Die vorliegende Arbeit konzentriert sich konkret auf die Professionalitätserfordernisse von Deutsch-Lehrkräften und speziell auf die interkulturellen Herausforderungen von deutschen LehrerInnen die an einer Schule in Paraguay Deutsch unterrichten.
Im Zusammensein mit den DaF-Lehrerinnen an der Schule in Paraguay und auch außerhalb habe ich deren Schwierigkeiten im Umgang mit kulturellen Unterschieden bemerkt.
In meinem Auslandssemester war ich kurz zuvor in Indien, wo SuS ihre LehrerInnen verehren und es deshalb eine sehr asymmetrische, auf körperlicher Ebene distanzierte Beziehung zwischen SuS und Lehrkräften gibt. Nun sah ich in Paraguay, dass die Beziehung zwischen SuS und LehrerInnen körperlich sehr eng ist.
Dabei ergab sich für mich das Spannungsfeld, wie stark ich mich an die jeweilige Kultur anpassen soll. Soll ich bei einem Aufenthalt in Indien die SuS im Unterricht befehligen und dann am Weltlehrertag die höchsten Lobeshymnen auf mich singen lassen? Danach fliege ich nach Paraguay und umarme und küsse die SuS? Dabei bin ich nach wie vor ein Mensch mit einer Identität. Diese wurde in meiner Sozialisation in Deutschland geprägt und ist nicht von Grund auf wandelbar. Wie gehe ich also mit „der anderen“ Kultur um? Wie weit passe ich mich an sie an?
Inhalt
1. Einleitung
2. Profession, Professionalität und Professionalisierung
2.1 Profession
2.1.1 Kennzeichen des Lehrerberufs
2.1.2 Aufgaben von Lehrkräften
2.2 Pädagogische Professionalität
2.2.1 Kompetenzen
2.2.2 Kompetenzen professioneller LehrerInnen
2.3 Professionalisierung: Die Förderung professionellen pädagogischen Handelns
2.4 Fazit: Welche Kompetenzen brauchen professionelle LehrerInnen?
3. Kultur und Interkulturalität
3.1 Kultur
3.1.1 Der Kulturbegriff
3.1.2 Die mentale Dimension von Kultur
3.2 Interkulturalität
3.2.1 Interkulturalität und interkulturelle Forschung
3.2.2 Interkulturelle Kommunikation
3.2.3 Interkulturelle Interaktionsformen
3.2.4 Interkulturelle Kompetenz
3.2.5 Lernbarkeit interkultureller Kompetenz
3.3 Exkurs: Nähe und Distanz
3.4 Fazit: Welche interkulturellen Kompetenzen werden von DaF-LehrerInnen gefordert?
4. Darstellung des Forschungsvorhabens
5. Forschungsmethodik
5.1 Grundlegende Aspekte qualitativer Forschung
5.2 Das Problemzentrierte Interview
5.3 Begründung der Methodenwahl
5.4 Das Erhebungsverfahren anhand des Interviewleitfadens
5.5 Transkriptionsregeln
5.6 Die Qualitative Inhaltsanalyse mit Hilfe von MAXQDA
6. Auswertung
6.1 Professionalisierung: Kompetenzen „guter“ Lehrkräfte
6.1.1 Kompetenzen im Umgang mit SuS
6.1.2 Fachliche Kompetenzen
6.2 Kultureinfluss auf die gesellschaftliche Rolle und das Handeln von Lehrkräften
6.2.1 Eigene Einteilung der Befragten in Lehrertypen
6.2.2 Gesellschaftliche Rolle „der paraguayischen“ und „der deutschen“ Lehrkräfte
6.2.3 Handeln von paraguayischen und DaF-Lehrkräften in Bezug auf „die paraguayische“ Kultur
6.3. Orientierung von DaF-Lehrkräften
6.4 Erfahrungen von paraguayischen mit deutschen Lehrkräften
6.5 Fazit: Sind die Befragten professionelle Lehrkräfte und erbringen speziell die befragten DaF-Lehrerinnen in Paraguay interkulturelle Anpassungsleistungen?
7. Kritik an den Forschungsbedingungen
8. Fazit: Professionalitätserfordernisse und Anpassungsleistungen von DaF-Lehrkräften
9. Literaturverzeichnis
9.1 Monographien:
9.2 Zeitschriftenaufsätze und andere Internetquellen
9.3 Abbildungsverzeichnis
10. Anhang
10.1 Die pädagogische Basiskompetenzen nach Bauer
10.2 Transkripte
10.2.1 Person 1
10.2.2 Person 2
10.2.3 Person 3
Vorwort
Die Forschungsidee dieser Wissenschaftlichen Hausarbeit ist aus persönlichem Interesse und sehr spontan entstanden. Deshalb hat die Forschung unter besonderen Bedingungen stattgefunden, welche die Autorin nun erklärt.
Mein erstes Blockpraktikum habe ich an der X-Schule in Y[1], Paraguay, durchgeführt. Dort habe ich fachfremd Deutsch sowie regulär Englisch unterrichtet. Da die Musik-Lehrerinnen absolut kein Englisch oder Deutsch konnten, habe ich deren Unterricht lediglich observiert.
Zwar habe ich während meines Auslandssemesters in Indien direkt vor dem Blockpraktikum bereits Studentinnen an der Universität fachfremd in Deutsch unterrichtet. Jedoch gab es dort nur eine Deutsch-Lehrerin und diese war Inderin.
An der Schule in Y war ich schnell im Kollegium der Deutsch-LehrerInnen[2]integriert. Dort gab es im Fach „Deutsch“ zum einen wenige paraguayische Lehrpersonen, einige paraguayische Lehrerinnen mit mennonitischem Hintergrund[3]und Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache (DaF). Letztere sind deutsche Lehrkräfte, die dazu ausgebildet sind, im Ausland das Fach „Deutsch“ zu unterrichten. Das Besondere an paraguayischen Lehrerinnen mit mennonitischem Hintergrund ist in Bezug auf den Sprachunterricht, dass sie im privaten Bereich zumeist Plattdeutsch und in der Schule sowie der Kirche Hochdeutsch sprechen.
Das Kollegium vom Fach Deutsch nahm mich sehr freundlich auf. Im Zusammensein mit den DaF-Lehrerinnen an der Schule und auch außerhalb habe ich deren Schwierigkeiten bemerkt. Vor allem die DaF-Lehrerinnen, die neu an der Schule waren, hatten mit „der paraguayischen“[4]Kultur und den kulturell bedingten Unterschieden zu Deutschland an der Schule zu kämpfen. Sie haben von einer deutschen Schule erwartet, dass hier hauptsächlich in Deutsch unterrichtet und untereinander kommuniziert wird. Gleich bei meiner ersten Unterrichtsstunde nach den dortigen Sommerferien musste ich erleben, dass SchülerInnen (SuS) der sechsten Klasse, die von der ersten Klasse an Deutsch hatten, in einer Vorstellungsrunde im Stuhlkreis nicht „Mein Name ist XY“ sagen konnten.
Aber auch eine DaF-Lehrkraft, die fließend Spanisch sprach, hatte massive Probleme damit, dass die SuS sehr undiszipliniert im Unterricht sind und nahezu ausschließlich lehrerzentriert unterrichtet werden. Außerdem umarmen sich LehrerInnen und SuS aller Altersklassen (!) gegenseitig auf dem Schulgang.
In meinem Auslandssemester war ich kurz zuvor in Indien, wo SuS ihre LehrerInnen verehren und es deshalb eine sehr asymmetrische, auf körperlicher Ebene distanzierte Beziehung zwischen SuS und Lehrkräften gibt. Nun sah ich in Paraguay, dass die Beziehung zwischen SuS und LehrerInnen körperlich sehr eng ist. Dabei ergab sich für mich das Spannungsfeld, wie stark ich mich an die jeweilige Kultur anpassen soll. Soll ich bei einem Aufenthalt in Indien die SuS im Unterricht befehligen und dann am Weltlehrertag die höchsten Lobeshymnen auf mich singen lassen? Danach fliege ich nach Paraguay und umarme und küsse die SuS? Dabei bin ich nach wie vor ein Mensch miteinerIdentität. Diese wurde in meiner Sozialisation in Deutschland geprägt und ist nicht von Grund auf wandelbar. Wie gehe ich also mit „der anderen“[5]Kultur um? Wie weit passe ich mich an sie an?
Diese Fragen, die mich sehr beschäftigten, kamen in Paraguay während meines sechswöchigen Blockpraktikums auf. Dabei hatte ich jedoch eine bestimmte Anzahl an Stunden vorzubereiten und zu halten und musste irgendwie mit der Hitze dort umgehen. Außerdem musste ich gewisse Vorsichtsmaßnahmen einhalten, um mich nicht mit dem Dengue-Fieber anzustecken, das an der Schule ausgebrochen war.
Dabei wollte ich über die Schule hinaus noch etwas über „die paraguayische“ Kultur lernen und mit Menschen kommunizieren. Außerdem hatte ich nach meinem Praktikum schon ein zweiwöchiges Praktikum an der Schule in einer mennonitischen Kolonie[6]im Chaco[7]vereinbart, wo ich zuvor über ein Wochenende mit einer Lehrerin war. Dabei entstand auf einem Ausflug mit einer Lehrerin und ihrem Mann in den „tieferen“ Chaco zu einem paraguayischen Internat auch das Bild auf der Titelseite. Dort gab es keinen Strom und kein fließendes Wasser sowie ein Plumpsklo ohne Tür! Die SuS dort waren damit zu begeistern, eine leere Keksdose mit ausgestanzten, bunten Formen zu bekleben.
In dieser Vielzahl von Erfahrungen, die auf mich einströmten und verarbeitet werden mussten, entstand meine Forschung. Es war eine Herausforderung, in „der südamerikanischen“ „Mentalität der Gemütlichkeit“ einen Kassettenrekorder mit einer Kassette zu organisieren und Termine mit den viel beschäftigten Deutsch-Lehrerinnen auszumachen. Daneben stand das Anfertigen meiner eigenen Stundenvorbereitungen und der Protokolle für den Praktikumsbericht.
Trotz der Forschungsbedingungen musste ich jedoch die Chance ergreifen, vor Ort direkt aus dem Mund der Beteiligten Informationen über ihre Handlungen und Handlungsgründe zu bekommen. Durch die Auslandsaufenthalte wurde nämlich mein Interesse am Unterrichten im außereuropäischen Raum sowie der Forschung darüber angeregt.
Erschwerend zu den Bedingungen in Paraguay wirkte sich anfangs auf die Forschung aus, dass ich noch kein Methodenseminar an der PH besucht hatte. Grund dafür war, dass ich erst zwei Semester studiert hatte und neben dem Absolvieren der Zwischenprüfung noch keine Gelegenheit dazu hatte, Erfahrungen im Bereich der Forschung zu machen. Deshalb ist die Arbeit mehr von hinten aufgerollt worden: Durch die Erfahrungen in der Praxis wurde ich zur selbstständigen Beschäftigung mit den Themenfeldern „Professionalisierung“ und „Interkulturalität“ sowie zur Auseinandersetzung mit der qualitativen Forschungsmethodik angeregt.
