Franz Kafkas Roman „Der Proceß“ hat bislang innerhalb der Literaturwissenschaft eine Vielzahl an Deutungen erfahren. So wurde das Werk unter anderem als Ausdruck religiöser oder philosophischer Vorstellungen gesehen; andere Interpreten wiederum deuteten den Roman anhand der Biographie des Autors. Jeder dieser möglichen Interpretationswege führt zu anderen Ergebnissen und erschließt dem Leser jeweils neue Aspekte.
Im Rahmen dieser Arbeit wird der „Proceß“ anhand der Theorie des französischen Psychoanalytikers Jacques Lacan (1901-1981) gelesen. Einen Text mit Lacan lesen heißt also, sich auf dem Feld psychoanalytischer Literaturtheorie zu bewegen. Dabei soll auf der Grundlage der Lacanschen Kernkonzepte des Symbolischen, des Imaginären und des Realen gezeigt werden, dass es sich bei Kafka insbesondere um einen Autor des Realen handelt.
Einleitend sei der Aufbau der Arbeit vorgestellt: In einem ersten Schritt wird das Gericht als eine Macht des Realen herausgearbeitet. Im Zentrum der Betrachtung stehen hierbei sowohl die Erscheinungsformen des Realen als auch dessen Symptome und Objekte. Innerhalb des zweiten größeren Abschnitts der Arbeit werden dann der Bereich des Imaginären und seine Wechselwirkungen mit dem Realen thematisiert. Abschließend wird der Frage nachgegangen, wie der Text die Unterwanderung der symbolischen Ordnung durch das Reale verhandelt.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Das Gericht als reale Macht
- 2.1 Die Erscheinungsformen des Realen
- 2.1.1 Widerliche Präsenz
- 2.1.2 Das idiotische Genießen (jouissance)
- 2.1.2.1 Zur Obszönität des Beamtentums
- 2.1.2.2 Frauen als Verkörperung der Orte des Gesetzes...
- 2.2 Die Symptome des Realen
- 2.3 Das Reale und seine (Partial-)Objekte
- III. Der Bereich des Imaginären und seine Wechselwirkungen mit dem Realen
- 3.1 Das Imaginäre als Schutz vor dem Realen
- 3.2 Eine Gestalt im Spiegel: Kaufmann Block als der kleine andere
- 3.3 Josef K. als gespaltenes Subjekt: bewusster vs. unbewusster Diskurs
- IV. Die Unterwanderung der symbolischen Ordnung durch das Reale
- 4.1 K.s Verankerung in der symbolischen Ordnung
- 4.2 Die Schwächung der Position des Groß Anderen
- 4.3 Die „Verschleppung“: ein ewiger Aufschub von Sinn
- V. Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert Franz Kafkas Roman „Der Proceß“ durch die Linse der Lacanschen Psychoanalyse und argumentiert, dass Kafka ein Autor des Realen ist. Der Fokus liegt auf der Darstellung des Gerichts als einer realen Macht, die sich durch ihre Erscheinungsformen und Symptome im Roman manifestiert.
- Die Macht des Gerichts als reale Instanz, die sich den Versuchen des Protagonisten Josef K., sie zu verstehen, entzieht.
- Die Rolle des Realen in der Unterwanderung der symbolischen Ordnung und die Auswirkungen auf das Subjekt.
- Die Wechselwirkungen zwischen dem Imaginären und dem Realen, die sich in der Figur Josef K. und seinen Beziehungen zu anderen Figuren widerspiegeln.
- Die Bedeutung von Körperlichkeit und Obszönität als Ausdruck des Realen im Roman.
- Die Interpretation des Romans im Kontext der Lacanschen Schlüsselkonzepte des Symbolischen, des Imaginären und des Realen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den theoretischen Rahmen der Arbeit vor und erläutert die Relevanz von Lacans Psychoanalyse für die Interpretation von Kafkas Werk. Sie skizziert den Aufbau der Arbeit, der sich auf die Darstellung des Gerichts als reale Macht, die Beziehung zwischen dem Imaginären und dem Realen sowie die Unterwanderung der symbolischen Ordnung durch das Reale konzentriert.
Das zweite Kapitel analysiert das Gericht als reale Macht und untersucht die Erscheinungsformen des Realen im Roman. Dabei werden die Begriffe „Widerliche Präsenz“ und „idiotisches Genießen“ als zentrale Merkmale des Realen in Kafkas Welt hervorgehoben. Die Obszönität des Beamtentums und die Rolle der Frauen als Verkörperung der Orte des Gesetzes werden ebenfalls diskutiert.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Imaginären und seinen Wechselwirkungen mit dem Realen. Es analysiert das Imaginäre als Schutzmechanismus vor dem Realen und untersucht die Figur des Kaufmanns Block als „kleinen anderen“. Schließlich wird Josef K. als gespaltenes Subjekt mit bewusstem und unbewusstem Diskurs präsentiert.
Das vierte Kapitel erforscht die Unterwanderung der symbolischen Ordnung durch das Reale. Es beleuchtet K.s Verankerung in der symbolischen Ordnung und die Schwächung der Position des „Groß Anderen“. Die „Verschleppung“ als Ausdruck eines ewigen Aufschubs von Sinn wird ebenfalls behandelt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen des Realen, des Symbolischen und des Imaginären im Kontext der Lacanschen Psychoanalyse. Weitere zentrale Themen sind das Gericht als reale Macht, die Unterwanderung der symbolischen Ordnung, die Obszönität des Beamtentums, die Rolle der Frauen, die Körperlichkeit und die Figur Josef K. als gespaltenes Subjekt.
- Citation du texte
- Verena Fendl (Auteur), 2010, Franz Kafka als Autor des Realen. Dargestellt an seinem Roman "Der Proceß", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/339472