Die Textbeschreibungen in diesem Werk dienen der Vorbereitung auf die schriftliche Prüfung im Fach Deutsch an Realschulen und Abendrealschulen, können aber auch am Gymnasium eingesetzt werden.
Besprochene Werke:
du bist min, ih bin din – anonyma/anonymus, 12. Jahrhundert
Es ist alles eitel – Andreas Gryphius, 1643
Hälfte des Lebens – Friedrich Hölderlin, 1805
D-Zug - Gottfried Benn, 1912
Gedanken über die Dauer des Exils – Bertolt Brecht, 1937
chagall - Elisabeth Borchers, 1961
Schatten Rosen Schatten - Ingeborg Bachmann, 1956
ins lesebuch für die oberstufe, Hans Magnus Enzensberger, 1957
Ehegedicht - Günter Herburger, 1977
Die Fastfrau – Ralf Thenior, 1977
Wartende – Ulla Hahn, 1983
Bildlich gesprochen – Ulla Hahn, 1981
Inhalt
Vorwort
Interpretatorische Überlegungen zu ‚du bist min, ih bin din’
Überlegungen zur Deutung des Gedichts „Es ist alles eitel” von Andreas Gryphius
Interpretatorisches zu Friedrich Hölderlins Gedicht ‚Hälfte des Lebens’
Interpretatorisches zu „D-Zug“
Interpretatorisches zu Brechts Gedicht ‚Gedanken über die Dauer des Exils‘
Vergleich des „Chagall”-Gedichts von Elisabeth Borchers mit Chagalls Gemälde „ Die Bastille”
Interpretatorisches zu „Schatten Rosen Schatten von Ingeborg Bachmann“
Textbeschreibung von Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „ins lesebuch für die oberstufe”
Männliches Steinbild im Park, Sarah Kirsch
Interpretation von Günter Herburgers ‚Ehegedicht’
Interpretation von Ulla Hahns Gedicht ‚bildlich gesprochen’
Textbeschreibung von ‚Die Fastfrau’
Textbeschreibung von Ulla Hahns Gedicht‚Wartende’
Vorwort
Die schriftliche Prüfung in Deutsch an den zur Mittleren Reife führenden Realschulen und Abendrealschulen in Baden-Württemberg besteht derzeit aus den vier Themenbereichen:
1.der Textbeschreibung eines Gedichts
2.der Textbeschreibung eines kurzen Prosatextes
3.der Interpretation einer Ganzschrift, wobei die Aufgabenstellung produktiven Umgang mit Literatur fordert
4.einem Aufsatz zu einem aktuellen Thema, wobei auf im Kompendiumsordner gesammelte Informationen zurückgegriffen werden darf.
Die folgenden Textbeschreibungen dienen der Vorbereitung auf die schriftliche Prüfung im Fach Deutsch an Realschulen und Abendrealschulen, können aber auch am Gymnasium eingesetzt werden.
Interpretatorische Überlegungen zu ‚du bist min, ih bin din’
Du bist min ih bin din. des solt du gewis sin. du bist beslossen in minem herzen. verlorn ist daz sluzzellin. du moust och immer dar inne sin.[1]
Der Text ‚Du bist min, ich bin din’ ist im 12. Jahrhundert entstanden. Wer diese Zeilen verfasst hat, wissen wir nicht. Es gibt Wissenschaftler, die glauben, es sei von einer Nonne verfasst worden. Mit Sicherheit lässt sich aber nicht sagen, dass diese Verse aus der Feder einer Frau stammen. Ein Mann als Autor ist ebenso denkbar. Jedenfalls spiegelt der Text die Rechtsverhältnisse zwischen Mann und Frau zur Zeit seiner Entstehung wieder. Aus der Perspektive eines Mannes gesehen, ist die Frau Besitz desselben. Mehrere Textkomponenten drücken dieses Besitzverhältnis aus. Zweimal kommt das Possessivpronomen ‚mein’ vor. Einmal das besitzanzeigende Fürwort ‚dein’. Liebe wird als Besitzverhältnis definiert, das, ganz entsprechend der Vorstellung der katholischen Kirche vom Sakrament der Ehe, ewig (vergl. ‚immer’ letzte Zeile) andauern muss. Im Mittelalter hatte der Mann, der Hausherr, sowohl personenrechtliche als auch sachenrechtliche