Ich sehe diese Forschung mehr als Einstieg in den Bereich der interkulturellen Forschung, die mich seitdem reizt, da sie verschiedene Perspektiven auf Kulturen eröffnet und auf dialogische Weise Interesse und Verständnis für die kulturelle Andersartigkeit schafft.
1. Einleitung
„Aus einem hervorragenden Drehbuch kann man einen schlechten Film machen. […] [Denn [e]in didaktisches Modell ist kein Ersatz für Interaktions- und Lehrkompetenz. Theorien sind nur Werkzeuge. Werkzeuge kann man geschickt oder ungeschickt benutzen.“(Helmke 2004, S. 69)
Fachwissenschaftliche und -didaktische Kompetenzen sind für professionelle Lehrkräfte unerlässlich[8]. Trotzdem stimmt die Autorin dieser Arbeit mit Grell, den Helmke zitiert, überein, dass es weitere Kompetenzen von LehrerInnen gibt, die sie als Professionelle auszeichnen. Diese Kompetenzen, die im Zitat oben als „Interaktions- und Lehrkompetenz[en]“ (ebd.) bezeichnet werden, sollen in dieser Forschungsarbeit untersucht werden.
Hansen schrieb bereits im Jahr 2003, dass „der Nationalstaat [durch die Globalisierung] ein wenig von seiner Bedeutung verliert“ (Hansen 2003, S. 352). Dieser Trend der Zunahme von internationalen Verflechtungen verlief seitdem rasant, denn Kultur ist „offen, […] Vielheit ohne Einheit, […] speis[t] sich aus dem Lokalen, dem Regionalen, dem Nationalen und dem Transnationalen“ (ebd., S. 357). In unserem „Weltalter“ (Yousefi u. a. 2011, S. 32) der Globalisierung gibt es durch diese Entwicklungen immer mehr internationale Studiengänge wie „Interkulturalität“ und „interkulturelle Kommunikation“. Außerdem gibt es für LehrerInnen zunehmend Möglichkeiten und attraktive Angebote, im Ausland zu unterrichten.
Durch die interkulturelle Forschung sollen dabei neue Methoden in den Wissenschaften gefunden werden, durch die interkulturelle - „zwischen Personen oder Gruppen mit unterschiedlichem Kulturhintergrund“ (Grosch u. a. 2000, S. 358) - Denk- und Handlungsformen erfasst werden (vgl. Yousefi u. a. 2011, S. 32).
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich konkret auf dieProfessionalitätserfordernissevon Deutsch-Lehrkräften und speziell auf dieinterkulturellen Herausforderungenvon deutschen LehrerInnen, die an der Goethe-Schule in Asunción, Paraguay, Deutsch unterrichten.
Dabei wird zuerst theoretisches Hintergrundwissen zu „Professionalisierung“ (vgl. Kap. 2) und „Interkulturalität“ (vgl. Kap. 3) dargestellt.
Der erste Teilbereich des Theorieteils, das Kapitel über Professionalisierung, wird in „Profession“ (vgl. Kap. 2.1), „Professionalität“ (vgl. Kap. 2.2) und „Professionalisierung“ (vgl. Kap. 2.3) aufgesplittet. Innerhalb des Themenaspekts „Profession“ ergeben sich die beiden folgenden Fragestellungen: Was kennzeichnet den Lehrerberuf als Profession (vgl. Kap. 2.1.1) und welche Aufgaben haben Angehörige des Lehrerberufs (vgl. Kap. 2.1.2)? Der Begriff „pädagogische Professionalität“ verweist auf den Zustand einer professionellen Lehrkraft. Was sind in diesem Zusammenhang Kompetenzen (vgl. Kap. 2.2.1) und welche Kompetenzen müssen LehrerInnen haben (vgl. Kap. 2.2.2)? Demgegenüber impliziert der Begriff „Professionalisierung“ den Prozess von LehramtstudentInnen und LehrerInnen mit dem Ziel der Professionalität. Wie kann Professionalisierung dabei gefördert werden (vgl. Kap. 2.3)?
Im Kapitel über Professionalisierung von LehrerInnen (vgl. Kap. 2) geht es darum, in der Literatur Kompetenzen zu finden, die professionelle LehrerInnen auszeichnen. Diese Kompetenzen beziehen sich konkret auf deutsche LehrerInnen, die in Deutschland unterrichten.
Das daran anschließende Kapitel (vgl. Kap. 3) leitet nun zur interkulturellen Forschung mit DaF-Lehrkräften und paraguayischen LehrerInnen in Paraguay über. Es thematisiert vorwiegend Kultur (vgl. Kap. 3.1) und Interkulturalität (vgl. Kap. 3.2). Der Fokus liegt dabei in Bezug auf „Interkulturalität“ auf folgenden Fragestellungen: Welches Vorgehen wirkt förderlich und was ist hemmend für interkulturelle Kommunikation (vgl. Kap. 3.2.2)? Welche verschiedenen interkulturellen Interaktionsformen unterschiedlicher Kulturen gibt es (vgl. Kap. 3.2.3)? Welche interkulturellen Kompetenzen brauchen DaF-LehrerInnen zusätzlich zu den in Kapitel zwei (vgl. Kap. 2.2.2) genannten (vgl. Kap. 3.2.4)? Inwiefern sind diese interkulturellen Kompetenzen erlernbar (vgl. Kap. 3.2.5)?
Als Hinführung zu diesen Fragestellungen bezüglich Interkulturalität dient ein Kapitel über Kultur (vgl. Kap. 3.1). Darin wird zuerst eine Arbeitsdefinition des Kulturbegriffs aufgestellt (vgl. Kap. 3.1.1), bevordrei Dimensionen von Kulturnach Erll u. a. behandelt werden (vgl. Kap. 3.1.2). Danach wird „Interkulturalität“ für diese Arbeit definiert und auf die interkulturelle Forschung - hinsichtlich des möglichen Nutzens emotionaler Anreize, die eine andere Kultur bietet - eingegangen (vgl. Kap. 3.2.1).
Außerdem wird am Ende des dritten Kapitels ein kurzer Exkurs zu der Thematik „Nähe und Distanz“ unternommen (vgl. Kap. 3.3). Der Aspekt der Nähe spielt nämlich für den interkulturellen Vergleich „der deutschen“ und „der paraguayischen“ Kultur eine große Rolle.
Danach folgt der Forschungsteil (vgl. Kap. 4 bis 7). Hierbei wird zuerst dasForschungsvorhaben(vgl. Textfeld oben) dargestellt (vgl. Kap. 4). Dann wird dieForschungsmethodikdurch die einzelnen Arbeitsschritte beschrieben (vgl. Kap. 5). Dabei wird näher auf den Aspekt derSubjektivitätsowie möglicher Kriterien und Verfahren qualitativer Forschung eingegangen (vgl. Kap. 5.1). Im nächsten Teilkapitel wird konkret auf die Forschungsmethodik dieser Forschung - dasproblemzentrierte Interview- eingegangen (vgl. Kap. 5.2) sowie eine Begründung für deren Verwendung gegeben (vgl. Kap. 5.3). Weiterhin wichtig für die Transparenz der Forschungsmethodik ist die Beschreibung des Erhebungsverfahrens anhand des Interviewleitfadens (vgl. Kap. 5.4) und der verwendeten Transkriptionsregeln (vgl. Kap. 5.5) sowie des Verfahrens der qualitativen Inhaltsanalyse mit Hilfe der Software MAXQDA (vgl. Kap. 5.6).
Darauf folgt die Auswertung der Interviews mit den Deutsch-Lehrerinnen in Paraguay zu „Professionalisierung“ (vgl. Kap. 6.1) und „Interkulturalität“ (vgl. Kap. 6.2 bis 6.4). Die Aussagen der Lehrerinnen zu folgenden Themenfeldern werden in Form von Tabellen miteinander verglichen: Welche Kompetenzen im Umgang mit SuS (vgl. Kap. 6.1.1) sowie fachliche Kompetenzen (vgl. Kap. 6.1.2) nennen die Lehrerinnen?
Welcher von drei von der Autorin vorgegebenen Thesen zu Lehrertypen ordnen sich die Lehrerinnen selbst zu (vgl. Kap. 6.2.1)? Innerhalb der zweiten Thematik des Forschungsteils, „Interkulturalität“ (vgl. Kap. 6.2 bis 6.4), stellt sich außerdem die Frage, inwiefern Kultur Einfluss auf die gesellschaftliche Rolle (vgl. Kap. 6.2.2) und das Handeln von Lehrkräften (vgl. Kap. 6.2.3) nimmt. Des Weiteren ist für die Forschung relevant, woran sich DaF-Lehrkräfte vor und während ihres Auslandsaufenthalts orientieren (vgl. Kap. 6.3). Schließlich werden die Erfahrungen einer paraguayischen Lehrerin mit DaF-LehrerInnen aufgezeigt (vgl. Kap. 6.4).
Nach diesem Auswertungsteil der Forschung wird von der Autorin ein Kapitel über Kritik an den Forschungsbedingungen (vgl. Kap. 7) eingefügt, auf das sie - wie im Vorwort verdeutlicht wurde - besonderen Wert legt.
Schließlich zieht die Autorin ihr persönliches Fazit aus dem Forschungsteil (vgl. Kap. 8). Nach dem Literaturverzeichnis (vgl. Kap. 9) befinden sich im Anhang die Transkripte der Interviews (vgl. Kap. 10.3) sowie die detaillierte Aufführung der pädagogischen Basiskompetenzen nach Bauer (vgl. Kap. 10.2). Außerdem ist dort die schriftliche Versicherung, „Erklärung“, (vgl. Kap. 10.1) zu finden.
I. THEORIETEIL
2. Profession, Professionalität und Professionalisierung
Der erste Theorieteil, das Kapitel über Professionalisierung, wird in „Profession“, „Professionalität“ und „Professionalisierung“ ausdifferenziert (vgl. Abb. 1).
