In dieser Ausarbeitung wird die Autobiographie „Weiter leben“ von Ruth Klüger mit einer Veranstaltung aus der Gedenkstättenpädagogik verglichen, um aufzuzeigen, ob Ruth Klüger eine solche Form der geschichtlichen Auseinandersetzung von der Nachkriegsgeneration überhaupt erwarten kann. Schwerpunktmäßig bezieht die Autorin sich hierbei auf das Kapitel „die Lager“, um darlegen zu können, in wie fern beziehungsweise ob eine geschichtliche Auseinandersetzung bezüglich der deutschen Vergangenheit mit der Bewahrung von Gedenkstätten ermöglicht wird.
Bewahrung der Gedenkstätten. Wozu nur?
Mit Ruth Klügers Autobiographie zu: „Weiter leben. Eine Jugend“ fordert sie eine besondere Form der Auseinandersetzung mit dem zweiten Weltkrieg, welches sie durch ihre Angriffslustigkeit, ihrem Trotz und gleichzeitig durch ihr hohes Maß an Selbstkritik veranlasst.[1] Dabei legt sie ihr Augenmerk besonders streng, auf die deutsche Bewältigung mit der Holocaustvergangenheit, welches sie anlässlich des Umganges mit dem Thema Auschwitz ins Gericht ziehen lässt. So empfindet sie „die Museumskultur der KZ´s“ als „ein Gemisch aus Sakralisierung, Besserwisserei, Tabuisierung und kathartischer Verdrängung dessen, was sie selbst erlebt hat, “[2] welches Sie in ihrem Kapitel „Die Lager“ dem Leser deutlich macht. Mit der Aussage: „Bewahrung der Stätten. Wozu nur?“[3] wird ihre Einstellung diesbezüglich deutlich.
In dieser Ausarbeitung möchte ich die Autobiographie „Weiter leben“ von Ruth Klüger mit einer Veranstaltung aus der Gedenkstättenpädagogik vergleichen, um aufzuzeigen, ob Ruth Klüger eine solche Form der geschichtlichen Auseinandersetzung von der Nachkriegsgeneration überhaupt erwarten kann. Schwerpunktmäßig beziehe ich mich hierbei auf das oben genannte Kapitel „die Lager“, um darlegen zu können, in wie fern beziehungsweise ob eine geschichtliche Auseinandersetzung bezüglich der deutschen Vergangenheit mit der Bewahrung von Gedenkstätten ermöglicht wird.
Die Veranstaltung die ich ihrer Autobiographie entgegensetze, wird in Benedikt Widmaier und Gerd Steffens „Politische Bildung nach Auschwitz. Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur heute“ von den Autoren Sylvia Heitz und Helmut Rook „Der Gedenkstättenbesuch im historisch- politischen Unterricht“ vorgestellt.
So wird ein Seminar für Studenten angeboten, welches sich aus einem fünftägigen Gedenkstättenbesuch im Buchenwald, sowie einer jeweiligen vorbereitenden und nachbereitenden Blockveranstaltung zusammensetzt und dessen Inhalte sich auf die Gedenkstättenpädagogik mit ihrer Didaktik beziehen. Der Aufenthalt in Buchenwald ist dabei bewusst als Lernort gewählt worden, da er den Studenten helfen soll, sich neben dem allgemeinen Mitgefühl mit den Opfern und dem daraus resultierenden Lernen aus der Geschichte für die Gegenwart, ein reflektiertes Geschichtsbewusstseins an zu eignen. Darüber hinaus soll durch ein didaktisches Vorgehen der Lehrenden erreicht werden, dass die Studenten neben der obligatorischen Vermittlung von Geschichtswissen, ihre Kompetenzen im Umgang mit der Geschichte stärken, welches sie dazu befähigen soll, eine eigene Haltung/ Handlungsmotivation für die Gegenwart zu entwickeln.[4]
Alleine nur in der prägnanten Zusammenfassung des Seminars (s.o.) ist ersichtlich, welche Aspekte im Vergleich zu den üblichen eintägigen Fahrten von Schulgruppen zu den Gedenkstätten[5], oder den üblichen Besuchen von Touristen förderlich wären, um eine mögliche Form der erweiternden Auseinandersetzung begehen zu können, welche sich auch auf den Nutzen von KZ- Lagern bezieht.[6] Doch inwieweit diese Auseinandersetzung, mit den allgemeinen Vorstellungen von Ruth Klüger übereinstimmt bleibt fraglich.
