Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass bis zu 95 % aller menschlichen Entscheidungen unbewusst getroffen werden, somit auch Kaufentscheidungen. Dies bedeutet, dass entgegen der lang vorherrschenden Vorstellung des rational handelnden Konsumenten nun davon ausgegangen werden kann, dass der Konsument Entscheidungen hauptsächlich emotional trifft und seine Entscheidungsprozesse auf impliziten, unbewussten Vorgängen innerhalb seines Gehirns basieren.
Aufgrund dieser und weiterer Erkenntnisse der Neurowissenschaft muss ein Umdenken seitens der Unternehmen hinsichtlich ihrer Marketingstrategien stattfinden, um weiterhin Kundenbedürfnisse bestmöglich befriedigen zu können und so den Absatz zu steigern. Dies gilt natürlich auch für das Direktmarketing. Ziel dieser Arbeit ist es, mithilfe aktueller Erkenntnisse des Neuromarketings Möglichkeiten für die Konzeption von Mailings aufzuzeigen, die den Erfolg der Mailings erhöhen.
Im ersten Teil der Arbeit werden Mailings definiert und deren Bestandteile erläutert. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Aufgaben und Ziele von Mailings eingegangen, sowie auf die Unterschiede zwischen Mailings und E-Mailings und deren Vor- und Nachteile. Weiterhin wird der Begriff des Neuromarketings definiert und die zum Verständnis der Arbeit notwendigen neurophysiologischen Grundlagen werden kurz erläutert. Daneben kommt es zu einer Darstellung der verschiedenen Untersuchungsmethoden, die im Neuromarketing eingesetzt werden. Ferner befasst sich dieser Teil der Arbeit mit der Bedeutung von Emotionen und Motiven sowie der Rolle des Unbewussten (Impliziten) bzw. Bewussten (Expliziten) beim menschlichen Entscheidungsprozess.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Mailings
2.1 Definition und Bestandteile
2.2 Aufgaben und Ziele
2.3 Vor- und Nachteile von E-Mailings gegenüber Mailings
3. Neuromarketing
3.1 Definition und Bedeutung
3.2 Neuronales Netzwerk und Verhaltenssteuerung
3.3 Untersuchungsmethoden
3.4 Das explizite und das implizite System
3.5 Die Bedeutung von Emotionen und Motiven
4. Neurowissenschaftliche Erfolgsfaktoren für die Mailingkreation
4.1 Zielgruppenauswahl - und Ansprache
4.1.1 Bedeutung
4.1.2 Limbic Types®
4.1.3 Visual Questionnaire (ViQ)
4.2 Verwendung von Codes als Bedeutungsträger
5. Empfehlungen für die Mailinggestaltung
5.1 Sprache und Textgestaltung
5.2 Bilder und Symbole
5.3 Farbwelt und Tonalität
5.4 Stimulation der Sinne
6. Best Practice
6.1 Sparkassen-Mailing
6.2 RWE-Mailing
7. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhangverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Aufbau des Gehirns
Abbildung 2: Deckblatt Sparkassen-Mailing
Abbildung 3: Werbebrief Sparkassen-Mailing
Abbildung 4: Reaktionsmittel Sparkassen-Mailing
Abbildung 5: RWE-Mikromailing
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Überblick über Consumer-Neuroscience Methoden mit und ohne direktem Bezug zum Gehirn
1. Einleitung
„Whenever thinking conflicts with emotions, emotions win.“1 Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass bis zu 95 % aller menschlichen Entscheidungen unbewusst getroffen werden, somit auch Kaufentscheidungen. Dies bedeutet, dass entgegen der lang vorherrschenden Vorstellung des rational handelnden Konsumenten nun davon ausgegangen werden kann, dass der Konsument Entscheidungen hauptsächlich emotional trifft und seine Entscheidungsprozesse auf impliziten, unbewussten Vorgängen innerhalb seines Gehirns basieren.2 Aufgrund dieser und weiterer Erkenntnisse der Neurowissenschaft muss ein Umdenken seitens der Unternehmen hinsichtlich ihrer Marketingstrategien stattfinden, um weiterhin Kundenbedürfnisse bestmöglich befriedigen zu können und so den Absatz zu steigern. Dies gilt natürlich auch für das Direktmarketing. Ziel dieser Arbeit ist es, mithilfe aktueller Erkenntnisse des Neuromarketings Möglichkeiten für die Konzeption von Mailings aufzuzeigen, die den Erfolg der Mailings erhöhen.
Im ersten Teil der Arbeit werden Mailings definiert und deren Bestandteile erläutert. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Aufgaben und Ziele von Mailings eingegangen, sowie auf die Unterschiede zwischen Mailings und E-Mailings und deren Vor- und Nachteile. Weiterhin wird der Begriff des Neuromarketings definiert und die zum Verständnis der Arbeit notwendigen neurophysiologischen Grundlagen werden kurz erläutert. Daneben kommt es zu einer Darstellung der verschiedenen Untersuchungs- methoden, die im Neuromarketing eingesetzt werden. Ferner befasst sich dieser Teil der Arbeit mit der Bedeutung von Emotionen und Motiven sowie der Rolle des Unbewussten (Impliziten) bzw. Bewussten (Expliziten) beim menschlichen Entscheidungsprozess.
Der Hauptteil der Arbeit beschäftigt sich mit den verschiedenen neurophysiologischen Faktoren, die für die Mailingkreation erfolgstreibend sind. Ein Schwerpunkt des Hauptteils liegt auf der Auswahl der Zielgruppe des Mailings. Hierzu werden zwei verschiedene Verfahren vorgestellt und analysiert. Weiterhin wird auf die Verwendung von Codes in Werbebriefen eingegangen, die als Bedeutungsträger dienen und dazu genutzt werden eine höhere Wirkung der Werbebotschaft im Gehirn des Konsumenten zu erzielen. Außerdem beschäftigt sich der Hauptteil mit der grafischen und textlichen Gestaltung des Mailings. Hier werden konkrete Empfehlungen gegeben, wie ein Mailing gestaltet werden soll, um den größtmöglichen Erfolg zu erzielen. Es werden weiterhin zwei Best Practice Beispiele vorgestellt und analysiert.
