„Der Wechsel beginnt unten, sagen und wiederholen sie.
Die Skepsis verschränkt nicht die Arme.
Sie feilt, geduldig, die zarte Spitze der Hoffnung.“
- Subcomandante Insurgente Marcos -
Am 1. Januar 2004 jährte sich der Beginn der bewaffneten Erhebung der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas zum zehnten Mal. Die ZapatistInnen haben seither kontinuierlich bewiesen, dass die notwendige Veränderung der Welt möglich ist – von unten!
Mittlerweile ist die zapatistische Bewegung weltbekannt, wenngleich die profun-de Auseinandersetzung mit dem Zapatismus sich hierzulande auf kleine Zirkel beschränkt und ansonsten die Betrachtung an der Oberfläche bleibt.
Soziale Arbeit ist, wie Paulo Freire allgemein für die Pädagogik erkannte, niemals neutral. Entweder bringt oder hält sie die Menschen in Abhängigkeit oder sie trägt zur Befreiung der Menschen bei. Meines Erachtens muss Soziale Arbeit in Zeiten des globalen, skrupellosen ‘Raubtierkapitalismus’ deutlich Position beziehen und sollte sich – zumindest wenn sie sich als Menschenrechtsprofession (Silvia Staub-Bernasconi) versteht – mit dem Zapatismus als einer der wichtigsten sozialen und politischen Bewegungen beschäftigen.
Doch wer sind die ZapatistInnen eigentlich und was wollen sie? Was charakterisiert die Bewegung, woran orientiert sie sich? Was hat der Zapatismus angestoßen, in Mexiko aber auch weltweit?
Diesen Fragen nachgehend, werde ich zunächst in Kürze wichtige Hintergründe und Kontexte sowie Meilensteine der Bewegung skizzieren. Darauf aufbauend stelle ich ausführlich einige Grundprinzipien dar, denen der Zapatismus verpflichtet ist und zeige entsprechende Wirkungen auf. Abschließend versuche ich Wesentliches zusammenzufassen und den Blick auf Soziale Arbeit zu lenken. Im Anhang findet sich eine Zusammenstellung von weiterführenden Internetadressen zum Thema.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Zapatistische Bewegung im sozio-historischen Kontext
III. Grund-Sätze und Leitlinien des Zapatismus
1. Mandar obedeciendo – Gehorchend regieren/befehlen
2. Preguntando caminamos – Fragend gehen wir voran
3. Detrás de nosotros estamos ustedes – Hinter uns sind wir ihr
4. Un mundo donde quepan muchos mundos – Eine Welt in der viele Welten Platz finden
IV. Fazit
V. Literatur
VI. Anhang
I. Einleitung
„Der Wechsel beginnt unten, sagen und wiederholen sie.
Die Skepsis verschränkt nicht die Arme.
Sie feilt, geduldig, die zarte Spitze der Hoffnung.“[1]
- Subcomandante Insurgente Marcos -
Am 1. Januar 2004 jährte sich der Beginn der bewaffneten Erhebung der Zapatis-tischen Nationalen Befreiungsarmee (EZLN) im mexikanischen Bundesstaat Chiapas zum zehnten Mal. Die ZapatistInnen haben seither kontinuierlich bewie-sen, dass die notwendige Veränderung der Welt möglich ist – von unten!
Mittlerweile ist die zapatistische Bewegung weltbekannt, wenngleich die profun-de Auseinandersetzung mit dem Zapatismus sich hierzulande auf kleine Zirkel be-schränkt und ansonsten die Betrachtung an der Oberfläche bleibt.
Soziale Arbeit ist, wie Paulo Freire allgemein für die Pädagogik erkannte, niemals neutral. Entweder bringt oder hält sie die Menschen in Abhängigkeit oder sie trägt zur Befreiung der Menschen bei. Meines Erachtens muss Soziale Arbeit in Zeiten des globalen, skrupellosen ‘Raubtierkapitalismus’ deutlich Position beziehen und sollte sich – zumindest wenn sie sich als Menschenrechtsprofession (Silvia Staub-Bernasconi) versteht – mit dem Zapatismus als einer der wichtigsten sozialen und politischen Bewegungen beschäftigen.
