Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem 2003- 2005 abgehaltenem Österreich- Konvent und seinen dem österreichischen Parlament präsentierten Lösungsvorschlägen hinsichtlich einer grundlegenden Verfassungsreform. Anhand vorhandener Forschungsliteratur sowie ausführlich gestalteter qualitativer Interviews mit ehemaligen TeilnehmerInnen des Konvents werden einerseits die Ursachen für das Anfang 2005 zustande gekommene Ergebnis und andererseits die während der vergangenen elf Jahre bereits realisierten bzw. nicht realisierten Reformschritte ausgeleuchtet.
Das unter Zugrundelegung der Rational Choice- Theorie auch soziologische Komponenten berücksichtigende Forschungsergebnis ermöglicht dem Leser einerseits einen generellen Überblick über die Gesamtmaterie des Österreich- Konvents und andererseits eine spezifische Darstellung jener Reformvorschläge, für die bis dato noch keine politisch notwendige Einigung erzielt werden konnte. Die Dringlichkeit sehr bald einzuleitender Maßnahmen hinsichtlich einer längst fälligen Verfassungs- und in weiterer Folge Verwaltungsreform des Bundesstaates Österreich wird durch diese Arbeit speziell untermauert.
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
1.1. Wie lauten die konkreten Forschungsfragen?
2. DIE THEORETISCHE GRUNDLAGE
3. DIE METHODOLOGIE
3.1 Die Mayring- Methode
4. DAS PERCHTOLDSDORFER PAKTUM VOM
5. DIE GESCHEITERTE BUNDESSTAATSREFORM VON
6. ABLAUF, ARBEIT UND ERGEBNISSE DES ÖSTERREICH- KONVENTS
6.1 Die Beratungsergebnisse des Konvents
6.2 Der Entwurf für eine neue Verfassungsurkunde
6.3 Länder- und Gemeindepositionen
6.4 Stimmen der Konvent- Teilnehmer anlässlich der Präsentation des Berichtes am 28
7. DIE JAHRE NACH ENDE DES KONVENTS
7.1 Der Föderalismuskonflikt
7.2 Debatte um Grundrechte
7.3 Das nicht verwirklichte Drei- Säulen- Modell
7.4 Erfolgreiche Teilreformen- das, was blieb
8. FORSCHUNGSRELEVANTE AUSWERTUNG UND EXPLANANDUM
8.1 Demonstration der methodischen Vorgangsweise anhand zweier qualitativer Interviews
8.2 Explanandum
9. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK (CONCLUSIO)
9.1 Die zusammengefasst wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit
9.2 Ausblick
10. AUSGEWÄHLTE INTERVIEWPASSAGEN
11. LITERATURVERZEICHNIS
12. ANHANG
Danksagung
Besonderer Dank gilt meiner geliebten Gattin Maria, die mich allzeit bei meinem Vorhaben unterstützte. Sie hat all die Monate meiner lernbedingten Abwesenheit und meiner stressbedingten Launenhaftigkeit mit bewundernswerter Geduld hin- genommen und mich in Zeiten der Schwäche entscheidend zum Weitermachen motiviert.
Kurzfassung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem 2003- 2005 abgehaltenem Österreich- Kon- vent und seinen dem österreichischen Parlament präsentierten Lösungsvorschlä- gen hinsichtlich einer grundlegenden Verfassungsreform. Anhand vorhandener Forschungsliteratur sowie ausführlich gestalteter qualitativer Interviews mit ehe- maligen TeilnehmerInnen des Konvents werden einerseits die Ursachen für das Anfang 2005 zustande gekommene Ergebnis und andererseits die während der vergangenen elf Jahre bereits realisierten bzw. nicht realisierten Reformschritte ausgeleuchtet.
Das unter Zugrundelegung der Rational Choice- Theorie auch soziologische Komponenten berücksichtigende Forschungsergebnis ermöglicht dem Leser einerseits einen generellen Überblick über die Gesamtmaterie des Österreich- Konvents und andererseits eine spezifische Darstellung jener Reformvorschläge, für die bis dato noch keine politisch notwendige Einigung erzielt werden konnte. Die Dringlichkeit sehr bald einzuleitender Maßnahmen hinsichtlich einer längst fälligen Verfassungs- und in weiterer Folge Verwaltungsreform des Bundesstaates Österreich wird durch diese Arbeit speziell untermauert.
Abstract
This thesis deals with the so-called Austrian Constitutional Convent which took place between 2003 and 2005 in order to present selected and possibly jointly agreed fundamental constitution reform proposals to the Austrian Parliament.
Whilst both existing literature and the analysis of specially, recently created qualitative interviews have been used for research the thesis one the one hand tries to focus on the outcome of the convent and on the other hand offers an overview about proposed reform- steps which became subject of implementation and nonimplementation during the last eleven years.
Taking also into account the Rational- Choice- Theory and its principle of sociologically based “utility maximization” the elaborated research- result enables the distinguished reader to even acquire a general overview about the Convent itself and additionally offers the chance to take a closer look on reform- proposals which so far have not yet matched parliamentarian approval. The urgency of long overdue constitutional and administrative reforms for Austria to be initiated very soon is being substantiated by this scientifically designed paper.
Abkürzungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Der Österreich-Konvent, ein eineinhalb Jahre lang vom 30. Juni 2003 bis 31. Jänner 2005 tagendes Forum, das sich nach der 1994 gescheiterten Bundesstaatsreform erneut mit Möglichkeiten einer grundlegenden Staats- und Verfassungsre- form der Republik Österreich befasst hatte, produzierte als Ergebnis seiner Beratungen eine Vielzahl von Vorschlägen mit teils fundamental- erneuernden Reformanregungen. Diese Vorschläge wurden anhand eines umfassenden Be- richts, welcher anlässlich der letzten Plenarsitzung des Konvents am 28. Jänner 2005 durch den damaligen Vorsitzenden des Konvents, Dr. Franz Fiedler, präsentiert worden war, der Öffentlichkeit vorgestellt.
Viele der in diesem Bericht präsentierten Ideen konnten während der vergange- nen elf Jahre tatsächlich verwirklicht werden. Jene Ideen, die nicht verwirklicht wurden, betreffen jedoch entscheidende Kernpunkte einer umfassenden Staatsre- form und stellten während der vergangen Jahre immer wieder innenpolitische Streitthemen dar.
Nach dessen offizieller Präsentation durch den damaligen Vorsitzenden wurde der „Bericht des Österreich-Konvents“ dem österreichischen Nationalrat vorgelegt, der in weiterer Folge einen „Besonderen Ausschuss zur Vorberatung des Berichts des Österreich-Konvents“ wählte und diesen mit der Weiterbehandlung der Vorschläge des Konvents beauftragte. Dieser rund ein Jahr lang tagende Ausschuss hielt bis Juli 2006 insgesamt zehn Sitzungen ab und befasste sich vor allem mit jenen Themen, bei denen entweder eine politische Einigung und Umsetzung nahe schien, oder aber bei denen es feststellbar konträre, kaum überwindliche Standpunkte zwischen den im Parlament vertretenen Parteien gab.
Nach Ende der Regierung Schüssel (ÖVP) richtete im Februar 2007 der neue Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ) eine Expertengruppe beim Bundes- kanzleramt ein, die von Seiten der SPÖ durch Dr. Peter Kostelka und Univ. Prof. Dr. Theo Öhlinger, von Seiten der ÖVP durch Dr. Franz Fiedler und Univ. Prof. Dr. Andreas Khol sowie Mag. Gabi Burgstaller und Dr. Herbert Sausgruber als VertreterInnen der Landeshauptleutekonferenz beschickt wurde. Diese Gruppe tagte regelmäßig unter Vorsitz des Leiters des Verfassungsdienstes im Bundes kanzleramt, Univ. Prof. Dr. Georg Lienbacher.
