Während meiner beruflichen Laufbahn, insbesondere als Fachdienstleiterin einer Allgemeinen Sozialberatung, wurde ich oft mit schwierigen materiellen Situationen Hilfesuchender konfrontiert.
Viele Klientinnen erhofften sich vor allem materielle Hilfe. Ohne Zweifel war diese in vielen Fällen notwendig und hilfreich. Der materielle Hilfebedarf war jedoch größer als das für Notfälle zur Verfügung stehende Budget.
Finanzielle Schwierigkeiten, wie Stromsperren, ereilten die Klientinnen nicht über Nacht, sondern bahnten sich über einen längeren Zeitraum an. Hilfe wurde aber oft erst gesucht, wenn „nichts mehr ging“. In einer solchen Krisensituation über unangemessenes Finanzmanagement zu sprechen, ist in der Regel wenig hilfreich. Nach der erfolgreichen Krisenintervention (Darlehen usw.) sahen die Betroffenen oftmals keinen Anlass mehr, sich auf eine Beratung bezüglich ihrer Haushaltsplanung einzulassen.
Dies führte unter Fachkolleginnen zu regen Diskussionen über Sinn und Zweck finanzieller Hilfen. Die Problematik an sich, das falsche Haushaltsmanagement, sei damit nicht behoben und es somit absehbar, dass früher oder später wieder eine Notlage entstehe. Die betroffenen Klientinnen würden, so die These, im Gegenteil sich der Problematik entziehen und die finanzielle Unterstützung bewirke eine Aufrechterhaltung bisheriger dysfunktionaler, finanzieller Handlungen.
Mich interessierte, warum sich viele arme Menschen in Bezug auf Geld nicht so verhalten, wie es in ihrem Interesse läge, sondern so, wie es jeglicher Vernunft zu widersprechen scheint.
Als Beraterin konnte ich die Gründe oftmals nicht nachvollziehen. Eine Klientin, die ich bei der Wohnungssuche begleiten sollte, erzählte mir von ihrer kleinen Tochter. Mit Tränen in den Augen berichtete sie, ihr kein „Hochbett“ kaufen zu können, obwohl sie sich das so sehr wünscht. Sie müsse ihre Familie um Geld bitten und fühlte sich nun als „schlechte“ Mutter. Sie hatte Angst, ihr Kind würde sie nicht mehr lieben, wenn sie ihm diesen Wunsch nicht erfüllen würde. Rational war das für mich nicht nachvollziehbar. Bindungsverhalten und Konsum standen scheinbar in direktem Zusammenhang. [...]
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1 EINLEITUNG
2 KONSUMVERHALTEN ÜBER DIE EIGENEN VERHÄLTNISSE
2.1 Überschuldungsauslöser
2.2 Warum Haushaltspläne scheitern
2.3 Wenn das Normalste der Welt zum Dauerproblem wird
2.4 Wertigkeit in der Finanzplanung
2.5 Das Neuromarketing
2.6 Vom prägenden Umgang mit Geld
2.7 Das Verhältnis von Geld und Macht
3 HABEN ODER SEIN
4 IDENTITÄT UND IDENTITÄTSPROZESS IN DER INTEGRATIVEN THERAPIE UND BERATUNG
4.1 Die Ausbildung individueller Identität
4.2 Die fünf Säulen der Identität
4.2.1 Die Bedeutung der materiellen Sicherheit
4.2.2 Die Bedeutung von Tätigkeit für die Identität
4.2.3 Die Bedeutung von sozialen Netzwerken und Werten für die Identität
4.2.4 Die Bedeutung der Leiblichkeit für die Identität
5 IDENTITÄTSARBEIT AUS DER SICHT MULTIDIMENSIONALER PERSPEKTIVEN
5.1 Die Entwicklung eines Kernselbst nach Stern
5.2 Selbst und Identität aus Sicht des Psychodramas
5.3 Symbolischer Interaktionismus nach Stryker
5.4 Selbstdarstellung als aktiver, kreativer Akt nach Schütz & Marcus
5.5 Das übersättigte Selbst nach Gergen
5.6 Identitätsarbeit als Lebenskunst nach Keupp
5.7 Stigma als Beschädigung sozialer Identität nach Goffmann
5.8 Konsum und Identität im familiären Kontext
6 WAS IST UNWIRTSCHAFTLICH?
7 SCHLUSSFOLGERUNGEN
8 BERATUNGSRELEVANTE ANSÄTZE
9 PLANUNG DES FORSCHUNGSPROJEKTES
9.1 Der Entdeckungszusammenhang
9.2 Die Leitfrage
9.3 Methoden der Evaluation
9.4 Der Pretest
9.5 Auswahl der Stichproben und Zugang zum Feld
10 DURCHFÜHRUNG DER BEFRAGUNG
10.1 Auswertungsverfahren
10.2 Ablaufmodell der Analyse
11 FALLDARSTELLUNG
11.1 Fall A
11.2 Fall B
11.3 Fall C
12 RELEVANZ FÜR DIE BERATUNG AUF GRUND DER ERHOBENEN DATEN
12.1 Fallspezifische Relevanz
12.2 Allgemeine Relevanz in Bezug auf Beratung
13 METHODOLOGISCHE EIGNUNG DES FORSCHUNGSDESIGN IM HINBLICK AUF DIE LEITFRAGE
14 AUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
ZUSAMMENFASSUNG
ABSTRACT
ANHANG A
Beraterin A TST
Beraterin A Fragebogen
Beraterin A Paraphrasierung
Beraterin A Säulen der Identität
Beraterin A Gesprächsprotokoll
Klientin A TST
Klientin A Fragebogen
Klientin A Paraphrasierung
Klientin A Säulen der Identität
Klientin A Gesprächsprotokoll
ANHANG B
Beraterin B TST
Beraterin B Fragebogen
Beraterin B Paraphrasierung
Beraterin B Säulen der Identität
Beraterin B Gesprächsprotokoll
Klient B TST
Klient B Fragebogen
Klient B Paraphrasierung
Klient B Säulen der Identität
Klient B Gesprächsprotokoll
ANHANG C
Beraterin C TST
Beraterin C Fragebogen
Beraterin C Paraphrasierung
Beraterin C Säulen der Identität
Beraterin C Gesprächsprotokoll
Klientin C TST
Klientin C Fragebogen
Klientin C Paraphrasierung
Klientin C Säulen der Leiblichkeit
Klientin C Gesprächsprotokoll
ANHANG D
Beraterin Pretest TST
Beraterin Pretest Fragebogen
Klientin Pretest TST
Klientin Pretest Fragebogen
Klientin Pretest Gesprächsprotokoll
Vorwort
Den berufsbegleitenden Masterstudiengang Psychosoziale Beratung nahm ich 2006 auf. Damit begann ein Entwicklungsprozess, der mich in meiner berufliche Identität und Professionalität stärkte. Mit dem Schwerpunkt „Hand- lungsorientierte Beratung“ (Psychodrama und Gestalt) wählte ich eine Me- thode, die in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern wirkungsvoll einsetzbar ist. Diese Erfahrung verdanke ich meiner beruflichen Entwicklung, die mich über die Sozialtherapie in einer psychosomatischen Fachklinik in die Allge- meine Sozialberatung und Sozialpädagogische Familienhilfe bis zur Suchtbe- ratung und -therapie führte.
Aus dieser Erfahrung heraus habe ich diese Forschungsarbeit von Beginn an fachdienstübergreifend angelegt, um originäre sozialpädagogische Handlungskonzepte zu erforschen und weiter zu entwickeln.
Danksagung
Es ist mir ein besonderes Anliegen, folgenden Personen meinen herzlichen Dank auszusprechen:
Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, die über einen Zeitraum von fünf Jahren Verständnis für mein Studium aufbrachte und die zeitlichen und finanziellen Anstrengungen stets mitgetragen hat. Nur mit der Unterstützung meines Mannes Thomas Günther und meiner beiden Kinder Anne und Chris ist dieser Abschluss möglich.
Zum Gelingen dieser Arbeit haben Herr Prof. Dr. Schwinger und Frau Beck wesentlich beigetragen. Beide haben humanistische Grundhaltungen mit den Methoden Psychodrama und Gestalt vermittelt, die über ein reines Handwerkszeug hinaus gehen und mein professionelles Handeln prägen.
Herr Prof. Dr. Schwinger begleitete die Anfertigung der Master-Thesis überaus engagiert. Seine fachliche Anregung und Kritik waren sehr hilfreich.
Meine Studienkolleginnen Melanie Stadler-Liebetrau und Heike Winkenbach standen mir persönlich und fachlich zur Seite und motivierten mich in schwie- rigen Phasen.
Ein besonderer Dank gilt dem Ehepaar Claudia Ludwig-Schulte und Richard Schulte, für die aufwändige Arbeit des Korrekturlesens.
Abschließend gilt mein herzlicher Dank den Klientinnen und Beraterinnen der Fachdienste, durch deren Mitwirkung diese Forschungsarbeit erst möglich wurde. Ihre Offenheit hat wesentlich zum Gelingen beigetragen.
1 Einleitung
Während meiner beruflichen Laufbahn, insbesondere als Fachdienstleiterin einer Allgemeinen Sozialberatung, wurde ich oft mit schwierigen materiellen Situationen Hilfesuchender konfrontiert.
Viele Klientinnen1 erhofften sich vor allem materielle Hilfe. Ohne Zweifel war diese in vielen Fällen notwendig und hilfreich. Der materielle Hilfebedarf war jedoch größer als das für Notfälle zur Verfügung stehende Budget.
Finanzielle Schwierigkeiten, wie Stromsperren, ereilten die Klientinnen nicht über Nacht, sondern bahnten sich über einen längeren Zeitraum an. Hilfe wurde aber oft erst gesucht, wenn „nichts mehr ging“. In einer solchen Krisensituation über unangemessenes Finanzmanagement zu sprechen, ist in der Regel wenig hilfreich. Nach der erfolgreichen Krisenintervention (Darlehen usw.) sahen die Betroffenen oftmals keinen Anlass mehr, sich auf eine Beratung bezüglich ihrer Haushaltsplanung einzulassen.
Dies führte unter Fachkolleginnen zu regen Diskussionen über Sinn und Zweck finanzieller Hilfen. Die Problematik an sich, das falsche Haushaltsma- nagement, sei damit nicht behoben und es somit absehbar, dass früher oder später wieder eine Notlage entstehe. Die betroffenen Klientinnen würden, so die These, im Gegenteil sich der Problematik entziehen und die finanzielle Unterstützung bewirke eine Aufrechterhaltung bisheriger dysfunktionaler, finanzieller Handlungen.
Mich interessierte, warum sich viele arme Menschen in Bezug auf Geld nicht so verhalten, wie es in ihrem Interesse läge, sondern so, wie es jeglicher Vernunft zu widersprechen scheint.
Als Beraterin konnte ich die Gründe oftmals nicht nachvollziehen. Eine Klien- tin, die ich bei der Wohnungssuche begleiten sollte, erzählte mir von ihrer kleinen Tochter. Mit Tränen in den Augen berichtete sie, ihr kein „Hochbett“ kaufen zu können, obwohl sie sich das so sehr wünscht. Sie müsse ihre Fa- milie um Geld bitten und fühlte sich nun als „schlechte“ Mutter. Sie hatte Angst, ihr Kind würde sie nicht mehr lieben, wenn sie ihm diesen Wunsch nicht erfüllen würde. Rational war das für mich nicht nachvollziehbar. Bin- dungsverhalten und Konsum standen scheinbar in direktem Zusammenhang.
In seinem Buch „Psychologie des Geldes“ (1999, S.31) beschreibt Lindgren sehr anschaulich eine ähnliche Beobachtung:
Maria Santos lebt mit vier Kindern und einem Mann von Sozialhilfe, die ihrer Meinung nach nie zum Leben ausreicht. Sie kauft Nahrungsmittel und Haushaltsbedarf in einem kleinen Geschäft in der Nähe. Sie könnte 20% der Ausgaben monatlich sparen, wenn sie stattdessen im Supermarkt einkaufen würde. Auf Nachfrage ihres Sozialarbeiters, warum sie nicht dort einkauft, antwortet sie, weil die Leute im kleinen Laden spanisch sprechen. Ihr Sozialarbeiter erklärt, dass die meisten Verkäufer im Supermarkt auch spanisch sprechen. Maria dankt, ändert ihr Verhalten aber nicht.
Obwohl die Lösung auf der Hand liegt, wird sie nicht in die Tat umgesetzt.
„Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Lösung zwar einfach, die Gründe, weshalb sie nicht befolgt werden, aber komplex sind. … Es scheinen Geldprobleme zu sein, doch im Grunde sind es psychologische Probleme, die durch Gefühle, Einstellungen und Ängste der betroffenen Person hervorgerufen werden“ (Lindgren, 1999, S. 33).
Auf dieses Phänomen treffen Sozialarbeiterinnen in allen Bereichen immer wieder, besonders wenn Familien mit Kindern betroffen sind.
Annäherung an die Forschungsfrage
Die Fachliteratur beschäftigt sich mit dem Thema vor allem aus der Perspektive Erziehung, Psychologie, Soziologie oder Schuldnerberatung. Die Problematik wird aus der spezifischen Sicht der jeweiligen Fachrichtung betrachtet. Es findet sich wenig Literatur, die sozialpädagogische, beratungsrelevante Betrachtungsweisen einschließt.
Bei der Annäherung an das Thema nehme ich Bezug zu multidisziplinären Ansätzen. Es kristallisiert sich eine gemeinsame Kernaussage heraus: Identitätsprozesse haben eine wichtige Rolle für unser Konsumverhalten.
So entstand die Fragestellung: Wie kann man Identitätsprozesse in ihrer Be- deutung für Konsumverhalten und deren Relevanz in Beratungsprozessen erforschen?