Ruth Klüger Ruth Klüger, geboren am 30. Oktober 1931 in Wien, musste schon als Kind und Tochter eines jüdischen Frauenarztes erfahren was Diskriminierung bedeutet. Sie blieb somit auch nicht von der antisemtischen Verfolgung verschont, welches eine Deportation in verschiedene Konzentrationslager (Theresienstadt, Auschwitz- Birkenau und Christianstadt) zur Folge hatte.[7] Als Betroffene und Überlebende, weiß sie deswegen nur all zu gut, welchen Unterschied es ausmacht, den Krieg selber miterlebt zu haben, oder von diesem zu lesen. Deswegen war es ihr besonders wichtig, ihre Autobiographie so zu gestalten, um diesbezüglich ein Bewusstsein zu schaffen, dass nicht auf Verschönerungen basiert, sondern ihre Geschichte so wahrheitsgetreu wie möglich darstellt. Dementsprechend beschreibt sie bspw. die spät etablierten Bezeichnungen für „Holocaust“ und „Shoah“ als einfache Worte, welche nicht bezeichnen können, was vor 1945 in Europa geschah.[8] Ihre Einstellung bezüglich der Gedenkstättenerhaltung, welche sie mittels der Aussage:“ Bewahrung der Stätten. Wozu nur?“ deutlich macht, begründet sie unter anderem angriffslustig mit dieser Textpassage:
Dachau hab ich einmal besucht, weil amerikanische Bekannte es wünschten. Da war alles sauber und ordentlich, und man brauchte schon mehr Phantasie, als die meisten Menschen haben, um sich vorzustellen, was dort vor vierzig Jahren gespielt wurde. Steine, Holz, Baracken, Appellplatz. Das Holz riecht frisch und harzig, über den geräumigen Appellplatz weht ein belebender Wind, und diese Baracken wirken fast einladend. Was kann einem da einfallen, man assoziiert eventuell eher Ferienlager als gefoltertes Leben. Und heimlich denkt jeder Besucher, er hätte es schon schlimmer gehabt als die Häftlinge da in dem ordentlichen deutschen Lager. Das mindeste, was dazu gehörte, wäre die Ausdünstung menschlicher Körper, der Geruch und die Ausstrahlung von Angst, die geballte Aggressivität, das reduzierte Leben.[9]
Mit dieser von ihr oben beschriebenen subjektiven Empfindung der heutigen KZ- Lager, steht sie jedoch nicht alleine da. So wird dieses auch bei dem Text „Der Gedenkstättenbesuch im historisch-politischen Unterricht“ angesprochen:
Buchenwald ist ein als Gedenkstätte gestalteter und somit überformter historischer Ort. Die Erwartungshaltung vieler Schüler, ein ehemaliges Konzentrationslager zu besuchen, wird in mehrfacher Hinsicht enttäuscht. Nicht nur der weithin abgetragene Ort erzeugt Enttäuschung dieser Erwartungshaltung, seine mehrfache Umgestaltung im Laufe der Geschichte als Gedenkstätte macht den Ort schwer lesbar. Er erschließt sich keinesfalls allein, es bedarf pädagogisch gestützter Begleitung, Anleitung und Erschließungshilfen, um einen Prozess des forschenden und entdeckenden Lernens überhaupt zu ermöglichen.[10]
Beide Parteien sind sich also somit einig darüber, dass die KZ- Lager das Grauen der damaligen Zeit nicht repräsentieren können. Doch im Gegenzug dazu haben sie durchaus unterschiedliche Ansichten bezüglich der Erhaltung von Gedenkstätten: So gesteht Klüger demnach zwar ein, dass beispielsweise die Quellen im KZ-Lager, wie ausgehängte Bilder, schriftlich angeführte Daten und Fakten, oder Dokumentarfilme nützlich sein könnten, um die Vergangenheit besser nach zu vollziehen, aber von ihrer Überzeugung dass das KZ als Ortschaft unnütz wäre, lässt sie sich keinesfalls abbringen.[11] So erläutert sie folgendes:
Es ist unsinnig, die Lager räumlich so darstellen zu wollen, wie sie damals waren. Aber fast so unsinnig ist es, sie mit Worten beschreiben zu wollen, als liege nichts zwischen uns und der Zeit, als es sie noch gab. Die ersten Bücher nach dem Krieg konnten das vielleicht noch, jene Bücher, die damals niemand lesen wollte, aber gerade sie sind es, die unser Denken seither verändert haben, so dass ich heute nicht von den Lagern erzählen kann, als wäre ich die erste, als hätte niemand davon erzählt, als wüsste nicht jeder, der das hier liest, schon so viel darüber, dass er meint, es sei mehr als genug, und als wäre dies alles nicht schon ausgebeutet worden- politisch, ästhetisch und auch als Kitsch.[12]
Dementsprechend solle das Wort Zeitschaft, welches womöglich durch persönliche Erfahrung geprägt wäre, besser dafür geeignet sein, eine Vorstellung über die damaligen Geschehnisse zu vermitteln. Dagegen wäre lediglich die Bereitstellung eines Ortes, welcher sich nun in einer anderen Zeit befände, nicht mehr in der Lage diese Zeitschaften zu vermitteln. Das KZ würde somit also genauso viel verschweigen, wie es auch zu vermitteln mag.[13]
Im Gegensatz dazu sehen die Veranstalter des Seminars in der Wahrung der KZ-Lager als Orte einen entscheidenden Vorteil: Das KZ als Ort kann in ihren Augen als Lernort fungieren, da er für die Studierenden einen Raum zur Verfügung stellt, sich intensiv mit der Geschichte auseinander zu setzen. So bietet er ihnen beispielsweise die Möglichkeit an mithilfe unterschiedlichster Quellen zu forschen, welches für sie einen möglichst individuellen Zugang beziehungsweise eine Auseinandersetzung mit den dort neu erworbenen Einsichten und Werteorientierungen erlaube. Zudem solle durch die stetige, pädagogische Begleitung der jeweiligen Lernprozesse gewährleistet werden, dass die Studierenden lernen, diese Quellen umfangreich zu deuten. Das daraus resultierende, selbstverantwortende Geschichtsbewusstsein solle dann eine demokratische Grundhaltung und ein rassismuskritisches Engagement fördern, sowie ein Eintreten für die Menschenrechte stärken. Der politische Bildungsgehalt, welcher durch die Beschäftigung mit den Lagern möglich ist, wäre in Folge damit dann für die Studierenden als persönlichen Gewinn garantiert. Zudem wünschen sich die Veranstalter, dass die Studierenden ihre Erfahrung als Lernende im Rahmen des Gedenkstättenbesuches sowie die pädagogischen Handlungen, die diese Lernerfahrungen bei ihnen auslösen oder möglicherweise verfehlen, reflektieren um später einmal diesen Gewinn aus dem politischen Lernen, auch bezogen auch auf diesen Ort, für Andere anregen zu können.[14] Dabei müsse man jedoch beachten, dass die von den Studierenden gewonnenen, genoizidforschungsrelevanten Lehrinhalte aus dem Seminar immer in einem zeithistorischen Kontext zu sehen seien.