Der Lehrerberuf als eineProfessionunterscheidet sich von sog. „klassischen Berufen“[9]. Dadurch ergeben sich die beiden folgenden Fragestellungen: Was kennzeichnet den Lehrerberuf alsProfessionund welche Aufgaben hat er? Der Begriff „pädagogische Professionalität“ verweist auf den Zustand einer professionellen Lehrkraft. Dabei stellen sich die Fragen, wasKompetenzensind und welcheKompetenzenLehrerInnen haben müssen. Demgegenüber impliziert der Begriff„Professionalisierung“den Vorgang bzw. Weg von LehramtstudentInnen zur Professionalität. Im Themenbereich„Professionalisierung“stellt sich innerhalb dieser Arbeit die Frage, mit welchen AnsätzenProfessionalitätgefördert werden kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Gliederung in Profession, Professionalität und Professionalisierung
2.1 Profession
Im ersten Unterkapitel von „Professionalisierung“ sollen die zentralen Elemente von Professionen herausgearbeitet werden (vgl. Kap. 2.1.1). Dabei werden verschiedene Ansätze aufgezeigt, mit denen Professionen bestimmt werden können. Im nächsten Unterkapitel werden die offiziellen Aufgaben von LehrerInnen durch verschiedene Dokumente der Kultusministerkonferenz (KMK) dargestellt (vgl. Kap. 2.1.2).
2.1.1 Kennzeichen des Lehrerberufs
Was unterscheidet klassische Berufe von Professionen?
„Professionen verwalten gesellschaftliche Güter, seien es Gesundheit, Recht, Seelenheil oder Bildung. Diesem Privileg entspricht professionsintern ein Berufsethos der Verantwortung für den Klienten, Gläubigen, Patienten oder Schüler.“(Baumert u. a. 2006, S. 474)
Nach Oser gibt es drei Verpflichtungsaspekte, aus der sich die Berufsmoral von LehrerInnen zusammensetzt: Fürsorge, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. Diese gelten innerhalb der Rahmenbedingungen der Schule und des Auftrags von Lehrkräften. (vgl. Baumert u. a. 2006, S. 474)
Karl-Oswald Bauer zeigt in seiner Antwort auf die Frage nach der Sonderstellung von Professionen im Gegensatz zu „klassischen Berufen“ drei Ansätze auf: den historisch-soziologischen, den kriterienbezogenen und den aufgabenorientierten bzw. handlungslogischen Ansatz.
Lauthistorisch-soziologischemAnsatz kennzeichnen Professionen eine lange akademische Ausbildung, ein bestimmtes Berufsethos und eine Standesorganisation zum Erhalt der Qualitätsstandards. Des Weiteren haben Berufe, die als Profession gelten, relativ viel Autonomie. Derkriterienbezogenefügt dem historisch-soziologischen Ansatz Aspekte wie gesellschaftliches Ansehen und eine gute Bezahlung hinzu. Er hält Kriterien von Professionalität zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, um sie als Merkmale von Professionen zu definieren. Deraufgabenorientierte bzw. handlungslogischeAnsatz beschreibt genauer, welche Aufgabentypen nur durch Berufsgruppen mit Profession gelöst werden können. Hierbei muss an einem Problem gearbeitet werden, das dialogisch angelegt ist und somit keine Lösung durch allgemeine Gesetzmäßigkeiten zulässt: Laut Bauer müssen LehrerInnen einerseits gesellschaftlichen und gleichzeitig individuellen Ansprüchen für ein glückliches Leben gerecht werden. Oevermann verwendet den Begriff der „stellvertretenden Deutung“, um darauf zu verweisen, dass LehrerInnen in die Rolle des Lernenden und des Lehrenden schlüpfen müssen. Dies sei das „zentrale Kriterium professionellen Handelns schlechthin“ (Jaumann-Graumann 2000, S. 28). (vgl. Jaumann-Graumann 2000, S. 27ff) Durch diesen Rollenwechsel gerät die Handlungsanforderung der Lehrkraft in ein Spannungsfeld von Widersprüchen, die von der Lehrperson vermittelt werden müssen. Wernet bezieht sich auf Oevermann, wenn er schreibt, dass „das Gelingensmodell professionell-pädagogischen Handelns in der Aufrechterhaltung einer widersprüchlichen Einheit“ (Pfadenhauer 2005, S. 133) liegt.
Bauer verweist darauf, dass die drei Ansätze der Annäherung des Lehrerberufs als Profession gleich wichtig sind. Jeder konzentriert sich auf einen Schwerpunkt, aber für eine vollständige Darstellung sollten alle Ansätze in den Blick genommen werden. (vgl. Jaumann-Graumann 2000, S. 27ff) Wernet weist darauf hin, dass deraufgabenorientierte bzw. handlungslogischeAnsatz als der aktuellste Weg der Wissenschaft gilt (vgl. Pfadenhauer 2005, S. 133).
Auch Rothland deutet darauf hin, dass der Lehrerberuf nach demhistorisch-soziologischenAnsatz als „semi-professionell“ bezeichnet wird: Er entspricht nicht den Vorgaben des Konzepts von Professionen, da LehrerInnen beispielsweise durch den Beamtenstatus Vorgaben vom Staat bekommen. Rothland spricht dabei von einer „speziellen Professionalität der LehrerInnen“, um den Bestimmungen des Lehrerberufs gerecht zu werden. Problematisch ist, dass es hierbei kein einheitliches Verständnis von Lehrerprofessionalität gibt. (vgl. Blömeke 2009, S. 496) Bauer verwendet für den Lehrerberuf den Begriff „professionalisierter Dienstleistungsberuf“ (Bauer 2005, S. 81).
2.1.2 Aufgaben von Lehrkräften
Die KMK hat im Jahr 2000 zusammen mit Lehrverbänden eine Aufgabenbenennung der LehrerInnen verabschiedet. Diese ist überschrieben mit dem Titel „Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern heute – Fachleute für das Lernen“ (Kultusministerkonferenz 2000). Kernaufgabe von LehrerInnen ist laut der KMK zusammenfassend „die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation“ (ebd.).
Folgende Hauptaspekte in Bezug aufAufgabenvon LehrerInnen (vgl. Tabelle 1) sind nach Rothland in der Erklärung enthalten[10](vgl. Blömeke 2009, S. 497f).
Tabelle 1: Erklärung der KMK 2000: „Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern heute – Fachleute für das Lernen“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Erklärung der KMK vom Jahr 2000 wird zum einen durch die „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ (Kultusministerkonferenz 2004) erweitert. Darin werden Kompetenzen und Standards für die Lehrerbildung formuliert. Baumert u. a. kritisieren an den „Standards für die Lehrerbildung“ der KMK, dass sie „[…] begrifflich und kategorial nur schwer an psychologische Handlungstheorien und empirische Forschung anschließbar“ (Baumert u. a. 2006, S. 479) seien.
Des Weiteren folgt den Dokumenten der Beschluss „Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ (Kultusministerkonferenz 2010). Darin werden „fachbezogene Kompetenzen künftiger Lehrerinnen und Lehrer“ beschrieben, die hauptsächlich im Studium entwickelt werden und beim Abschluss des Studiums vorzuweisen sein sollen. Oberpunkte sind „anschlussfähiges Fachwissen“, „Erkenntnisse und Arbeitsmethoden der Fächer“ und „anschlussfähiges fachdidaktisches Wissen“. Danach werden die einzelnen fachspezifischen Kompetenzprofile aufgeführt. (vgl. ebd.) In den neuen Fremdsprachen ist Ziel der StudienabsolventInnen beispielsweise, „[…] über Kompetenzen in der Fremdsprachenpraxis, der Sprachwissenschaft, der Literaturwissenschaft, der Kulturwissenschaft sowie in der Fachdidaktik“ (ebd.) zu verfügen. Außerdem sollen LehrerInnen (von schulischem Fremdsprachenunterricht) ihr Wissen vom Studium „systematisch abrufen und ihre Kompetenzen unterrichtsbezogen einsetzen können“ (ebd.).
Diese Auflistung der Dokumente der KMK zeigt, wie vielfältig die Aufgabenbereiche von LehrerInnen sind: Lehrkräfte müssen beispielsweise organisatorische und planerische Fähigkeiten hinsichtlich des Unterrichts und Veranstaltungen darüber hinaus haben. Außerdem müssen sie u. a. die Lernvoraussetzungen von SuS einschätzen können und das soziale Miteinander fördern. Hierbei geschehen meist einige Aufgaben zur selben Zeit. Dadurch wird der „dialogische Charakter“ des Lehrerberufs, der im Teilkapitel zuvor (vgl. Kap. 2.1.1) erwähnt wurde, deutlich.
Das konkrete Handeln von professionellen LehrerInnen wird im nächsten Kapitel durch die Frage, über welche Kompetenzen ein Professioneller des Lehrerberufs verfügen muss, angerissen (vgl. Kap. 2.2.2).
2.2 Pädagogische Professionalität
Was zeichnetProfessionalitätbei LehrerInnen aus? Um diese Frage zu beantwortet, wird im ersten Teilkapitel derKompetenzbegriffuntersucht (vgl. Kap. 2.2.1). Danach werden exemplarisch ausgewählteKompetenzmodelle, die in der Literatur genannt werden, aufgeführt und in Hinblick auf ausgewählte Aspekte verglichen (vgl. Kap. 2.2.2).
2.2.1 Kompetenzen
Es gibt zahlreiche Definitionen desKompetenzbegriffs. Das lateinische Verb „competere“ bedeutet „zusammentreffen“ oder „zusammenfallen“. Laut Jung treffen im Hinblick auf Kompetenzen die objektive und die subjektive Ebene aufeinander. Dies sind konkret die Erfordernisse der äußeren Lebenswelt und die individuellen Befähigungen. Gelingt es dem Subjekt, die Herausforderungen zu meistern und damit die Situation zum angestrebten Ziel zu leiten, handelt es kompetent. Die Situation bestimmt dabei das individuelle Handeln, indem Herausforderungen verschieden wahrgenommen und bewertet werden. (vgl. Jung 2010, S. 9ff)
Jung stellt die Bewältigungsschritte des Kompetenzerwerbs auf subjektiver Ebene in folgenden sechs Schritten dar (vgl. Abb. 2) (vgl. ebd., S. 10).
Ausgangspunkt für den Kompetenzerwerb ist das Wahrnehmen einer vorhandenen, herausfordernden Lern- oder Lebenssituation. Davon ausgehend wird eine Überwindung der herausfordernden Situation angestrebt und Ziele dafür entwickelt. Voraussetzung für diese Überwindung bildet der Erwerb bzw. die Weiterentwicklung kognitiver, sozialer, strategischer und handlungsbezogener Befähigungen. Die vorhandenen und entwickelten Befähigungen und Potentiale müssen nun zielgerichtet eingesetzt werden, sodass die auslösende Herausforderung bewältigt werden kann. Die letzte Phase des Kompetenzerwerbs bildet die Reflexion des Individuums über die Ziele, den Prozess des Kompetenzerwerbs und sich daraus ergebende Resultate. (vgl. ebd., S. 12)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Die Bewältigungsschritte des Kompetenzerwerbs auf subjektiver Ebene nach Jung
Innerhalb Kompetenzerwerbsprozessen werden das „Wollen“ (Bereitschaft, Motivation), „Wissen“ (Fähigkeit, Kenntnisse) und „Können“ (Fertigkeiten) erworben, verwendet und weiterentwickelt (vgl. Jung 2010, S. 13).
