Einleitung
In letzter Zeit, so wurde mir berichtet, liebt man es in Führungskreisen der Wirtschaft, in Denkpausen mit einer kleinen Harke in einer flachen Schale Sand zwischen kleinen Steinen glatt zu streichen. Gleichzeitig hört man von Modeworten wie „Feng Shui“, „Qui Gong“, „Shiatsu-Massage“, „Türkisches Dampfbad“ und Ähnlichem. Allerorten findet man in Einrichtungshäusern Vasen, Teller, Betten und Schränke im asiatischen Stil oder verziert mit japanischen und chinesischen Schriftzeichen.
Ostasien erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Doch es ist nicht das erste Mal in der europäischen Geschichte, dass man sich intensiv darum bemüht, das eigene Lebensumfeld mit fremdländischer Kultur und Kunstgegenständen zu schmücken. Exotismen existieren seit dem Mittelalter, seit den ersten Kontakten mit den Völkern im Fernen Osten.
Vom 18. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte die europäische Exotensehnsucht eine Hochphase. An den Fürstenhöfen schuf man sich kleine, abgeschlossene Paradiese, in denen man von Sorglosigkeit und Glück träumen konnte. Dazu wurden neben antiken Motiven vor allem orientalische und fernöstliche Stilelemente verwendet.
[...]
Inhalt
Einleitung
1 Fernosterfahrung und –vorstellungen vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit
1.1 Der Grundstein: Reiseberichte des Mittelalters
1.2 Zunehmender Reiseverkehr in der frühen Neuzeit
1.3 Reiseberichte und Ostasienbild der frühen Neuzeit
1.4 Umsetzung der Ostasienvorstellungen in der höfischen Kunst
2 Der Exotismus in Potsdam (I): Die Chinoiserie
2.1 Das Chinesische Teehaus
2.2 Das Drachenhaus
2.3 Andere Potsdamer Chinoiserien
3 Der Exotismus in Potsdam (II): Die Orientalismen
3.1 Eine kurze Geschichte der osmanisch-preußischen Beziehungen
3.2 Künstlerische Folgen des neuen Verhältnisses zum Orient
3.3 Potsdamer Orientalismen Nachwort – und ein Denkanstoß
Literaturverzeichnis
Einleitung
In letzter Zeit, so wurde mir berichtet, liebt man es in Führungskreisen der Wirtschaft, in Denkpausen mit einer kleinen Harke in einer flachen Schale Sand zwischen kleinen Steinen glatt zu streichen. Gleichzeitig hört man von Modeworten wie „Feng Shui“, „Qui Gong“, „Shiatsu-Massage“, „Türkisches Dampfbad“ und Ähnlichem. Allerorten findet man in Einrichtungshäusern Vasen, Teller, Betten und Schränke im asiatischen Stil oder verziert mit japanischen und chinesischen Schriftzeichen.
Ostasien erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Doch es ist nicht das erste Mal in der europäischen Geschichte, dass man sich intensiv darum bemüht, das eigene Lebensumfeld mit fremdländischer Kultur und Kunstgegenständen zu schmücken. Exotismen existieren seit dem Mittelalter, seit den ersten Kontakten mit den Völkern im Fernen Osten.
Vom 18. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte die europäische Exotensehnsucht eine Hochphase. An den Fürstenhöfen schuf man sich kleine, abgeschlossene Paradiese, in denen man von Sorglosigkeit und Glück träumen konnte. Dazu wurden neben antiken Motiven vor allem orientalische und fernöstliche Stilelemente verwendet.
Der frühneuzeitliche Exotismus in seinen verschiedenen Ausprägungen ist ausführlich hinterfragt und untersucht worden. Erörterungen der frühneuzeitlichen Reiselust, allgemein als eine Ursache der europäischen Exotensehnsucht betrachtet, finden sich beispielsweise bei Gita Dharampal-Frick und Reinhold Jandesek. Spielarten des Exotismus wurden unter anderem von Friedmann Berger, Pieter Biesboer, Richard Graul, Gunther Joppig und Maria Elisabeth Pape dargestellt. Auch die zahlreichen Exotismen der Potsdamer Schlösserlandschaft sind, einzeln oder in Abhandlungen über die Parks und Gärten, ausführlich vorgestellt worden, zum Beispiel von Klaus Dorst, Hans-Joachim Giersberg und Sibylle Harksen.
Allerdings scheint bisher noch nicht versucht worden zu sein, sämtliche Potsdamer Exotismen unter Darstellung der Ursachen der frühneuzeitlichen Exotensehnsucht, gemeinsam und unabhängig von ihrem geographischen Standort innerhalb der Potsdamer Parklandschaft in einem Band zusammenzufassen. Dies in aller Ausführlichkeit in Angriff zu nehmen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Sie beschränkt sich daher darauf, Ursachen und Ausprägungen der Exotensehnsucht nachzuvollziehen und die beiden Hauptströmungen, die Chinoiserie und den Orientalismus, anhand von ausgewählten Potsdamer Beispielen zu illustrieren. Der Vollständigkeit halber werden weitere örtliche Exotismen ohne Erläuterung erwähnt.