Aufbau der Master-Thesis
In einer Gesellschaft unter Armutsbedingungen zu leben, die wie Fromm (2007) sagt, vom „Haben und nicht vom Sein“ geprägt ist, hat besondere Auswirkungen. Im ersten Teil der Arbeit gehe ich deshalb auf die spezifi- schen Problemstellungen von Armut ein, insbesondere im Hinblick auf das Finanzmanagement. Dies ist meines Erachtens für das Verständnis dieser Arbeit grundlegend. Die Leserin soll die Lebenssituation von Armut betroffe- ner Menschen aus Sicht unterschiedlicher Autorinnen kennen lernen. Armut ist nicht eindimensional, sondern vielschichtig gesellschaftlich eingebunden. Sie hat ihre Spezifika, und doch sind die Lebensläufe und das Ausmaß der Betroffenheit sehr individuell. Es geht um einen differenzierten Blick statt pauschaler Annahmen.
Im nächsten Schritt wird das Identitätsmodell der Integrativen Therapie erläutert. Innerhalb der fünf Lebensbereiche, in denen sich Identität konstituiert, wird vorgestellt, wie sich Identität unter Armutsbedingungen repräsentiert. Das Lebensbereichmodell wird im Forschungsteil unter anderem als Kategorisierungsschema verwendet.
Identitätsprozesse sind nie abgeschlossen, sie entwickeln sich von Geburt an und befinden sich stets in einem Passungsprozess. Die Fachliteratur weist eine Fülle von Konzepten und Erklärungen zur Identität auf, je nach Disziplin, Autorin und Fragestellung. Ich habe einen für diese Master-Thesis relevanten Teil aufgenommen und beziehe mich im Weiteren darauf. Im Abschluss die- ses Kapitels gehe ich besonders auf den familiären Kontext von Identität und Konsum ein. Ich stelle fest, dass finanzielle Schwierigkeiten von Familien oftmals Anlass für eine Beratung sind. Die Ursache der Probleme werden von Beraterinnen häufig auf unwirtschaftliches Haushalten zurückgeführt. Diese Sichtweise korreliert unter Umständen nicht mit der der Klientinnen.
Hieraus ergibt sich für mich im nächsten Abschnitt die Frage, wer oder was definiert, was unwirtschaftlich ist? Ich komme zu dem Schluss, dass dies ei- 3
ner konstruktivistischen Interpretation des Einzelfalls bedarf. Hierbei können Identitätsprozesse mit ihrem weitreichenden Einfluss auf unser Denken, Fühlen und Handeln als Erklärungsgrundlage herangezogen werden.
Im Folgenden fasse ich zusammen, welche beratungsrelevanten Ansätze es zu diesem Thema gibt.
Die gewonnen Erkenntnisse fließen in die Planungen des Forschungsprojektes ein. Die Entwicklung der Leitfrage, die Planung und Durchführung des Forschungsdesigns wird ausführlich dargestellt.
Untersucht wurden drei Beratungsfälle in unterschiedlichen Beratungskontexten und Beratungsanlässen.
Die Ergebnisse werden sowohl fallspezifisch als auch bezogen auf allgemeine beratungsrelevante Fragestellungen ausgewertet.
Den Abschluss bilden die kritische Reflexion des Forschungsdesigns und Folgerungen für zukünftige Forschung.
Anmerkung
Der Leserin wird empfohlen vor der Auswertung der Fallinterviews die Fragebögen im Anhang zu lesen. Die Antworten wurden kategorisiert verarbeitet. Es ist daher sinnvoll zunächst die Genesis zu erfassen.
2 Konsumverhalten über die eigenen Verhältnisse
2.1 Überschuldungsauslöser
Eine Überschuldung muss nicht zwangsläufig eine Armutssituation zur Folge haben. Dies ergibt sich schon aus der Differenz zwischen den Regelleistun- gen aus SGB II und XII und den Pfändungsfreigrenzen, die oberhalb des Existenzminimums liegen. Da ein „unvernünftiger“ Umgang mit Geld oft in Zusammenhang mit Schulden diskutiert und erforscht wird, beziehe ich mich in meiner Arbeit auch auf diesen Hintergrund. Im Folgenden geht es vor al- lem um den gesellschaftlichen Einfluss hinsichtlich des Konsumverhaltens von Menschen.
Während gesellschaftlich betrachtet Kredit und Konsum wichtige Elemente für Wohlstand und Entwicklung sind (vgl. Wiswede, 1972, S. 251ff), werden die Probleme der Bürger, die durch diesen „gesellschaftlich gewollten“ Konsum in finanzielle Not geraten sind, individualisiert.
Schulden sind ein absolutes Tabuthema. Schuldner fühlen sich wie Kleinkriminelle, schämen sich vor Angehörigen (vgl. Von Hofe, 2009, S. 7).
Schlabs (2007, S. 27-50) wertet in ihrer qualitativen Studie die private Über- schuldung als Resultat einer Wechselwirkung von äußeren und inneren Fak- toren. Sie sieht als Folge der Polarisierung, dass private Schuldner oft mit Vorurteilen kämpfen müssen, weil ihnen Konsumwahn unterstellt wird. Man- gelnde Handlungskompetenz ist für sie das Resultat und nicht die Ursache individueller und gesellschaftlicher Sozialisationsbedingungen. Mangelnde Anpassungsfähigkeiten auf kritische Lebensereignisse korrelieren mit äuße- ren strukturellen Bedingungen.
In ihrem Jahresbericht für 2008 untersucht die LAG2 Schuldnerberatung Mecklenburg-Vorpommern Überschuldungsauslöser. Dabei trennt sie objek- tive von subjektiven Faktoren. Im Wissen, dass in der Regel mehrere Fakto- ren für eine Überschuldungssituation auslösend sind, waren drei Mehrfach- nennungen möglich. Dennoch waren die 13 vorgegeben Faktoren in 707 Fäl- len nicht für eine Einordnung ausreichend (die Gesamtzahl der Befragten ist leider nicht ersichtlich).
Als häufigste Ursache von Überschuldung wurden mit 49,8% kritische Ereig- nisse wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und Trennung angegeben. Demnach führt die Reduzierung des Einkommens durch äußere selbst unverschuldete Ereignisse zu Situationen, in denen das Haushaltsbudget nicht mehr für alle Zahlungsverpflichtungen ausreicht. An zweiter Stelle, mit 22,9%, werden Einkommensarmut, gescheiterte Selbständigkeit oder Immobilienfinanzie- rung, unzureichende Kredit-und Bürgschaftsberatung, Haushaltsgründung und Geburt eines Kindes genannt. Diese Ursachen sind im Wesentlichen auch objektiven Faktoren zuzuordnen. Vermeidbares Verhalten führt mit 27,3 % als dritthäufigster Auslöser in die Überschuldung. Hierzu zählen Konsum- verhalten, Schadenersatz wegen unerlaubter Handlungen, unwirtschaftliche Haushaltsführung und fehlende finanzielle Kompetenz.
Die LAG kommt zu dem Schluss, dass das Ausmaß der Überschuldung in unserer Gesellschaft nicht allein mit „individuellem Fehlverhalten“ erklärt werden kann. Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat für die privaten Haushalte tiefgreifende Veränderungen und damit verbunde- ne vielfältige Risiken mit sich gebracht (vgl. LAG Schuldnerberatung Mecklenburg-Vorpommern und LIGA der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege Mecklenburg-Vorpommern e.V., 2009, S. 41, 44f).
Zusammenfassend kommen beide Studien zu dem Ergebnis, dass eine ge- genseitige Wechselwirkung vorliegt. Auf Grund der Komplexität individueller Problemlagen erscheint der Versuch, Kategorien und Faktoren zur Struktu- rierung zu bilden, verständlich. Die Schwierigkeit, die Realität darin jedoch abzubilden, zeigen die Probleme der Datenerhebung der LAG. Rein statisti- sche Angaben sind plakativ und quantitativ aussagekräftig, vernachlässigen im Gegenzug allerdings die individuellen und qualitativen Dimensionen.
Lediglich knapp 1/3 der Überschuldungsauslöser sind laut LAG auf individu- elles Fehlverhalten zurückzuführen, wonach Konsumverhalten und unwirt- schaftliche Haushaltsführung meines Erachtens nur bedingt als bewusstes Fehlverhalten einzuordnen sind. Fehlende Finanzkompetenz könnte hierbei ursächlich eine Rolle spielen und diese ist, wie im nächsten Abschnitt erläu- tert wird, auf fehlende individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen zurückzu- führen. Der Mangel an diesen Kompetenzen ist aber auch Resultat gesell- schaftlicher Entwicklungen, wie fehlender Bildung oder vom Markt provozier- ter asymmetrischer Informationen marktrelevanter Eigenschaften von Pro- dukten.3
2.2 Warum Haushaltspläne scheitern
Nach Mantseris (2006) ist die Konsumlandschaft, ja das gesamte gesell- schaftliche Leben chaotischer geworden und so wird es trotz aller individuel- len Kompetenzförderung immer schwieriger, die Übersicht zu behalten. Er fordert daher ein Abstraktionsniveau von Produkten und Produktgruppen (Handytarife, Versicherungen…), die es ermöglichen, die Angebotsvielfalt zu überblicken. Asymmetrische Informationen stellen sich in diesem Fall nicht unbedingt durch ein Verschweigen von Informationen dar, sondern der Ver- käufer macht es durch die Vielzahl an Informationen für den Käufer unmög- lich, die relevanten Details zu erkennen.
Immer größeren Teilen der Bevölkerung fehlt es zudem an den grundlegen- den Fähigkeiten, die ein Haushalt benötigt, um mit seinen Finanzen auszu- kommen.
Zur Finanzkompetenz zählen für Mantseris (2006, S. 79): Beherrschung der Grundrechenarten bis 10 000; ein Verständnis von Geld und Geldwert; Abstraktionsvermögen, z.B. die Fähigkeit, das, was auf dem Kontoauszug steht, in Werte umzusetzen oder die Kompetenz, eine Kreditkarte im Hinblick auf ihre Liquidität zu nutzen; die Kompetenz aktuelle Entscheidungen mit Wirkung auf die Zukunft zu beurteilen; die Fähigkeit Bezahl-Entscheidungen abzuwägen (Ist es mir wichtiger, die angemahnte Versandhausrechnung zu bezahlen oder die Miete?); die Fähigkeit innerhalb eines Haushaltes eine (gemeinsame) konsistente Planung zu realisieren.
Haushaltspläne scheitern auch deshalb, weil die Klienten nicht zufriedenstel- lend rechnen, die Pläne damit nicht fehlerfrei ausfüllen und nutzen können. Für viele ist es eine Überforderung, die regelmäßigen und außergewöhnli- chen Ein- und Ausgaben zu erfassen. Für Immobilienbesitzer sind die vor- handenen Modelle zudem oft nicht brauchbar. Hier sind laut Mantseris die Erfassung und Vermittlung von erfolgreichen Planungsmethoden notwendig.
„Gleichwohl bin ich der festen Überzeugung, dass selbst die besten Pläne für einzelne Haushalte keine Lösung anbieten“ (Mantseris, 2006 S. 79).
Das Wissen und die Fähigkeit zu unterschiedlichen Finanzdienstleistungen wie Versicherungen, Kredit und Kontoführung kann nur mit Finanzkompetenzen sinnvoll angewendet werden (vgl. Mantseris, 2006, S. 79).
Aber nicht nur Rechnen, sondern auch sinnentnehmendes Lesen als Basiskompetenz ist Vorrausetzung, Versicherungsverträge, Leistungsbescheide und Mietverträge verstehen zu können.
Soziologische Milieustudien bescheinigen den unteren Einkommens - und Bildungsmilieus eine Ausrichtung auf Konsum und unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, gleichzeitig unterstellen Schuldnerberater diesem Klientel ein eher niedriges Selbstwertgefühl.
Das sogenannte Konsumverhalten, „die konkrete Entscheidung hängt von der psychischen Verfassung, dem Wissen über Alternativen und den vorhan- denen Informationen zu den Alternativen ab. Zudem wird die Entscheidung von den individuellen Werten und Einstellungen geprägt sein. Sind Beschei- denheit, Sparsamkeit, Solidarität die Tugenden, die nötig sind, um nicht in finanzielle Krisen zu kommen? Welche Rolle spielt die Peer-Group oder (Herkunfts-)Familie bei Entscheidungen“ (Mantseris, 2006, S. 80)?
Beim Blick auf das Konsumverhalten müssen also auch grundlegende Fä- higkeiten in den Blick genommen, vorhandene Defizite und Einstellungen diagnostiziert und in die Beratung einbezogen werden. Dennoch bleibt zu beachten, dass trotz hoher Finanzkompetenz Haushalte auf Grund objektiver Faktoren wie Arbeitslosigkeit scheitern und zu Schuldnern werden.
Zudem deutet alles darauf hin, dass andauernde Armut mit dem Verlust län- gerfristiger Planungen (wie nachfolgend beschrieben wird) einhergeht. Prob- lemlösungen erfolgen fallbezogen und gegenwartsorientiert, eine Haushalts- buchführung wird deshalb eher abgelehnt (vgl. Kettschau, 2000, S. 16f).
2.3 Wenn das Normalste der Welt zum Dauerproblem wird
Einkommensarmut bedeutet in aller Regel, dass sich diese aus mehreren Einzelbeträgen zusammensetzt. Kindergeld, Unterhalt, ALG4 II, der Wohnzu- schuss des Landratsamtes, der Zuverdienst - alle Zahlungen gehen zu un- terschiedlichen Zeitpunkten ein. Die Beantragung der einzelnen Leistungen erfordert häufig Kompetenzen, die selbst Sozialarbeiterinnen an die Grenzen führt. Die einzelnen Berechnungen nachzuvollziehen (wurde beispielsweise wegen des Zuverdienstes die Versicherungspauschale gewährt, der Wohn- zuschuss richtig mit dem ALG II verrechnet usw.) erfordert spezielles Wis- sen, über das auf Grund der Komplexität und Uneindeutigkeit des SGB II in vielen Fällen nur Rechtsanwälte verfügen. Der Zugang zu Leistungen soll nach dem SGB I §17 Abs. 1 möglichst einfach gestaltet werden. Die Realität bildet sich indessen anders ab.