Doch wer sind die ZapatistInnen eigentlich und was wollen sie? Was charakteri-siert die Bewegung, woran orientiert sie sich? Was hat der Zapatismus ange-stoßen, in Mexiko aber auch weltweit?
Diesen Fragen nachgehend, werde ich zunächst in Kürze wichtige Hintergründe und Kontexte sowie Meilensteine der Bewegung skizzieren. Darauf aufbauend stelle ich ausführlich einige Grundprinzipien dar, denen der Zapatismus verpflich-tet ist und zeige entsprechende Wirkungen auf. Abschließend versuche ich We-sentliches zusammenzufassen und den Blick auf Soziale Arbeit zu lenken. Im An-hang findet sich eine Zusammenstellung von weiterführenden Internetadressen zum Thema.
II. Zapatistische Bewegung im sozio-historischen Kontext
Die zapatistische Bewegung ist regional im Bundesstaat Chiapas, südöstliches Mexiko, an der Grenze zu Guatemala verwurzelt. Dies heißt jedoch nicht, dass Bedeutung und Wirkung des Zapatismus geographisch eingeschränkt wären – im Gegenteil. Für das Verständnis der Bewegung ist es allerdings wichtig, die regio-nalen Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen.
In seiner exzellenten Analyse der Realitäten – ein alternativer ‘Armuts- und Reichtums-Reisebericht’ – benennt der Sprecher der ZapatistInnen, Subcoman-dante Insurgente Marcos, die verschiedenen parallel-existenten Mexikos mit den Stockwerken eines Gebäudes. Die indigene Bevölkerung, sowohl in Chiapas als auch in anderen Bundesstaaten, befinde sich im Keller. Im Keller, also ganz unten bedeutet konkret, dass z.B. der Grad der Kindersterblichkeit, des Hungers und des Analphabetismus ganz oben sind.[2] Das extreme Elend sowie die permanente Un-terdrückung und Ausbeutung, unter der die indigene Bevölkerung seit Jahrhun-derten leidet, sind in Chiapas in konzentrierter Form zu finden.
Die Indígenas sind jedoch nicht wehr- und hilflos. Insbesondere die Maya im Sü-den Mexikos leben seit nunmehr über 500 Jahren kontinuierlich und in verschie-densten Formen im Widerstand gegen die unterschiedlichen Fremdherrschaften. Auf diese Tradition trafen Anfang der 1980er Jahre Aktivisten der FLN (Fuerzas de Liberación Nacional), die aus der StudentInnenbewegung sowie verschiedenen versprengten Guerilla-Organisationen kamen. Sie zogen sich in unwegsame Ge-biete in Chiapas zurück und gründeten am 17. November 1983 die EZLN (Ejérci-to Zapatista de Liberación Nacional). Benannt ist die Bewegung nach Emiliano Zapata (1873-1919), der in der mexikanischen Revolution (1910-1920) den be-waffneten Widerstand unter den Bauern im südlichen Mexiko organisierte. War die EZLN anfangs noch sehr von Ideologien und revolutionären Vorbildern ge-prägt, so veränderten sich durch die Konfrontation mit den indigenen Realitäten im Laufe der Jahre die Einstellungen und Vorgehensweisen. Mit dieser graduellen Veränderung bekam die EZLN enormen Zulauf von indigenen Männern und Frauen. Schließlich ordnete sich die EZLN den indigenen Dorfgemeinschaften un-ter und wurde so zum ‘bewaffneten Arm’ der Indígena-Bewegung.[3]