Die gemeinsam erarbeiteten Vorschläge dieser Expertengruppe wurden 2007 in Form eines sogenannten „Demokratiepakets“, das eine partielle Bereinigung des Bundesverfassungsrechts, eine Neuregelung weisungsfreier Behörden sowie die Einrichtung eines Asylgerichtshofs vorgeschlagen hatte, seitens des Parlaments verwirklicht (siehe dazu Anhang, Dokument 2).
Bundeskanzler Dr. Alfred Gusenbauer präsentierte im März 2008 zusätzliche Vorschläge der Expertengruppe zur Reform des Bundesstaates sowie nachhaltigen Bereinigung des österreichischen Verfassungsrechts. Leider wurde jedoch bis zum Ende der damaligen Legislaturperiode weder über eine diesbezügliche Regierungsvorlage verhandelt, noch deren weitere Vorschläge parlamentarisch ausformuliert. Das Thema Österreich- Konvent kam zunehmend ins Stocken, obwohl ein weiteres Mal- im Dezember 2008- eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet worden war, die sich speziell mit einer allseits als besonders dringlich zu verwirklichenden Verwaltungsreform auseinandersetzen sollte.
Um die Einbindung des Parlaments in diese Beratungen zu ermöglichen, wurde am 9. Juli 2009 ein Unterausschuss „Verwaltungsreform“ des Verfassungsausschusses eingesetzt. Weitere Arbeiten an der konkreten Verwirklichung der Konvent- Ergebnisse verliefen wegen der Auswirkungen der damals spürbar einsetzenden internationalen Finanzkrise nur schleppend. Immerhin konnten noch zwei Punkte, die in erster Linie das Wahlrecht, sowie Fragen der Verwaltungsorganisation und rechtstechnische Fragen betrafen, umgesetzt werden.
Ein ganz wesentliches Schwerpunktthema des Konvents- die Schaffung einer zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit- konnte schlussendlich 2012 erfolgreich abgeschlossen werden. Auf Grundlage dieser großen und lange vorbereiteten Reform nahmen am 1. Jänner 2014 sowohl neun Landesverwaltungsgerichte, als auch ein Bundesverwaltungsgericht und ein Bundesfinanzgericht ihre lang er- sehnten Tätigkeiten auf.
So viel zur kurz dargestellten chronologischen Abfolge der Ereignisse nach Been- digung des Konvents, die ich in meiner Forschungsarbeit im Rahmen eines relativ kurz gefassten, nicht auf Einzelheiten eingehenden Kapitels nochmals speziell abhandle. Würde ich mit einer genauen Darstellung aller Vorgänge nach Ende des Konvents samt aller dabei entstandenen Dokumente beginnen, würde dies den seitenmäßigen Umfang dieser Arbeit bei weitem überschreiten.
Was stand bzw. steht bis heute dagegen, dass nicht alle Vorschläge des Konvents tatsächlich verwirklicht werden konnten?
Unbestreitbar steht die Republik Österreich in einem stetigen und sich dramatisch verschärfenden globalen Wettbewerb, in dem sie nur dann längerfristig erfolgreich bestehen kann, wenn sich die wesentlichen Kennziffern, die ein erfolgreiches Staatswesen ausmachen, nicht- wie seit einigen Jahren beobachtbar- weiter ver- schlechtern. Neben dem Leistungswillen der Bevölkerung stellen auch hoher Ge- samtbildungsgrad, hohe Lebensqualität, hoher Sozialstandard, hoher Beschäfti- gungsgrad, restriktionsloses Konsumverhalten, exzellente Infrastruktur sowie eine auf allen administrativen Ebenen bestens und kostengünstig funktionierende Ad- ministration die notwendigen Grundvoraussetzungen für einen im internationalen Toprating befindlichen Staat dar.
Vieles an damals und auch heute für ein Bestehen im globalen Wettbewerb als wichtig empfundenen Änderungen und Korrekturen blieb bis dato unerledigt und wird ohne einen gemeinsam getragenen politischen Willen nie einer Verwirkli- chung zugeführt werden. Anderes wurde zwar ausführlich diskutiert, jedoch nie einer Abstimmung bzw. gesetzlichen Regelung durch das Parlament unterworfen. Teils unüberwindliche ideologische Gegensätze zwischen den im Parlament ver- tretenen Parteien und ein weiter zunehmender, kostenintensiver Föderalisie- rungsprozess des Staates lassen aus meiner Sicht weiterhin wichtige Themen des Konvents wie z.B. die notwendige Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, die Reform des Bildungs- und Gesundheitswesens, die feh- lende Bindung von Aufgaben- an Ausgabenverantwortung im Länderbereich so- wie die Reform der Bundesverfassung unbearbeitet erscheinen. Die während der vergangenen Jahre immer wieder vernehmbare Aussage „ Dann bleibt es eben wie es ist “ kann aus meiner persönlichen Sicht keinesfalls eine dauerhaft gültige Begründung für einen Reformstopp darstellen. Meine nach wissenschaftlichen Prinzipien erfolgte Untersuchung wollte u.a. punktuell auf die Wurzeln dieser spürbaren Unwilligkeit hinsichtlich weitreichender Reformen stoßen und diese auch aufzeigen.
Neben der Darstellung der durch den Konvent tatsächlich realisierten Reformen strebte ich auch nach einem partiellen Ausleuchten bisher unerledigt gebliebener Vorschlagsbereiche des Konvents samt einer Untersuchung der dafür verantwort- lichen Ursachen und möglichen Verantwortlichkeiten. Die gegenständliche These folgt keineswegs lediglich deskriptiven Ansätzen, sondern präsentiert neben aktu- ellen Sichtweisen teils auch subjektive Meinungen einschlägiger Protagonisten, sowie eigene Gedanken hinsichtlich möglicher Weiterentwicklungen. Kapitel 10 dieser Arbeit stellt die eigentliche Essenz der gegenständlichen Forschung dar, weil sich darin eine Vielzahl von anonymisierten Textpassagen der von mir auf vertraulicher Basis geführten Interviews befindet. Wer diese Textpassagen aufmerksam liest, gewinnt einen sehr fundierten Eindruck über die damalige politische Situation am Ende des Konvents und kann sich auch ein durchaus realistisches Bild der gegenwärtigen Situation machen.
Im Sinne der meinen Untersuchungen zugrundeliegenden Rational- Choice- The- orie (RCT), die menschliches Verhalten in der Regel einer angestrebten individu- ellen und auch kollektiv betriebenen Nutzenmaximierung zuordnet, interessierte mich ebenso auch die menschliche „Chemie“, die während der Beratungen des Konvents vorherrschend war. Speziell erweckte mein soziologisches Interesse die in diesem Zusammenhang notwendige Klärung der Frage, ob grundsätzlich gute Umgangsformen innerhalb eines temporär bestehenden Kollektivs auch konsen- sual bedingte Entscheidungsfähigkeiten begünstigen, oder aber, ob trotz dieser Umgangsformen stets das Nutzenmaximierungsprinzip im Sinne einer möglichst vollständigen Verwirklichung eigener Ansprüche „um jeden Preis“ dominant bleibt.
Ich stellte daher folgende Überlegungen an, die mir die Formulierung von konkreten, für diese Arbeit notwendigen Forschungsfragen erleichtern sollten:
Was faszinierte mich an dem Thema?
Die Forschung nach der „Zeit danach“- was ist tatsächlich seit 2005 passiert? Warum ist vieles nicht passiert?
Die im Rahmen der Masterthese geführten Interviews mit einigen der da- maligen „Macher“ des Konvents. Wie sehen sie die Situation heute- nach elf Jahren?
Was wurde tatsächlich verwirklicht? Wo hat der Konvent erkennbare Spuren hinterlassen? Wie wirken diese in der Praxis?
Wo bestehen entscheidende Lücken, die bis dato nicht verwirklicht wur- den?
Warum gab es nicht mehr Kooperation und gemeinsames Interesse zwischen den Parteien, um das vorgesehene Gesamtziel während der vergangenen elf Jahre zu verwirklichen?