Eine Entlastung durch Daueraufträge, wie wir dies alle in der Regel nutzen, gestaltet sich schwierig. So ist etwa der Sachbearbeiter gerade im Urlaub, der den Wohnzuschuss überweisen muss und das Geld geht deshalb ver- spätet auf dem Konto ein. Da es nicht gedeckt ist, kann nicht abgebucht wer- den. Die einzelnen Zahlungen müssen mit dem Eingang der Teilbeträge ab- gestimmt werden. So wird das Essen für den Kindergarten erst bezahlt, wenn das Kindergeld eingeht, die Miete, wenn das Landratsamt zahlt, der Strom, wenn der Unterhalt kommt …. Kommen Einmalzahlungen, wie Jahresbeiträ- ge für Versicherungen, ein defekter Kühlschrank, eine Stromnachzahlung oder eine Klassenfahrt hinzu, werden Planungen schlichtweg hinfällig. Ge- brauchte Kühl- oder Waschmaschinen sind Mangelware, deshalb muss eine Neue gekauft werden. Diese wird mit Raten abbezahlt, muss also teurer er- worben werden.
Die Rückzahlungsraten werden zu Fixkosten im Haushaltsbudget, in der Re- gel mit niedrigen Zahlungsverpflichtungen. Allerdings sind diese auch verfüh- rerisch und bergen das Risiko mehr zu kaufen, als zunächst beabsichtigt. Der Kaufentscheidung liegt dann die niedrige Rate zu Grunde und nicht der tatsächliche Preis (vgl. Bödecker, 1992, S. 122f). Die aus dem SGB II gefor- derten Ansparungen für größere Anschaffungen sind in den meisten Familien nicht umsetzbar.
„Lebensbewältigung unter Armutsbedingungen heißt, sich unentwegt mit sol- chen aufgezwungenen Problemen `herumschlagen´ zu müssen, heißt ein Leben in der Defensive zu führen und auf jene Seite der Lebensbewältigung verzichten zu müssen, die unter günstigeren Bedingungen das Feld der posi- tiven Selbstdefinition, der Selbstbestätigung und Lebenserfüllung war und zum Beispiel für besser verdiende Familienangehörige auch noch ist“ (Tobias, 1992, S. 86).
Tobias spricht an, dass die Finanzen einen großen Teil des Lebens bestimmen, ständig Aufmerksamkeit fordern, die in anderen Lebensbereichen fehlt. Er deutet an, dass dies unmittelbaren Einfluss auf den Selbstwert und ein eigenbestimmtes Leben hat.
Gelingt es Menschen mit all diesen Widrigkeiten umzugehen, pünktlich die Miete zu zahlen, mit dem Haushaltsbudget auszukommen, vielleicht sogar anzusparen, dann wird dies von Außenstehenden in aller Regel nicht bemerkt und nicht sozial anerkannt, auch wenn diese „Normalität“ die Betroffenen ihre ganze Kraft kostet (vgl. Tobias, 1992, S. 88).
2.4 Wertigkeit in der Finanzplanung
Johannes Boettner und Gertrud Tobias (1992) haben zwei Jahre Feldfor- schung in einem Stadtteil durchgeführt, das als Sammelbecken benachteilig- ter Bevölkerungsteile gilt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Finanzplanun- gen in den einzelnen Haushalten mit sehr unterschiedlichen Prioritäten durchgeführt werden. Während die einen zunächst Fixkosten wie Heizung und Miete bezahlen, wollen andere am Essen nicht sparen, ist es ihnen wich- tig, dass die Kinder anständige Bekleidung tragen, auch wenn die Rate für den Fernseher klemmt. Daraus wirtschaftliches bzw. unwirtschaftliches Ver- halten zu erkennen gestaltet sich schwierig. Für die einen ist eine vorzeigba- re Wohnung wichtig, die anderen sind damit zufrieden, ein Dach über dem Kopf zu haben.
So kann es ein Ausdruck von Fürsorglichkeit sein, eine Ausbildungsversiche- rung für das Kind abzuschließen, obwohl es keinen Arbeitsplatz für die Hausaufgaben hat. Natürlich wäre es vernünftig immer rationell abzuwägen, aber die Realitäten in den Familien sind andere. „Die Annahme, daß alle Ausgaben für kleine Luxusgüter plötzlich aufhören, wenn es zur Erwerbslo- sigkeit kommt, geht vollkommen an den menschlichen Bedürfnissen vorbei, solange die Betroffenen nicht direkt vom Verhungern bedroht sind“ (Tobias, 1992; zit. n. Jahoda 1983, S. 42).
Bezeichnend erscheint, dass die einzelnen Akte der Geldverschwendung selten vorkommen und sich gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung eine ausgeprägte Kontrolliertheit und Rechenhaftigkeit des Wirtschaftens darstellt, auch wenn die Art der Prioritätensetzung für Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist (vgl. Tobias, 1992, S. 21f).
Interessant ist deshalb auch die folgende Studie von Lange (1995), in der das Konsumverhalten von Jugendlichen untersucht wurde. In der Art der Pri- oritätensetzung traten Muster auf, die bestimmte Konsumausgaben mitei- nander kombinierten. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Wurde viel Geld für Äußeres wie Kleidung, Kosmetik und Schmuck ausgegeben, dann auch gleichzeitig für Diskotheken, Kinos, Gaststätten und eine schöne Wohnungseinrichtung. Im negativen Zusammenhang steht es zu Rauschmitteln. So vertragen sich Zigaretten nicht mit einem gepflegten Aussehen. Das Preis- und Sparbewusstsein ist niedrig. Sie kaufen sehr häufig Dinge, die sie gar nicht brauchen.
Traditionelle Werte werden geschätzt, Mitbestimmungsmöglichkeiten und Kreativität finden wenig Beachtung.
Geringes Interesse an Politik und Bildung korreliert mit hohem Interesse an Unterhaltung.
2. Hohe Geldausgaben in Diskotheken, Kinos und Gaststätten finden sich eher bei jüngeren Jugendlichen, die über überdurchschnittlich viel Geld verfügen. Sie legen Wert auf Kleidung und zeigen eine geringe Bereitschaft zu Konsumverzicht. Sie wollen ihr Leben genießen, zeigen wenig Interesse an Bildung und Umwelt, aber auch Hilfsbereitschaft gegenüber Anderen.
3. Wurde viel Geld für Rauschmittel ausgegeben, verfügten sie über rela- tiv viel Geld und ein niedriges Bildungsniveau. Ältere, gebrauchte Güter werden teuren Neuen vorgezogen. Sie verweigern traditionelle Werte und gelten als Aussteiger. Sie wünschen sich persönliche Emanzipation, Lebensgenuss.
4. Wurde viel Geld für die Wohnung ausgegeben, dann vor allem von Mädchen mit höherem Einkommen, die ein hohes Qualitäts- und Umweltbewusstsein hatten. Sie schätzen traditionelle Werte und besitzen eine starke Leistungs- und Aufstiegsorientierung, lieben Reisen und sind eher postmaterialistisch eingestellt.
5. Wurde viel Geld für Musik ausgegeben, dann eher von jüngeren Jun- gen mit weniger Geld. Technische, musikalische Neuigkeiten und Mo- deerscheinungen stehen im Vordergrund. Sie zeigen eine materialisti- schere Grundeinstellung und sind in Hobby und Freizeitvereinen aktiv. 6. Die kulturell Engagierten geben ihr Geld für Bildung und Kultur aus und entstammen mittleren und oberen sozialen Schichten. Sie sind sparsame Konsumenten, ziehen ältere und gebrauchte, teuren und neuen Gütern vor. Die Berufstätigkeit steht im Vordergrund, deshalb haben sie auch keine intensive Freizeitorientierung. Wichtig ist es im Beruf selbständig entscheiden zu können und anderen Menschen zu helfen. Sie weisen die niedrigsten Werte auf der Materialismus-Skala auf.
Insgesamt ergab die Befragung, dass ca. 25 % der Jugendlichen mehr oder weniger häufig, mehr oder weniger bewusst zu nicht-marktkonformen Käufen tendieren. Das dominierende Kaufmotiv ist der Wunsch nach sozialer Aner- kennung, um intern verspürte Defizite und Ich-Schwächen durch materielle Güter auszugleichen, nach dem Motto „Hast du was, bist du was“.
Die Studie gibt einen guten Einblick in die unterschiedliche Werthaltung von Jugendlichen im Bezug auf Konsum. Sie kann sicher nicht generell auf ande- re Bevölkerungsschichten übertragen werden, bietet aber eine Diskussions- grundlage. Interessanterweise sind Jugendliche aus höheren, materiell gut ausgestatten Schichten am geringsten materialistisch ausgeprägt. Sie be- gnügen sich mit Second-Hand-Artikeln, obwohl sie sich finanziell durch aus Neuware leisten könnten. Die Wertigkeit liegt in beruflicher und sozialer Iden- tität. Aus ihrer Sicht muss es wenig verständlich erscheinen, dass Menschen mit weniger finanziellen Ressourcen stark materialistisch orientiert sind.
Bödeker (1992, S. 118f) stellt dar, dass je bedeutender die Werte sind, an denen sich jemand orientiert, die Konsequenzen des Handelns um so weniger beachtet werden. Großzügigkeit und Reichlichkeit trat in den untersuchten Haushalten eines sozialen Brennpunktes als Handlungsorientierung wiederholt auf und stehen im Widerspruch zu Verhaltensmaximen der Mäßigung und Nüchternheit oberer Klassen. Das Ausgabeverhalten wird in der Regel entgegen der Wertorientierung den Einnahmen angepasst, kann aber gelegentlich aus dem Gleichgewicht kommen. Welche Bedeutung Werte in Bezug auf ein Konsumgut haben hat Wiswede erforscht.
Wiswede (1972, S. 45ff) sieht Konsum mit einer doppelten Bedeutung für den Menschen belegt. Demnach liegt der Wert eines Konsumgutes in seiner „Belohnung“.
1. Die Belohnung durch das Gut selbst (OB - Objekt) Sie ergibt sich aus dem Nutzen der tatsächlichen Verwendung für den Einzelnen, unabhängig von der menschlichen Umgebung.
2. Die Belohnung durch die menschliche Umgebung (SB - Soziale Sphäre) Es geht um die Rolle die das Konsumgut gegenüber anderen Menschen spielt. Es tritt als Vermittler sozialer Werte auf. Die besitzende und verwendende Person wird durch das Objekt bewertet.
Eine entgangene Belohnung wird als Bestrafung gewertet, sowie auch die Kosten des Kaufaktes (auch der Preis).
Wiswede bezieht sich auf lerntheoretische Erkenntnisse und stellt Hypothe- sen auf, mit denen er die Wahrscheinlichkeit beschreibt, mit der ein Verhal- ten beibehalten wird. Er geht davon aus, dass Belohnungen (+) und Bestra- fungen (-), sowohl im Bereich der Objekte als auch der sozialen Sphäre auf- treten können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vollständig übernommen aus: Wiswede: 1972, S. 47
„Typ 1: Gleiches und ähnliches Verhalten wird beibehalten, weil es eindeutig zum Erfolg führte; die doppelte Belohnung wirkt für das Folgeverhalten ver- stärkend.
Typ 2: Gleiches oder ähnliches Verhalten wird aufgegeben, da die aufgetretene doppelte Bestrafung negativ verstärkend wirkt.
Typ 3: Ambivalente und konfliktträchtige Verhaltenstendenz; Verhalten wird jedoch beibehalten, je mehr es nach `außen` hin unsichtbar gemacht werden kann. Trotzdem sind Schuldgefühle eine mögliche Folge.
Typ 4: Ambivalente und konfliktreiche Verhaltenstendenz; Verhalten dürfte jedoch umso eher beibehalten werden, je mehr es nach `außen` hin sichtbar gemacht werden kann. Eine mögliche Folge ist `Ärger`“ (Wiswede, 1972, S. 47).
Je nach individueller Ausprägung des Nutzens verlagern sich die Verhaltens- tendenzen im ambivalenten Bereich. Ein Konsumgut, das sich stark nach außen darstellt, eignet sich demnach besser für den Außennutzen. Perso- nen, die sich stark am Außennutzen orientieren, werden ihren Konsumnutzen eher in der sozialen Sphäre sehen und in Gütern, die dort Beachtung finden.
Während in vielen Fällen Eltern ihre Bedürfnisse zurückstecken (das belegen viele qualitative Studien) erhalten die Bedürfnisse der Kinder eine höhere Priorität. „ Eine durch vorliegende Ergebnisse gestützte Überlegung geht da- hin, dass insbesondere in Familienhaushalten, die im `prekären Wohlstand` oder erst kurz in Einkommensarmut leben, intern ablaufende Bedarfsde- ckungsprozesse zunächst eingeschränkt, nach außen sichtbare Konsum- muster aber möglichst spät aufgegeben werden - den Kindern also zum Bei- spiel der jugendkulturelle Markenkonsum weiter ermöglicht wird, obwohl viel- leicht bereits an den ernährungsbezogenen Ausgaben gespart werden muß“ (Kettschau, 2000, S. 15). Erst bei akuter Verknappung werden Ressourcen „zweiter Ordnung“, wie Kleiderklammern, Möbellager oder Tafeln mobilisiert (vgl. Kettschau, 2000, S. 16).
Zusammenfassend ergibt sich das Bild, dass die Außendarstellung ein wichtiges Entscheidungskriterium ist, weil sie einen direkten Einfluss darauf hat, wie ich selbst von anderen bewertet werde. Darüber stehen Konsum und Identitätsbildung in Zusammenhang.
2.5 Das Neuromarketing
Welche Werte welches Konsumgut vermittelt, steht in starken Zusammen- hang mit Werbung. Längst haben Anbieter erkannt, dass der emotionale Nutzen eines Konsumgutes hohe Bedeutung für die Kaufentscheidung hat und dass unser Gehirn unter bestimmten Bedingungen nicht mehr rational entscheidet.