Bei der Erklärung der beiden Strömungen muss jeweils ein anderer Ansatz gewählt werden. Die Wurzeln der Chinoiserie liegen wie gesagt in den europäischen Entdeckungsfahrten nach Fernost sowie den daraus resultierenden Reiseberichten. Sie entsprang dem Glauben an eine paradiesische Welt im Fernen Osten. Dabei fragte man nicht nach dem genauen Herkunftsland der ornamentalen Elemente, die man zitierte. Die Länder jenseits Arabiens wurden gemeinhin als eine Einheit betrachtet. So fand z.B. auch indische Ornamentik Einzug in den chinoisen Stil.
Ähnlich ist die Situation bei den Orientalismen. Allerdings hatten die Preußen zu Türken und Mauren ein gespaltenes Verhältnis, das nur anhand eines kurzen Abrisses der osmanisch-brandenburgischen Beziehungen nachzuvollziehen ist[1].
Um trotz aller Einschränkungen einen möglichst raumgreifenden Einblick in die vielfältigen Ausprägungen des Exotismus zu gewähren, werden über die Architektur hinaus einige weniger bekannte Darstellungsformen dieser Stilrichtung Erwähnung finden. Die Tulipomanie und die Orientalismen in der Musik werden kurz vorgestellt, die Porzellansammlung wird wegen ihres höheren Bekanntheitsgrades hier übergangen.
Streng genommen sind auch die Orangerien eine Ausprägung des Exotismus, denn „Citrus-Früchte galten als Symbol des Paradieses, d.h. der Unsterblichkeit und ewigen Jugend, wegen ihres immergrünen Laubes, gleichzeitigen Blühens und Fruchttragens.“[2]. Für den absolutistischen Herrscher symbolisierten Zitrusfrüchte jedoch zusätzlich die goldenen Äpfel der Hesperiden, die Herkules der Sage nach entwendet hatte. Eine Tat, bei der der Held schier unüberwindliche Hindernisse zu meistern hatte. Auch die Kultivierung der Zitrusfrüchte im deutschen Klima stellte gewaltige Herausforderungen und ließ somit „ihren Besitzer als tugendhaften Herrscher erscheinen, der göttergleich die Welt ordnet und beherrscht.“[3] Die eingangs erwähnten Eigenschaften der Pflanzen „waren überdies Symbol für den immerwährenden Frühling und die Unsterblichkeit des Herrscherhauses.“[4] Zitruspflanzen illustrierten also eher den Wunsch, sich mit Helden und Herrschern der Antike in Verbindung zu bringen, als die träumerische Sehnsucht nach fernen Ländern. Daher werden sie in dieser Arbeit ausgeklammert.
Selbstverständlich fanden bei dem Versuch, sich die fernöstliche Welt in den eigenen Garten zu holen, auch andere fremdländische Pflanzen Einzug in die Orangerien. Aus Gründen des Umfangs müssen jedoch auch diese vernachlässigt werden.
1 Fernosterfahrung und –vorstellungen vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit
1.1 Der Grundstein: Reiseberichte des Mittelalters
Seit dem Mittelalter vermuteten die Europäer im Fernen Osten eine Art „Paradies auf Erden“. Vor dem Hintergrund, dass die Wenigsten je in die ostasiatischen Länder gelangten, ist diese Vorstellung durchaus nachzuvollziehen. Kenntnis aus der Welt östlich Arabiens hatte man lediglich durch Reiseberichte von Missionaren und Abenteurern sowie durch ostasiatische Erzeugnisse, die „über Persien und Vorderasien und durch die Araber über Ägypten und Marokko“[5] nach Europa geleitet wurden. So kannte man bereits im 15. Jahrhundert asiatische Porzellane und Textilien mit ihren reichen und geheimnisvollen Verziehrungen und Darstellungen exotischer Tiere und Pflanzen.
Allein die Beschreibungen von Flora und Fauna des Fernen Ostens in den Reiseberichten des Mittelalters dürften die Phantasien der Menschen in Europa beflügelt haben. Der venezianische Kaufmannssohn Marco Polo, der von 1271 bis 1294 Asien bereiste, berichtete „von seltsamen Pflanzen [unter denen er, d. Verf.] besonders die Gewürzpflanzen beschrieben [hat], bei Tieren [...] erwähnt [er] schwarze Löwen, bunte Papageien und wunderschöne Pfauen.“[6] Sein Bericht „sprach auch von dem fernen, märchenhaften, goldüberfüllten Wunderland Zipangu (Japan)“ und trug wesentlich „zu jenem überhöhten Asienbild [bei][...], das bis ins 16. Jahrhundert und noch darüber hinaus die Vorstellungen von sagenumwobenen Schätzen im fernen Orient in den Köpfen europäischer Herrscher, Händler und Abenteurer bestimmte.“[7] Andere erzählten von wunderlichen Wesen. Der englische Ritter John Mandeville ließ sich „sehr ausführlich [...] über die Fabelwesen auf den verschiedenen Inseln im Indischen Ozean aus“[8], beschrieb Menschen, die Kinder mästen, weil sie gern Menschenfleisch essen, Pferdefüßige, Hermaphroditen, Wesen mit Hundeköpfen, Zyklopen, Kopflose, etc.