Wer hatte und hat Interesse an einer weiteren Nichtrealisierung der Vorschläge des Konvents und warum?
Wer sind bzw. waren die kollektiven Akteure, die ihre Interessen verwirklicht sehen woll(t)en (Interessensgruppen)?
Was irritierte mich an diesem Thema?
Die umfassend vorhandenen Dokumentationsmaterialen, in die nicht alle innerhalb von knapp drei Monaten Bearbeitungszeit für diese These einge- sehen werden konnte und die mir klarmachten, dass eine umfangreichere Sichtung aller vorhandenen Materialien wohl auch eine Dissertationsarbeit mit möglicherweise einjähriger Bearbeitung rechtfertigen würden. Das Herausfinden der richtigen Antwort auf die Frage nach dem Warum. Warum stellen die Vorschläge des Konvents derzeit nur einen partiell ver- wirklichten Versuch zur Schaffung einer nachhaltigen Staatsreform dar?
Wer konkret (welche Gesellschaftsgruppen) würde die Risiken /Nachteile tragen- und wer profitiert von der Nichtbehandlung der noch offenen Vorschläge des Konvents?
Konkret würde das Staats- und Gemeinwesen Republik Österreich Risikoträger sein, wenn die teils elementar wichtigen Vorschläge des Konvents nicht auch tat- sächlich realisiert werden würden. Ganz eindeutig bedeutet die weitere Ver- schleppung längst fälliger Reformen in allen Bereichen staatlicher Organisation einen absehbaren und nachhaltigen Niedergang der Republik Österreich. Profitie- ren würden bei Nichtverwirklichung der Konvent- Empfehlungen jene politischen Kräfte in Österreich, welche im Falle der Realisierung der wesentlichen, noch of- fenen Konvent- Themen spürbare Einschränkungen im Bereich eigener Macht- ausübung sowie teils auch materielle Nachteile gewärtigen müssten.
Gerade in einer Zeit spürbarer allgemeiner Unzufriedenheit im Lande könnte meine Forschungsarbeit politische Parteien, Interessensverbände, Sozialpartner, aber auch politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger und auch Medien dazu motivieren, sich erneut und ernsthaft mit der Frage einer umfassenden Staatsre- form auseinanderzusetzen, um den dafür nötigen Antrieb für einen neuen, allum- fassenden Lösungsenthusiasmus hinsichtlich der noch unerledigten Vorschläge bereitzustellen. Beispielhaft hat z.B. die jüngst über das Land hereingebrochene Flüchtlingskrise gezeigt, dass politisch zu verantwortende „Kompetenz- Mehrglei- sigkeiten“ in entscheidenden Bereichen des Gesetzesvollzugs zu teils vollkom- mener Lähmung staatlichen Handelns in entscheidenden Situationen, die auch über Schutz und Sicherheit der österreichischen Bevölkerung entscheiden, führen können.
Wer würde von der Lösung des angesprochenen Problems profitieren?
Das gesellschaftlich fest verankerte „System Österreich“ würde im Falle einer kompletten Verwirklichung aller Vorschläge des Konvents wegen seiner großen Relevanz für alle Bevölkerungsschichten entscheidend profitieren und auf existie- rende politische Parteien, gewerkschaftliche und wirtschaftliche Interessensvertre- tungen sowie Bürgerinnen und Bürger positiv Einfluss nehmen. Gerade, was die politische Verantwortung der Parlamentsparteien für das zukünftige Wohlergehen des Staates betrifft, könnte die Wiederbelebung des Konvent- Gedankens im Sin- ne der notwendigen Fortführung grundlegender Reformen einen mehrjährig wir- kenden Multiplikator- Effekt begründen.
So wie man in der Wirtschaft immer wieder eine festgelegte Strategie nach ihrer messbaren Wirkung und abrufbaren Kennzahlen hinterfragt und anlassbedingt auch neu ausrichten sollte, erscheint es auch notwendig, bestehende staat- lich/administrative Systeme und die dafür zugrundeliegenden verfassungsrechtli- chen Bestimmungen immer wieder zu hinterfragen und anhand eruierter Kennzif- fern den sich ändernden Gegebenheiten entsprechend neu auszurichten.
Speziell nach dem Scheitern der Bundesstaatsreform 1994 hätte der neun Jahre später beginnende ÖK ein wirklich durchschlagender Erfolg werden können. So, wie sich die Lage aus Sicht des Verfassers darstellt, ist man jedoch auf- zugege- benermaßen erfolgreichem- halbem Wege stehengeblieben. Ein nochmaliger An- lauf im Sinne einer Lösung z.B. der Kompetenzfrage sowie der Erstellung einer einheitlich zusammengefassten neuen Bundesverfassung würde bei der österrei chischen Bevölkerung zweifellos große Unterstützung samt wachsendem Staatsbewusstsein hervorrufen.
Was wollte ich konkret herausfinden?
Beim gegenständlichen Thema wurden die Forschungsfragen vom allgemein for- mulierten und seitens der Studiengangsleitung vorgegebenen Titel „Was blieb vom Österreich- Konvent?“, der keine wissenschaftliche Forschungsfrage dar- stellt, abgeleitet. Es erschien in diesem Zusammenhang klar, dass man im Rah- men der Fragestellung natürlich auch ein spezielles Fragespektrum eruieren musste, auf das man sich in weiterer Folge besonders konzentrieren konnte. Mein besonderes Interesse zielte auf den weiterhin außerhalb der öffentlichen Wahr- nehmbarkeit ablaufenden Diskurs um die noch nicht realisierten Vorschläge des Konvents ab. Die persönliche Meinung der seinerzeit am Konvent mitbeteiligten Protagonisten, die im Rahmen empirischer Forschungsmethodik herausgearbeitet werden konnte, spielte dabei selbstverständlich eine gewichtige Rolle.
1.1. Wie lauten die konkreten Forschungsfragen?
Meine eingangs bereits präsentierten Überlegungen lenkten das konkrete Interes- se primär auf das nach wie vor „offene Ende“ der 2003 begonnenen Reformüber- legungen, insbesondere hinsichtlich der Frage, warum nicht allen Anregungen des Konvents nachgegangen werden konnte und welche Beweggründe dahin- terstehen könnten.
Ich habe mich in meiner Arbeit primär auf die in der Conclusio erfolgende Beantwortung der nachfolgenden drei Forschungsfragen konzentriert:
Worin könnten die Ursachen für nach wie vor nicht realisierte Vorschläge des Österreich- Konvents liegen?
Wer bzw. was könnte für diese Nichtrealisierung verantwortlich gemacht werden und worauf wäre im Sinne der zugrundeliegenden Rational Choice- Theorie dieses diesbezüglich desinteressiert- resistente Verhalten zurückführbar?
Kann jenes unter den damaligen Teilnehmern herrschende individuell- persönliche Gesprächsklima für die erzielten Ergebnisse des Konvents mitverantwortlich gemacht werden?
Selbstverständlich wurden auch andere Schlüsselthemen des Konvents im Rah- men meiner These berührt und auch behandelt. Das eigentliche Ziel dieser Arbeit war es, anhand der präzisierten Forschungsfragen möglichst umfassend heraus- zufinden, inwieweit sich die Sichtweise zu den Anfang 2005 erzielten Ergebnissen des Konvents, zu den Hintergründen des Zustandekommens dieser Ergebnisse sowie auch zu möglichen Optionen hinsichtlich einer Wiederbehandlung unerle- digt gebliebener Vorschläge des Konvents seit damals geändert hat.
Ist das Thema während der vergangenen Jahre bereits oft wissenschaftlich bearbeitet worden?