Das Neuromarketing boomt laut Schnabel (2003). So entdeckten Hirnforscher, dass zwar in der Blindverkostung Pepsi-Cola besser bewertet wird als Coca-Cola, aber der Name Coca-Cola im Stirnhirn deutlich stimulierender wirkt. Diese Region spielt eine prägende Rolle für das Selbstbild einer Person. Offenbar macht nicht der Geschmack Coca-Cola aus, sondern damit verbundene Assoziationen und Selbstwertgefühle.
Münsteraner Neuroökonomen sehen in der gedrosselten Aktivität des Vorderhirns einen Hinweis, dass bei starken Marken „der Verstand ausschaltet“. Letztlich sind beide Annahmen nicht belegte Theorien. Fest steht allerdings: „Beliebte Marken sind auch im Hirn beliebt“ (Schnabel, 2003).
Weihbrecht (2009) fasst zwei zentrale Erkenntnisse aus der Hirnforschung wie folgt zusammen:
Für Kaufentscheidungen sind zwei Systeme im Gehirn verantwortlich: der Autopilot und der Pilot. Der Autopilot umfasst alle unbewussten Vorgänge: Sinneswahrnehmungen, Emotionen, Intuitionen usw., die dem Menschen helfen, die Informationsflut vor zu urteilen, damit der Mensch beispielsweise an der Käsetheke eine schnelle Entscheidung treffen kann. Da Marken im unbewussten Teil des Gehirns Wirkung entfalten, greift er wahrscheinlicher zur Marke, die positiv abgespeichert ist. Im Pilot werden dagegen bewusste Vorgänge langsam verarbeitet: Nachdenken, Planungsprozesse, Logik. Hier entstehen bewusste Kaufentscheidungen auf Grund von Preisvergleichen und Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Weihbrecht (2009) bezieht sich auf Gerald Zaltmann, der glaubt, dass Kaufentscheidungen zu 95% unbewusst getroffen werden. Es wurde nachgewiesen, dass dies funktioniert, wenn starke Marken abgespeichert sind.
Dies scheint ein Grund dafür zu sein, dass die Werbung sich zunehmend auf Kinder konzentriert, denn jede Heranwachsende wird zur Konsumentin. Haben sich Marken erst einmal in Kinderhirnen etabliert, werden sie immer wieder erkannt. Unternehmen konzentrieren sich stark darauf, Eltern zu suggerieren, sie könnten mit der Kaufentscheidung ihren Kindern etwas Gutes tun. Die Werbung mit der „extra Portion Milch“ war so erfolgreich, dass 6- bis 13- Jährige eine oder mehrere Milchschnitten pro Woche aßen.
Laut Statistischem Bundesamt geben Eltern bis zur Hälfte ihres monatlichen Haushaltsnettoeinkommens für die Kinder aus - zwischen 255 und 865 Euro pro Kind und Monat. Werbung spricht nicht nur Wohlhabende an. Gefährlich wird es dann, wenn Konsum eine Quelle von Selbstwert auch für Heran- wachsende wird.
Den kühlen Rechner, der sich in Wirtschaftsdingen nicht von Irrationalität und Gefühlen leiten lässt, gibt es laut Westerhoff (2009) nicht.
Geld ist nicht gleich Geld, Zahlungen mit Kreditkarte werden leichter getätigt als mit Bargeld, Menschen geben in Läden mehr Geld aus, wenn sie im Uhr- zeigersinn zur Kasse laufen und erwiesen sich in einem Auswahlexperiment als blind für Bruchrechnung. Menschen haben eher kurzfristige Gewinne im Blick, halten was sie besitzen für Wertvoller, als das, was sie erst noch kau- fen müssen. Dies wirkt sich z. B. auf geschäftliche Entscheidungen aus. Pro- banden hielten auch dann noch an ihren Strategien fest, wenn diese längst irrational erschienen. Zum einen ist Selbstüberschätzung und Optimismus eine Triebfeder des Kapitalismus, zum anderen kann es dazu führen, dass Geld in Entscheidungen trotz negativer Folgen investiert wird.
Verkäufer machen sich den Besitztumseffekt zu Nutze, indem sie die Ware zum Testen nach Hause geben. Die Kunden fühlen sich als potentielle Besit- zer. Wir können uns nur schwer von Dingen trennen. Verlust tut weh - Hirn- forscher konnten nachweisen, dass finanzielle Verluste und körperliche Schmerzen in denselben Hirnregionen verarbeitet werden (vgl. Westerhoff 2009).
2.6 Vom prägenden Umgang mit Geld
Der Umgang mit Geld ist dem Menschen nicht angeboren, er muss ähnlich wie die Fähigkeiten Lesen und Schreiben von jedem erlernt werden. Hierbei orientieren sich Kinder in besonderem Maße an ihren Eltern. Der Umgang mit Geld in Familien ist dabei auch stark davon geprägt, wie die Art des Gelderwerbs in der Familie geprägt ist. Ob Menschen im Familienbetrieb, als Facharbeiter oder in sozialen Berufen tätig, oder auf soziale Unterstützung angewiesen sind, entscheidet über ihre Erfahrungen, die sie im Umgang mit Geld gemacht haben.
So kann es sein, dass in der Familie durch herrschenden Geldmangel mate- rielle Bedürfnisse und Wünsche nicht erfüllt wurden. Möglicherweise kam es zu Beschämung, weil die Kinder wegen Geldmangel nicht an Gruppenaktivi- täten teilnehmen durften. Wurde erspartes Geld von den Eltern weggenom- men? Haben die Eltern Geld als Ersatzbefriedigung eingesetzt, statt Liebe und Zuwendung zu geben? Wurdem dem Sohn mehr finanzielle Zugeständ- nisse gemacht als der Tochter?
All diese Erfahrungen können mit schmerzlichen Erinnerungen verbunden sein und mit den dazu gehörigen Gefühlen. Das Thema Geld gehört so un- mittelbar zu unserem täglichen Leben, dass es auch in der Eltern-Kind- Beziehung eine entsprechende Bedeutung besitzt (vgl. Mormann, 2007, S. 12-26).
Mormann und Illert beschreiben, dass vor allem Frauen viele Existenzängste plagen, die sie zu finanziellen Fehlentscheidungen verleiten oder dazu zwin- gen, in unbefriedigenden Lebenssituationen zu lange auszuharren und un- glücklich zu sein. Diese Ängste führen entweder dazu, dass sie sich materiell nie gut versorgt fühlen, zu einer Gier auf mehr, emotional wie materiell, die nie gestillt werden kann oder die Existenzangst führt dazu, ununterbrochen zu arbeiten, sie vertrauen nur auf sich selbst, materielle Sicherheiten reichen nie aus, um die Angst zu stillen (Mormann, 2007, S. 32-34).
Schlabs (2007) beschreibt biografisch erworbene Verlaufskurfenstrukturen bei Frauen. Diese haben zu Selbsttäuschungs- und Defokussierungsstrategien geführt, die sich letztlich auch auf andere Problem - und Lebensbereiche übertragen haben und zur Überschuldung führten.
Mormann und Illert gehen wie Schlabs davon aus, dass ohne ein tiefes Verständnis von Zusammenhängen der Lebensgeschichte und dem Geldverhalten keine langfristigen Verhaltensänderungen möglich sind. Sie plädieren für einen positiven Umgang mit Geld und dafür ein anerzogenes Armutsbewusstsein in ein Wohlstandsbewusstsein zu verwandeln.
Nach Orth (siehe 4.1 Die Ausbildung individueller Identität, S. 19), müssen Bewertungsprozesse beeinflusst werden, die, wie Mormann, Illert und Schlabs, ableiten im Laufe der Lebensgeschichte erworben wurden. Wegen der Doppelgesichtigkeit (Identifikation und Identifizierung) von Identitätserle- ben plädiert Petzold (1982, S. 175) für eine „integrative Intervention“ psycho- sozialer Maßnahmen.
Während Selbständige beispielsweise ständig mit Existenzängsten leben und ihre Zeit und Energie in Arbeit, aber zu wenig in Erholung und Freizeit inves- tieren, kann es sein, dass Sozialarbeiter geistige über materielle Werte stel- len, dass Geld im Alltag weniger sichtbar ist als in einem Geschäftshaushalt. Menschen, die auf staatliche Transferleistungen wie Hartz IV angewiesen sind, befinden sich in Abhängigkeiten von staatlichen Machtstrukturen. Die gegenwärtige Klageflut gegen amtliche Bescheide könnte als ein Bestreben nach Selbstwirksamkeit und als ein Gegenpol zur erlebten Ohnmacht gewer- tet werden.
Im Gegenzug zu Erwerbstätigen, die ihr Geld selbst „verdienen“, wird Er- werbslosen immer öfter Ausbeutung des Sozialstaates unterstellt und jede Forderung, bzw. Gegenwehr als Angriff gegen den selben gewertet. Ihnen wird fehlende „interne“ Steuerung und Abhängigkeit von äußeren Faktoren vorgeworfen. Macht, Geld und Selbstwirksamkeit stehen in einem engen Kontext, den ich bezugnehmend auf Lindgren (1999) im nächsten Abschnitt beschreiben werde.
2.7 Das Verhältnis von Geld und Macht
Lindgren (1999, S. 20) geht davon aus, dass Geld eine aktive Rolle in unserem sozialen Leben einnimmt, wenn wir es mit Macht ausstatten. Um die Kontrolle über Geld zu behalten, ist es wichtig zu wissen, warum es eine so große Bedeutung für uns hat, warum Menschen so damit umgehen und welche Auswirkungen es auf menschliche Beziehungen hat.
Er geht davon aus, dass Geld ähnlich wie Sprache einen symbolischen Wert besitzt (siehe 5.3 Symbolischer Interaktionismus nach Stryker, S. 35), dass es für vielfältige Aspekte des Lebens stehen kann - sozialer Einfluss, Selbstwert, Erregung und Freiheit beispielsweise. Er glaubt, dass es deshalb genau wie Sprache einen erheblichen Einfluss auf unser Gefühlsleben, Verhalten und die Beziehung zu anderen hat. Er weist auf den Zusammenhang hin, dass es ebenso dazu erschaffen wurde, das Bedürfnis zu befriedigen sich mit anderen zum gegenseitigen Nutzen zusammenzuschließen. Beide Symbole können je nach emotionaler Färbung Situationen Bedeutungen beimessen, die über den Kernelementen liegen.
Des Weiteren stellt er fest, dass beide einen starken Reiz ausüben, weil sie als Auslöser für Aktivität, bzw. als Erreger fungieren. Wenn wir mit anderen Menschen in Kontakt kommen, werden wir stärker aktiviert und erregt, als wenn wir allein sind. Tauschhandel diente in primitiven Gesellschaften der Entspannung und Unterhaltung. Psychologisch gesehen hat Geld die gleiche aktivierende Wirkung, wenn Käufer und Verkäufer zusammentreffen. Dies passiert auch dann, wenn nur ein Warenkatalog durchgeblättert wird (vgl. Lindgren, 1999, S. 37f).
Lindgren (1999) beschreibt Einflussnahme als Kern sozialer Erfahrung. Wir alle gebrauchen und reagieren auf gesellschaftliche Macht, die immer darauf ausgerichtet ist, einen gewünschten Effekt im Verhalten bei anderen zu er- zielen. Soziale Normen beeinflussen uns. So ist es nicht der Kellner, der uns veranlasst Trinkgeld zu geben, sondern die gesellschaftliche Norm verleitet uns dazu.
Menschen, die wichtige Positionen einnehmen, besitzen viel Macht, weil sie viele Personen in ihrem Verhalten beeinflussen können. Geld spielt bei die- sen Interaktionen häufig eine Rolle. Durch die Überreichung von Geld brin- gen wir andere Menschen beispielsweise dazu, uns eine Ware zu geben. Geld löst als Mittel zur Verhaltensbeeinflussung das Verlangen nach Macht aus.
Das Bedürfnis aktiviert und stimuliert zu werden ist wesentlich für das menschliche Überleben. Macht bietet die stimulierende Veränderung und befriedigt das Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle.
Geld ist wie Macht ungleich verteilt und die meisten Menschen streben danach, mehr davon zu bekommen. Lindgren beschreibt als ungesund, wenn dieses Streben unkontrolliert passiert, es aber genauso pathologisch ist, wenn Menschen eine passive, apathische Lebenshaltung einnehmen, benutzt und ausgebeutet werden.
Lindgren (1999, S. 98ff) behauptet, dass wir dazu neigen unseren Wert an dem Geld zu messen, das andere für unsere Mühen zu zahlen bereit sind. Die Höhe der Gehälter würde demnach die Höhe des persönlichen Wertes bestimmen. Er würde also von anderen und nicht von uns selbst bestimmt.
Er belegt dies mit einem Hinweis auf die Verfassung, die zwar die Gleichheit der Individuen auf dem rechtlichen Status anerkennt, aber nichts über soziale oder ökonomische Wertesysteme aussagt. Weiter geht er davon aus, dass der Rechtsstatus einer Person sehr wohl etwas mit seiner sozioökonomi- schen Situation zu tun hat. In einer Untersuchung von Donald Black wurde festgestellt, dass ein Straftäter eher ins Gefängnis kommt, wenn sein sozialer Status niedriger ist als der des Opfers. Ist es umgekehrt, wurde er eher mit einer Geldstrafe belegt. Weitere Studien belegen, dass die äußere Erschei- nung eines Menschen (Kleidung, Auto) einen unmittelbaren Einfluss auf die Reaktionen anderer Menschen ausübt. Je höher der scheinbare soziale Sta- tus, desto rücksichtsvoller und hilfsbereiter verhielten sich die Menschen.
Ich schließe mich aus eigener Erfahrung der Auffassung an, dass Menschen je nach sozialem Status unterschiedliche Erfahrungen im Kontakt mit anderen Menschen machen. Der symbolische Wert, der damit verbunden ist, beeinflusst unser Verhalten Anderen gegenüber.