Verfügungsgewalt über den gesamten Familienbesitz. Die Frau war Teil des Familienbesitzes. Sie hatte fast gar keine Rechte, vielmehr die Pflicht zur Treue und die Pflicht männliche Nachfolger zu gebären. Unfruchtbarkeit war häufig Scheidungsgrund. Bei ehelicher Untreue, durfte die Frau getötet werden. Dem untreuen Mann konnte die Frau auf Grund ihrer untergeordneten Stellung in der mittelalterlichen Ständegesellschaft kaum etwas anhaben. Dass der Mann auch über den Körper der Frau nach Belieben verfügen konnte, spricht aus dem Bild vom verlorenen Schlüssel im Zentrum des Gedichts. Hier wird einerseits auf die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau angespielt (Stilfigur: Allusion), der Mann ist der Schlüssel, die Frau ist das Schloss, aber auch auf jenes Instrument, das die Ritter der damaligen Zeit dazu benutzten, um sich des Körpers ihrer Frau als Besitz zu versichern. Wer auf Reisen ging oder in den Krieg zog, legte seiner Frau einen eisernen Keuschheitsgürtel um. Der Schlüssel zum Schloss, das die Keuschheit bewahren sollte, ging mit auf Reisen.
Inwieweit die vielen Zeilensprünge im Original Signal für befürchtete Seitensprünge darstellen, mag dahingestellt sein. Die mittelalterliche Syntax ist nicht so wie die neuhochdeutsche mit Hilfe von vielen Satzzeichen streng gegliedert, klar und übersichtlich geordnet. Die Bedeutung des Bildes vom Schloss und dem Schlüssel ist vielschichtig. Neben dem Miteinander-Schlafen drückt es ein Sich- gut-Verstehen, ein gut-Zusammenpassen aus.
Ist doch das Herz, der Ort, wo nach mittelalterlicher Vorstellung die Gefühle zu Hause sind.
So betrachtet kann man den vorliegenden lyrischen Text auch als Ausdruck davon lesen, wie sich eine Frau eine gute Beziehung zu ihrem Mann vorstellt, wünscht. Der Anfang des Gedichts unterstützt denn auch diese Sichtweise. ‚du bist min, ih bin din’ ist ein Parallelismus. Wunschtraum einer Frau, von Gleichberechtigung im 12. Jahrhundert? Von ewiger Treue, auch auf Seiten des Mannes? Liebe auf Dauer und noch dazu als Herzensangelegenheit? Falls der Text tatsächlich von einer Nonne verfasst wurde, dürfen wir dann nicht auch in Erwägung ziehen, dass hier von dem Verhältnis einer Braut Jesu zu ihrem Herrn erzählt wird?
Vergl. Herz-Jesu-Verehrung im Spätmittelalter, z. B. bei Mechthild von Magdeburg (1207-1282) und Heinrich Seuse (1295-1366).
Überlegungen zur Deutung des Gedichts „Es ist alles eitel” von Andreas Gryphius
DV sihst / wohin du sihst nur Eitelkeit auff Erden. Was dieser heute baut / reist jener morgen ein: Wo itzund Städte stehn / wird eine Wiesen seyn / Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.
Was itzund prächtig blüht / sol bald zutretten werden.
Was itzt so pocht vnd trotzt ist morgen Asch vnd Bein /
Nichts ist / das ewig sey / kein Ertz / kein Marmorstein. Itzt lacht das Glück vns an / bald donnern die Beschwerden. Der hohen Thaten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit / der leichte Mensch bestehn?
Ach! was ist alles diß / was wir vor köstlich achten / Als schlechte Nichtigkeit / als Schatten / Staub vnd Wind; Als eine Wiesen-Blum / die man nicht wider find’t. Noch wil was ewig ist kein einig Mensch betrachten![2]
Wenn man das Zeitalter ‚Barock’ als eine Epoche versteht, in der eine zweipolige, antagonistische (in sich widersprüchliche) Weltanschauung vorherrschte, so finden sich dafür in vorliegenden Gedicht deutliche Anzeichen.