Ich denke, dass die zur Diskussion stehende Thematik durch diese Arbeit relativ exklusiv neu behandelt wurde. Mit dem Thema ÖK bzw. dessen Ergebnissen setzte man sich in den vergangenen Jahren bis auf zwei erwähnenswerte 2012 und 2015 abgehaltene Veranstaltungen (Österreichischer Juristentag 12.5.2012 sowie Tagung der Industriellenvereinigung 2015) kaum mehr für die Öffentlichkeit merkbar auseinander.
Worin unterscheidet sich das gegenständliche Thema von anderen ähnlichen Fragen?
Die zur Verfügung stehende Literatur ist umfangreich und bietet eine sehr gute Einbettung der Thematik in bestehende Quellen. Speziell die Frage nach den mit Stichjahr 2016 existierenden und auch bereits realisierten Vorschlagsergebnissen des Konvents schien mir aufgrund eines ersten Überblicks, den ich mir machte, besonders interessant und unterscheidend zu sein.
Was sollte in meinem Thema unbedingt behandelt werden?
Einerseits eine Klärung der Frage, warum staatswichtige Vorschläge des Kon- vents elf Jahre nach deren Präsentation immer noch nicht verwirklicht werden konnten und andererseits, ob die vielerorts getätigte Aussage bestätigt werden kann, dass vor allem ein spezifisches Verhalten der VertreterInnen der Bundes länder für „das Halten auf halber Strecke“ verantwortlich gemacht werden muss.
Was hat mich dazu bewogen, mich mit der Thematik Österreich- Konvent zu befassen?
Seit dem Ende Jänner 2005 präsentierten Entwurf einer neuen Bundesverfassung, der bis dato keine Zustimmung bei allen im Parlament vertretenen Parteien erfahren hat, stellt dieses Thema einen für mich ganz wesentlichen Eckpfeiler zu- kunftsorientierter österreichischer Innenpolitik dar. Trotz meiner beruflich bedingt vielen im Ausland verbrachten Jahre und vielleicht gerade auch deshalb lag und liegt mir speziell die Diskussion um eine unbestritten dringend notwendige Reform des österreichischen Staats- und Verwaltungswesens besonders am Herzen.
Insbesondere die 2008 von Peter Biwald, Elisabeth Dearing und Thomas Weninger im Neuen Wissenschaftlichen Verlag herausgegebene Festschrift „Innovation im öffentlichen Sektor“, deren Inhalt ganz wesentliche Themen des Konvents aufbereitet und dabei achtzehn Thesen aufstellt, motivierte mich als langjährig öffentlich Bediensteten der Republik Österreich zu tiefergehenden Reflexionen hinsichtlich einer Neuaufbereitung des Konvent- Gedankens.
Auszugsweise möchte ich daher einige Thesen dieser zu Ehren des Verwal- tungsmodernisierungs- Pioniers Helfried Bauer erstellten Festschrift zitieren:
These 7: Das ö ffentliche Haushaltswesen ist weiter zu entwickeln- ein integrativer Ansatz ist erforderlich.
These 8: Der Finanzausgleich ist auf eine neue Grundlage zu stellen.
These 9: Die Finanzierungsm ö glichkeiten sind auszubauen- gr öß ere Abgabenautonomie für Länder und Gemeinden sind herzustellen.
These 10: Staatsreform ist erforderlich- eine Verknüpfung von Aufgaben- und Finanzzuteilung ist notwendig.
These 13: Reformprozess bilden und Pflege des Sozialkapitals sicherstellen.
These 17: Personalentwicklung als notwendige Erfolgsbedingung für Reformen (vgl. Biwald, Dearing, Weninger 2008, S. 413- 418)
Jede der zitierten Thesen steht unmittelbar auch mit den Vorschlägen des Kon- vents in Verbindung und zeigt, dass die während des Konvents erfassten Probleme des österreichischen Bundesstaates auch in den Jahren danach als bestehend erkannt und immer wieder erneut angesprochen wurden.
Zusammengefasst soll meine Forschungsarbeit elf Jahre nach Ende des Kon- vents noch einmal einen durch die seit damals vergangenen Jahre geschärften Blick in die wesentlichen Probleme und Aufgabenstellungen des Konvents anbie- ten, um dadurch ein Erklärungsmodell zu entwickeln, das vielleicht helfen kann, zu verstehen, warum die Dinge damals so und nicht anders gelaufen sind. Im Rahmen der bereits bestehenden Konvent- Forschung soll mit dieser Arbeit aber auch eine aus meiner Sicht bis dato bestehende Lücke im Bereich empirisch be- legbarer Verhaltensmuster, die eine irgendwann vielleicht wieder stattfindende Konvent- ähnliche Veranstaltung treffen könnten, möglichst geschlossen werden.
Zum Abschluss des Einleitungskapitels sei betont, dass die gegenständliche Forschungsarbeit keinesfalls im Sinne der besonderen Hervorhebung verfassungsjuristischer Prinzipien verfasst wurde und dementsprechend nicht geeignet ist, komplexe juristische Expertenansprüche im Zusammenhang mit dem Konvent exemplarisch zu befriedigen. Der Verfasser dieser Forschungsarbeit ist Nichtjurist und deshalb interdisziplinär mit einem speziellen soziologischen Interesse an die gegenständliche Thematik herangegangen.
2. Die theoretische Grundlage
Die Basis meiner Überlegungen und Untersuchungen stellt- wie bereits in der Ein- leitung erwähnt- die sogenannte Rational Choice- Theorie (RCT), also die Theorie der rationalen Entscheidung, dar. Unter diesem Begriff werden verschiedene An- sätze subsumiert, die sich mit dem Handeln von Individuen in bestimmten Situa- tionen befassen und sozialwissenschaftlich analysiert werden können. Generell schreiben diese Ansätze handelnden Akteuren ein vernunftbasiertes Verhalten zu, wobei dieses Verhalten auf Nutzenmaximierung ausgerichtet ist. Ursprünglich nur im Rahmen wirtschaftswissenschaftlicher Untersuchungen praktiziert, wird Rational Choice während der vergangenen dreißig Jahre zunehmend auch als einer von mehreren Ansätzen in sozialwissenschaftlichen Bereichen angewendet.
Die Grundlage der RCT findet sich in der Renaissance- Zeit wieder. Damals wen- deten sich Philosophen wie Niccolo Machiavelli (1469- 1527) bzw. Thomas Hob- bes (1588-1679) gegen die zu jener Zeit dominante Meinung, der Mensch als In- dividuum sei von Natur aus lediglich an göttlichen Gesetzen und der Verwirkli- chung von Gemeinwohl orientiert, und postulierten, dass der Mensch primär die Befriedigung eigener Bedürfnisse während seines irdischen Lebens ersehne. Ein derartiges Verhalten führt selbstverständlich zu Konkurrenzsituationen und Konf- likten, die die Frage aufwerfen, inwieweit Individuen, die nur am eigenen Vorteil interessiert sind, sich gesellschaftlich integrieren und sich längerfristig einer stabi- len Ordnung unterwerfen können.
Im 18. Jahrhundert folgten sowohl klassische Nationalökonomen, wie auch die schottischen Moralphilosophen (David Hume, Adam Ferguson, Adam Smith) der Grundauffassung, dass das Handeln menschlicher Individuen und ihr Drang nach Bedürfnisbefriedigung immer auch der Ausgangspunkt von sozialen Prozess- und Strukturanalysen sei. Im Gegensatz zu Hobbes geht es aber nunmehr nicht mehr um ein von Natur aus vorbestimmtes Individuum mit definierten Bedürfnissen, sondern um einen offenen, grundsätzlich in jeder Weise formbaren Akteur (vgl. Vanberg 1975, S. 5ff). Gerade die oben erwähnten schottischen Moralphiloso- phen sehen Ökonomie somit nicht mehr als eine von allen anderen isolierte Wissenschaft, sondern als interdisziplinären Ansatz, der auch Gesellschaft, Politik und Ethik umfassen kann, an.