Lindgren (1999, S. 153) schreibt, dass eine Studie von Wernimont und Fitzpatrick zu dem Ergebnis kam, dass bei Arbeitslosen der Gedanke an Geld Angst auslöse, sie nervös und unglücklich mache, dagegen Personen, die Arbeit hatten, Geld für erstrebenswert, nützlich und wichtig hielten.
Der wirtschaftliche Status wirkt sich demnach auf die Einstellung von Geld aus. Für Arme bedeutet ein kleiner Geldbetrag mehr und hat damit einen größeren Einfluss auf ihr Verhalten. Lindgren beschreibt Studien, in denen Kindern und Erwachsenen ein Geldbetrag als Belohnung versprochen wurde. Während arme Personen sich schon für eine geringe „Entlohnung“ deutlich anstrengten, reagierten Menschen aus der Mittelschicht eher auf soziale An- erkennung und Lob oder Freude an der Tätigkeit. Eltern schickten ihre Kinder sogar signifikant häufiger zu einer kostenlosen Zahnbehandlung, wenn sie dafür 5 Dollar erhielten. Ein Infozettel, Anrufe und Hausbesuche zeigten we- niger Wirkung.
Lindgren sieht die Ursachen dafür, dass sich Arme häufig als machtlos erle- ben und Kräfte von außen auf sie einwirken, die sie nicht kontrollieren kön- nen. Der Ort ihrer Steuerung ist „extern“, sie sehen die lebensbestimmenden Kräfte nicht in sich selbst, sondern in ihrer Umwelt. Nichtarme Menschen su- chen die Verantwortung bei sich selbst, der Ort der Steuerung ist „intern“, sie erleben sich als selbstwirksam.
Während einige Psychologen die Umweltbedingungen für die Hilflosigkeit der Armen verantwortlich machen, argumentieren andere, dass es Menschen immer wieder gelingt, „interne Orte der Steuerung“ zu entwickeln (vgl. Lindgren, 1999, S. 153ff).
Oscar Lewis (Lindgren, 1999, S. 152ff), ein Anthropologe, hat die Situation von Armen in verschiedenen Ländern der Welt untersucht und dabei viele Ähnlichkeiten in Einstellungen und Verhaltensmustern gefunden. Er stellte fest, dass sie ein tiefes Misstrauen gegenüber Regierungsgewalten hegen und sich von gesellschaftlichen Institutionen ausschließen. Entmutigung führ- te zu einer Gleichgültigkeit.
„Die Armen bevorzugen zumeist auch Aktivitäten, die eine unmittelbare Be- lohnung bieten, und verschwenden keinen Gedanken an die Zukunft. Die angenehmen Beschäftigungen des Hier- und Jetzt haben Vorrang vor lang- fristigen Plänen und Zielen, wie Lewis meinte.“ (Lindgren, 1999, S. 152f)
Wie bereits von Mantsernis und Tobias beschrieben, gibt es dafür nachvoll- ziehbare strukturelle Gründe (siehe 2.2 Warum Haushaltspläne scheitern, S. 6 ff).
In den vorausgegangenen Abschnitten habe ich dargestellt, welche Ursa- chen zu einem Konsumverhalten über die eigenen Verhältnisse führen kön- nen. Ein breites Spektrum an Einflüssen ist für unsere Kaufentscheidungen verantwortlich. Als Kernaussage findet sich bei allen Annäherungen an die Thematik wieder, dass Geld und Konsum eine symbolische Bedeutung für den zwischenmenschlichen Kontakt haben und die Bedeutung maßgeblich biografisch im gesellschaftlichen Kontext erworben wurde. Zum Teil sind die- se tief in unserem Empfinden, unseren Einstellungen und Werten verankert. Hinzu kommt eine Wettbewerbsindustrie, die Produkte gegen andere am Markt durchsetzen muss und den Kunden mit „allen Mitteln“ zum Kauf bewe- gen will und sich dabei genau darauf konzentriert, eine Bedeutung beim Kunden zu erlangen.
Der Mensch handelt auf Grundlage von Bedeutungen, die er dem Wahrgenommen gibt. Identitätsbildende Prozesse spielen dabei eine entscheidende Rolle. Deshalb werde ich im folgenden Teil auf diese Prozesse näher eingehen. Ich werde verschiedene Ansätze erläutern, denn der Komplexität des Themas wird eine zu einseitige Betrachtungsweise nicht gerecht.
Als Einführung habe ich einen Buchtitel von Erich Fromm gewählt. Ich schätze seine philosophische Betrachtungsweise über die Bedeutung von Haben und Sein als Metaorientierung.
3 Haben oder Sein
Fromm (2007, S. 29) bezieht sich auf Marx, der sagt, dass Luxus ein genauso großes Laster sei wie Armut und, dass unser Ziel sein müsse, viel zu sein, nicht viel zu haben. Für Fromm (2007, S. 34) entspricht der Unterschied zwischen Sein und Haben dem Unterschied zwischen dem Geist einer Gesellschaft, die den Menschen zum Mittelpunkt hat, und dem Geist einer Gesellschaft, die sich um Dinge dreht.
Fromm beschreibt in seinem Buch „Haben oder Sein“ (Fromm, 2007), dass es in der modernen Gesellschaft keinen Unterschied mehr zwischen diesen beiden Begriffen zu geben scheint und versucht über die als zentral empfundene Frage unseres modernen Lebens eine Antwort zu geben.
„Haben so scheint es uns, ist etwas ganz normales im Leben; um leben zu können, müssen wir Dinge haben, ja wir müssen Dinge haben, um uns an Ihnen zu erfreuen. In einer Gesellschaft, in der das oberste Ziel ist zu haben und immer mehr zu haben … bestehe das eigentliche Wesen des Seins im Haben, so daß nichts ist, wer nichts hat“ (Fromm, 2007, S. 29).
Die Bedeutung von Geld und Gütern für den Einzelnen kann meines Erach- tens nicht unabhängig von individuellen und gesellschaftlichen Faktoren ge- sehen werden. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Identität und meine weiteren Ausführungen dazu. Wenn Autoren von Konsumwahn schreiben, dann sollte differenziert werden, denn es macht einen Unterschied, ob ich innerlich verarme, weil keine Wünsche mehr offen bleiben (vgl. Müller, 2008, S. 45) oder Menschen am Rande des Existenzminimums leben und danach streben, nicht „Nichts“ zu sein.
Foa geht davon aus, dass das Leben in der Großstadt dazu geführt hat, dass bei ihren Bewohnern ein Mangel an Liebe und Status herrscht und sie sich deshalb auf universelle Ressourcen wie Geld und Waren konzentrieren. Dies erzeugt eine Atmosphäre der Verantwortungslosigkeit, weil letztlich jedes Fehlverhalten sozial folgenlos bleibt. Ein Mensch, der Liebe braucht und nicht bekommt, wird niemals mit Geld zufrieden sein, er bleibt stets unzufrie- den. Während Geld von Abhängigkeiten befreien kann, erfordert Liebe Bin- dung, gegenseitiges Verständnis, Verantwortungsgefühl und Loyalität. Liebe übt ihre Macht durch gegenseitige Abhängigkeiten aus. Geld fördert dagegen Nicht-Betroffenheit und Anonymität. Geld kann als universelles Tauschmittel auch dazu genutzt werden, Familienmitgliedern Gefühle und Einstellungen mitzuteilen. Während Geld nicht als angemessenes Geschenk gilt, werden „Geschenke“ als persönliche Aufmerksamkeit, als Einsatz von Energie und Zeit wahrgenommen (Lindgren, 1999, S. 112ff).
Wie gestaltet sich Sein in einer Gesellschaft, die vom Haben bestimmt ist, wenn man nichts hat?5
4 Identität und Identitätsprozess in der Integrativen Therapie und Beratung
4.1 Die Ausbildung individueller Identität
Das Modell der Persönlichkeit in der Integrativen Therapie umfasst die Di- mensionen Selbst, Ich und Identität. Dabei wird das Selbst multitheoretisch begriffen, als anthropologisches Leib-Selbst, als lebendiger Grund, aus dem sich im Verlauf der Lebensgeschichte Ich und Identität entwickeln. Das Ich wird als eine Funktion des Selbst gesehen, und „zwar der aktiv wahrneh- menden, erkennenden, verarbeitenden, handelnden Ich-Prozesse. …. Die wesentliche Ich-Leistung besteht in der Konstituierung von Sinn als dem Er- fassen von Zusammenhängen, der Vorstellung des Selbst im Kontext und Kontinuum und damit der Ausbildung von Identität“ (Leitner, 2010, S. 144).
In früheren Gesellschaften bezogen Menschen ihre Identität aus der Zugehö- rigkeit zu Klassen und Ständen. In der Vielfalt unserer pluralistischen Gesell- schaftsordnung kommt der „persönlichen Identität“ immer mehr Bedeutung zu. Die Anerkennung und Bedeutung des Einzelnen steht im Mittelpunkt.
Identität bedeutet für Petzold (vgl. 1982, S. 172-176), sich im Lebensganzen verstehen zu lernen und befindet sich im ständigen Prozess. Sie ist das Bild und das Gefühl, das ich von mir selbst habe. Identität ist demnach von zentraler Bedeutung für den Menschen.
Orth (2003) fordert für einen modernen Identitätsbegriff ein umfassendes Identitätsverständnis, das persönliche und soziale Identität verbindet. Identität erwächst in dialektischen Prozessen, aus einem gegenseitigen Wechselprozess innerhalb sozialer Netzwerke. Soziale Identität konstituiert sich durch die Zugehörigkeit Einzelner zu einer Gruppe.
In individuellen Identitätsprozessen spielen nach Orth Selbstbetrachtungen und Bewertungen eine große Rolle, die stark von gesellschaftlichen Werten und Normen, von Moden, Trends und Auffassungen sozialer Gruppen be- stimmt sind. Innerhalb kollektiver Muster finden sich individuelle Ausprägun- gen. Der Blick auf sich selbst hat demnach immer mit dem Blick von Ande- ren, dem bewertenden Blick potentieller Betrachter zu tun. Es braucht Ge- meinsamkeiten, eine soziale Anschlussfähigkeit an Andere, um nicht völlig isoliert zu sein.
Sie beschreibt vier Elemente, die prozesshaft bei der Bildung von Identität beteiligt sind:
I. Fremdzuschreibung oder Identifizierung genannt
„Das ist eine schöne Frau.“
II. Bewertung
Die Bewertung der Fremdzuschreibung nimmt die betreffende Person auf verschiedenen Ebenen vor.
1. Marking: Ein evolutionäres Programm im lymbischen System nimmt die Attributierung abhängig vom Entsender (Rivalin, Se- xualpartner) und dem eigenen Bild als „Mutter“ oder „zu alt“ wahr und markiert sie: „So sieht der/die mich“. Das Stimmig- keits-/Unstimmigkeitserleben wird leiblich gespürt - „Ja, attraktiv stimmt!“, oder „Schön, nein das will ich hier nicht“.
2. Valuation: In der unbewussten oder bewussten Bewertung kann sie das fühlen: „Ja nicht immer, aber oft bin ich schön!“ So erlebt „Sie“ sich.
3. Appraisel: Eine bewusste kognitive Selbsteinschätzung fragt, „Warum sagt er/sie das von mir?“ Es werden alle Gründe und Umstände reflektiert und auch der Zusammenhang in dem das Gesagte steht. So schätzt „Sie“ sich im gegebenen Kontext ein und bewertet damit auch den Kontext.
Diese Bewertungsprozesse und -parameter sind schon früh in Sozialisationsprozessen erworben worden und werden über das ganze Leben hin fein abgestimmt. Auch das Marking ist von einer sozialen Überformung bestimmt.
III. Selbstzuschreibung oder Identifikation genannt
Auf Grund der Bewertung identifiziere ich mich mit der Attribution „schön“. „Ja, so bin ich, die sehen mich richtig.“
IV. Internalisierung
Ist die Identifikation erfolgt, kann sie dauerhaft im Langzeitspeicher archiviert werden. Es werden alle beteiligten Prozesse abgespeichert, also der ganze Vorgang. Die Selbstzuschreibungen führen zu Haltungen und Verhalten, die persönlichkeitsbestimmend sind. Die Innen- und Außenattributionen wirken als zirkulär verstärkende Systeme zusammen (vgl. Orth 2003).
Veränderungen, die in Beratungsprozessen bewirkt werden sollen, müssen deshalb bei der Um- bzw. Neubewertung der Resultate der Bewertungspro- zesse ansetzen und den Prozess der Bewertung selbst beeinflussen. Die bewusste Umgestaltung dieser Prozesse unter Einbeziehung der relevanten Sozialsysteme hält Orth für zwingend, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen. Dafür ist es erforderlich, durch konkretes Handeln Lebenspraxis zu verändern, damit neue „Szenen“ erfolgen, die zu einer Neubewertung von Personen führen können und sich identitätsformend auswirken (vgl. Orth, 2003).
„Identität ist abhängig von `sozialen Repräsentationen`, wie Petzold (2002g) unter Rückgriff auf die Theorie des Sozialpsychologen Serge Moscovici for- muliert. Es geht dabei um `kollektive Vorstellungen` in sozialen Feldern … (Horn, 2001, S. 9)“. Identität als gesellschaftlich bestimmte Wirklichkeit ist wesentlich auch Machtverhältnissen und gesellschaftlichen Konflikten aus- gesetzt, dies gilt für viele gesellschaftliche Gruppen (Frau und Mann, Arm und Reich). Identitätszuweisungen sind dabei auch immer von prekären Negativattributionen bestimmt (vgl. Horn, 2001, S. 10).
Lindgren (1999, S. 122f) weist darauf hin, dass Handlungen, die auf einem zerrütteten Selbstwertsystem beruhen, auch wenn sie ineffektiv sind, dazu dienen; unser Selbstwertsystem zu schützen und zu erhalten. Wir verteidigen unsere Sicht der Realität, alles andere hieße, die eigenen Erfahrungen und das eigene Urteilsvermögen anzuzweifeln. Kritik bedroht letztlich unser inne- res Selbst. Dennoch üben andere Menschen eine große Macht auf die Aus- bildung unseres Selbstwertes aus. Mit dem Gewinn von Anerkennung steigt unser Selbstwertsystem.