Schließlich wird ein Fazit der Arbeit gezogen. Es werden nicht nur die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit dargestellt, sondern auch die sich daraus ergebenden Handlungsempfehlungen zusammengefasst. Außerdem erfolgt ein Ausblick in die Zukunft des Neuromarketings in Hinblick auf die Mailingkonzeption.
2. Mailings
2.1 Definition und Bestandteile
Von allen Dialogmarketingmedien sind die volladressierten Werbesendungen das ausgabenstärkste Medium. Weiterhin spielt vor allem der wachsende Gesamtmarkt für Online-Werbung bzw. E-Mail-Marketing eine besondere Rolle.3 So haben im Jahr 2009 laut einer Studie der Deutschen Post 633.000 Unternehmen volladressierte Werbesendungen genutzt und für dieses Medium 10,2 Mrd. Euro ausgegeben.4 Hinsichtlich der Gesamtausgaben stehen die adressierten Werbesendungen somit an erster Stelle. Für E-Mail-Marketing wurde von den Unternehmen hingegen nur 2,0 Mrd. Euro ausgegeben; die Nutzerzahl ist mit 599.000 Nutzern jedoch auch sehr hoch.5
Das Mailing stellt die klassische Form der adressierten Werbesendungen dar, als E- Mailing hingegen bezeichnet man die neuere, elektronische Version des klassischen Mailings.6 Mailings können als ein- oder mehrstufige Aktionen durchgeführt werden, auf diese Unterscheidung wird im Rahmen dieser Arbeit aber nicht weiter eingegangen. Außerdem unterscheidet man zwischen adressierten Werbesendungen (Direct Mailings), die selektierten Zielpersonen direkt zugesandt werden (entweder per Post oder per E- Mail) und nicht adressierten Werbesendungen.7 Unadressierte Werbesendungen tragen im Gegensatz zu adressierten Werbesendungen keine aufgedruckte Adresse des Empfängers und aufgrund des fehlenden Kontakts zwischen Absender und Empfänger lassen sie sich auch nur bedingt den Maßnahmen des Direktmarketings zuordnen.8 Daher wird diese Form der Werbesendung in dieser Arbeit nicht berücksichtigt.
Ein Mailing sollte mindestens aus vier Bestandteilen bestehen: Kuvert, Brief, Prospekt und Reaktionsmittel. Der Kuvert hat nicht nur die Aufgabe den gesendeten Inhalt zu schützen, sondern dient vor allem auch dazu, das Interesse des Empfängers zu wecken und ihn dazu zu bewegen den Umschlag zu öffnen. Die Bedeutung der Gestaltung des Kuverts ist somit nicht zu unterschätzen, vor allem wenn man davon ausgehen kann, dass 10 bis 15 % aller Mailings ungeöffnet weg geworfen werden.9 Zur Steigerung des Interesses können zum Beispiel Maßnahmen, wie die Verwendung einer hochwertigen Papierqualität, eine adäquate farbliche Gestaltung sowie die Verwendung von Sondergrößen und Sondermarken genutzt werden.10 Dem Werbebrief kommt eine zentrale Rolle beim Mailingversand zu; er ersetzt praktisch das Verkaufsgespräch, das bei einem persönlichen Kontakt der Verkäufer führen würde. In dem Brief wird dem Empfänger die zentrale Werbebotschaft übermittelt und die Vorteile des Angebots werden erläutert.11 Der Prospekt hat die Aufgabe das Angebot ausführlicher darzustellen und weitergehende Produktinformationen zu liefern. Hier sind kleinere Stuffer und Flyer denkbar, aber auch größere Beilagen wie Coupons oder Preislisten, bis hin zu Katalogen, die den Empfänger dazu anregen sollen, sich genauer mit dem Angebot zu befassen.12 Das Reaktionsmittel, das zum Beispiel in Form einer Antwortkarte oder eines Bestellscheins vorliegen kann, soll den Empfänger zu einer Reaktion veranlassen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte das Reaktionsmittel einfach auszufüllen sein und dem Mailing sollte außerdem ein Rückumschlag beigefügt werden.13 So wird dem Empfänger eine Reaktion erleichtert und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch wirklich eintritt.