Knappheit wird in diesem Zusammenhang zunehmend ein entscheidender Begriff, weil sie stets auch das menschliche Handeln im Sinn einer notwendigen Bedürfnisbefriedigung beeinflusst. Darauf aufbauende neoklassizistische Wirtschafts- modelle des 19. und auch beginnenden 20. Jahrhunderts bilden somit die Grundlage der sogenannten Wohlfahrtstheorie, deren Interesse auf die Herleitung optimaler Bedingungen zur Maximierung gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftli- cher Wohlfahrt als vorgegebenes Ziel (vgl. Kunz 2004, S. 9) fokussiert. Erwäh- nenswert in diesem Zusammenhang ist auch Vilfredo Pareto (1848- 1923). Auf ihn geht das in wissenschaftlichen Kreisen bekannte sogenannte „wohlfahrtstheoretische Kriterium“ zurück, das folgendes aussagt:
Eine Situation ist dann einer anderen vorzuziehen, wenn die Wohlfahrt oder der Nutzen mindestens einer Person steigt, aber keine Person entsprechende Einbu- ß en hinnehmen muss. Eine „ paretooptimale “ Situation liegt dann vor, wenn es nicht mehr m ö glich ist, die Wohlfahrt mindestens einer Person zu erh ö hen, ohne dass dadurch diejenige anderer Personen reduziert wird (vgl. Kunz 2004, S.9) .
Adam Smith (1723- 1790), dessen Überlegungen primär in der Ökonomie disku- tiert werden, kreierte die berühmte Formel der „unsichtbaren Hand“. Er meint, dass der wirtschaftliche Wohlstand einer Gesellschaft immer das ungeplante Er- gebnis einer individuellen Vorteilssuche auf dem freien Markt sei. Die Überlegun- gen von Smith sind selbstverständlich auch auf sozialwissenschaftliche Gesell- schaftsanalysen anwendbar und können dahingehend gedeutet werden, dass sich soziale Strukturen und Prozesse auch als Ergebnisse individuell motivierter und interindividuell vermittelter Handlungen darstellen lassen (vgl. Kunz 2004, S.10). Demgemäß bezieht sich der Rational Choice- Ansatz der Sozialwissen- schaften grundsätzlich auf jene Ü berlegungen, die einst von den schottischen Mo- ralphilosophen postuliert worden waren (vgl. Albert 1977, S. 181). Deren gedank- liche Ansätze lassen sich in fünf Thesen zusammenfassen:
Erste These: Individuelle Entscheidungen und Handlungen, die auf kollekti- ven Phänomenen und gesellschaftlichen Ereignissen aufbauen, beruhen auf rationalen Erwägungen, die sich an dem Prinzip der Nutzenmaximierung orientieren, was wiederum bedeutet, dass Akteure folgen- und erfolgsorientiert agieren, um ihre Ziele und Vorstellungen möglichst umfassend realisieren zu kön- nen.
Zweite These: Grundsätzlich orientiert sich ein Individuum am Selbstinter- esse; dessen individuelle Präferenzen und Interessen werden von diesem festge- legt, was jedoch nicht bedeutet, dass dieses Individuum nicht auch Nutzen am Wohlergehen der anderen Mitglieder der Gesellschaft bzw. definierten Gruppe sieht. Geht man von einer durchaus auf die egoistische Verwirklichung des eige- nen Interesses auf Maximierung des materiellen und monetären Wohlergehens konzentrierten Sichtweise aus, nähert man sich dem sogenannten neoklassischen Konzept des „ Homo oeconomicus “ an, das aussagt, dass der Mensch als Indivi- duum einen rational agierenden Agenten bzw. das Bild eines rationalen „Nutzenmaximierers“ darstellt. In der Ökonomie wird dieses Modell oft dazu be- nutzt, um wirtschaftliche Vorgänge zu beschreiben. Der Begriff Homo oeconomicus wird gerne z.B. bei der Beschreibung sozialwissenschaftlicher Vor- gänge angewendet. Dieses Erklärungsmodell setzt sich mit einem menschlichen Individuum (oft „Agent“ genannt) auseinander, welches vor einer anstehenden Entscheidung über alle möglichen Alternativen zuerst eine klare Ordnung der Prä- ferenzen bildet und sich dann für die jeweils beste Alternative entscheidet. Nicht untersucht werden dabei die intrinsischen Motive des Individuums, welche den o.a. Präferenzen zugrunde liegen.
Die dritte These der schottischen Moralphilosophie konzentriert sich auf die Leh- re der sogenannten Knappheit der Mittel, die in den Werken des deutschen Phi- losophen und Soziologen Hans Albert (geb. 1921) Eingang gefunden hat und sich speziell mit dem von ihm vertretenen kritischen Realismus auseinandersetzt. Nur wenn Mittel knapp sind- so die Annahme- kann im Sinne einer Erreichung von Zielen bei gleichzeitig maximierender Abwägung von Alternativen und in Abhän- gigkeit vorgegebener Restriktionen, die als Konsequenz Tauschprozesse generie- ren, eine strukturelle Grundlage für gesellschaftliche Institutionen gebildet werden.
Präferenzen, Restriktionen und Handlungswahlen stellen daher die zentralen Variablen im Rational Choice- Ansatz dar (vgl. Kunz 2004, S.12).
Die vierte These sagt aus, dass individuelles Handeln nicht zufällig geschieht, sondern allgemein geltenden Regeln unterliegt. Dabei wird eine Verknüpfung zwischen variablen und sozialen Handlungsbedingungen hergestellt, die die Basis für mögliche Erklärungsmodelle zu den untersuchungswerten sozialen Phänomenen bildet.
Die fünfte These geht davon aus, dass individuelle Handlungsmotive und kol- lektive Handlungsfolgen keineswegs immer einander entsprechen müssen (Kunz 2004, S. 12). Relativ häufig fallen sie sogar auseinander. Gerade kollektive Handlungsfolgen stellen aber wiederum Ausgangssituationen für weitere, zukünftige Handlungen dar. Die gegenständliche Forschung möchte daher u.a. auch untersuchen, inwieweit individuelle und kollektive Handlungsmotive bei den Ergebnissen des Konvents eine Rolle gespielt haben könnten.
Der Rational Choice- Ansatz orientiert sich somit primär an der Frage, auf welche Art Individuen unter der Voraussetzung von divergierenden Sichtweisen, Meinun- gen und Interessen anderer Individuen, die allesamt ebenfalls an der Maximie- rung des eigenen Vorteils interessiert sind, trotzdem in der Lage sind, z.B. ein stabiles politisches System oder auch eine gemeinsam erstellte, bindende Übereinkunft zu schaffen und als Institution zu erhalten bzw. auch weiter zu ent- wickeln.
Es geht dabei um kollektive Phänomene, die- auf ihren Ursprung begründet Gegenstand von Untersuchungen aller Art sein können. Entscheidend dabei ist, dass anfallende Ereignisse auf individueller Ebene nicht von jenen Ereignissen, die auf kollektiver Ebene vorfallen, getrennt betrachtet werden dürfen. Demnach können kollektiv auftretende Phänomene sowohl die Rahmenbedingungen, als auch die Ergebnisse von durch Akteure gesetzten individuellen Handlungen darstellen. Die Wissenschaft spricht bei dieser Art von Rational Choice vom sogenannten strukturell- individualistischen Ansatz.
Untersuchungen sozialer Strukturen, wie sie u.a. auch der Österreich- Konvent darstellt, und die auf Basis der RCT abgehandelt werden, konzentrieren sich auf ein bestimmtes Regulativ wissenschaftlichen Arbeitens, das im sogenannten Ra- tionalitätspostulat zusammengefasst ist. Dieses enthält drei Anforderungen: Sprachliche und logische Präzision, Intersubjektivität und Begründbarkeit.
Des Weiteren folgen sie einem empirisch- analytischen Wissenschaftsbegriff und beziehen sich dabei auf den o.a. strukturell- individualistischen Ansatz. Die Kennzeichen dieses Ansatzes manifestieren sich folgendermaßen:
Schritt 1: Die Logik der Situation stellt den Bezug zwischen sozialer Situation und dem Akteur her.