4.2 Die fünf Säulen der Identität
Die identitätskonstituierenden Fremd- und Selbstattributionen kommen maßgeblich aus fünf Lebensbereichen eines Menschen, den sogenannten „Säulen der Identität“. Darunter werden tragende Identitätsbereiche verstanden (vgl. Ebert & Könnecke-Ebert, 2004, S. 177 f):
1. „ Säule der Leiblichkeit
Körperliche und psychische Integrität, Sexualität, Selbstliebe, Genuss- fähigkeit.
2. Säule des sozialen Netzwerkes
Soziale Beziehungen, Partnerschaft, Familie, Freundschaft, Einbindung in ein tragendes soziales Umfeld.
3. Säule der Tätigkeit
Kontrolle über eigene Lebensbedingungen, Selbstbestimmung und Autonomie
4. Säule der materielle Sicherheiten
Allgemeine soziale Absicherung, Arbeitsplatz, Wohnung, finanzielle Voraussetzungen
5. Säule der Werte
Lebensziele, Wünsche, Träume, Sinn des Lebens, Glaube, Religion“ (Schmoll, 2009).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die 5 Säulen der Identität (Petzold&Orth, 1994, Petzold&Matthias, 1982) (Schmoll, 2009)
Das von Petzold entwickelte Modell bringt sehr gut zum Ausdruck, dass vor allem die fünfte. Säule Werte mit allen anderen Säulen in Verbindung steht.
Alle Bereiche wirken zusammen und sind für sind für ein volles Identitätserleben notwendig. Brechen einzelne Säulen weg, kann dies nicht ohne Weiteres durch andere aufgefangen werden (vgl. Petzold, 1982, S. 175).
Für eine volle Entfaltung der Identität benötigt der Mensch laut Ebert (2004, S. 177) lebendige Interaktion, Ressourcenvielfalt und Freiräume. Konsistenzzwang6, Stigmatisierung und Ressourcenmangel lassen Identität brüchig werden, gefährden sie.
Die von Orth beschriebenen Identitätsprozesse „Fremdattribution, Bewertung, Selbstattribution, Internationalisierung“ kommen für jede einzelne der Identitätssäulen zum Tragen.
Im Folgenden werden die einzelnen Säulen im Hinblick auf Armutsbedingungen inhaltlich beschrieben. Die Vertreter der Integrativen Therapie haben auf der Basis einer Metastruktur, der „Tree of Science“7 verschiedene Methoden und Verfahren zu einem übergreifendem Modell entwickelt.
Ich habe ausgehend von diesem integrativen Paradigma multidisziplinäre Ansätze, Autoren und Sichtweisen den jeweiligen Säulen zugeordnet und in Bezug zueinander gesetzt.
4.2.1 Die Bedeutung der materiellen Sicherheit
Ein Blick auf die Armut
Der Niedriglohnsektor nimmt seit Jahren zu. Nicht nur Menschen ohne Arbeit sind zunehmend auf staatliche Grundsicherung angewiesen. Armut hat viele Gesichter. Dass, was tatsächlich nach Abzug aller Fixkosten, einschließlich Raten- bzw. Kreditzahlungen zum Leben übrig bleibt, das verfügbare Budget will eingeteilt sein. Daher geht es in dieser Arbeit nicht nur um die Menschen, die Hartz IV beziehen, sondern allgemein um die Notwendigkeit einer be- dachten Haushaltsführung, da die finanziellen Ressourcen oft kaum Spiel- räume zu lassen. Andreß (1999, S. 247) stellte fest, dass in 57,2 % der in seiner Studie befragten einkommensarmen Haushalte mindestens ein Haus- haltsmitglied erwerbstätig war und niemand arbeitssuchend. Lediglich 11,2 % beteiligten sich nicht am Arbeitsmarkt, wovon ca. die Hälfte hauptsächlich von staatlichen Transfers lebte. Das heißt mehr als die Hälfte sind einkom- mensarm trotz Erwerbstätigkeit. Die Arbeitsverhältnisse sind meist unsicher, mit erhöhten Gesundheitsgefährdungen verbunden und bieten eine unzurei- chende Altersvorsorge.
„Armut liegt immer dann vor, wenn eine Person ein soziokulturelles Existenzminimum nicht erreicht, d. h. wenn sie keine angemessene Teilhabe an der Gesellschaft hat“ (Dr. Martens, 2007, S. 26). Die Festlegung von Armutsgrenzen ist nach Martens stets mit Werturteilen verknüpft. Europaweit hat man sich auf eine Armutsgrenze von 60 % des Medians des Netto(äquivalenz)einkommen8 geeinigt.
Die Armutsquote betrug bei Kindern bis 15 Jahren in Deutschland 2005 26%. Die Tendenz ist steigend. Allein 1,7 Millionen Kinder leben in Hartz IVFamilien (vgl. Schäfer, 2008, S. 39; Martens, 2007, S. 26).
Der Regelsatz von Hartz IV soll im Sinne des soziokulturellen Minimums be- darfsdeckend sein. Das dieses nicht nur von vielen Betroffenen bezweifelt wird, zeigen die derzeitigen Berichterstattungen zur Überprüfung der Kinder- regelsätze durch das Bundesverfassungsgericht. Insbesondere die Wohl- fahrtsverbände weisen schon seit Jahren darauf hin, dass hier Handlungsbe- darf besteht.
Für ein 13-jähriges Kind beispielsweise gewährt der deutsche Staat 3,11 € am Tag für Essen, 25,07 € im Monat für Kleidung, 11,51 € im Monat für Straßenbahn- oder Busfahrkarten. Der Regelsatz beträgt 251 € im Monat für Kinder von 0-14 und 287 € im Monat für Kinder ab 15 Jahren. Ein Mittagessen in einer Schule in Schwerin kostet 2,25 €, bleiben noch 0,86 € für Frühstück und Abendbrot (Meyer-Timpe & Uchatius, 2009, S. 2 ff).
Die Erhöhung des Eckregelsatzes um 20 € pro Kind würde eine halbe Milli- arde Euro kosten. Allein die Erhöhung des Kindergeldes von 164 €9 auf ge- plante 190 € würde dagegen fünf Milliarden Euro kosten. Da das Kindergeld mit dem Eckregelsatz verrechnet wird, würde das an der Einkommenssituati- on von Hartz- IV-Familien nichts ändern (vgl. Meyer-Timpe & Uchatius, 2009).
Die genannten Zahlen sollen dazu dienen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, in welchen Relationen Armut zu sehen ist. So spiegeln sie auch erste gesellschaftliche Prozesse wieder, die mit Werturteilen verbunden sind, welche sich direkt auf Identitätsprozesse auswirken. An anderer Stelle wird auf diesen Kontext noch ausführlicher eingegangen werden.
Zusammenfassend gibt es signifikant viele Menschen, die ihr soziokulturelles Existenzminimum nicht allein durch herkömmliche Arbeit decken können und kein politisches Interesse, staatliche Transfers zu Gunsten „armer“ Kinder, bzw. Familien zu initiieren.
Materielle Sicherheit und Identität
Die Säule der materiellen Sicherheit ist eng mit der der Tätigkeit verbunden. So ist die Arbeit als Ressource für materielle Sicherheit wichtig, aber auch als identitätsstiftende Tätigkeit. Materielle Sicherheit umfasst auch die Wohnung, deren Lage und die Zukunftsperspektiven eines Menschen.
Orth (2003) beschreibt materielle Sicherheit (Geld, Wohnung, Kleidung) als wesentlich für die Identität. Dort wo sie wegfällt ist die Identität eines Men- schen gefährdet und kann als existenzbedrohend erlebt werden. Über finan- zielle Spielräume zu verfügen heißt auch über damit verbundene Freiheiten zu verfügen.
Materielle Sicherheit ist demnach ein identitätsstiftendes Grundbedürfnis des Menschen. Auch sie unterliegt Bewertungsprozessen. Eine fremattributive Identifizierung könnte sein: „`Die hat ein schönes Haus und einen wunderba- ren Garten!` sagen die NachbarInnen. Bewertungsprozesse: `Stimmt!` meint `Sie`. Selbstattributive Identifikation: `Ja, unser Haus, da haben wir viel rein- gesteckt, und mein Garten, das ist wirklich mein Reich!`“ (Horn, 2001, S. 20)
Wohnungen, die z. B. über kein eigenes Zimmer für das Kind und damit keinen separaten Arbeitsplatz für Hausaufgaben verfügen, können zu Erziehungsschwierigkeiten führen. Da es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt, können Hausaufgaben nicht in Ruhe erledigt werden, die Familienmitglieder kommen sich ständig zu nah.
Eltern, die selbst ständig in Überforderungssituationen leben, können nicht ausreichend für ihre Kinder sorgen. So kommt es, dass Kinder Aufgaben und Rollen übernehmen, die nicht altersangemessen sind (vgl. Müller, 2008, S. 50). Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Eltern-Kind-Bindung und die Identitätssäule soziale Netzwerke.
Materielle Absicherung ist auch eng mit der Art des Einkommens verbunden und der damit verbunden Wertung. Vor allem Familien erleben in vielen Fäl- len die Sozialleistungen als brüchige Sicherheit, die beständig durch den Ein- tritt neuer Situationen gefährdet sein kann. Sie bedeuten Einschränkung von Freiheiten, die beispielsweise darin zum Ausdruck kommen, dass nur be- stimmte Wohnungen oder Wohngebiete an Hartz-VI-Empfänger vermietet werden. Aber auch ein zu kleines oder unsicheres Einkommen kann ein Ab- lehnungsgrund für einen Mietvertrag sein. Wer zwar ein Arbeitseinkommen hat, damit aber seine Existenz nicht sichern kann, befindet sich in einer ähn- lichen Situation. Frauen erleben die Abhängigkeit vom Geld des Ehemannes oft als Beschneidung von Freiheit. Das eigene Geld zu verdienen kann daher für sie zu einem wichtigen Identitätsthema werden.
Einkommensarme machen sich mehr Sorgen, auch um ihre Zukunft, als andere Gruppen (Andreß, 1999, S. 204ff). Während „wohlhabende“ Menschen ihre Grundbedürfnisse befriedigen und frei darüber entscheiden können, was darüber hinaus an Wünschen erfüllt werden soll, fehlen armen Menschen dazu die finanziellen Mittel. Sie haben nur eine sehr eingeschränkte Wahlmöglichkeit wofür sie ihr Geld ausgeben.
Obwohl Geld physisch ein Teil unserer Umwelt ist, betrachten wir es als Teil von uns. Die Selbsttheorie10 geht davon aus, dass unser Verhalten daraus resultiert wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Einen Teil meiner Umwelt er- lebe ich demnach als auf mich bezogen. Snygg und Combs (1949) nennen es phänomenales Selbst. Es handelt sich dabei um Dinge, Personen und/oder Ereignisse, zu denen ich eine psychologische Beziehung habe, z.B. Familie, Wohnung, Werte und Geld. Alles was ich nicht selbst bin, aber als „mein“ charakterisiert werden kann gehört dazu, es ist also Teil der Identität. Das Geld auf meinem Girokonto gehört zum phänomenalen Selbst (vgl. Lindgren, 1999, S. 119ff).
4.2.2 Die Bedeutung von Tätigkeit für die Identität
Petzold (1982, S. 175) schreibt zur dritten Säule: „In der Arbeit, im konkreten Tun, erkenne und verwirkliche ich mich selbst, wird mir die Möglichkeit zur Identifikation gegeben. In gleicher Weise aber werde ich durch meine Arbeit auch erkannt, erhalte ich Identifizierung“.
Menschen in Armut finanzieren ihren Lebensunterhalt zumeist nicht oder un- zureichend mit beruflicher Arbeit. Entweder entfällt also die identitätsstiftende berufliche Tätigkeit ganz oder sie kann zumindest nicht für materielle Sicher- heit sorgen. Eine Entlohnung auf sehr niedrigem Niveau kann als Angriff auf die Identität gewertet werden, wenn die erbrachte Leistung weder vom Ar- beitgeber, noch von der Gesellschaft entsprechende Wertschätzung erfährt.
„Diese Männer und Frauen verlieren nicht nur ihre Arbeit, ihre Zukunftspro- jekte, ihre Orientierungspunkte, das sichere Gefühl, den eigenen Lebenslauf steuern zu können; sie sehen sich auch der Würde als arbeitende Menschen beraubt, verlieren ihr Selbstwertgefühl, das Gefühl nützlich zu sein und in dieser Gesellschaft einen Standort zu haben“ (zitiert nach Linhart, in Baumann Z. , 2005, S. 23).
So kommt es sehr darauf an, aus welchen anderen Quellen das Individuum Kontrolle, Selbstbestimmung und Autonomie ziehen kann. Leistungen kön- nen auch im Privaten, beispielsweise durch Mutterschaft oder in der Freizeit erbracht werden. Wichtig ist, dass der Mensch Bereiche findet, in denen er selbstbestimmt tätig sein kann und sich als selbstwirksam erlebt. Hierbei darf allerdings nicht unterschätzt werden, dass in Kulturen, in denen berufliche Leistungen und dem beruflichen Status eine hohe Bedeutung zukommen, andere Bereiche wie Mutterschaft deutlich benachteiligt werden. Die gesellschaftliche Wertschätzung ist eine andere.
Die fünfte Säule Werte und Haltungen kommt darin ebenfalls zum Ausdruck. Nur wenn ich es mir selbst wert bin, pflege ich mich, gehe sauber gekleidet, achte ich auch auf meine Umwelt, gestalte ich mir „Sicherheit“. Andernfalls droht Vernachlässigung des Selbst und Anderer.