2.2 Aufgaben und Ziele
Der Einsatz von Mailings als Werbeinstrument hat viele Vorteile: Die Erfolgschance eines Mailings ist vergleichsweise groß und eine Mailing-Aktion ist meist nur mit einem geringen finanziellen Aufwand verbunden. Außerdem können gezielt bestimmte Zielgruppen angesprochen und ein persönlicher Kontakt zu diesen hergestellt werden.14 Das oberste Ziel beim Versand von adressierten Werbesendungen ist es, eine Reaktion bei den Empfängern auszulösen.15 Mögliche Reaktionen können zum Beispiel die Anforderung von weiteren Informationen zum Angebot, eine Bestellung, ein Telefonanruf oder Vertreterbesuch sein, aber auch die Teilnahme an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel.16 Ob eine Reaktion seitens des Empfängers erfolgt oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa die richtige Auswahl und Ansprache der Zielgruppe und natürlich die Gestaltung des Mailings. Auf diese Faktoren wird in Kapitel 4 und 5 im Detail eingegangen. Mailing-Aktionen können verschiedene Aufgaben haben und unterschiedliche Ziele verfolgen. Eine sehr bedeutende Aufgabe ist die Kundengewinnung. Gerade für Unternehmen, die noch am Anfang ihrer Geschäftstätigkeit stehen und sich somit keine teuren Werbekampagnen oder einen aufwendigen Außendienst leisten können, ist der Versand von Mailings geeignet um neue Kunden zu gewinnen. Mailings sind preiswert und Erfolge bzw. Misserfolge sind zudem auch noch schnell sichtbar und Unternehmen haben so die Möglichkeit sofort darauf reagieren zu können.17 Die Kundengewinnung durch Directmailing ist ein mehrstufiger Prozess: Zunächst wird den möglichen Interessenten ein kurzer Werbebrief zugeschickt, der über das Angebot informiert (Interessentengewinnung), anschließend wird bei bestehendem Interesse ein weiteres Mailing versandt, um so die Interessenten in Käufer umzuwandeln.18 Eine weitere wichtige Aufgabe von Mailings besteht in der Neukundenbindung. Hier besteht die Möglichkeit durch die kontinuierliche Betreuung per Brief oder E-Mail aus Einmalkäufern Stammkunden zu machen oder auch inaktive Kunden, die länger nichts mehr gekauft haben, wieder zu „aktivieren“, sodass der Kontakt zum Unternehmen bestehen bleibt.19 Es gibt noch viele weitere Aufgaben, wie z.B. der Verkauf von Produkten sowie Vorstellungen bzw. Tests von Produktneuheiten. Darüber hinaus können diverse Einladungen verschickt werden oder auf besondere Ereignisse aufmerksam gemacht werden (Messen, Events). Nicht zuletzt helfen Mailings auch dabei das Image und den Bekanntheitsgrad eines Unternehmens zu steigern.20
2.3 Vor- und Nachteile von E-Mailings gegenüber Mailings
Laut einer Studie der Artegic AG nutzen bereits fast die Hälfte (46 %) der deutschen Industrieunternehmen E-Mail-Marketing und weitere 9 % planen den Einsatz.21 Das liegt vor allem daran, dass E-Mail-Marketing bzw. der Versand von E-Mailings viele Vorteile gegenüber den klassischen Print-Mailings hat. Die größten Vorteile liegen sicherlich in der Kostenersparnis und der Schnelligkeit von E-Mails. So spart nicht nur der Absender Papier-, Druck- und Portokosten, sondern auch der Empfänger kann auf den Kauf einer Briefmarke und den Gang zum Briefkasten verzichten.22 E-Mails können innerhalb von Sekunden verschickt werden und aktuelle Informationen stehen dem Empfänger somit sofort zur Verfügung.23 Weiterhin ist die Responsequote im Vergleich zu klassischen Mailings viel höher, da der Kunde bequem und einfach, oftmals nur per Mausklick, reagieren kann.24 Weitere Vorteile bestehen darin, dass E-Mails problemlos an kundenspezifische Bedürfnisse angepasst werden können und diese somit differenzierter angesprochen werden können. Im Gegensatz zu Print-Mailings kann per E-Mail auch für Produkte mit niedrigem Preis geworben werden, da die Aktionskosten geringer und somit gedeckt sind. Außerdem besteht bei E-Mailings die Möglichkeit einer konkreten Erfolgsmessung: Es kann vollautomatisch kontrolliert werden, welche E-Mail gelesen wurde und welche nicht und welches Produkt schließlich am meisten angesehen und gekauft wurde (Öffnungs- und Klickraten).25 Trotz dieser vielen Vorteile und der hohen Akzeptanz von E-Mails als Kommunikationsmedium seitens der Kunden, zögern immer noch knapp die Hälfte der Industrieunternehmen E-Mail-Marketing zu betreiben.26 Das kann zum Beispiel daran liegen, dass längst noch nicht alle Menschen einen Computer mit Internetzugang besitzen, insbesondere ältere Zielgruppen, aber auch daran, dass erst eine Zustimmung des Empfängers erfolgen muss, dass er Werbe-E-Mails erhalten möchte.27 Weitere Nachteile sehen befragte Unternehmen darin, dass E-Mail-Marketing nicht effektiv ist (15 %), 4 % fehlt es an den nötigen technischen und haben mit E-Mail-Marketing in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht und weiteren organisatorischen Möglichkeiten.28 Auch kann man beim E-Mail-Marketing nicht nur Kosten einsparen, es kommen teilweise noch Kosten hinzu, wie etwa für Providergebühren, Softwarelizenzen und Gestaltungshonorare. Außerdem kann es passieren, dass Kunden vielleicht nicht mit einer Bestellung reagieren, da sie Angst haben ihre Bankdaten im Internet preiszugeben.29 Trotzdem ist E-Mail-Marketing immer noch das effizienteste Marketinginstrument30 und die Anzahl der Unternehmen, die E-Mail- Marketing nutzen, wird in Zukunft wahrscheinlich noch steigen. Deshalb wird es immer wichtiger Möglichkeiten zu finden, die verhindern, dass bei so einer „Überflutung“ von E- Mails, die meisten E-Mails direkt im Spamfilter landen und gar nicht erst gelesen werden.