„Als die Zapatistas entstanden, bezeichnete sich die zapatistische Bewegung zu-nächst als militärische Kraft. Was die Zapatistische Armee aber vorantreibt, ist der Kampf um Gerechtigkeit, der Kampf um Würde. Die Zapatistas haben das nicht erfunden, es liegt im geschichtlichen Bewusstsein der Indígenas begründet. (...) Die Zapatistas haben nur dem, was schon vorhanden war, eine neue Form ge-geben. Es ist sehr wichtig, das hervorzuheben, denn die Indígenas haben auf ver-schiedenste Weise und zu vielen Gelegenheiten gekämpft.“[4]
Die zumeist jungen Frauen, die in die EZLN eintraten, haben das Gesicht der zapatistischen Bewegung ebenfalls verändert. Im noch nicht abgeschlossenen Kampf gegen Machismus und patriarchale Strukturen, bewirkten sie eine Revolu-tion vor dem bewaffneten Aufstand.[5]
Im elften Jahr ihres Bestehens trat die EZLN am 1. Januar 1994 mit der Besetzung der Rathäuser in sieben Landkreisen in Chiapas ans Licht der Öffentlichkeit. Mit ihrem ‘¡Ya basta! – Es reicht!’ und legitimen Forderungen nach Land und Freiheit sowie Gerechtigkeit und Demokratie, antworteten die ZapatistInnen auf das neoli-berale Projekt des nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA), das am selben Tag in Kraft trat. Aufgrund schwerer Gefechte mit der Bundesarmee und Bombardierungen durch die Luftwaffe, zog sich die EZLN nach und nach in die Berge und das Urwaldgebiet der ‘Selva Lacandona’ zurück. Viele ZapatistInnen und ZivilistInnen, sowie einige Soldaten und Polizisten wurden getötet. Nach dem Waffenstillstand und den ersten Friedensverhandlungen erklärten sich noch im Jahre 1994 die ersten Gemeinden als autonom und zapatistisch. 1995 initiierte die EZLN verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen (z.B. die ‘Nationale Befra-gung für den Frieden und die Demokratie’). 1996 wurden die bis heute von der mexikanischen Regierung nicht umgesetzten ‘Abkommen von San Andrés Larraínzar über indigene Rechte und Kultur’ unterzeichnet sowie das erste ‘Inter-galaktische Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit’ durchge-führt. 1997 wurden die Friedensverhandlungen wegen Vertrauensmissbrauch der mexikanischen Regierung (Nichteinhaltung der Abkommen, fortschreitende Mili-tarisierung in Chiapas, etc.) von der EZLN unterbrochen und es kam zunehmend zu paramilitärischen Übergriffen auf autonome Gemeinden und ZapatistInnen, die im Massaker von Acteal ihren traurigen Höhepunkt fanden.[6]
1998 nahmen militärische und paramilitärische Aktivitäten (‘Krieg niederer Inten-sität’) sowie internationale Proteste dagegen zu. 1999 wurde mit der ‘Volksbefra-gung für die Anerkennung der indigenen Rechte und Kultur und für das Ende des Krieges’ die Legitimität der ZapatistInnen und ihrer Forderungen bestätigt. 2000 ordnete der neugewählte Präsident Fox die Auflösung einiger Militärstützpunkte in Chiapas sowie die Freilassung von zapatistischen Gefangenen an, die EZLN reagierte mit Gesprächsbereitschaft und signalisierte den Willen zur politischen Lösung des Konfliktes. 2001 erreichte die EZLN eine massive Mobilisierung der Zivilgesellschaft sowie internationale Aufmerksamkeit durch ihren ‘Marsch für die indigene Würde’ durch 12 Bundesstaaten nach Mexiko-Stadt. Aufgrund eines von Kongress und Senat verabschiedeten Gesetzes über indigene Rechte und Kultur, das nicht mehr den ‘Abkommen von San Andrés Larraínzar’ entspricht, brach die EZLN den Kontakt zur Regierung erneut ab. 2002 hüllte sich die EZLN in Schweigen und widmete sich dem Ausbau der politischen und administrativen Strukturen in den autonomen Gemeinden. 2003 fand am ersten Januar die friedli-che Besetzung der Stadt San Cristóbal de las Casas durch 20.000 ZapatistInnen statt, in Kundgebungen wurde zum weltweiten Widerstand gegen neoliberale Aus-beutung aufgerufen und der Ausbau der Autonomie angekündigt.[7]