Jung unterscheidet einen weiten und einen engen Kompetenzbegriff. DasweiteVerständnis versteht Kompetenz als ein „Potential der mündigen Selbstverwirklichung“ (ebd., S. 49) und kann nur in sozialer Interaktion realisiert werden. Die folgende Pyramide (vgl. Abb. 3) stellt dabei die drei Kompetenzstufen, die im historisch-pädagogischen Kontext unterschieden werden, dar. Dabei findet eine Entwicklung von der untersten zur höchsten Stufe statt.
Die unterste Stufe der Pyramide, die „Kompetenz-Kompetenz“, wohnt jedem Menschen inne. Es ist die Fähigkeit, aufgrund der grundsätzlichen Veranlagung Kompetenzen erwerben zu können. Die zweite Stufe, die „Kompetenz des epistemischen[11]Subjekts“, baut auf der ersten auf. Sie verweist auf die Möglichkeiten vernunftbegabter Menschen zur Idealentfaltung. Die oberste Stufe der Pyramide - als „individuelle Kompetenz“ bezeichnet – geht auf die Vielfalt der möglichen Kompetenzen ein, die in jedem Individuum unterschiedlich ausgeprägt sind. (vgl. Jung 2010, S. 49f)
Das engere Verständnis von Kompetenz hingegen konzentriert sich auf die Differenzierung von „Kompetenz“ und „Performanz“[12](vgl. Abb. 4). Dabei wird in Lernprozessen die Oberflächenstruktur in die Tiefenstruktur umformiert. Handlungsprozesse hingegen leiten von der Tiefenstruktur in die Oberflächenstruktur über. Jedoch dürfen das Individuum (Motivation, Intention, Wissen) und die gesellschaftlichen Bedingungen (Normen, Handlungserwartungen) nicht außer Acht gelassen werden. Es gibt folglich keinen fließenden Prozess zwischen „Kompetenz“ und „Performanz“. (vgl. Jung 2010, S. 50f)
Abbildung 3: Die drei Kompetenzstufen nach Jung, die im historisch-pädagogischen Kontext unterschieden werden
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Eine Kompetenz zu haben bedeutet folglich nicht automatisch, sie auch unterrichtsbezogen einsetzten zu können. Versuche, durch die Einübung und Verbesserung der professionellen Handlungskompetenzen die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überwinden, werden in Kapitel 2.3 vorgestellt.
Oberflächenstruktur („Performanz“)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: „Kompetenz“ und „Performanz“ nach Jung
2.2.2 Kompetenzen professioneller LehrerInnen
Die Forschung nach Aspekten „guten Unterrichts“ in Bezug auf LehrerInnen wurde vor 100 Jahren begonnen (vgl. Helmke u. a. 2006). Hierbei geht es darum, Schlüsselkompetenzen und Orientierungen von LehrerInnen ausfindig zu machen. Anfangs suchte man im Sinne des Begriffs „Lehrerbildung“ (Blömeke 2009, S. 483) nach Persönlichkeitsmerkmalen von LehrerInnen. Spranger sprach diesbezüglich vom „geborenen Erzieher“ (ebd., S. 495). Die Suche nach Persönlichkeitsmerkmalen von LehrerInnen blieb jedoch erfolglos, da man den Unterricht nicht miteinbezog. Inzwischen suchen ForscherInnen nach beruflichen Kompetenzen, pädagogischer Expertise und professionellem Wissen. (vgl. Helmke u. a. 2006) Dabei hat sich der Begriff „Lehrerbildung“ zum passenderen Begriff „Lehrerausbildung“ gewandelt, da hier der Aspekt derLernbarkeitim Vordergrund steht (vgl. Blömeke 2009, S. 483).
Dieser Arbeit liegt das Verständnis zugrunde, dass LehrerInnen nicht von ihrer Geburt an zu LehrerInnen berufen sind. Dennoch stimmt die Autorin dieser Arbeit mit Blömeke überein, dass gewisse Charaktereigenschaften vorhanden sein sollten. Blömeke nennt hierbei „psychische Stabilität, Extraversion und Selbstkontrolle“ (ebd.).
Was ist professionelle pädagogische Kompetenz? Diese konkrete Frage ist kaum zu beantworten. Im Folgenden werden Versuche zur Annäherung an den Begriff von der Unterrichtsqualitätsforschung (vgl. Helmke) vorgenommen, die dann durch die Handlungsrepertoires der sog. „Pädagogischen Basiskompetenzen“ von Bauer ergänzt werden. Den beiden Modellen gemeinsam ist, dass sie beschreiben wollen, was professionelles Handeln bzw. Professionalität bei Lehrkräften kennzeichnet. Hierbei wählen sie verschiedene Zugänge: Helmke geht von der Unterrichtsqualitätsforschung aus und beschreibt, welche Aspekte des Lehrerhandelns sich positiv auf die Unterrichtsqualität auswirken. Bauer hingegen verknüpft sein Modell zwar auch immer wieder mit Erkenntnissen der Unterrichtsqualitätsforschung - u. a. auch mit Helmke. Er legt seinen Fokus jedoch durch die Auflistung von Handlungsrepertoires auf das konkrete Handeln von Lehrpersonen.
Dass alle Modelle über „Professionalität“ ihre Grenzen haben, zeigt die Tatsache, dass es nichteinModell gibt, das von allen anerkannt wird. Schließlich schlägt die Autorin zur Zusammenschau der beiden aufgeführten Modelle ein eigenes Konstrukt vor.
Helmke führt in seinem Kapitel überLehrerexpertise(engl. „Expertise“ = dt. „Kompetenz“ u. a.) in Bezug auf Unterrichtsqualität folgende Kompetenzen auf (vgl. Abb. 5) (vgl. Helmke 2004, S. 50). An anderer Stelle schreibt er zusammen mit Schrader, dass es die Kernkompetenz von LehrerInnen ist, einen qualitativ guten Unterricht zu planen und durchzuführen (vgl. Helmke u. a. 2006, S.5).
Auch Bauer zielt auf einen qualitativ guten Unterricht ab, indem er Pädagogen als „Spezialisten für das Schaffen von [institutionell gestützten] Lerngelegenheiten“ (Jaumann-Graumann 2000, S. 29) bezeichnet. Innerhalb dieser Lerngelegenheiten sollen die Lernenden Kompetenzen erwerben, handlungsfähig werden und Autonomie gewinnen (vgl. ebd., S. 30ff). Bauer schreibt, dass sich die meisten Probleme bewältigen lassen, wenn ausreichende Handlungskompetenzen zur Verfügung stehen. Die „Handlungskompetenzen“ gliedert er in „fachliche“, „fachdidaktische“ und „überfachliche pädagogische Kompetenzen“. Bauer verwendet für dieüberfachlichen pädagogischen Kompetenzenden Begriff„Pädagogische Basiskompetenzen“(Bauer 2005, S. 20). Die „Pädagogischen Basiskompetenzen“ergänzen folglich fachwissenschaftliches und -didaktisches Wissen, ersetzen es aber nicht.
Außerdem grenzt Bauer die „Pädagogischen Basiskompetenzen“ von „speziellen pädagogischen Kompetenzen“ ab, die von Lehrpersonen in bestimmten Funktionen eingenommen werden müssen und die sich die Lehrkräfte meist durch Fortbildungen aneignen (vgl. ebd.).
Bauer stellt die folgendensechs Dimensionenvor (vgl. Abb. 6). Dabei können alle Dimensionen nur in ihrem Zusammenspiel wirkungsvoll werden (vgl. Bauer 2005, S. 20f). Jede der sechs Dimensionen weist spezifischeHandlungsrepertoires(vgl. Kap. 2.3) auf, die im Detail im Anhang (vgl. Kap. 10.2) vorgestellt werden.
Abbildung 6: Die sog. „Pädagogischen Basiskompetenzen“ nach Bauer
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Abbildung 5: Helmkes Modell zur Unterrichtsqualitätsforschung
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Der erste Punkt (von links nach rechts in Abb. 5), „Engagement und Lehrmotivation“ (vgl. Helmke 2004, S. 51), tritt bei Bauers „Pädagogischen Basiskompetenzen“ nicht explizit auf. Er kann aber innerhalb der Dimensionen „Interaktion steuern und Kommunizieren“ vorausgesetzt werden. Die Handlungsrepertoires reichen nämlich von „Gefühle wahrnehmen und zeigen“ bis „Wertschätzung zeigen“, „Humor zeigen“ sowie „aktiv zuhören“ (vgl. Bauer 2005, S. 23ff). Diese Handlungsrepertoires verweisen auf Lehrmotivation und Engagement.
Dabei soll laut Helmke kein Maximum, sondern ein Optimum an Enthusiasmus von Seiten der Lehrkräfte angestrebt werden (vgl. Helmke 2004, S. 51). LehrerInnen müssen abwägen, wie viel Humor etc. in welcher Situation angebracht ist.
Die „fachwissenschaftliche Expertise“, der zweite Punkt bei Helmke (vgl. Abb. 5), setzt Bauer für die „Pädagogischen Basiskompetenzen“, wie oben erwähnt, voraus (vgl. Bauer 2005, S. 20).
Helmke versteht unter „didaktischer Expertise“ „die Kenntnis und Beherrschung einer Vielfalt von Unterrichtsformen, die je nach Unterrichtsfach, Lehrziel und Eingangsvoraussetzungen der SchülerInnen eingesetzt werden können“ (Helmke 2004, S. 60). Beispielsweise haben SuS mit Deutsch als Fremdsprache andere Vorkenntnisse und Probleme in Deutsch als MuttersprachlerInnen.
Erster Unterpunkt von Helmke innerhalb der „didaktischen Expertise“ ist „Klarheit“. Dieser Gesichtspunkt umfasst u. a. „fachliche Kohärenz und Strukturiertheit“ (advanced organizer etc.) (vgl. ebd., S. 60ff). Dabei finden sich Parallelen zu Bauers Modell innerhalb seiner ersten Dimension. Hierbei werden folgende Handlungsrepertoires aufgeführt: „Ziele klären“, „Wichtiges hervorheben“, „Logisch oder kausal verknüpfen“ etc. (vgl. Bauer 2005, S. 21). Diese Handlungsrepertoires dienen der fachlichen Kohärenz und Strukturiertheit, welches Kompetenzen sind, die Helmke nennt.
Des Weiteren enthält der Aspekt „Klarheit“ den Unterpunkt „akustische Verständlichkeit“ (Lautstärke, Füllwörter, Dialekt). Diese Kompetenz überschneidet sich mit Bauers Handlungsrepertoires „Vortragen“ und evtl. „Diskussion leiten“. Für einen Vortrag oder die Leitung einer Diskussion ist die akustische Verständlichkeit wesentlich und muss meist bewusst eingeübt werden.