3. Neuromarketing
3.1 Definition und Bedeutung
Das Neuromarketing, auch „Consumer-Neuroscience“ genannt, hat seine Ursprünge in den Wirtschaftswissenschaften, genauer gesagt in der Neuroökonomik. Diese entwickelte sich vor ca. 10 Jahren als ein Teilgebiet der psychologisch beeinflussten Verhaltensökonomik und versucht ökonomisches Verhalten mithilfe von Verfahren, Erkenntnissen und Theorien der Neurowissenschaften zu erklären. Auf das Marketing wurden diese neuen Erkenntnisse und Methoden erst etwa 2003 angewendet.31
Raab, Gernsheimer und Schindler definieren Neuromarketing als eine „sehr junge, interdisziplinäre Forschungsrichtung, die aufbauend auf einer induktiven Vorgehensweise Erkenntnisse und Verfahren aus den Neurowissenschaften, der Kognitionswissenschaft und der Marktforschung im Rahmen von marketingrelevanten Themen integriert und verknüpft.“32 Nach Häusel beschäftigt sich Neuromarketing mit der Frage, wie „Kauf- und Wahlentscheidungen im menschlichen Gehirn ablaufen (das Interesse der akademischen Forschung), vor allem aber, wie man sie beeinflussen kann (das Interesse der Praxis).“33 Weiterhin kann zwischen einer engeren und einer erweiterten Definition des Neuromarketings differenziert werden. Die engere Definition beschränkt sich nur auf den Einsatz von apparativen Verfahren der Hirnforschung zu Marktforschungszwecken, wie zum Beispiel fMRT, MEG und EEG, auf die in Abschnitt 3.3 noch genauer eingegangen wird.34 Im Gegensatz dazu, umfasst die erweiterte Definition zusätzlich zu den apparativen Verfahren, sämtliche für das Marketing relevante Erkenntnisse der Hirnforschung. Dazu zählen beispielsweise die neurowissenschaftliche Bewusstseinsfor- schung, die neurowissenschaftliche Emotionsforschung, multisensorische Verarbeitungs- prozesse im Gehirn, die Neurolinguistik und die neurowissenschaftliche Persönlichkeits- forschung.35 Das bedeutet also, dass Neuromarketing mehr ist als nur die Anwendung apparativer Verfahren, vielmehr integriert und verknüpft es Erkenntnisse und Verfahren vieler Disziplinen wie Hirnforschung, Psychologie, Marketing, Marktforschung und Kulturwissenschaft.36
Der Einsatz des Neuromarketings in der Marktforschung ist von großer Bedeutung, da die klassischen Verfahren der Marktforschung zunehmend an ihre Grenzen stoßen. Das Problem besteht darin, dass Kunden oft nicht die wahren Gründe für ihr Kaufverhalten kennen und so auch keine Auskunft darüber geben können, da viele Signale unterbewusst wirken.37 Das bedeutet, dass bei einer klassischen Befragung oftmals nicht die Aspekte genannt werden, die wirklich für die Kaufentscheidung ausschlaggebend waren und somit das Ergebnis nicht sehr aussagekräftig für den Marktforscher ist. Um die unbewussten Entscheidungen des Kunden besser verstehen zu können, kann eine Analyse der unterschiedlichen Gehirnaktivitäten helfen. Neurowissenschaftliche Methoden sind zudem viel objektiver als verbale Aussagen von Konsumenten, da diese auf ihre Gehirnaktivitäten kaum Einfluss nehmen können.38
Die Bedeutung der Hirnforschung für das klassische Marketing sowie für das Direkt- /Dialogmarketing ist immens. Einige bisher vorherrschende Kenntnisse und Meinungen müssen revidiert werden, da die Hirnforschung ganz neue Erkenntnisse hervorbringt, die dem Marketing einige neue Perspektiven geben.39 Zum einen muss von dem klassischen AIDA-Modell (Attention, Interest, Desire, Action) Abschied genommen werden, da kognitive Verarbeitungsprozesse im Gehirn tatsächlich anders ablaufen, als es in dem Modell dargestellt wird.40 Die Kaufentscheidung ist also keine nacheinander ablaufende Reihe von Reaktionen, sondern ein Prozess, der sehr schnell, spontan und teilweise parallel verläuft.41 Deshalb sollte der Ausgangspunkt einer Werbebotschaft nicht mehr sein, Aufmerksamkeit zu erregen, sondern das Bedürfnis bzw. die Motivation des Kunden eine entsprechende Belohnung zu erhalten. Dieses Bedürfnis kann dann, wenn es identifiziert wurde, mithilfe von Signalen angesprochen werden.42 Zum anderen verliert die Vorstellung des rational handelnden Homo oeconomicus, der bei einer Kaufentscheidung stets Kosten und Nutzen abwägt, seine Gültigkeit.43 Denn Kaufentscheidungen werden von Emotionen geprägt: Das Unterbewusstsein steuert 95 % des Kaufverhaltens eines Menschen und die Vernunft spielt somit nur eine untergeordnete Rolle.44 Die Erkenntnisse des Neuromarketings bieten neue Ansätze, die das Verhalten und die Entscheidungen des Konsumenten besser erklären und im Direktmarketing zum Beispiel dazu genutzt werden können, Werbebotschaften so zu gestalten, dass diese den größtmöglichen Erfolg haben bzw. eine positive Reaktion des Kunden hervorrufen.