Zwischen ‚memento mori’, zwischen ‚vanitas’ und ‚carpe diem’ bewegt sich das Lebensgefühl in der damaligen Zeit. Wie in den Gemälden von Caravaggio Licht und Schatten eingesetzt sind, so prallen im vorliegenden Sonett die beiden Motive „ Es ist alles vergänglich” und „ Genieße den Tag” aufeinander.
Schon die Gedichtform an sich, das Sonett, zeigt 2-teilige Struktur, nämlich Aufgesang (2 Quartette) und Abgesang (2 Terzette). Auch das Metrum, der Wechsel von betonter mit unbetonter Silbe, das Auf und Ab des hier verwendeten Jambus, entspricht ganz den beiden Seiten barocken Lebensgefühls, der Diesseits und – Jenseitsbezogenheit.
Wobei mit der Wahl des Jambus, also eines aufsteigenden Versmaßes (xX= unbetonte Silbe, betonte Silbe) möglicherweise bereits ein Signal gesetzt wurde. Im aufsteigenden Vermaß, also in der Mikrostruktur des Textes bereits, könnte angelegt sein, was der Text aus vom Inhalt her ausspricht: Erhebe Dich über die irdischen Dinge, die irdischen Belange sind weniger wichtig als der Bezug auf’ s Jenseits, auf’ s Ewige.
Dementsprechend kommt auch keine Stilfigur in „Alles ist eitel” häufiger vor als die Antithese und zwar zwischen Wort und Wort, zwischen Halbvers und Halbvers, zwischen einer und der anderen Strophe
Antithesen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
lacht das Glück – donnern die Beschwerden
Die Terzette stehen als Antithese den Quartetten gegenüber, insofern in Strophe 1 und 2 mehr von Konkretem die Rede ist, in Strophe 3 und 4 mehr von Abstraktem. Zugleich sind beide Ebenen miteinander verbunden.
Wie kunstvoll, (gekünstelt?) wie komplex die Struktur dieses Gedichts ist, erkennt man, wenn man gleiche Wortelemente mit, wiederkehrenden, oder in abgewandelter Form wiederkehrenden Wortteilen, durch Linien verbindet. (Vergleiche J. S. Bach – Die Kunst der Fuge)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die vier Strophen von „Alles ist eitel” sind so aufgebaut wie barocke Kirchen gestaltet wurden. Wir finden eine Anhäufung von ineinander greifenden Formen zur Ausschmückung. Die Kumulation ist dementsprechend neben der Antithese eine hier häufig benutzte rhetorische Figur.
Beispiele für Kumulation:
Asch und Bein
Schatten, Staub und Wind
Kein Erz, kein Marmorstein
Barocke Bauwerke sind überladen mit Verzierungen.
Und auch hier im Gedicht werden übermäßig viele Beispiele für den einen Gedanken (Gedankenlyrik) herangezogen, dass nämlich alles vergänglich ist.
Städte
Erz
Marmorstein
Taten
Ruhm
Blume
Mensch
Neben den schon erwähnten Stilfiguren kommen noch folgende vor:
Übertreibung (Hyperbel)
Es ist alles eitel
du siehst, nur Eitelkeit auf Erden
Die Übertreibungen am Anfang des Gedichts stellen eine Art These dar.
Die vielen folgenden Beispiele dienen dazu, den Leser von der Richtigkeit dieser These zu überzeugen. Die Wortwiederholungen unterstützen diese Tendenz. Der Autor will uns davon überzeugen, dass alles Irdische kein dauerhaftes Glück in sich birgt. Und er will uns dazu überreden, nach Anderem Ausschau zu halten, nach etwas, das in alle Ewigkeit Bestand hat. Da Gryphius mit der These „Alles ist eitel“ einen biblischen Text zitiert, dürfen wir annehmen, er möchte uns mitteilen: Das Irdische, euch und euer Leid, alles was ihr hier tut, dürft ihr nicht so überbetonen, nicht so wichtig nehmen. Das wahre Leben ist das hier nicht. Möglicherweise- und das entspräche der Erziehung von Gryphius, sein Vater war evangelischer Diakon – postuliert der Dichter: Das wahre Leben steckt im christlichen Glauben. Immerhin spielt der Autor mit Vers vier[3] auf Christus als den guten Hirten an. Dort heißt es: „... auf der ein Schäferskind wird spielen mit der Herden.”Auch die direkte Anrede der Leserschaft mit ‚Du’ in Zeile 1, in der frühen Version des Gedichts hieß es noch ‚Ich’, unterstreicht die seelsorgerische Absicht des Verfassers.