Ein reich haltig gedeckter Tisch und eine schön gestaltete Wohnung sind ja nicht nur Ausdruck „äußeren Reichtums“, sondern geben auch dem Ich die Möglichkeit schöpferisch tätig zu werden, sich auszudrücken und Leben zu gestalten (vgl. Müller, 2008, S. 34).
Die Fähigkeit aus „wenig“ etwas zu machen ist für Menschen mit geringen materiellen Ressourcen eine wichtige Basiskompetenz. Hier stellt sich die Frage, in welchen Kontexten es möglich ist, diese Kompetenzen auszubil- den. Denn postmoderne Gesellschaftsstrukturen entbinden den Menschen eher von seinen schöpferischen und herstellenden Kräften, weil vieles (z. B: Spielzeug, Lebensmittel) schon fertig angeboten oder von anderen erledigt wird.
Dem Ich einen Ausdruck zu geben, gestaltend leben zu können trägt einen aktiven, dynamischen Charakter, der zu Lebensfreude führt. Freude ist für Fromm eine Begleiterscheinung diesen produktiven Tätig seins, ein emotionaler Zustand, der entsteht, wenn Menschen ihre Fähigkeiten produktiv entfalten (vgl. Fromm, 2007, S. 144f).
Fromms philosophischer Begriff vom Sein umfasst als zentrale Elemente Werden, Aktivität und Bewegung. „Lebende Strukturen können nur sein, in- dem sie werden, können nur existieren indem sie sich verändern. Wachstum und Veränderung sind inhärente Eigenschaften des Lebensprozesses“ (Fromm, 2007, S. 41).
Menschen, die die Erfahrung gemacht haben selbst etwas bewirken zu kön- nen, vertrauen auf ihre Kompetenzen und sind sich deren bewusst. Es darf angenommen werden, dass arme Menschen jedoch weniger die Möglichkeit haben Selbstwirksamkeit zu erfahren. Müller (2008, S. 36ff) schreibt, dass Armut und ihre Verursacher (z. B. Arbeitslosigkeit), massiven Stress erzeu- gen. Menschen in Armut erleiden soziale wie emotionale Erschöpfung, weil sie ohne eine Entwicklung, eine subjektiv bedeutsame, positive Veränderung oder gar einen gesellschaftlich gewürdigten Erfolg in ihrem Leben ausma- chen können. Dies wirkt zurück auf die Säule der Leiblichkeit.
Um inneren Reichtum bilden zu können, braucht es nach seiner Einschät- zung die dauerhafte Erfahrung über Selbstwirksamkeit zu verfügen, in guten Sinne sich selbst als kraftvoll und mächtig zu erleben. Unter „Innerlichkeit“ versteht Müller, den Innenbereich, die emotionalen und seelischen Gefüge eines Menschen.
Leben in Armut schafft aber Lebensumstände, die äußerlich wie innerlich überfordern. Überforderung stellt sich immer dann ein, wenn man mit Lebensbedingungen zurechtkommen muss, die keine Gestaltungsfreiräume mehr lassen, bzw. die eigenen Möglichkeiten übersteigen.
Geld erweitert Entscheidungsmöglichkeiten. „Geld kann Freiheit wirkungsvoller sichern als jedes andere soziale oder ökonomische Mittel“ (Lindgren, 1999, S. 110).
Müller (2008, S. 57) vermutet, dass Eltern, die selbst erfahrene gesellschaft- liche Ablehnung, das Gefühl des Nicht-Gebraucht-Werdens und das so ent- standene gesellschaftliche Minderwertigkeitsgefühl an ihre Kinder weiterge- ben. Eltern, deren Energien auf Grund von materieller Armut stark gebunden sind, fehlen oftmals die Kräfte sich ihren Kindern gegenüber situationsange- messen, vielschichtig und vor allem emotional offen, liebevoll und geduldig zu zeigen.
Sie versuchen unter Umständen fehlende Zuwendung und emotionale Nähe durch „Verwöhn-Verwahrlosung auszugleichen. „Betroffene Eltern sind nicht in der Lage, ihren Kindern bezüglich ihrer Wünsche Grenzen zu setzen und kaufen ihnen beispielsweise ständig Spielzeug, auch wenn dies zu Verschul- dung und zur Vernachlässigung der eigenen Person führt“ (Müller, 2008, S. 67f).
Konsum kann ein Ersatz für fehlendes Inneres sein.
4.2.3 Die Bedeutung von sozialen Netzwerken und Werten für die Identi- tät
Die beiden Säulen stelle ich in diesem Abschnitt gemeinsam dar, da sie so fließend ineinander übergehen, dass der Blick auf die eine erst mit dem Blick auf die andere sinnvoll erscheint. Die Wahrnehmung von außen, der Blick auf Armut, hat Auswirkungen auf die soziale Interaktion und im Rückschluss auf das eigene Selbstbild (siehe 4.1 Die Ausbildung individueller Identität, S. 19). Auf die Entwicklung von Identität nach Petzold (1982, S. 169): „Ich sehe, wie mich andere sehen“, hat das Erleben des gesellschaftlichen Umgangs mit Arbeitslosigkeit und Armut einen nicht zu unterschätzenden Einfluss.
So schreibt Baumann (2005, S. 60), dass sie als menschlicher Abfall, als Nebenhandlung wirtschaftlichen Fortschritts die Mittel für das physische Überleben sichern müssen, während zugleich Selbstvertrauen und Selbstachtung für das soziale Überleben genommen wurden.
Teile der Bevölkerung werden schlicht als „überflüssig“ erklärt, da sie ver- sorgt werden müssen und es ihnen an den nötigsten Mitteln zum Überleben fehlt. Man braucht sie nicht, sie stellen ein finanzielles Problem dar. Während das biologische Überleben gesichert wird, werden sie sozial von der Gesell- schaft ausgeschlossen. Man unterstellt ihnen Trägheit oder andere schädli- che Absichten.
Diese Unterstellungen greifen alltäglich und äußern sich insbesondere, wenn es darum geht Gründe zu finden, warum der Regelsatz nicht erhöht werden kann. So gab der CDU-Politiker Philipp Mißfelder an die Erhöhung der HartzIV-Sätze wäre gleichbedeutend mit einer Subvention für die Tabak- und Spirituosenindustrie. Er stellt damit alle Familien im Hartz-IV-Bezug unter Generalverdacht, das Geld für sich und nicht ihre Kinder auszugeben (vgl. Meyer-Timpe & Uchatius, 2009, S. 6).
Baumann (2005, S. 11ff) schreibt, dass diese Menschen bereits gelernt hät- ten, dass Widerstand vergeblich ist und nicht in der Lage sind, ihre Gefühle in wirksames Handeln umzusetzen. Er beschreibt sie in einer aussichtslosen Lage. Passen sie sich dem propagierten Lebensstil an, bezichtigt man sie sündhafter Arroganz, lehnen sie ihn dagegen offen ab, dann werden sie als Feinde eben diesen Lebensstils, der Gesellschaft wahrgenommen. Eine offene Ablehnung würde ja bedeuten, die Werte des damit verbundenen Lebensstiles in Frage zu stellen.
Müller (2008) zu Folge gibt es keinen Automatismus für Baumanns Darstel- lungen. Teilhabemöglichkeit, Zugehörigkeit oder Überflüssigsein machen sich demnach nicht unmittelbar an Lebenslagen oder Schichten fest. Die Fragilität familiärer, sozialer und beruflicher Konstellationen betrifft weit mehr gesellschaftliche Gruppen, die ebenso hohen inneren emotionalen Belastun- gen ausgesetzt sind.
Baumann (2005, S. 127ff) sieht einen direkten Zusammenhang zwischen einem zunehmenden Bindungsverlust und sozialstaatlichem Handeln. Der Sozialstaat, der versprach, Lebensläufen Sicherheit zu geben ist im Rück- zug. Die Politik droht dagegen mit einer noch unsichereren Zukunft und ein von Risiko begleitetes Leben. Eine langfristige Lebensplanung wird nahezu unmöglich. Jeder soll selbst individuelle Lösungen für gesellschaftlich er- zeugte Probleme finden (Rentenvorsorge u.a.). Baumann schreibt, dass die- se „neuen“ Ängste sich zerstörerisch auf das Vertrauen, als Bindemittel menschlichen Zusammenseins auswirke. Das sichere Wissen, dass uns ge- holfen wird, wird von einem allumfassenden Misstrauen ersetzt. Der Verlust von stabilen, sicheren Bindungen wirkt bis in die Familien hinein und trägt zu einer zusätzlichen Verunsicherung bei.
Durch die Überbetonung erlebnisorientierter Außenbezüge wird laut Müller (2008, S. 106ff) die lebenslange Identitätsarbeit auf eine einzige Dimension verkürzt. Selbstbestimmung und freie Lebensentscheidungen machen laut Müller erst im Kontext sozialer Sinnhorizonte wieder Sinn. Er sieht darin einen Ansatzpunkt vor allem für pädagogisches Handeln, bezieht in seine Kritik jedoch alle gesellschaftlichen Akteure ein und fordert ein generelles Umdenken zugunsten stärkerer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Da nach Petzold alle fünf Säulen für die Identitätsbildung notwendig sind, läuft der Mensch Gefahr, aus einer Überforderung innerlich zu verarmen und damit droht die tragendste Säule der Werte (vgl. Petzold 1982, S. 175), Wünsche und Ziele wegzubrechen. Die Tendenz zur Individualisierung ist mit der Tendenz zu relativ unverbindlichen sozialen Netzwerken verbunden, die sich eher an ähnlichen Freizeit-, Konsum- und Lebensgewohnheiten orientie- ren und die materielle Existenzsicherung voraussetzen. Diese versagen dann in Notsituationen, so dass sich die Betroffenen aus diesen zurückziehen. In der Studie von Tobias und Boettner (1992, S. 36ff) gaben die Befragten an, dass die Befürchtung, die Verwandten könnten denken, sie besuchten sie nur, weil sie etwas von ihnen wollten, zum Rückzug aus familiären Bezie- hungen führte. Soziale Kontakte kosten Geld, da schlagen auch Kleinigkeiten für Bewirtung oder Geschenke zu Buche. Die räumliche Nähe erschwert die Wahrung der Privatsphäre. Nachbarschaftlichem Tratsch versuchten die Be- fragten zu entgehen, indem sie enge vertrauensvolle Beziehungen zur nächsten Umgebung ablehnten, obwohl es selten außenstehende Kontakte gab und der Kontaktbedarf im Nahfeld gedeckt wurde. Das Misstrauen auf der Beziehungsebene wurde so zum Grundzug der Existenz. Die Betreffen- den wollen nach außen nicht mit Bevölkerungsgruppen gleichgesetzt wer- den, die mit sozialer Ächtung in Verbindung stehen, auch wenn sie im Nahfeld das Bedürfnis nach Kontakt stillen.
Dagegen zeigte Andreß (1999, S. 169ff) in seiner Studie kaum Unterschiede zwischen armen und nichtarmen Haushaushalten in der Anzahl der Sozialkontakte. Auch die Unterstützungsleistungen, auf die beide Gruppen in ihren sozialen Netzwerken zurückgreifen konnten, unterschieden sich kaum. Signifikante Unterschiede zeigten sich dagegen beim Bedarf an Unterstützung. Im unteren Einkommensbereich gab es mehr Wünsche nach Hilfen und Kontakten. Andreß zeigt sich skeptisch, ob bisher erhobene Daten tatsächlich auf einen sozialen Rückzug schließen lassen, da soziale Netzwerke mit einer Vielzahl anderer Merkmale korrespondieren können.
Eine Erklärung für das häufig berichtete Rückzugsverhalten sieht Andreß im Eintreten einer Problemlage (Schulden u. a.) die dann zur tatsächlichen oder vom Einzelnen erwarteten sozialen Ablehnung bzw. Stigmatisierung des bisherigen sozialen Netzwerkes führt.
Andreß fasst das Ergebnis seiner Studie so zusammen: „Arme Personen haben nicht weniger soziale Unterstützung, sie leben nicht ausschließlich von staatlichen Transfers, sie sind nicht arbeitsscheu und reagieren nicht prob- lemabgewandt“ (Andreß, 1999, S. 328). Innerhalb der Einkommensarmen gibt es laut Andreß ein unterschiedliches Ausmaß an Betroffenheit. Diese ist vor allem bei Familien mit mehreren Kindern und Alleinerziehenden höher.
Lindgren (1999, S. 160ff) glaubt, dass ein ausgeprägter Sinn für Gruppen- identität - Loyalität - zugleich die größte Stärke und Schwäche der Armen ist. Das Bewusstsein, dass alle im gleichen Boot sitzen und alles miteinander teilen, machen das Überleben unter schwierigen Bedingungen leichter. Aber solche sozialen Bande schränken auch die Motivation ein, effektivere Mittel für die Bewältigung der Situation zu finden. Viele Sozialarbeiter können von ähnlichen Fällen wie Maria berichten (siehe 1 Einleitung, S.2). Frau Santos erhält von dem kleinen Laden Kredit bis zur nächsten Sozialhilfezahlung, vom Supermarkt dagegen nicht. Außerdem kaufen alle ihrer Nachbarn dort ein, sie sucht also einen vertrauten Ort auf, wo sie sich wohl fühlt und Freun- de trifft. Der Einkauf von Lebensmitteln hat also nicht nur einen wirtschaftli- chen Aspekt, sondern sie kann an der Sozialstruktur teilnehmen, mit der sie sich identifiziert und die ihre Loyalität fordert. Sie ist psychologisch und sozial nicht frei im Supermarkt einzukaufen. Obwohl es ihr finanziell besser ginge, würde sie sich schlechter fühlen.
Die Angst „anders zu sein“ erhöht laut Lindgren auch andere Ausgaben von Armen. Untersuchungen zeigten, dass Niedrigverdiener im Vergleich zu Fa- milien mit mittleren Einkommen, eher dazu neigen teure Markenartikel zu kaufen und nicht billigere Produkte gleicher Qualität. Sie halten sich an die vom Fernsehen und der Werbung propagierte soziale Norm und fühlen sich dadurch bestätigt, sicher und gut. Dies führt auch dazu, teure beworbene Fertiggerichte zu kaufen, statt Essen preisgünstiger selbst zu kochen.