Zweiter Unterpunkt „didaktischer Expertise“ ist nach Helmke neben „Klarheit“ „Methodenvielfalt“. Über die Unterrichtsmethode entscheiden dabei nach Helmke die folgenden zwei Faktoren: „Unterrichtsziele bzw. curriculare Inhalte“ und „Schülergruppe“. (vgl. Helmke 2004, S. 65) Laut Bauer setzen LehrerInnen mit einem gut entwickelten Handlungsrepertoire in der Dimension „Lernumgebung gestalten“ „gezielt ihren Körper, ihre Stimme, Räume, Mobiliar und Materialien ein, um Lernprozesse anzuregen und zu unterstützen.“ (Bauer 2005, S. 26) Somit können sich diese LehrerInnen flexibel durch eine adäquate Auswahl von Methoden den jeweils von der Schülergruppe erforderten Bedürfnissen anpassen.
Die jeweils angewandten Unterrichtsmethoden sollen erprobt und anschließend reflektiert werden (vgl. Helmke 2004, S. 65). Helmke verweist in Bezug auf Unterrichtsmethoden kritisch darauf, dass „gerade hierzulande die Praktizierung „alternativer“ und „innovativer“ Formen des Unterrichts häufig schon per se als Beleg für Qualität“ (ebd., S. 68) gelte. Um über die Methoden sowie das Handeln im Lehrerberuf insgesamt zu reflektieren, zeigt Bauer in seiner Dimension „Hintergrundarbeit“ die Handlungsrepertoires „Evaluieren“, „Karriere reflektieren“ und „Subjektive Theorien überprüfen“ auf (vgl. Bauer 2005, S. 27). Somit können persönliche Erfahrungen mit Unterrichtsmethoden - in Verbindung mit Reflexion, ergänzend zur Literatur - in persönlich erprobtes Wissen über Grenzen und Nachteile der Methoden umgewandelt werden. Die „Subjektiven Theorien“ und ihr Nutzen zur Professionalisierung werden in Kapitel 2.3 näher ausgeführt.
Als dritten Aspekt „didaktischer Expertise“ geht Helmke auf die „Individualisierung“ ein. Inwiefern gelingt es der Lehrperson auf klassenspezifische Voraussetzungen durch unterschiedliche Methoden, Lernmaterialien, -inhalte und -zielniveaus sowie Motivierungstechniken zu reagieren? Dabei übernimmt Helmke von Weinert vier verschiedene Reaktionsmöglichkeiten auf Lern- und Leistungsdifferenzen: „Ignorieren“ (passiv), „Anpassung der SuS an die Anforderungen“ (substitutiv), „Anpassung des Unterrichts“ (aktiv) und „gezielte Förderung der einzelnen SuS durch angepassten Unterricht“ (reaktiv). (vgl. Helmke 2004, S. 72ff)
Diese gezielte Förderung der einzelnen SuS ist in Bauers „Pädagogischen Basiskompetenzen“ durch die im Anschluss folgenden Handlungsrepertoires verschiedener Dimensionen zu verwirklichen. Hierbei wird deutlich, dass - wie oben beschrieben - kompetentes Handeln von Lehrkräften nur durch ein Zusammenwirken der verschiedenen Dimensionen der pädagogischen Basiskompetenzen nach Bauer entsteht (vgl. Bauer 2005, S. 21).
Innerhalb der Dimension „Kommunizieren“ (vgl. ebd., S. 25) sind die Handlungsrepertoires Bauers „ein Beratungsgespräch führen“ und „Feedback“ für die individuelle Förderung von SuS relevant. SuS können sich durch Feedback in Form von konstruktiver Kritik verbessern. Auch können individuelle Beratungsgespräche mit den Eltern zur Aufdeckung und somit zur Lösung von Problemen führen. Bei der Dimension „Soziale Strukturen bilden“ hilft den SuS in ihrem individuellen Lernprozess die „Förderung der Selbstorganisation“ durch die Lehrperson (vgl. ebd., S. 22). In der Dimension „Lernumgebung gestalten“ bringt das Handlungsrepertoire „Material erfinden“ die individuelle Förderung der einzelnen SuS voran (vgl. ebd., S. 26). Somit kann nämlich das Material direkt auf die Bedürfnisse der einzelnen SuS zugeschnitten werden. Schließlich begünstigen Handlungsrepertoires von LehrerInnen wie „Zeitmanagement“, „Planen“, „Organisieren“ und „Subjektive Theorien“ aus der Dimension „Hintergrundarbeit“ die individuelle Förderung der SuS indirekt: Sind in der Planung und Organisation Unterrichtsmaterialien zur individuellen Förderung von SuS enthalten? Erlaubt das Zeitmanagement des Unterrichts das Eingehen auf individuelle Fragen, Interessen und Probleme? Ist innerhalb der„Subjektiven Theorien“der LehrerInnen individuelle Förderung im Unterrichtsalltag überhaupt möglich?
Diese subjektiven Überzeugungssysteme von Lehrkräften nennt Helmke„epistemologische Überzeugungen“[13]. Sie beziehen sich auf die Struktur des Wissens oder seiner Erzeugung, das Lernen, und spielen bei der Planung und Ausführung von Unterricht eine grundlegende Rolle. (vgl. Helmke 2004, S. 53)
Eine Lehrperson beispielsweise, die davon ausgeht, dass Lernfähigkeiten angeboren und weitgehend unveränderbar sind (vgl. ebd.), wird SuS mit schlechten Leistungen nicht individuell fördern. Demgegenüber steht eine Lehrkraft, die weiß, dass durch differenzielle Lernziele - verbunden mit Motivierungsqualität - auch SuS mit schlechteren Lernvoraussetzungen möglichst große Entfaltungsmöglichkeiten eröffnet werden. (vgl. reaktive Reaktionsmöglichkeit bei Helmke).
Im Folgenden wird ein großer Gedankensprung - weg von der „individuellen Förderung“ und „epistemologischen Überzeugungen“ - zum Aspekt derKlassenführungnach Helmkes Unterrichtsqualitätsforschung vorgenommen.
Innerhalb der Faktoren, die eine effiziente Klassenführung begünstigen, geht Helmke auf denautoritativen Erziehungsstilein. Hierbei werden zwar feste Richtlinien und Normen vorgegeben, aber das Kind erhält Erklärungen und bekommt Raum für Diskussionen. Regeln sollen am Anfang des Schuljahresinduktiv- mit aktiver Beteiligung der SuS - vereinbart werden, sodass sie in Routine übergehen. (vgl. ebd., S. 78ff) Auch Bauer nennt als Handlungsrepertoire innerhalb der Dimension „Soziale Strukturen bilden“ den Aspekt „Regeln entwickeln“ (vgl. Bauer 2005, S. 22). Bauer verweist in Bezug auf die Dimension „Soziale Strukturen bilden“ explizit auf Untersuchungen zur effizienten Klassenführung innerhalb der Unterrichtsqualitätsforschung (vgl. ebd.).
Unbedingte Voraussetzung guter Unterrichtsqualität ist für Helmke die „Fähigkeit und Motivation zur Selbstreflexion“. Es ist wichtig, den gehaltenen Unterricht selbstkritisch zu hinterfragen. Dabei helfen Methoden wie die Evaluation zur Selbstdiagnose und -verbesserung des Unterrichts. (vgl. Helmke 2004, S. 53) Bauer nennt hierbei innerhalb der Dimension „Hintergrundarbeit“ die Handlungsrepertoires „Karriere reflektieren“ und „Subjektive Theorien“ überprüfen (vgl. Bauer 2005, S. 27). Im nächsten Kapitel werden genauere Ausführungen zu „Subjektiven Theorien“ sowie dem„Professionellen Selbst“vorgenommen (vgl. Kap. 2.3).
Zuvor wird von der Autorin ein Konstrukt (vgl. Abb. 7) vorgeschlagen, das dieLehrerexpertisenach Helmke und die„Pädagogischen Basiskompetenzen“von Bauer zusammen darstellt. Mittelpunkt diesen Konstrukts ist„Reflexivität“.In HelmkesLehrerexpertisein Bezug auf Unterrichtsqualität (vgl. 2.2.2) nahm die Selbstreflexion für die Autorin dieser Arbeit einen zu geringen Raum ein. Da sich die Selbstreflexion jedoch auf alle bisher genannten Bereiche auswirkt, wird sie in der Mitte des folgenden vorgeschlagenen Schaubildes (vgl. Abb. 7) platziert:
Die äußerste Ebene stellt die konkrete Ausübung von Handlungen der LehrerInnen dar (vgl. Abb. 7). Diese sind von den verfügbaren Handlungsrepertoires abhängig. Eine Ebene über den Handlungsrepertoires ist im Schaubild die Ebene der Kompetenzen von LehrerInnen angesiedelt. Diese Kompetenzen sind den konkreten Handlungsrepertoires übergeordnet. Damit ist die zweite Ebene somit eine Abstraktion der ersten. Für die Änderung der beiden untergeordneten Ebenen ist die innerste Ebene im Schaubild, die „Reflexivität“, verantwortlich. Sie wirkt sich auf die beiden untergeordneten Ebenen aus, indem sie die Reflexion über die Handlungen leitet und damit die Kompetenzen erweitert. Somit leitet die oberste Ebene indirekt - den Weg über die Kompetenzen nehmend - die konkreten Handlungsweisen von LehrerInnen. Die Kompetenzen werden erst durch kompetentes Handeln erfahrbar.
Dieser Gedankengang ist in Bezug auf Professionalisierung von Lehrkräften Grundlage der vorliegenden Forschung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Ein Konstrukt der Autorin zur Verbindung derLehrerexpertisenach Helmke mit den „Pädagogischen Basiskompetenzen“ von Bauer
2.3 Professionalisierung: Die Förderung professionellen pädagogischen Handelns
Wernet spricht die These Oevermanns der Professionalisierungsbedürftigkeit des pädagogischen Handelns von LeherInnen an (vgl. Pfadenhauer 2005, S. 133). Der Prozess der Professionalisierung ist jedoch nicht nach der Ausbildung vollendet, sondern er ist eine Lebensaufgabe von LehrerInnen, wie folgendes Zitat beschreibt:
„Während die Lehrerausbildung zur Berufsfähigkeit qualifiziert, wächst die Berufsfertigkeit in einem lebenslangen Prozess der Professionalisierung. Diese wird verstanden als komplexes und reflexives Handlungsvermögen in beruflichen Kontexten.“(Blömeke 2009, S. 490f)
Das eben aufgeführte Zitat definiert Professionalisierung als „komplexes und reflexives Handlungsvermögen“ (ebd.). „Professionalisierung“ bedeutet folglich mehr als professionelles theoretisches Wissen. Der Begriff beinhaltet darüber hinaus reflektiertes Handeln. Dieses wird laut Bauer häufig nur unbefriedigend umgesetzt (vgl. Bauer 2005, S. 75ff).