Es gibt noch eine zweite Interpretationsmöglichkeit der angesprochenen Textstellen.
Man kann Zeile 4 auch direkt auf Zeile 13 beziehen, wo geschrieben steht: „...als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfindt?” Zusammen mit: „Was itzund blüht, soll bald zertreten werden!”, kann das bedeuten, die Wiese für das Schäferskind wird es nicht mehr geben, also wird auch der gute Hirte, Jesus, nicht mehr kommen, um uns aus dem Jammertal Welt zu erretten.
Tröstendes und Verzweiflung sind ineinander verschränkt wie die verschiedenen Motive einer Fuge. Weil die Menschen nicht dazu bereit sind, sich maßgeblich auf das zu besinnen, was bleibt, weil sie nicht bereit dazu sind, auf die Ewigkeit hin ausgerichtet, zu leben, ist alles vergeblich. Gryphius beklagt unsere Betrachtensweise, wir wollen nicht sehen, dass in allem von Anfang an der Tod (die Vergänglichkeit) mit angelegt ist. Wir verdrängen die Tatsache, dass der Mensch, wie alles andere auch, sterblich ist.
Der Barockdichter zieht daraus nicht den Schluss, sei fröhlich, genieße, solange du kannst, weil der liebe Gott dir gerade mal gnädig ist. Er argumentiert konträr zu dem, was im biblischen Original[4] vorgegeben ist. Darin zeigt sich - Gryphius studierte in Leiden - seine calvinistische Prägung.
Wortwiederholung
Du siehst wohin du siehst,
Wo itzund – Was itzund
etc.
Kein Erz, kein Marmorstein
Asyndeton - nicht durch (Bindewort) Konjunktion miteinander verbundene Worte, Satzteile
Schatten, Staub und Wind
Das Asyndeton als Stilfigur spiegelt den Auflösungsprozess von allem Materiellen, Irdischen
Lautmalerei (Onomatopoesie)
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch bestehen?
(überwiegend hellklingende Vokale als Ausdruck dafür, dass das Schicksal des Menschen, der Mensch selbst, unwichtig unbedeutend sind)
Alliteration (Stabreim) – Übereinstimmung des ersten Buchstabens von zwei oder mehreren Worten
Der hohen T aten Ruhm muss wie ein T raum vergehen.
= gleichzeitig Hyperbaton = Abweichung von der üblichen Wortstellung.
Die abweichende Wortstellung signalisiert:Ihr müsst von euren bisherigen Vorstellungen abweichen, lebt anders, mehr aufs Jenseits bezogen, setzt andere Akzente in eurem Leben, es kommt auf Liebe Glaube, Hoffnung im christlichen Sinne an.
Parallelismus
Gleiche Anordnung von Satzteilen verschiedener Sätze.
Was itzund ... blüht, soll bald zertreten sein.
Was itzt so trotzt, ist morgen Asch und Bein.
Als schlechte Nichtigkeit ...
Als eine Wiesenblum ...
Die Parallelismen und die Anaphern
Was Z.2
Was Z. 4
Was Z 5
und
Als Z.12
Als Z. 13
haben die Funktion alle Konkreta und Abstrakta, die als Beispiele in die Argumentation einfließen, gleichzustellen.
[...]
[1] https://de.wikisource.org/wiki/D%C3%BB_bist_m%C3%AEn,_ich_bin_d%C3%AEn
[2] https://de.wikisource.org/wiki/Es_ist_alles_eitel
[3] Evangelium des Johannes Kapitel 10, http://www.bibelwissenschaft.de/bibeltext/Joh%2010,1-18/
[4] Der Prediger Salomo. Das 1. Kapitel http://www.bibel-online.net/buch/43.johannes/10.html
- Citar trabajo
- Gert Singer (Autor), 2016, Lyrik von Andreas Gryphius bis Ulla Hahn. Textbeschreibungen zur Vorbereitung auf die Mittlere Reife im Fach Deutsch, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/338412
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