Schritt 2: Die Logik der Selektion erklärt die individuelle Handlungswahl.
Schritt 3: Die Logik der Aggregation verknüpft die individuellen Handlungen mit dem eigentlich interessierenden kollektiven, sozialen Tatbestand (vgl. Kunz 2004, S. 17).
Generell kann der Rational-Choice-Ansatz als Erklärungsmuster für viele soziale Phänomene, Prozesse aber auch Ereignisse, die auf der Makroebene stattfinden dahingehend herangezogen werden, dass diese sozialen Phänomene, Prozesse bzw. Ereignisse sehr oft durch rationale, unterhalb der Systemebene agierende Akteure begründet werden. Demgemäß zeigen die meisten sozialwissenschaftli- chen Analysen implizit, dass kollektive Phänomene das Resultat individueller Handlungen sind (vgl. Kunz 2004, S. 24). Makrostrukturen sind in diesem Zusammenhang wichtige Voraussetzungen für soziales Handeln der einzelnen Akteure; Beziehungen auf dieser Makroebene finden jedoch immer wieder auch unter einem Rückgriff auf die jeweils individuelle Ebene statt.
Dabei ist sich der jeweils in soziale Zusammenhänge eingebundene, handelnde Akteur seiner Handlungen durchaus bewusst und wägt die angestrebten Ziele und auch die daraus resultierenden Konsequenzen immer wieder gegeneinander ab. Das Besondere am Rational- Choice-Ansatzes innerhalb des strukturell- individualistischen Rahmens liegt jedoch am rationalen Befolgen einer bestimm- ten Handlungsregel, die im engeren Sinn einer Nutzenmaximierung dienen soll bzw. kann. Wenn in diesem Zusammenhang von einer Handlungsregel gespro- chen wird, so stellt diese den Kern aller Rational-Choice- Theorien dar, welche allesamt vier Regeln folgen:
Regel 1: Die menschliche Natur ist prinzipiell konstant und von Lust bzw. Unlust dominiert (siehe dazu auch das damit in Verbindung zu bringende, bereits 1789 von Jeremy Bentham explizit angesprochene sogenannte Nutzenkalkül und den sog. utilitaristische Ansatz)
Regel 2: Es bestehen immer Interdependenzen zwischen sozialen Akteuren
Regel 3: Es gibt immer auch unbeabsichtigte Folgen absichtsvollen Handelns
Regel 4: Soziale Institutionen bilden immer einen relevanten sozialen Kontext
Unter „Konstanz der menschlichen Natur“ wird verstanden, dass beobachtbare Akteure sich in ähnlichen Situationen und unter ähnlichen Bedingungen feststell- bar ähnlich bzw. sogar gleich verhalten. Soziale Akteure sind auch oft voneinan- der abhängig (interdependent), was bedeutet, dass das Erreichen ihrer Ziele vom Handeln der anderen Akteure abhängt. Mit der dritten Regel ist gemeint, dass rationales Handeln auch ursprünglich nicht geplante, auf der Makroebene ange- siedelte Effekte in weiterer Folge auf der Mikroebene, z.B. einen Verkehrsstau, hervorrufen kann. Laut vierter Regel stellen soziale Institutionen wie z.B. rechtli- che Regelungen und Gepflogenheiten eine nicht zu unterschätzende Basis dar, die als Grundlage für nachfolgende Handlungen der Akteure anzusehen ist.
Grundsätzlich stellen RCTs Handlungstheorien, die das Verhalten von Akteuren in bestimmten Entscheidungssituationen erklären, dar. In ihrer Analyse versuchen die RCTs immer zuerst eine der jeweiligen Situationen, in der sich der Akteur ent- scheidet, exakt zu beschreiben, wobei angenommen wird, dass dem jeweiligen Akteur zumindest zwei Alternativen angeboten werden, zwischen denen unter- schieden werden kann. Für jede gewählte Handlung lässt sich in weiterer Folge ein sogenannter Nettonutzen bestimmen. Dies geschieht dadurch, dass zunächst der Nutzen und auch die Kosten aller Handlungskonsequenzen addiert werden. Von der jeweiligen Handlungsregel abhängig, die einer RCT zugrunde liegt, wird dann der Nettonutzen pro Handlungsalternative eruiert und danach entschieden, welche Handlung tatsächlich ausgeführt wird. Eine der in der Wissenschaft ge- bräuchlichsten Handlungsregeln der Nutzenmaximierung besagt, dass der Akteur sich für die Handlung mit dem gr öß ten Nutzen und den relativ geringsten Kosten entscheidet (vgl. Weik/ Lang 2005, S.21).
Die für diese Arbeit gewählte Theorievariante geht u.a. davon aus, dass nutzen- orientierte Akteure im institutionellen Rahmen stets nach dem oben beschriebenen Prinzip der Nutzenmaximierung agieren, wobei die jeweilige Präferenzordnung exogen (also durch äußere Ursachen entstehend) festgelegt und eindeutig ist. Sie besagt des Weiteren, dass das offen gezeigte gemeinsame Interesse ei- ner Vielzahl von Akteuren an einer Sache keineswegs bedeuten muss, dass sich auch tatsächlich alle Akteure dafür einsetzen (vgl. Kunz 2004, S. 90). Und genau um diese Akteure- jene 70 bzw. ab Sommer 2004 71 Teilnehmerinnen und Teil- nehmer des Konvents- geht es auch in der gegenständlichen These.
Die Institution eines gemeinsam von allen beteiligten Stakeholdern einberufenen Forums- auch der Konvent war ein Forum- sollte zumindest temporär allen ratio- nal eingestellten „Playern“ die Nutzenmaximierung ihrer Interessen unter Berück- sichtigung eines dementsprechend vorgegebenen Rahmens ermöglichen, wobei nur die dafür notwendige Kooperations- und Kompromissbereitschaft aller betei- ligten Akteure die Erzielung eines gesellschaftlich optimalen Ergebnisses gewähr- leisten kann.
Bei der theoretischen Einbindung der gegenständlichen Forschungsarbeit geht es somit auch um die daraus resultierende praktische Frage, inwieweit ein zusam- mengetretenes zweckgebundenes Kollektiv wie es der Konvent darstellte, Koope- ration erzeugen und die Ergebnisse der Kooperation auch einheitlich nach außen artikulieren konnte.
In diesem Zusammenhang sei speziell auf eine Studie von Mancur Olson mit dem Titel „ The Logic of Collective Action “ aus 1965, die das kollektive Verhalten - spe- ziell das Zusammenwirken von Individuum und Gesellschaft- untersucht, verwie- sen. Olson geht in seinem Werk vom Konzept des sogenannten Kollektivgutes aus. Dieses Gut wird auch als öffentliches Gut bezeichnet und ist jenes Gut, das anderen Personen in einer Gruppe nicht vorenthalten werden kann. Olson spricht von denjenigen, die von dem ö ffentlichen oder kollektiven Gut weder etwas kau- fen noch dafür bezahlen- man kann es ihnen weder vorenthalten, noch kann man ihnen seinen Konsum verwehren, wie man das bei nicht- kollektiven Gütern kann (vgl. Olson, dt. Version 1998, S. 13). Das heißt praktisch übersetzt, dass sich Kol- lektivgüter stets nur auf eine gewisse Gruppe beziehen und niemandem die Nut- zung dieses Gutes verwehrt werden kann- auch nicht jenen, die sich an der Pro- duktion des Gutes gar nicht beteiligt und somit auch keine Kosten übernommen haben.