Wie können professionelle Handlungskompetenzen eingeübt und verbessert werden, um die Kluft zwischenprofessionellem Wissenundprofessionellem Handelnzu überwinden? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, werden hier im weiteren Verlauf das Modell der „Subjektiven Theorien“ sowie das Modell des „Professionellen Selbst“ nach Bauer vorgestellt. Beide Modelle nehmen das Individuum als Ausgangspunkt und nehmen von dort aus die Gesellschaft in den Blick. (vgl. ebd.)
Für das Verständnis Wahls Modell „Subjektiver Theorien“ werden folgende wichtige Begriffe zur Steuerung menschlichen Handelns von ihm ausdifferenziert: Er grenzt den Begriff „Handeln“ (professionelles Agieren) von „Tun“ (Agieren ohne Klarheit über die eigene Motivation) und „Verhalten“ (Agieren ohne Intention und Reflexivität) ab.
„Training“ im Sinne des Behaviorismus (Verhalten) ist demnach für professionelles Agieren in der Ausbildung von LehrerInnen unvorstellbar, da es keine nachhaltige Wirkung erbringt. Das „Handeln“ wird demgegenüber von der Handlungspsychologie als zielgerichtet und bewusst angesehen. Dabei wird das reflexive Bewusstsein zum „höchsten Selbstüberwachungssystem“ (Wahl 2002, S. 229). Um ein Training wirksam zu machen, muss es folglich in reflexivem Bewusstsein geleitet werden. Außerdem müssen Trainings im Kontext situationsübergreifender Ziele und Pläne durchgeführt werden. Als dritte Voraussetzung für trainierbares Handeln nennt Wahl die Verbindung von kognitiven und aktionalen mit emotionalen Veränderungen. Letzter Aspekt ist Expertenwissen, was Wahl bevorzugt mit dem Begriff „Subjektive Theorien“[14]bezeichnet. „Subjektive Theorien“ definiert er als „komplexe Aggregate von Konzepten, die untereinander in Form von impliziten Argumentationsstrukturen verbunden sind“ (Wahl 2002, S. 231).
Dabei unterscheidet Wahl zwischen „Subjektiven Theorien größerer Reichweite“ und „handlungsnäheren Subjektiven Theorien“. „Subjektive Theorien größerer Reichweite“ sind leichter veränderbar, da sie nicht direkt in Verbindung zum Handeln stehen. „Handlungsnahe Subjektive Theorien“ stehen in Zusammenhang mit Situations- und Reaktionsprototypen. Wahl übernimmt für die „handlungsnahen Subjektiven Theorien“ von Fuhrer den Begriff „Strukturkomprimierungen“. (vgl. ebd.) Durch die Nutzung von „Strukturkomprimierungen“ können LehrerInnen im Unterricht schnell und situationsgerecht handeln. Rothland weist in diesem Kontext darauf hin, dass Experten im Vergleich zu Neulingen im Lehrerberuf Handlungsroutinen verinnerlicht haben (vgl. Blömeke 2009, S. 496). Bauer bezeichnet diese „Handlungsroutinen“ als „Handlungsrepertoire“. Er hebt den schnellen Einsatz in komplexen Situationen hervor. Durch „Handlungsrepertoires“ bzw. „Handlungsroutinen“ kann die Differenz zwischen pädagogischem Wissen und Können laut Bauer schnell überwunden werden. (vgl. Jaumann-Graumann 2000, S. 33)
Wahl bezweifelt in Bezug auf die „Strukturkomprimierungen“ die Einwirkung auf die Prototypenstrukturen, da die Strukturen, die zu einem bestimmten Handeln führen, einerseits verborgen sind. Darüber hinaus sind die Prototypenstrukturen durch die jeweils persönliche Biographie entstanden und durch Bewältigungsstrategien fest eingeprägt. Damit dienen sie dem persönlichen Sicherheitsgefühl im Verhalten eines Menschen.
Dennoch sei die Umstrukturierung der Strukturkomprimierungen durch einen mehrschrittigen Umlernprozess (vgl. Abb. 8) - aus folgenden Schritten bestehend - möglich: Das Individuum muss sich anfangs die Prototypen bewusst machen, die sein Handeln leiten. Im nächsten Schritt reflektiert es über sein bzw. ihr Handeln und zieht Expertenwissen hinzu. Schließlich können durch die Reflexion des eigenen Handelns in Verbindung mit dem Expertenwissen neue handlungsleitende Prototypen entstehen. (vgl. Wahl 2002, S. 231f)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8:
Die Umstrukturierung der Strukturkomprimierungen durch einen mehrschrittigen Umlernprozess nach Wahl
Auch in Bauers Modell des „Professionellen Selbst“[15]spielt die Reflexion des Individuums die tragende Rolle. Das „Professionelle Selbst“ ist nach Bauer innerer Repräsentant von Professionalität im Lehrerberuf. Es versucht, eine Balance zwischen den eigenen pädagogischen Werten und Zielen, subjektiven Motiven und persönlichen Kompetenzen sowie den Erwartungen eines vorgestellten kritischen Beobachters herzustellen. (vgl. Abb. 9) Das „Professionelle Selbst“ kann bereits im Studium durch die Nutzung der Berufssprache, der Orientierung an pädagogischen Werten etc. entstehen. Nach der wissenschaftlichen Ausbildung sieht sich das Subjekt in folgenden drei Handlungssituationen: „Das pädagogische Training“ (einschließlich Schulpraktika), „selbst verantwortete pädagogische Praxis“ und „Reflexion“.
Ständiger Antrieb für den Aufbau und Erhalt des „Professionellen Selbst“ soll der Ehrgeiz zur Verbesserung sein (vgl. Bauer 2005, S. 81ff). „Das Selbst bedarf also keiner äußeren Anreize, um danach zu streben, über sich hinauszuwachsen. Im Gegenteil, es entwickelt von sich aus spielend Möglichkeiten des Andersseins […]“ (ebd., S. 84).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Das "Professionelle Selbst" nach Bauer
Im Folgenden wird näher auf den Begriff „Reflexion“ eingegangen, der in diesem Kapitel oft genannt wurde.
Bei Wahl kam der Begriff „Reflexion“ in Form der „Handlungsreflexion“ innerhalb der „Subjektiven Theorien“ vor. „Handlungsreflexion“ ist hierbei die Voraussetzung, aus den bewusst gewordenen, handlungsleitenden Prototypen neue handlungsleitende Prototypenstrukturen zu entwickeln. Die „[…] Möglichkeiten des Andersseins […]“ (Bauer 2005, S. 84), die Bauer nennt, sind nur durch die Reflexion über die bisherigen Handlungen möglich. Innerhalb Bauers Modell des „Professionellen Selbst“ ist die „Reflexion“ neben dem „pädagogischen Training“ und der „selbst verantworteten pädagogischen Praxis“ die dritte Handlungssituation, vor der LehrerInnen stehen.
Das Substantiv „Reflexion“ bzw. das Verb „reflektieren“ entstammt dem lateinischen Verb „reflectere“, was „zurückbeugen, zurückdrehen, umwenden“ bedeutet. Friebe zitiert John Locke, der als einer der Ersten den Begriff „Reflexion“ im Kontext des Nachdenkens über eigene Handlungen verwendet habe, folgendermaßen:
„Alle Ideen kommen aus Wahrnehmung und Reflexion. […] Mit Reflexion meine ich […] jene Kenntnisnahme, die der Geist von seinen eigenen Operationen und ihrer Art der Ausführung nimmt, wodurch die Ideen dieser Operationen in unserem Verstand erzeugt werden.“(Friebe 2010, S. 20f)
Das Zitat verdeutlicht, dass erst durch die „Kenntnisnahme“ (ebd.) des eigenen Handelns „die Ideen dieser Operationen in unserem Verstand erzeugt […]“ (ebd.) werden. Durch Reflexion gelangen die ausgeführten Handlungen des Individuums auf die Ebene des Nachdenkens über die eigenen Handlungen. Dadurch kann das Individuum eine Beziehung zu den bisherigen Erfahrungen herstellen und sich so auf neue Situationen vorbereiten. Erst durch Reflexion werden nach Friebe Erlebnisse zu Erfahrungen. (vgl. ebd.)
2.4 Fazit: Welche Kompetenzen brauchen professionelle LehrerInnen?
Der erste Teilbereich des Theorieteils, das Kapitel über Professionalisierung, sollte die Unterscheidung der drei Begriffe „Profession“ (vgl. Kap. 2.1), „Professionalität“ (vgl. Kap. 2.2) und „Professionalisierung“ (vgl. Kap. 2.3) verständlich machen und ihre Differenzierung in sich logisch nachvollziehbar machen.
Besondere Bedeutung bekommt der Lehrerberuf als Profession durch den „aufgabenorientierten bzw. handlungslogischen Ansatz“. Hierbei wird der dialogische Charakter des Lehrerberufs als Profession betont (vgl. Kap. 2.1.1). Im Sinne Oevermanns stellvertretender Deutung müssen LehrerInnen die Rolle des Lernenden und des Lehrenden einnehmen können (vgl. Jaumann-Graumann 2000, S. 28). Dieser dialogische Charakter des Lehrerberufs wird durch die vielseitigen Aufgaben von LehrerInnen in verschiedenen Bereichen deutlich (vgl. Kap. 2.1.2).
Es wird versucht, das Konstrukt vonpädagogischer Professionalitätdurch Kompetenzen fassbar zu machen. Kompetenzen wurden in Kapitel 2.2.1 als Vorgänge, in denen es dem Individuum gelingt, von der Umwelt gestellte Herausforderungen zu meistern und damit die Situationen zum angestrebten Ziel zu leiten, definiert (vgl. Jung 2010, S. 9ff). Die Kompetenzen professioneller LehrerInnen sind dabei ähnlich vielseitig wie die Aufgaben von Lehrkräften, wie Kapitel 2.2.2 zeigt. Hier wurden exemplarisch zwei Kompetenzmodelle aus der Literatur ausgewählt und hinsichtlich ausgewählter Aspekte verglichen: HelmkesLehrerexpertiseaus der Unterrichtsqualitätsforschung und Bauers „Pädagogische Basiskompetenzen“. Dabei sind für die Autorin die Handlungsrepertoires Bauers die konkreten und praktisch umsetzbaren Ausprägungen der Erkenntnisse aus der Unterrichtsqualitätsforschung. Überbau dieser zwei Ebenen - die Handlungsrepertoires als praktische Ausführung der in derLehrerexpertiseHelmkes genannten Kompetenzen - ist dabei „Reflexivität“.
