerei
Wie bereits in Kapitel 2.2 aufgezeigt wurde, stellt Lessings Werk eine ästhetisch wichtige Schrift zur Grenzbestimmung zwischen Poesie und Malerei dar. Wie ebenfalls schon erwähnt, war Lessings Anlass für die Schrift ‚Laokoon’ ein „kritischer Impuls“25 gegen Winckelmanns These, „der griechische Künstler habe den Schmerzensschrei des Laokoon aus ethischen (statt aus ästhetischen) Gründen zum bloßen Seufzer gedämpft.“26 Winckelmanns These rechtfertigt sich durch die Erhebung der antiken Meisterwerke zum Maßstab der „edlen Einfalt und stillen Größe“, worin sich der Grundsatz des Horaz „ut pictura poesis“ wiederfindet, der Gegenstände poetischer Beschreibung nur dann als schön gelten lasse, wenn sie auch als Statue oder als Gemälde darstellbar seien.27
Lessing widerlegt dies „gemäß seinem von Plutarch stammenden Motto: Sie sind sowohl im Stoff wie in den Arten der Nachahmung verschieden.“28 Wie auch schon Frenzel et al. 1995 deutlich machten, schreie nach Lessing der Laokoon deshalb nicht, weil das Schreien nur ein vorrübergehender (also später wegfallender) Zustand sei. Lessing spricht darum vom „prägnantesten Augenblick“29, den der Bildhauer wählen müsse - er meint damit den spannendsten Augenblick. Ebenso würde nämlich die Darstellung des Schreiens zur Hässlichkeit führen30, die der bildenden Kunst versagt sei, da sie dauernd vor unserem Auge bliebe.31 Lessing argumentiert demnach von den Vorraussetzungen der Form her: Der Schrei unterbleibt wohl demnach nicht, weil die edle griechische Seele keinen Schmerz kenne, sondern weil seine Darstellung in diesem Medium unästhetisch wäre. „Es sei [also] das Material des Marmors, das den Schrei nicht zulasse, während Vergil ihn im Epos durchaus schildern könne.“32 Man kann also von einer Materialverschiedenheit als Kriterium zur bildenden Kunst- und Poesie-Unterscheidung sprechen: Lessing: „[...], dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen, gebrauchet, als die Poesie [...].“33 Lessing leitet in seinem Werk Laokoon in dem vielleicht wichtigsten Kapitel, nämlich Kapitel XVI., eindeutige Wesensmerkmale und Regeln der Malerei (der bildenden Künste) und der Poesie ab:34
[...]
1 Metz 1997, S. 72
2 Arnheim 1977, S. 81
3 Der volle Titel lautet: „Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie“. Der Einfachheit halber im weiteren Text
nur noch „Laokoon“ genannt.
4 Lessing versteht unter „Malerei“ die bildenden Künste allgemein , vgl. Lessing 1998, S. 6.
5 Abbildung entnommen von der Internetseite: www.gutenberg.aol.de/lessing/laokoon/laokoon.htm
6 vgl. hierzu Carstensen „Griechische Sagen“ 1954, S. 205-208
7 Ebd., S. 208www.gutenberg.aol.de
8 vgl. hierhttp://www.gutenberg.aol.de/lessing/laokoon/laokoon.htmzu Kindlers neues Literaturlexikon 1990, S. 320 und Schülerduden 1998, S. 246
9 Fick 2000, S. 222
10 Kindlers neues Literaturlexikon 1990, S. 320
11 Barner et al. 1975, S. 207
www.gutenberg.aol.de12 Lessing versucht Malerei und Poesie von ihren Gesetzmäßigkeiten der Darstellung her zu unterscheiden
13 Fick 2000, S.222
14 Lessing 1998, S.4
15 Lessing 1998, S. 4/5
16 vgl. Harenberg, Lexikon der Weltliteratur 1995, S. 1730
17 Unterscheidung und Grenzziehung der Künste nach Material, Funktion und Wirkung
18 Harenberg, Lexikon der Weltliteratur 1995, S. 1731
19 alle biographischen Angaben beziehen sich auf Diederichs Vortrag 1997 anlässlich des Bonner Arnheim-Symposions http://www.gutenberg.aol.de/lessing/laokoon/laokoon.htm
20 Diederichs 1997, Kap. 3
21 Ebd., Kap. 3
22 Arnheim 1977, S. 82
23 Ebd., S. 82
24 Ebd,, S. 82
25 Kreuzer 1998, S. 216
26 Ebd., S. 216
27 nach Kindlers neues Literaturlexikon 1990, S. 320http://www.gutenberg.aol.de/lessing/laokoon/laokoon.htm
28 Kindlers neues Literaturlexikon 1990, S. 320
29 Lessing 1998, S. 115. „Prägnantester Augenblick” = ein Moment steht für Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
30 die Umsetzung des Schreis würde wohl in der Plastik als dunkles Loch im Gesicht Laokoons erscheinen
31 nach Frenzel et al. 1995, S. 177
32 Harenberg, Lexikon der Weltliteratur, S. 1730
33 Lessing 1998, S. 114
34 die folgenden Punkte stellen ein starke Vereinfachung von Lessings Thesen dar in Anlehnung an Frenzel et al. 1995
- Quote paper
- M.A. Andreas Reichard (Author), 2001, Der Sprechfilm - Ein neuer Laokoon?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/34041
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