3.2 Neuronales Netzwerk und Verhaltenssteuerung
Um das Verhalten des Konsumenten besser verstehen und die eigenen Marketingaktivitäten darauf ausrichten zu können, ist es erst einmal notwendig zu verstehen, wie das menschliche Gehirn überhaupt aufgebaut ist und wie es funktioniert. Denn allein das Gehirn entscheidet, welches Mailing beispielsweise wichtig genug ist, um seine Aufmerksamkeit darauf zu richten, es sich zu merken oder sogar darauf zu reagieren.45
In diesem Abschnitt wird der Aufbau des Gehirns sowie die Funktionsweise des neuronalen Netzwerks nicht im Detail erklärt, sondern nur ein grober Überblick darüber gegeben. Das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen, von denen jede einzelne an der Verarbeitung von Informationen, an der Steuerung von Gefühlen sowie an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt ist.46 Die Nervenzellen, auch Neuronen genannt, bestehen aus einem Zellkörper, Dendriten, Axonen und Synapsen.47 Sie stellen die kleinsten Arbeitseinheiten des Gehirns und des zentralen Nervensystems dar und haben die Aufgabe Informationen an andere Nerven-, Muskel- und Drüsenzellen zu transportieren. Diese Verknüpfung erfolgt über Synapsen, unter denen man sich Kontaktpunkte vorstellen kann, an denen ein Neuron mit einem anderen kommuniziert.48 Die Funktionsweise des Gehirns ergibt sich also daraus, wie die Neuronen im Gehirn verschaltet und vernetzt sind und auf welche Weise sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig beeinflussen.49 Die drei wesentlichen Bestandteile des Gehirns sind das Stammhirn, das limbische System und der Neokortex (siehe Abbildung 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Aufbau des Gehirns (Quelle: Bittner/ Schwarz (2010), S. 26)
Das Stammhirn ist der älteste Teil des Gehirns. Dieser ist für die Steuerung von Körperfunktionen wie Atmung und Körpertemperatur sowie für das Verdauungs- und Herzkreislaufsystem verantwortlich.50 Das limbische System, welches teilweise zum Zwischenhirn, aber auch zum Großhirn gezählt wird, hat die Aufgabe die Ausschüttung von Hormonen im Körper zu steuern und wird oft als der Ort bezeichnet, an dem Emotionen entstehen.51 Es kontrolliert einerseits das affektive Verhalten, d.h. Angst, Wut, Sexualität und Aggression, andererseits ist es an Lernprozessen beteiligt und zudem trägt es noch zu der Abspeicherung von Gedächtnisinhalten bei.52 Allerdings wäre es falsch zu sagen, dass das limbische System der einzige Entstehungsort von Emotionen ist, da auch andere Hirnregionen an der Emotionssteuerung und -entstehung beteiligt sind und das limbische System insbesondere vielerlei Befehle vom Großhirn erhält.53 Aufgrund dieser starken Verknüpfungen zu Teilen des Großhirns, kann das emotionale System nicht unabhängig vom kognitiven System betrachtet werden.54 Das kognitive System befindet sich im Neokortex, der 90 % der gesamten Großhirnrinde umfasst.55 Es dient sowohl der Datenspeicherung, als auch der Informationsverarbeitung und stellt das neuronale Netzwerk dar.56 Anhang 1 gibt einen Überblick darüber, wie Informationen in den verschiedenen Teilen des menschlichen Gedächtnisses verarbeitet und gespeichert werden. Ob eine Information vom Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis übertragen wird, hängt von der Anzahl und der Tiefe der Beziehungen (zeitlich, räumlich, semantisch) ab, die zwischen den aufgenommenen Inhalten im Kurzzeitgedächtnis hergestellt werden (Kodierung).57
Neokortex und limbisches System können als diejenigen Gehirnregionen genannt werden, die maßgeblich an der Verhaltenssteuerung beteiligt sind. Der Neokortex berät das limbische System hinsichtlich der Beurteilung neuer Situationen.58 Der präfrontale Kortex ist das „wichtigste Rechenzentrum für Kaufentscheidungen“59 und dient als „Verbindungsstelle zwischen emotionalem Wollen und konkreter Umsetzung in […] Handlung“60. So versucht er einerseits die eigenen Wünsche des Menschen umzusetzen, aber gleichzeitig auch auf die Gegebenheiten der Umwelt und die Bedürfnisse der Mitmenschen zu reagieren. Er besteht hauptsächlich aus zwei Einheiten, einer funktional- kognitiven Einheit und einer emotionalen Einheit, die dem limbischen System zugerechnet wird.61 Die wichtigsten Bestandteile des limbischen Systems sind Hippocampus und Amygdala. Der Hippocampus wird von Raab, Gernsheimer und Schindler als „Hauptorganisator des bewussten, deklarativen Lernens“62 bezeichnet. Dies bedeutet, dass er entscheidet, welche Informationen in welchem Kontext an welchem Ort (welcher Teil des Gedächtnisses) abgespeichert werden.63 Außerdem kann er als das Zentrum des autobiographischen und episodischen Gedächtnisses bezeichnet werden.64 Die Amygdala (Mandelkern) ist ein wichtiger Bestandteil des limbischen Systems, denn sie bewertet und selektiert Informationen und entscheidet darüber, welche Informationen bewusst wahrgenommen werden. Dies sind nur Informationen, die für den Menschen einen emotionalen Sinn ergeben, d.h. ob dadurch eine Belohnung oder eine Bestrafung herbei geführt wird.65 Diese Bewertung hängt wiederum von den individuellen Motiven des Individuums ab. Diese Motivstruktur ist einerseits genetisch vorprogrammiert, aber andererseits auch durch die Sozialisierung des Menschen beeinflusst.66 Da die Amygdala den Neokortex in einem stärkeren Maße beeinflusst als umgekehrt, sind Entscheidungsprozesse stärker emotional geprägt als rational.
3.3 Untersuchungsmethoden
In der Neuromarketing-Forschung werden unterschiedliche Methoden der klassischen Hirnforschung genutzt: elektrophysiologische Verfahren und bildgebende Verfahren, aber auch andere psychophysiologische Verfahren, die keinen direkten Bezug zum Gehirn aufweisen.67 Abbildung 2 gibt einen Überblick über alle Verfahren.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Überblick über Consumer-Neuroscience Methoden mit und ohne direktem Bezug zum Gehirn (Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Felix (2008), S. 47)
Die elektrophysiologischen Verfahren dienen dazu, die Veränderung von elektrischen Strömen im Gehirn darzustellen, d.h. es wird die Aktivität einzelner Nervenzellen gemessen.68 Bei den bildgebenden Verfahren hingegen, können Aktivitäten des gesamten Gehirns dargestellt werden. Dies geschieht über die Messung von Veränderungen der Stoffwechselaktivitäten innerhalb des Gehirns.69 Im Folgenden werden die beiden Verfahren genauer erläutert, die die größte Bedeutung für das Neuromarketing haben, fMRT und MEG.