Reflexivität ist der Schlüssel zu Professionalisierung. Dies verdeutlicht das Modell der „Subjektiven Theorien“ und das Modell des „Professionellen Selbst“ nach Bauer (vgl. Kap. 2.3). In beiden Modellen steht Reflexion im Mittelpunkt: Bei Wahls Modell zu den „Subjektiven Theorien“ ist es die Handlungsreflexion zur Erneuerung der handlungleitenden Prototypen und bei Bauer bildet die Handlungsreflexion die Brücke zwischen dem „Professionellem Selbst“ und dem „handelnden Ich“. Denkt das Individuum in Bezug auf Bauers „Professionelles Selbst“ nämlich nicht mit Hilfe des gedachten kritischen Beobachters über seine pädagogischen Handlungen nach, ist eine Veränderung dieser nicht möglich. Dies ist auch der Grund, warum Professionalisierung zur Lebensaufgabe von LehrerInnen wird (vgl. ebd.).
Selbstreflexion ist also offenbar die wesentliche Voraussetzung von LehrerInnen, ihr Handeln zu verändern und zu verbessern. Reflektieren sie nicht über ihr bisheriges Handeln und damit über Ursachen und biographische Hintergründe, die ihr Handeln leiten, versperren sie sich selbst den Weg zu professionellerem Handeln. In diesem Fall kann keine noch so gute und reformierte Lehrerausbildung ihre Wirkung entfalten. Fachwissenschaftliche und -didaktische Kompetenzen sowie die „Pädagogischen Basiskompetenzen“ nach Bauer können nur in einem reflektierten Zusammenwirken Erfolg für die Professionalität von LehrerInnen erzielen.
Mit dem Begriff „Reflexion“ ist schon in Bezug auf LehramtsstudentInnen mehr als die angeleitete Reflexion innerhalb eines Seminars an einer Pädagogischen Hochschule oder Universität gemeint. Vielmehr geht es vor allem um die Selbstreflexion, die in jedem Ausbildungsteil selbstständig und aktiv durch Gespräche mit Kommilitonen und allein in Gedanken erfolgt. Natürlich bieten Seminare, in denen gemeinsam über Unterricht reflektiert wird, oder vor oder nach einer gehaltenen Stunde im Rahmen verschiedener Praktika geführte Gespräche Anregungen. Letztendlich liegt die eigene Leistung in Richtung der Professionalität aber bei jedem Individuum selbst, da jeder seine individuelle Biographie hat, an der er arbeiten muss, um als reflektierte Lehrkraft SuS zur Reflexion anzuregen. In diesem Sinne könnte man sagen, dass eine professionelle Lehrkraft doch ein Stück weit berufen ist bzw. es von ihren Charaktereigenschaften abhängig ist, ob sie professionell werden kann. Das Vorhandensein von Interesse an der Selbstreflexion ist grundlegend, um zu pädagogischer Professionalität zu gelangen. Halten LehramtstudentInnen und Lehrpersonen durchweg an den Handlungsmustern fest, die sie gelernt haben und haben kein Interesse zur Selbstreflexion und Veränderung ihrer Prototypen, wird der Unterricht auf einem „professionellen“ Level erstarren, der die Dynamik eines Professionalisierungsprozesses verliert.
Dem Argument, dass Selbstreflexion unbedingte Voraussetzung für die Verbesserung der Kompetenzen von LehrerInnen in ihrem Beruf ist, kann entgegengehalten werden, dass jeder Mensch in seinem Beruf nur durch Interesse an der Verbesserung - in Verbindung mit Selbstreflexion zur Verwirklichung - gut ist. Trotzdem ist es laut Meinung der Autorin dieser Arbeit dem steten Wandel des pädagogischen Feldes zuzuschreiben, dass eine Lehrperson die immer wieder auftretenden Widersprüche (vgl. Oevermann) in flexibler und dynamischer Weise bewältigen muss. Dabei muss die Lehrkraft ihre Handlungsrepertoires überprüfen und gegebenenfalls aktualisieren bzw. erweitern, damit sie je nach Adressaten (SuS, Eltern etc.) adäquat handelt.
Kinder und Jugendliche sind - Wernet bezieht sich hierbei auf Oevermann - „[…] in einem offenem Bildungsprozess, in dem Autonomie und Rollenhandlungsfähigkeit des Schülers noch ungefestigt sind“ (Pfadenhauer 2005, S. 133). Diese Aufgabe der LehrerInnen, „Fachleute für das Lernen“ (Kultusministerkonferenz 2000) zu sein, sollte nicht unterschätzt werden.
In Bezug auf den Forschungsteil stellen sich hierbei folgende Fragen: Welche Kompetenzen im Umgang mit SuS (vgl. Kap. 6.1.1) sowie fachliche Kompetenzen (vgl. Kap. 6.1.2) nennen die Deutsch-Lehrerinnen im Interview? Zu welcher der drei von der Autorin vorgegebenen Thesen in Bezug auf Lehrertypen ordnen sich die Lehrerinnen selbst zu (vgl. Kap. 6.2.1)?
3. Kultur und Interkulturalität
Das Kippbild „Die alte Dame“[16]ist aus zwei Perspektiven zu betrachten: Entweder man kann eine alte Dame, die sich nach links dreht, erkennen oder es ist eine junge Dame, die sich vom Betrachter des Bildes abwendet, zu sehen.
Abbildung 10: Das Kippbild „Die alte Dame"
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kippbilderdieser Art verdeutlichen auf eine anschauliche Weise, wie zwei Menschen aus zwei verschiedenen Kulturen zwei unterschiedliche Perspektiven auf eine Handlung bzw. ein Objekt haben können.
Im vorherigen Kapitel ging es darum, in der Literatur die Kompetenzen zu finden, die professionelle LehrerInnen auszeichnen. Diese Kompetenzen haben sich konkret auf deutsche LehrerInnen, die in Deutschland unterrichten, bezogen.
Folgendes Kapitel leitet nun zur interkulturellen Forschung mit DaF-Lehrkräften und paraguayischen LehrerInnen über. Es thematisiert vorwiegend „Kultur“ (vgl. Kap. 3.1) und „Interkulturalität“ (vgl. Kap. 3.2). Der Fokus liegt dabei auf „Interkulturalität“: Wie sollen DaF-LehrerInnen kommunizieren und interagieren? Welche interkulturellen Kompetenzen brauchen sie zusätzlich zu den in Kapitel zwei (vgl. Kap. 2.2.2) genannten? Inwiefern sind diese interkulturellen Kompetenzen erlernbar?
3.1 Kultur
Zu Beginn dieses Kapitels wird eine konkrete Arbeitsdefinition desKulturbegriffsaufgestellt (vgl. Kap. 3.1.1).
Im nächsten Teilkapitel werdendrei Dimensionen von Kulturaufgezeigt (vgl. Kap. 3.1.2): Die mentale, soziale und materiale Dimension. Auf die mentale Dimension wird ausführlicher eingegangen, indem die vier Bereiche der Standardisierung von Kollektiven nach Hansen dargelegt werden. Grund für die ausführliche Abhandlung ist, dass diese Dimension nicht beobachtbar und deshalb von besonderem Interesse ist.
3.1.1 Der Kulturbegriff
Das lateinische Verb „colere“ bedeutet zum einen „pflegen, bebauen, bestellen“ sowie auch „anbeten“ (Hansen 2003, S. 14f).
In seinen Anfängen beinhaltete der Begriff „Kultur“ die Tätigkeiten des Ackerbaus und der Götterverehrung. Durch diese Tätigkeiten löste sich der Mensch mit Hilfe seiner Vernunft von seinem Naturzustand. (vgl. ebd.)
Viele Jahre sprachen die sog. „Hochkulturen“[17]- wertend und abgrenzend von der eigenen Kultur - von „primitiven Völkern“ (vgl. ebd., S. 17). Es ist ein langer Weg zur Gleichberechtigung der einzelnen Kulturen. Beispielsweise befinden sich im heutigen Sprachgebrauch noch immer Bezeichnungen wie zum Beispiel der Begriff „Dritte-Welt-Land“[18], die negativ konnotiert sind.
Edward Burnett[19]gelang 1871 mit seinem Hauptwerk „Primitive Culture“ ein wesentlicher Schritt: Er definierte „Kultur“ als „im weitesten ethnographischen Sinne jener Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und allen übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat“ (ebd.). Der Gebrauch von Begriffen wie „Moral“ und „Glaube“ für die als primitiv angesehenen Völker war eine wesentliche Neuerung im Denken und somit eine Hochwertung dieser Kulturen.
Dieser Arbeit liegt folgende Arbeitsdefinition von „Kultur“ zugrunde: „Kultur“ ist ein „offenes und dynamisch-veränderbares Sinn- und Orientierungssystem“ (Yousefi u. a. 2011, S. 10). Auch Grosch u.a. definieren Kultur als Sinnsystem einer größeren Gruppe von Menschen. Dabei beinhaltet Kultur auch Teil-, Sub- und Gegenkulturen. (vgl. Grosch u. a. 2000, S. 359f)
3.1.2 Die mentale Dimension von Kultur
Grundelemente von „Kultur“ sind nach Hansen das Verhältnis von Individuum und Kollektiv sowie Standardisierungen innerhalb eines Kollektivs. Ein „Kollektiv“ besteht aus einzelnen Individuen und wird von diesen getragen. Somit sind die Individuen laut Hansen Träger der Kollektive. (vgl. Hansen 2003, S. 158) Innerhalb der Kollektive entwickeln sich Gewohnheiten. Dieser Prozess wird als „Standardisierung“ bezeichnet. (vgl. Erll u. a. 2011, S. 20)
Hansen unterscheidet hierbei die vier folgenden Bereiche, die alle zur mentalen Dimension von Kultur gehören: „Standardisierung der Kommunikation“, „Standardisierung des Denkens“, „Standardisierung des Empfindens“ und „Standardisierung des Verhaltens bzw. Handelns“.
Innerhalb seines Konstrukts können die einzelnen Formen der „Standardisierung“ nicht völlig getrennt voneinander auftreten. Zur Übersichtlichkeit werden sie hier aber in den verschiedenen Kategorien aufgeführt. (vgl. Hansen 2003, S. 44f). Diese sollen im Folgenden kurz angerissen werden.
In der „Standardisierung der Kommunikation“ bilden sich in den Kollektiven viele Zeichen-vom Kopfnicken bis zum Straßenschild-als Konvention heraus. Diese werden „kulturelle Codes“ genannt. Sie legen die Bedeutung und den Gebrauch der Zeichen fest. (vgl. Erll u. a. 2011, S. 20) Die Sprache kann laut Hansen in die Kategorie des Zeichensystems eingeordnet werden, da sie Bedeutungsträger (Wörter) benutzt, die aus Willkür[20]Bedeutungen bekommen und Gewohnheiten bei der Nutzung haben (vgl. Hansen 2003, S. 68).
Die zweite Kategorie, das „standardisierte Denken“, beinhaltet das „kollektive Wissen“ und die Mentalität[21]. (vgl. ebd., S. 90) Der Begriff „kollektives Wissen“ setzt selbstredend voraus, dass es dem Großteil einer kulturellen Gemeinschaft zugänglich ist. Wissen schließt in diesem Kontext neben Faktenwissen auch Lebensregeln sowie subjektive Deutungen mit ein. (vgl. ebd., S. 103f) „Mentalität“ kann entweder eine über Kollektive greifende Idee oder Ideen nur eines Kollektivs beschreiben (vgl. ebd., S. 90). Der Begriff „standardisiertes Denken“ verweist somit darauf, dass Wirklichkeitsdeutungen kulturell vorgeprägt sind (vgl. ebd., S. 105).