Mitglieder der Mittelschicht stellen Werbeversprechen eher in Frage und entscheiden lieber selbst, welches Produkt besser ist.
Um das Selbst zu schützen wird die Verachtung von Geld zum Teil der sozialen und psychologischen Identität. Freud erkannte, dass eine erfolgreiche Strategie sich vor Ängsten zu schützen die Fähigkeit ist die Realität zu ignorieren (siehe 2.6 Vom prägenden Umgang mit Geld, S. 13). Die Behauptung, das Geld unwichtig sei, schützt vor Ängsten, hindert aber daran, in Geldangelegenheiten realistisch zu denken und zu handeln.
Werte und Normen eines Menschen entstehen aus der sozialen Bezogenheit zu anderen Menschen. Sie sind letztlich ausschlaggebend, wie Realitäten wahrgenommen, bewertet und bewältigt werden. Welchen Sinn sehe ich in meinem Leben, an welchen kulturellen, politischen oder religiösen Gruppen orientiere ich mich? Welche Bedeutung gebe ich den Dingen, welche Ziele, welche Träume habe ich? Petzold (1982, S. 175) beschreibt diesen Bereich als am längsten tragend, auch wenn alle anderen Säulen schon zusammen- gebrochen sind. Da sie sozial vermittelt werden, werden sie von einer Ge- meinschaft gestützt. Dies gewährleistet nach Petzold eine hohe Enttäu- schungsfestigkeit und Beständigkeit.
Zu den sozialen Netzwerken gehören nicht nur Freundschaften und Kollegen, sondern im Besonderen auch die Familie. Auf deren identitätstragender Bedeutung werde ich im Weiteren (siehe 5.8 Konsum und Identität im familiären Kontext, S. 51ff) noch ausführlich eingehen und sie deshalb an dieser Stelle nicht näher beschreiben.
4.2.4 Die Bedeutung der Leiblichkeit für die Identität
Leiblichkeit umfasst unser körperliches Empfinden, Gesundheit, die Zufriedenheit mit dem Aussehen, sich als Frau oder Mann zu fühlen, Sexualität, Vitalität, das Ausmaß an leiblicher Bewegung oder auch Körperpflege.
Orth (2003, S. 135f) beschreibt, dass „Fit for Fun“ zum „Lifestyle“ unserer Gesundheitskultur geworden ist. Wie stark sich der Mensch von diesen Ansprüchen leiten lässt ist individuell sehr verschieden. Von der Vernachlässigung (siehe 4.2.2 Die Bedeutung von Tätigkeit für die Identität, S. 24), bis zur Gefahr, dass Gesundheit zur Ware und zum Produkt wird, in dem ich dem Zwang unterliege, immer „fit, schön und trendy“ zu sein, liegt die Möglichkeit, darin Körperlichkeit durch Musik, Tanz, Kreativität, Kommunikation, Pflege und Entwicklung persönlicher Anmut zu entdecken.
Dass überschuldete Menschen beispielsweise häufiger krank sind, aber we- niger das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen, da etwa die Praxisge- bühr zu hoch erscheint, ist ein Beispiel dafür, dass auch Gesundheitspflege mit Kosten verbunden ist. Vor allem psychische und Gelenk- und Wirbelsäu- lenerkrankungen spielen eine große Rolle (vgl. Münster, 2008). Arme Men- schen sind auch häufiger Gesundheitsbelastungen am Arbeitsplatz ausge- setzt.
„Personen mit geringem Einkommen rauchen häufiger, bewegen sich viel- fach weniger und sind im Mittel übergewichtiger als Personen mit höheren Einkommen“ (zitiert nach dem Gesundheitsbericht für Deutschland 1998, S. 106, in Kettschau, 2000). Chronischer Stress aufgrund belastender Lebens- und Arbeitsbedingungen wird in diesem Zusammenhang als Erklärungsursa- che herangezogen.
Fehlende materielle Ressourcen können auch zu Sparsamkeit bei gesunder Ernährung führen. Eine Studie zu Kindern im Vorschulalter zeigte, dass bei der materiellen Grundversorgung ca. 40 % der armen gegenüber 15 % der nicht-armen Kinder Mängel aufwiesen. Am deutlichsten äußerten sich diese in den unregelmäßigen Zahlungen von Essengeld. Die Kinder kamen hungrig in die Einrichtung und es fehlte körperliche Pflege (vgl. Holz, 2005, S. 100f).
Neben fehlenden materiellen Resoourcen wirken sich Armutsbedingungen in vielfältiger Weise auf die Leiblichkeit aus. Die Vernachlässigung gesunder Ernährung kann auch ein Hinweis auf ein mangelndes Gesundheitsbewusstsein oder unzureichende Bildung und anderes mehr sein. Wie ich mich in meinem Körper fühle, ist mit allen anderen Säulen wechselseitig verknüpft.
Im Gegenzug gaben Sozialarbeiter bei einer Befragung an, dass sich aus deprivierten Verhältnissen stammende Jugendliche, trotz ihrer Not nicht von anderen Jugendlichen äußerlich abgrenzen. Viele „stylen“ sich auf und achten sehr auf ihr Aussehen (vgl. Hoffmeister, 2007, S. 113).
5 Identitätsarbeit aus der Sicht multidimensionaler Perspektiven
5.1 Die Entwicklung eines Kernselbst nach Stern
Stern (1992, S. 21ff) geht davon aus, dass sich die Entwicklungsphasen des Säuglings auf entscheidende Veränderungen im sozialen Erleben und auf neue Arten des Selbsterlebens begründen. Das Selbstempfinden organisiert nach Stern das soziale Erleben des Säuglings und ist für dessen Entwicklung ausschlaggebend. Es handelt sich hierbei um das unmittelbare Erleben, um subjektives Erleben als Organisationsform, bevor das Selbst selbstreflektiv und verbalisierend wahrgenommen wird.
Die Entwicklung des Säuglings vollzieht sich in Quantensprüngen, die den Eindruck erwecken, dass sich im subjektiven Erleben des Selbst große Ver- änderungen vollzogen haben. Stern geht davon aus, dass diese Verände- rungen nicht allein auf den Erwerb neuer Fähigkeiten zurückzuführen sind. Das subjektive Erleben des Selbst bildet subjektives Empfinden in Bezug auf das Selbst und Andere aus, welches wiederum selbst organisierend wirkt. Dabei fördern sich die Organisationsveränderung und die Deutung durch die Eltern wechselseitig.
Im Alter bis 3 Monate entwickelt der Säugling ein auftauchendes Selbstemp- finden. Er nimmt zunächst einzelne Erfahrungen in ihrer Lebendigkeit und Klarheit wahr. Werden diese nun auf irgendeine Weise gekoppelt, so erlebt der Säugling das Auftauchen von Organisation. Erst wenn diese Bezugs- punkte vorhanden sind, entsteht Selbstempfinden. Es ist ein Nebenprodukt der allgemeinen Lernfähigkeit. Der Säugling erlebt sowohl den Prozess der Organisation als auch das Resultat. Zuerst werden der Körper, seine Kohä- renz, seine Handlungen, Gefühlszustände und die Erinnerung organisiert und an das Selbstempfinden gekoppelt (vgl. Stern, 1992, S. 72f).
Ab dem 3. bis zum 6. Monat entwickelt der Säugling ein Kernselbst. Er er- weckt den Eindruck eines integrierten Empfindens als körperliches Wesen. Er nimmt andere Personen als von ihm selbst getrennte eigenständige Inter- aktionspartner wahr. Er kann sich eine Weile auf interpersonale Situationen konzentrieren und seine menschliche Umgebung behandelt ihn als „richtige Persönlichkeit“. Das Kern-Selbst-Empfinden umfasst die Urheberschaft (Wil- len zu besitzen, eigene Aktionen zu kontrollieren und dessen Konsequenzen zu erwarten, Nicht-Urheber der Handlungen anderer Menschen zu sein), die Selbstkohärenz (Empfinden als körperliches Ganzes mit Grenzen und kör- perlichen Handlungszentrum), Selbstaffektivität (erleben von Affekten) und die Selbst-Geschichtlichkeit (Gefühl von Dauer, fortwährenden Seins, Re- gelmäßigkeit und Vergangenheit). Es ist eine Integration des Erlebens. In dieser Phase stimmt der Erwachsene sein Verhalten feinfühlig auf das Erre- gungsniveau des Säuglings ab und reguliert es so lange ein, bis ein optima- les Niveau entstanden ist, bei dem das Kind sich wohl fühlt. Der Säugling selbst reguliert indem er beispielsweise den Blick abwendet oder durch Mi- mik und Gestik ein höheres Stimulierungsniveau herbei zu führen sucht.
Er macht Erfahrungen in Bezug auf Selbstregulation und sammelt Erfahrun- gen mit der Bezugsperson als Regulator seines eigenen Erregungsniveaus. Die sozialen Interaktionen dienen in erster Linie der Regulierung von Affek- ten und Erregung.
Das Kernselbst entwickelt sich demnach in Zusammenhang mit einer siche- ren Bindung, die es erlaubt Affekte und Gefühle zu regulieren und zu steu- ern, sich als handlungsmächtig zu erleben. Auf diese zentralen Grundent- wicklungen bauen alle weiteren Prozesse auf. Im Weiteren wird immer wie- der auf den Zusammenhang zwischen Bindung, Selbststeuerung und Identi- tät Bezug genommen. Der Zusammenhang hat in Sterns Ausführungen sei- nen Ursprung und ist deshalb für das Verständnis der Arbeit von Relevanz.
5.2 Selbst und Identität aus Sicht des Psychodramas
In der Theorie des Psychodramas geht man von einem Selbst als Objekt (Gesamtheit aller inneren Repräsentationen der eigenen Person) und dem Selbst als Subjekt (alle verfügbaren Kompetenzen, die der Handlungs- und Selbstregulation dienen) aus. Es wird zwischen Selbst und Identität unter- schieden. Identität bedeutet, sich über einen längeren Zeitraum als ein und der selbe Mensch zu fühlen. Über Identität zu verfügen erfordert, sich in un- terschiedlichsten sozialen Kontexten als ein und derselbe Mensch darstellen zu können. Für dieses konsistente Identitätsempfinden sind komplexe Narra- tionen erforderlich und die eigene Rolle muss mit unterschiedlichsten Rollen- erwartungen und Kontexten in Einklang gebracht werden (vgl. Schacht, 2003, S.34ff). (Schacht, 2003, S. 34ff).
Der Mensch entwickelt aktiv innere Repräsentationen bzw. Arbeitsmodelle, die es ihm ermöglichen, Interaktionen (mit) zu gestalten. Erfasst werden alle emotional bedeutsamen Personen, Beziehungen und Rollenkonfigurationen in der Struktur eines inneren soziokulturellen Atoms.
Moreno geht in seinem rollentheoretischem Ansatz davon aus, dass sich aus einzelnen konkreten Rolleninteraktionen hierarchisch organisierte Strukturen bilden, das „Selbst entsteht aus Rollen“ (Moreno 1982f; 29, in Schacht, 2003, S. 108).
Gelingende Handlungsregulation wird im Psychodrama neben Spontaneität und Kreativität mit Rollenflexibilität in Verbindung gebracht. „Hohe Rollenflexibilität zeigt sich darin, dass der Betroffene sein Handeln entsprechend situativer Anforderungen regulieren kann“ (Schacht, 2003, S. 151). Es geht darum von einer Rolle in eine andere wechseln zu können und eine der Situation angemessene Rolle zu entwickeln.
[...]
1 In dieser Master-Thesis wird der Einfachheit halber ausschließlich die weibliche Form verwendet. Es sind stets Männer und Frauen gemeint.
2 Landesarbeitsgemeinschaft
3 Georg Akerlof hat 1976 in seinem Aufsatz „Market of Lemon“ dieses Phänomen erstmals thematisiert und dafür den Nobelpreis erhalten. Im Grundsatz geht es darum, dass der Verkäufer ein relevant höheres Wissen über das Produkt besitzt als der Käufer und dieses zu seinem eigenen Vorteil verschweigt.
4 Arbeitslosengeld
5 Der Einfachheit halber, verzichte ich im Folgenden auf den Zusatz Beratung und spreche von Integrativer Therapie. Die Integrative Therapie wurde von Prof. Dr. Hilarion Petzold entwickelt und verbindet verschiedene therapeutische Ansätze zu einem übergreifenden Verfahren. Der integrative Ansatz wird auch in der Beratung angewendet.
6 „Beschrieben wird damit die Tendenz von Menschen, an einer einmal getroffenen Ent-
scheidung festzuhalten oder in Übereinstimmung mit früherem Verhalten zu handeln“ (Konsistenz, 2010).
7 „Der `Tree of Science` (Petzold 1988n, 2002a) ist das Gerüst der Wissenschaft der Integra- tiven Therapie. Er ist eine ordnende und gleichzeitig offene Systematik für Theorien, die in der integrativen Therapie und Supervision relevant sind“ (Ebert & Könnecke-Ebert, 2004, S. 169).
8 Der Median bezeichnet die Mitte der Einkommen, liegt aber unterhalb des „Mittelwertes“. Deshalb hat man ihn nicht auf 50%, sondern 60 % festgelegt. Unter Äquivalenzeinkommen ist zu verstehen, dass die Haushaltseinkommen entsprechend ihrer Größe und Alterszusammensetzung gewichtet werden (vgl. Martens, 2007, S. 26f).
9 Das Kindergeld wurde am 01.01.2010 von 164 € auf 184 € erhöht.
10 Die Selbsttheorie ist ein Psychologiezweig, der unter anderem von Carl Rogers begründet wurde (vgl. Lindgren, 1999, S. 120).
- Quote paper
- Karola Günther (Author), 2011, Identitätskonstruktionen in ihrer Bedeutung für Konsumverhalten in einkommensarmen Familien mit Kindern und deren Relevanz in Beratungsprozessen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338911
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