Als das klassische Verfahren des Neuromarketings kann die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT oder vereinfacht „Hirnscanner“) bezeichnet werden. Auf Grundlage der Messung von Stoffwechselaktivitäten des Gehirns können diejenigen Strukturen im Gehirn dargestellt werden, die beim Denken und Fühlen aktiviert werden.70 Für seine Aktivitäten benötigt das Gehirn Sauerstoff zum Abbau von Glucose, den es in Form von sauerstoffreichem Blut erhält. Wenn das Gehirn also aktiv wird, kann der Hirnscanner diese Aktivität messen, da sich die Veränderung zwischen sauerstoffarmem und sauerstoffreichem Blut auch in einer Veränderung der magnetischen Eigenschaften des Blutes widerspiegelt und diese vom Hirnscanner erkannt werden können.71 Der Hirnscanner kann demnach nicht dabei helfen herauszufinden, was der Konsument gerade denkt, sondern nur feststellen, welches Hirnareal bei der Darbietung eines bestimmt Reizes aktiv ist, d.h. ob der Konsument z.B. gerade etwas in seinem Gedächtnis abspeichert. Offen bleibt allerdings welche Information in seinem Gedächtnis abgespeichert wird. Ein Nachteil der Nutzung von fMRT zu Marketingforschungszwecken ist die zeitliche Verzögerung zwischen Gehirnaktivität und der messbaren Veränderung des Blutes. Bis nämlich das sauerstoffreiche Blut das aktivierte Hirnareal erreicht können bis zu 5 Sekunden vergehen, sodass die Reaktion des Gehirns auf einen Reiz erst mit einer Verspätung durch den Hirnscanner wahrgenommen werden kann und somit nicht immer exakte Aussagen für das Marketing daraus ableitbar sind.72 Nicht zu unterschätzen sind auch die entstehenden Kosten: Ein Hirnscanner kostet einige Milliarden Euro, hinzu kommen noch Kosten für Wartung und Spezialisten, die für Konzeption, Durchführung und Auswertung der Untersuchung benötigt werden. So kann eine Untersuchung mit 15 bis 20 Testpersonen auch oft über 30.000 Euro kosten.73
Die Magnetencephalographie (MEG) ist ein Verfahren, dass die magnetische Aktivität des Gehirns misst. Diese magnetische Aktivität wird durch die elektrischen Vorgänge innerhalb der Neuronen hervorgerufen.74 Die Messung erfolgt über hochempfindliche Detektoren (SQUIDS), die die Veränderung der parallel zur Hirnoberfläche verlaufenden magnetischen Felder erfasst.75 Auf diese Weise kann die Aufzeichnung der Gehirnaktivität ohne zeitliche Verzögerung erfolgen, was einen Vorteil gegenüber der fMRT-Methode darstellt. Außerdem sind die Untersuchungskosten für eine MEG-Messung geringer.76 Gegenüber dem EEG bietet das MEG den Vorteil, dass auch tieferliegende Gehirnstrukturen (wie das limbische System) abgebildet werden können, die bei Kaufentscheidungen eine wichtige Rolle spielen.77
Trotz vieler Vorteile, die die einzelnen Verfahren bieten, sind ihre Ergebnisse oft doch sehr allgemein und ihre Aussagekraft für konkrete Fragestellungen teilweise zu grob. Messungen mittels Verfahren wie EEG und fMRT, die am häufigsten genutzten werden, liefern so nur rein korrelative Ergebnisse und keine kausalen Zusammenhänge.78 Deshalb ist es manchmal von Vorteil mehrere Methoden (z.B. bildgebende und psycho- physiologische Verfahren) miteinander zu kombinieren, sodass diese bestmöglich auf die zu untersuchende Fragestellung abgestimmt werden können.79 Außerdem muss berücksichtigt werden, dass beispielsweise die Versuchsteilnehmer bei einem Hirnscan in einer engen Röhre liegen und beim Betrachten der Werbung völlig von der Außenwelt und anderen Stimuli, die in einer alltäglichen Situation auftreten können, abgeschottet sind.80 So können die Ergebnisse der Untersuchungen aufgrund der „unnatürlichen“ Situation teilweise verzerrt werden.
3.4 Das explizite und das implizite System
Im menschlichen Gehirn gibt es zwei Systeme: Zum einen das unbewusst wirkende implizite System und zum anderen das explizite System. Das implizite System stellt eine Art Autopilot dar, der Prozesse steuert, ohne dass der Mensch sich dessen bewusst ist.81 Er arbeitet sowohl emotional als auch kognitiv. Durch seine effiziente und intuitive Arbeitsweise können Entscheidungen innerhalb von ein bis zwei Sekunden getroffen werden und eine spontane Verhaltensweise wird ermöglicht.82 Dieser extrem schnelle Ablauf von impliziten Vorgängen ist nur möglich, da das implizite System ein zweistufiges Verfahren nutzt, um Entscheidungsprozesse mit Hilfe erlernter und im Gedächtnis gespeicherte Routinen bzw. Verhaltensweisen zu automatisieren.83 Die erste Stufe dient der rein kognitiven und emotionslosen Bewertung und Reflexion der aufgenommenen Informationen, indem einerseits der situative Kontext der Information mit einbezogen wird und andererseits das bereits abgespeicherte Wissen in Form von neuronalen Aktivitätsmustern (Imprints). Diese basieren hauptsächlich auf im Laufe des Lebens erworbene Verhaltensweisen, Normen und Werte.84 Die Bewertung wird aber außerdem auch noch von der individuellen Persönlichkeit (psychologische Struktur) des Menschen beeinflusst. In der zweiten Stufe wird die bewertete Information erneut unbewusst reflektiert. Dies geschieht auf Grundlage des Belohnungs- und Schmerzsystems, das sich im limbischen System befindet.85 Wenn also das implizite System eine Belohnung wahrnimmt, die z.B. mit dem Kauf eines bestimmten Produktes verbunden wird, fällt dieses die Entscheidung für den Kauf des Produktes, auch wenn dem Konsumenten diese Belohnung nicht bewusst ist.