Trotz des kargen Erscheinungsbildes des ehemaligen Lagergeländes gibt es in Buchenwald eine Fülle von Relikten im Gelände, stehen zahlreiche Quellen aller Art zur Verfügung, die Hinweise geben und Rückschlüsse auf die Bedeutung des Ortes im historischen Kontext sowie die Lebens- und Handlungsbedingungen der Menschen (Täter wie Opfer) zulassen.[15]
Ruth Klüger betrachtet hingegen genau solche Ergebnisse aus der modernen Genozidforschung, die im Hinblick auf der deutschen Vergangenheits-bewältigung gewonnen wurden, kritisch. So sagt sie, dass es niemanden außer den Zeitzeugen selber, eigentlich klar wäre, was in den Vernichtungslagern und -Gettos verbrochen wurde - und schon gar nicht, was es bedeutet, der Shoah entkommen zu sein und danach weiter zu leben. Eine Wand wäre somit immer zwischen den Generationen, da man das emotional Erlebte in keinster Art und Weise vermitteln könne[16] und verspottet somit im selben Atemzug die Museumskultur der KZs. So vergleicht sie die Bewahrung einer Gedenkstätte unter anderem auch mit einem Versuch der Gespensterbannung:
Wir erwarten, dass Ungelöstes gelöst wird, wenn man nur beharrlich festhält an dem, was übrig blieb, dem Ort, den Steinen, der Asche. Nicht die Toten ehren wir mit diesen unschönen, unscheinbaren Resten vergangener Verbrechen, wir sammeln und bewahren sie, weil wir sie irgendwie brauchen: Sollen sie etwa unser Unbehagen erst beschwören, dann beschwichtigen? Der ungelöste Knoten, den so ein verletztes Tabu wie Massenmord, Kindermord hinterläßt, verwandelt sich zum unerlösten Gespenst, dem wir eine Art Heimat gewähren, wo es spuken darf. Ängstliches Abgrenzen gegen mögliche Vergleiche, Bestehen auf der Einmaligkeit des Verbrechens. Nie wieder soll es geschehen.[17]
[...]
[1] vgl. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11848/
[2] vgl. Dr. Schmidt, Nadine-Jessica: Konstruktionen literarischer Authentizität in autobiographischen Erzähltexten: Exemplarische Analysen zu Christa Wolf, Ruth Klüger, Binjamin Wilkomirski und Günter Grass, Band 3 von Literatur- und Mediengeschichte der Moderne. Hrsg: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014, S. 185.
[3] Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.70.
[4] vgl. Heitz, Sylvia/ Rook, Helmut: Der Gedenkstättenbesuch im historisch-politischen Unterricht. S. 101-121.
[5] vgl. Heitz, Sylvia/ Rook, Helmut: Der Gedenkstättenbesuch im historisch-politischen Unterricht, S.102.
[6] vgl. Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.75.
[7] vgl. http://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Biographien/Kl%C3%BCger%2C_Ruth
[8] vgl. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11848
[9] Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.77.
[10] Heitz, Sylvia/ Rook, Helmut: Der Gedenkstättenbesuch im historisch-politischen Unterricht, S.103.
[11] vgl. Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.78.
[12] Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.78-79.
[13] vgl. Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.79.
[14] vgl. Heitz, Sylvia/ Rook, Helmut: Der Gedenkstättenbesuch im historisch-politischen Unterricht, S.101- 103.
[15] Heitz, Sylvia/ Rook, Helmut: Der Gedenkstättenbesuch im historisch-politischen Unterricht, S.103.
[16] vgl. http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11848
[17] Klüger, Ruth: Weiter leben. Eine Jugend. Hrsg: Göttingen 2001 (10. Auflage), S.70.
- Arbeit zitieren
- Sabine Schmidt (Autor:in), 2015, Wozu bewahren wir Gedänkstätten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337878
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