„Im August 2003 stellten sie die nach langen Diskussionen entwickelten eigenen Repräsentationsstrukturen (...) vor. Es gibt seither 30 ‘autonome rebellische Landkreise’, die etwa ein Drittel des Gebietes von Chiapas umfassen, und dort die ‘Räte der guten Regierung’ (Juntas del Buen Gobierno, gegen die als mal go-bierno bezeichnete Regierung), welche den zivilen Zapatismus repräsentieren. Die Guerilla will sich auf eine Verteidigungsfunktion zurückziehen. Zudem wurden die nach dem Aufstand 1994 eingerichteten fünf überregionalen Treffpunkte (soge-nannte Aguascalientes) in autonome Regionalräte umgebildet, die vor allem die Probleme innerhalb und zwischen den Gemeinden, ob zapatistisch oder nicht-zapatistisch, angehen sollen. Die entstehenden eigenen politischen Strukturen werden als Caracoles (Schneckenhäuser) bezeichnet, was wie eine Metapher der spiralförmigen Ausdehnung der indigenen Regierungsformen verstanden werden kann.“[8]
Die Selbstverwaltung umfasst im Wesentlichen die politischen Strukturen sowie die Bereiche der Rechtsprechung, des Gesundheitswesens und der Schulbildung. Durch zunehmend regionale und kollektive Ökonomie wird das Leben weitge-hend selbstbestimmt organisiert. Kulturelle Arbeit und eigene Informationssy-steme (z.B. ein zapatistischer Radiosender) werden ausgebaut.[9]
III. Grund-Sätze und Leitlinien des Zapatismus
Zapatismus hat eine lange Geschichte und ist weit mehr als nur die Organisation EZLN. Die Konzepte sind auch nicht unbedingt neu, sondern vielmehr eine krea-tive Mischung aus verschiedenen Elementen. So kommen beispielsweise indigene Gemeinschaftsvorstellungen und Organisationsformen zusammen mit Einflüssen von mexikanischen Anarchisten (z.B. Galindo, Ricardo Flores Magón) und Er-fahrungen von mexikanischen Revolutionären (z.B. Emiliano Zapata, Pancho Villa, Lucio Cabañas, etc.).[10]
Auch wenn es den Zapatismus eigentlich nicht gibt – denn Zapatismus lebt vor allem durch seine Rezeption und Resonanz weltweit – so lassen sich doch einige zapatistische Grundprinzipien ausmachen, die im Folgenden exemplarisch be-leuchtet werden sollen.
[...]
[1] Subcomandante Insurgente Marcos 1994b, S. 342
[2] vgl. Subcomandante Insurgente Marcos 1994b, S. 328 ff / vgl. Esteva 1994, S. 67 f
[3] vgl. Subcomandante Insurgente Marcos 1994a, S. 151 ff / vgl. García de León 1994, S. 148 ff
[4] Vargas 1994, S. 184
[5] vgl. Subcomandante Insurgente Marcos 1994a, S. 152 / vgl. Jung 2004, S. 24 ff
[6] vgl. Müller 2004, S. 15 f
[7] vgl. Müller 2004, S. 15 f
[8] Brand/Hirsch 2004, S. 30
[9] vgl. Subcomandante Marcos 2003, S. 182 ff
[10] vgl. Esteva 1994, S. 70 f / vgl. García de León 1994, S. 148 ff
- Quote paper
- Thomas Haug (Author), 2004, Globalisierung des Widerstandes der Würde - Zapatismus und seine Wirkungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/33778
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