Das explizite System hingegen ist der Pilot, der die impliziten Vorgänge überprüft, langfristig plant und Probleme systematisch und analytisch (rational) löst, sobald Störungen auftreten oder die Ergebnisse des Autopiloten hinterfragt werden sollen.86 Diese Vorgänge laufen bewusst ab und können daher auch kontrolliert werden. Entscheidungen fallen dafür aber auch langsamer und zögerlicher und die ablaufenden Prozesse kosten viel mehr Energie als die des Autopiloten.87 Denn für die Durchführung dieser Denkvorgänge ist eine komplexe und differenzierte Arbeitsteilung im Gehirn notwendig.88 Da das Gehirn einerseits versucht so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen und dem expliziten System auch nur ca. 40 Bits Informationsverarbeitungs- kapazität zur Verfügung stehen, werden fast 95 % aller Entscheidungsprozesse vom impliziten System unbewusst durchgeführt.89 Dieses hat nämlich eine fast unbegrenzte Kapazität und übernimmt so die verbleibenden 10.999.960 Bits an Sinneseindrücken und verarbeitet diese für den Menschen völlig unbewusst. Darunter fallen z.B. Sinneswahr- nehmungen, viele Lernvorgänge, Emotionen, Stereotypen, Marken-Assoziationen sowie die nonverbale Kommunikation.90 Lange Zeit wurde die Bedeutung des Autopiloten unterschätzt, jedoch wurde mittlerweile herausgefunden, dass das implizite System einen Großteil der Kaufentscheidungen übernimmt, selbst wenn diese sehr komplex sind. Besonders in folgenden Situation entscheidet allein der Autopilot: Wenn Menschen unter Zeitdruck stehen, wenn sie mit Informationen aufgrund eines Overloads oder aufgrund deren Komplexität überlastet sind, aber auch, wenn ihr Interesse an einem Produkt oder an einem Werbemailing gering ist (Low Involvement).91 Durch die zunehmende Anzahl verschiedener Werbebotschaften, mit denen der Konsument täglich in Kontakt tritt, entsteht eine Art Reizüberflutung und der Konsument betrachtet beispielsweise ein Mailing nur zwei Sekunden, um zu entscheiden, ob es für ihn relevant ist, oder ob es weggeworfen wird.92 Die Erkenntnis, dass das implizite System für ca. 95 % aller Entscheidungen verantwortlich ist, bestätigt deutlich, dass die Vorstellung des bewusst- reflektierenden Homo oeconomicus falsch ist.93 Außerdem zeigen neuropsychologische Erkenntnisse, dass Werbung auch ohne bewusste Aufmerksamkeit funktioniert und somit das AIDA-Modell widerlegt wird.94 Der Konsument muss gar nicht seine volle Aufmerksamkeit auf eine Werbebotschaft richten, damit diese wirkungsvoll ist. Vielmehr wird sie unbewusst und implizit verarbeitet, auch wenn der Konsument sie nur nebenbei wahrnimmt. Auf diese Weise wird ihre Wirksamkeit sogar erhöht, da das explizite System aufgrund von Überlastung oder Desinteresse ausgeschaltet ist und somit nicht zu viel über die Werbung nachgedacht und diese zu sehr hinterfragt wird.95
3.5 Die Bedeutung von Emotionen und Motiven
Menschen entscheiden nicht rational (wie bereits in 3.4 erläutert), vielmehr basiert ihr Handeln auf emotionalen Reaktionen auf Reize in ihrer Umwelt. Dies bedeutet, dass ihre Vorlieben oder Ängste, ihre Ziele und Präferenzen, aber auch ihre eigenen Illusionen den Entscheidungsprozess beeinflussen.96 Das liegt vor allem daran, dass das Gehirn jeden Reiz und jede Information, die es aufnimmt und verarbeitet, mit einer Emotion verknüpft und bewertet.97 So kodiert das Gehirn die Informationen (verknüpft sie mit positiven oder negativen Assoziationen) und speichert sie an verschiedenen Orten. Die meisten Emotionen werden als Erfahrungen oder Erinnerungen im Neokortex abgespeichert, ein geringer Teil auch im Zwischenhirn.98 Emotionen können also auf zwei Arten entstehen: Zum einen durch die Aufnahme von Reizen, also durch Erleben, zum anderen können Emotionen durch Erinnerungen an vergangene Ereignisse ausgelöst werden.99 Weiterhin können Emotionen in erst-, zweit- und drittrangige Emotionen unterteilt werden. Erstrangige Emotionen sind angeboren und werden unbewusst gesteuert (Wut, Angst etc.). Zweitrangige Emotionen werden auch größtenteils unbewusst gesteuert, können aber auch bewusst wahrgenommen werden. Im Gegensatz dazu werden drittrangige Emotionen bewusst wahrgenommen und als Gefühle bezeichnet (z.B. Neid, Schuld oder Stolz).100 Menschen sind ihren Emotionen also nicht passiv ausgeliefert, sondern können diese bewusst oder unbewusst regulieren, meist mit dem Ziel ihr eigenes Wohlbefinden zu erhalten oder zu steigern.101 Dieses Bedürfnis, positive Emotionen zu maximieren und negative Emotionen zu minimieren, beeinflusst somit auch die Kaufentscheidungen der Konsumenten.102 Hinter jedem Gefühl steht also immer ein Ziel, ein Motiv, das das menschliche Handeln antreibt. Außerdem drücken sich unbefriedigte Motive in Gefühlen aus, beispielsweise löst das Bedürfnis nach Nahrung ein Hungergefühl aus. Emotionen und Motive sind demnach eng miteinander verknüpft.103 Das Zürcher Modell der sozialen Motive, das von dem Psychologen Norbert Bischof entwickelt wurde, beschreibt drei zentrale soziale Motivsysteme des Menschen: das Sicherheitssystem (Streben nach Sicherheit und Geborgenheit, aber auch Fürsorge), das Erregungssystem (Streben nach Abwechslung und nach Neuem) sowie das Autonomiesystem (Streben nach Unabhängigkeit, Kontrolle und Macht).104 Nach dem Limbic®-Ansatz von Häusel werden die drei großen Motiv- und Emotionssysteme, die jeder Mensch zusätzlich zu den physiologischen Vitalbedürfnissen (z.B. Nahrung, Schlaf und Atmung) besitzt, als Balance-, Dominanz-, und Stimulanzsystem bezeichnet.105 Grundsätzlich haben sie aber dieselbe Bedeutung wie die Systeme von Bischof.