Auch das Empfinden ist standardisiert - selbst wenn es widersprüchlich klingt - da Gefühle sozial konstruiert werden. Das bedeutet, dass sich Emotionen durch ein Kollektiv herausbilden und Menschen dementsprechend ihre Gefühle ausdrücken sowie die Emotionen anderer deuten. (vgl. Erll u. a. 2011, S. 21)
Hansen grenzt die „Standardisierung des Verhaltens und Handelns“ von Reflexen ab. „Reflexe“ sind nicht von der Kultur beeinflussbar. Sie sind natürliche Schutzreaktionen des Körpers. Das „Verhalten“ hingegen ist Teil der Kultur, da es durch die Kultur ritualisiert wird. Beispiel für kulturell geprägtes Verhalten ist der Handschlag in Deutschland zur förmlichen Begrüßung. Er ist an bestimmte Situationen, nämlich berufliche Treffen oder die Vorstellung bei Unbekannten gebunden und automatisiert, so dass Kultur der Träger des Verhaltens ist.
Das Abweichen von kulturell standardisiertem Verhalten - zum Beispiel das Verweigern des Handschlags in Deutschland - erfordert in den ritualisierten Situationen Verstand, Willen und klares Bewusstsein. Es ist ein Verstoß gegen kulturell standardisiertes Verhalten. (vgl. Hansen 2003, S. 123)
Das Handeln ist nicht komplett durch die Kultur bestimmt. Nur Bereiche, die sich auf geistige Inhalte wie Werte und Weltanschauungen beziehen, sind von der Kultur beeinflusst. Handlungen werden oft, von standardisiertem Denken bzw. Empfinden motiviert, ausgeführt. Gegenbeispiel wäre das Fahrradfahren, das bei der Handlung ansetzt und dadurch in allen Kulturen vergleichbar erlernt wird. (vgl. ebd., S. 127)
Die vier Standardisierungen gehören, wie oben beschrieben, zu der kognitiven Komponente von „Kultur“, die nicht direkt beobachtbar ist. Sie kann jedoch beispielsweise durch Sprichwörter, Theaterstücke oder Gesetze kulturelle Werte und Normen sichtbar machen. (vgl. Erll u. a. 2011, S. 22f) Im nachfolgenden Schaubild (vgl. Abb. 11) ist die kognitive bzw. mentale Dimension von Kultur durch den Teil des „Eisbergs“[22]dargestellt, der unter der Wasseroberfläche ist.
Erll u. a. nennen neben dieser „mentalen Dimension“ zwei weitere Dimensionen von Kultur: Die „soziale“ (soziale Interaktion, Strukturen und Institutionen) und die „materiale Dimension“ (Medien, Theater, Bauwerke u. a.). Diese beiden Dimensionen sind im Schaubild unten über der Wasseroberfläche dargestellt (vgl. Abb. 11). Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sichtbar sind.
[...]
[1]Die X-Schule in Y ist eine deutsche Schule mit einer Vor- und Grundschule sowie einer Sekundarstufe. Für mehr Informationen vgl. die Homepage der Schule unter: http://www.X.edu.py/index_german.php.
[2]Anmerkung der Autorin: In der „Primaria“ gab es an derX-Schulein Y im Fach „Deutsch“ ausschließlich weibliche Lehrkräfte. Da aus diesen Reihen die Befragten stammen, wird im weiteren Verlauf auf die maskuline Form verzichtet.
[3]Mennoniten sind altevangelische Taufgesinnte. Die Religionsgemeinschaft entstand im 16. Jh. aus niederländischen und norddeutschen Täufergruppen. Sie lehnen die Kindstaufe ab und befürworten hingegen die Bekenntnistaufe im Erwachsenenalter. Außerdem verweigern sie Gewalt in Form von Wehrdienst, Ehescheidung u. a.. Heute gibt es weltweit ca. 800 000 Mennoniten. (vgl. Brockhaus: s. v. „Mennoniten“)
[4]Anmerkung der Autorin: Die Bezeichnungen „die deutsche“ und „die paraguayische“ Kultur werden immer in Anführungszeichen gesetzt, um einer einengenden Generalisierung vorzubeugen, was dem im Verlauf genannten „offenem Kulturbegriff“ (vgl. Kap.3.1.1) widersprechen würde.
[5]Anmerkung der Autorin: Die Autorin verwendet bewusst durchgängig den Begriff „das Andere“ bzw. „die andere“ Kultur statt der Bezeichnung „die fremde“ Kultur. Grund dafür ist, dass die Angabe „die andere“ Kultur mehr eine symmetrische Beziehung zwischen der „eigenen“ und der „anderen“ Kultur darstellt. Laut Yousefi u.a. strahlt die Angabe „das Andere“ außerdem Nähe aus (vgl. Yousefi u.a.: s. v. „Andere, das“).
[6]Informationen zur Kolonie „Neuland“ bietet deren Homepage unter: http://www.neuland.com.py/de/kolonie.
[7]Der Gran Chaco ist eine Großlandschaft im zentralen Südamerika. Er erstreckt sich auf Paraguay, Argentinien und Bolivien. Das Klima ist subtropisch. Die wenigen Menschen, die im paraguayischen Teil leben, betreiben hauptsächlich Rinderhaltung. (vgl. Brockhaus: s. v. „Gran Chaco“)
[8]Vgl. hierzu die „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung“ von der Kultusministerkonferenz (vgl. Kultusministerkonferenz 2008).
[9]Anmerkung der Autorin: Hiermit sind alle Berufe gemeint, die nicht alsProfessiongelten. Die Bezeichnung als Profession erhält eine Berufsgruppe dabei durch die Einhaltung bestimmter Merkmale.
[10]Anmerkung der Autorin: Die Version von Rothland wurde bevorzugt, da sie im Gegensatz zum Original der KMK übersichtlicher ist.
[11]Der Terminus „Episteme“ bezeichnet - im Gegensatz zu einer bloß auf Sinneswahrnehmung gebildeten Meinung - die Erkenntnis (vgl. Brockhaus: s. v. „Episteme“).
[12]Der Begriff „Performanz“ beschreibt beispielsweise im Kontext von Sprachvorgängen - im Unterschied zu „Kompetenz“ - die Sprachverwendung in konkreten Sprechsituationen. Dabei gibt es durch soziokulturelle und sozialpsychologische Faktoren u. a. einige Abweichungen vom „idealen SprecherIn“. (vgl. Brockhaus: s. v. „Performanz“)
[13]Die Epistemologie als „Erkenntnislehre“ bzw. „Lehre vom Wissen“ ist von der Episteme („Erkenntnis“ bzw. „Einsicht“) (vgl. Kap. 2.2.1) selbst zu unterscheiden (vgl. Brockhaus: s. v. „Epistemologie“).
[14]Wie in der Wissenschaft bedienen sich Menschen auch im Alltag mentalen Konzeptsystemen: den „Subjektiven Theorien“. Bei der Untersuchung dieser „Subjektiven Theorien“ sind die handelnden Menschen, die ihren Blickwinkel auf die Welt und ihr Handeln erklären, Gegenstand der Untersuchung. Somit stehen die individuellen Überzeugungen, subjektiven Interpretationen und Schlussfolgerungen sowie die persönlichen Gewohnheiten in den Alltagssituationen der Individuen im Vordergrund. Durch „Subjektive Theorien“ können Erklärungen und Vorhersagen von Ereignissen sowie Handlungsentwürfe offen gelegt werden. In Gesprächen mit den einzelnen Individuen dient der Dialog-Konsens zur Rekonstruktion der „Subjektiven Theorien“. (vgl. Barth 2002, S. 34ff)
[15]Das„Professionelle Selbst“verknüpft laut Bauer Kompetenzen, Ziele und Handlungsrepertoires so, „dass ein kohärentes Bild einer verantwortlich handelnden professionellen Persönlichkeit entsteht“ (http://www.karl-oswald-bauer.de/) [Datum der Recherche: 27.09.2012] Für mehr Informationen vgl. angegebene Homepage von Karl-Oswald Bauer.
[16]http://www.sehtestbilder.de/optische-taeuschungen-illusionen/images/illusion-alte-oder-junge-frau-sehtest.jpg
[17]„Hochkulturen“ sind Kulturkreise aus verschiedenen historischen Epochen. Sie kennzeichnen sich durch einen hohen Entwicklungsstand und Faktoren wie das Vorhandensein einer Schrift, eine marktorientierte Wirtschaftsweise und ein Tribut- oder Steuersystem. (vgl. Brockhaus: s. v. „Hochkultur“)
[18]Im Brockhaus wird der Begriff „Dritte Welt“ folgendermaßen - was die negative Konnotation des Begriffs deutlich macht - definiert: „die Gesamtheit der wirtschaftlich und sozialunterentwickeltenStaaten Afrikas, Asiens und Lateinamerika […]“ (ebd.: s. v. „Dritte Welt“).
[19]Edward Burnett Tylor (1832-1917) war britischer Anthropologe. Er ging - wie einige seiner Zeitgenossen - von einer schrittweisen Entwicklung der Kulturen („kultur-evolutionistische Theorie“) aus. Diese Theorie wird früher wie heute in Frage gestellt. (vgl. Führding 2010)
[20]Anmerkung der Autorin: Bekommen Wörter ihre Bedeutung wirklich aus Willkür? Gegenbeispiel: Die Begriffe „Mama“ und „Papa“ werden so oder ähnlich in mehreren Sprachen benutzt. Grund dafür ist, dass als erste Laute eines Kindes die Laute verwendet werden, die sich in der Bildung am meisten unterscheiden. Während die Laute „m“ bzw. „p“ bilabial produziert werden, ist zur Bildung des Lauts „a“ der Mund aufgrund der Lage der Zunge vollständig geöffnet. (vgl. Yule, G. 1996, S.42, 48)
[21]„Mentalität“ ist eine Geisteshaltung bzw. Einstellung eines Individuum oder Kollektivs. Sie bestimmt damit das individuelle bzw. kollektive Verhalten (vgl. Brockhaus: s. v. „Mentalität“).
[22]Vgl. beim „Eisberg-Schema“ die Parallelen zum Vorläufer innerhalb der Psychoanalyse Freuds: das „Ich“, das „Es“ (Unbewusstes) und das „Über-Ich“ (vgl. Brockhaus: s. v. „Freud“).
- Quote paper
- Melanie Zell (Author), 2010, DaF-Lehrkräfte in Paraguay und Deutschland. Professionalität und interkulturelle Herausforderungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/336357
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