Somit kann z.B. keiner der Teilnehmer eines Konvents lediglich dafür aus dem Konvent ausgeschlossen werden, weil sie/er sich permanent bei allen Sitzungen ohne Einsatz bzw. desinteressiert zeigt. Daraus lässt sich ableiten, dass die Pro- duktion eines kollektiven Gutes wie z.B. einer neuen Verfassung sich selbstver- ständlich auch als ein Problem sozialer Kooperation darstellt (vgl. Kunz 2004, S.90).
Auch die sogenannte Spieltheorie setzt sich mit Entscheidungssituationen, in de- nen sich verschiedene Akteure gegenseitig zu beeinflussen versuchen, auseinan- der. Damit in Verbindung gebracht wird das in der Wissenschaft bekannte Gefan- genendilemma, aus dem abgeleitet wird, dass soziale Kooperation unter bestimm- ten Bedingungen keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, da ein Akteur in Erwartung eines Kooperationsgewinnes eine Vorleistung erbrin- gen müsste, zu diesem Zeitpunkt aber nicht wei ß , ob der andere Akteur diese Vorleistung ausbeuten wird oder ihr kooperativ begegnet (vgl. Kunz 2004, S.88 /89).
Das oben erwähnte Gefangenendilemma stellt ein mathematisches Spiel im Rahmen der Spieltheorie dar. Es spiegelt die Situation zweier Gefangener wider, die beschuldigt werden, zusammen ein Verbrechen begangen zu haben. Beide werden einzeln verhört und können nicht miteinander in Verbindung treten. Leug- nen sie das Verbrechen, erhalten beide eine niedrige Strafe, da sie dann nur we- gen eines weniger streng bestraften Tatbestandes belangt werden können. Ge- stehen jedoch beide die Tat, erhalten sie dafür hohe Strafen; jedoch nicht die Höchststrafe, weil sie ja ein Geständnis abgelegt haben. Wenn jedoch nur einer der beiden Gefangenen gesteht, erhält er als Kronzeuge überhaupt keine Strafe, während der andere Gefangene als überführter, aber nicht geständiger Täter vermutlich mit der Höchststrafe rechnen muss. Das Dilemma besteht nun darin, dass sich jeder der beiden Gefangenen entscheiden muss, entweder das Verbre- chen zu leugnen (also ohne Absprache mit dem anderen Gefangenen zu koope- rieren) oder zu gestehen (also den anderen ohne Absprache zu verraten). Das vom jeweiligen Richter zu verhängende Strafausmaß wird allerdings danach be- stimmt, wie bzw. was die beiden Gefangenen zusammengenommen erklärt ha- ben. Somit hängt die Strafe nicht nur von der eigenen Aussage, sondern auch von jener, die der andere Gefangene getätigt hat, ab. Die dominante Strategie der beiden Gefangenen wäre also jene, gemeinsam zu gestehen, um auch gemeinsam der Höchststrafe zu entgehen. Damit können beide Gefangenen einen Nutzen erzielen.
Wenn man eine derartige Situation auf mehr als zwei Akteure erweitern möchte und damit auch auf gesellschaftliche Verhältnisse fokussiert, entstehen soge- nannte soziale Dilemmata. Es könnten zum Beispiel gemeinschaftlich beschlos- sene Ziele hinsichtlich einer notwendigen Staats- oder Verwaltungsreform, die durch den Konvent konkret formuliert wurden, nur dann verwirklicht werden, wenn alle partizipierenden Entscheidungsträger längerfristig entsprechende Mühen auf sich nehmen würden, um einen Erfolg zu gewährleisten. Am besten aber stellt sich der einzelne Akteur , wenn alle anderen die anfallenden Kosten auf sich neh- men und sich in ihrem Handeln für die notwendigen Reformen einsetzen und er als sprichwörtlicher Trittbrettfahrer dies nicht aktiv betreibt . Wenn jeder so denkt, kommt kein kollektives Handeln zustande, beziehungsweise das gemeinsame Interesse wird nicht verwirklicht ( vgl. Kunz 2004, S.92).
Die Methodik, auf die in Kapitel 3 ausführlich eingegangen wird, sieht einerseits ein partielles Studium vorhandener Literatur, andererseits die Durchführung von ausführlichen qualitativen Interviews vor. Aus den durch diese Interviews erwor- benen Aussagen soll u.a. im Rahmen der definierten Forschungsfragen heraus- gefiltert werden, inwieweit es einerseits Spannungsfelder zwischen den einzelnen Interessensgruppen und den von diesen in den Konvent entsandten Vertretern und ob es andererseits solche auch unter den direkt im Konvent agierenden Indi- viduen gab. Ebenfalls sehr interessant erscheint in diesem Zusammenhang die Klärung der Frage, inwieweit emotional geführte Auseinandersetzungen in den einzelnen Ausschüssen ausgetragen wurden und ob sie Einfluss auf das Ge samtergebnis des Konvents hatten und Nutzenmaximierung erkennen ließen.
Recht oft wird bei RCT- Beobachtungen festgestellt, dass schon kleine Veränderungen im Bereich der Informationsvermittlung, sowie geringfügige Variationen im Bereich der Entscheidungen zu dramatischen Veränderungen im Entscheidungsverhalten führen k ö nnen. Dieses als Framing- Effekt bezeichnete Phänomen (vgl. Stocke 2002, S. 10) sagt aus, dass von Akteuren getroffene Entscheidungen nicht immer rein rational getroffen werden. Es wird als Anomalie des Rational-Choice Ansatzes betrachtet (vgl. Stocke 2002, S.10).
Während die RCT in den Wirtschaftswissenschaften eine bedeutende Stellung einnimmt und man in vielen diesbezüglichen Modellen es für ausreichend hält, von rationaler Entscheidung ausgehen zu können, wird sie in der Soziologie und der Politikwissenschaft merkbar kontroversieller diskutiert. Hauptdiskussionspunkt dabei ist ein immer wieder verwendeter Terminus, welcher „methodologischer Individualismus“ genannt wird und bei dem untersucht wird, ob sich das soziale Verhalten sowie auch soziale Gesetze durch Verhaltensnormen vieler einzelner Individuen ableiten lassen und inwieweit soziale Handlungsformen möglicherwei- se auch eigene Gesetzmäßigkeiten aufweisen. Es gibt auch empirische Evidenz, dass Akteure manchmal nur begrenzt rational handeln und dass das für die Betei- ligten auch anlassbedingt vorteilhaft sein kann. Rational- Choice- Theoretiker streiten derartiges in der Regel nicht ab, betonen jedoch gleichzeitig, dass ratio- nale Nutzenmaximierung eine plausible Grundannahme in allen Modellen und daraus resultierenden Situationen darstellen würde.
3. Die Methodologie
Die gegenständliche Arbeit wird möglichst streng im Sinne des Grundsatzes Problemstellung- Theorie- Methode- Daten- Ergebnisse abgehandelt.
Die Methodik setzt sich aus der Auswertung qualifizierter Interviews (durch quali- tative Inhaltsanalyse), die teils im Rahmen persönlicher Gespräche und teils an- hand vorbereiteter Fragebögen für eine schriftliche Beantwortung abgehandelt wurden, sowie aus einer Dokumentenanalyse speziell ausgewählter wissenschaft- licher Artikel gemäß Literaturliste zusammen. Als Interviewpartner stellten sich dankenswerterweise aus sämtlichen damaligen Parlamentsparteien stammende TeilnehmerInnen des Konvents, damalige Parlaments- und Konvent- MitarbeiterInnen, Rechtsexperten, Vertreter der Bundesländer sowie Parteipoliti- ker zur Verfügung. Der Auswertung dieser Interviews wurde dabei besonderes Augenmerk gewidmet, wobei dafür auf Basis der drei in Unterkapitel 1.1 formulier- ten Forschungsfragen folgende zwölf weitere Fragen kompiliert werden konnten:
1. Gab es aus Ihrer Sicht während der Sitzungen der Ausschüsse des Kon- vents regelm äß ige thematische Rückkoppelungen und Abstimmungsge- spräche zwischen den Teilnehmern des Konvents und den dahinterste- henden Interessensgruppen und Parteien?