Letztere Berichte erfreuten sich beim europäischen Publikum weit größerer Beliebtheit als realistische Beschreibungen[9]. Der Ferne Osten wurde allgemein mit einer Märchenwelt gleichgesetzt, nicht wenige zweifelten an seiner Existenz[10]. Diese Gleichsetzung bestimmte bis weit in die Neuzeit hinein das Bild Ostasiens in Europa.
1.2 Zunehmender Reiseverkehr in der frühen Neuzeit
Im Mittelalter konnten nur wenige Europäer in den Fernen Osten vordringen. Grund dafür waren einerseits die beschwerliche Reise über Land, andererseits die Notwendigkeit, auf diesem Weg islamisches Gebiet zu durchqueren, auf dem man den christlichen Europäern feindlich gegenüber stand[11]. Dies sollte sich bald ändern. 1488 hatte der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz erstmals das Kap der Guten Hoffnung umsegelt. Am 9. Juli 1497 stach Vasco da Gama im Auftrag von Emanuel I., König von Portugal, mit vier Schiffen in See, um den Seeweg nach Indien zu finden und erreichte am 20. Mai 1498 Calicut an der westindischen Malabarküste. Für den Reiseverkehr in den Fernen Osten bedeutete dies eine erhebliche Erleichterung. Durch den „damit erschlossenen Zugang zu den asiatischen Ursprungsländern von Gewürzen und anderen exotischen Produkten wurde der [...] Kontakt mit der bis dahin legendenumwobenen Welt des Orients in steigendem Maße möglich.“[12]
Dieser Fortschritt wurde von den verschiedensten Bevölkerungsschichten genutzt. Kaufleute unternahmen Ostasienreisen, um die dortigen Handelsbedingungen zu erkunden. Geistliche reisten, um im Osten zu missionieren. Gleichzeitig erfuhr das Reisen eine Bedeutungswandlung. Hatte es im Mittelalter noch der eigenen Heilsfindung gedient – man war fast ausschließlich zu missionarischen Zwecken gereist – wurde es nun zu einem Teil der allgemeinen Verwissenschaftlichung des Weltbildes. „Man sollte das, was man wissen wollte, selbst beobachten, genau überprüfen, und sich nicht auf das bloße Hörensagen verlassen, um Kenntnisse über Menschen und soziale Zustände zu erlangen.“[13] Folglich unternahmen auch abenteuerlustige Aristokraten Reisen nach Fernost. Viele faszinierte dieser Teil der Welt schon allein deshalb, weil man keine konkrete Vorstellung von Form und Ausdehnung des asiatischen Kontinents hatte und daher annahm, dass er sich in östlicher Richtung schier endlos erstrecke[14].
[...]
[1] Eine ausführliche Chronik des türkisch-preußischen Verhältnisses: Schwarz, Klaus, Vom Krieg zum Frieden [...] S. 245 – 278.
[2] Balsam, Simone, Orangerien – Bauten im Spannungsfeld zwischen Architektur und Natur, [...], S. 7.
[3] Gröschel, Claudia, Großer Herren Vergnügen, [...], S. 28.
[4] Gröschel, Claudia, Großer Herren Vergnügen. [...], S. 28.
[5] Graul, Richard, Ostasiatische Kunst und [...], S. 5.
[6] Knefelkamp, Ulrich, Das Indienbild in Reiseberichten des Spätmittelalters, [...] S. 104.
[7] Berger, Friedemann, Nachwort zu: Meister, George, Der Orientalisch – Indianische [...], S. 185.
[8] Knefelkamp, Ulrich, Das Indienbild in Reiseberichten des Spätmittelalters, [...] S. 108.
[9] Vgl. Knefelkamp, Ulrich, Das Indienbild in Reiseberichten des Spätmittelalters, [...] S. 108f.
[10] Ein Beispiel aus der frühen Neuzeit: Der Leipziger Professor Dresser legte den Reisebericht des Juan González Mendoza neu auf und äußerte dabei Zweifel an der Existenz Chinas: „Gegen die Existenz Chinas spricht seiner Meinung nach das Stillschweigen, mit dem die Autoritäten, die „Scripenten“, darüber hinweggehen. Weder Ptolemaios noch Strabo erwähnen demnach ein Reich China“, in: Jandesek, Reinhold, Das fremde China. [...], S. 261.
[11] Vgl. Berger, Friedemann, Nachwort zu: Meister, George, Der Orientalisch – Indianische Kunst- und Lust-Gärtner [...], S. 185.
[12] Dharampal-Frick, Gita, Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit [...], S. 21.
[13] Uli Kutter, Der Reisende ist dem Philosophen, was der Arzt dem Apotheker. [...], S. 38.
[14] Vgl. Dharampal-Frick, Gita, Indien im Spiegel deutscher Quellen [...], S. 111 – 116.
- Citar trabajo
- Katharina Strohmeier (Autor), 2001, Die Faszination des Fremdartigen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3367