[...]
1 Franzen/ Bouwman (2001), S. 33
2 Vgl. Häusel ( 2007a), S.10
3 Vgl. Deutsche Post (2010), S. 4
4 Vgl. Deutsche Post (2010), S. 12
5 Vgl. Deutsche Post (2010), S. 12
6 Vgl. Baron (2009), S. 23
7 Vgl. Bruns (2007), S. 155
8 Vgl. Holland (2009), S. 35
9 Vgl. Holland (2009), S. 31
10 Vgl. Bruns (2007), S. 159
11 Vgl. Holland (2009), S. 31
12 Vgl. Bruns (2007), S. 163
13 Vgl. Holland (2009), S. 34
14 Vgl. Baron (2009), S. 23
15 Vgl. Holland (2009), S. 26
16 Vgl. Bruns (2007), S. 169
17 Vgl. Baron (2009), S. 24
18 Vgl. Holland (2009), S. 26
19 Vgl. Baron (2009), S. 24
20 Vgl. Holland (2009), S. 26 f.
21 Vgl. Artegic AG (2009), S. 3
22 Vgl. Baron (2009), S. 20
23 Vgl. Holland (2009), S. 71
24 Vgl. Baron (2009), S. 20
25 Vgl. Holland (2009), S. 72
26 Vgl. Artegic AG (2009), S. 3
27 Vgl. Baron (2009), S. 20
28 Vgl. Artegic AG (2009), S. 6
29 Vgl. Baron (2009), S. 20
30 Vgl. Absolit (2010), S. 2
31 Vgl. Rampl/ Plassmann/ Kenning (2011), S. 32 f.
32 Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 4 f.
33 Häusel (2007a), S. 9 f.
34 Vgl. Häusel (2007a), S. 10
35 Vgl. Häusel (2007a), S. 10 ff.
36 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 23
37 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 16
38 Vgl. Rampl/ Plassmann/ Kenning (2011), S. 32
39 Vgl. Holst/ Weber (2009), S. 8
40 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 23
41 Vgl. Holst/ Weber (2009), S. 8
42 Vgl. Peymani/ Scheier (2009), S. 8
43 Vgl. Holst/ Weber (2009), S. 8
44 Vgl. Felix (2008), S. 79
45 Vgl. Pradeep (2010), S. 40
46 Vgl. Pöppel (2005), S. 9
47 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 30
48 Vgl. Pradeep (2010), S. 34
49 Vgl. Thompson (2001), S. 29
50 Vgl. Bittner/ Schwarz (2010), S. 26
51 Vgl. Bittner/ Schwarz (2010), S. 26
52 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 170
53 Vgl. Behrens/ Neumaier (2004), S. 15
54 Vgl. Thompson (2001), S. 18
55 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 104
56 Vgl. Bittner/ Schwarz (2010), S.26
57 Vgl. Birbaumer/ Schmidt (2003), S. 578
58 Vgl. Häusel (2004), S. 79
59 Häusel (2007b), S. 222
60 Häusel (2007b), S. 223
61 Vgl. Häusel (2007b), S. 224
62 Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 128
63 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 128
64 Vgl. Häusel (2007b), S. 226
65 Vgl. Traindl (2004), S. 50
66 Vgl. Traindl (2004), S. 50
67 Vgl. Rampl/ Plassmann/ Kenning (2011), S. 33
68 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 180
69 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 184
70 Vgl. Häusel (2007c), S. 212
71 Vgl. Häusel (2007c), S. 212 f.
72 Vgl. Pradeep (2010), S. 13
73 Vgl. Häusel (2007c), S. 215
74 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 182
75 Vgl. Roth (2003), S. 126
76 Vgl. Häusel (2007c), S. 219 f.
77 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 182
78 Vgl. Weber (2011), S. 55
79 Vgl. Monsees/ Spitzer (2011)
80 Vgl. Holst/ Weber (2009), S. 18
81 Vgl. Scheier/ Held (2008), S. 34
82 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 60
83 Vgl. Jänig (2010), S. 50
84 Vgl. Jänig (2010), S. 50
85 Vgl. Jänig (2010), S. 51
86 Vgl. Scheier/ Held (2008), S. 34
87 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 61
88 Vgl. Jänig (2010), S. 49
89 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 59
90 Vgl. Scheier/ Held (2007), S. 95
91 Vgl. Scheier/ Held (2008), S. 42 f.
92 Vgl. Scheier/ Held (2007), S. 93
93 Vgl. Scheier/ Held (2008), S. 45
94 Vgl. Scheier/ Held (2007), S. 99
95 Vgl. Scheier/ Held (2007), S. 99
96 Vgl. Scheibe (2011), S. 61
97 Vgl. Bittner/ Schwarz (2010), S. 34
98 Vgl. Bittner/ Schwarz (2010), S. 35
99 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 202
100 Vgl. Raab/ Gernsheimer/ Schindler (2009), S. 204
101 Vgl. Scheibe (2011), S. 61
102 Vgl. Mellers/ McGraw (2001), S. 210
103 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 104
104 Vgl. Scheier/ Held (2006), S. 99
105 Vgl. Häusel (2007d), S. 70
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- Jennifer Sonntag (Author), 2011, Die Bedeutung des Neuromarketings für die Kreation und Gestaltung von Mailings, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/337831
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