2. Worin sehen Sie pers ö nlich die Ursache, dass nicht alle Vorstellungen des Konvents tatsächlich realisiert werden konnten?
3. Gab es während der Beratungen unter den Mitgliedern des Konvents ein spürbares Gefühl, dass man gemeinsam an einem gro ß en Ziel arbeiten würde?
4. Wie schätzen Sie das damalige politische Interesse der Konvent- Teilneh- mer (Bundesregierung/ Bundesminister, Parlament, Länder, Sozialpartner, Sonstige) an einem durchschlagenden Erfolg des Konvents ein? (Skala 1/sehr niedrig-Skala 5/ sehr hoch)
5. Erweckten die Ausschussteilnehmer immer den Eindruck, dass sie Ansich- ten der hinter ihnen stehenden Organisationen vertraten oder wurden an- lassbedingt auch abweichende pers ö nliche Sichtweisen „ unabhängig “ vor- getragen?
6. Verliefen einzelne Diskussionen in den Ausschüssen auch emotional und auf pers ö nliche Ebene herabtransferiert ab?
7. Welche Rolle hatten aus ihrer Sicht individuelle Meinungen und Sichtwei- sen der am Konvent teilnehmenden Personen am Zustandekommen des Konvent- Ergebnisses gespielt?
8. Konnte während der Beratungen des Konvents aus Ihrer Sicht das Bestre- ben nach eigener (auch individueller) Nutzenmaximierung als vorrangigs- tes Ziel bei einzelnen TeilnehmerInnen festgestellt werden?
9. Worin sehen Sie pers ö nlich die gr öß ten Probleme hinsichtlich einer theore- tisch m ö glichen Wiederbelebung des Konvent- Gedankens?
10. Wer der seinerzeit am Konvent teilnehmenden Interessensgruppen hat aus Ihrer Sicht kein Interesse mehr an einer vollkommenen Abarbeitung der bisher nicht realisierten Vorschläge des Ö sterreich- Konvents?
11. Welche Vorschläge des Konvents wären aus Ihrer Sicht prioritär noch zu
verwirklichen und k ö nnten bei theoretischem Zustandekommen eines Konsenses aller beteiligter Interessensgruppen am leichtesten und raschesten verwirklicht werden?
12. Welche Vorschläge des Konvents k ö nnen aus jetziger Sicht keinesfalls mehr verwirklicht werden?
Wichtig erschien mir in diesem Zusammenhang die präzise und keinesfalls zwei- deutig erscheinende Formulierung der obigen Fragen, die dem jeweils Befragten sehr wohl genügend Raum für ausführliche Erläuterungen und auch persönliche Sichtweisen bieten sollten. Einige der Fragen wurden von der Fragestellung her bewusst ähnlich erstellt, um forschungsrelevante persönliche Sichtweisen beson- ders gut abgesichert zu wissen. Interviewt wurden insgesamt dreizehn Personen, davon neun Personen in Form eines persönlichen, in der Regel rund dreißig bis vierzig Minuten dauernden Gespräches (ein Interview wurde mit zwei Personen gleichzeitig geführt) sowie zwei Personen in Form einer zugesendeten schriftli- chen Beantwortung. Mit zwei weiteren Personen wurden informelle Gespräche ohne vorgegebene Fragen geführt. Sämtliche mündlich geführten Interviews wur- den verschriftlicht und sind aus Gründen der Vertraulichkeit in einem für die Öf- fentlichkeit gesperrten Anhang dieser Arbeit sowohl als Tonaufnahme, als auch als Transkript abgespeichert.
Zur Auswertung:
Die Einzelinterviews wurden in Form sogenannter Leitfadengespräche in offener Form durchgeführt. „Offen“ bezieht sich dabei auf die Möglichkeit der befragten Personen, sich bei einem mündlichen Interview zu den zwölf gestellten Fragen auch frei zu äußern, um das wiederzugeben, was ihnen hinsichtlich des jeweiligen Themas als besonders wichtig erschien. Zusätzliches Erzählen aus eigener Erfah- rung heraus war durchaus möglich und auch gewollt. Tauchten die relevanten Punkte der standardisierten Fragen im Verlauf der Erzählung nicht oder unvoll- ständig auf, konnte dementsprechend auch mittels zusätzlicher Zwischenfragen nachgehakt werden.
Der Kommunikationsstil, d. h das Interviewer- Verhalten wurde „weich“ gestaltet. „ Weich ist ein Interview, wenn der Interviewer versucht, ein Vertrauensverhältnis zum Befragten zu entwickeln, indem er der Person des Befragten (nicht den Ant- worten) seine Sympathie demonstriert “ (Grunow 1978, S. 786). Auf diese Weise konnte eine lockere, offene Atmosphäre geschaffen werden, um möglichst viele Informationen von der befragten Person zu generieren, ohne dass sie in eine ge- wisse Richtung- außer jener der strukturierten Fragethematik- beeinflusst wurde. Die Interviews wurden in der Regel mit Einverständnis der Befragten elektronisch aufgezeichnet.
Das qualitative Datenauswertungsverfahren orientierte sich überwiegend an der Methode nach Philipp Mayring, sowie andererseits- was die unmittelbare Erstbehandlung der zur Verfügung stehenden Texte betraf- auch an der Themenanalysemethode von Ulrike Froschauer und Manfred Lueger aus 2003. Die Anwendung der Methodik wurde als Ablaufmodell im Rahmen einer zusammenfassenden Inhaltsanalyse durchgeführt. Ziel dieser Analyse war es, das vorhandene Inter- viewmaterial in mehreren Schritten so zu reduzieren, dass die für die Beantwortung der definierten Forschungsfragen wesentlichen Inhalte erhalten blieben und abstrahierte Kurzaussagen kompiliert werden konnten.
Für eine derartige Zusammenfassung notwendig sind so genannte Kodiereinhei- ten, welche festlegen, was der minimalste Teil eines Textes ist, der ausgewertet werden kann, sowie Kontexteinheiten, die festlegen, was der größte Bestandteil eines Textes ist, den man unter einer bestimmten Kategorie einordnen kann. Als Kodiereinheit wird z.B. ein Satz der befragten Person zum interessierenden Sachverhalt und als Kontexteinheit werden alle „Fundstellen“ innerhalb eines In- terviews festgelegt. Die jeweiligen Auswertungsschritte wurden in weiterer Folge anhand einer angefertigten Tabelle dokumentiert. Als Auswertungseinheit wurde festgelegt, welche Textteile jeweils nacheinander ausgewertet werden können. Auf diese Weise war der Erhebungsablauf gut nachvollziehbar und lehnt sich an das Prinzip der Paraphrasierung, Generalisierung, Neutralisierung und Textreduk- tion an.
Worum es bei der Datenauswertung besonders ging, war einerseits die Heraus- arbeitung einer möglichst generellen Sichtweise auf das Konvent- Ergebnis und die Ursachen des derzeitigen Stillstands in der Verfassungsreformdiskussion, so- wie andererseits der Blick auf mögliche, während des Konvents dominant vertre- ten gewesene Einzelinteressen im Sinne der RCT- Nutzenmaximierung. Das Problem durchaus auftretender Erinnerungslücken bei den ehemals Beteiligten des Konvents, die sich teilweise in bereits höherem Alter befinden, war natürlich bekannt, konnte aber durch die begleitend- ergänzende Aussagen damals eben- falls involvierter jüngerer Persönlichkeiten kompensiert und ergänzt werden. Ein wichtiges Thema betraf selbstverständlich die bei qualitativen Interviews immer wieder vorkommende Subjektivität der Interviewten.
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- Quote paper
- B.A., M.A., M.E.S. Martin Krämer (Author), 2016, Elf Jahre Österreich- Konvent. Was blieb davon und worin liegen die Ursachen für nach wie vor nicht realisierte Reformvorschläge?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/334589
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